Читать книгу: «Incubus Expeditus», страница 4

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Ihm fiel auch ein, dass sie darin einen goldenen Handspiegel hatte, dessen Rückseite mit bunten, fassettierten schillernden Steinen umrahmt und mit einem größeren durchsichtigen in der Mitte besetzt war. Wie Glas wirkte der, das bei hellem Licht in allen Regenbogenfarben glitzern würde, wenn welches vorhanden wäre.

Anscheinend hing sie an dem Ding. Er fand es eigentlich auch sehr hübsch, denn er mochte glitzernde Dinge und funkelnde, geschliffene Edelsteine durch die ganzen Märchenfilme. Vor allem der tschechischen Serie wegen, die mit dem Zauberring.

Kopfüber hing er über der Anrichte und durchwühlte die Tasche mit der linken Hand, während er sich mit den Füßen, Beinen und der rechten Hand an der Wand hielt.

Schließlich fand er den Spiegel und betrachtete ihn genauer. Im Dunkeln, fand er, glänzten die Steine in einem völlig anderen, besonderen Licht, so wie er es im normalen Fall niemals sah. Aber er lachte, als er dran dachte, dass es für ein Kind nicht gewöhnlich so war, dass es nachts beim Schlafen seinen Körper verließ, um anderswo sein Unwesen zu treiben wie ein Geist. Als ein Geist, verbesserte er seinen Gedanken.

Glitzer-Blitzer!, dachte er und besah sich im Spiegel. Er überlegte kurz, ob er „Bu hu huuu!“ rufen sollte, aber er entschied sich dagegen. Shynn wusste nicht, ob man ihn vielleicht hören könnte, denn das wollte er nicht.

Und wie bei dem Buch mit dem Mädchen, welches sich mithilfe eines ähnlichen Spiegels in einen Geist und wieder zurück verwandelte, wollte er nicht riskieren, dass es ihn ebenso erging. Nicht, dass er gerade hier – in einer fremden Wohnung – seine eigentliche Gestalt wieder annahm.

Er glaubte eigentlich nicht an Märchen, fand aber aufgrund seines jetzigen Erscheinungsbildes, dass Zweifel über Fantasie und Realität durchaus berechtigt waren.

Denn sein nächtliches Auftauchen in der Wohnung der Klassenlehrerin könnte er ihr nicht erklären und Meckerei, ein Anruf bei seinen Eltern und noch mehr Schimpfe, wären vorprogrammiert.

Wennschon, dann war er ja in dieser Form unterwegs, um anderen Ärger zu verursachen. Nicht, um selber welchen zu bekommen.

Mit ein wenig Bedauern und einem Schulterzucken, warf er schließlich den Spiegel doch zu Boden, wo die Glasscheibe mit einem lauten Klirren zerbrach.

Shynn ließ sich ebenfalls fallen, drehte sich in der Luft, um mit den Füßen – ähnlich einer Katze – den Boden zu berühren und trat noch einmal kräftig darauf, um dem bereits geborstenen Glas den Rest zu geben.

Er erschrak, weil er am Rascheln von Bettzeug, das Knarzen des Bettes selbst vom Aufstehen, durch Schritte und dem Klicken eines Lichtschalters mitbekam, dass die Lehrerin von dem Scheppern und Klirren wach geworden war, und machte sich schleunigst aus dem Staub.

Auf direktem Wege flog er in Richtung seiner elterlichen Wohnung und verschwand wieder in seinem Körper.

Ein echter Kotztag

Als Kai am nächsten Morgen aufwachte, hatte er wieder leichte Kopfschmerzen. Seine Mutter betrat das Zimmer so stürmisch so wie es ihre Art war, um ihn zu wecken.

So bekam sie auf die Schnelle nicht mit, dass er bereits wach war und sagte: „Aufstehen! Du musst zur Schule!“

Kai ningelte: „Ich hab Kopfweh und mir ist schlecht...“

Daraufhin wurde Frau Neumann ungehalten. „Papperlapapp, stell dich wegen der anderen nicht so an! Du willst doch nicht wegen solchen Kleinigkeiten fehlen. Los! Raus! Waschen, anziehen und das hopp!“

Nicht gerade begeistert, tat er wie geheißen: Er wackelte ins Bad, musste sich aber stellenweise an Wand oder Möbeln festhalten, damit er nicht umfiel.

