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Читать книгу: «Seelenrätsel», страница 8

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V

Isabella war es sehr angenehm, daß der arme Schullehrer von Ibstein, den sie auf das Schloß bestellt, schon heute bei ihr vorsprach, gerade, als Frau von Pork das Schloß verlassen hatte. So konnte sie sich doch über die quälenden Minuten durch das Gespräch mit dem armen Mann hinweghelfen. Sie saß mit ihm auf dem roten Sammetdivan, er, im allzuengen schwarzen Rock, die Knie zusammengedrückt, den Hut in der Hand, sah zu Boden; sie, in ein nachlässiges, aber sehr reizendes Gewand gehüllt, blickte während des Gesprächs unaufhörlich durch das Fenster, ob auf dem Waldpfad noch nicht Frau von Porks grüner Sonnenschirm zu sehen sei. Von der nervösen Ungeduld, die auf den Wangen, in den Augen der Harrenden glühte, gewahrte der arme Schullehrer nichts, dem der purpurne Sammt, die vergoldeten Rokokomöbel, die farbigen Tapeten nebst der bemalten Decke des Zimmers viel zu sehr imponierten, als daß er seinen durcheinandereilenden Gedanken erlaubt, sich auf seine hohe Gönnerin zu konzentrieren. Mit einer in Demut ersterbenden Miene legte er vorsichtig das rot eingebundene, dünne Büchelchen, das er in Händen hielt auf den Tisch und liebäugelte mit dessen Goldschnitt.

»Daß Sie mir Ihre Gedichte gewidmet, Herr Schwalbe,« sagte Isabella, »ist sehr schön von Ihnen; ich werde sie lesen, gewiß! Ach! in diesen Wäldern wird man ja gezwungen, zum Poeten zu werden. Nicht wahr?«

Der Schullehrer nickte bestätigend, sein ihm in jeder Hinsicht teures Büchlein vom Tisch nehmend.

»Es sind die Erzeugnisse meiner Mußestunden,« sagte er affektiert, »wenn mich meine Rangen verlassen haben, gebe ich mich der Einsamkeit hin unter Gottes blauem Himmelsdach. Diese Gedichte wurden auch im »Odenwälder Boten« recht günstig kritisiert, besonders lobte man die Gesinnung, den Patriotismus.«

»Ei, so, das ist schön,« warf Isabella zerstreut dazwischen.

»Leider ist der Geschmack des Publikums heute derart,« begann Herr Schwalbe aufs neue, »daß solchʼ harmlose Erzeugnisse nicht von Jedermann gewürdigt werden.«

»Leider ja,« sagte Isabella.

»Erlauben Sie, gnädige Gräfin,« stotterte der errötende Poet, »daß ich Ihnen die Widmungsverse vorlese?«

»Gewiß, gewiß,« sagte die Gräfin, sich zurücklehnend, als könne sie in dieser Stellung den Duft der Verse besser einschlürfen, in Wahrheit aber beugte sie den Kopf nur deshalb in die schwellenden Sammetkissen zurück, um den bewußten Waldpfad besser übersehen zu können. Der Poet begann mit näselnder Stimme seinen Vortrag, geriet dann allmälig in Feuer und betonte ganz besonders jene Stelle seiner »Widmung« die eine Anspielung darauf enthielt, daß er diese seine Geisteskinder auf eigene Kosten mußte drucken lassen, um sie der Nachwelt zu überliefern. Leider verfehlte er seinen Zweck, die Gräfin hatte offenbar die Anspielung nicht verstanden; sie blickte, ein höfliches Lächeln auf den Lippen, zum Fenster hinaus und ließ zuweilen ein: ach! oder oh! hören, welchem Ausruf nicht anzumerken war, ob er Bewunderung oder Langweile andeutete. Nicht gewohnt zu heucheln, erklärte sie dem Vorleser, sie habe, offen herausgesagt, das Gedicht nicht völlig verstanden, wenn sie es selbst lese, würde sie ja wohl besser in den Inhalt dringen. Indes unterhielt sie sich mit dem armen Schullehrer länger, als es der gute Ton eigentlich zuließ und ergötzte sich zuweilen an der philiströsen Kriecherei, mit welcher der junge Mann seine Antworten erteilte. Um ja keinen Zweifel über seine Gesinnungen zu lassen, flocht dies junge Genie unaufhörlich Worte wie: Vaterlandsliebe, Bismarck, nichtswürdiger Sozialismus in seine Reden, natürlich mit der versteckten Absicht, er werde allerlei materielle Vorteile aus diesen seinen Idealen ziehen. Isabella ließ ihn gerne schwatzen, ihr kam es nur darauf an, sich zu zerstreuen, zu übertäuben und Herr Schwalbe war ein nicht ganz uninteressantes Zerstreuungsmittel. Sie versprach ihm, zur Verbesserung seiner Lage etwas beitragen zu wollen und ließ ihn noch mehrere seiner Gedichte vortragen, wobei ihr nur einmal das kleine Mißgeschick passierte, daß sie an einer durchaus ernst gemeinten Stelle in ein lautes Gelächter ausbrach.

