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Читать книгу: «Seelenrätsel», страница 7

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»Erinnern Sie sich, liebe Mutter,« lautete diese hastig, beinah ängstlich hingeworfene Nachschrift, »erinnern Sie sich, welches Herzensgeheimnis Sie mir einst in einer schönen Stunde anvertrauten. Sie befanden sich einst in einem Seelenzustand, der Ihnen für meinen jetzigen ein volles Verständnis giebt – ich weiß es, Sie litten unaussprechlich – Sie gestanden es unter Thränen: Sie liebten meinen Vater! Zürnen Sie mir nicht, liebe Mutter, daß ich das hier niederschreibe, ich erinnere Sie daran, damit Sie, wenn ich heute dieses Opfer, diesen Freundschaftsdienst von Ihnen verlange, damit Sie alsdann sprechen; sie soll einen Vermittler finden, sie soll nicht so tief zu leiden haben, wie ich litt.«

Frau von Pork stand sinnend am Fenster und blickte in die Verwüstung, die der nächtliche Sturm im Parke zurückgelassen. Lange beobachtete sie die fallenden Blätter, die allmälig sich gelbfärbende Ferne. Der Brief war ihren Händen entglitten.

* * *

IV

Einige Tage nach den eben erzählten Ereignissen finden wir Eduard im Forsthause vor seiner Staffelei sitzen, von der er soeben aufgestanden war, um Ludwigʼs Papierdrachen zu besichtigen, den dieser im Freien wollte steigen lassen. Ludwig hatte, um seinem Drachen die nötige Pracht zu verleihen, schlimm mit des Malers Farbenkasten gewirtschaftet, was dieser ihm indeß, da das Gemälde nicht übel ausgefallen, hingehen ließ. »Man muß die Kunst befördern,« sagte er, auf das gräuelvolle Untier blickend, das der Junge auf eigenes Risiko mitten in das Papier gepinselt. Ludwig empfand halbwegs die Ironie, die in jenen Worten lag, besonders da der Maler nach der Abstammung seines Ungeheuers frug. Sein Ehrgeiz wurde hierdurch so bitter verletzt, daß er, dem Weinen nahe, nicht eher dahin zu bringen war, den Drachen steigen zu lassen, als bis Eduard feierlich Abbitte gethan. Die Mutter befand sich gerade im Stalle, der Vater ging seiner Arbeit im Walde nach, außer dem leisen Rauschen der Bäume und dem jeweiligen Krähen des Hahnes störte nichts die Stille des dämmerigen Gemaches, in welchem die Staffelei dicht an das Fenster gerückt war, damit das von Wolken oft getrübte Sonnenlicht des stürmischen Herbstnachmittags nicht ganz unbenutzt bliebe. Nach der Natur zu malen, schien bei dieser Witterung unmöglich. Eduard mußte sich manchmal in die Hände blasen, so unfreundlich zeigte sich heute der Herbstnachmittag, fast kam ihm die Lust an, Feuer in den kleinen Eisenofen machen zu lassen. Vielleicht brachte es diese nervenbelebende Kälte mit sich, daß in Eduardʼs Phantasie die vergangenen Ereignisse einen frischen, heiteren Farbenglanz trugen. Eigentlich fühlte er sich seit seiner Heimkehr heute zum erstenmal zufrieden, beinahʼ froh, ohne darüber nachzudenken, welcher Ursache er diese Fröhlichkeit zu danken hatte. Es war da freilich so mancherlei, über das er hätte fröhlich sein können, doch dies alles ließ sich nicht recht in Eins zusammenfassen, auch bestand der Reiz dieses Fröhlichseins gerade darin, daß man nicht an die Einzelheiten desselben denken durfte, ohne ihnen ihren poetischen Schimmer sofort zu rauben. Es war ihm, als umschwebe