Der Junge wusch sich diesmal mit kaltem Wasser, was zumindest seine Kopfschmerzen milderte. Ganz weg waren sie nicht.

Er nahm seinen Schulranzen nebst Brotbüchse und verließ ohne Abschied die Wohnung, denn er war wegen der Aktion von gestern und der von gerade eben ziemlich sauer auf seine Mutter.

Der Kopf zwickte noch etwas, als er zur Schule schlich. Aber die Luft dieses trockenen, aber schon kalten Morgens tat erstaunlicherweise gut.

Den Schultag brachte er mit Ach und Krach hinter sich, auch wenn ihm auffiel, dass die Lehrerin heute eine ziemliche Brummfresse zog und auch nicht, wie sonst im den kleinen Pausen, ihren Spiegel draußen hatte, um sich darin zu begaffen. Womöglich hatte sie ihn gar nicht dabei? Schien so.

Nicht, dass er doch kaputt ist? Wäre schade drum.

Die Klingel erlöste ihn endlich vom Unterricht; er ließ, wie alle anderen auch, seine Schulsachen im Ranzen verschwinden, ging zur Garderobe, um seine Jacke zu holen und um endlich das Gebäude zu verlassen. Zum Glück war jetzt Wochenende.

Draußen geschah das, was bis dahin noch mehr schlecht als recht verhindert werden konnte. Auf dem Weg zum Schultor übergab sich Kai mit einem lauten „Uäääärks!“, welches einem Erwachsenen Ehre gemacht hätte, der eine krasse Zechtour hinter sich hatte.

Alles, was er am Tag zu sich genommen hatte, verließ mit entsprechend lautem Geplatsche seinen Körper und er hatte das Gefühl, als würden seine inneren Organe gleich hinterherkommen. Und das ausgerechnet jetzt, als ein Teil seiner Klasse und ein paar aus den beiden Parallelklassen, ebenfalls den Heimweg antraten.

Natürlich war das ein gefundenes Fressen für die anderen Kinder. Sie fingen lauthals an zu lachen, weil sie so was in derartiger Größenordnung noch nie gesehen hatten.

Manche der Anwesenden schrien: „Iiiiih!“, „Wie eeekelig!“, „Igittigitt!“ und so weiter. René mit den schwarzen lockigen Haaren und der hellen Haut baute sich hinter ihm auf und maulte: „Was fällt dir ein, du altes Schwein!“, bevor er Kai zu Boden schubste.

Nun lag er da, neben seinem eigenen Erbrochenen, umringt von einigen der anderen. René, Katja, Mandy, Annette, Christoph, Manuel und weiß der Teufel wer noch, die ihn alle im Chor „Kotzjunge! Kotzjunge!“ riefen und anfingen, Jungen wie Mädchen, auf ihn einzutreten, während ihm nichts übrig blieb, als sich auf dem Boden zusammenzukauern, damit sie ihn nicht zu schwer verletzten.

Endlich ließen sie von ihm ab und machten sich davon. Kai rappelte sich auf, um sich zu untersuchen. Vorteil: Die Kopfschmerzen und der Brechreiz waren weg. Nachteil: Er war vollkommen zerschrammt, hatte stattdessen nun diffuse Schmerzen am ganzen restlichen Körper, die Hose hatte eine Dreiangel und die Haare waren total zerzaust.

Zum Glück war die Brille noch heil, denn das hätte erst recht Ärger gegeben.

Mit einer Stinkwut auf alles und jeden im Bauch, mit gesenktem Kopf und das Gesicht und die Hände zu Fäusten geballt, machte sich der Junge ebenfalls auf den Heimweg.

Im Gedanken, aber auch laut, gab er alle Flüche von sich, die er kannte, und er dachte sich sogar welche in einer anderen Sprache aus, die außer ihm kein anderer sprach und verstand.

Als er zu Hause ankam, immer noch zornig, durchquerte er den Flur, um ungesehen einfach den Rest dieses Kacktages in seinem Zimmer zu verbringen.

Was ihm nicht gelang, weil seine Mutter die Geräusche der Wohnungstür gehört und gemutmaßt hatte, durch die Uhrzeit, dass es nur ihr Filius sein konnte, der da nach Hause kam.