Nachdem sich der Schulmeister empfohlen, sandte sie ihm noch durch einen der Bedienten eine ansehnliche Geldsumme nach. Dann stand sie längere Zeit am Fenster, die Stirn an die kühlende Scheibe gepreßt, die sich nun mit einem feinen Regen betaute. Im Kamin schnurrte das Feuer, eine schöne, weiße Angorakatze drückte sich am Kleide der Gräfin hin, die Kralle aus dem weichen, grünen Fußteppich hebend. Eigentlich fühlte sich die Gräfin trotz der fieberhaften Erregung in gehobener, beinahe heiterer Stimmung. War sie doch ihrer Sache so gewiß, war sie sich noch einer zwar unerhörten, aber auch mutigen That bewußt, einer That, der ein Unbeteiligter vielleicht sogar seine Bewunderung nicht versagen konnte. Ja, sie war eitel auf diese That, sie fühlte sich in ihren eigenen Augen durch dieselbe gehoben. So versetzte sie sich mit echt weiblicher Phantasie ins Mittelalter zurück, in welchem die Kühnheit die Standesvorurteile zu durchbrechen, oft mit dem Leben gebüßt werden mußte und betrachtete sich im Lichte einer jener poetischen Königstöchter, die vom Turme herab den Schäfer liebgewannen. Sollte sie vielleicht in der Schloßkapelle niederknieen, Gott im Gebet bestürmen? Sie wußte indes nicht, wie sie es mit Gott halten sollte und ob er sie, die so lange nicht mehr zu ihm gebetet, erhören würde. Es waren ihr vor einigen Monaten allerhand freigeistige Bücher in die Hände gefallen, die sie heimlich, ohne der strenggläubigen Frau von Pork etwas davon zu sagen, verschlungen. Seit dieser Zeit hatte sich ihr Charakter entschieden ein wenig vertieft, sie dachte zuweilen über die höchsten Dinge nach, konnte sich jedoch nicht von dem alten, guten Freund ihrer Kinderjahre, dem lieben Gott, lossagen. Nein! sie wollte hier im Zimmer bleiben, nicht beten, denken.

Wohl mochte sie dunkel ahnen, daß ihre Leidenschaft nicht aus dem Geiste allein ihre Nahrung sog, daß auch die Sinne zu ihrer Entstehung beitrugen, sie schürten, ja, daß das wilde, heiße Blut, das sie von der Mutter geerbt und das ihre Erziehung nicht zu zügeln vermocht, daß die ungestümen Forderungen dieses Bluts vielleicht die Triebfeder ihrer That gewesen, aber sobald sie die Gestalt Eduards ihren Sinnen näher brachte, mit dem Zauber ihrer Phantasie schmückte, veredelte eine milde Schamhaftigkeit, eine weiche Seelenhingabe alle diese Regungen. Die Glut ihrer Sinne mischte sich mit der Glut ihrer Seele auf eine so innige Art, daß man nicht sagen konnte, ob die Sinne oder die Seele jene gewagte That herbeigeführt, nur dürfte man gestehen, daß vielleicht die Sinne den ersten Anstoß gegeben und den Plan bis zu jenem Äußersten getrieben hatten, zu welchem die Regung der Seele allein es schwerlich würde getrieben haben. Und wer kann für seine ihm von der Natur verliehenen Neigungen. Wer kann für seine ersten Jugendeindrücke, für seine Erziehung? Auch fühlte das Mädchen, daß sie nicht tadelnswert war, sie hielt sich durchaus für berechtigt zu handeln wie sie handelte, und wollte ein Moralist etwa ihren Charakter einen verdorbenen nennen, so zeigte dieser Charakter eine so naive Verdorbenheit, daß er dicht an die vollkommenste Unschuld grenzte. Wie malte sie sich das Zusammenleben mit dem Geliebten aus, wie wollte sie seinen Unmuth in Fröhlichkeit verwandeln, wie ihm dienen und doch auch ein wenig seine Herrin sein. Und welchʼ ein Triumph, diesen kalten Menschen zerschmelzen zu sehen in Liebe, den harten Spötter weich zu sehen. Und wenn er küßte, wie mußte das sein? Verlegen hatte sie ihn einmal gesehen – sie versenkte sich zuweilen wonnetrunken in diesen Anblick; aber zärtlich möchte sie ihn auch einmal sehen, konnte er doch so väterlich herzlich mit dem kleinen Ludwig verkehren; gewiß, die Liebe eines solchen Menschen zu besitzen, war ein Hohes, Heiliges, Wunderbares. Und mußte nicht jetzt die Nachricht eintreffen, daß sie diese Liebe besaß? Wie beneidete sie den kleinen Ludwig um die Zärtlichkeitsbeweise Eduards, und als ihr heute morgen der Knabe im Wald begegnet war, hatte sie kaum gewagt, ihn nach Eduard auszufragen. Der Knabe beobachtete sie so mißtrauisch, so schweigselig, so verstockt, bis sie ihn geküßt, so herzlich, wie sie bis jetzt Niemand geküßt, denn es war ihr gewesen, als hasche sie von Ludwigs Wange einen Kuß, den Eduard dort zurückgelassen. Als sie den Knaben gefragt, ob er sie gern habe, erwiderte der Kleine:

