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Читать книгу: «Seelenrätsel», страница 15

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Endlich gelang es Frau von Pork, ihr verständlich zu machen, daß der Graf betreffs jener bewußten Angelegenheit, einen Entschluß gefaßt habe, der ihn gewiß mit seiner Tochter aussöhnen werde, er wolle persönlich an Herrn Eduard Enger schreiben. Isabella schüttelte den Kopf. Es sei alles umsonst, meinte sie, man möge sie allein lassen, im übrigen könne man thun, was man wolle. Der herbeigerufene Arzt traf seine Maßregeln und bestand darauf, die Kranke dürfe keinen Augenblick allein gelassen werden. Als Frau von Pork dem Mädchen, das zuweilen in heftige Fieberdelirien verfiel, gegen Abend einen Eßlöffel voll Chloralhydrat verabreichen wollte, verweigerte sie die Annahme desselben. Den Eisbeutel, den man ihr auf das heiße Haupt gelegt, warf sie mehrmals ab.

Frau von Pork, die alles, nur das Phantasieren Fieberkranker nicht ertragen konnte, bat sie mit Thränen in den Augen, sie möge doch das Chloralhydrat nehmen.

»Ich will nicht schlafen, ich will denken,« erwiderte Isabella trotzig, begann darauf von neuem zu weinen, bis ein Lachkrampf, der sie befiel, das Herbeirufen des Arztes nötig machte. Dieser alte Hausfreund, der einigen Einfluß auf die Unglückliche besaß, brachte es endlich zu Wege, daß sie das gliederlähmende Medikament annahm.

* * *

XI

»Liebe Eltern!« so begann der sehr flüchtig geschriebene Brief, den Eduard einige Wochen später an seine Eltern gerichtet. »Es freut mich, daß sich der Vater wieder so rasch erholte. Du schriebst, er habe sich erkältet; das ist das erste Mal seit langen Jahren, liebe Mutter, und es hat mich ordentlich gewundert daß der Vater der menschlichen Schwäche eines Schnupfens unterworfen sein soll. Der kleine Ludwig lag ebenfalls einige Tage zu Bett und ich mußte die Kinderfrau in jeglicher Gestalt abgeben.

Der leichtsinnige Strick freute sich recht sehr, die Schule versäumen zu können und wünschte, er wäre noch etwas tiefer in die Gosse getreten, damit sich sein Fieber zu einem noch höheren Grade gesteigert.

Sonst fühle ich mich hier sehr wohl; ich habe mir eine Kaffeemaschine gekauft und mache mir den Kaffee selbst – ganz wie Du es wünschest, liebe Mutter, nicht wahr?

Mein Leben ist vollständig ausgefüllt, die Liebe zu meinen Gemälden, die Beschäftigung mit Ludwigs Erziehung, das läuft alles so hübsch ineinander, befriedigt mich so völlig, daß ich mir gar nichts andres wünsche. Da kam mir denn neulich ein Brief sehr ungelegen, den Graf Ibstein an meine Wenigkeit adressierte und der mir erklärte, es solle sich jene ganze verwünschte Herzensangelegenheit, die so tief in unser Familienleben eingriff, auf das Freundschaftlichste und Wohlgefälligste lösen, Seine Tochter sei über alles aufgeklärt, sie könne ohne mich nicht leben, sie verabscheue den Baron, man befürchte, sie unternehme einen Selbstmordversuch – Verzeihung – und was dergleichen Phrasen mehr sind. Wird ohne mich nicht leben können!! Unsinn!! Nein! Diese Leute haben zu schlecht an uns gehandelt, sie verdienen nichts anderes als Schweigen. Das arme Mädchen bedauere ich von Herzen, aber warum hat sie sich einen solchen Vater ausgewählt? Manchmal, wenn ich an sie denke (des nachts z. B.), empfinde ich zwar ein Etwas, das mich mahnt, sie aufzusuchen, ja, ich willʼs gestehen, ich hatte gestern bereits meinen Koffer gepackt, ich wollte nach D. reisen. Wie nun aber der Mensch von seiner Laune abhängig ist, davon bin ich ein schmähliches Beispiel – erstlich kam der Kutscher zehn Minuten zu spät, dann war so schlechtes Wetter – mein begonnenes Bild lockte mich obendrein zu sehr – kurz, ich blieb. Thue ich unrecht, so verzeihe mir der Himmel. Doch es ist besser so! Ich tauge nun einmal nicht zur Ehe; ich würde mich blitzwenig um meine Frau bekümmern, ohne ihr indes untreu zu werden; im Gegenteil, ich glaube, sie würde mir sehr bald untreu, wäre sie auch das sittsamste Wesen.

