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Читать книгу: «Die Holländerin», страница 6

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11
Aus diesem Kapitel ist zu ersehen, daß die Musik nicht immer die Sitten der Menschen mildert

Bei den ersten Tönen, welche Madame Van-Dick ihrem Piano entlockte, ward Tristan unwillkührlich tief bewegt. Wollte man den Einfluß der Sinne wegläugnen, könnte man auch die ganze Natur verneinen. Wie sich der Leser erinnert, besaß unser Held keine immaterielle Natur; seit der Zeit, daß er den Negocianten kennen gelernt, hatte die Keuschheit an der Thür dieses Hauses gewacht, und wenn auch von Zeit zu Zeit Liebesgedanken den Kopf des Hauslehrers erhitzten, so hatten sie sich doch nie verwirklicht. Es ist demnach leicht begreiflich, wenn die keusche Göttin, welche über Tristan wachte, ihrer Wache einmal müde wurde und dem Schützlinge einen Irrthum erlaubte, ebenso auch läßt sich die Unentschlossenheit erklären, welche der musikalischen Einladung Euphrasia’s antwortete. Er hatte Wilhelm einen heiligen Eid geschworen, das ist wahr; er fand, oder vielmehr er hatte lange Zeit schon Euphrasia sehr lächerlich gefunden, das ist auch wahr: aber Wilhelm war fern, er konnte nichts bemerken. So lange die Welt steht, sind Meineide dieser Art unzählige geschworen und die Natur hat vor Entsetzen darüber nicht gebebt, sie hat die Erinnerung daran nicht einmal bewahrt. Hinter dem Horizonte, den die Schatten des Abends verhüllten, gab es sehr viel Kirchhöfe, auf diesen Kirchhöfen viel Gräber und in diesen Gräbern lagen sehr viel Leute, welche denselben Verführungen unterlegen, die unsern Helden verfolgten; gute und böse, treue und meineidige Liebhaber hatte der Tod hinweggerafft, sie lagen friedlich in einer und derselben Erde, unter einer und derselben Decke.

Solche Gedanken steigen in einem Manne auf, der, wie Tristan, im Begriffe steht, eine That zu vollbringen, welche die Monotonie seines Lebens zu einer verdächtigen stempelt. Wäre Tristan in seinem früher freien Stande als junger Mann auf einen Handlungsbeflissenen von Wilhelm’s Schlage gestoßen, und dieser Handlungsbeflissene hätte eine Geliebte von Euphrasia’s Schlage gehabt, es wäre sehr wahrscheinlich, daß er, unter demselben geleisteten Versprechen, nicht einen Augenblick gezögert, sondern die ganze Sache für eine kleine Sünde gehalten hätte, welche am Morgen beschlossen, am Abend ausgeführt und am nächsten Tage wieder vergessen gewesen.

Aber die gegenwärtige Sachlage war eine andere. Tristan hatte einen feierlichen Eid geschworen, ob mit Unrecht oder Recht, lag ihm nicht zu entscheiden ob. Wilhelm liebte Euphrasia, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht; er war traurig, als er abreiste, aber er setzte volles Vertrauen in seinen Freund, und es wäre niederträchtig, selbst wenn die That unbekannt bliebe, dieses Vertrauen zu täuschen, oder über diese Traurigkeit zu lachen.

– Wenn Madame Van-Dick, sprach er zu sich, als das ungeduldige Piano immer dringender ertönte, wenn Madame Van-Dick Wilhelm’s Frau wäre, so wäre dies sehr schlecht; aber sie ist nur eine Geliebte und Herrn Van-Dick’s Gattin, der es gut mit mir meint. Da Wilhelm Herrn Van-Dick betrügt, könnte ich auch Wilhelm betrügen; indeß, fuhr er nach einigem Nachdenken fort, ist die Sache nicht dieselbe. Herr Van-Dick sieht gar nicht aus, als ob er seine Frau anbetete, er liebt vielmehr seine Köchin und hat Euphrasia seinem Commis nicht anvertraut, während ich mich damit befasse, über die Tugend der Dame zu wachen.

Das Instrument tönte immer fort.