Sie ging ihm entgegen, blickte ihm fest in die Augen und schnappte: „Na, auch schon zu Hause?“, auf das ungewöhnlich späte Eintreffen anspielend. Als nicht sofort eine Antwort erfolgte, setzte sie schnippisch nach: „Sag wenigstens Hallo!“

Mit dem echt laut gebrüllten: „IST DOCH ALLES SCHEIßE!!!“, also der geballten Wut die sich entlud, als wäre sie ein Gewitter oder ein Orkan, der völligen Verzerrung seines Gesichtes, so dass es einer dämonischen Fratze glich, die sie sich einzubilden schien und der daraufhin von innen zugeschlagenen Zimmertür, hatte sie jedenfalls nicht gerechnet.

Perplex stand sie da, der Kiefer weit nach unten geklappt und mit ziemlichen kugelrunden großen Augen starrte sie auf die Stelle, auf der sich vor einem Sekundenbruchteil noch Kai befunden hatte. So besehen sah sie fast wie ein Fisch aus, der nach Luft schnappte.

Kai durfte sich gleich am Abend noch eine weitere Schimpfkanonade seiner Eltern anhören, die ihn ohne Abendbrot ins Bett schickten und ihm am Wochenende verboten, die Wohnung zu verlassen – was ihm ganz recht war, denn er hatte gerade gar keine Lust mehr auf andere Menschen. Auch nicht wirklich auf seine Eltern. Verständlich.

Als er endlich einschlief, träumte er wieder einmal von dem kleinen schwarzen Teufel. Dieser erschien, wie die Nacht zuvor, aus der Angst und Wut des Jungen geboren.

Rachedurst

Shynn hatte eine lange Liste abzufrühstücken: René, Katja, Annette, Mandy, Christoph, Manuel und die anderen, die ihn halb zu Klump getreten hatten, nur weil ihm furchtbar schlecht war.

Arschlöcher, alle miteinander!, dachte der kleine Dämon noch sehr wütend.

Die Nacht war kälter als die zuvor. Auch bewölkter mit Schneegraupel. Die Autos auf dem Parkplatz waren mit Raureif überzogen, genau wie das Gras und die Äste der Büsche und Bäume.

Wie zuvor machte sich der kleine schwarze Teufel auf den Weg, seine Peiniger zu bestrafen. Zuerst war Annette dran, die wohnte ja gleich zwei Eingänge weiter.

Eine gute Schülerin war sie, die ihre Hausaufgaben gewissenhaft erledigte und ansonsten eine saubere Heftführung hatte.

Shynn/Kai war auf das strohblonde, gleichgroße Mädchen neidisch. Er konnte zwar schon lange schreiben, aber seine Handschrift war eben etwas fahrig und krakelig, ab und an unleserlich und der Hefter war oft mit kleinen Zeichnungen und Kritzeleien an den Rändern verziert.

Er wusste natürlich sofort, was er zu tun hatte. Mit einem fiesen Grinsen schwebte er zu ihrem Schreibtisch und stöberte in ihren Schulheften herum.

Er ging davon aus, dass sie nicht mehr nachschaute, nachdem sie die Hausaufgaben erledigt hatte. Er nahm einen Tintenblitz und den Korrekturstift und suchte in dem nächstliegenden Heft die Schularbeiten für Mathematik, die ja Dienstag fertig sein sollten.

Da waren sie. Wie immer fein säuberlich gemacht. Plus und Minus mit Kettenaufgaben waren dran. Sie hatte alles richtig gerechnet. Bis jetzt.

Er berichtigte die Ergebnisse, indem er die richtigen Lösungen durch andere, falsche Zahlen ersetzte und achtete dabei darauf, ihre Handschrift so gut er konnte, nachzuahmen. Um den Verdacht zu minimieren, korrigierte er auch frühere Aufgaben, aber ohne die Ergebnisse zu ändern.

Den Schreibhefter nahm er sich als nächstes vor, wo er – statt die Aufgaben nachzubessern – einfach die Tintenpatrone aus dem Füller nahm, sie direkt auf der Seite mit der Hausaufgabe ausleerte und dort auf allen Blättern einen schönen Fleck hinterließ.

Alle Hefte verzierte er in schönster Handschrift mit Sprüchen. Wie „DDR – Deutsche Dackel-Rennbahn“ oder „Alle Pioniere1 stinken! Schlimmer als ein faules Ei! Hast du davon zwei, stinken sie für drei!“ Zu den Fächern passend, versah er sie an den Rändern mit Beleidigungen an die jeweiligen Lehrer. Schließlich hatte sie als Erstes auf ihn eingetreten und das auch noch schmerzhafter als einige der Jungs...