»Also deutet dem Grafen an, wir wollten die ganze Angelegenheit auf sich beruhen lassen; deute ihm das an, liebe Mutter, besuche ihn, ich vermag nicht an ihn zu schreiben; Du weißt, ich schreibe eine abscheuliche Handschrift. Würde auch unangemessen grob werden. Armes Kind! Warum mußt Du auch eine Gräfin sein! Hätte ich Dich irgendwo in Armut, etwa als hungernde Nähterin gefunden, ich könnte Dich vielleicht nicht entbehren . . .

Liebe Mutter, hüte des Vaters Gesundheit recht sehr. Eine leichte Erkältung im Alter von 70 Jahren muß immerhin mit Sorgfalt behandelt werden . . . Und noch einmal – glaubt mir, ich habe Euch kein zu schweres Opfer gebracht. Macht Euch keine Sorge meinetwegen.«

* * *

Isabella hatte das Bett verlassen. Ihre ganze lebensfreudige Natur wandte sich, nachdem der erste Sturm sich ausgetobt, wieder der Hoffnung zu. War jetzt nicht die Möglichkeit vorhanden, den schmählich Mißhandelten zu versöhnen? Ihm Ersatz zu bieten für alles, was er um sie litt? Ja konnte nicht doch schließlich ein fast allzu großes Glück am fernsten Horizonte dämmern? Was hielt sie ab, glücklich zu sein? War nicht jeder Widerstand besiegt? Der Vater zeigte sich so zerknirscht, so bereit, dem Glück seines Kindes alle Vorurteile zu opfern, daß sie ihm schließlich erlaubt hatte, an Eduard Enger zu schreiben. Da sie von Eduardʼs Liebe die unzweideutigsten Beweise zu besitzen glaubte, wuchs nun, nachdem sie erfahren hatte, mit welchem Heroismus er ihr entsagt, welches Opfer er seinen Eltern gebracht, ihre Leidenschaft für den jungen Mann inʼs Ueberschwengliche. Sie bat ihn heimlich um Verzeihung, daß sie jemals niedrig von ihm denken konnte, und nachdem ihr Vater geschrieben, griff sie einige Tage später ebenfalls zur Feder, um dem Geliebten ihr Herz in den rührendsten Tönen der Leidenschaft auszuschütten, ihn um Verzeihung zu bitten und ihm jene Seligkeit, auf die sie nun wieder, wenn auch zaghaft, hoffte mit zarten, weichen Farben auszumalen. O! Hoffnungstrunkenheit, stille Träumerei einer Seele, die von neuem aufatmet. Wie neu die Welt ringsum glänzte, wie viel heller die Sonne schien. Sie durfte wieder an ihn denken und sie dachte an ihn, durfte sich wieder ihren Phantasien hingeben, brauchte nicht in verzweifeltem Seelenkampf sein Bild zu verscheuchen. Es war ihr zu mut, als habe sie begraben in der Erde gelegen und die Posaune des Gerichts habe jetzt die schwere, erdige Finsternis von ihrem Busen gerüttelt und sie schlage tief aufatmend die Augen zur Sonne empor.

Ja! gewiß! er hatte noch mehr leiden müssen, als sie! Welchen Kampf er gekämpft! Wie ihm das Herz bluten mußte bei dieser grausamen Wahl und davon ahnte sie gar nichts! Ob er ihr denn je verzeihen könne, der große, starke Mann! Ja, das hieß Edelmut – auf diesen elenden Knien möchte sie ihn um Verzeihung bitten – — —

– Den nächstfolgenden Tag, als Isabella beim Frühstück saß, trat der Vater, einen ungewöhnlichen Ernst im Blick, zu ihr inʼs Zimmer.

»Es ist heute sehr rauhes Wetter, nicht wahr?« sagte er mit undeutlicher Stimme.

»Gewiß!«

Er trat an das Fenster.

»Wie sich da unten die Jugend mit Schneeballen wirft,« murmelte er unruhig.

»Man hört sie jubeln,« sagte Isabella lächelnd.

»Fühlst Du Dich wohl, mein Kind?« frug der alte Mann immer erregter.

