Читать книгу: «Vom Mars zur Erde», страница 7

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„Man macht nicht umsonst, ungestraft eine solche Exkursion,“ antwortete Piller trocken.

„Nun, dieses Resultat will ich mir gern gefallen lassen,“ entgegnete Stiller.

„Und doch, es ist wahr: ungestraft waren wir nicht so lange auf dem Lichtentsprossenen. Erinnerst du dich noch jenes letzten, herrlichen Abends in dem Palaste der Weisen in Angola?“

„Ja, noch sehr gut,“ erwiderte Stiller leise.

„Wohl! Fremdlinge werden wir da sein, wo wir geboren wurden, wo wir früher gelebt, gerungen, für unsere heiligste Überzeugung gestritten haben. Diese mir unvergeßlich gebliebenen Worte sprachst du damals. O Stiller, wie sehr hast du recht gehabt!“ Es klang wie ein schlecht unterdrückter Schrei des Schmerzes, diese Entgegnung Pillers.

„Mein lieber Freund, steht es so mit dir?“ Stiller war, überrascht durch diese an Piller ganz ungewöhnliche Gefühlsäußerung, aufgestanden und auf ihn zugetreten, ihm die Rechte auf die Schulter legend.

„Mein treuer Gefährte,“ sprach er sanft, „du leidest ja auch an Heimweh nach dem Mars wie wir. Zum ersten Male offenbarst du es uns. Und dennoch! Wir müssen es zurückdrängen um des Großen willen, das wir hier unten verfolgen.“

„In dieses Granitgebirge menschlicher Vorurteile und Blindheit, Schwäche und Feigheit einen Tunnel der Aufklärung zu bohren, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, sintemalen eine Maschine, die das fertig brächte, niemals erfunden werden dürfte,“ antwortete Piller gereizt.

„Denn die Dummheit währet ewiglich,“ fügte Brummhuber hinzu.

„Warum auf einmal so kleinmütig, meine Freunde?“ fragte Stiller. „Dir, Brummhuber, will ich zugeben, daß die Dummheit niemals völlig ausgerottet werden kann, weil sie nichts anderes bedeutet als geistige Minderwertigkeit. Minderwertige Menschen aber wird es immer geben.“

„Sehr wahr!“ warf Piller ein.

„Nun wohl! Diese Menschen vor verhängnisvoller Tätigkeit zu bewahren, sie von verantwortungsvollen Posten auszuschließen, ist kein Ding der Unmöglichkeit. Schon jetzt wird diese Scheidung, eine Art gesunder Auslese, bis zu einem gewissen Grade da und dort auch durchgeführt. Je mehr die naturwissenschaftliche Bildung Gemeingut aller wird, um so weniger wird sich der Dumme breitmachen können.“

„Keine Frage. Wir sind aber leider noch sehr weit von deinem Ideale entfernt.“

„Gewiß, lieber Piller. Um aber auf deine Worte von vorhin zurückzukommen, so benötigen wir gar nicht dieses Tunnels, den du sinnbildlich anführtest. So schnell geht es mit dem Vorwärtsschreiten der Menschen nicht, wie der Bohrer den Granit zu durchlöchern vermag. Ist auch gut so. Das Beste benötigt der längsten Reisezeit. Und verwittert nicht schließlich auch der härteste Granit nur allein durch äußere Einflüsse? Seht, meine lieben Freunde, so ist es auch mit unserm Wirken. Wir müssen froh sein, wenn wir da und dort aus dem die Menschheit so fürchterlich tyrannisierenden System alter, unnatürlicher Einrichtungen, aus dem scheinbar so unzerstörbar fest verankerten Bau der unser Dasein beherrschenden Lügen einzelne Steine herausbröckeln, dem Prozesse der weiteren Verwitterung die Wege öffnen. Unsere kleine Gemeinde von heute wird sich morgen mehren. Was ist ein Jahrhundert Kulturarbeit? Ein Tropfen im Ozean des Lebens! Diese Tatsache muß uns bescheiden machen, darf uns aber nicht entmutigen. Einst muß eine Zeit kommen, – dies ist meine feste Überzeugung! – die in ähnlicher Weise das Menschheitsideal verwirklicht, wie wir es oben auf dem Mars kennen gelernt haben. Sie vorbereiten zu helfen, jeder an seinem Platze und zu seiner Zeit, ist die Aufgabe dessen, der auf den Ehrentitel eines wirklichen Menschen Anspruch erhebt.“

Stiller schwieg. Seine kleine Rede hatte ihre Wirkung auf die beiden Freunde nicht verfehlt. In Gedanken versunken, saßen sie da. Inzwischen war auch in dem Zimmer die Dämmerung der Nacht gewichen.