»Ja, wenn Dich Eduard gern hat, sonst nicht.«

In ihrer weiblichen Kurzsichtigkeit machte sie sich nicht die entfernteste Vorstellung davon, wie dieser gewaltsame Schritt etwa von dem geliebten Mann ausgelegt werden könne, was er von ihr denken werde, ob er, selbst wenn er sie liebte, auf ein solches Wagnis eingehen werde, sie sah in ihrer Leidenschaftlichkeit nur das Nächstliegende. Und liebte er sie denn? Sie zweifelte nicht, ihre halb nachlässige, halb klösterlich – romantisch abgeschlossene Erziehung hatte jene Selbsttäuschung begünstigt, vermöge deren unerfahrene, warmherzige Personen glauben, was sich in ihrem Innern vollzöge, müsse sich mit Notwendigkeit auch in dem Innern Anderer vollziehen. Sie hätte es kaum begriffen, wenn man ihr erklärt hätte, Dieser oder Jener empfände durchaus anders als sie. Dazu kam das Hastige, Entschiedene, Zufahrende ihres Wesens, das einen Zustand nicht lange im Zweifelhaften, im Schwankenden lassen konnte. Trotzdem nötigten sie jetzt Momente der Niedergeschlagenheit zu irgend einer zerstreuenden Beschäftigung zu greifen. Manchmal fiel es wie ein Regenschauer auf sie herab, sie fühlte sich unstät, beklommen, ohne zu wissen warum, ein Frösteln überlief sie, das sich gegen die Herzgegend hin bis zum Schmerz verstärkte! Wäre sie vielleicht doch allzu kühn gewesen? Welchʼ schauderhafter Gedanke! Nein! Nein! Das sollte nicht. Sie öffnete ihre Zeichenmappe, legte eine angefangene Landschaft heraus und begann zu zeichnen. Bald darauf bemerkte sie, daß ihren zitternden Fingern die Linien nicht gelingen wollten, sie ließ sich ihren Farbenkasten nebst Wasserbecher bringen und begann zu aquarellieren. Das ging schon besser. Manchmal legte sie den Pinsel weg und sah traurig vor sich nieder, das kaum bezwungene Frösteln kehrte wieder, dann hätte sie wieder lachen können, so fröhlich war es ihr ums Herz.