»O ja, mein Vater!«

»So – so! nun es ist gut – ich muß – zur Audienz!«

Er wandte ihr den Rücken, den Messinggriff der Thüre erfassend. Als er bereits in der geöffneten Thüre stand, wendete er sich noch einmal um, das erblaßte Gesicht geradezu verzerrt, die Augen erstarrt, am ganzen Leibe zitternd.

»Frau Enger hat mich besucht – gestern schon« – stammelte er heiser, »der Eduard hat auch geschrieben – lebwohl – da kommt Frau von Pork.« – Er flüchtete, während Frau von Pork eintrat, zur Thüre hinaus. Als Isabella Frau von Porkʼs trauriges, mitleidiges Gesicht auf sich gerichtet sah, ahnte sie das Ganze, legte den Theelöffel leise auf den Tisch und blickte, indem sie ein leichtes Zittern befiel, resigniert lächelnd zu Boden. Frau von Pork redete nichts, schürte das Feuer und kam manchmal in die Nähe von Isabellaʼs Stuhl, strich ihr auch einmal leise über das Haar. Im ganzen Hause herrschte eine schweigsame Melancholie, es schien, als ahnten selbst die leblosen Gegenstände, die prunkvollen Gemälde, die vergoldeten Kronleuchter, daß sich ein Dunkles, Unsagbares vorbereitete unter diesem reichen, glänzenden Marmordache.

Erst am Abend dieses Tages, den Isabella mit Lesen zugebracht hatte, frug sie einmal, als sie mit der Gesellschafterin beim Thee saß, wie beiläufig: »Nicht wahr, er – er —?« Sie hielt inne. Frau von Pork verstand diesen fragenden Blick und nickte bestätigend, indem sie sich, ihre Thränen verbergend, erhob.

»Ich kann es ihm nicht verdenken,« sagte das Mädchen leise, wie im Halbschlaf.

Von da an sprach Isabella wenig mehr. Sie hatte ausgekämpft, kein Sturm kräuselte mehr die stillen Wogen ihres Gemüts; er wollte es ja nicht anders; sie wollte ihm gehorchen, er mußte es am besten wissen, ob sie nach solchen Erlebnissen zur Ehe taugten: wohl war es so besser! Ganz wie er es wollte. Sie träumte vor sich hin, warf der Gesellschafterin zuweilen freundliche Blicke zu und umarmte den Vater, der sie gegen 8 Uhr zu besuchen kam, lächelnd aufʼs Herzlichste. Als er erfreut über die resignierte Haltung seines Kindes das Zimmer verlassen wollte, sah sie ihm noch einmal nach.

»Vater!« rief sie noch einmal hastig. Doch, als er sich umwandte, sagte sie: »Nichts, nichts!« und versuchte zu lächeln, welches Lächeln indes sogleich wieder einer nichtssagenden Miene Platz machte. Dann griff sie nach Goetheʼs »Egmont,« blätterte darin, empfand jedoch eine solche Müdigkeit, daß sie das Buch weglegte. Was wollte sie eigentlich noch? Sie empfand einen bitteren Geschmack auf der Zunge, als habe sie das Leben gekostet und wollte es jetzt ausspucken. Doch durfte sie niemandem Unrecht geben. Dem Vater nicht und auch nicht ihm, der nun edel, männlich handelte, wenn er die Verbindungen abbrach. Sollte sie weiter leben? Aber sie besaß kein Talent, keine tiefer gehende Bildung, um sich über die Fährlichkeiten des Lebens hinwegzuhelfen, sie war ein Kind des Luxus; sie bestand aus Leidenschaft, die nicht gelernt hatte, die Menschenschicksale aus der Vogelperspektive zu betrachten, sie war, im Gegensatz zu Eduard, mit allen Sinnen eingetaucht in die Situation, die sie durchleben mußte. Vielleicht wenn sie einen würdigen, geistvollen Berater gehabt, der sie im Gespräch über sich selbst emporgehoben, der ihr geholfen über den Geschehnissen zu stehen, so aber erlag sie der reellen Macht der Umstände. Selbst der Genuß des Leidens, jenes freudige Gefühl, ein süßes Unglück zu tragen, war ihr versagt; die ganze prosaische Last des Leidens ruhte auf ihrem Bewußtsein zermalmend, sie empfand nichts um sich her als Leere, Kälte, das Nichts.