„Glänzt dort drüben am südlichen Himmel nicht Mars?“ fragte Brummhuber, der zufällig aus seinem tiefen Sinnen erwacht war und einen Blick durchs Fenster geworfen hatte.

„Wahrhaftig, er scheint es wirklich zu sein,“ rief Piller, der dem Beispiele Brummhubers gefolgt war.

„Ihr habt recht, liebe Freunde, es ist Mars, der nun wieder in die Nähe der Erdbahn gelangt ist. Ich lade euch ein, mit mir hinüber in mein Observatorium zu kommen und den Planeten durch das Teleskop näher zu betrachten.“

„Mit dem größten Vergnügen,“ erwiderten die Freunde wie aus einem Munde.

„So laßt uns gehen! Ich habe euch Interessantes zu zeigen, das ich schon seit einiger Zeit am Lichtentsprossenen beobachtete.“

Bald nachher befanden sich die Herren in dem Stillerschen Arbeitsraume. Das große Teleskop wurde eingestellt, und die Betrachtung des fernen Weltkörpers begann.

„Fällt dir nichts am Mars auf, Piller?“ fragte Stiller seinen Freund, nachdem dieser lange den Planeten durch das Fernrohr angesehen.

„Täuschen mich meine Augen nicht, so sehe ich neben den uns ja persönlich bekannten Kanälen feine, dunkle Linien.“

„Sehr richtig. Und vielleicht sonst noch etwas?“

„Halt, ja, noch große, weiße, flächenartige Punkte, zu denen strahlenförmig die dunkeln Linien hinführen. Was dies wohl alles zu bedeuten hat? Das existierte doch noch nicht, als wir oben waren.“

„Nein. Ich will es dir nachher zu erklären suchen. Mein Kompliment aber für dein scharfes Auge und dein gutes Unterscheidungsvermögen.“

Piller wurde jetzt von Brummhuber am Instrumente abgelöst.

„Wirklich es ist so, wie Piller sagte. Mir kommt es auch noch vor, als ob die Eismassen der polaren Zonen gegen früher ganz bedeutend zurückgegangen wären,“ äußerte Brummhuber nach sorgfältiger Prüfung.

„Auch du siehst vollkommen richtig, Brummhuber. Wir wollen jetzt ins warme Haus zurückkehren und nachher diese neuen, eigenartigen Erscheinungen auf dem Mars besprechen.“

In dem Speisezimmer nahmen die drei Freunde zunächst ein bescheidenes Abendessen ein. Dann zogen sie sich wieder in das Balkonzimmer zu gemütlicher Plauderei zurück.

„So, Freund Stiller, erkläre uns nun das, was uns am Mars aufgefallen ist,“ bat Piller, sich bequem in seinem Lehnstuhle ausstreckend.

„Auch ich bin außerordentlich gespannt darauf,“ bemerkte Brummhuber.

„Das, was ihr heute abend gesehen habt, entdeckte ich schon vor längerer Zeit. Ja, ich darf ohne Übertreibung sagen, daß ich die euch ausgefallenen Veränderungen gewissermaßen in ihrem Entwicklungsgange verfolgt habe.“

„Was du nicht sagst! Aber warum sprachst du uns niemals davon?“ warf Piller überrascht ein.

„Weil ich das Ende erst abwarten, mir vor allem aber zuerst selbst eine möglichst einwandfreie Erklärung dieser Veränderungen geben wollte.“

„Und hast du sie gefunden?“ fragte Brummhuber.

„Ich glaube, ja!“

„Wie interessant! Stiller, du bist und bleibst ein Kapitalmensch.“

„Danke für deine gute Meinung, Freund Piller. Die Reduktion, der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere war aber im vorliegenden Falle keine allzu große Schwierigkeit, zumal wir ja unsern schönsten Lebensabschnitt dort oben verlebt und die eigenartigen Verhältnisse des Planeten aus eigener Anschauung kennen gelernt haben.“

„Immer derselbe bescheidene Mann,“ brummte Piller. „Doch, bitte, fahre fort.“

„Jene feinen Linien, die ihr längs den alten Kanälen gesehen habt, sind neue Wasserstraßen, die flächenartigen Punkte erkläre ich mir als überdeckte Sammelbecken oder Stauwerke riesigster Konstruktion, alles ausgeführt, um einer drohenden Wassersnot zu begegnen. Daß eine solche auf dem Mars tatsächlich vorhanden sein muß, beweist mir die starke Abnahme der Eismassen an den beiden Polen. Eure Beobachtungen glaube ich somit mit wenigen Worten ziemlich richtig gedeutet zu haben.“

„Alle Wetter, du magst recht haben,“ erwiderte Piller. „Ich empfinde aufrichtiges Mitgefühl mit den Marsiten, die so schwer um die Grundbedingung ihrer Existenz kämpfen müssen. Aber eine Frage! Ändert sich die Lage nicht auch wieder einmal zum Guten da oben?“

„Diese Frage glaube ich bejahen zu dürfen nach dem, was ich auf dem Mars selbst gehört habe,“ antwortete Stiller.

