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Читать книгу: «La San Felice Band 14», страница 11

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Achtzehntes Capitel
Die Märtyrerin

Gern möchten wir die letzten Einzelheiten, die uns noch zu erzählen übrig bleiben, verschweigen und, am Ende des schmerzenreichen Weges angelangt, einfach auf den Stein eines Grabes die Worte: »Hier ruht Luisa Molina San Felice, die Märtyrerin« schreiben; die unversöhnliche Geschichte aber, welche uns während dieser ganzen langen Erzählung geleitet hat, will, daß wir bis ans Ende gehen, sollten selbst die Kräfte uns versagen und wir wie der göttliche Herr und Meister unterwegs dreimal unter der Wucht unserer Last zusammenbrechen.

Wenigstens aber werden wir – wir schwören dies nicht mit Schrecknissen spielen. Wir erfinden nichts; wir erzählen das Ereigniß, wie ein einfacher Zuschauer der Tragödie es erzählen würde. Ach, leider wird auch dieses Mal die Wirklichkeit Alles übertreffen, was die Phantasie erfinden könnte. Gott des jüngsten Gerichts! Gott der Rache! Gott Michel Angelos! Verleihe uns Kraft, auszuharren bis ans Ende.

Wie wir in dem vorhergehenden Capitel angedeutet, war die Gefangene der Citadelle von Castellamare, nachdem sie kaum ihre schmerzenreiche Niederkunft überstanden, auf der Corvette »die Sirene« von Palermo nach Neapel transportiert, nach ihrer Ankunft hier in das Gefängniß der Vicaria gebracht und in das an die Capelle anstoßende Gemach gesperrt worden.

Hier war sie, da sie weder stehen noch sitzen konnte, buchstäblich auf eine Matratze gefallen. Sie war so schwach, so sterbend, ja man konnte sagen schon so todt, daß man es für unnöthig gehalten hatte, ihr Ketten anzulegen. Die Schließer fürchteten eben so wenig, sie entfliehen zu sehen, als der Jäger die Taube davonfliegen zu sehen fürchtet, welcher sein Schuß bereits beide Flügel zerschmettert hat.

In der That waren die beiden Bande, welche sie noch an das Leben hätten fesseln können, zerrissen. Sie hatte gesehen, wie Salvato zusammenbrach, niedersank und für sie sein Leben aushauchte, und gleich einer Mahnung, daß sie nicht das Recht hätte, den Mann, der sie so sehr geliebt, zu überleben, hatte sie das Kind noch vor der von der Natur bestimmten Zeit sich ihrem Schooße entwinden gesehen.

Ihrem armen zerschmetterten Körper ebenfalls die Seele zu entreißen, war etwas sehr Leichtes.

Sei es nun Mitleid oder sei es, um dem furchtbaren Ceremoniell des Todes zu genügen, fragten ihre Wächter sie, ob sie etwas bedürfe.

Sie besaß nicht die Kraft zu antworten, und begnügte sich, verneinend den Kopf zu schütteln.

Die von dem König Ferdinand gemachte Mittheilung, daß sie auf den Tod vorbereitet sei und ohne nochmalige Beichte sterben könne, war dem Gouverneur der Vicaria gemeldet und der Priester demzufolge erst zu der Stunde bestellt worden, zu welcher sie das Gefängniß verlassen sollte, nämlich acht Uhr Morgens.

Die Hinrichtung sollte erst um zehn Uhr stattfinden, die arme Frau aber, welche unter der Anklage starb, die Hinrichtung der beiden Backers verschuldet zu haben, sollte an der Thür des Hauses derselben und an der Stelle, wo sie erschossen worden, Ehrenerklärung und Abbitte thun.