Wie leise Frau von Pork über den kostbaren Teppich schlich, wie eintönig vornehm der Theekessel summte. Erzählte er von dem Grabmal der Mutter im Park zu Ibstein? Von dem Steinsarg der deutschen Kaiserin in der Grabkapelle? Wie der goldne Kronleuchter so einsam von der gemalten Decke herabhing: sie mußte an das Schwert des Damokles denken, als sie ihn schweben sah. Welchʼ widersinnige Einfälle. Sie raffte sich empor und empfand immer diese niederdrückende Demut vor ihm, der sie abgewiesen, jenen sklavischen Gehorsam, der ihr die Brust zusammenkrampfte, jenes Hinsterben in den Willen eines anderen. Er will es so! Dieser Gedanke, daß er es so wollte, setzte sich in ihrem armen Gehirn fest und als sie jetzt in ihr luxuriös eingerichtetes Schlafgemach trat, war es ihr, als rief ihr seine Stimme zu: Dort, dort in der Lade! Und eine andere Stimme rief: Ja, Du willst es so! Sie trat leise, fast scheu an die spitzenbehangene Toilette heran, den vergoldeten Leuchter neben den Spiegel stellend. Wie sie die Kerze im Spiegel blendete: ein Lichtmeer schlug ihr entgegen; sie schloß die Augen und tastete mit der Hand willenlos in der Schublade Er will es so!

Als sie die Schachtel voll der arsenhaltigen Arznei gefunden, tastete sie nach der Karaffe, die, im Kerzenlicht blitzend, auf der Marmorplatte vor dem Spiegel stand. Dann goß sie mit bebender Hand ein Glas voll Wasser und stand einen Augenblick regungslos, da Frau von Pork an der Thüre erschien, indes das allzu sehr gefüllte Glas seinen Inhalt mit Geräusch zur Erde goß.

»Was machen Sie denn, Kind?« frug die alte Frau.

»Ich komme gleich,« gab das Mädchen mit klangloser Stimme zurück.

»Es fährt ein Wagen in die Thorfahrt – hören Sie?« – rief Frau von Pork, »der Vater erhält späten Besuch – oder wäre es der Arzt?«

»Wird es schmerzen?« frug sich die Unglückliche, als sie jetzt eines der Pulver öffnete, das Wasser abgoß und den Inhalt des Papieres in das Glas schüttete. Das dauerte zu lange, jedes Pulver zu öffnen, sie nahm deshalb sämtliche Hülsen und drückte sie mit einemmal unter das Wasser. Sie sah nur noch einen grellen, blendenden Schimmer, der sich zuckend vor dem brennenden Auge bewegte, hörte nur noch ein Brausen wie von einer Muschel, das zuweilen von der leise gezischten Frage unterbrochen wurde: wird es schmerzen?! Doch das kümmerte sie nicht, Ruhe begehrte sie um jeden Preis; mochte auch dieses Aufhören des zermalmenden Verlassenheitsgefühls mit Qual erkauft werden, hinter dieser Qual dämmerte ja das Land der Verheißung; der Tod war wie eine enge, finstere Durchgangspforte. Als ihr Blick das über ihrem Bette befindliche Bild eines betenden Kindes traf, zog sich ihre Stirn in Falten; sie zürnte diesem Bilde, als einer unwillkommenen Mahnung.

Nein! sie wollte keine Fortdauer der Seele, und wenn es einen Gott gab, sie wollte ihn bitten, sie völlig zu vernichten. Frau von Pork rief aus dem Nebenzimmer herüber, man wolle sie besuchen. Isabella hörte nur noch sinnlose Laute, die das Brausen ihres Gehörs wie Nadelstiche durchbohrten. Nun schienen sich die Papierhülsen aufgelöst zu haben, ein Schauer, der sie gegen die Toilette hindrängte, überflog ihren Leib: einige Thüren wurden zugeschlagen, man eilte die Treppe herauf, man begrüßte sich. Rasch setzte sie den kalten Glasrand an die Lippen – wie widerlich das schmeckte – mußte es denn sein? – ja, er wollte es so – er mußte hinab, der bittere Trank – so! nun war es gethan.

