Читать книгу: «Die Rückkehr des Wanderers», страница 7

Шрифт:

Kapitel 5

Baldric

Nach den ersten Tagen der Reise fühlte Baldric sich besser als in den letzten paar Wochen davor. Mit einem klar definierten Ziel vor Augen auf dem Marsch zu sein, gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, die Tatsache, dass er das uneingeschränkte Kommando hatte, beruhigte seine Nerven. Es war kühl und am zweiten Abend hatte es zu nieseln begonnen, aber Kälte und Feuchtigkeit war er gewohnt.

Er war ein Kind der Zeit des Grau und hatte nie zu denen gehört, die damit haderten. Er konnte sich vorstellen, wie es früher gewesen war. Mit einer Sonne, die auf die Erde schien und einem wärmeren und angenehmeren Klima. Sonderlich interessieren taten ihn solche Dinge nicht. Er hatte immer gerne in der Welt gelebt, in der er sich befand. Ein Problem hatte es für Baldric nur stets dargestellt, mit der Welt in seinem Inneren zurechtzukommen.

Der Ordensmarschall ritt an der Spitze der von ihm befehligten, kleinen Expedition. Zu Rechten und Linken, jeweils an den Rändern der schlecht befestigten Straße, folgten die Führer der Reiterlanzen. Die Ritterbrüder Stanislav und Petre waren beide in Baldrics Alter. Sie waren allerdings auch weitaus weniger gebildet und ambitioniert als er. Einfache Männer, die als junge Soldaten ihren Weg in den Orden gefunden hatten. Stanislav hatte seine ersten Jahre im Dienst des Lichtes an der Grenze zwischen der Ostmark und dem im Westen liegenden Stennward gedient. Er war ein harter, beherrschter Mann, ebenso loyal, befehlsbeflissen und fest im Glauben, wie humorlos und überkorrekt.

Petre war ein typisches Kind der Ostmark. Er war in einem Dorf in der weiteren Umgebung von Moorwacht zur Welt gekommen und hatte sein ganzes Leben nahe der Ordensburg verbracht. Er war hier aufgewachsen, den Truppen des Herzogs beigetreten und hatte sich im Alter von neunzehn Jahren dem Orden angeschlossen. Petre war ein grobschlächtiger, harscher Mann und ein Sadist. Er hatte Spaß daran zu kämpfen, zu Töten und Schmerzen zuzufügen. Er war aber auch zäh und wenig zimperlich, wenn es um die eigene Haut ging, was ihm zu einem wilden und furchtlosen Kämpfer machte. Er war kein angenehmer Zeitgenosse, respektierte aber jeden Bruder, der stärker war als er. Sonderlich viele waren das freilich nicht.

Das Baldric einer der wenigen war, die Petre im Training ohne größere Mühe schlugen, war einer der beiden Gründe, die ihm die treue Gefolgschaft dieses Mannes einbrachten. Der andere rührte von einer Begebenheit vor einigen Jahren her. Baldric hatte den Bruder in einer alten, verlassenen Scheune auf frischer Tat erwischt. Es war in der Nähe eines der umliegenden Dörfer gewesen, eine knappe Tagesreise von Moorwacht entfernt. Er war gerade damit beschäftigt, einen Bauernjungen von zehn oder elf Jahren zu vergewaltigen.

Petre war nie auf die Idee gekommen sich zu fragen, was er dort draußen gesucht hatte. Er wusste natürlich nicht, dass Baldric immer auf der Suche nach solchen Orten war, um sie sich als mögliche Verstecke für seine eigenen kleinen Eskapaden zu merken. Baldric hatte den Mann übel zusammengeschlagen. Danach hatte er den schwer verletzten Bauernjungen mit einem Schwertstreich getötet, bevor er davonkriechen konnte. Der Orden brauchte keine lamentierenden Bauern. Derartige Dinge regelte man am Besten unter den Brüdern. Er hatte damit Erfahrungen am eigenen Leib gesammelt.

Petre hatte um Schonung vor dem Urteil der Ordensmeister und um ein schnelles Ende durch Baldrics Schwert gebeten. Baldric hatte ihn wissen lassen, dass er ihn beim nächsten Mal als Kastraten vor die Obrigkeit schleifen würde. Danach hatte er ihm zu verstehen gegeben, dass die Sache als einmaliges Missgeschick aus der Welt und für ihn erledigt sei. Ein amüsiertes Lächeln umspielte den Mund des Ordensmarschalls, als er an diese Begebenheit zurückdachte. Vielleicht war es die ihm erwiesene Gnade, vielleicht hatte Petre in Baldrics Augen auch etwas Vertrautes erkannt. Auf jeden Fall war der ruppige Bruder von diesem Tag an sein Mann gewesen. Weitere Zwischenfälle wie den in der Scheune hatte es ebenfalls nicht gegeben.