Dieser Beschluß war noch von einem anderweiten sehr großen Vortheile begleitet. Man erinnert sich jenes Briefes des Königs, worin er dem Cardinal Ruffo schreibt, er wundere sich nicht, daß es auf dem Altmarkt Tumult gegeben habe, da ja seit acht Tagen in Neapel Niemand gehängt worden sei. Nun aber hatte seit länger als einem Monat keine Hinrichtung stattgefunden. Man wußte, daß die Gefängnisse durch die Henker fast geräumt waren. Man konnte deshalb nicht mehr auf dieses beliebte Schauspiel rechnen, um das Volk in Unterwürfigkeit zu erhalten.

Die Hinrichtung der San Felice kam daher sehr gelegen und man mußte sie so auffallend und schmerzlich als möglich machen, um die wilden Bestien des Altmarktes, welche Ferdinand seit sechs Monaten mit Menschenfleisch fütterte und mit Blut tränkte, Geduld zu lehren.

Allerdings bereitete der Zufall, indem er Meister Donato, das heißt den patentierten Henker, entfernte und den Beccajo, das heißt einen dilettierenden Henker, an seine Stelle setzte, in dieser Beziehung dem geliebten Volke Seiner sicilichen Majestät einige süße Ueberraschungen.

Wir werden nicht versuchen zu malen, was diese Nacht der Angst und Pein für die arme Frau war. Allein ihren Geliebten und ihr Kind todt wissend, mit äußerlich und innerlich zerrissenem und verstümmeltem Körper auf diese Sterbematratze geworfen, in diesem Vorgemach des Blutgerüstes, welches so viele Märtyrer vorübergehen gesehen, lag sie da in der furchtbaren Unempfindlichkeit moralischer und physischer Vernichtung und erwachte aus derselben nur, um die Stunden zu zählen, während jeder Schlag wie ein Dolchstich ihr Herz durchbohrte. Wenn das letzte Summen verhallte und sie die Zeit berechnet hatte, welche ihr noch zu leben übrig blieb, ließ sie den Kopf auf die Brust herabsinken und versank wieder in ihre Erstarrung.

Endlich schlug es vier Uhr, fünf Uhr, sechs Uhr und der Tag graute – der letzte.

Er war trüb und regnerisch und stimmte wenigstens insoweit mit der traurigen Ceremonie überein, welche er beleuchten sollte. Es war ein trauriger Novembertag, einer jener Tage, welche den Tod des Jahres verkünden. Der Wind pfiff in den Corridors; der in Strömen fallende Regen peitschte die Fenster. Luisa, welche fühlte, daß die Stunde nahte, erhob sich mit Mühe auf ihre Knie, lehnte ihren Kopf an die Mauer und begann, da sie sich auf diese Weise halb aufgerichtet halten konnte, zu beten.

Aber sie konnte sich auf kein Gebet mehr besinnen, oder vielmehr, da sie die Situation, in der sie sich befand, nie vorhergesehen, so hatte sie auch kein Gebet für dieselbe; ihre Lippen waren nur das Echo eines verzweifelten Herzens und wiederholten: »Mein Gott! mein Gott! mein Gott !«

Um sieben Uhr öffnete man die äußere Thür der Bianchi. Sie schauderte, ohne zu wissen, was das Geräusch, welches sie hörte, bedeutete. Jedes Geräusch aber war für sie ein Schlag, den der Tod an das Thor des Lebens that.

Um halb acht Uhr hörte sie einen schweren hinkenden Tritt in der Capelle, dann öffnete sich die Thür ihres Gefängnisses und sie sah auf der Schwelle desselben eine phantastische, gräßliche Erscheinung, ein Wesen, wie es durch die Umarmungen des Alps erzeugt wird.

Es war der Beccajo mit seinem hölzernen Bein, seiner verstümmelten linken Hand, einem gespaltenen Gesicht, seinem ausgeschlagenen Auge.

Ein breites Hackmesser stak in einem Gürtel neben dem, womit er die Böcke und Hammel abzuschlachten pflegte.

Er lachte.