Sie stand lauschend, neugierig, was sich nun in ihrem Inneren vollziehen werde. Nichts? gar nichts? Waren die Pulver des Vaters nicht starkhaltig genug? Da sie nun allmählig wieder zu sich kam, da der grelle Lichtschimmer ihr Auge verließ und sie die Dinge ringsumher wieder erkannte, stieg der schüchterne Wunsch im fernsten Winkel ihres umdämmerten Bewußtseins auf, das alles, dieser gefährliche Schluck möge nur ein böser Traum gewesen sein. War es denn geschehen? Dort stand es ja, das geleerte Glas mit den aufgeweichten Hülsen – das war ihre Hand – hier, ihr noch feuchter Mund – o Gott! was hatte sie gethan!! Sterben? entsetzlich! Darin lag so etwas Geheimnißvolles, Dunkles! Als Kind frug sie schon oft was denn das sei: sterben! Und jetzt sollte sie es selbst an sich erfahren! An ihrem eignen, noch so blühenden Leib! Verwesen! Davor graute ihr mehr als vor dem Totsein, denn als Leiche konnte man ja noch Mitleid erregen, konnte man noch schön sein, aber wenn die brutalen Naturkräfte den Leib zersetzen, da floh alles menschliche Mitgefühl, da war man nur noch ein Gegenstand des Ekels. Wenn sie doch rasch vom Erdboden verschwinden könnte, in Luft zerfließen! Doch er wollte es ja so! Er wollte, daß sie sterbe!

Sie sank in einen Fauteuil, drückte die Hände auf den Mund und hustete, als könne Sie das Gift dadurch aus ihrem Körper entfernen. Horch! man kam!

»Liebes Kind – eine fröhliche Botschaft,« ertönte plötzlich die Stimme Frau von Porkʼs neben ihr. Isabella sah mit stumpfem Blick empor.

»So fröhlich, daß ich sie kaum wage auszusprechen,« fügte die alte Dame mit leuchtenden Augen hinzu, »ich hege Furcht, Sie ertragen diesen Wechsel des Glücks nicht.«

»Wie?« stöhnte Isabella, »was sagen Sie?«

»Raten Sie, wer Sie zu besuchen gekommen,« fuhr die Gesellschafterin fort, begeisterte Blicke nach der sich bewegenden Thüre werfend, »raten Sie, es ist nicht schwer —?«

»Mich zu besuchen?« flüsterte Isabella.

»Ja – raten Sie, aber nehmen Sie Ihre ganze Fassung zusammen – erschrecken Sie mir nicht zu sehr – o mein Kind – wer hätte das gedacht – errätst Du es denn nicht? Du ahnst es – nicht wahr?«

Isabella richtete sich langsam in dem Fauteuil empor, ihre Augen traten aus den Lidern, jeder Nerv spannte sich in ihr, als sie mit den gekrümmten Fingern sich in die Lehne des Stuhles krallte.

»Das ist – das soll nicht sein – nein!« keuchte sie nach Worten ringend – »meine liebe Mutter, thue mir das nicht an – nicht jetzt —«

»Was denn, mein Kind?« begütigte die Gesellschafterin, »was reden Sie —? ahnen Sie Ihr Glück —? aber dann blicken Sie doch nicht so verzweiflungsvoll?«

Die Thüre hatte sich weiter, immer weiter geöffnet, Isabella sich immer höher erhoben, und als jetzt hinter der Thüre die Gestalt eines schlanken, verlegen lächelnden Mannes auftauchte, streckte ihm Isabella die beiden Hände wie abwehrend entgegen und blieb einige Zeit in dieser Stellung stehen, die Augen voll großen Entsetzens an die bleiche Stirn dieses Mannes geheftet, als sei ihr die Erscheinung eines Unglaublichen, Unnatürlichen genaht. O Gott, o Gott,« stöhnte sie dabei auf, »o Gott – er?«

»Isabella!« tönte es beklommen von den Lippen dieses Mannes, »Isabella, Ihr Brief – ich konnte nicht anders – es zog mich zu Dir zurück —«

Aber Isabella schüttelte den Kopf, immer noch jenen irren, geisterhaften Blick auf den Fremden geheftet.

»Frau von Pork,« stammelte sie leise, ohne sich zu der alten Frau umzuwenden, »sagen Sie ihm, er solle gehen – ich bitte – gehen – fort —«

»Isabella,« sagte Frau von Pork, ihre Hand fassend, »ich verstehe Sie nicht – kommen Sie doch zu sich —«

»Er soll – gehen —« hauchte sie noch einmal, langsam in den Sessel zurücksinkend.

»Aber erkennen Sie ihn denn nicht?« rief Frau von Pork, »es ist ja Ihr Freund – Eduard Enger – Ihr Geliebter – er ist von München gekommen – Ihr Brief, den er später erhielt, hat sein Herz besiegt – erkennen Sie ihn doch – —«

Aber Isabella sah den Nähertretenden mit dem ausdruckslosen Blick einer an den Wahnsinn grenzenden Verzweiflung inʼs Gesicht.