– Wer wird es erfahren? sprach Tristan weiter; außerdem ist Euphrasia kein junges Mädchen mehr, Wilhelm ist nicht ihr erster Liebhaber und ich werde nicht der letzte sein. Wer wird ihm sagen, daß sie ihn betrogen hat? Ein Unglück, was man nicht kennt, ist kein Unglück zu nennen. Ich habe gethan, was ich konnte, um Euphrasia zu vermeiden; sie selbst hat gewünscht und wünscht immer noch. Wenn die Wilhelm nicht mehr liebt, wird sie meine Gleichgültigkeit nicht vermögen, ihn zu lieben. Außerdem ist sie auch sehr schön. Als ich den Eid leistete, wußte ich nicht alles, was ich jetzt weiß. Tristan versank in Nachdenken.

In diesem Augenblicke schwieg das Piano.

– Ah! sprach er, und unwillkührlich klopfte sein Herz.

– Sie spielt nicht mehr, sie erwartet mich!

Leise, auf den Fußspitzen, schlich er zum Fenster. Auch Euphrasia war an ihrem Fenster und hustete jenen hartnäckigen Husten, der laut allgemeiner Uebereinkunft bestimmt ist, begreiflich zu machen, daß der, den man erwartet, kommen kann.

– - Was soll ich thun? dachte Tristan.

Es ward gehustet.

– Sie fährt fort!

Ein Lächeln umschwebte die Lippen des Hauslehrers.

– Da ich meinen Schwüren so treu bleibe, dachte er, will ich dieser armen Frau, deren Gunst ich mir erhalten muß, auch einen leisten. Dabei ist aber die Hauptsache, zu wissen, ob der erste mehr gilt, als der zweite.

Tristan lächelte wie ein Mensch, der sich durch einen schlechten Grund zu überzeugen sucht.

Das Husten hörte auf

– Ah, sprach er, indem er den Kopf aus dem Fenster senkte, sollte sie sich schon zufrieden gegeben haben? Um so besser! Um so besser!

Dies »Um so besser« kam aber nicht aus dem Herzen, es war falsch.

Der Mensch liebt diese Art Kämpfe. Wenn er nicht unterliegt, spricht er zu sich: »Wie stark bin ich!« Unterliegt er, spricht er: »Wie habe ich gekämpft!«

Tristan steckte seinen Kopf etwas weiter hinaus.

Euphrasia war zwar von ihrem Fenster verschwunden, das Fenster aber war offen geblieben.

– Zum Teufel, sprach Tristan, ich bin ein Mann und finde an diesem kindischen Kampfe Vergnügen! Ich will zu ihr gehen, aber nur, um ihr zu sagen, daß an ein Verhältniß zwischen uns nicht zu denken sei. Ich werde ihr erzählen, was mir Wilhelm gesagt hat – wenigstens werde ich ruhig sein. Daß ich ihr nicht böse bin, ist zwar sehr gut, aber ich muß es ihr doch sagen.

Mit diesem plötzlichen Entschlusse, hinter dem auch noch der Wunsch sich verbarg, die in der Laube begonnene Scene fortzusetzen, drehte Tristan den Schlüssel in der Thür und öffnete sie leise, indem er mit dem Mittel, das ihm seine Klugheit gerathen, sein Gewissen zu beschwichtigen suchte. In dem Augenblicke, als er die Schwelle seiner Thür überschreiten wollte, hörte er in dem Erdgeschosse Geräusch. Er lauschte einen Augenblick und erkannte Herrn Van-Dick’s Gang, der nach Hause kam und ruhig sein Zimmer betrat.

Diese Verzögerung verwünschend, die ihn in den Augen der Madame Van-Dick als einen unartigen Mann mußte erscheinen lassen, trat Tristan in ein Zimmer zurück. Hier legte er sein Ohr an das Schlüsselloch der Thür und hörte, wie der Negociant die Thüren verschloß, welche seinem Schlafzimmer vorangingen.

Alles war ruhig.

– Ich werde mir eine unversöhnliche Feindin erwerben, wenn ich nicht hinabgehe, dachte Tristan. Welchen Grund soll ich ihr morgen angeben? Was soll ich thun?

In diesem Augenblicke ließ sich das Piano wieder vernehmen; allein Madame Van-Dick, die nicht wußte, welchem Umstande die Tristan’s Schweigen zuschreiben sollte, hatte den Fuß auf das Pedal des Instrumentes gesetzt und »der letzte Gedanke von Weber«, von den kräftigen Fingern Euphrasia’s verwirklicht, schlug rauschend an das Ohr desjenigen, dem er bestimmt war. Tristan konnte sich des Lachens nicht erwehren.