„Eine wahre Beruhigung! Aber mit Bewunderung muß uns erfüllen, was wir geschaut haben. Das neue Kanalsystem konnte gewiß nur durch die Arbeit aller ausgeführt worden sein,“ äußerte sich Brummhuber.

„Ohne Zweifel. Dafür sind es eben die Marsiten. Nur ein solches Volk von dieser hohen Kultur kann Bauten dieser gewaltigen Art für das allgemeine Wohl ausführen.“

„So ist es, wie du sagst, Stiller,“ bestätigte Piller.

„Unser Fridolin wird da wohl auch mitgearbeitet haben,“ lachte Brummhuber. „Seine Paradiesesidylle hat dadurch einen bösen Stoß erhalten.“

„Wer weiß?“ entgegnete Stiller. „In der strengen Arbeit liegt der Segen. Sie allein berechtigt uns, als Gegenwert eine gewisse Summe an Freuden und Annehmlichkeiten vom Leben zu erwarten. Dies gilt auch für unsern Frommherz. Gerade dieser Riesenkampf ums Dasein dort oben, den ich in den stillen Stunden der Nacht von hier aus mit meinem Fernrohre verfolgen konnte, machte auf mich, nachdem ich über seine Ursache endlich klar geworden war, einen außerordentlich tiefen Eindruck. Ein Volk, dessen Solidaritätsgefühl eine derartige Probe auf seine Echtheit auszuhalten vermag, muß aus aller Not und Gefahr stets siegreich hervorgehen. Welch ein Vorbild für uns! Ob wir es wohl jemals erreichen werden?“

Piller mußte sich nach diesen Worten seines Freundes wieder kräftig schneuzen. „Pygmäen sind und bleiben wir dagegen,“ knurrte er.

„Hältst du dich vielleicht für einen?“ fragte Brummhuber spottend.

„Nimm dich in acht, Brummhuber! Fordere meinen Zorn nicht heraus!“

„Die Frage hatte eine gewisse Berechtigung,“ bemerkte Stiller. „Das Vorwärtsschreiten menschlichen Geistes kannst du nicht bestreiten. Nimm es dir selbst ab, Freund Piller. Jeder Fortschritt in der tieferen Erkenntnis der Wahrheit bedeutet zugleich den Fortschritt in der höheren Ausbildung unserer menschlichen Vernunft. Nur durch Vernunft und Wahrheit können wir des Menschen schlimmste Feinde, die Unwissenheit und den Aberglauben, bekämpfen. Nur dadurch steigen wir höher auf der Leiter der sittlichen Vervollkommnung.“

„Stiller, alter Freund, ich lasse dir ja gerne das letzte Wort, so laß mir für heute wenigstens den letzten Trunk!“

„Sollst ihn haben, du ewig Durstiger. Aber dann zu Bett. Der morgige Tag ruft uns wieder nach Tübingen, und es ist schon sehr spät geworden.“

„Gut, daß wir bei dir zu Hause sind,“ lachte Piller fröhlich, als der Wein vor ihm stand. „So läßt sich ein Schlummerschöpplein noch gemütlich schlürfen. Prosit!“

Elftes Kapitel.
Wieder auf der Erde

Ein Frühling mit all seiner Pracht hüllte in ein Meer von Blüten die Bäume und Sträucher auf den Wiesen und in den Gärten des gesegneten Neckartales. Mai war es geworden. Ein schöner, warmer Morgen folgte einer Nacht voll Milde und Wohlgeruch. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Die Rötung des östlichen Himmels verkündete aber ihr baldiges Nahen. Die Distelfinken begannen bereits ihre ungestümen Triller zu schmettern; die Amseln sangen da und dort auf der Spitze eines Baumes sitzend ihr melodisches Morgenlied; die Sperlinge trieben sich in gewohnter Weise lärmend und mit einander zankend in Scharen herum, als ein ungewohnt heftiges Rauschen in der Luft die Vogelwelt auf Cannstatts Wasen in ihrem lauten Tun und Treiben plötzlich innehalten und erschreckt die Flucht ergreifen ließ.

Mit großer Geschwindigkeit senkte sich von oben herab ein eigenartig gebautes Luftschiff, wie es in dieser Form und Größe hier noch niemals vorher gesehen worden war. Ohne auch nur die geringsten Schwankungen zu zeigen oder sich zu überstürzen, erfolgte der fallartige Abstieg des Flugschiffes mitten auf dem großen Platz des Cannstatter Wasens. Es mußte meisterhaft gesteuert werden; denn mit einem Ruck hielt das gewaltige Fahrzeug, auf dem Boden angekommen, still, ohne irgendwelche Befestigung durch Taue oder Anker. Die Gondel lag direkt auf dem Boden.