Bei René im Haus war es schwieriger. Seine Lieblinge waren die Hamster. Aber Shynn wollte ja nicht Tiere für sein Leid verantwortlich machen. Die konnten ja nichts für ihre Herrchen und Frauchen. Außerdem mochte er Tiere jeglicher Art.

Aus diesen Gründen wollte er ihnen nichts zuleide tun. Darum machte er nur die Käfige auf, sodass die Tierchen das Zimmer mal eben auf eigene Faust erkunden konnten.

Aber das reichte ihm nicht... Schließlich hatte der Mistkerl ja angefangen mit der ganzen Aktion, um ihm noch eins reinzuwürgen, nachdem er ja bereits sein Mittagessen wieder von sich gegeben hatte.

Ihm fiel nur eins ein: Tomatenmark. Schade drum, aber der Zweck heiligte für ihn eben die Mittel. Er ging in die Küche der Familie und kramte in den Vorratsschränken herum, darauf achtend, keine unnötigen Geräusche zu verursachen.

Nun begann er, das Zeug schön an den Tapeten zu verreiben, und zwar auf einer Höhe, die der wesentlich größere René auch erreichen konnte. Das Sofa beschmierte er ebenfalls.

Eine ziemliche Schweinerei hatte er da hinterlassen. Bäh! Zum Glück brauchte er sich als eigentlich materieloses Wesen nicht ums Händewaschen zu kümmern. Die Tube mit dem kläglichen Rest legte er René einfach in die Hand, die gerade aus der Bettdecke herausguckte.

Das war mal ein Schlamassel – ein Schlachtfeld, blutig, eines echten Dämonen würdig.

Er hatte noch viel vor in dieser Nacht...

Katja, Mandy, Christoph, Manuel und die anderen Beteiligten... Langsam gingen ihm die Ideen aus. Oje!

Die Nacht ist noch jung, irgendwas findet sich, kicherte er in sich hinein.

Dieses Gefühl, alles machen zu können und mal keine Konsequenzen spüren zu müssen, fand er zur Abwechslung seines normalen Alltags echt amüsant.

Selten hatte er so kichern müssen. Und er hatte ihnen mit dieser Gabe auch einiges voraus. Welches Kind außer ihm konnte denn des Nachts umhergeistern, fliegen und durch Wände gehen und wer weiß, was sonst noch?

Keins, soweit er wusste. Er fing an auf dem Weg zu Mandy, seinem nächsten Opfer, Loopings zu drehen und lachte schaurig dabei.

Zwei sind einer zu viel

Shynn gelangte in die Wohnung.

Aber er merkte an seiner Anspannung, dass hier schon jetzt etwas nicht stimmte. Mist, hier war schon jemand!

Die Aura hätte er längst bemerken müssen. Er war aber so im Übermut, dass ihm diese nicht wirklich auffiel.

Ein Schatten bewegte sich, schaute ihn mit ebenfalls glühenden Augen an und verschwand im Schlafzimmer der Eltern der sehr dünnen, großen, brünetten Schülerin mit den Sommersprossen.

Die Konkurrenz hatte wie er eine quasi menschliche Gestalt, war aber wesentlich dunkler und unsteter. Er konnte, im Gegensatz zum kleinen Teufelsjungen, seine Form nicht stabil halten.

Shynn glaubte, dass sich dieser nächtliche Bewohner schon lange bei der Familie heimisch fühlte und wahrscheinlich schon seit Jahren hier sein Wesen trieb. Das erklärte, warum das Mädchen so aggressiv war.

Der fremde Geist schwebte über den Köpfen der Eltern, sorgte bei ihnen für schlechte Träume und flüsterte ihnen eine Menge Hirngespinste in die Ohren.

Dem Vater trichterte er Versagensängste in der Arbeit und eine Unzufriedenheit mit seinem Leben ein. Der Mutter vermittelte er, dass ihr Mann mit ihrer Schwester, der besten Freundin und wer weiß mit wem, fremdging. Shynn sah dem Gespenst dabei fasziniert zu.

Der Alb spürte die Anwesenheit des kleinen Kerls, der sein Refugium störte, noch immer und knurrte in der Geistersprache: „Was willst du hier, Zwergnase? Du störst!“ Dies unterstrich er, indem er seine mehr als dunkle Aura noch stärker wabern ließ und diese verdichtete.