– O Himmel! dachte er, wenn das in dieser Steigerung fortgeht, zerspringen in einer halben Stunde die Fensterscheiben. Hilf, Himmel! Verehrteste Madame Van-Dick, wie lieben Sie mich!

In der That, wenn ihre Liebe mit der Energie, mit der sie die Tasten des Instrumentes berührte, in Verhältniß fand, mußte Euphrasia unsern Tristan nicht wenig lieben. Es war nicht mehr Musik, es war eine Rebellion von Tönen.

– Man muß dem Dinge ein Ende machen, sprach Tristan. Wenn ich den Tod Raphael’s nicht erleiden will, den mir diese mächtige Harmonie zu versprechen scheint, darf ich jetzt nicht hinabgehen. Ich muß einen Entschluß fassen, aber da ich ein großer Narr bin und diesen Entschluß in meinem eigenen Willen nicht finden kann, will ich mir ihn vom Zufalle geben lassen.

Mit diesen Worten ging unser Freund leise zu einem Kamine und zündete ein Licht an; dann zog er ein Stück Geld aus der Tasche und trat zu einem Bette.

– Madame Van-Dick hat gewonnen, fällt die Rückseite; erscheint das Bild, habe ich gewonnen, das heißt, ich gehe nicht hinab. Dies ist die letzte Probe, und wenn Sie verlieren, meine beste Madame, so mögen Sie die Posaune blasen, bei deren Ton die Mauern von Jerichow eingestürzt sind, ich komme nicht!

– Bild! sprach er und warf das Geldstück in die Luft. Die Münze drehte sich rasch um sich selbst und fiel auf das Bett. Tristan trat mit dem Lichte heran. Das Bild des Monarchen ward von demselben beschienen.

– Ich habe gewonnen, sprach Tristan, indem er das Geldstück wieder in seine Tasche schob, oder richtiger gesagt, sie hat verloren. Diesmal bleibt es dabei!

Nun schloß er leise das Fenster und zog die Vorhänge zusammen. Der musikalische Lärm dauerte fort, aber etwas dumpfer.

– Und nun zu Bett, sprach er zu sich, ich habe die Ruhe verdient. Ich hoffe, mein bester Wilhelm, Sie haben einen Freund, der seine Schwüre hält. Doch gleichviel, ich handele in meinem Interesse klug.

Die Musik dauerte fort.

Tristan entkleidete sich, sah nach der Uhr, die Eins zeigte und öffnete die Vorhänge seines Bettes.

– Das nächste Frühstück wird nicht sehr erbaulich sein.

In diesem Augenblicke schwieg das Instrument.

– Ah, jetzt wird sie wieder husten. Und in der That, trotzdem das Fenster geschlossen war, vernahm Tristan Euphrasia’s Husten, der, wie das Piano, den Ton geändert hatte.

– Huste nur! dachte Tristan, ich gehe zu Bette.

Der junge Mann schlüpfte unter die Decke und sprach:

– Jetzt bin ich mit dem, was ich gethan, zufrieden. Mit dem Lichte verlöschen auch meine Leidenschaften. Gute Nacht!

Eine Viertelstunde mochte verflossen sein, während welcher Tristan, ermüdet von dem Kampfe seiner Empfindungen, sich zum Schlafen vorbereitete und mit halbgeschlossenen Augen in einem Bette lag, als plötzlich ein ungeheurer Lärm durch das Haus schallte. Als ob man einen Flintenschuß in dem Zimmer abgefeuert hätte, sprang der Hauslehrer in einem Bette empor.

Die Ursache dieses Schreckens war Madame Van-Dick, welche den »letzten Gedanken« von Weber wieder begann; sie schien ihn aber nicht mehr mit den Fingern zu spielen, sondern, nach der Kraft zu urtheilen, mit den Fäusten.

– Nicht übel, sprach Tristan, indem er sich aufrichtete, jetzt weiß ich kein Mittel mehr, mich zu halten. Madame bringt das ganze Stadtviertel in Bewegung.