Von verschiedenen Seiten, so vom nahen Untertürkheim und von Cannstatt aus, war die verblüffend sichere Landung des eigentümlichen Luftschiffes bemerkt worden. Man sah auch ferner, daß der Gondel ein Mann in sonderbarer Kleidung entstieg. Kaum hatte der Angekommene die Gondel verlassen, als das Fahrzeug sich wieder hob und mit einer staunenerregenden Schnelligkeit im Luftmeere verschwand. Dies alles war das Werk von wenigen Augenblicken.

Der Mann, der hier gelandet worden, war stehen geblieben und schaute dem sich entfernenden Flugschiffe nach, solange es noch gesehen werden konnte. Dann erst wandte er sich um und betrachtete, langsam vorwärtsschreitend, die Gegend. Sie schien ihm bekannt zu sein, denn er lenkte seine Schritte gegen Cannstatt zu. Da fiel sein Blick auf einen mächtigen Obelisken, der sich auf der linken Seite seines Weges erhob und von einem hohen Eisengitter umgeben war.

Professor Fridolin Frommherz, denn das war der der Gondel entstiegene Fremdling, schritt, neugierig geworden durch das imposante Denkmal, auf den Gedenkstein zu. Überrascht und freudig berührt blieb er vor dem Obelisken stehen. Auf der ihm zugewandten Seite des Monumentes las er die eingemeißelten und vergoldeten Worte:

ZU EWIGEM RUHM UND ANDENKEN
AN DIE UNVERGLEICHLICH KÜHNE
IN IHREM ERFOLGE EINZIG DASTEHENDE
FAHRT SCHWÄBISCHER SÖHNE DURCH DEN WELTENRAUM
DAS DANKBARE VATERLAND

Auf der zweiten Seite war zu lesen:

VON DIESEM PLATZE HIER FUHREN
DIE WELTENSEGLER NACH DEM FERNEN
PLANETEN MARS AB 7. XII. 19 . . 
IHRE NAMEN LAUTEN:
S. STILLER, P. PILLER,
D. DUBELMEIER, H. HAEMMERLE,
B. BRUMMHUBER, T. THUDIUM,
FR. FROMMHERZ

Die dritte Seite trug die Mitteilung:

NACH NAHEZU DREIJÄHRIGER ABWESENHEIT
UND ZWEIJÄHRIGEM AUFENTHALT AUF DEM MARS
KEHRTEN SECHS DER KÜHNEN WELTENSEGLER
GLÜCKLICH WIEDER IN DIE HEIMAT ZURÜCK
OKTOBER A. D. 19 . . 

Und hier auf der vierten Seite, da wahrhaftig, da war ja von ihm selbst die Rede. Frommherz las:

ZUR ERDE NICHT MEHR ZURÜCKGEKEHRT,
FÜR IMMER AUF DEM MARS GEBLIEBEN
DER SIEBENTE TEILNEHMER DER WELTENFAHRT
FRIDOLIN FROMMHERZ

„Der erste Gruß der Heimat und wahrlich kein übler,“ sprach Herr Frommherz vor sich hin, als er den Obelisken sattsam von allen Seiten betrachtet hatte.

„Wie froh bin ich, gleich bei meinem Betreten des heimatlichen Bodens vernehmen zu dürfen, daß meine Gefährten glücklich wieder heimgekehrt sind. Ich fasse dies als ein gutes Vorzeichen auf.“

Ohne daß Frommherz es bemerkte, hatte sich inzwischen eine Anzahl Neugieriger um ihn versammelt, die den Mann mit den langen, wirren Haaren und dem großen ungepflegten Bart und seine auffallende und sonderbare Kleidung voll Staunen betrachteten. Woher der wohl gekommen sein mochte? Keiner wagte dem sichtbar Verwahrlosten näher zu treten und ihn direkt zu fragen. Ein unbestimmtes Gefühl respektvoller Scheu hielt die Leute zurück.

In ruhiger Würde und edler Haltung, die auf die sich mehrenden Neugierigen ihren Eindruck nicht verfehlte, wandte sich Frommherz von dem Denkmal weg und schritt weiter Cannstatt zu, hinter ihm der Menschenhaufen, der in dem Maße anschwoll, als die Stadt näher kam. Schutzmann Dietrich begann eben gegen den Wasen zu die erste Morgenrunde zu machen. Nach neuer Abwechslung in seinem Berufe lüstern und in jedem ihm nicht näher bekannten menschlichen Individuum wenigstens einen halben Gauner witternd, stürzte er sich, mit nur schwer unterdrücktem Freudenschrei, auf den ahnungslos daherschreitenden Frommherz.