Shynn schaute ihn mit großen Augen an, wie es ein Kind in seinem Alter eben so machte. Und feixte nur. „Hey, super, da brauch ich mich hier nicht einmal anstrengen. Du sorgst ja schon ganz gut für meine Rache. Hihi! Lass dich nicht von mir stören. Mach weiter so! Und vergiss Mandy nebenan nicht!“

Er setzte das schiefe Grinsen eines Bengels auf, der gerade etwas ausgefressen hatte, und flog davon.

Der andere Dämon schaute dem kleinen Störenfried perplex hinterher. Er hatte nicht mit einem Weiteren aus seiner eigenen Zunft gerechnet und ebenso wenig mit dessen Reaktion.

Ihm war seltsam zumute. Er kam sich vor wie das Werkzeug des Kleinen. Der offensichtlich wirklich nur ein Kind war.

Weil er aber sich gerade von der negativen Energie dieser Familie ernährte, kratzte ihn das nicht weiter und er setzte sein Unterfangen fort.

Shynn hingegen war ebenfalls verblüfft. Er hatte bisher noch kein Wesen seiner Art gesehen, wenn er unterwegs war. Er hatte sie zwar gespürt, aber jetzt sah er seine Ahnungen bestätigt, dass es sie gab und es unter Umständen wirklich besser war, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Gerade hier in einer Welt, wo sie eigentlich nichts verloren hatten.

Er dachte an die Tierdokus, die er ab und an gesehen hatte, trotz des spärlichen Fernsehprogramms. Wie bei Wolfsrudeln, welche die Grenzen des Nachbarreviers respektieren mussten, nahm er sich vor, in Zukunft besser auf solche Auren zu achten und Wesen seiner Art zu meiden. Gerade weil er noch so winzig war und seine eigenen Kräfte doch begrenzt waren.

Er hatte immer noch nicht rausbekommen, was er noch alles konnte und es noch nicht geschafft, Materie zu tragen und sie durch Wände hindurch mitzunehmen.

Dies nahm er gleich in Angriff. Aber mit mehr Bedacht und weniger Übermut. Er flitzte ganz schnell kerzengerade nach oben, bis er die Krümmung des Planeten sah.

Allerdings musste er an der oberen Stratosphäre stoppen. Er kam nicht weiter, denn anscheinend war er auf irgendeine Weise immer noch an den Planeten gebunden.

Er ließ sich wieder nach unten fallen und fand somit heraus, dass ihn die Erdbeschleunigung nicht betraf.

Dabei schrie er so laut er konnte, was ein Flugzeug, welches in dieser Stunde seine Bahn kreuzte, kurz absacken ließ.

Der Pilot glaubte sicher, dass ein Luftloch dafür verantwortlich sei, stabilisierte die Maschine und flog weiter.

Ups! dachte der kleine Teufel. Auf der Höhe der Plattenbausiedlung bremste er seinen Fall so stark, dass es ihn verformte und er kurze Zeit wie ein Eierkuchen aussah.

Das war lustig, vor allem weil er keine Millisekunde später wieder in seine ursprüngliche Geistergestalt zurückploppte. Er hatte jedoch nicht mehr viel Zeit, diese spaßige Erfahrung zu wiederholen. Die Nacht war schon halb herum.

Shynn bringt euch Ärger

Sein nächstes Ziel war die brünette, etwas größere Katja. Die wohnte auch nicht weit weg. Bei ihr war die Sache etwas einfacher: ihr Vater war irgendein hohes Tier in einem Kombinat2. Und seine Brigade war die Patenbrigade3 der Klasse.

Dort angekommen nahm er Stifte des Mädchens zur Hand, nahm sich die Aktentasche ihres Herrn Papas vor und begann, darin alles durcheinanderzubringen. Einige sehr wichtig erscheinende Dokumente zerriss er einfach und warf sie in die Toilette.

Einiges von dem Rest bemalte er mit Mandys Blumen- und Häschen-Zeugs. Da sie eh ein Papakind war, reichte das schon, um hier etwas Unfrieden zu stiften.

Bei Christoph, mit dem dunklen Igelschnitt, der aber sehr bleiche Haut hatte, war es auch nicht anders. Der hatte beim letzten Urlaub in Ungarn über elterliche Beziehungen einen Computer bekommen, mit dem er oft angab und für den er schon viele verschiedene Spiele hatte. Kai/Shynn hatte er noch nie zu sich eingeladen, um mit ihm zu spielen.