Tristan verließ das Bett und suchte seine Kleider, um zu Euphrasia hinabzugehen, diesmal aber mit dem festen Entschlusse, sie zum Schweigen zu bringen und ihr fest zu widerstehen. In diesem Augenblicke hörte er im Erdgeschosse heftig ein Fenster öffnen und die Stimme des Herrn Van-Dick rief seiner Frau zu:

– Was zum Teufel beginnst Du denn da oben, meine theure Freundin? Man kann ja kein Auge schließen! Eduard ist krank, und wenn das fortgeht, laufen die Menschen in der Straße zusammen. Warte bis morgen. Schon zweimal war ich eingeschlafen, Du hast mich aber wieder aufgeweckt. Gott möge es dem Herrn Weber verzeihen, daß er einen »letzten Gedanken« componiert hat! Ich bin überzeugt, daß der arme Tristan nicht schlafen kann. Nicht wahr, mein bester Herr Tristan?

Tristan hütete sich wohl, zu antworten.

– Ah, er schläft, sprach Herr Van-Dick, indem er das Fenster schloß. Er wird wohl sehr müde sein!

Wie durch einen Zauber verstummte die Musik.

Tristan war froh, daß ihm dieser Umstand zu Hilfe gekommen. Er legte sich wieder zu Bette und dachte noch einige Augenblicke über die Begebenheiten des Abends nach und über das, was er für den folgenden Morgen voraussah.

Gleich darauf hörte er Madame Van-Dick so leise als möglich das Fenster schließen.

Als es zwei Uhr schlug, herrschte eine so tiefe Ruhe in dem Hause, daß man den Flug einer Mücke hätte hören können.

12
Madame Van-Dick ist traurig

Als Tristan erwachte, war es bereits heller Tag. Es schlug sechs Uhr.

Das Bewußtsein, eine gute Handlung vollbracht zu haben, hatte unterm Helden, wie man sieht, einen ruhigen Schlaf verliehen. Er war ob seiner That so glücklich und so stolz, daß ihm das Begegnen der Madame Van-Dick neben der Zufriedenheit, die er empfand, nur eine Kleinigkeit zu sein schien.

Fröhlich verließ er daher sein Bett. Als er die Vorhänge eines Fensters öffnete, drang ihm ein Lichtmeer entgegen, daß er die Augen schließen mußte. Er öffnete nun auch das Fenster und die frische Morgenluft that seiner Stirn so wohl, wie die Erinnerung an den errungenen Sieg seinem Herzen.

Neugierig, zu wissen, was sich ereignen würde, kleidete er sich rasch an und stieg die Treppen hinab. Im Erdgeschosse begegnete ihm Lotte, welche er um das Befinden des Herrn Eduard befragte.

Der Zögling befand sich besser.

Tristan ging nun in den Garten, wo er Herrn Van-Dick antraf. Der Leinwandhändler begoß die Blumen. Als er seinen neuen Freund kommen sah, rief er ihm entgegen: »Guten Morgen, mein bester Herr Tristan!« ohne sich in seiner Beschäftigung zu unterbrechen.

– Guten Morgen, mein bester Herr Van-Dick! antwortete Tristan und dachte dabei: »Wie ich mit der Frau stehe, weiß ich nicht, der Mann scheint mir aber immer noch gewogen zu sein.«

– Haben Sie gut geschlafen, Herr Van-Dick? fügte der Hauslehrer hinzu, ohne ein Lächeln unterdrücken zu können, dessen Grund der Leser kennt.

– Von zwei Uhr an sehr gut; bis dahin aber —

– Sind Sie krank gewesen?

– O nein. Ich bin aber spät nach Hause gekommen, und dann hat sich meine liebe Gattin mit einer solchen Kraft und Beharrlichkeit an Webers letztem Gedanken amüsiert, daß der große Componist sich gefreut hätte, wenn er es gehört.

– Wahrhaftig?

– Es war nicht zum Aushalten. Haben Sie denn nichts gehört?

– Nichts.

– Sie wollen aus Artigkeit nichts gehört haben.

– Nein. Und wenn Madame Van-Dick noch so stark gespielt hätte, ich würde dennoch nichts gehört haben.

– Waren Sie nicht zu Hause? fragte der Kaufmann mit einem vertraulichen Lächeln.

– Ich war zu Hause, aber ich lag in einem tiefen Schlafe.

– Sie sind sehr glücklich.

– Wie befindet sich Madame Van-Dick diesen Morgen

– Ich habe sie noch nicht gesehen. Wahrscheinlich wird sie etwas angestrengt sein.