„Halt, Mann!“ gebot er, den Fremdling von oben bis unten mit finstern Blicken musternd, eine Prüfung, die sehr zu Ungunsten des Wandersmannes auszufallen schien, trotz oder gerade wegen der auffallend schönen Gepäcktasche, die der Fremde bei sich trug, und die zu seinem saloppen Äußern durchaus nicht passen wollte. Des Schutzmanns Gesicht verdüsterte sich in drohendster Weise.

„Woher des Wegs?“ fragte er kurz und grob.

„Von da oben!“ Mit diesen Worten wies Frommherz gen Himmel.

Der Handbewegung des Gelehrten folgte unwillkürlich der Blick des Schutzmannes. „Machen Sie keinen Unsinn! Ich verbitte mir das!“ schrie er. „Also nochmals, woher kommen Sie?“

„Von jenseits des Erdenkreises,“ antwortete Frommherz lächelnd.

Diese Antwort ging über Schutzmann Dietrichs schwaches Begriffsvermögen.

„Der Mann hier ist mit einem Luftschiffe gekommen. Ich sah es von weitem,“ mischte sich jetzt einer der neugierigen und freiwilligen Begleiter des Gelehrten in das Verhör.

„So, so, ist das also ein solcher Reisender?“ erwiderte der Schutzmann etwas gedehnt. „Ja, jetzt fahren sie öfters über die Grenzen weg in unser Land hinein und stellen allerlei Unfug an.“ Wieder traf Frommherz ein finsterer Blick unverhohlenen Mißtrauens.

„Wer sind Sie?“ inquirierte der Schutzmann weiter.

„Ein engerer Landsmann, ein Schwabe wie Sie!“

„Das glaub’ ich nicht. Sie sehen gar nicht so aus. Wo sind Ihre Ausweispapiere?“

„Ich führe keine bei mir.“

„Das genügt! Also schriftenlos und herumvagabundierend. Sie kommen mit mir zur Polizei,“ entschied der Vertreter der heiligen Hermandad.

„Die Sache wird sich bald klären,“ erwiderte Frommherz und folgte seinem grimmigen Führer. Die Geschichte fing an, ihm Spaß zu machen, war sie doch so recht heimatlich.

Herr Polizeikommissarius Gustav Grobschmiedle, zu dessen Abteilung Schutzmann Dietrich gehörte, war nicht wenig überrascht, als die Tür seines Amtszimmers aufging und über dessen Schwelle ein höchst merkwürdig gekleideter Mann trat, hinter ihm der Polizist mit schlauem Lächeln.

„Ein richtiger Vagabund im Fastnachtsanzug,“ brummte Herr Grobschmiedle vor sich hin, als er den sonderbaren Fremden von der Seite mit stolzer, verächtlicher Amtsmiene gestreift hatte.

„Rapportiere gehorsamst, Herr Kommissär, daß ich diesen Mann hier, weil schriftenlos und in unpassendem Aufzug sich am frühesten Morgen auf dem Wasen herumtreibend, als verdächtig aufgegriffen habe.“

Während der Schutzmann seinen Bericht herausschmetterte, legte Frommherz in aller Seelenruhe, sein elegantes Bündel auf die Bank an der Wand. Der Kommissär und der Schutzmann hatten sein Tun scharf beobachtet. Ihre Blicke begegneten sich. „Diese kostbare Tasche muß der Kerl irgendwo gestohlen haben,“ drückte die Augensprache der beiden deutlich aus.

Der Eingelieferte wandte sich nun nach dem Beamten um. In seinen klaren, blauen Augen lag ein so hoher, zur Achtung zwingender Ausdruck, daß der Kommissär unwillkürlich etwas höflicher, als es sonst seine Gepflogenheit war, das Verhör begann.

„Ihr Name?“

„Fridolin Frommherz.“

„Geboren?“

„26. September 19 . .“

„Wo?“

„In Cannstatt.“

„Beruf?“

„Früher Professor an der Landesuniversität in Tübingen.“

„Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, nur streng der Wahrheit entsprechende Angaben zu machen.“

„Für mich ganz selbstverständlich!“

„Letzter Aufenthaltsort?“

„Lumata.“

„Lu—Lu—Lu—ma—mata?“

„Lumáta! Das a scharf gesprochen,“ korrigierte Frommherz.

„Kenn’ ich nicht. Wo liegt denn der Flecken?“

„Auf dem Mars.“

„Mars? Was ist denn das für ein Land?“

„Das ist ein Planet, ähnlich unserer Erde, nur einige Millionen Kilometer von ihr entfernt.“

„Herr, Sie wollen mich scheint’s nur zum besten haben?“ brauste Herr Grobschmiedle auf.