»Du – — nein! nein!« hauchte sie immer noch kopfschüttelnd, »es ist nicht so – nein —! es soll nicht —«

»Und es ist doch so,« sagte Eduard mit weicher Stimme, ihre kalte Hand ergreifend, »nicht wahr, ich bin ein launenhafter Mensch? Aber sieh, Dein Brief hat mich so tief gerührt – mir that so weh, daß ich Dich gekränkt – nicht wahr – Du verzeihst mir – und wir wollen recht gute Freunde werden – ich habe bereits mit Deinem Vater gesprochen – er sagte mir, Du seist so schwer krank gewesen – vergessen wir das alles – es werden bessere Zeiten kommen.« Dabei strich er leise über ihre kalte, zuckende Hand. Eduard war in der That gerührt. Daß Isabella um seinetwillen so schwer erkrankt sei, erregte seine Reue, erweckte ihm nagende Gewissensbisse; er wollte ihr Hoffnung einflößen, sein Mitleid bewog ihn, ihr Versprechungen zu machen, an deren Erfüllung er selbst nicht recht glaubte; jener Brief, den sie an ihn geschrieben, zeigte sie seinen Augen wieder von der günstigsten Seite.

Isabella klammerte sich, da er nun schwieg, bebend an seine Hand, erhob sich sodann langsam, legte ihre beiden Hände auf seine Schultern und sah ihm einige Zeit mit dem Ausdruck des tiefsten Mitleids inʼs Auge.

»Und Du liebst mich wirklich?« frug sie, ihre Lippen den seinen nähernd, »wirklich?«

Er schloß die Augen; sie wollte ihn küssen, fuhr aber, da sie an ihren von dem Gift befeuchteten Mund dachte, erschrocken zurück.

»Und Du liebst mich —?« frug sie noch leiser, in sich zusammenschaudernd.

»Ich liebe Dich,« sagte Eduard, wohl einen Augenblick schwankend, dann aber mit ziemlich fester Stimme und dachte dabei an die Gewissensbisse, die ihm Isabellaʼs Leiden verursacht.

»Ja, das ist recht von Dir,« entgegnete sie ein Wenig lächelnd, »ich habe es um Dich verdient, daß Du mich liebst – nicht wahr? Ich weiß, ich habe meine Fehler, ich bin zu rasch – zu ungestüm – Dich aber habe ich geliebt, Eduard —« Wiederum traf ihn jener in andere Welten versunkene mitleidsvolle Blick, wieder neigten sich ihre Lippen zu den seinen hin. Plötzlich zuckte sie zusammen, ein grimmiger Schmerz durchbohrte sie, das Gift begann, wie sie fühlte, sein zerstörendes Werk. Doch sie beherrschte sich, er durfte davon nichts ahnen, vielleicht konnte sie ja noch gerettet werden und vor allem mußte er geschont werden.

Sie hielt inne, sah starr inʼs Leere, verzog dann den Mund zu einem unterdrückten, schmerzlichen Aufschrei und sagte, fast unverständlich ächzend »Gehe – entferne Dich – schnell —!«

Er wollte erstaunt Einwendungen machen, sie jedoch schnitt ihm, matt lächelnd, das Wort ab. »Mein Freund,« stammelte sie, »es ist nichts —« Der Schmerz tobte von neuem, sie preßte den Mund zusammen und dachte nur an sein Entsetzen, wenn er erführe, was sie gethan.

»Gehe – komme morgen wieder – jetzt nicht – rasch – entferne Dich —« stöhnte sie, immer mehr erbleichend. »Du darfst es nicht wissen – ich schäme mich zu sehr – gehe – ruft den Arzt – ich will leben – gehe —«