Frau von Pork könnte zurück sein, dachte sie, der Weg ist nicht weit. O Gott! mein Leben hängt an einem Wort, an einem Accent – wie mag sich Frau von Pork ausgedrückt haben! Wenn sie nur die passenden Worte gewählt. Zwar wird er mich verstehen, daran zweifle ich nicht, aber dennoch könnte ein einziger falsch gewählter Ausdruck zu den traurigsten Irrtümern Veranlassung geben. Wie qualvoll, sich auf Andere verlassen zu müssen. Nun bildete sie selbst eine Anrede, schrieb sie sogar auf, war unzufrieden mit derselben und suchte sich als dann die einzelnen Worte der Gesellschafterin, die Gesichtszüge Eduards, während er diese Worte anhörte, so lebhaft vorzustellen, daß ihr der Kopf zu schmerzen begann und daß es ihr war, als brenne ihr Gehirn. Sie stützte den Kopf in die kalte Hand, schloß die Augen und verbot sich gewaltsam dergleichen Phantasieen nachzuhängen. Unmöglich. Da war eine Gewalt, eine folternde Macht, die nicht abließ. Immer wieder vergegenwärtigte sie sich die ganze Scene bis in die Einzelheiten, kam jedoch damit nicht weiter, sondern fühlte, wie diese Vorstellungen den drückenden Schmerz vor der Stirne zwischen den Augen steigerten. In der That, als jetzt der Diener eintrat, den Herrn von Brunau anzumelden, zog sie das kleinere von zwei Übeln vor und hieß den Baron sogleich willkommen, um nur dieser beängstigenden Gehirnmarter zu entgehen. Isabella bemerkte, als sich der langbärtige, vornehm blickende Mann nach kurzer Begrüßung im Fauteuil niederließ, daß ihr Besuch sich heute in einem nicht gewöhnlichen Erregungszustande befand. Erst hielt sie es für möglich, er habe der Flasche ein wenig zu reichlich zugesprochen, dann, als er über ihre künstlerische Thätigkeit einige gerade nicht von Weinlaune zeugenden Bemerkungen machte, verwarf sie diese Annahme, schöpfte indes Verdacht, er habe Kenntnis von dem durch Frau von Pork ins Werk gesetzten Verbrechen gegen die Gesellschaft erhalten, bis sie schließlich an unzweideutigen Äußerungen merkte, daß der Baron die jetzige Stunde dazu ersehen, ihr in aller Form einen Heiratsantrag zu machen, oder vielmehr dem bereits in der Residenz leise angedeuteten Antrag hier in Ibstein die letzte Weihe zu geben. Kaum hatte sie dies bemerkt, als ein Trotzgefühl in ihr aufstieg, heftiger, als sie es damals empfunden in der Residenz, da der Baron am Abend nach dem Hofball absichtlich mit ihr allein gelassen wurde und sie ihn nicht zu Worte kommen ließ. Sie malte ruhig weiter, ihre heftigen Atemzüge unterdrückend, während der Baron seine rechte Hand, auf deren Schönheit er sehr stolz war und die ihm in gewissen Kreisen zu manchem Siege verholfen, nachlässig auf den Tisch legte, um sie gebührend würdigen zu lassen, oder sie vielmehr als eine Art Angelhaken auszuwerfen. Da diese Operation ebensowenig fruchtete, als das Aufsetzen des Augenglases, durch welches er des Mädchens Reize unverwandt bewunderte, zog er endlich, da Isabella noch immer vorzog, zu schweigen, langsam einen Brief aus dem Portefeuil, denselben Isabella anbietend mit den Worten:

Gnädigste Gräfin, von Ihrem Herrn Vater, dem Grafen —«

Die Gräfin nahm widerwillig den Brief, überflog ihn und legte ihn, von ihrem Besucher aufs Eifrigste beobachtet, bei Seite.

»Nun, gnädiges Fräulein,« sagte der Intendant erregt, »darf ich mir erlauben, nachdem Ihr Vater so deutlich gesprochen, nach Ihrer Meinung zu fragen?«

Die Angeredete schwieg verstimmt.

»Sagen Sie mir aufrichtig, Herr von Brunau,« entgegnete sie nach einer Pause, ihrem Gegenüber stark und offen ins Auge schauend, »sagen Sie mir: ist es Liebe, die Sie so eifrig um meine Hand werben läßt, ist es Liebe?«

»Gnädiges Fräulein, darum handelt es sich nicht —«

»Ich bitte, geben Sie mir Antwort auf meine Frage, mein Herr —«

»Liebe!« lächelte der Baron ironisch, »was ist Liebe? Wissen Sie das vielleicht?«

»Ja,« fiel sie ihm ins Wort, »ja, mein Herr, ich weiß es!«

»So! Nun, dann sind Sie weiser, Gräfin, als die größten Weisen aller Zeiten,« entgegnete Herr von Brunau, »denn bis jetzt ist der Begriff ›Liebe‹ ein noch gänzlich undefinierbarer gewesen. Sehen Sie! ich finde Sie reizend, liebenswürdig, pikant, genügt Ihnen das nicht? Was verlangen Sie mehr? Soll ich Verse machen? Soll ich bei Mondschein im Walde umherirren? Und muß man, um eine Ehe einzugehen, denn immer den Kopf verloren haben? Muß man, um verträglich neben einander herzuleben, absolut vorher in einem Wahne gelebt haben, der, ach! wie so rasch zerstört wird? Wozu das, wenn alle Teile einig sind? Ich dächte, es wäre genug, wenn gegenseitiger Vorteil die Herzen bindet. Ich sage Vorteil! Denn machen wir uns doch keine Illusionen; der Vorteil regiert die Ideale.«

»Also Sie gestehen – und das ist sehr schön von Ihnen – gestehen mir offen, daß Sie nicht Liebe mit solcher Zähigkeit um meine Hand werben läßt,« sagte Isabella, den Pinsel in das Wasser tauchend.