Er strahlte seitdem eine stille Unterwürfigkeit aus, war aber unaufdringlich und biederte sich nicht an. Baldric hatte ihn gerne um sich, weil er berechenbar war. Das war auf seine Weise auch der aufrechte Stanislav. Deswegen war er der zweite Unterführer, der Baldric auf dieser Reise begleitete. Er mochte Männer, bei denen er wusste, woran er war. Die Unberechenbarkeit seines eigenen emotionalen Innenlebens war mehr als genug.

Hinter den drei Reitern an der Spitze folgten links und rechts die beide Reihen der Reiterlanzen, welche die sechs Wagen in der Mitte flankierten. Der Erste und Letzte enthielt Vorräte, in den mittleren befanden sich je eine Lanze Fußsoldaten. Auf diese Weise konnten die Infanteristen schwere Rüstung und Bewaffnung tragen. Diese Art des Transportes war in den äußeren Regionen des Reiches oft beschwerlich, erfreute sich im Orden aber einer gewissen Beliebtheit.

Die Straßen der Ostmark zählten zu den schlechtesten, was besonders für die östlichen, nach wie vor in weiten Teilen verwahrlosten Gebiete galt. Dennoch hatte sich Baldric für diese Art der Fortbewegung entschieden. Die beiden Dörfer waren über relativ feste Wege mit der Straße verbunden. Falls es zu Auseinandersetzungen kam, konnten sie es so mit einer großen Überzahl an Wegelagerern, rebellischen Bauern oder anderem Lumpenpack aufnehmen. Einigen Dutzend voll gerüsteten Ritterbrüdern hatte in diesem Landstrich niemand etwas entgegenzusetzen. Dass die Reise dadurch ein wenig länger dauerte, nahm er gerne in Kauf. Ihre Aufgabe war wichtig, aber die Zeit spielte kaum eine Rolle. Was hier passiert war, war vermutlich bereits vor Wochen geschehen. Auf einen Tag kam es nicht an.

Die Straße, auf der sie sich nun befanden, war breit und weniger verfallen als die meisten in diesem Landstrich. Vor Jahrzehnten war es eine sorgfältig ausgebaute Handelsstraße gewesen. Die Zeit, in der sich der Handel mit den Grenzsiedlungen gelohnt hatte, war freilich lange vorbei. Auch die Karawanen zu den Handelsposten der Goyaren fuhren seit Dekaden nicht mehr. Damals waren mit einigen Stämmen der ehemals feindseligen Bewohnern der östlichen Weite zumeist Edelsteine, Felle und Farbstoffe gegen Wolle und Werkzeuge aus Eisen gehandelt worden. Heute lag der letzte Kontakt zu diesem halbwilden Tundravolk fast zwei Generationen zurück. Das Grau schien sie vertrieben oder ausgelöscht zu haben. Ein älterer Mitbruder hatte gemeint, dass dieses vergessen geglaubte Volk etwas mit dem gleichzeitigen Verstummen der beiden Dörfer zu tun haben mochte.

Baldric hielt das für Unsinn. Er war nicht einmal sicher, ob die Annahme, dass beiden Dörfern zur gleichen Zeit etwas zugestoßen war, überhaupt den Tatsachen entsprach. Es konnte ebenso gut sein, das eines der Dörfer bereits Wochen vor dem anderen einem unbekannten Schicksal zum Opfer gefallen war. Die Siedlungen lagen weit draußen und waren für den Orden im Grunde völlig bedeutungslos.

Auf dem bisherigen Weg waren sie keiner Menschenseele begegnet. Das war in diesem Landstrich im Spätherbst auch durchaus nicht ungewöhnlich. Die wenigen Dörfer an der Grenze zeugten noch von der Zeit, als mit den Goyaren Handel getrieben worden war.