Andere zu treten macht ja anscheinend so viel mehr Spaß. Die Lust wollte Shynn ihm verleiden.

Er nahm aus dieser Wohnung keine fremden Präsenzen wahr und sah bald das gute Stück: einen Commodore 64. Sogar mit Originalspielen. Kein Wunder, dass er dafür von den anderen Kindern hofiert wurde. Das wird nicht lange so bleiben, dachte sich Shynn.

Ein Computer war eine hochkomplexe Maschine, selbst zu dieser Zeit. Er versuchte mal etwas Neues: in das Gerät hineinzuschlüpfen und zu sehen, was er dort so alles anrichten konnte. Es gelang sogar.

So konnte er nur Schaden in der Elektronik anrichten – das wäre zu leicht, denn das ließe sich ja wieder reparieren.

Also versuchte er es von innen heraus einzuschalten. Er schaffte es auch, irgendwie in die gespeicherten Spiele einzudringen, und etwas an dem Programm zu wursteln.

Von außen betrachtet sähe es sicher witzig aus, eine Pixelvariante von Shynn dabei zu beobachten, wie er sich im Gerät verhielt, wie die Echse, der Werwolf und der Gorilla aus dem Häuser-Kaputt-Mach-Spiel „Rampage“. Aber das Ganze halt auf alle Spiele bezogen.

Einige wichtige Gegenstände und Spielfiguren von zwei Nimm-und-Gib-Spielen namens „Maniac Mansion“ und „Zak McCracken“ ließ er einfach verschwinden.

Bei den Spring-Spielen und anderen ähnlichen Spielen baute er Endlosschleifen ein, die dafür sorgten, dass Chris diese Spiele nie würde beenden können.

Die Autorennen veränderte er so, dass die Gegner immer schneller als er waren und jedes Fahrzeug, welches er auch immer auswählen würde, stattdessen herumkroch wie eine lahme Ente.

Nicht nur das: Er sorgte auch dafür, dass sich immer wieder zufällig die Steuerungsbefehle umkehrten oder widersprachen.

Das bedeutete: Frust pur. Würde ihn nicht wundern, wenn Chris, so jähzornig wie er war, das Gerät umschmiss.

Nur so aus Spaß änderte er die Texte vieler Spiele, sodass sie anstelle ihres eigentlichen Inhaltes, Christoph oder seine Freunde verspotteten und beleidigten.

Die Spiele wollte er zwar auch mit Löchern versehen, aber ohne die Teile konnte der Mitschüler ja nicht spielen. Stattdessen entsorgte der kleine Teufel die Spielanleitungen und die diversen Kodes.

Auch Dämonen haben Mitgefühl

Bei dem weißblonden Manuel war es anders: Als er die Wohnung betreten hatte, stellte er auch hier eine Anwesenheit fest, aber die war anders als bei Mandy.

Diese hatte er immerhin bemerkt, aber hier hielt sich die spürbare Kreatur gut verborgen. Zu gut. Weil sie ihn erst einmal nicht behelligte, störte er sich nicht daran, sondern schaute sich trotz seiner vorigen Bedenken erst einmal um.

Er fand bei dem Jungen auch kaum Angriffsflächen. Er hatte nur sehr wenig Spielzeug, einige kaputte Matchboxautos und eine Sammlung Mosaikhefte, bei der die meisten Exemplare allerdings schon ziemlich zerfleddert waren.

Auch die Möbel waren in der ganzen Wohnung ramponiert. Er konnte es sich nicht erklären. In der Küche standen überall Bier- und Kognakflaschen herum, billiges Zeug. Stammte sicher vom Vater.

Er kannte den Mann vom Sehen, er hatte immer Angst vor ihm gehabt: Er war groß, kräftig, verfügte über einen Bierbauch, hatte kurz geschnittenes Haar, fast so ähnlich wie das von Manuel, eine im Sommer vor allem sehr rote Hautfarbe. Und echt gruselige, kalte, stechende, eisblaue Augen.

Ein Geräusch drang aus dem Kinderzimmer. Manuel drehte sich im Schlaf, er schlief generell unruhig. Er murmelte etwas, das hörte sich an, wie: „Nein Papa! Lass das! Du tust mir weh! Aua!“, „Mama, warum hilfst du mir nicht? Er tut dir auch weh! Mama! Mamaaa!“

Ein Arm fiel aus dem Bett: blaue Flecken waren darauf zu sehen. Shynn dachte bei sich, dass der Junge sicher kein anderes Ventil hatte, als andere zu drangsalieren.