»Liebe, immer Liebe! Gräfin, mein Gott ja! Wenn Sie wollen – gut – ich – ich liebe Sie!« sagte der Baron und fuhr, als Isabella finster ihr Gesicht abwandte, im Tone zärtlichen Vorwurfs fort:

»Ist Ihnen denn der Wille Ihres Vaters nicht beachtenswert?«

»Lassen Sie meinen Vater aus dem Spiel, Baron,« erwiderte die Gräfin, das abgewandte Gesicht rasch umkehrend, »mein Vater ist ein alter, schwacher Mann, den Sie beeinflussen —«

»Aber ich bitte, Gräfin – das ist stark,« stieß der Intendant hervor, »beeinflussen? wenn man zuweilen Ratschläge erteilt?«

»Ich weiß Alles,« unterbrach ihn das Mädchen, lebhaft errötend, »weil eine Verbindung von höchster Stelle herab gewünscht wird zwischen uns Beiden, läßt sich mein armer Vater verblenden, weil Sie in dieser Verbindung gewisse Vorteile erblicken, halten Sie so zähe an Ihrem Vorhaben fest. Wollen Sie dies leugnen?« Sie sah dem Intendanten, der mit seinem Augenglas spielte, ernst in das nachlässige, verlebte Angesicht. Er zupfte an den Spitzen seines Bartes und ließ jenes nervöse Augenzucken sehen, das sein sonst so vornehmes Antlitz entstellte.

»Gut, ich leugne nicht,« sagte er achselzuckend.

»Und so will ich auch Ihnen gegenüber die Wahrheit sagen,« fuhr Isabella mit steigernder Erregung fort, »ich bleibe Herrin meiner Handlungen, ich stehe Niemandem das Recht zu, sich zum Lenker meines Schicksals aufzuwerfen. Selbst mein Vater besitzt dies Recht nicht, so sehr ich ihn achte und liebe – und damit Sie Alles wissen, Baron, denn man soll mir nicht nachsagen, ich sei Schleichwege gegangen. . . . .«

Sie hielt inne, als wollte sie sich besinnen, ob es auch klug sei, diesem raffinierten Höfling gegenüber Offenheit an den Tag zu legen. Ungewiß, mit halb geöffneten Lippen sah sie ihn an: er verbarg seine Neugier, putzte die Gläser seiner Lorgnette und nur das immer heftiger werdende Zucken jener gelblichen Augenfalte verriet, daß seine Seele in ungewöhnliche Spannung versetzt war.

»Nun?« frug er lächelnd; »ein Geständnis? Wie?«

»Ja, ein Geständnis,« fuhr sie entschlossen fort, »ich verheimliche es nicht, alle Welt mag es wissen, und wenn ich mich kompromittiere, was geht es die Leute an —«

»O, so schlimm wird es wol doch nicht sein,« lachte der Baron heiser mit erkünstelter Gutmütigkeit.

»Einerlei, ob schlimm, ob nicht schlimm,« sagte sie ruhig. »Damit Sie Alles wissen – mein Herz gehört bereits einem anderen.«

Sie hielt erschrocken inne; ein hämischer, heimtückischer Blick aus des Barons blasiertem Auge hatte sie gestreift.

»Einem andern,« sagte er leichthin mit geringem Anflug von Hohn, »sieh da! sieh da! Und was wird Ihr Herr Vater, der Graf zu jenem anderen sagen!«

»Mein Vater wird mich verstehen, wenn ich mich ihm erkläre, mein Vater hängt zu sehr an seiner Tochter, um ihren Bitten länger widerstehen zu können.«

»Ei? Gewiß?« schmunzelte Herr von Brunau.

»Ja, gewiß!«

»Und darf man fragen, welchem hohen Adelsgeschlechte dieser andre, den Sie ohne Wissen des Grafen bevorzugen, seine Abstammung verdankt?«

Isabella biß sich auf die erbleichenden Lippen: aus der hämischen Art, mit der der Baron diese Worte betonte, ging hervor, daß er ahnte, oder gar wußte, wer sein bevorzugter Rivale sei.

»Ich errate vieles, gnädiges Fräulein, besteht sein Wappen vielleicht aus einer Palette?« frug er sarkastisch lächelnd weiter? »Bestehen seine Besitzungen aus unbezahlten Rechnungen, aus unvollendeten Landschaften? Wie?«

Isabella, die anfangs, getroffen von diesen unbarmherzigen Worten, die ihr so grell das Unerhörte ihrer Neigung vorhielten, zusammenzuckte, zitterte nun vor verhaltener Entrüstung. Ihr Gesicht nahm einen wegwerfenden Ausdruck an.