Heutzutage lebten die Menschen dort ein entbehrungsreiches Leben am Rande völliger Armut. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt mit spärlicher Landwirtschaft und ein wenig Geflügelzucht. Für gewöhnlich waren solche Leute mit Überleben beschäftigt und pflegten nicht zu reisen. Selbst der Kontakt zwischen den einzelnen Dörfern war nur marginal. Es gab nirgendwo genug, um damit Handel zu betreiben oder zu tauschen. In diesem Teil des Landes verwandelte sich die leicht bewaldete Steppe langsam aber stetig zur Tundra und wurde immer karger und nährstoffärmer. In dem nun bevorstehenden Winter begann für die Menschen hier draußen die härteste Zeit des Jahres. Und die war heute fast doppelt so lang wie noch vor drei oder vier Generationen.

Baldric störten weder Kälte noch Wind. Er lebte bereits so lange in diesem Teil des Reiches, dass er die harsche Witterung um sich herum kaum noch wahrnahm. Mit etwas Glück würde sich der Nieselregen verzogen oder in Schnee verwandelt haben, bis ihr kleiner Wagenzug das erste Dorf erreichte.

»Seid ihr mit dem Reisewetter bislang zufrieden?«, rief er und schaute dabei erst zu einem, dann zum anderen seiner Unterführer.

»Wenn der Regen bald zu Schnee wird, hätten wir uns kaum etwas Besseres wünschen können. Jedenfalls in dieser Zeit des Jahres«, gab Stanislav zurück.

»Solange der Regen nicht stärker wird, wird die Straße gut genug für unsere Wagen sein«, stimmte Petre zu. »Also alles so, wie es sein soll. Wenn nichts dazwischenkommt, sollten wir das Dorf bald erreichen.«

Er legte den fast kahlen Kopf in den Nacken, der von der Haube des Kettenhemdes und der darunterliegenden Lederkapuze geschützt war. »Was hast du vor Baldric, rasten wir noch einmal oder versuchen wir vor Einbruch der Dunkelheit dort zu sein?«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, gab der Marschall zurück. »Sag du es mir. So weit östlich bin ich selten gewesen.«

Ein Lächeln glitt über das grobschlächtige, vernarbte Gesicht des Unterführers. Das war ein Grund dafür, warum er nichts gegen Baldric unternommen hatte, nachdem er ihn damals bei der Sache mit dem Bauerntölpel erwischt hatte. Die Art und Weise, in welcher der Mann ihn seitdem behandelt hatte, nötigte ihm Respekt ab. Der Vorfall war nie wieder mit einem Wort erwähnt worden. Der Marschall war ihm gegenüber auch in keiner Weise herablassend. Er begegnete ihm mit der gleichen distanzierten Freundlichkeit, die er all jenen entgegenbrachte, mit denen er regelmäßig Umgang pflegte.

Im Laufe der Jahre hatte Petre begriffen, dass Baldric sich sogar lieber mit ihm umgab und auf ihn verließ, als auf andere Brüder. Warum hatte er nie verstanden und es war ihm auch egal. Es mochte damit zu tun haben, dass sie beide, jeder auf seine Art, Außenseiter waren. Aber was spielte das letztendlich schon für eine Rolle.

»Ob wir es schaffen, bis es völlig dunkel ist, kann ich nicht sagen«, meinte er nun. »Aber bis zur Dämmerung würden wir es wohl hinbekommen, wenn es denn sein müsste. Ich würde trotzdem irgendwann vorher rasten. Wir wissen nicht, was auf uns wartet, und in der Dämmerung in einen Hinterhalt zu laufen, sollten wir vermeiden.«

»Stanislav?«, rief Baldric fragend. Seine Entscheidung hatte längst festgestanden, aber es hatte durchaus Gründe, warum er trotz seiner eigenwilligen Art bei den Männern nicht unbeliebt war. Einer davon war der, dass er direkten Untergebenen immer das Gefühl von Wertschätzung gab. Ein anderer, dass er den gleichen Dreck fraß und genauso unbequem reiste und schlief wie der einfachste Anwärter.

»Stimme Petre zu«, meinte sein zweiter Unterführer knapp, »würde auch lieber bei vollem Tageslicht ankommen.«

»Halten und rasten«, brüllte Baldric nun mit bester Befehlsstimme. Die Worte trugen so weit, dass sie auch beim letzten Mann hinter ihm ankamen. Dieser Ort war so gut für eine Rast wie jeder andere.

