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Shynn rannte, sprang und kletterte die Gegenden entlang, die teilweise frei schwebten, vielfältiger und weiträumiger waren, als es sich ein Mensch vorstellen konnte. Diese Welt vereinte mehr Lebensräume als die Erde je hatte.

Er kam in einen Wald voller fremdartiger, dunkler, blau-violetter Bäume, die höher waren und anders aussahen als die irdischen. Selbst die Geräusche und Gerüche dieses Gebietes waren fremdartig und mit nichts auf der Erde zu vergleichen.

Zwischen ihnen wuchsen ebenso ungewöhnliche Pflanzenderivate von ähnlichen Farben. Viele von denen hatten Blüten, die zu pulsieren schienen.

Pilzähnliches Geflecht kroch hier schneckenartig herum, türmte sich zu Fruchtkörpern auf, pulsierte erneut, löste sich auf und floss weiter.

Viele vogelähnliche Kreaturen von verschiedenen Größen, Formen und Farben flatterten zwischen ihnen hin und her.

Im Hintergrund sah er sogar ein Geschöpf, welches einem riesigen Wolf glich. Wenn dieser in seiner Nähe wäre, könnte er nicht einmal eins der Beine umfassen.

Er erschrak kurz, blickte zu dem weit entfernten Wesen, dessen silbriges Fell leuchtete und sich gleich einer Aura bewegte. Seine grünlich-gelben strahlenden Augen schienen Shynn ebenfalls zu fixieren.

Er spürte, dass er nichts vor dem Tier zu befürchten hatte, denn es strahlte eine Ruhe und Weisheit aus, wie sie nur die ältesten Geister haben konnten.

Die Wolfskreatur wandte sich von ihm ab und trottete davon.

Leuchtende Schmetterlinge umflatterten ihn, berührten und kitzelten ihn, fingen an, ihn zu kratzen. Kratzen?

Verdammter Mist! Diese Viecher haben mir gerade noch gefehlt. Eins ist schon schlimm genug, aber gleich ’ne ganze Meute... Dämliche Waldfeen!

Er verfolgte deren Flugbahnen und versuchte, eine davon im Flug zu erwischen.

Die Flatterwesen waren flink und wendig. Sie summten und pfiffen leise und schienen ihn zu verspotten. Er wurde sichtlich gereizt, was sich fast sofort auf seine Umgebung übertrug: Sie erschien ihm auf einmal feindseliger, dunkler. Die Lebensformen im Wald wirkten aggressiver.

Äste, Ranken, Wurzeln und Blüten fingen an, nach ihm zu schnappen.

Als er bemerkte, dass er es jetzt nicht nur mit Feen, sondern mit allen möglichen Kreaturen zu tun bekam, zählte er eins und eins zusammen und dachte sich, dass das veränderte Aussehen und Verhalten der Umgebung im Zusammenhang mit seinem gesteigerten Zorn stand.

Er atmete mehrmals tief ein und aus und zwang sich zur Ruhe. Er schloss die Augen, dachte an eine x-beliebige Farbe und zählte kurz bis drei.

Die Gegend und alles, was damit in Verbindung stand, entspannte sich ebenfalls.

Er hörte ein leises Flügelschlagen aus nächster Nähe, etwas rechts von ihm. Blitzschnell fuhren seine Hände in Richtung der Geräuschquelle und schnappten zu.

Er hatte es!

Mit der linken Hand fasste er sanft, aber bestimmt, die Flügel und besah sich das Wesen: Es war so lang etwa wie sein Finger, von androgyner, menschenähnlicher Gestalt und hatte einen Schopf von lila Haaren.

Die Farbe des Geschöpfes war bleicher als ein Mensch des Nordens, fast weiß. Die Augen waren dunkel und es hatte kleine, spitze Ohren und auf der Stirn ragten zwei zarte Fühler, die denen von Schnecken glichen. Die Flügel schillerten in allen möglichen Farben.

Aber sie fingen an, sich dunkel zu verfärben. Scheinbar war die kleine Fee gerade nicht sehr zufrieden mit ihrer Lage, denn sie wurde ärgerlich und fing mit ihrer piepsigen Stimme schrecklich an zu schimpfen, genau wie ihre Kameraden, die es aber vorzogen, auf einem gewissen Abstand zu bleiben.

Die Umgebung begann erneut, sich etwas zu verändern, aber nicht so stark, wie sie es bei Shynn tat. „Halt du bloß deinen Rand!“, sagte er barsch.