ihn irgend etwas Undefinierbares, sozusagen ein Seelenduft, ein unbestimmtes Fluidum. Freilich konnte unser Grübler in seiner jetzigen Seelenstimmung auch nicht die Beobachtung unterdrücken, daß diese Fröhlichkeit, von einer guten Dosis Selbstsucht begleitet, vielleicht sogar hervorgerufen wurde, und daß, wäre der unsichtbare Gegenstand dieser Fröhlichkeit jetzt in Wirklichkeit vor ihn hingetreten, seine Stimmung sich in eine durchaus entgegengesetzte, vielleicht sehr verdrießliche, verwandelt haben würde. Noch mit solchen nebelhaften Grübeleien beschäftigt, störte ihn der Knecht Hans in der Arbeit. Dieser trat näher und gab durch allerlei dunkle Redensarten zu verstehen, es habe sich etwas zugetragen. Eduard, an die rätselhafte Art des Knechtes gewöhnt, frug weiter und erfuhr endlich, nachdem zuerst von einem grünen Sonnenschirm, der genauen Beschreibung eines kleinen Hundes und weitläufiger Auseinandersetzung etwelcher Nebenumstände die Rede war, eine Dame stehe draußen, eine Dame, die den Herrn Enger zu sprechen wünsche. Eduard hatte nicht Zeit, sich zu besinnen, oder einen Entschluß zu fassen, da bereits das Rauschen von Frauengewändern das Herannahen der Dame verkündete. Der Knecht machte, sich entfernend, eine ungelenke Verbeugung und flüsterte, d. h. rief nach seiner Weise ganz laut: »sie istʼs!« worauf Eduard, als er der Dame ansichtig ward, sich in seiner Verwirrung nicht einmal vom Stuhle erhob, sondern, sein Malzeug in der Hand, die Näherkommende anstarrte. Erst als diese fast vor ihm stand, sprang er auf und versuchte es, höflich zu sein, was ihm jedoch, da er nun einmal gleich im Beginne in eine falsche Tonart hineingeraten war, nicht recht gelang. Er murmelte also mit dem ärgerlichsten Gesichtsausdruck eine Phrase, in der die Worte: Stuhl – Platz nehmen – was verschafft mir die Ehre – einigemal wiederkehrten, um alsdann äußerlich ruhig, innerlich jedoch in einem Zustand verschlafener Aufregung abzuwarten, was sein Besuch beginnen werde. Wir brauchen es wol kaum erst zu sagen, daß es Frau von Pork war, die ihn zu besuchen kam und deren gemessenes Benehmen, deren imponierende Toilette, deren feierlicher Gesichtsausdruck den fein vorausempfindenden Künstler mit den Schauern einer beklemmenden Ahnung erfüllte. Es war etwas Scheues, Ängstliches in dem Wesen der Frau, das dem Maler den Eindruck gab, als sei sie gekommen ein Verbrechen auszuführen. Frau von Pork zog ihr spitzenbesetztes Taschentuch, hielt es vor den Mund, ließ sich auf dem angebotenen Stuhl nieder, zupfte die Bänder ihres ziemlich altmodischen Hutes glatt und suchte offenbar nach Worten. Beide saßen sich so einige Zeit gegenüber, der Maler fröstelnd vor unbestimmter Erwartung, sie bald errötend, bald erbleichend, zuweilen freundlich, ja herzlich blickend, zuweilen sehr ernst, ja tragisch dʼreinschauend, bis endlich die alte Dame sich räusperte.

»Ich danke,« begann sie, mit welchem unmotivierten Ausruf sie gewiß irgend etwas meinte, »mein Gott, ich störe Sie doch nicht – oder – wenn ich zu einer andren, Zeit gelegener —«

»Sie stören mich nicht —« brachte der Maler heraus, sich vergeblich besinnend, was er weiter hinzusetzen sollte, da es ihm zumute war, als wisse er bereits ganz genau, von was jetzt die Rede sein sollte.