Die Landschaft, durch die sich die Straße zog, würde noch für viele Landmeilen unverändert bleiben. Baldric wusste so wenig wie die anderen, was sie am ersten Ziel ihrer Expedition erwartete. Sie würden hier bis zum Beginn der nächsten Morgendämmerung ausruhen und dann noch im Dunklen wieder aufbrechen. Auf diese Weise hatten sie die volle Stundenzahl an Tageslicht zur Verfügung und würden auf jeden Fall im Hellen im Dorf ankommen. Er beabsichtigte, die erste Mission als Marschall mit einem makellosen Erfolg abzuschließen. Es war ohnehin nicht seine Art, etwas dem Zufall zu überlassen.

Die Lagerstatt war schnell errichtet und denkbar schlicht. Einige kleine, tragbare Kohleöfen sorgten für das Nötigste an Wärme. Das Essen war kalt, Salzfleisch und Brot, die Pferde hatten alsbald Hafersäcke um die Köpfe gebunden bekommen. Als sich die Dunkelheit über das Land senkte, wurde es still im Lager. In kleineren Grüppchen wurde noch leise gesprochen, aber die meisten Männer legten sich unter ihren Reisedecken nahe den Öfen zur Ruhe. In einem Lager des Ordens ging es sehr viel disziplinierter zu als in einem gewöhnlichen Heerlager. Einige Schritte abseits der anderen saß Baldric mit seinen beiden Unterführern an einem der Wagen zusammen.

»Wenn wir morgen das Dorf erreichen«, sagte Baldric, »lassen wir, sobald wir Blickkontakt haben, die Wagen zurück. Ich führe die Brüder zu Fuß an und marschiere mit ihnen in Blockformation in den Ort. Ihr bleibt an den Flanken weit außen, gerade noch auf Sichtkontakt. Falls jemand zu fliehen versucht, schickt ihr zwei oder drei Mann los um das zu erledigen, aber brecht die Formation nicht auf. Wenn wir angegriffen werden sollten, entscheidet nach Situation. Ich will unter allen Umständen verhindern, dass irgendwer von da abhaut, bevor wir fertig sind.«

Beide Unterführer nickten zustimmend.

»Ich war lange nicht mehr vor einem Einsatz zu gespannt wie vor dem hier«, meinte Stanislav, »so viele Ungereimtheiten. Ich hätte ja darauf getippt, dass das Dorf durch Krankheit oder Hunger in den letzten Monaten einfach verreckt ist, aber zwei im gleichen Jahr?«

»Dann wären auch die Kundschafter wiedergekommen«, brummte Petre zustimmend. »Was immer passiert sein mag, es stinkt gewaltig. Aus der Tundra kann eigentlich nichts gekommen sein. Davon ab, dass ich nicht an die Schauergeschichten über marodierende Wilde aus dem Osten glaube. Da draußen ist es jetzt schon so kalt, das niemand lange überlebt, der sich keinen verdammt guten Platz zum Überwintern sucht.«

»Kann sein, dass die Dörfer schon lange ausgelöscht sind, Petre«, warf Baldric ein. »Wäre also durchaus möglich, dass jemand im Frühjahr losgezogen ist, im Sommer zugeschlagen hat und wir es erst jetzt gemerkt haben. Ich sehe das aber wie du, ich glaube auch nicht an irgendwelche wilden Reitervölker, die nach all den Jahren aus dem Nichts wieder aufgetaucht sein sollen.«

»Die Sache ist mir nicht geheuer«, meinte Stanislav. »Ich war ohnehin immer der Meinung, dass man diese ganzen kleinen Dörfer an der Grenze hätte auflösen sollen. Die Leute umsiedeln und fertig. Die paar armseligen Felder, die sie da bestellen, hätten sie auch in der Nähe unserer Befestigungen anlegen können.«

»Nun«, sagte Baldric langsam, »die Siedlungen sind nicht ohne Hintergedanken dort belassen worden. Wenn es zu Übergriffen oder irgendeiner Form von Bedrohung aus dem Osten kommt, dienen sie als Puffer. Wenn ein Angriff erfolgt, sind zunächst einmal diese wertlosen Dörfer betroffen. Sie sollen uns Zeit zum Handeln geben, wenn etwas passiert.

Man könnte sagen, dass im Moment alles genau so verläuft, wie es gedacht ist. Irgendetwas hat unsere mit Zivilisten bemannten Spähposten, denn nichts weiter sind die Dörfer, lahmgelegt. Wir haben es bemerkt und handeln nun.«

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und streckte sich.