Dabei wurde er sich bewusst, dass er nicht in seiner bisher gewohnten menschlichen Sprache sprach, sondern in der Ursprache der Seelen, die unendlich viele Wörter zu haben schien. So wie er wusste, dass es sich bei den Wesen um Waldfeen handelte. Er grübelte darüber kurz: Woher weiß ich das? Ist vielleicht normal hier, oder Relikte von meinen Erinnerungen?

Er sprach sie, als beherrschte er sie schon immer. So, wie jede andere Kreatur hier, verstand er diese auch. „Bist selber schuld, wenn du und deine Mischpoke mir auf den Sack gehen wollen. Was sollte der Scheiß?“

Die Fee war nun etwas beleidigt. „Es sollte doch nur ein kleiner Spaß werden.“

„Toller Spaß! Seid ihr noch Kleinkinder? Hat euch noch keiner beigebracht, wann ein Spaß denn vorbei ist? Zu deiner Information: Das ist frühestens der Fall, wenn das Objekt eures Scherzes nicht lacht und spätestens dann, wenn es sauer wird! Also wunder dich nicht, wenn dir auch mal die Grenzen gezeigt werden, du Schmettergake!“

Das kleine Wesen wimmerte: „Entschuldigung, das haben wir im Übermut nicht mitbe-“

„Ja, das ist immer so, das kriegt keiner mit!“, schnitt er ihr das Wort ab. „Na ja, es wurde ja niemand verletzt. Nur dein Stolz hat etwas gelitten, das ist zu verschmerzen. Sei froh, dass ich dir deine Flügelchen nicht ausgerissen oder dich zerklatscht habe“, setzte er mit einem gespielt-gehässigen Unterton fort und beruhigte sich langsam wieder.

Mit einem ironischen, dreckigen Grinsen im Gesicht stellte er zufrieden fest, dass er nun seinerseits dem Geschöpfchen einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.

Er setzte es bedacht auf seine freie Hand und ließ die Flügel los. Auch die Sippschaft der Waldfee entspannte sich und kam wieder näher.

Shynn ließ sich auf einem moosbewachsenen Stein nieder. Die Wesen verteilten sich alle auf die nächstliegenden Äste und fingen an, sich zu unterhalten.

Die ehemals gefangene Fee machte sich zum Sprecher ihrer Gruppe, um zu verhindern, dass er sich auf zu viele piepsige und leise Sprecher konzentrieren musste.

„Wer bist du? Und wo willst du denn hin?“, fragte sie.

Er rieb sich die Nase und antwortete: „Genaues weiß ich auch noch nicht. Im Moment nenn ich mich Shynn, bis mir mein richtiger Name wieder einfällt und ich mein komplettes Gedächtnis wiederhabe. Ich weiß, dass mir – seit ich hier bin – ein Teil dessen fehlt, und ich auch im Grunde nicht hier sein sollte...“

„Augenblick mal! Wo du hier bist, weißt du?“ kam es von einer anderen Feenkreatur.

„Ja, soviel ist mir klar, dass ich von hier komme. Aber eigentlich hatte ich ja ein völlig anderes Leben.“

„Du bist seltsam, weil du so aussiehst, als gehörst du eher hierher, und nicht in die andere Welt.“

„Ihr kennt euch anscheinend etwas aus.“

Die kleine Fee lächelte geheimnisvoll. „Ja, denn wir sind schon sehr alte Geschöpfe...“

Er war wegen diesen Worten sichtlich erleichtert und fragte: „Könnt ihr mir dann sagen, warum ich nur zum Teil hier bin? Seit ich vor nicht allzu langer Zeit hier aufgetaucht bin, fiel mir auf, dass der Ort mir nicht neu ist. Mein Name kam mir auch in den Sinn. Außerdem verfüge ich über die Erinnerungen meines Vorlebens, aber alles von weiter vorher ist mir fast vollständig entfallen. Ich verstehe und spreche die hiesige Sprache. Einiges ist noch da, aber wie ihr bemerkt habt, bin ich scheinbar auch sehr alt. Doch ich wurde als Mensch wiedergeboren, also müsste der Teil von diesem Leben auch noch hier sein, bei mir oder in mir, oder versteh ich das falsch?“

Die Wesen hörten dieser Aussage aufmerksam zu, aber konnten das Gesagte nicht wirklich erfassen, denn es war zu absurd. Das war etwas noch nie Dagewesenes. Zumindest nicht so weit sie sich auskannten.