»Ich komme —« fuhr Frau von Pork hüstelnd fort, unterbrach sich dann und flüsterte: »Erlauben Sie, daß ich mich einen Augenblick erhole die Hitze, vielmehr die Kälte oder vielmehr das Stürmische des Weges – ich kam zu Fuß – es war unerträglich —«

Eduard versuchte nun zur gegenseitigen Erleichterung einen Scherz zu machen. Der kleine Schoshund, den die Dame mitgebracht, schnupperte an seiner Staffelei umher; er streichelte das Tier und meinte lachend, ob vielleicht die gnädige Gräfin das Porträt dieses Vierfüßlers wünsche, ob vielleicht auch dieses Bild dann in der Ahnengalerie aufgehängt würde. Zum Glück hatte sein sehr mit sich selbst beschäftigter Besuch diese Sottise überhört, und Eduard, ganz entsetzt über seine Albernheit, schwieg beschämt. Frau von Pork machte ein Gesicht wie ein Schüler, den der Lehrer durch unzeitige Späße aus dem Text gebracht.

»Ich muß Sie bitten,« sagte sie, »das, was ich Ihnen mitzuteilen habe, sehr ernst zu nehmen, mein Herr. Der scherzhafte Ton, in welchen Sie so leicht verfallen, ist bei jeder andren Angelegenheit besser angebracht, als gerade bei dieser.«

»Verzeihen Sie,« entgegnete Eduard, dem es sehr ernst zu Mute war, »ich werde mich so ernsthaft zu sein bemühen, als es einem leichtfertigen Malergemüt nur möglich ist.«

»Sie werden mir vielleicht ansehen,« fuhr Frau von Pork fort, »wie peinlich es mir wird, Ihnen den Grund meines Besuches mitzuteilen. Haben Sie deshalb Nachsicht mit mir und kommen Sie mir zu Hülfe, anstatt mir durch Ihr Benehmen eine ruhige Auseinandersetzung unmöglich zu machen.« – Dann räusperte sie sich nochmals und fügte mit leiser, ein wenig zitternder Stimme hinzu:

»Ich komme im Auftrag der Gräfin Isabella!« Vor Eduardʼs Augen legte sich ein heißer Schleier, er atmete schwer auf, sprach nichts, dachte aber: »Ah! so irrte ich mich nicht – gewiß ein Auftrag —« und glaubte doch selbst nicht an diesen Auftrag.

Frau von Pork schüttelte den zu Boden geneigten Kopf, indem sie mit ihrem Sonnenschirm Figuren auf die mit Reibsand bestreute Erde malte.

»Die Gräfin schickt mich,« sagte sie noch leiser, »und ich muß gestehen, ich habe mich noch nie einem ihrer Befehle so ungern unterworfen.«

»Sie machen mich sehr neugierig,« murmelte der Maler, die jetzt entstehende Pause ausfüllend und griff dann zitternd nach der Wasserflasche, um zu trinken.

»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?« frug er ablenkend.

»Ich danke,« entgegnete die Angeredete, »vernehmen Sie vor allen Dingen, daß ich die vertrauteste Freundin der Gräfin bin, vor der sie kein Geheimnis hat. Ich vertrete Mutterstelle an ihr. Wenn Sie das in Berücksichtigung ziehen, werden Sie es begreiflicher finden, daß ich dem Wunsch der Gräfin gemäß ein Amt übernommen habe, welches ich selbst verurteilen muß. Ich kann nun einmal meiner gnädigen Herrin, die ich wie ein Kind liebe, nichts abschlagen, ich sehe ihre Thränen, höre ihre Klagen alle meine Vorstellungen bleiben fruchtlos; einem Charakter, der selten Widerstand gefunden und der die sanfte Leitung einer Mutterhand von Jugend auf entbehren mußte, stand ich machtlos gegenüber, meine Beweisführungen wurden verachtungsvoll zurückgewiesen, mit einer wirklichen Größe zurückgewiesen, und so entschloß ich mich denn, mein Herr, entschloß ich mich mit schwerem Herzen und nach langem Zaudern, Sie aufzusuchen.«

Frau von Pork fühlte sich endlich im richtigen Fahrwasser, die Zunge war ihr gelöst und, als jetzt unser Freund mit dem Humor der Erregung sagte: »Ich hätte mir nie gedacht, daß es solche Überwindung kostet, einen armen Maler zu besuchen,« kehrte ihr auch das Bewußtsein ihrer gesellschaftlichen Stellung wieder.