„Durchaus nicht, mein Lieber.“

„Ich bin nicht Ihr Lieber. Verstehen sie mich?“ brüllte der Kommissar.

„Gewiß! Ich habe ja noch glücklicherweise ein gutes Gehör.“

„Der Mann soll mit einem Luftschiffe gekommen sein,“ warf Schutzmann Dietrich ein.

„Sie hab’ ich nicht danach gefragt,“ schnaubte Herr Grobschmiedle seinen Untergebenen an.

„Es ist so, wie der Mann sagt,“ bestätigte Frommherz.

„Und Sie haben nur zu antworten, wenn ich Sie frage,“ schrie der Kommissär zornig. „Sie stehen hier vor einem Vertreter der Staatsgewalt und haben sich dementsprechend zu benehmen.“

Über das Gesicht Frommherz’ huschte ein spöttisches Lächeln.

„Warum lachen Sie?“

„Nur über die Art meines ersten Empfanges in der teuren Heimat nach mehr als vierzehnjähriger Abwesenheit.“

„Sie haben keine Ausweispapiere bei sich?“ fuhr der Beamte fort, ohne die Bemerkung Frommherz’ zu beachten.

„Nein, ich sagte dies bereits dem Schutzmann.“

„Das ist sehr verdächtig. Zu ihrem anstößigen Aufzug paßt überdies die Tasche nicht, die Sie da mitbrachten. Und . . . hm . . . und Ihre übrigen Angaben glaube ich Ihnen einfach nicht.“

„Das verüble ich Ihnen nicht im geringsten, zumal dieser Glaube Ihre Privatsache ist,“ erwiderte der Gelehrte.

„So geben Sie also zu, unwahre Angaben gemacht zu haben?“

Aber der Kommissär hatte kaum diese verletzenden Worte gesprochen, als sich Frommherz in voller Größe stolz aufrichtete.

„Mein Herr!“ redete er den Kommissär an. „Sie mögen meine Angaben in Zweifel ziehen, das ist, wie ich sagte, Ihre persönliche Angelegenheit. Ihre Pflicht aber ist es, diese Angaben zunächst ruhig und sachlich auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Das muß ich auf das entschiedenste verlangen. Es ist ein Akt selbstverständlicher Billigkeit. Bis jetzt bereitete mir die Art, wie ich hier nach meiner Rückkehr von einem fernen Weltkörper empfangen und behandelt wurde, einen gewissen Spaß. Es ist höchste Zeit, ihm nun ein Ende zu machen. Haben Sie die Güte, sofort nach Tübingen an Herrn Professor Stiller zu depeschieren. Dieser Herr wird nicht nur umgehend die Angaben über meine Person als völlig richtig bestätigen, sondern auch jede gewünschte Bürgschaft Ihnen gegenüber leisten, damit ich aus dieser geradezu unwürdigen Behandlung tunlichst schnell befreit werden kann.“

Staunend hatte der Kommissär dieser Rede gelauscht. So wie dieser Mann da hatte noch niemals vorher ein Eingelieferter mit ihm zu sprechen gewagt. Sein sonst so stark ausgeprägter Beamtendünkel hatte zum ersten Male eine kräftige Erschütterung erfahren. Verlegen kratzte sich Grobschmiedle hinter dem Ohre. Wenn der Kerl nun doch kein Spitzbube wäre? Der Kommissär erinnerte sich plötzlich, daß ihm schon mancher gewandte und wohlgekleidete Gauner aus den Fingern geschlüpft war, und daß er sich umgekehrt schon an manchem Unschuldigen vergangen hatte, nur weil er verschüchtert war und äußerlich einen weniger günstigen Eindruck gemacht hatte. Verschiedene Klagen waren hin und wieder gegen seinen Übereifer laut geworden und hatten ihm derbe Nasenstüber und Warnungen von seiten seiner Vorgesetzten eingetragen.

Der augenblickliche Fall war verzwickt und mahnte zur Vorsicht. So viel stand fest. Aber das Mißtrauen war nun einmal in ihm rege. Fortlassen konnte und durfte er doch nicht ohne weiteres einen Menschen, der nicht einmal das geringste glaubwürdige Ausweispapier mit sich führte.

„Ich bin zu meinem Vorgehen Ihnen gegenüber kraft des Gesetzes berechtigt,“ erklärte er endlich nach längerer Überlegung.

„Das mag sein. Dieses Gesetz hindert Sie aber gewiß nicht, meinem Wunsche zu entsprechen und sogleich Erkundigungen über mich einzuziehen,“ entgegnete Frommherz bestimmten Tones.