»Aber alles Grübeln und Spekulieren ist heute Nacht müßig. Begeben wir uns zur Ruhe, morgen haben wir eine Menge vor.«

Die anderen beiden Männer murmelten zustimmend und zogen sich zurück. Wenig später senkte sich völlige Stille über das kleine Lager.

Im Laufe der Nachtstunden war der Nieselregen in leichten Schnee übergegangen. Feine Flocken rieselten vom Himmel, schmolzen jedoch, sobald sie auf dem Boden auftrafen. Dennoch hatte sich der Winter zurückgemeldet und lange würde es nicht mehr dauern, bis sich wieder eine Decke aus kaltem Weiß über das Land legte. Ein leichter aber eisiger Wind wehte den Männern entgegen, als sie ihren Weg fortsetzten. »Ich bin bloß froh«, meinte Petre, der gerade seinen Platz an Baldrics rechter Seite einnahm, »dass wir jetzt unterwegs sind, und nicht in zwei oder drei Wochen. Der Winter kommt früh und schnell dieses Jahr. Wenn der Wind noch stärker weht, wird es jetzt schon verdammt ungemütlich.«

»In ein bis zwei Wochen«, gab Baldric zurück, »sind wir hier fertig, so oder so. Dann sind wir wieder in Moorwacht.«

Er wandte sich Stanislav zu, der ebenfalls dichter an ihn herangeritten war.

»Wenn wir dem Dorf nahe genug sind, schickt jeder einen Späher vor. Sobald sie Sichtkontakt mit irgendeinem Menschen bekommen, sollen sie sofort umkehren. Ich will nur sicher sein, dass der Weg frei ist, alles Weitere bringen wir in Erfahrung, wenn wir da sind.«

Der Weg war frei. Die Späher kehrten zurück, nachdem sie den Rand des Dorfes hatten erkennen können, ohne eine lebende Seele gesehen zu haben. Wagen und Gespanne blieben mit dem Landvolk zurück, während die Ordensbrüder sich am späten Vormittag formierten. Der Schnee rieselte leise vor sich hin, aber die Sicht war davon abgesehen klar. Die mittelschwer gerüsteten Reiter trugen Kettenhemden mit Topfhelmen und Reiterschilden, dazu leichte Stoßlanzen und Schwerter. Jeder Zweite trug außerdem eine Einhandarmbrust. Die kleinen Waffen verfügten nur über wenig Durchschlagskraft und Reichweite. Gegen ungepanzerte Ziele auf kurze Distanz waren sie aber durchaus effektiv, und mehr würde hier kaum nötig sein.

Die Rüstung der Brüder zu Fuß bestand ebenfalls aus Kettenhemden. Darüber trugen die Männer eiserne Brustharnische. Dazu gepanzerte Stiefel und Handschuhe sowie massive Eisenhelme mit Visieren. Ihre Bewaffnung schloss große Schilde und Schwerter ebenso ein, wie Streitkolben und die eine oder andere Streitaxt. Die erste Lanze, welche die vorderste Linie der engen Formation bildete, wurde von Baldric angeführt. Der Ordensmarschall selbst trug zur Kette Harnisch und Helm, genau wie seine Brüder. Darüber hinaus verzichtete er aber auf schwere Rüstungsteile, um seine Beweglichkeit nicht zu sehr einzuschränken. Am linken Unterarm hielt er einen mit Eisen beschlagenen Rundschild. Ein geflügelter Streitkolben in der Rechten komplettierte seine Ausrüstung.

Die ersten Häuser des Dorfes lagen in Sichtweite dunkel und still vor ihnen. Von der kleinen Siedlung her drang kein Laut zu den Männern hinüber und keine Bewegung war zu erkennen. Entweder war dieser Ort verwaist oder man hatte sie kommen gesehen und er war eine Falle. Stanislav und Petre standen mit ihren Reitern an den Flanken bereit, die Brüder zu Fuß bildeten einen kompakten Block aus Metall und Tod.

»Wenn wir angegriffen werden sollten, machen wir alles nieder was sich bewegt«, schnarrte Baldrics Stimme durch die kalte Luft.