»Sie steigern mein Selbstgefühl,« sagte der Maler mit einem Gefühle, als säße ihm das Beil des Henkers an der Kehle, »indeß diese lange Vorbereitung läßt mich auf Ungewöhnliches schließen —«

»›Ungewöhnlich‹ ist das richtige Wort,« fiel Frau von Pork sogleich ein, »ja dieses ist es. Ungewöhnlich und doch entschuldbar, ich sage entschuldbar, obgleich ich es verurteilen muß, entschuldbar eben durch den selbstständigen Charakter der Gräfin.«

Eduard wagte, da eine Pause entstand, um seine Ergriffenheit zu maskieren, einen Scherz einfließen zu lassen, indem er bat, dem Helden dieses spannenden Romans endlich zu der Lösung zu verhelfen. Frau von Pork jedoch verwies ihm diesen Scherz.

»Ich muß Sie nochmals bitten,« sagte sie, »die Sache sehr ernst zu nehmen, ernst und heilig —«

Eduard sah die alte Dame zweifelhaft an.

»Darf ich die Frage an Sie richten,« fuhr sie fort, »welchen Eindruck die Gräfin auf Sie gemacht hat?«

»Welchen Eindruck?«

»Ja!«

»Was kann Sie oder die Gräfin dergleichen kümmern?«

»So hören Sie denn,« fuhr Frau von Pork mit Emphase fort, »da es gesagt sein muß, ich will es in kurzen Worten zusammenfassen: Die Gräfin fand Gefallen an Ihnen«

Eduard erblaßte; er wußte selbst nicht, ob ihn dies Wort: sie fand Gefallen an Ihnen, beseligte oder kränkte, nur fühlte er sich wie von einem Blitz getroffen.

»An meinen Locken vielleicht?« sagte er zu Boden sehend und nach Atem ringend, »oder an meiner Ungezogenheit?«

»Mein Herr —«

»Sie baten mich ernst zu bleiben,« fiel ihr der Maler inʼs Wort, eine indignierte Miene erkünstelnd, »ich muß diese Bitte nun an Sie stellen.«

Frau von Pork schwieg, ihn scharf beobachtend. Da sie eine Menschenkennerin war, entging ihr die große, schmerzliche Erregung nicht, die sich des totblassen, jungen Mannes bemächtigt, der vor sich hinstarrend dasaß, als könne ihn die geringste Bewegung seiner Fassung berauben.

»Bemerken Sie in meinen Ausdrücken Scherz,« entgegnete sie mit sanfter Stimme, »ich rede im tiefsten Ernst. Die Gräfin hat mir unter Thränen ihre Leidenschaft für Sie gestanden. So ist es! Ich schwöre Ihnen, mein Herr, daß ich die Wahrheit rede. Denken Sie nicht niedrig von der Gräfin, weil sie in diesem Falle die Rolle des Mannes übernimmt, weil sie Ihnen das gesteht, was unter den gewöhnlichen Voraussetzungen der Mann dem Weib zuerst gesteht. Sie würden es nie gewagt haben, mit dem Geständnis einer Neigung der Gräfin zu nahen. Die Gräfin fand keinen anderen Ausweg sich Gewißheit über Ihr beiderseitiges Gemütsverhältnis zu verschaffen, so tief ihr auch dieser Ausweg zuwider war, sie mußte ihn ergreifen. »Wem ich unweiblich erscheine,« sagte sie zu mir, »der mag mich verdammen, ich halte ihn nicht ab, wer weiß was Liebe ist, der wird mich entschuldigen.« Und nochmals gebe ich Ihnen die Versicherung, daß die Neigung der Gräfin eine tiefe, innige, edle ist.«