»Ah, da bist Du ja, meine Schöne,« sagte er. »Ich wußte anfangs gar nicht, welches Glück mir beschieden sei. Ich wußte wohl, daß Du die Verrätherin bist, welche die armen Backers denuncirt hat, aber ich wußte nicht, daß Du das Liebchen jenes nichtswürdigen Salvato gewesen bist. – Dieser ist also todt,« setzte er mit den Zähnen knirschend hinzu, »und ich werde folglich nicht die Freude haben, Euch beiden das Lebenslicht auszublasen. Allerdings,« hob er wieder an, »wäre ich auch ein wenig verlegen gewesen, zu wissen, mit welchem von beiden ich anfangen sollte.«

Dann ging er die drei oder vier Stufen hinab, welche aus der Capelle in das Gefängniß führen, und als er Luisa’s prachtvolles Haar sah, welches ihr aufgelöst über die Schultern herabhing, sagte er:

»Ah, dieses Haar! Schade, daß es abgeschnitten werden muß.«

Dann näherte er sich der Gefangenen.

»Vorwärts!« sagte er; »stehen wir auf, es ist Zeit.«

Und mit brutaler Geberde streckte er die Hand aus, um sie unter dem Arme zu fassen.

Ehe aber noch ein hölzernes Bein ihm gestattet hatte, das Gemach zu durchschreiten, öffnete sich die Thür der Bianchi und ein mit seinem langen weißen Gewand bekleideter Büßer, von dem nur die Augen durch die Oeffnungen seiner Capuze hindurch funkelten, stellte sich zwischen den Henker und das Schlachtopfer, und streckte die Hand aus, um den Beccajo abzuhalten, noch einen Schritt weiter zu thun.

»Ihr werdet diese Frau nicht eher als auf dem Blutgerüst berühren,« sagte er.

Bei dem Klange dieser Stimme stieß Luisa einen Schrei aus, und indem sie Kräfte wiederfand, welche sie selbst für immer verloren zu haben glaubte, richtete sie sich vollends auf ihre Füße empor, lehnte sich aber an die Wand, als ob diese Stimme, so sanft dieselbe auch war, ihr mehr Schrecken verursachte als selbst die drohende oder spöttische Stimme des Beccajo.

»Sie muß aber im Hemd und barfuß gehen, um Abbitte zu thun,« antwortete der Beccajo. »Ferner müssen ihr auch die Haare abgeschnitten werden, damit ich ihr den Kopf abschneiden kann. Wer wird ihr das Haar abschneiden? wer wird ihr das Kleid ausziehen?«

»Ich,« sagte der Büßer in demselben sanften und zugleich festen Tone wie vorher.

»Ja, Du,« sagte Luisa mit unbeschreiblichem Ausdruck und indem sie zugleich die Hände faltete.

»Du hörst,« sagte der Büßer; »geh’ hinaus und erwarte uns in der Capelle. Du hast hier nichts zu thun.«

»Ich habe aber volles Recht auf dieses Weib,« rief der Beccajo.

»Du hast ein Recht auf ihr Leben, aber nicht auf sie selbst. Du hast von den Menschen Befehl erhalten, sie zu tödten. Ich habe von Gott Befehl erhalten, ihr im Tode zur Seite zu stehen. Führen wir jeder den Befehl aus, den wir empfangen haben.«

»Ihre Kleider aber gehören mir, ihr Geld gehört mir, Alles was sie hat, gehört mir. Schon ihr Haar allein ist vier Ducati werth.«

»Hier sind hundert Piaster,« sagte der Büßer, indem er eine mit Gold gefüllte Börse in die Capelle hinauswarf, um den Beccajo zu nöthigen, die sich dort zu holen.

»Schweig und gehe.«

In dem teuflischen Gemüth des Beccajo fand ein augenblicklicher Kampf zwischen der Habsucht und dem Hasse statt. Die Habsucht trug den Sieg davon. Er ging fluchend und schimpfend hinaus in die Capelle.

Der Büßer folgte ihm und schloß die Thür in so weit, daß die Gefangene dadurch neugierigen Blicken entzogen ward.