Sie verbarg seufzend das Gesicht und versuchte darauf wieder jenes matte Lächeln, während ein kalter Krampf ihr die Eingeweiden durchwühlte. Frau von Pork, im Glauben, Isabella sei zu sehr nervös angegriffen, um länger den Eindruck dieses Wiedersehens ertragen zu können, sprach in diesem Sinne mit Eduard, der sich darauf, tief bewegt, entfernte, diesmal fest entschlossen, ein Mädchen, das so viel um ihn gelitten, glücklich zu machen. Er hörte noch ihren Aufschrei, als er die Thüre geschlossen, hörte noch das Durcheinanderrufen der Zofen, sah dann vor der Straße aus rasche Lichter an den Fenstern des Palais hin- und wiedereilen. Die Thränen, die er so selten vergoß, traten mehrmals über die Lider seiner Augen, als er die Straße entlang schritt und er sich vor den Vorübergehenden schämte, die ihn wohl für einen Betrunkenen halten mochten. Eigentlich hatte ihn nicht nur Isabellaʼs Brief dazu bewogen, die weite Reise von München nach D. zu unternehmen, der Mutter, die ihr Geheimnis nicht länger verbergen konnte, war es gelungen, den Sohn nach Ibstein zu locken, indem sie ihn Betreff des Vaters die volle Wahrheit eingestand. Mit dem alten Manne stand es schlimmer, ihn wollte Eduard besuchen und er bildete sich dabei ein, sein Besuch gelte in erster Linie dem armen Mädchen. —

Als Eduard nach zwei Tagen von Ibstein zurückkehrte, um wie er versprochen, in Isabellas Arme zu eilen, fühlte er sein Inneres bereits bedeutend abgekühlt. Als er das Palais betrat, fiel ihm die Ruhe auf, die in dem prunkvollen, weitläufigen Gebäude herrschte, die sonntägliche Stille, die auf diesen teppichbelegten Steintreppen schlief. Er achtete nicht auf die schwarzgekleidete Dienerschaft, die auf den Zehen über die Teppiche schlich, nicht auf die eigentümliche Aufstellung vieler dem Gewächshause entnommenen Pflanzen, und nur wie beiläufig sagte er sich einmal: Diese Reichen, was sie sich doch das Leben so feiertäglich zu machen wissen. Da er den Vater in gesünderem Zustand verlassen, beschäftigte er sich mit dem Gedanken, wie es nun mit der bevorstehenden Hochzeit werden solle. Hochzeit! Dieses Wort fröstelte ihn an wie das Wort Kerker! Das Erstaunen über seine Kühnheit, sich ein Weib nehmen zu wollen, wuchs zu einer solchen Höhe, daß er sich zuweilen fragen mußte, ob er denn noch der alte Eduard Enger sei, ob ihn nicht vielleicht ein wahnsinniger Traum befallen habe, und nur wenn er an den Liebreiz, an die Seelenqualen Isabellas dachte, atmete er erleichtert auf. Ich bin doch ein gutmütiger Mensch, heirate ein Mädchen aus reinem Mitleid. Kann man es in der Gutmütigkeit weiter treiben? Aber er wünschte zuweilen etwas hartherziger geschaffen zu sein.

Der alte Graf schien ja gar nicht so unliebenswürdig zu sein, doch das Opfer, das der vornehme Herr der Liebe seines Kindes bringen wollte, anzunehmen, das verletzte Eduards Stolz, das war ein Geschenk, das er am liebsten abgewiesen. Nun, wir müssen abwarten, überlegte der Künstler stehen bleibend: doch mir ist es immerfort, als täusche ich mich selbst, als sei das alles nur ein Spiel meiner Phantasie. Soll ich weitergehen? setzte er sein stummes Selbstgespräch fort. Ich gehöre eigentlich gar nicht in diese prunkvollen Räume! Wie unbehaglich ihm beim Anblick dieser dienstbeflissenen Bedienten zu mute ward, wie ehrfurchtgebietend der große Kronleuchter in dieser Vorhalle hing, ganz als wolle er sagen: Was willst Du hier, Plebejer! Wie ungewohnt ihm dieser Pomp war. Er konnte sich trotz seiner Verachtung äußeren Prunks nicht helfen – Die Pracht dieser Marmorstiege, die Vergoldung der Thüren, die metallenen Candelaber, dieser ganze fürstliche Raum fröstelte ihn an, und er würde vielleicht seinem Drange umzukehren nachgegeben haben, wäre nicht in diesem Augenblick auf dem Treppenabsatz Frau von Pork erschienen, die sich mit einem älteren Herrn in der halbgeöffneten Flügelthüre leise unterhielt.

»Sind wir über alle Gefahren hinaus, Herr Doktor?« flüsterte die weinende, alte Dame.

Gefahren? dachte der lauschende Künstler und hielt den Atem an, sollte dem Mädchen ein Übel zugestoßen sein?