»Ach, Baron,« sagte sie, ein gezwungenes, beinahe wildes Lachen ausstoßend, »sprechen Sie doch nicht von unbezahlten Rechnungen! Das war ein dummer Vergleich!«

Herr von Brunau, der fühlte, daß er sich verplappert, warf einen fast entsetzten Blick auf die Sprecherin, dann sagte er möglichst gelassen:

»Gnädiges Fräulein, wenn zwei dasselbe thun – wissen Sie? – ist es nicht dasselbe, es ist etwas Verschiedenes, ob ein Baron, oder ein armer Maler Schulden macht.«

»Gewiß, ich bin derselben Meinung,« rief Isabella mit zornfunkelnden Augen, den Pinsel in die Farben stoßend. »Die Verschiedenheit liegt nur darin, daß Ihre kleinen Ausstände erst dann berichtigt werden können, wenn Sie in den Besitz einer gewissen Hand gelangt sein werden.«

Hierauf entstand eine schwüle Pause. Der Baron wäre vielleicht errötet, wenn dies seine verlebten Züge zugelassen. Er spielte immer nervöser mit seinem Glas und schlug den Blick zu Boden. Allmälig gewann er seine Fassung zurück.

»Verzeihen Sie, Gräfin,« lenkte er ab, »ich bin von der Sachlage, wie Sie sehen, sehr wohl unterrichtet; ich habe treffliche Spione unter meinen Bedienten und die Leute im Forsthause sind nicht dazu eingerichtet, Geheimnisse zu bewahren. Auch eigne Beobachtung ließ mich manches erkennen. Ihr Charakter entschuldigt in gewissem Sinne dergleichen Ausschreitungen, dennoch muß ich behaupten, eine solchʼ unsinnige Leidenschaft kann nur dem Gehirn einer Verwahrlosten entspringen.

»Gut,« entgegnete Isabella, »mit einer Verwahrlosten werden Sie keine Ehe zu schließen gedenken, geben Sie es also auf, um meine Hand zu werben, giebt es doch noch einige reiche Adelsfamilien in unserm Fürstentum, die sich vielleicht dazu hergeben, um die Gunst des Fürsten zu erlangen, Ihre Schulden zu bezahlen.«

»Gräfin, Sie wissen nicht, was Sie reden —« fuhr der Baron auf.

»Ich bin mir der Tragweite meiner Worte wohl bewußt,« sagte das Mädchen mit erkünstelter Ruhe, »ich setze hinzu, daß ich den Mann ver— ja verachten würde, der niedrigen Vorteils halber um die Hand eines Mädchens wirbt, die er nicht liebt, die er – eine Verwahrloste nannte —«

»So – so verachten Sie mich, Gräfin,« brachte der Baron mühsam keuchend hervor.

»Wie könnte es anders sein,« sagte Isabella leise, als fürchte sie zu weit zu gehen.

»Gräfin – bei Gott! das ist Wahnsinn! Verachten? mich?«

»Sollte ich Sie etwa achten?« sagte sie kalt, »oder nein! vielleicht verachte ich Sie nicht – vielleicht sind Sie mir zu gleichgültig, um Sie verachten zu können!«

»Wissen Sie, Gräfin, was ich – wären Sie ein Mann! jetzt thun müßte —« knirschte er die Faust hebend, »wissen Sie das vielleicht?«

Isabella sah den Bebenden ruhig an und obgleich sie sich vor seinem Wutausbruch zu fürchten begann, sagte sie ruhig: »Baron, so gefallen Sie mir, jetzt zeigen Sie sich in Ihrer wahren Gestalt! Freilich, besser sehen Sie ohne die Larve der Höflichkeit gerade nicht aus.«

»Das ist zu weit gegangen,« flüsterte er, »darf ich mir dergleichen gefallen lassen?« Wiederum entstand eine Pause, während welcher man die unterdrückten Atemzüge des Beleidigten sich allmälig beruhigen hörte. Dann, ein Lächeln erkünstelnd, suchte er einzulenken, da es ihm aus gewissen Gründen geratener schien, das aufgebrachte Mädchen milder zu stimmen, womöglich zu versöhnen. Isabella, der es darauf ankam, den Baron in eine Lage zu bringen, durch die er gezwungen würde, von seiner Bewerbung abzustehen, ging auf diese Versöhnungsversuche nicht ein. Er jedoch durchschaute ihren Kriegsplan und lächelte überlegen zu allem, was sie Beleidigendes sagte.

»Der Ausdruck, eine Verwahrloste,« sagte er höflich, »war ein wenig zu bestimmt, Gräfin, ich nehme ihn zurück und nenne Ihre Leidenschaft eine unverantwortliche. Bedenken Sie doch! Wen erhalten Sie zum Schwiegervater? Entsetzlich! Einen alten Förster! Um Gottes willen, thun Sie das Ihrem Vater nicht an! Das ist ja ein Unglück für Ihr Haus. Bedenken Sie doch! einen armen Maler zum Ehemann! Sehen Sie denn nicht ein, daß dies Wahnsinn ist? Thatsächlich Wahnsinn. Ich, von meiner Seite verzeihe Ihnen diese kuriose Neigung – aber Ihr Vater! Übrigens dürfen Sie mir sagen, was Sie wollen – beleidigen können Sie mich nie. Verstehen Sie? – Sehen Sie – wir sprachen soeben von Liebe – sehen Sie, wie hoch meine Liebe über Alles erhaben ist.«

»Würden Sie in der That ein Mädchen heiraten, das Sie verachtet?« frug Isabella.