Wir haben bereits gesagt, worin die Macht der Bianchi bestand und wie ihr Schutz sich auf die letzten Augenblicke der Verurtheilten erstreckte, welche dem Henker erst dann gehörten, wenn sie, die Bianchi, die Hand von der Schulter des Delinquenten hinweggenommen und zu dem Nachrichter gesagt hatten: »Dieser Mann oder dieses Weib ist dein.«

Der Büßer ging langsam die Stufen der Treppe hinunter, zog eine Schere unter seinem Gewand hervor, näherte sich Luisa und zeigte sie ihr.

»Du oder ich?« fragte er.

»Du! o Du!« rief Luisa.

Und sie wandte sich so gegen ihn, daß er jene letzte traurige Verrichtung bewirken konnte, welche man die Toilette des Verurtheilten nennt.

Der Büßer unterdrückte einen Seufzer, hob die Augen gegen Himmel und man konnte durch die Oeffnung seiner Leinwandmaske hindurch große Thränen aus seinen Augen rollen sehen.

Dann faßte er so sanft, als er konnte, mit seiner linken Hand das üppige Haar der Gefangenen zusammen, schob mit der rechten die Schere zwischen seine linke Hand und den Hals, wobei er alle mögliche Vorsicht gebrauchte, um diesen nicht mit dem Eisen zu berühren, und schnitt dann langsam diese Zierde des Lebens ab, welche in der Stunde des Todes ein Hinderniß ward.

»Wem willst Du, daß dieses Haar zugestellt werde?« fragte der Büßer, als das Haar abgeschnitten war.

»Behalte es um der Liebe zu mir willen; ich bitte inständig darum,« sagte Luisa.

Der Büßer drückte, während Luisa es nicht sehen konnte, das Haar an seine Lippen und küßte es.

»Und nun,« sagte Luisa, indem sie sich mit der Hand schaudernd über den entblößten Nacken fuhr, »was bleibt mir nun zu thun?«

»Der Richterspruch verurtheilt Dich, im Hemd und barfuß Abbitte zu thun.«

»Ha, diese Tieger!« murmelte Luisa, deren Schamgefühl sich empörte.

Der Büßer kehrte, ohne ein Wort zu sagen, in das Ankleidezimmer der Bianchi, vor dessen Thür eine Schildwache auf- und abschritt, zurück, nahm ein Büßergewand vom Nagel, schnitt mit seiner Schere die Capuze ab, reichte es dann Luisa und sagte:

»Ach, leider ist das Alles, was ich für Dich thun kann!«

Die Verurtheilte stieß einen Freudenruf aus. Sie hatte begriffen, daß dieses Gewand, welches bis an den Hals hinaufreichte und bis auf die Füße herabfiel, kein Hemd, sondern ein Leilach war, welches ihre Blöße vor Aller Blicken verhüllte und im Voraus das geheiligte Schweißtuch des Todes über sie ausbreitete.

»Ich gehe,« sagte der Büßer; »wenn Du bereit bis, wirst Du mich rufen.«

Zehn Minuten später hörte man Luisas Stimme, welche sagte:

»Mein Vater !«

Der Büßer trat wieder ein.

Luisa hatte ihre Kleider auf einen Schemel gelegt. Sie war jetzt blos mit ihrem Hemd oder vielmehr mit ihrem Gewand bekleidet und ihre Füße waren nackt.

Die Spitze eines derselben lugte unter dem Gewand hervor. Das Auge des Büßers heftete sich auf diesen so zarten Fuß, womit sie auf dem Pflaster von Neapel bis zum Schaffot gehen sollte.