Nachdem Herr Van-Dick und Tristan noch einen Spaziergang durch den Garten gemacht, meldete ein Diener, daß das Frühstück serviert sei. Die beiden Männer gingen hierauf in den Speisesaal, wo die Madame Van-Dick antrafen. Die Dame hatte die Fenstervorhänge so dicht verschlossen, daß man in dem Zimmer bei dem ersten Eintritte aus dem hellen Tage kaum die Gegenstände zu unterscheiden vermochte.

– Was Teufel, sprach Herr Van-Dick, was soll denn das bedeuten?

– Es geschah der Hitze wegen, mein Freund, und dann auch übt das Licht einen nachtheiligen Einfluß auf meine Augen aus.

– Aber warum wendest Du dem Lichte den Rücken zu? Dieser Saal kommt mir beinahe wie ein Grab vor. Mit diesen Worten schob Herr Van-Dick eigenhändig die Vorhänge eines der Fenster zurück.

– So, sprach er, wird dem Geschmacke aller genügt sein; ein geschlossener Vorhang für Dich, ein offener für uns, denn ich denke, Herr Tristan wird das Licht eben so lieben, als ich.

Aber Tristan, der bemerkte, daß Madame Van-Dick rothgeweinte Augen hatte und selbst jetzt noch ihre Thränen zurückzuhalten suchte, verstand, warum sie nicht in den Garten gekommen war, er versuchte demnach, sich mit der Herrin des Hauses auf einen guten Fuß zu setzen und antwortete:

– Erlauben Sie mir, mein bester Herr, das vorzuziehen, was Madame Van-Dick wünscht. Euphrasia antwortete weder durch ein Wort, noch durch ein Zeichen.

– Haben Sie die Nacht gut verbracht, Madame? fragte Tristan sich ihr nähernd und bemerkte zu spät, daß diese Frage, die ihm die Gegenwart des Herrn Van-Dick abnöthigte, das Ansehen eines schlechten Scherzes hatte.

– Danke, mein Herr, sehr gut, antwortete Euphrasia trocken.

– Ah, jetzt sehe ich, warum Du die Fenstervorhänge geschlossen hat, Kokette, sprach Herr Van-Dick spöttisch lächelnd, indem er seiner Frau gegenüber Platz nahm, es geschah, weil Du ganz roth bist.

Madame Van-Dick wurde noch röther, und Tristan, der verstohlen einen Blick auf sie warf, sah eine Thräne des Zornes in ihren Augen blitzen.

»Diese Thräne werde ich theuer bezahlen müssen, dachte Tristan.

– Man könnte sagen, Du habest geweint, fuhr der Kaufmann mit jener Beharrlichkeit der Ehemänner fort, welche wissen, daß sie ihre Frau ärgern.

Madame Van-Dick antwortete nicht. Tristan sah, daß die Thräne, welche sich hervordrängte, dem Fallen nahe war. Die arme Frau dauerte ihn.

– Madame ist krank, sprach er.

– Diese Nacht war sie es nicht, meinte Herr Van-Dick; sage mir nur, theure Freundin, welche Wuth, das Piano zu mißhandeln, Dich erfaßt hatte?

Die Thräne rollte jetzt über ihre Wange und fiel in eine der Falten ihres seidenen Kleides. Herr Van-Dick, der mit seinem Braten beschäftigt war, hatte nichts bemerkt. Tristan sah es, sagte aber begreiflicherweise nichts.

– Der letzte Gedanke von Weber scheint Dir zu gefallen? fuhr der Holländer fort, indem er sein Glas mit Wein füllte.

Euphrasia warf ihre Serviette auf den Tisch, fand auf, warf den Stuhl zu Boden und verließ mit den Worten: »Sie sind ein Narr!« den Saal.

– Madame ist nicht gut gelaunt, sprach Herr Van-Dick in dem gleichgültigsten Tone von der Welt und trank ein Glas Wasser.

– Sie haben sie ein wenig gequält.

– Ich?

– Ja.

– Ich weiß, was ihr fehlt.

– Wahrhaftig?

– Ja.

– Und darf man, ohne indiscret zu erscheinen, um den Grund ihres Kummers fragen, denn ich wäre so ungeschickt, ihn zu bereuen, indem ich versuchte, sie zu trösten.

– Es fehlt ein Couvert an diesem Tische.

– Ah, das ist recht.

– Verstehen Sie?

– Vollkommen; ihr Sohn ist krank.

Tristan stellte sich, als ob er die doppelsinnige Betonung, mit welcher Herr Van-Dick dies »Verstehen Sie?« gesprochen hatte, nicht verstände.