»Und warum nicht?« erwiderte er näher rückend, »die Verachtung eines Weibes, das wir lieben, ist nichts als ein pikantes Reizmittel. Auch würde ich gewiß Gelegenheit finden, diese Verachtung in Achtung zu verwandeln. Die Verachtung eines Weibes! Pah! ein Weib hat gar nicht das Recht, zu verachten. —«

Da er, eine würdevolle Miene annehmend, schwieg, als habe er nun den Speer in die Feinde geschleudert und erwarte eine lebhafte Verteidigung, suchte Isabella ihn um die schönen Phrasen zu bringen, die er noch in Bereitschaft haben mochte.

»Es steht Ihnen frei, von mir zu denken, wie Sie wollen,« entgegnete sie gleichmütig, sich zurückbeugend und durch das Fenster den bewußten Waldpfad überblickend, »auch fällt es mir nicht ein, meine unverantwortliche That —« sie hatte, wie im Halbschlaf geredet, plötzlich hielt sie inne, erbleichte und schloß die Augen. Herr von Brunau erhob sich.

»Wird Ihnen unwohl, Gräfin?« frug er bestürzt.

Sie hauchte: »Nein, nein!« und indem sie eine abwehrende Handbewegung machte, fiel des Barons Blick durch das Fenster, wo er auf jenem Waldpfad Frau von Pork in eiligen Schritten auf das Schloß zugehen sah. Er murmelte etwas, das wie: »istʼs möglich!« klang, in den Bart, betrachtete zweifelhaft die erbleichende, zitternde Isabella, betrachtete durch sein Glas die bestürzten Gesichtszüge der Frau von Pork und stammelte eine Entschuldigung, er müsse gehen.

»Ich muß gehen,« sagte er aufgeregt in theatralischem Ton. »Doch zuvor noch eine Erklärung. Sie waren offen gegen mich, Gräfin. Wohlan, Offenheit gegen Offenheit. Ich erkläre hiermit, daß ich den Anspruch, den ich auf Ihr Herz durch den Willen ihres Vaters besitze, unter keiner Bedingung aufgeben werde, daß ich jedes Mittel versuchen werde mein Ziel zu erreichen, Sie von diesem Wahnsinn zu heilen, Ihrem Vater ein Unglück zu ersparen. – Ich stelle mich in die Reihen Ihrer Feinde, weil ich Ihr Freund sein möchte. Vor allem mache ich kein Hehl daraus, daß ich selbst vor Gewaltmaßregeln nicht zurückscheue!«

Die Gräfin sammelte sich und bat ihn zu bleiben, er jedoch griff nach seinem Hut, lächelte, ein höchst tückisches Lächeln, das sich vergeblich bemühte, verbindlich zu sein und empfahl sich mit der Würde eines Mannes, der seine Pflicht gethan.

»Mag er alles errathen,« dachte Isabella in ihrer unbesonnenen kurzsichtigen Weise, »was kann er mir anhaben —« und kaum war sie, ohne weiter an den Baron zu denken auf den Vorplatz geeilt, als ihr schon Frau von Pork die Treppe herauf entgegen keuchte. Der Anblick dieser armen Frau war in der That ein bedauernswerter. Isabella sprach kein Wort, als sie in das schmerzliche, von unterdrückten Thränen gewissermaßen geschwollene Gesicht der Freundin blickte, sondern ergriff sie mitleidig bei der Hand, küßte sie auf die Stirne und zog sie in das Gemach. Gerade als sie die Thüre schließen wollte, war es ihr, als vernehme sie schlürfende Schritte auf der Treppe, doch in ihrer Ungeduld achtete sie nicht hierauf, sondern drückte mittelst eines heftigen Stoßes die Thüre bei, die sich in den Fußteppich verwickelte.

»Du mein Gott!« weiter brachte die gute Frau von Pork anfänglich nichts hervor. Sie war, von einer lähmungsartigen Schwäche befallen, in einen Sessel gesunken, hatte den Schirm, das Taschentuch, die Handschuhe, kurz alles, was nicht an ihr befestigt, zu Boden fallen lassen, und warf einen thränenschweren Blick zu Isabella hinüber, die am Fenster stand und gerührt lächelnd, ihre Erwartung zügelnd, nach Worten suchte, keine fand und nur manchmal ihrer guten Mutter herzlich zunickte, als wollte sie sagen; »Du kannst ja nichts dafür!« Endlich ermannte sich die alte Frau und flüsterte, ihre Hutbänder lösend: »Jetzt erst komme ich zu Sinnen! welches Wagnis! Du mein Gott, was habe ich gethan! Machen Sie sich auf eine seltsame Erwiderung gefaßt!« Immer noch nickte Isabella zu ihr hinüber und wollte ein paar tröstende Worte an die Verstörte richten, als ein leises eigentümliches Geräusch, das vom Korridor inʼs Zimmer drang, an ihr Ohr schlug. Nun wieder!