»Ein paar Gefangene wären hilfreich, Priorität hat aber allein die Vermeidung eigener Verluste. Ich will zwischen diesen paar erbärmlichen Hütten nicht einen Mann verlieren. Wir marschieren zum Dorfzentrum und sichern dann von innen nach außen. Auf Brüder, der Tag ist jung, lasst uns sehen, was er uns zu bieten hat. Für den Lichtbringer.«

Die letzten drei Worte schallten aus dutzenden von Kehlen zurück, während sich die Gruppe wie ein Mann in Bewegung setzte. Der Trupp marschierte langsam und zielstrebig über das kümmerliche, nasse Gras, das am Dorfrand wuchs. Noch immer war das Klirren und Klappern ihrer Rüstungen und Waffen das einzige Geräusch, das außer dem Wind und dem Krähen einiger Raben zu hören war. Kein Hund bellte und die Luft trug keinen Rauch, weder von Kaminen noch von brennenden Gebäuden. Einen Wall oder eine sonstige Befestigung gab es nicht.

Die Siedlung bestand aus vierzig bis fünfzig lose formierten, einfachen Häusern, kaum mehr als stabilere Hütten. Sie lagen in Grüppchen in einem unregelmäßigen Halbkreis um den kleinen Dorfplatz herum. In der Mitte des Platzes, der nur aus festgestampfter Erde bestand, befand sich ein mehr schlecht als recht gemauerter Brunnen. Auf dem verschlammten Weg, der zur Straße hin führte, rückten die Templer langsam vor. Aus keinem der vereinzelten Schornsteine drang Rauch. Noch immer war es völlig still. Zwischen den Häusern regte sich nichts, weder ein Mensch noch ein Hund oder eine Katze. Die Brüder erreichten den Dorfplatz, und nachdem sie sich wortlos verteilt hatten, kamen bereits die Reiter zwischen den Häusern zurückgeritten. Auch sie hatten keine Spur von Leben finden können, geschweige denn einen Feind.

Stanislav und Petre wiesen sie Männer an abzusitzen und den anderen zu helfen, dann stiegen sie selbst von den Pferden und gingen zu ihrem Marschall hinüber. Baldric hatte seinen Schild inzwischen an den Brunnen gelehnt und den Streitkolben an einer Halterung an der Hüfte gehängt. Es war eine Sache, einen Schild unachtsam zu behandeln. Seine Waffe ließ kein Bruder unbeaufsichtigt.

»Jedes Haus, jeden Keller und jeden Dachboden«, rief er den Männern hinterher, »stellt alles auf den Kopf, ich will jeden Winkel untersucht haben.« In seiner Stimme schwang eine Schärfe mit, die von Enttäuschung zeugte. Das hier war mehr als unbefriedigend.

»Das ist so ziemlich das Letzte, was ich erwartet hatte«, sagte Stanislav, nachdem er sich zu ihm gesellt hatte. »Sieht aus wie jedes andere primitive Grenzdorf, nur ohne die Bewohner.«

»Und ohne Tiere«, knurrte Petre, »kein Hund, keine Katze, nicht einmal ein Huhn. Weder tot noch lebendig. Wenn hier nicht die paar Krähen von den Feldern wären, wäre es still wie in einem Grab.«

»Sind die Felder überprüft worden, oder sind die zu weit weg, um das auf die Schnelle zu erledigen?«, wollte Baldric wissen.

»Bin selbst kurz auf die südlichen Hügel da drüben geritten«, erwiderte Petre und deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung in besagte Richtung. »Von da aus kann man zumindest einen Teil überblicken. Sieht aus, als wäre die Ernte voll eingefahren worden, würde ich sagen, aber keine Ahnung, wie lange das her ist. War jedenfalls bevor alle Menschen und Tiere beschlossen haben, woanders hinzugehen.«

»Nur, dass es hier im Umkreis von vielen Landmeilen nichts gibt, wo man hingehen könnte«, warf Stanislav ein. »Unser anderes verlorenes Dorf ist die nächstgelegene Siedlung. Danach kommen etwa eine Reisewoche nach Süden und zwei nach Norden die nächsten Ortschaften. Im Westen sind wir, im Osten ist nichts.«

»Wir werden sehen, was die Brüder finden.« Baldrics Stimme war nun wieder ruhig und beherrscht. »Ich nehme an, die Suche nach Spuren im Umfeld ist wenig aussichtsreich bei diesem Wetter?«

»Leider richtig«, stimmte Petre mürrisch zu, »bis gestern hat es genieselt oder geregnet. Der Boden hier ist eine undefinierbare Matsche, die jetzt langsam gefriert. Hier hätte vor zwei Tagen ein Dutzend Wagen vorbeifahren können, ohne das wir heute etwas davon sehen würden.«