Eduard lachte gezwungen auf. Dann unruhig auf dem Stuhle hin- und herrückend, sagte er wie zu sich selbst: »Ich weiß bei Gott im Augenblick nicht, ob Sie oder ich von Wahnsinn befallen wurden – jedenfalls ist aber einem von uns beiden dieses Maleur zugestoßen – erlauben Sie, daß ich meinen Vater rufe, der mag entscheiden, wer der Unglückliche ist . . .« Er that, als wolle er sich erheben, blieb jedoch sitzen. Die alte Dame, die nun einmal inʼs Reden gekommen war, vermochte nicht mehr ihre Zunge zu zügeln.

»Ich bemerke mit Schrecken, daß Sie mich gänzlich mißverstehen,« sagte sie, einerseits wirklich erschrocken, anderseits von der außerordentlichen Stimmung dieser ganzen Situation sehr angenehm berührt, »und ich glaubte, Sie doch genugsam auf das Außerordentliche vorbereitet zu haben. Ich bitte Sie, fassen Sie sich, besinnen Sie sich, daß ich eine alte Dame bin, der es fern liegt, unwürdige Scherze zu treiben, bedenken Sie, daß Sie ein gebildeter Mann sind, den ich achten muß, mit dem man sich weder Spott noch Unehrerbietiges erlaubt – wir sind beide bei klarem Bewußtsein, ich kann Ihnen nun einmal nicht helfen, Sie müssen, so gut wie ich es mußte, an die Leidenschaft der Gräfin glauben lernen. Ich war nicht weniger überrascht als Sie.«

Eduard wußte nichts anderes zu thun in seiner Beklommenheit, als die ganze Sachlage mit dem Humor der Verzweiflung aufzufassen. Es befiel ihn thatsächlich ein Schrecken, sobald er an das seltsame Mädchen dachte, er selbst kam sich durch diese ihre offene Erklärung innerlich entwürdigt, entheiligt vor. So sagte er jetzt lachend, welches Lachen sich am Schluß seiner Entgegnung ins Krampfhafte steigerte:

»Bin ich denn wirklich in dem Hause meines Vaters, oder bin ich der verzauberte Prinz im Märchen —? Sie kommen im Auftrage der Gräfin, mir zu sagen – daß sie mich – den Maler Eduard Enger – hören Sie? – den Maler Eduard Enger – Sie irren sich wohl im Namen – daß die Gräfin diesen armen Teufel von Maler – —.«

»Liebt! Keinen anderen!« entgegnete die alte Frau, die aus dem Benehmen des Malers eine versteckte, gewaltsam unterdrückte Neigung herauszulesen glaubte. Seufzend setzte sie hinzu; »Wollte Gott, ich könnte es ändern.«

Eduard lachte wie trunken immer weiter, seine Augen begannen feucht zu schwellen, sein Gesicht glühte, während er sich den Anschein gab, als ginge er wohlgemut auf einen Scherz ein. Nach einer Pause sagte er ruhiger: »Ich kann mich von meinem Erstaunen nicht erholen, ich muß es glauben, und glaube es eigentlich doch nicht. Sind Sie zu Ende, oder haben Sie noch ähnliche Attentate im Hinterhalt? Die Gräfin bietet mir wohl gar ihre allergnädigste Hand an?«

»Nach der seltsamen Art, mit der Sie diese ernste Angelegenheit behandeln,« versetzte die Gesellschafterin, »wage ich es kaum, diese Frage zu bejahen.«

Eduard schwieg, plötzlich nachdenklich.

»Zu bejahen, wirklich?« entglitt es wie im Traum seinen Lippen, indem sein ganzes Gesicht sich in Falten legte. Frau von Pork schwieg ebenfalls, dann rückte sie ihm näher, berührte leise seine auf dem Knie ruhende Hand und flüsterte mit herzlicher Stimme.