Das machte Manuel mit jedem, der ihm in die Quere kam. Hätte der Blödmann doch mal den Lehrern was gesagt. Trottel! Und er schrieb auch meist nur Vieren und Fünfen. Arme Sau.

Im Schlafzimmer hörte er etwas anderes, rhythmisches Knarzen und stoßweise Geräusche wie Atmen und Grunzen. Er war neugierig, was das bedeuten sollte – aber aufgrund der Erfahrung mit dem Nachtalb zuvor – auch vorsichtig.

Er ging an die Wand, um mit ihr und den Schatten, die an sie geworfen wurden, zu verschmelzen. Er bewegte sich auf diese Weise an den Wänden entlang in Richtung des Schlafzimmers.

Ein interessantes Gefühl, das hatte er auch noch nicht probiert. Die Tür war einen Spalt weit offen, so konnte er problemlos eindringen.

Was er sah, konnte er aufgrund seiner eigenen Kindheit und Naivität nicht begreifen. Im Bett lagen die Eltern Manuels: Die Mutter, eine schmale, sehr zierliche Blondine im Nachthemd lag auf dem Rücken und auf ihr, beziehungsweise zwischen ihren gespreizten und angewinkelten Beinen, lag der Vater.

Er stützte sich mit den Armen ab und zog mit einer Hand an ihrem dünnen, strohblonden Haar. Die gestreifte lange Schlafanzughose.

Shynn hatte also einen guten Ausblick auf den Teil des Körpers, wo die Sonne nie hinscheinen würde, und sich dieser im Takt des Atmens und des knarzenden Bettes auf und ab bewegte.

Zusätzlich waren auf den frei sichtbaren Flächen des Männerkörpers schlecht gestochene Tätowierungen zu sehen.

Der kleine Dämon dachte sich: Bilder auf der Haut. Onkel Holger sagte dazu, dass das welche haben, die im Gefängnis waren.

Die Frau wies ähnliche blaue Flecke wie Manuel auf, sogar einen am Auge, welcher aber schon am Abschwellen war.

Noch etwas sah er: Die Aura, die ihn so irritiert hatte, ging nicht von einem weiteren Wesen hier in der Wohnung aus, sondern von dem Mann! Kann man das? Einen Menschen... besetzen? Mit seinem kindlichen Gemüt, schreckte er davor zurück, es zu versuchen.

Der Vater des Mitschülers grunzte und hielt inne. Er schaute sich im Zimmer um, sodass Shynn jetzt die Augen des angsteinflößenden Mannes sah. Sie glühten aus der Dunkelheit des Zimmers durchgängig rot!

Die Frau unter ihm wimmerte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sie und lallte: „Hassu noch nich’ jenuch, du Schlambe?“, während er sich anschickte, seine Lust an ihr weiter zu befriedigen.

Der ungebetene Besucher, der das ganze Treiben lang genug beobachtet hatte, nutzte den Augenblick, um diesen Schweinestall schnellstens zu verlassen.

Genauso roch es hier für seine nun empfindlichere Nase durch die verströmten Hormone und Körperflüssigkeiten, die einen muffigen und beißenden Geruch verströmten, der an das Raubtier- oder Affenhaus im Zoo erinnerte.

Auch hier hatte er nichts zu tun. Manuel war schon gestraft genug. Nun musste er besonders aufpassen. Dieser andere Dämon war wesentlich mächtiger und sicher auch bösartiger als er, wenn er sich schon in einem Menschen einnisten konnte.

Zum Glück hatte ihn der Vater, oder besser gesagt das Böse in ihm, nicht entdeckt. Wer weiß, was der mit ihm gemacht hätte...

Shynn mutmaßte, dass es in der Gegend noch mächtigere Wesen gab als diese Erscheinung. Er wusste jedoch auf einer sehr tiefen Ebene, dass der ihm auf irgendeine Weise ähnelte. Aber wodurch? Und woher wusste er das?

Scheint doch häufiger vorzukommen, dass Geister hier wandeln, dachte er bei sich. Aber er hatte anderes im Kopf. Es warteten noch einige Hanseln auf ihn.

Dem Rest den Rest geben

Bei allen restlichen Kindern war die Luft so weit rein, als er sie einen nach dem anderen besuchte. Und auch bei ihnen stiftete er diversen Unfrieden, wie zuvor. Die Hausaufgaben verschwinden lassen, zum Beispiel.