»Gott will,« sagte er, »daß dein Märtyrerthum vollständig sei. Muth, Muth! Du wandelt den Weg zum Himmel.«

Und indem er ihr seine Schulter bot, auf welche sie sich stützte, ging er mit ihr die Stufen der kleinen Treppe hinauf. Die Thür der Capelle aufstoßend sagte er: »Da sind wir.«

»Ihr habt Euch gehörig Zeit genommen,« sagte der Beccajo. »Allerdings, wenn die Verurtheilte hübsch ist —«

»Schweig, Elender!« sagte der Büßer. »Du hast das Recht, den Tod zu geben, aber nicht Beschimpfungen zuzufügen.«

Man stieg die Treppe hinab, passierte die drei Gitterthore und gelangte in den Hof.

Zwölf Priester warteten hier mit den Chorknaben, welche die Banner und Kreuze trugen.

Vierundzwanzig Bianchi hielten sich bereit, die Verurtheilte zu begleiten, und Mönche von verschiedenen Orden, welche unter den Arcaden standen, sollten den Zug vervollständigen.

Der Regen fiel immer noch in Strömen. Luisa schaute sich um. Sie schien etwas zu suchen.

»Was wünschest Du?« fragte der Büßer.

»Ich möchte ein Crucifix haben,« sagte Luisa.

Der Büßer zog ein an einem schwarzen Sammtbande hängendes kleines silbernes Crucifix aus seinem Gewande und hing es ihr um den Hals.

»O mein Heiland!«, sagte sie, »niemals werde ich leiden, was Du gelitten hat, aber ich bin Weib; verleihe mir Kraft!«

Sie küßte das Crucifix, und wie durch diesen Kuß gestärkt sagte sie:

»Gehen wir.«

Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Priester gingen voran und stimmten ein Sterbelied an.

Gräßlich in seiner Freude, mit wildem Gelächter, mit der rechten Hand sein Beil schwingend, als ob er Jemanden den Kopf abschlüge und sich mit der Linken auf einen Stock stützend, um seinen hinkenden Gang zu erleichtern, folgte hinter den Priestern der Beccajo.

Dann kam Luisa, den rechten Arm auf die Schulter des Büßers stützend und mit der linken Hand das Crucifix an die Lippen drückend.

Hinter ihnen kamen die vierundzwanzig Bianchi.

Zuletzt, nach den Bianchi, folgten Mönche von allen Orden und allen Farben.

Der Zug kam auf den Platz der Vicaria heraus. Die Menschenmenge war unzählig.

Freudengeschrei begrüßte mit Schmähungen und Verwünschungen untermischt den Zug. Die Verurtheilte war aber so jung, so ergeben, so schön, es waren so viel Gerüchte, von welchen einige nothwendig Interesse und Theilnahme erregen mußten, über sie in Umlauf gekommen, daß nach Verlauf von einigen Augenblicken die Schmähungen und Drohungen allmälig verstummten und Schweigen eintrat.

Der Leidensweg war vorgezeichnet. Durch die Strada dei Tribunali erreichte man die Toledostraße, welche man fast in ihrer ganzen Länge durchzog und in welcher die Häuser von Köpfen erbaut zu sein schienen.

Am äußersten Ende dieser Straße bogen die Priester links ab, um den Largo Castello herum und in die Via Medina ein, wo, wie man sich erinnert, das Haus der Backers stand.

Das Portal desselben war in eine Trauerdecoration verwandelt, deren unterer Theil in einer Art Altar bestand, welcher mit papierenen Blumen und Wachskerzen geschmückt war, welche letzteren der Wind aber ausgelöscht hatte.

Hier machte der Zug Halt und bildete um Luisa herum einen großen Halbkreis, dessen Mittelpunkt sie ward. Der Regen hatte ihr Gewand durchnäßt, so daß es an ihren Gliedern anklebte. Schaudernd vor Frost kniete sie nieder.

»Betet!« sagte ein Priester in hartem Tone zu ihr.

»Selige Märtyrer des Himmels, meine Brüder, betet für eine Unglückliche, die eine Märtyrerin ist wie Ihr!« sagte Luisa.

Nachdem man ungefähr zehn Minuten Halt gemacht, setzte man sich wieder in Bewegung.