Wie aus einem Mund kam es von ihnen: „Wie? Was? Das kann doch nicht sein! Wie ist das möglich?“ Was bei der Heftigkeit des Erstaunens auch wieder die ganze Umgebung in helle Aufregung versetzte.

Der Wind wehte heftiger, Vögel flatterten kreischend auf, Niederwild rannte umher, aber alles beruhigte sich rasch.

Shynn sagte: „Alles gut, ich kann euch nur sagen, was ich weiß. Ich war schon vor dem letzten Leben alt, in dieser Zeitspanne sind sicher Dinge vorgefallen, über die ich noch nicht bereit bin, zu reden. Auch das sollte eigentlich nicht sein, weil jede Seele vor einer Wiedergeburt – laut Theorie – automatisch gereinigt wird. Bei mir war das anscheinend nicht passiert. Und dass meine Seele anscheinend geteilt wurde, kann ich mir auch nicht erklären.“

Die Feen fragten neugierig: „Was kannst du uns über dein letztes Leben erzählen?“

„Alles, was ihr wissen wollt“, erwiderte er...

7

Samstag, der 30. August 1988, ABC-Schütze

Kai ging es seit den letzten Sommerferien wesentlich besser, die er mit den Eltern im Urlaub an der Ostsee verbrachte und dann bei der Heimreise das Betriebsferienlager vom Kombinat des Vaters besucht hatte, wo er voraussichtlich nächstes Jahr hingehen würde.

Während des zweiwöchigen Urlaubs in einer Bungalowsiedlung auf der Insel Rügen, kam er zu seinem Glück nur mit wenigen Kindern in Kontakt und konnte für sich viele Freiräume finden.

Er nutzte die Zeit, um auf den Wiesen zu wandern und sich die Insekten und anderen kleine Tiere, die es dort zu entdecken gab, genauer anzusehen, den Geruch des Grases und der Blüten zu riechen und dem Gezwitscher der Vögel zu lauschen.

Er rannte viel, kletterte und sprang wie ein junger Hase durch die Gegend. Er blühte sichtlich auf, weil er sich frei fühlte. Ohne dass er gezwungen war, sich mit anderen Kindern zu messen.

Der Sommer, der recht warm war, ging schnell zu Ende und für Kai sollte bald die Schule beginnen. Heute – zum Samstag – war die Schulanfangsfeier.

Da der Papa auf Geschäftsreise war, konnte er leider nicht dabei sein, so blieben nur die Oma und die Mama. Und ein Bekannter der Eltern hatte sich bereit erklärt, das Ereignis für die Familie mit einem Fotoapparat festzuhalten.

„Kai, aufstehen! Heute ist dein großer Tag! Wir müssen uns fertig machen!“ flötete seine Mama, während sie übertrieben fröhlich in sein Zimmer stürmte und die Vorhänge vor dem Fenster aufriss und wieder durch die Tür verschwand.

Es war so weit: Nun kam das, was die Großen als den „Ernst des Lebens“ bezeichneten. Die Schule. Er hatte schon eine Vorstellung, dass er nun Lesen, Schreiben, Rechnen und viele andere Dinge lernen sollte.

„Kai, los jetzt! Geh dich waschen. Deine Sachen leg ich dir hin“, drängte ihn seine Mutter mit vibrierendem Unterton durch mehrere Räume zur Eile. Kai rieb sich noch recht schlaftrunken die Augen und ging sich waschen. Er putzte sich die Zähne und fing an, Wasser für die morgendliche Katzenwäsche ins Waschbecken laufen zu lassen.

Nachdem er das erledigt und sich abgetrocknet hatte, ging er in sein Zimmer zurück und fand auf seinem Bett die Sachen vor, die er anziehen sollte, obwohl er manches davon eigentlich überhaupt nicht mochte: ein weißes, kurzärmeliges Hemd, eine hellbraune Hose, ein Unterhemd, eine Unterhose und ein paar weiße Socken mit roten Streifen am Rand.

Er verzog das Gesicht bei dem Gedanken, damit den ganzen Tag herumlaufen zu müssen, wo ihm Hemden sowieso schon zu einengend waren.

Der Gedanke, dass ihm die ganzen Verwandten und Bekannten in die Wangen kneifen und ständig auf ihn einreden würden, gruselte ihn ein wenig.