Bei einem der Jungen versuchte er es auch erst mit Einflüsterungen, so wie der Nachtalb bei seiner Mitschülerin. Das überforderte ihn jedoch mental, also ließ er das fürs Erste bleiben. Stattdessen warf er Teile von dessen geliebter Minifigurensammlung weg und vergriff sich zusätzlich an dessen Schallplatten und Klamotten.

Gerade die Sachen aus den Westpaketen richtete er besonders übel zu.

Einem Mädchen schleppte er Spirtuosen aus dem Bestand ihrer Eltern ins Kinderzimmer. Einen Teil des Inhaltes kippte er über die erreichbaren Lebensmittel. Das wird lustig morgen.

War ja auch fast immer das Gleiche: Finde raus, was denjenigen am meisten trifft und schon hast du ihn.

Machten sie das nicht auch immer so mit ihm?

Beim letzten Bengel, der ihm so schön den Nachmittag versaut hatte, öffnete er die Kaninchenbuchten, die er schon von weitem riechen konnte und verbog das Maschendrahtgitter des Grundstückszaunes an einer versteckten Stelle zu einem großen Loch.

Er wollte den Tieren ja nichts tun, sondern überließ es ihnen bloß, ob sie stiften gehen oder hier bleiben wollten.

Lange würden sie es sicher nicht machen, dachte er, denn es war fast Winter und es waren Rassekaninchen, die zu Ausstellungszwecken gezüchtet wurden und somit zum Großteil für das Leben in der Wildnis nichts taugten. Außer zur Nahrung für den Fuchs oder andere Raubtiere.

Ihm kam es hier nur auf den Ärger an, den er dem hier wohnenden Kind dadurch verursachte, denn es war mitverantwortlich für die Fütterung der Mümmelmänner. Es gab sicher Zoff, wenn die Boxen offen gelassen wurden und die preisgekrönten Tiere ausbüxten.

Shynn machte sich auf dem Heimweg, denn es wurde langsam Zeit. Denn er durfte nicht aufwachen, wenn er nicht drinnen war. Er wusste nicht, was dann mit seinem Körper geschähe, wenn das passierte.

Das Kopfweh, unter denen er nach solchen Nächten litt, hing sicher damit zusammen, dass er den Leib überhaupt verlassen konnte.

Gedankenkreisel

So kam es auch schließlich, Kai hatte schlimme Kopfschmerzen, schlimmer als am Tag zuvor. Er würde zwar die Wohnung heute eh nicht verlassen. Dafür konnte er relativ unbehelligt im Zimmer bleiben und seinen Lieblingsbeschäftigungen nachgehen.

Währenddessen berieten sich die Eltern, die doch langsam in Sorge waren.

„Lisa, mit dem Jungen stimmt was nicht. Gestern angeblich Kopfschmerzen. Heute schon wieder? Was machen wir nur? Das macht mich wahnsinnig. Wie kommen wir an ihn ran?“

Die Mutter antwortete nur: „Jochen, Montag ist die Schule wegen Behördentag geschlossen. Dann werde ich mal mit ihm zum Kinderarzt gehen. Wie du sagst, der Sache mit den Kopfschmerzen sollten wir mal nachgehen. Bis jetzt hielt ich die für Übertreibungen. Und da sollten wir auch gleich einmal prüfen lassen, warum er in der Schule mit den anderen Kindern so Probleme hat. Lassen wir ihn in Ruhe.“

So berieten sie sich und einigten sich auf den Ablauf von nächster Woche. Kai hatte seine Lauscher auf Empfang und hörte sehr genau, was die beiden da redeten.

Er verzog das Gesicht, denn er hasste Ärzte und Krankenhäuser. Der Junge musste diese früher oft aufsuchen. Oder zur irgendeiner Untersuchung gehen, das ging ihm schon auf den Keks.

Andererseits nervte ihm das mit dem Kopf schon. Was war also schlimmer?

Nach dem Frühstück stand er wortlos auf und ging in sein Zimmer zurück, denn er war seinen Eltern immer noch böse, dass sie ihn gestern gleich so ausgemeckert hatten und ihn nicht einmal zu Wort kommen ließen.

Er dachte, als der Kopf nicht mehr wehtat, über seine Träume und die Zusammenhänge mit den Ereignissen, die darin geschahen, nach.

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9783752933703
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