Diesmal legte die Todesprozession eine Strecke des bereits gemachten Weges wieder zurück, bog in die Strada del Molo ein, passierte die Strada Nuova, kehrte über den Marktplatz in das alte Neapel zurück und blieb der großen Mauer gegenüber stehen, an welcher die Backers erschossen worden.

Das schlechte Pflaster der Quais hatte die Füße der Märtyrerin blutig geritzt, der rauhe, vom Meere her wehende Wind machte ihr das Blut erstarren. Bei jedem Schritt, den sie that, ächzte sie dumpf, aber dieses Aechzen ward durch den Gesang der Priester übertäubt. Die Kräfte verließen sie, der Büßer hatte aber seinen Arm um ihren Leib geschlungen und hielt sie aufrecht.

Vor der Mauer fand derselbe Auftritt statt wie vor der Thür des Hauses. Luisa kniete nieder oder fiel vielmehr auf ihre Knie und stammelte mit beinahe erloschener Stimme dasselbe Gebet.

Es war augenscheinlich, daß sie, erschöpft durch ihre kaum überstandene Niederkunft, durch die Reise über ein stürmisches, wild aufgeregtes Meer und durch ihre letzten Anstrengungen, kaum noch im Stande war, sich weiterzuschleppen. Hätte sie noch die Hälfte des Weges, den sie schon gemacht, zurückzulegen gehabt, so wäre sie gestorben, ehe sie am Schaffot angelangt wäre.

Sie war aber angelangt. Vom Fuße jener Mauer ihrer letzten Station her hörte sie gleich dem Brausen eines Orkans die zwanzig- oder dreißigtausend Lazzaroni, Männer und Frauen, welche schon den Marktplatz bedeckten, ohne die zu zählen, welche gleich in einen See fließenden Strömen sich durch jene tausend Gäßchen ergossen, welche auf diesen Platz, das Forum des gemeinen Volkes von Neapel, ausmünden.

Wie wäre es Luisa möglich gewesen, in die Mitte dieser dichtgedrängten Menge zu gelangen, wenn nicht die Neugier ein Wunder gewirkt und ihr die Reihen geöffnet hätte.

Sie ging mit geschlossenen Augen, auf ihren Tröster gestützt von ihm gehalten, bis sie plötzlich den Arm, der sie umschlungen hielt, erbeben fühlte.

Unwillkürlich schlug sie die Augen auf. Sie erblickte das Schaffot!

Es war der kleinen Kirche vom heiligen Kreuz gegenüber aufgeschlagen, genau an der Stelle, wo Conradin von Schwaben enthauptet worden.

Es bestand einfach aus einer etwa acht Fuß hohen Plattform mit einem daraufstehenden Block.

Diese Plattform war unbedeckt und ohne Geländer, damit den Zuschauern kein einzelner Umstand des hier aufzuführenden Dramas entgehen möchte.

Eine Treppe führte auf die Plattform hinauf. Diese Treppe, ein Luxusgegenstand, war nicht um der Bequemlichkeit der Verurtheilten willen da, sondern um der des Beccajo willen, weil dieser mit einem hölzernen Bein nicht im Stande gewesen wäre, eine bloße Leiter hinaufzusteigen.

Auf der Kirche zum heiligen Kreuze schlug die zehnte Stunde, als, nachdem die Priester, die Büßer und die Mönche sich um das Schaffot herum aufgestellt hatten, die Verurtheilte den Fuß der Treppe erreichte.

»Muth!« sagte der Büßer zu ihr. »Binnen zehn Minuten wird anstatt meines schwachen Armes die gewaltige Hand Gottes Dich stützen. Es ist von diesem Blutgerüst bis zum Himmel weniger weit als von dem Pflaster dieses Platzes bis auf dieses Blutgerüst.«

Luisa raffte alle ihre Kräfte zusammen und stieg die Treppe hinauf. Der Beccajo war ihr voran auf die Plattform gestiegen, wo seine gleichzeitig scheußliche und groteske Erscheinung mit allgemeinem Geschrei begrüßt worden war. So weit als das Auge reichte, sah man weiter nichts als sich bewegende Köpfe, offene Lippen, begierige und flammende Augen.