– Ich dachte nicht daran, fuhr Tristan unbefangen fort, Madame Van-Dick liebt ihren Sohn mit mütterlicher Zärtlichkeit.

Herr Van-Dick hielt Tristan’s Antwort für eine aufrichtige und zog es vor, ihn in einem Irrthume zu lassen.

– Sie verstehen also jetzt, nicht wahr? fuhr er fort.

– Vollkommen; man hat mir aber diesen Morgen auf mein Befragen gesagt, daß sich Eduard viel besser befindet. Der Kummer Madame Van-Dick’s, eine so gute Mutter sie immerhin ist, wäre in den verflossenen Tagen viel natürlicher gewesen; sie grämt sich in diesem Augengenblicke ohne Grund.

– Um so mehr, fügte Herr Van-Dick hinzu, als sie diese Nacht den armen Knaben durch ihre musikalische Wuth in seinem Schlafe störte.

»Ich muß ihn auf das zurückzuführen suchen, dachte Tristan, was ihm vorhin auf den Lippen schwebte.«

– Auch glaube ich, sprach er laut, daß dies der Grund von Madame Van-Dick’s Traurigkeit nicht ist.

– Vielleicht.

– Vermuthen Sie keinen andern Grund?

– Nein. Je mehr Zeit Herr Van-Dick zu überlegen hatte, je fester schien bei ihm der Entschluß zu werden, Tristan bei seiner ersten Voraussetzung zu lassen.

– Meinetwegen mag sie diesen oder jenen Grund haben, mir ist alles gleich. Wenn sich die Männer stets um die schlechten Launen ihrer Frauen kümmern wollten hätten sie nichts weiter zu thun, für andere Sachen würde ihnen keine Zeit bleiben. Die betrübten Frauen sind wie die Kinder, welche fallen: hebt man sie auf, weinen sie, und läßt man sie allein aufstehen, sagen sie kein Wort.

Herr Van-Dick fand vom Tische auf

– Indeß, sprach Tristan und folgte seinem Beispiele, man kann Madame Van-Dick doch nicht so lassen.

– Mein bester Tristan, antwortete der Negociant, indem er dem Hauslehrer auf die Schulter klopfte, seien Sie so liebenswürdig, ihr Gesellschaft zu leisten, trösten Sie fiel und sagen Sie ihr, daß ich dieses Geschäft selbst abgemacht haben würde, wenn ich nicht ausgehen müßte. Ich verlasse mich auf Sie.

Herr Van-Dick ergriff seinen Hut.

– Wann kommen Sie wieder zurück, mein bester Herr Van-Dick?

– Zum Diner. Adieu!

– Adieu!

– Sorgen Sie dafür, daß sie bei Tische vergnügt ist. Es giebt nichts langweiligeres in der Welt, als ein trübseliges Gesicht ansehen zu müssen, wenn man bei Tische sitzt.

– Aber ich weiß nicht, was ich ihr zu diesem Zwecke sagen soll?

– Sagen Sie ihr, daß die Leute, welche verreist sind, wiederkommen werden.

– Und daß Sie um sechs Uhr wiederkommen werden, fügte Tristan mit einem Lächeln hinzu.

– Diese Nachricht wird ihr Vergnügen machen. Sie verstehen mich vortrefflich!

Lächelnd verließ der Holländer den Saal. Doch kaum hatte er die Thür geschlossen, als sie sich wieder öffnete und Herr Van-Dick zurückkehrte.

– Sollte sie noch traurig sein, begann der Wiederkehrende, so halte ich mich an Sie. In Wilhelms Abwesenheit liegen Ihnen solche Sachen zur Besorgung ob. Nachdem er sich eine Cigarre angezündet, verließ er endlich den Saal, um nicht noch einmal zurückzukehren.

– Ein sonderbarer Mensch! dachte Tristan. Ob er mich auch dann wohl beauftragt hätte, seine Frau zu trösten, wenn er den wahren Grund ihrer Traurigkeit wüßte.

In diesem Augenblicke ertönte eine Glocke. Gleich darauf trat Lotte in den Saal.

– Mein Herr, Madame wünscht Sie zu sprechen.

– Wo ist Madame?

– In ihrem Zimmer.

– Ich werde kommen.

Wie ein Mensch, der eben so gern an jeden beliebigen andern Ort ginge als dorthin, wohin er eben geht, stieg Tristan langsam die Treppe hinauf.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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