Er sah aber auch den Vorteil, dass es ein paar kleinere Geschenke gab, Zuckertüte und Co. Und noch das eine oder andere Glückwunschkärtchen oder doch noch etwas extra an Süßigkeiten.

Er seufzte und zog sich den verhassten Kaftan an. Danach kämmte er sich so gut es ging seine Haare zu einem Scheitel.

In der Küche wartete schon die Mutti – fertig angezogen – in einem langärmeligem Kleid, welches er sehr mochte. Das mit dem hübschen, blau-lila-roten Muster. Toll!

Sie frühstückten zügig. Aus Zeitgründen hatte Mama die Brötchen schon mit Nuss-Nougatkrem belegt und einen Pfefferminztee für Kai eingegossen. Sie selbst trank Kaffee und aß ein Brötchen mit Honig.

Es klingelte an der Tür, und die Mama stand auf um zu öffnen. Dort wartete Kais Oma – ihre Mutter – mit einem Strauß gelber Rosen.

Sie trug eine hellbeige dünne Jacke, einen Rock mit einem Muster in braun und grau. Sie war dünner als ihre Tochter und die Haare waren schon fast weiß. Kai liebte seine Oma. Sie war viel ruhiger und gelassener als Mama und Papa. Zudem machte sie auch immer lustige Fratzen.

Sie hatte ihm auch einst geholfen, sein Lispeln und die Aussprache der Zischlaute zu verbessern, sodass er sich besser ausdrücken konnte.

Er hatte ja erst mit fast vier Jahren überhaupt etwas gesagt, was Ärzte und Eltern vor Rätsel stellte. Und vor dieser Zeit brachte die Situation die Eltern zur Verzweiflung.

Sie gingen los. Der Bekannte, Onkel Holger, erwartete sie erst bei der Schule. Auf den freute Kai sich gar nicht. Denn dieser war Offizier und immer so streng. Außerdem guckte der immer so böse durch seine stechenden eiskalten Augen.

Der Weg führte ihn durch die Plattenbauten, vorbei an seinem eigenen Innenhof mit dem Klettergerüst, dann über eine Straße an einem Haus vorbei, was ihm aufgrund seines einen Traumes bekannt vorkam. Nach einem sehr langen Block wurde ein freies Gelände sichtbar.

Auf diesem stand ein Umspannhäuschen, welches von außen mit lustigen und seltsamen Figuren bemalt war.

Dahinter stand schon die Schule, besser gesagt die Schulen. Zwei typische Einheitsbauten lagen direkt nebeneinander und noch einmal zwei davon versetzt davon.

Dazwischen befanden sich die Schulhöfe, gepflastert mit denselben quadratischen weißen Steinen. An manchen dafür ausgelegten Stellen wuchsen Bäume und Büsche, welche relativ sorgsam gepflegt wurden.

Vor der Schule warteten schon andere Eltern nebst ihrem nun schulpflichtigen Nachwuchs, deren Gespräche sich mit den Umgebungsgeräuschen, wie fahrenden Autos oder Straßenbahnen mischten.

Da kam auch schon Onkel Holger ums Eck. Er war etwas untersetzt von der Statur, hatte schwarze, langsam grau werdende Haare, einen Bart, eine relativ große dicke Nase und eine Brille. Kai sah ihn und verleierte schon die Augen, als er sicher war, dass es keiner bemerkte.

„Holger! Hier sind wir!“, kreischte die Mutter, um sich bemerkbar zu machen und winkte dabei kräftig.

Er kam näher und sagte an Kai gerichtet: „Na, ist es endlich bei dir auch so weit? Der Tobias ist ja schon in der zweiten Klasse. Und hoffentlich wirst du auch so ein guter Schüler wie er.“

Er tätschelte den Kopf des Jungen, dem das gar nicht gefiel. Aber er ließ es es über sich ergehen und schwieg sich zu dem Gesagten aus.

Dann überreichte Holger ihm die Zuckertüte, die er schon vom Papa des Schulanfängers in Verwahrung bekommen hatte und mit bunten Autos bedruckt war. Oben ragte der Kopf eines Stoffaffen heraus.

„Die wird aber erst später aufgemacht!“, mahnte er.

Kai war mal wieder von dem zackig-scharfen Tonfall des Onkels überrumpelt, so dass er gerade so ein leise genuscheltes „Danke“ herausbrachte, was Holger mit einem leichten Kopfschütteln quittierte. Dann fiel ihm ja noch ein, weswegen er hier war.