Durch eine einzige Oeffnung hindurch sah man den ebenfalls mit Menschen angefüllten Quai und jenseits des Quai das Meer.

»Nun, rief der Beccajo auf einem hölzernen Beine schwankend und sein Beil schwingend, »sind wir endlich bereit?«

»Wenn der Augenblick da sein wird, so werde ich es Dir sagen,« antwortete der Büßer.

Dann setzte er mit unendlicher Sanftmuth zu der Verurtheilten hinzu: »Wünschest Du nichts mehr?«

»Deine Verzeihung! Deine Verzeihung!« rief Luisa, indem sie vor ihm auf die Knie niedersank.

Der Büßer streckte die Hand über ihr gesenktes Haupt.

»Ihr Alle seid Zeugen,« sagte er mit lauter Stimme, »daß ich in meinem Namen, im Namen der Menschen und im Namen Gottes dieser Frau verzeihe.«

Dieselbe rauhe Stimme, welche Luisa vor dem Hause der Backers befohlen hatte zu beten, rief jetzt vom Fuße des Schaffots herauf:

»Seid Ihr ein Priester, der Ihr Absolution ertheilt?«

»Nein,« antwortete der Büßer, »wenn ich aber auch nicht Priester bin, so ist mein Recht doch darum ein nicht weniger heiliges. Ich bin der Gatte der Verurtheilten!«

Und Luisa aufrichtend und seine Capuze zurückwerfend, breitete er ihr beide Arme entgegen und Jeder konnte, trotz des auf seinem Antlitz ruhenden Ausdruckes von Schmerz, die sanften Züge des Chevalier San Felice erkennen.

Luisa sank schluchzend an die Brust ihres Gatten.

Wie verstockt und verhärtet die Herzen der Mehrzahl der Zuschauer auch waren, so blieben doch bei diesem Anblick nur wenig Augen trocken.

Einige, freilich nur wenige Stimmen riefen:

»Gnade!«

Es war der Protest der Menschlichkeit.

Luisa begriff selbst, daß der Augenblick gekommen sei. Sie entriß sich den Armen ihres Gatten, that taumelnd einen Schritt in der Richtung, wo der Henker stand, indem sie sagte:

»Mein Gott! In deine Hände befehl’ ich mich.«

Dann sank sie auf die Knie nieder, legte selbst den Kopf auf den Block und fragte:

»Liege ich so recht?«

»Ja,« antwortete der Beccajo in rauhem Tone.

»Ich bitte Euch, laßt mich nicht lange leiden.«

Es trat Todtenstille ein und der Beccajo hob sein Beil.

Nun aber folgte ein entsetzlicher Auftritt.

Sei es, daß die Hand des Henkers nicht sicher genug war, sei es, daß sie nicht das nöthige Gewicht hatte, kurz der erste Hieb bewirkte blos einen tiefen Einschnitt in den Nacken der Verurtheilten, trennte aber nicht die Wirbel.

Luisa stieß einen lauten Schrei aus, sprang von Blut überströmt in die Höhe und bewegte die Arme wild in der Luft.

Der Henker packte sie bei ihrem kurz abgeschnittenen Haar, drückte sie wieder auf den Block nieder und führte unter dem lauten Geheul und den Verwünschungen der gaffenden Menge einen zweiten und einen dritten Streich, ohne daß es ihm gelang den Kopf vom Rumpfe zu trennen.

Nach dem dritten Streiche entrang Luisa, vor Schmerz wahnsinnig, Gott und die Menschen um Hilfe anrufend und in Blut gebadet, sich seinen Händen und wollte sich mitten unter die Menge hinabstürzen; der Beccajo aber ließ sein Beil fallen, griff zu seinem Schlachtmesser, der Waffe, womit er besser umzugehen wußte, hielt die arme Märtyrerin fest, umschlang sie mit dem einen Arm und stieß ihr sein Messer unter dem Schlüsselbein in die Brust.