»Der wärmere Ton, in dem Sie eben sprechen, das Verschwinden Ihres sarkastischen Lächelns ermutigt mich jedoch, Ihnen zu bedenken zu geben, welches Glück, junger Mann, plötzlich vor Ihnen sein Füllhorn öffnet. Ohne Ihr Zuthun fällt Ihnen Reichtum, Liebe, alles in den Schoß, nach dem der Mensch in diesem Erdenleben so eifrig begehrt und das er so selten erlangt. Sie brauchen sich kaum zu bücken, um das irdische Paradies an den Busen zu drücken. Malen Sie sich Ihre Zukunft aus, Sie vermögen das lebhafter wie ich, danken Sie Ihrem Schöpfer, seine Hand waltet sichtbar über Ihrem Schicksal.«

Dann zögerte sie einen Augenblick und fügte leise mit besonderer Betonung hinzu: »Wenigstens werden die Menschen, deren Augen alles für Gold halten, was glänzt, Ihr Los ein beneidenswertes nennen.«

Eduard sah hastig zu der Dame auf und wandte sodann sein ausdruckslos gewordenes Gesicht weg. Wiederum entstand eine längere Pause, die endlich Frau von Pork unterbrach: »Und nun, nachdem ich Ihnen diese Vorstellungen gemacht,« sagte sie, sich erhebend, »frage ich Sie: Wie lautet Ihre Antwort! Was darf ich meiner gnädigen Herrin, in deren Namen ich vor Ihnen stehe, überbringen?«

Da der Maler noch immer schweigend das Gesicht abwandte und sie an seinen hastigen Atemzügen seine Erregung bemerkte, fuhr sie fort: »Sammeln Sie sich, werden Sie Herr Ihrer Überraschung – oder soll ich mich entfernen? vielleicht haben Sie einige Tage Bedenkzeit nötig?« Dann ihrer angeborenen Mütterlichkeit nachgebend, fügte sie mit weicher, zitternder Stimme hinzu: »Armer, junger Mann, ich begreife, daß Sie einen harten Kampf zu kämpfen haben. Ich begreife den Zwiespalt Ihrer Gefühle. O, wie sehr! Es ist wahr! Das Glück wohnt selten auf den Höhen, auf die man Ihnen den Weg bahnt.« Aufs neue inne haltend, faßte sie nach des jungen Mannes Hand. »Wenn Ihnen an dem Rat einer alten, erfahrenen Frau gelegen ist,« fuhr sie mit feuchten Augen fort, »vor allem, junger Freund, folgen Sie ganz der Stimme Ihres Herzens, lassen Sie sich nicht von dem Glanz Ihres Loses bestechen: die Gräfin, da sie liebt, erwartet Gegenliebe, und ein Mann, der sie heiratet des äußeren Vorteils wegen, ein solcher Mann würde ihr, sobald sie seine Heuchelei durchschaue, verhaßt, verächtlich werden und sie durchschaute künstliche Glut sehr bald. Empfinden Sie für das Mädchen, das Ihnen so offen sein Herz entgegenbringt, nichts, so teilen Sie mir das ohne Umschweif mit; wie ich meine Herrin kenne, wird sie diese Zurückweisung tragen, stark wie eine Heldin. Wäre es jedoch Wahrheit, was die Gräfin vermutet, haben auch Sie eine Neigung zu ihr gefaßt, nun denn, so vertrauen Sie auf die Macht der Liebe, die allen Gefahren trotzt, vertrauen Sie auf Ihre Manneskraft und auf die siegesbewußte Charakterfestigkeit der Gräfin.«

Aufgelöst in Thränen, ganz hingerissen von ihrer eigenen Beredtsamkeit, ganz im Rausch der Romantik schwimmend, wollte sich Frau von Pork entfernen, ja, sie hatte bereits die Thüre erreicht, als sie den Maler mit sich selbst sprechen hörte und stehen blieb.