Horch! knarrte nicht die Thüre! Was sollte das bedeuten? Die feinsinnige, nervöse Isabella vernahm den Ton und begriff sofort. Er lauschte, der sich eben erst scheinbar entfernt, gewiß stand er draußen vor dem Zimmer. Auf einmal huschte ein fast dämonischer Ausdruck über ihre schönen Züge, ihr Auge starrte wild nach der Thüre, die sie beim Eintreten nicht völlig geschlossen und die sich jetzt unter dem Einfluß einer unsichtbaren Hand noch ein wenig weiter geöffnet.

»Recht so,« murmelte das Mädchen, »er mag es hören.« Dann trat sie auf die Freundin zu, kniete vor dem Sessel zu Boden und legte die kalten runzlichen Hände der Freundin in ihre warmen, jugendlichen, zuweilen einen durchdringenden, wilden Blick auf die Thüre werfend.

»Und doch ist es vielleicht besser so,« begann Frau von Pork unter Thränen, freilich habe ich alte Närrin einen übereilten Schritt gethan, doch Gott sei Dank, er war vernünftiger wie wir alle beide, Kind, ja, er hat allein Vernunft. Und so istʼs gut Du mein Gott, wie übereilt, wie kopflos wir waren. Es war ein Traum, teure Gräfin, wachen Sie auf aus diesem Traum, leben wir nicht länger in Phantasien, sagen Sie sich, ich bin um eine Erfahrung reicher, wenn auch um eine Hoffnung ärmer —« und Frau von Pork teilte ihr die einzelnen ablehnenden Worte des Malers mit, gebührend hervorhebend, welche Beredtsamkeit sie entwickelt, wie eindringlich sie gesprochen und wie vernünftig der junge Mann gehandelt. Er liebe sie nicht und das sei das beste an der Sache. Dann hielt sie inne und bemerkte zu ihrem Erstaunen, welchen Eindruck ihre deprimierenden Auseinandersetzungen auf Isabella machten. Das Mädchen hielt immer noch heftig atmend die Augen starr auf die Thüre gerichtet, dann begann ihr Gesicht triumphirend zu erglühen, zuletzt war sie aufgesprungen und hatte, auf den Zehen schleichend, die Thüre, die auf den Korridor führte, zur Verwunderung der alten Dame, ohne ein Wort zu sagen, rasch geöffnet. Draußen auf dem Vorplatz zeigte sich dem erstaunten Blick der Gesellschafterin eine erbleichende, an den Pfosten taumelnde Gestalt.

»Verzeihung,« lispelte der Ertappte, in die Kniee sinkend.

»Du?« stieß Isabella überrascht hervor, »schade, daß Du es bist, ich hatte einen anderen zu finden gehofft.« Sie hielt inne und fuhr dann mit fast männlicher Entschiedenheit fort: »Sage ihm, der Dich so gut bezahlt, was Du hier gehört. Hörst Du! Alles, ausführlich! Im Uebrigen bist Du aus meinem Dienste entlassen. Gehe!« Sie schloß die Thüre, dem Diener Ludwig, der noch immer wankend an dem Pfosten lehnte, einen verächtlichen Blick zuwerfend. Dann, nachdem sie die Thür geschlossen, wandte sie sich mit leuchtenden Augen zu der Gesellschafterin, die nicht wußte, über was sie mehr erstaunen, mehr bestürzt sein sollte, über den Verrat des sonst als treu befundenen Dieners, ober über den begeisterten Gesichtsausdruck ihrer Herrin. In Isabellaʼs Geist stand jene Unterredung mit dem jungen Manne in einem ganz anderen Licht da, als sich die Gesellschafterin bemühte, sie hinzustellen und mochte sich das junge Mädchen täuschen oder nicht, sie hielt an dieser Auffassung fest, ihre Leidenschaft besaß eine Größe, durchdrang so sehr ihr ganzes Ich, daß sie immer nur das sah, was sie sehen wollte, daß sie sich unmöglich in die Gemütslage eines anderen versetzen konnte. Sie war sofort mit sich im Reinen, Edelmut war der Beweggrund seines Handelns gewesen. Wie konnte es anders sein! Diese beseligende Gewißheit erfüllte sie mit einem Taumel der Wonne, der sie zwang, sich in Ausrufen Luft zu machen.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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