„Aufstellung! Wir wollen doch Fotos machen!“, ordnete er im zackigen Tonfall an. Also stellten sich alle drei vor dem hellblau gestrichenen Zaun auf, der das Schulgelände umschloss.

Kai in der Mitte, die Oma links von ihm und die Mama rechts. Beide Frauen hielten noch ihre Blumensträuße in den Händen und Kai seine Zuckertüte.

Die Mutter zischte ihm, während sie ein Lächeln aufsetzte, zu: „Los, lächel doch mal!“, was dem Jungen wegen seiner Nervosität schon nicht gelang – auf Kommando erst recht nicht.

Räumlich versetzt taten andere Familien das Gleiche. Kind(er), Mutter, Vater, Oma, Opa, Rauhaardackel und sonstiger Anhang mussten auf die eine oder andere Weise für die obligatorischen Fotos herhalten.

Und Kai erschien es, als würden alle anderen das mit dem Lächeln viel besser hinkriegen.

Onkel Holger verabschiedete sich fürs Erste, da er ja nur kurz Zeit hatte, weil sein eigener jüngerer Sohn an dessen Schule an der Aufführung für die Erstklässler teilnahm.

Drinnen war ebenfalls eine Willkommensveranstaltung geplant. Die größeren Kinder sangen und tanzten den Erstklässlern etwas vor. Es gab sogar ein kleines Theaterstück. Kai wurde es langweilig. Er war nicht wirklich der beste Stillsitzer, aber er schaute tapfer zu, weil die älteren Kinder sich solche Mühe dabei gaben.

Es wurde gefragt, wer von den Erstklässlern schon schreiben könne. Nur wenige konnten es, und Kai durfte, unter Beifall aller Anwesenden, seinen vollständigen Namen auf ein Blatt Papier, welches die Schuldirektorin ihm gab, aufschreiben.

Deren eigener Sohn kam ebenfalls in Kais Klasse.

Nach der Veranstaltung kamen die Kinder in ihre Unterrichtsräume. Und Kai stellte fest, dass von den drei Kindern aus seinem Wohnhaus, kein einziges bei ihm eingeteilt worden war.

Aber die Annika aus dem Block von gegenüber, die auch bei ihm im Kindergarten war. Na ja, es gab Schlimmeres.

Von der ehemaligen kleinen Bande, die ihn so auf den Kieker hatte, war zum Glück niemand an diese Schule gekommen.

Die ABC-Schützen wurden nun im neuen Klassenzimmer platziert. Tische und Stühle standen in drei Reihen hintereinander.

Einunddreißig aufgeregt lärmende Kinder waren es, die nun darin Platz nehmen sollten. Das Zimmer war recht groß. An beiden Seiten gab es Fenster. Die zum Hof ausgerichteten waren zudem bemalt. An einer der Glasscheiben prangte eine große gelbe Mondfratze. Oder sollte das eine Sonne sein?, fragte sich Kai, der auch registrierte, dass die Farben des Regenbogens am Nachbarfenster nicht die richtige Reihenfolge hatten.

Hinter den Tischen standen Schränke und Regale. Vorne war die Tafel, die man auch verschieben konnte, sodass mehr Platz zum Schreiben zur Verfügung stand.

Natürlich gab es noch den Lehrertisch gegenüber der Tischreihen.

Die Klassenlehrerin hieß Frau Schmidt. Sie war schon etwa dreißig oder vierzig Jahre alt, mittelblond und schlank. Sie trug einen grünen lockeren Rollkragenpullover, dazu dunkelblaue Jeanshosen und ein paar schwarze Schuhe mit einem Absatz.

Kai fand, dass Frauen mit Absatzschuhen beim Laufen aussahen wie Ziegen oder Störche. Bei dem Gedanken kicherte er sich ins Fäustchen.

Sie roch außerdem nach einem Parfüm mit Veilchennote. So starke Gerüche mochte der Junge nicht sonderlich.

Schulalltag

So verstrichen ein paar Monate, und Kai lernte recht schnell besser lesen und schreiben. Er konnte sogar die russischen Buchstaben, da sein Vater ihm diese bereits beigebracht hatte.

Ein Unterrichtsfach, welches er sehr mochte, war Zeichnen. Darin war er spitze. Vor allem, wenn es um Tiere ging. Die bekam er am besten hin. Mathe war auch so weit okay, aber das mochte er nicht sonderlich.