„Hm, hm, nein, das allerdings nicht. Wer zahlt aber die Depesche?“

„Natürlich ich!“ Frommherz schloß seine Tasche auf, entnahm ihr eine alte seidene Börse, in der er noch einige Dutzend deutscher Goldstücke aufbewahrt hatte.

„So setzen Sie selbst die Depesche auf,“ antwortete Grobschmiedle auffallend milder gestimmt, als er die gut gefüllte Börse des Fremden erblickte, und schob ihm ein Telegrammformular mit Feder und Tinte zu.

Frommherz warf mit kräftigen Zügen folgende Depesche auf das Papier: „Professor Dr. Stiller, Universität Tübingen. Heute früh vom Mars hier gelandet, wurde ich von Cannstatts Polizei in Verwahr genommen, weil keinen befriedigenden Ausweis über meine Person in Marsitenkostüm besitzend. Befreie mich sofort aus der komisch-kritischen Lage, in die ich geraten.

Herzlichen Freundes- und Brudergruß
Fridolin Frommherz.“

„Besorgen Sie die Depesche, Dietrich,“ befahl der Kommissär.

„Ich habe noch eine kleine Bitte!“

„Was soll’s sein?“ brummte der Beamte.

„Würden Sie mir nicht eine Tasse Tee oder Kaffee nebst einigen Brötchen gestatten?“

„Warum nicht,“ entgegnete der Kommissär, der inzwischen die Depesche gelesen und durch ihren Inhalt sich mehr und mehr aus der Rolle des Anklägers und Beschuldigers in die des unbewußt Schuldigen fallen fühlte.

Das Telegramm war aufgegeben. Frommherz hatte mit Behagen sein erstes frugales Frühstück auf Erden wieder im Amtszimmer des Polizeigewaltigen verzehrt und machte nun in seinem Tagebuche die letzten Notizen. So waren gegen zwei Stunden ruhig verflossen, als in sausender Geschwindigkeit ein Autoelektrik in Cannstatts Mauern einfuhr und vor dem Polizeikommissariat hielt. Dem Wagen entstiegen drei Herren. Die Türe des Amtszimmers wurde hastig aufgerissen, und herein stürzte als erster Piller.

„Ha, er ist’s, er ist’s tatsächlich! Ich kenn’ ihn an der Narbe auf seiner Stirn. Her an meine Brust, Fridolin, Freund und Bruder!“ schrie Piller voll freudiger Aufregung und umarmte den von seinem Sitze Aufgestandenen.

Auch Stiller und Brummhuber begrüßten den so unerwartet wiedergekehrten Freund auf das innigste. In Piller aber kochte es wie in einem Vulkane über den seinem Freunde angetanen Schimpf.

„So, also da herein in dieses übelriechende Wachtlokal haben sie dich geschleppt, nachdem du kaum den Boden des teuren Schwabenlandes betreten?“ wetterte er. „O heilige Einfalt, dreimal gebenedeite Dummheit!“

„Der Herr hatte keine Ausweispapiere,“ suchte sich der Kommissär zu entschuldigen. „Auch der ganze Aufzug war uns verdächtig, kurz . . .“ aber Piller ließ Herrn Grobschmiedle nicht ausreden.

„Mensch, ihre pyramidale Dummheit hat Sie heute zu einem weltberühmten Mann gemacht und Ihnen die Unsterblichkeit gesichert. Hier steht der Gelehrte, der nach vierzehnjährigem Aufenthalte auf dem Planeten Mars wieder zur Erde zurückkehrte, und den zuerst zu empfangen und zu begrüßen Sie die hohe Ehre hatten. Und wie würdig haben Sie sich dieser Ehre gezeigt!“ brüllte Piller heraus und wand sich förmlich vor Lachen. „So etwas an Tollheit kann wahrlich nur bei uns vorkommen! Ein Schwabenstreich, wie er im Buche steht!“

„Laß gut sein,“ bat Frommherz den Aufgeregten. „Der Mann tat ja nur seine Pflicht. Jetzt ist ja alles wieder gut. Das einzig Richtige ist, wir lachen über die Sache.“

„Fridolin hat recht. Freuen wir uns, daß er wieder bei uns ist, und verzeihen wir den Mißgriff des Beamten,“ riet Stiller.

Der Kommissär, der schon die Dienstentlassung vor Augen sah, atmete erleichtert auf, als er diese Worte hörte. Und als Frommherz auf ihn zutrat und ihm mit freundlichem Zuspruche die Hand zum Abschiede reichte, da schimmerte es feucht aus den Augen des Gefühlsregungen sonst wenig zugänglichen Polizeibeamten.

„Nun heraus aus der Bude und nach dem Kursaal!“ drängte Piller.