»Halt aus! Halt aus!« rang es sich aus des Malers Brust, »unsinniges Herz – es kann nicht sein – sie betrügen Dich —« Dann wandte er sich, am ganzen Leibe zitternd, um und sagte mit lauter, fester, aber sehr rauh klingender Stimme:

»Gnädige Frau —«

»Sie rufen mich zurück?« stammelte Frau von Pork, sich die Augen wischend.

»Mein Entschluß ist gefaßt —« preßte Eduard mühsam hervor, »sagen Sie der Gräfin, Eduard Enger sei kein Spielzeug.«

»Wie, mein Herr —«

»O, das ist sehr pikant!« lachte der Maler auf einmal auf, »die Langeweile brütet merkwürdige Ideen aus! Zur Abwechslung liebt man einmal einen armen Maler! Sehr gut! Das ist eine ganz neue Art von Sport. Man kann so allerliebst die süße Grausame spielen, es bereitet einen so prickelnden Zeitvertreib, ein Herz leiden zu sehen, das man zerfleischt hat – nur schade, daß ich mich nicht zu dergleichen unterhaltenden Vivisektionen und Experimenten hergebe, ich bin mir auffallenderweise zu gut hierzu – es wird sich ja wohl mancher Adjutant oder Gardelieutenant glücklich schätzen, wenn er sein Herz der gräflichen Kaprice opfern darf.«

Mit diesen Worten hatte Eduard Frau von Pork verlassen, hatte seinen Hut aufgesetzt und war blindlings inʼs Freie geeilt, wo ihm jetzt ein heftiger Regenschauer entgegenschlug. Er sah und hörte nicht, was um ihn der vorging, achtete nicht des Sturmes, der ihm die Regentropfen ins Gesicht peitschte, nicht der Wasserlachen, durch die er waden mußte; nur so viel stand ihm fest, daß er Isabella haßte, hassen mußte. Wirklich! Zum ersten Mal in seinem Leben haßte er einen Menschen, und warum? Weil es ihm war, als habe man seine Männlichkeit angezweifelt, ihn zum Weibe erniedrigt durch diesen Antrag, den er in einem Zustand von blödsinniger Erstarrung angehört und den er unterbrochen haben würde, wenn ihn nicht die alte Frau gedauert. Wie ekelte ihn jetzt jedes Wort an, das er vernommen, was für treffende, beißende Antworten fielen ihm jetzt noch nachträglich ein, wie einfältig, wie schulbubenhaft hatte er sich benommen. Er zürnte sich fast so heftig als ihr, deren Laune ihn in diese peinvolle Stimmung versetzt. »Ich glaube in der That, sie ist eine Abnormität,« murmelte er manchmal vor sich hin, »oder wäre sie eine jener dämonischen Frauencharaktere, deren Leidenschaftlichkeit ans Krankhafte grenzt? Ich müßte ihr also schließlich noch verzeihen? Nein! Niemals, das kann kein Mann verzeihen! – Wie? Wirklich nicht? Und was that sie denn Schlimmes? Sprach sie nicht wahr, wenn sie sagte, ich würde niemals gewagt haben, ihr zuerst diesen Antrag zu stellen? Gewiß, aber eben deshalb will ich sie hassen, ich will sie hassen, weil ich sie nicht lieben dürfte! Und liebe ich sie denn? Welchʼ ein Unsinn, welche Anwandlung! Wie kann ich eine Frau brauchen und noch dazu eine geborene Gräfin! Wohin käme es in einer Ehe mit meiner Kunst! Und er verbot sich ernstlich, an die ganze peinliche Angelegenheit zu denken. Und doch, wie er so hinwandelte unter den rauschenden, sturmgepeitschten Bäumen, die ihre gelben Blätter auf seine durchnäßten Haare herabschüttelten, war es ihm manchmal in seinem Erregungszustande, als flüsterten ihm die aufgeregten Naturgeister allerlei Töne, allerlei Lockungen zu, als wünschten sie ihm Aufklärung über das Innere jenes seltsamen Weibes zu geben, jenes Innere, das ihm, er mochte sich sträuben, wie er wollte, auf einmal ein interessantes Rätsel geworden. Er kam sich, als er jetzt auf eine nebelüberschauerte Wiese heraustrat, vor, wie Makbeth, da er die Hexen um Rat fragt und es war ihm, als erhübe die Natur ihre Stimme, jenes Mädchen zu verteidigen, das er eben noch so herb angeklagt. Und mehr denn je fühlte er, wie er vermöge seines Talents seine Besonnenheit behielt, wie er über den Ereignissen schwebte oder vielmehr mittelst der Phantasie dieselben zu schönen Objekten seiner Betrachtung machte. Diese Nebel, was flüstern sie über die Zukunft? Sieh, wie sie sich niederkauern, die grauen Gestalten, um Hecken und Zäune streichen. Wie interessant doch des Menschen Herz ist, so interessant, daß man darüber alles Peinliche vergessen könnte. Manchmal war es ihm auch, als höre er jenes Mädchens Stimme aus dem Sausen des Sturmes hervortönen, eine um Hilfe rufende, jammernde Stimme, bei deren Klang er sich wie ein Hartherziger vorkam, der ein Menschenleben retten könnte und es nicht thut. Aber warum es nicht thut? Aus Egoismus vielleicht? Aus Liebe zur Kunst? Oder – und er schauderte bei dieser Selbstprüfung – aus Mangel an Nächstenliebe? War sein Herz wirklich durchkältet? So allen Menschenpflichten entfremdet? »Ich bin ein Kaltherziger,« sagte er sich, »ein Fühlloser! Ich glaube, ich hätte das Zeug zu einem Verbrecher! nur mein Talent hält mich ab, ein Verbrecher zu sein! Oder hätte vielleicht jedes wahre Talent eine Hinneigung zur Verbrechernatur!«