Musik lag ihm nicht im Blut. Schon im Kindergarten sang oder musizierte er nicht wirklich gern. Der Lehrer war schon alt und streng, konnte aber die Kinder immer schnell zum Lachen bringen. Vor allem, als er am ersten Tag seine Violine mitbrachte, so dass jeder darauf herumfiedeln konnte.

Kai war der erste, der durfte. Die Geräusche, die er erzeugte, klangen schlimmer als Katzenjammer, wie er an den verzogenen Gesichtern seiner Klassenkameraden bemerkte.

Er erkannte, dass die Mitschüler sich nicht besser als er anstellten, als sie an der Reihe waren. So, dass auch er öfter sein Gesicht verziehen und sich die Ohren zuhalten musste.

Sein Hassfach war Sport. Der Lehrer schien von der Armee ausgebüxt zu sein. Zumindest die Art war wie die von Onkel Holger, fast noch schlimmer.

Es machte ihm einfach keinen Spaß. Vor allem Mannschafts- oder Ballspiele. Er konnte nämlich nicht gut fangen, zielen und werfen. Dem Rennen und Klettern konnte er eher was abgewinnen.

Bei der Mannschaftsstaffel sollten die Gruppen im Vierfüßergang laufen. Gemeint war auf Händen und Knien, doch Kai dachte sich, So ein Quatsch! So laufen Tiere doch gar nicht... Ich mach das wie Hunde und Katzen, wenn die rennen.

Damit war er zwar schneller als die anderen, aber kaum galoppierte er los, hagelte es Protest, er wurde zurückbeordert und der Lauf wurde wiederholt. Er musste nun so wie alle anderen herumrutschen, was der Junge für sehr unlogisch und ineffektiv hielt.

Auch in der ersten Klasse wurde er von den anderen aufgezogen, weil er kleiner als die meisten anderen Jungen war, weil er so ruhig war und seinen eigenen Gedanken nachhing.

Seine Kontaktversuche wurden, genauso wie damals und aus ähnlichen Gründen, nicht erwidert. Er passte nicht wirklich dazu. Er schaffte es nicht, bei ihren Spielen mitzuhalten. Oft wollten sie ihn auch nicht dabei haben.

Der Lärm und das Gewusel auf dem Schulhof in der großen Pause verdarb ihm die Laune fürs Spielen erst recht. Mit der Lautstärke konnte er sich nicht besonders arrangieren. Sie bereitete ihm oftmals sogar Schmerzen.

Eines Tages fiel der Lehrerin auf, dass Kai oft alleine war und zeichnete, dass er nicht viel am Pionierleben teilnahm, und auch trotz guter Noten nicht im Gruppenrat war.

Bei den Pionier-, den Gruppennachmittagen oder im Hort saß er meist am Rand und wirkte mehr als abwesend. An den Vorträgen über die Sowjetunion, dem Singen und dem Tanzen zeigte er kein großes Interesse, obwohl er schon einige Worte in Russisch schreiben konnte. Maximal das Basteln oder die Aktionstage über Natur und Tierwelt vermochten ihn aus seiner geheimen Welt zu locken.

Vor allem entdeckte sie oft Zeichnungen von ihm, wo ein kleiner schwarzer Teufel mit Hörnern, roten Augen und roten stacheligen Haaren zu sehen war.

Sie konnte sich keinen Reim darauf machen und beschloss die Eltern des Buben beim nächsten Elternabend daraufhin anzusprechen.

Auch, weil ihn die anderen Kinder deswegen oft als Teufelsjungen bezeichneten. Was die Frau aber für eine normale Reaktion hielt. Sie dachte eben, das würde schon irgendwann aufhören.

Auffälligkeiten

Gesagt, getan, der Elternabend kam. Alle Eltern – beziehungsweise die Elternteile – die Zeit hatten, waren anwesend und alles Wichtige und Organisatorische wurde besprochen.

Und das Ehepaar Neumann wurde – nachdem der Abend beendet war – gebeten, etwas länger zu bleiben. Frau Schmidt zeigte dem Paar Kais Zeichnungen, die nebenbei von ihm gemacht wurden.

Sie verdrehten beide synchron die Augen und dachten: Nicht hier auch noch, zu Hause hängen schon genug Bilder von dem Vieh...