„Ich habe das dringende Bedürfnis nach einem Bade,“ erklärte Frommherz.

„Sollst es haben! Währenddessen bestellen wir ein ordentliches Essen und besorgen dir hier einen modern irdischen Anzug; denn im Marsitenkostüm, an dem die Spuren deiner Reise kleben, kannst du nicht unbelästigt unter Erdenmenschen wandeln,“ bemerkte Piller.

„Habe es bereits erfahren,“ entgegnete Frommherz lächelnd.

Dann stiegen die Herren in das Auto, und hinaus ging es an Cannstatts schönsten Ort.

Mit Blitzesschnelle hatte sich inzwischen von der Vorstadt Cannstatt aus in ganz Stuttgart das Gerücht verbreitet, der siebente und letzte der Gelehrten, der einst auf dem Mars zurückgeblieben, sei heute in aller Frühe von dort wieder zurückgekehrt und auf dem Wasen aus einem Fahrzeuge gestiegen, wie es in dieser Form und Größe bisher hier noch nicht erblickt worden sei. Nach der Landung habe sich das Luftschiff schleunigst wieder entfernt. Anfänglich wollte man die Nachricht nicht glauben. Aber als es hieß, der Zurückgekehrte sei von der Polizei einige Stunden hindurch zurückgehalten worden, wurden von vielen Seiten Anfragen an das Kommissariat gerichtet, das das Gerücht als vollkommen wahr bestätigte. Auch das Erscheinen der drei berühmten Weltensegler und allgemein gekannten Tübinger Professoren auf dem Polizeiamte in Cannstatt hatte begreifliches Aufsehen erregt, das um so größer wurde, als kurz darauf mit den drei gelehrten Herren zusammen eine vierte Persönlichkeit im Kostüm eines alten Griechen mit wirrem Kopf- und Barthaar das Kommissariat verließ und gegen den Kursaal zu abfuhr. Nun war es vollkommen klar, daß diese vierte Persönlichkeit niemand anders als Professor Frommherz sein könne.

Als die vier Freunde sich soeben am einladend gedeckten Tische im Kursaal niedergelassen und ihrer Freude über die endliche Wiedervereinigung von neuem Ausdruck verliehen hatten, erschien der Oberbürgermeister von Stuttgart Dr. Graus mit dem Bürgerausschuß-Obmann Dr. Herlanger, um Professor Frommherz wenigstens von sich aus, wie er betonte, zu begrüßen und zugleich sein Bedauern über den Übereifer der Polizei auszusprechen.

„Hätten wir auch nur die leiseste Ahnung von Ihrer Rückkehr gehabt, wir würden Sie in gleich ehrender offizieller Weise bei uns willkommen geheißen haben wie seiner Zeit Ihre Freunde,“ sprach der Stadtgewaltige.

„Daran zweifle ich nicht,“ entgegnete Frommherz, „aber es entspricht mehr meinem innern Empfinden, einfach und still, ohne öffentliche Feier und Begrüßung zur Heimat zurückgekommen zu sein. Im übrigen wäre es mir schlechterdings auch nicht möglich gewesen, Ihnen vorher meine Ankunft anzuzeigen.“

„Er hätte eben außerhalb Deutschlands landen müssen wie wir, dann wäre es gegangen,“ schmunzelte Piller vergnügt. „Nehmen Sie an unserm Tische Platz, Herr Oberbürgermeister, und feiern Sie mit uns zusammen des Freundes unverhoffte Rückkehr.“

Doch der Oberbürgermeister lehnte dankend ab und empfahl sich.

„Herr Ober,“ rief Piller, „bitte, kommen Sie einmal hierher.“ Der Oberkellner gehorchte. „Lassen Sie niemand, wer es auch sei, in unser Zimmer herein. Wir wollen ungestört für uns sein.“

„Ich verstehe,“ erwiderte der Befrackte dienstbeflissen.

„Gut gemacht!“ lobte Brummhuber. „Wir könnten sonst kein Wort mehr ruhig miteinander sprechen.“

„Und nachher fahren wir zu mir in mein Heim auf den Bopser. Das soll nun auch einstweilen das deine sein, Fridolin. Von Tübingen lassen wir uns für die nächsten Tage Dispens erteilen,“ schlug Stiller vor. Die Freunde waren damit einverstanden.

„Den ersten Gruß der Heimat brachte mir gewissermaßen der Obelisk,“ erzählte Frommherz. „In seiner Nähe landete unser Luftschiff, und so erfuhr ich durch seine Inschrift, daß ihr alle einst glücklich und wohlbehalten wieder zurückgekommen seid, was mich außerordentlich gefreut hat. Was machen Hämmerle, Thudium und Dubelmeier?“

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01 марта 2019
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