Als es dunkel zu werden begann, wadete er über weit ausgebreitete, morastische Wiesen, deren eintönige, graue Ebene in einiger Entfernung ein lang hingestreckter Waldsaum abschloß. Wie schauerlich ernst die nebelumhüllte, schwarze Baumkolonne dastand, als könne sie nie enden, als müsse der Wanderer ewig an ihr hinabeilen, ohne einen Ausweg aus der Welt zu finden. Auf der andren Seite lag ein struppiger Hügel, über dessen finsterem Kamm die fahle Abenddämmerung mit schweren, grauen Regenwolken beladen, heraufzog. Grau, regnerisch, schmutzig, öde war rings die Welt; in der Ferne brennte ein Feuer auf dem Acker, das zuweilen im Winde aufzuckte, wie ein sterbendes Auge. So recht die Haide für den König Lear, dachte Eduard fröstelnd und begann das eben Erlebte, da die Phantasie in ihm thätig ward, mit milderem Auge zu betrachten. Er wußte gar nicht warum oder wie dies geschah, aber unwillkürlich war es ihm manchmal, als befinde sich Isabella ganz in seiner Nähe, als spräche sie zu ihm aus dem unheimlichen Dämmern dieses Herbstabends. Die eben vernommenen Worte der Gesellschafterin begannen irgend eine, ihm selbst noch unbekannte Wirkung zu äußern, und es rief auf einmal in seiner Brust: »Entweder liebt sie mich denn doch, wie mich noch nie Jemand geliebt hat – oder sie ist eine Verworfene!« Als er so weiterschritt, fand er am Waldessaum ein altes, mit Holz beladenes Mütterchen, das, da es sich einen Augenblick gesetzt, jetzt mit seiner Last auf dem Rücken nicht mehr in die Höhe konnte. Sogleich half er der Wankenden auf und fühlte sich ordentlich über sich selbst getröstet, als ihn bei dem Anblick der Hilflosen ein tiefes Mitleid überkam. »Ich empfinde doch noch das Menschenelend mit,« sagte er zu sich, »Gott sei Dank!« Den Dank, den ihm das Mütterchen spendete, lehnte er mit einer abwehrenden Handbewegung ab, sprechen konnte er nicht, das Herz war ihm zu voll.

* * *
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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