Die Lehrerin sagte: „Ihr Junge ist zwar ein guter Schüler, aber er träumt zu viel, spielt nicht mit den anderen Kindern und sie mögen ihn auch nicht. Doch am auffälligsten sind diese schwarzen Teufel. Ich glaube, er hat zu viel Fantasie und da müssten Sie mit strengerer Hand entgegenwirken, damit er sich endlich in das Klassenkollektiv einfügt.“

Darauf meinten die Eltern nur etwas entnervt: „Das ist uns klar, und wir geben bereits unser Bestes. Mehr können wir auch nicht tun.“

Sie verließen den Klassenraum und bald darauf auch das Schulgelände. Mit entsprechender Laune kamen sie nach Hause, während sie sich unterwegs eine Weile lang darüber gestritten hatten, was sie nun machen sollten.

Kai saß unterdessen in seinem Zimmer und las ein Buch. Darin ging es um ein Mädchen, welches mit einem kleinen schwarzen Hund, einer sprechenden Vogelscheuche, einem Eisenmann und einem Löwen durch ein Wunderland zog, um einen Zauberer zu treffen.

Er schrak hoch, als die Tür aufgeschlossen wurde und nach einigen Augenblicken seine Eltern in seinem Zimmer standen, sich vor ihm aufbauten und mit lauter Stimme meckerten: „Kai! Frau Schmidt hat uns erzählt, dass du viel träumst und zu viel Fantasie hast. Was sollen diese Teufel, die du immer malst? Hör endlich auf damit! Kannst du nichts anderes zeichnen? Das liegt doch nur dran, weil du nicht mit den anderen Kindern spielst. Brauchst dich nicht wundern, wenn dich keiner mag.“

„D-Das weiß ich n-“

„Keinen Mucks will ich hören!“, schnappte seine Mutter, um das Thema zu beenden.

Völlig überfordert von dem Anranzer igelte er sich ein, zog seine Beine zum Kinn, weinte leise und sagte nichts mehr dazu.

Die Eltern, völlig verzweifelt und voller Sorgen, verließen das Zimmer, nachdem sie bemerkt hatten, dass ihr lautes Geschrei alles nur schlimmer machte.

Ihr Sohn, der nun endlich wieder seine Ruhe hatte, schaute noch mit Tränen in den Augen in Richtung der Tür. Er wurde, nachdem er erst einmal erfasst hatte, was da gerade abging, sichtlich wütend auf sie.

Eine Aura des Zorns schien sich um ihn zu bilden, die mit ruhig lodernden Flammen seinen Körper umgab.

Mit dieser sah er selber fast wie der kleine Teufel aus, der ihn schon so lange beschäftigte. Erst recht, weil sie über seinem Kopf zwei kleinen Hörnern ähnelte. Er dachte: Würdet ihr mir wenigstens einmal richtig zuhören! Aber mich ausschimpfen, das könnt ihr!

Er verzichtete auf das Abendbrot, zog sich gleich den Schlafanzug an, wickelte sich in seine Bettdecke, ringelte sich zusammen, um sich in den Schlaf zu weinen.

In der Nacht davongemacht

Als das Kind träumte, erschien abermals nach langer Zeit Shynn wieder über seinem Kopf. Wie damals fing es mit einem dunkel leuchtenden Ball an, der sich zu einer Gestalt materialisierte, die der Kais sehr ähnelte.

Die Gestalt des Teufelchens ist seit dessen letzten Erscheinen wesentlich größer, älter und reifer geworden. Die Haare etwas länger, aber immer noch stachelig wie bei einem Igel, die Hörner um einen halben Zentimeter größer, die Aura etwas stärker, schaute er sich im Zimmer um. Alles wie gewohnt. Keine maßgebliche Veränderung.

Die Kleinkinderspielzeuge sind weg, ebenso die bunte Truhe. Ein hellbraunes großes Regal voller Kinderbücher, einem Kinderlexikon und diversen Bausteinen nahmen ihren Platz ein. Und es hingen mehr Bilder als beim letzten Mal an der Wand über seinem Bett.

Das erste Bild war noch da, einige neue und zeichnerisch etwas bessere sind hinzugekommen. Unter anderem eins, dass ihn zeigte, wie er sich gerade manifestierte. Was ihn durchaus erstaunte war, wie gut er diesen Augenblick einfangen konnte.