Das Blut spritzte in einem funkelnden Strahl heraus, die Arterie war durchschnitten. Diesmal war die Wunde tödtlich.

Luisa ächzte, hob Augen und Hände gegen Himmel und brach dann zusammen.

Sie war todt.

Gleich bei dem ersten Streiche mit dem Beil war der Chevalier San Felice ohnmächtig geworden.

Dies war mehr, als der Pöbel des Altmarktes, so gewöhnt er auch an dergleichen Schauspiele war, ertragen konnte, ohne sich einzumischen. Er stürzte sich auf das Schaffot, welches er binnen wenigen Secunden demolierte, und auf den Beccajo, den er in einem Augenblick in Stücke riß.

Dann baute man aus den Trümmern des Schaffots einen Scheiterhaufen, auf welchem man den Henker verbrannte, während einige fromme Seelen an der Leiche der Hingerichteten beteten, welche man am Fuße des großen Altars in der Kirche del Carmine niedergesetzt.

Den immer noch ohnmächtigen Chevalier hatte man in das Officium der Bianchi gebracht.

* * *

Die Hinrichtung der unglücklichen San Felice war die letzte, welche in Neapel stattfand. Bonaparte, welchen der Capitän Skinner am Bord des »Muiron« gesehen, täuschte, wie König Ferdinand sehr richtig vorausgesehen, die Wachsamkeit des Admiral Keith, landete am 8. October in Fréjus, vollführte am nächstfolgenden 9. November den unter dem Namen des 18. Brumaire bekannten Staatsstreich, gewann am 14. Juni des nächsten Jahres die Schlacht bei Marengo und forderte, indem er mit Oesterreich und dem Königreich beider Sicilien den Frieden unterzeichnete, von König Ferdinand Einstellung der Hinrichtungen, Oeffnung der Gefängnisse und Rückkehr der Verbannten.

Beinahe ein Jahr lang war auf allen öffentlichen Plätzen des Königreiches das Blut der Verurtheilten geflossen und man schätzt die Schlachtopfer der bourbonischen Reaction auf mehr als viertausend.

Die Staatsjunta, welche glaubte,« daß gegen ihre Aussprüche keine Berufung zulässig sei, täuschte sich aber.

In Ermanglung der menschlichen Gerechtigkeit appellierten die Schlachtopfer an die göttliche und Gott hat die gefällten Urtheile cassiert. Das Haus der Bourbonen von Neapel hat aufgehört zu regieren, und dem Worte des Herrn gemäß sind die Sünden der Väter heimgesucht worden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.

Nur Gott allein ist groß.

Der Capitän Skinner oder vielmehr Bruder Giuseppe kehrte, nachdem er Salvato die letzten Pflichten erwiesen, in das Kloster auf dem Berge Monte Cassino zurück und die armen Kranken der Umgegend, welche drei oder vier Monate lang vergebens nach ihm sahen von Neuem von der Abenddämmerung bis Tagesanbruch am höchsten Fenster des Klosters einen Lichtschimmer leuchten.

Es war die Lampe des Skeptikers oder vielmehr des verzweifelten Vaters, welcher fortfuhr Gott zu suchen, ihn aber nicht fand.

* * *

Heute, am 25. Februar 1865, um 10 Uhr Abends, habe ich diese Erzählung beendet, die ich am 24. Juli 1863, meinem Geburtstage, begonnen.

Achtzehn Monate habe ich fleißig und gewissenhaft zum Ruhme des neapolitanischen Patriotismus und zur Schmach der bourbonischen Tyrannei dieses Monument aufgebaut. Unparteiisch wie die Gerechtigkeit, möge es unvergänglich sein wie das Erz.

Возрастное ограничение:
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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
200 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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