»Noch nicht völlig,« entgegnete der Angeredete, »doch hoffe ich von dem starken Körper der Gräfin, daß er die Nachwirkungen der Vergiftung siegreich überwindet. Zum Glück hatten sich die Pulver noch nicht sämmtlich aufgelöst; hätte sie das Glas zehn Minuten später geleert, es stünde jetzt schlimm mit dem Kinde.«

Eduard begann der Kopf zu schwindeln, eine furchtbare Ahnung drängte sich ihm auf, die sich zur Gewißheit steigerte, als der Arzt fortfuhr: »Auch gab ihr eine gütige Vorsehung ein, die Pulver in den Papierhülsen zu lassen, dadurch konnte das Arsenik nicht in allzu rasche Berührung mit dem Wasser kommen.« Vor Eduards innerem Auge tauchte jener Abend, da er Isabella zum letzten Mal gesehen, wie ein böser Traum auf. Ihr Erblassen – ihr Aufschrei – war es denn möglich – der Arzt – in Eduards Innerem that es, als er den Zusammenhang dieser Worte erraten, einen starken Ruck, sein Herz krampfte sich zusammen, er mußte sich an dem Geländer der Treppe halten, so schwarz zog es ihm am Auge vorüber. Einen Moment hindurch stand er gelähmt an allen Gliedern, ganz benommen von einer unendlich niederdrückenden und doch zugleich erhebenden Empfindung – Gift! also doch! Unselige! Um meinetwillen!! Die Schritte des an ihm vorübergehenden Arztes weckten ihn aus diesem Taumel.

»Guten Tag!« sagte der Arzt. Eduard griff mechanisch, an den Hut! »Was ist das? Die Liebe murmelte er verstört, daß sie den Tod nicht fürchtet! und im Weiterschreiten taumelte er so bedenklich, daß ihm der ihn beobachtende Arzt lächelnd unter die Arme greifen wollte. »Junger Mann, wohin?« frug er. Frau von Pork, die gehört, daß jemand die Treppe herauf kam, beugte sich herab.

»Sie? Herr Enger,« rief sie, als sie den Verstörten erkannt, »o kommen Sie rasch, rasch! O! welches Unglück! O! Die Bedauernswerte! Warum kamen Sie nicht früher!«

Der Arzt begriff und blieb stehen. Eduard stürzte die Stiegen hinauf.

»Sagen Sie mir, Frau von Pork,« rief er mit fieberhafter Erregung, »sagen Sie mir, daß ich kein Mörder bin – nicht wahr – o nicht wahr – das bin ich doch nicht?«

»O, Herr Enger,« weinte die Angeredete, »was haben Sie gethan —« Also doch! Und war er denn schuldig? Nein! Nein! Ja! Doch! Warum liebte er sie denn auch nicht! Das war seine Schuld, eine furchtbare Schuld, wie ihm jetzt däuchte. O, wenn sie doch zu retten wäre! Was sie nur so über alles Maß an ihn fesselte, die Bejammernswerte? Eduard wankte nach der Thüre und während es ihm war, als lege sich ihm ein eiskalter Schauer um die Stirnhaare, suchte er nach dem Griffe.

»Lassen Sie mich zu ihr,« stöhnte er, »ich muß sie fragen, ob ich ihr Mörder bin —«

Das kalte Grausen, das ihn beschlich, raubte ihm die Besinnung und doch dachte er selbst in diesem Momente daran, daß er nie mehr werde einen Pinsel anrühren können, wenn diese Blutschuld auf ihm laste; ja, dieser Gedanke stand fast mit deutlicherem Antlitz vor seiner Seele, als jeder andere, er verschlang fast das Mitleid und die Zuneigung zu der Unseligen. Indes war der Arzt die Stiege heraufgekommen und nahm den ganz Zerschmetterten besorgt an der Hand.

»Fassung!« sagte er leise, »ich hoffe, es steht besser, als wir denken!«

»Reden Sie die Wahrheit?« frug der Erregte, erleichtert aufatmend.

»Und besonders, wenn Sie, Herr Enger,« fuhr der Arzt lächelnd fort, »sich dem Mädchen – wie soll ich sagen – freundlich zeigen wollten —«

»Alles, alles!« rief Eduard hastig, »nur nicht dieses vernichtende Schuldbewußtsein!«

»Wie gesagt, alsdann hoffe ich das Beste,« fügte der Arzt hinzu, »folgen Sie mir an das Bett der Kranken, die ich indes vorbereiten muß.«

* * *
Возрастное ограничение:
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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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