Im Gegensatz zum vorigen Mal, brauchte er nicht lange überlegen, was er machen sollte, wenn er schon wieder gleichzeitig schlafend im Bett lag und in dieser Gestalt über seinem menschlichen Selbst schwebte.

Daran gewöhnte er sich nun langsam. Er verstand auch, dass sein Erscheinen mit Ärger, den er kürzlich mit oder wegen jemandem hatte, im Zusammenhang stand. Er dachte an das Gemecker vom Vorabend und an Frau Schmidt, die doofe Kuh. Was ging die das überhaupt an, was er zeichnete?

Er verließ die Wohnung wieder durch die Wand. Orientieren brauchte er sich jetzt nicht mehr, denn er kannte sich bestens in der Gegend aus.

Und er konnte nun die Präsenzen wesentlich besser sortieren. Die Geräusche der Nacht fand er faszinierend.

Dort! Unter dem Müllplatz! Eine komplette Rattensippe, die sich mit glühenden rot reflektierenden Augen auf Nahrungssuche begab. Unter einer Ligusterhecke duckte sich ein Rotfuchs, der seinerseits die Ratten beäugte, in der Hoffnung, ein unvorsichtiges Exemplar der Sippe zu erwischen.

Shynn konzentrierte sich und brauchte eine Weile, bis er die Lehrerin aufspürte. Sie schien sehr weit weg zu wohnen, jedenfalls nicht unmittelbar in dieser Gegend.

Er merkte auch, dass es kälter wurde, auch wenn er es auf seinem Körper nicht wirklich spürte. Die Bäume waren kahl, es waren wesentlich weniger Tiere unterwegs.

Gefroren schienen die Pfützen auf den Böden und Wegen auch zu sein. Laub lag noch immer in Wehen verteilt auf den Grünflächen und unter Sträuchern herum.

Blumen blühten jetzt auch keine mehr. Es waren nur vereinzelt Menschen auf den Gehwegen und wer sich um diese Zeit draußen aufhielt, nahm ihn nicht wahr.

Sie schauten sowieso nicht hin, die unterschiedlichen Schwarztöne konnten sie nicht unterscheiden. Außerdem waren sie alles andere als nachtsichtig.

Überall schien die Straßenbeleuchtung mit einem unheimlichen gelb-orangenem Licht.

Sie waren nicht wie er. Er bekam mit, dass die Nächte in dieser Jahreszeit dunkler und länger waren. Auch der Mond war diesmal nicht zu sehen. Es waren zwar Wolken am Himmel, aber es war nicht vollständig bedeckt.

So wie es aussah, war es gerade Neumond. Aber das focht ihn ja nicht an, als er die Strecke bis zur Lehrerin zurücklegte.

Spuk bei der Lehrerin

Sie wohnte auch in einem Plattenbaublock. Der sah aber anders aus: ein oder zwei Stockwerke mehr und von außen mit stilisierten Schmetterlingen bemalt.

Wie er sich erinnerte, war er hier mit Mama oder Papa öfter vorbeigefahren und hatte die Umgebung schon immer genau beobachtet. Natürlich wusste er bis jetzt nicht, dass er hier seine Lehrerin finden würde.

Er nahm sich die Zeit und schwebte noch wesentlich höher als sowieso schon, um sich das ganze Gebiet einmal anzusehen. Somit überblickte er auch, wie riesig diese eine Plattenbausiedlung war. Sie bestand aus acht oder neun verschiedenen Bezirken, Wohnkomplexe wurden sie genannt, wie er sich erinnerte.

Er wohnte im vierten Bezirk. Als er noch viel höher schwebte, sah er die Stadt im Ganzen. Sie war wirklich riesig, zumindest für seine Kinderaugen. Auch wenn es Dämonenkinderaugen waren. Die sahen schließlich mehr.

Wieder unten wurde die Aura der Frau deutlicher. Er fand ihre Wohnung und drang durch die Wand ein.

Drinnen machte er sich den Jux und schwebte nicht durch die Wohnung, sondern ging zu Fuß. Und das nicht nur auf dem Fußboden, sondern er fing an, auf allen Vieren die Wände und Decke entlangzukrabbeln. Es machte ihm sogar Spaß, weil er sich so wie ein Insekt fortbewegen konnte.

Im Flur sah er auf einer dunkelbraunen Kommode neben ihrem olivgrünen Telefon, welches noch eine Wählscheibe hatte, ihre Handtasche. Die Graue, die sie immer in der Schule dabei hatte.

399
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9783752933703
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