»Warten wir also, mehr bleibt uns ja nicht übrig«, nickte Baldric resigniert. Das taten sie, und so war ihre einzige Handlung in den nächsten Stunden, das Wasser des Brunnens zu untersuchen. Es sah aus, roch und schmeckte wie klares, sauberes Wasser. Es war ebenso gewöhnlich, wie der Rest des Dorfes es gewesen wäre, wenn nicht jede Spur von Leben darin gefehlt hätte. Es war bereits früher Nachmittag, als Baldric, Stanislav und Petre mit den Hauptleuten der einzelnen Lanzen auf dem Platz am Brunnen standen. Die Berichte gaben ein einheitliches Bild. Obgleich es nirgendwo Anzeichen für einen Kampf oder sonstige Gewalt gab, war dieser Ort vollkommen verlassen.

»In einigen Häusern haben wir in den Kesseln angebrannten Haferbrei gefunden«, berichtete Bruder Jornholm, ein bulliger Mann aus der Nordmark gerade. »Hat nur noch gefehlt, dass der Tisch gedeckt und das Essen noch warm war. Wie in diesen Spukgeschichten für kleine Kinder.«

»Meine Männer haben eine Bäckerei und ein angrenzendes Haus, das offenbar als Kornspeicher genutzt wurde, durchsucht«, fügte ein kleiner, vernarbter Mann namens Geowin hinzu. »Wie es aussieht, haben sie die Ernte kürzlich eingefahren. Ist nicht viel, was sie an Vorräten haben, hätte aber gereicht, um sie einigermaßen über den Winter zu bekommen.«

Die anderen murmelten zustimmend. Es war in jedem Haus das Gleiche gewesen. Keine Spur von Gewalt, keine Spur von Leben. Die Wörter Spuk und Kindergeschichten fielen noch ein oder zweimal. Baldric wartete, bis alle fertig waren. Der Marschall glaubte weder an das eine noch an das andere. Er bedauerte nur, keine Priester mitgenommen zu haben. Ein Priester mit der Gabe Gottes würde sicher mehr sehen, als sie es vermochten. Irgendetwas Übernatürliches musste am Werk sein, dessen war er sich sicher. Mit Logik ließ sich das, was sie hier vorfanden, nicht erklären. Es gab nichts, wohin die Menschen hätten gehen können. Es war unmöglich, ein Dorf ohne Spuren von Gewalt auszulöschen. So einfach war das. Alles, was darüber hinaus ging, war im Grunde Sache der Geistlichen.

Er spürte die Blicke der um ihn stehenden Männer ebenso ratlos wie erwartungsvoll auf sich ruhen.

»Wir haben hier getan, was wir konnten«, sagte er schließlich. »Ich kann mir den Zustand des Dorfes ebenso wenig erklären wie ihr. Mehr werden wir nicht herausfinden, und wenn wir noch ein paar Tage lang jeden Stein umdrehen. Ich würde diesen Ort sichern und Priester heranschaffen lassen. Dafür fehlt uns aber durch den Wintereinbruch die Zeit. Bis die hier wären«, er machte eine wegwerfende Bewegung mit seiner kettenbehandschuhten Linken und ließ den Satz unvollendet.

»Wir werden also zusehen, dass wir weiterkommen, und zwar schnell genug, dass wir zum Einbruch der Dunkelheit ein gutes Stück von hier weg sind. Nehmt die Hälfte von dem Öl aus dem Wagen und lasst die Flammen ihren Dienst tun. Achtet jeder auf den anderen, dass kein einziger Gegenstand von hier mitgenommen wird. Das Feuer wird diesen Ort reinigen. Beeilt euch, damit wir noch ein gutes Stück Straße schaffen, aber arbeitet sorgfältig. Noch jemand etwas zu sagen?«

Es folgte ein synchrones Kopfschütteln der angesprochenen Männer. Ein Ausdruck von Erleichterung zeigte sich auf jedem Gesicht. Sie alle wollten diesen Ort so schnell wie möglich hinter sich lassen.

»Dann auf, Brüder«, sagte Baldric, nickte ihnen noch einmal zu und setzte sich in Richtung der Wagen in Bewegung. Sie hätten noch einen Tag lang das Umland absuchen können, um vielleicht auf den umliegenden Feldern oder den darauf befindlichen Scheunen etwas zu finden. Nach dem, was sie im Dorf vorgefunden hatten, sah Baldric ein solches Vorgehen allerdings als Zeitverschwendung an. Das Feuer würde der letzte Dienst sein, den sie an diesem Ort leisteten. Es war seit jeher das heilige Werkzeug des Lichtbringers. Symbolisch wie praktisch war es die beste Möglichkeit, um unsaubere Dinge zu säubern oder Licht in die Dunkelheit zu bringen. Es verrichtete seine Arbeit stets zuverlässig, ob an Seele und Fleisch eines Ketzers, einem durch Übernatürliches besudelten Dorf oder andern unreinen Orten und Dingen. Eben solchen, wie dieser hier einer zu sein schien.

Als die Ordensbrüder am späten Nachmittag abzogen, brannten die Häuser hinter ihnen lichterloh.

Keine Woche später stand Baldric erneut auf einem verlassenen Dorfplatz. Der Boden war steinhart gefroren und eine halbe Hand breit mit Schnee bedeckt. In den frühen Morgenstunden des gestrigen Tages hatte es stärker zu schneien begonnen. Die Flocken waren dicker geworden und in einem immer dichter werdenden Vorhang vom Himmel gefallen. Der Winter war da und würde das Land auf Monate in seinen eisigen Klauen halten.

Um Baldric herum durchsuchten die Brüder ein Haus nach dem anderen. Sie kehrten das Unterste zu oberst und vergaßen keinen Keller oder Speicher. Harnische oder andere schwere Panzerung trug niemand mehr. Das zweite Dorf, das den bezeichnenden Namen Ödbruch trug, bestand aus knapp siebzig Gebäuden. Diese reihten sich zur Linken und Rechten der Straße, die Äcker lagen hier direkt hinter den Wohnstätten der Menschen. Auf einigen war noch gut die Hälfte der spärlichen Ernte verblieben, andere waren größtenteils abgeerntet, alle waren verlassen. Ebenso verlassen und bar jeder Spur menschlichen oder tierischen Lebens wie der ganze Ort. Baldric lehnte sich an den Dorfbrunnen, der höher und besser gearbeitet war als der im vorherigen Ort.

Er ließ seinen kalten, eisblauen Blick über sie Szenerie schweifen. Sein Gesicht war beherrscht und verschlossen. Die tiefe Frustration, die in ihm fraß, sahen ihm nicht einmal Petre und Stanislav an. Für den Marschall war der Verlauf dieser Expedition in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend. Zwar würde er die Sache ohne auch nur einen einzigen Verletzten melden zu müssen abschließen, doch war das Ergebnis mehr als enttäuschend. Natürlich war das nicht sein Verschulden oder das seiner Männer, aber es ärgerte ihn dennoch. Es gab jedoch etwas, dass schwerer wog, langsam gefährlich werden konnte und nur ihn allein betraf. Es war dieser innere, ständig wachsende Druck, der ihm Sorgen bereitete. Der Dämon in seiner Seele wollte gefüttert werden und das erhoffte Blutvergießen war ausgeblieben.

Baldric spürte, wie Leere und Unruhe in seinem Inneren immer stärker wurden, und wusste, dass er bald etwas dagegen würde unternehmen müssen. Es würde zehn bis vierzehn Tage dauern, bis sie wieder in Moorwacht waren. Aufgrund des heftigen Wintereinbruches war die Strecke unmöglich schneller zurückzulegen. Dann würde er sich irgendwo in den umliegenden Orten ein Mädchen besorgen müssen. Ein derartiges Unterfangen war um diese Jahreszeit ungleich gefährlicher als im Frühling oder Sommer. Außerdem schmeckte es nach persönlichem Versagen, hatte er doch fest damit gerechnet, dass diese kleine Exkursion hier ihm bis zum nächsten Jahr Ruhe bringen würde.

Er konnte nur auf einen baldigen Erfolg bei der unfreiwilligen Jagd hoffen. Und darauf, dass es dann bis zum Frühling vorhielt. Die Hoffnung, sich auf der Expedition durch ein kleines Blutbad Erleichterung verschaffen zu können, hatte sich nicht erfüllt. Manchmal genügte es schon, ein paar Gegner zu töten, um den Dämon für eine Weile zum Schweigen zu bringen. Es war nicht in erster Linie der sexuelle Aspekt, den er zu befriedigen versuchte, wenn er ein Mädchen fing.

Бесплатный фрагмент закончился.

287,34 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
550 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783738030112
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают