Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Seelenrätsel», страница 14

Шрифт:

IX

Mittlererweile gingen die Dinge im Forsthause zu Ibstein einer Veränderung entgegen. Seit Eduard die Eltern verlassen, herrschte zwischen den beiden Ehegatten die größte Eintracht, wenn man eine gewisse gegenseitige Scheu Eintracht nennen will. Der alte Förster fühlte sich gedrückt, seine Frau sprach ihm Trost zu, den er kopfschüttelnd abwies. Frau Enger bemerkte, daß ihr Gatte sich aufʼs tiefste schämte, den Sohn zu jenem Betruge veranlaßt zu haben, daß sein ehrlicher, wenn auch rauher Charakter unsäglich unter der Vorstellung litt, das Glück seines Sohnes in egoistischer Weise zerstört zu haben. Nie sprach er indeß hierüber, lag auch seinen Pflichten noch mit ziemlicher Pünktlichkeit ob, wenn sich auch bisweilen eine gewisse Unlust, den sonst so geliebten Wald zu betreten, bei ihm bemerkbar machte.

»Der Herr fürchtet sich vor den Bäumen,« sagte der Knecht zuweilen kopfschüttelnd zu Frau Enger. Anfänglich eilte der Förster von Gemach zu Gemach, als hoffe er den Sohn noch in irgend einem Winkel zu finden, als hege er das Bedürfnis, sich ihm verständlich zu machen. Dann sprach er oft verstört mit sich selbst, lief unruhig von dem Stalle nach der Stube, von der Stube in den Stall, bis er schließlich in eine Unthätigkeit verfiel, die für sein körperliches Wohlbefinden die schlimmsten Folgen nach sich zog. Er alterte sichtlich, seine Gesichtsfarbe verblaßte, sein Appetit nahm ab, der Schlaf wollte sich nicht mehr einstellen, kaum daß der gewohnte Mittagsschlaf herbeizulocken war. Tagelang saß er am Fenster, in den Wald hinausstarrend, dann schritt er, die Hände auf dem Rücken, durch die Zimmer, betrachtete seine Gewehre, um sie mißmuthig wieder in den Schrank zu stellen und zeigte sich, wenn ihm seine Frau begegnete, ungewöhnlich herzlich. Diese Herzlichkeit, oder besser, diese Weichheit grenzte anʼs Krankhafte, die Art, wie er sie »arme Frau« nannte, ließ erkennen, daß sich seines Gemüts eine nervöse Verdüsterung bemächtigt hatte, die Vorahnung von etwas unsagbar Finsterm. Selbst sein Kato vermochte ihm keine Liebkosungen mehr zu entlocken, er stieß den Hund von sich, wenn er ihm nahte: überall witterte er Verderben, Untergang, Untreue, Verrat. Bei Tische redete ihm seine Frau eines Tages aufʼs freundlichste zu, doch von den Weißerüben zu essen, die er ja so sehr liebe. Er sah sie grämlich an und als er bemerkte, daß sie ihre Thränen hinunterschluckte, geriet er in die wunderlichste Unruhe, atmete dann tief auf, bis sich plötzlich das lang angesammelte Unwetter entlud. Er schlug plötzlich mit der geballten Faust so heftig auf den Tisch, daß die gute Frau entsetzt vom Stuhle aufsprang, befürchtend, er wollte irgend einem anʼs Leben. Sein Gesicht färbte sich blutrot, aber den Wutanfall, der nun mit dämonischer Gewalt wie ein Naturereignis aus ihm herausbrach, richtete er gegen sich selbst, es schien, als befreiten ihn die wüsten Selbstanklagen, die er jetzt fluchend hervorstieß, von der Last der seitherigen Melancholie. In der That bot der wütende Alte in seiner wilden Selbstzerstörungssucht ein Bild von geradezu erschütternder Größe.

»Keinem Menschen mehr darf der alte Kindesmörder unter die Augen treten,« rief er auffahrend, sich auf die Brust schlagend. »Das muß ein Ende nehmen – gestohlen hat er! ja gestohlen, der ehrlose, alte Kerl, sein Kind hat er um sein Lebensglück bestohlen – istʼs etwa anders, Frau? Nein! gerade so istʼs – gerade so, – sagtʼs ihm nur inʼs Gesicht – wer jagt ihm eine Kugel durch den Kopf, dem Kindesmörder, dem Betrüger —? Verstecke Dich! Verstecke Dich, alter Hund —! Wo ist der Brief des Grafen – sie muß ihn lesen – sie muß wissen, welchʼ saubere Anverwandten sie hat – wo ist der Brief?«

Frau Enger hielt, vor ihm niederknieend, seine Hand umklammert, er stieß sie von sich, ließ sie nie zu Worte kommen, arbeitete sich immer tiefer in seine Vernichtungslust hinein, dazwischen beständig auf den Tisch schlagend.

»Wo hast Du den Brief?« schrie er seine zitternde Frau an, die er vom Boden in die Höhe riß und als diese händeringend zur Antwort gab – sie wisse nicht, wo der Brief geblieben, machte er sich auf die Suche, lief in atemloser Hast durch die Zimmer, wühlte alle Schränke aus und geberdete sich, als hinge von der Auffindung dieses Briefes sein Leben ab. Wo ihn finden, auf den, als man ihn gelesen, niemand geachtet?

»Und wenn ich um meine Stelle komme und mögen sie mich verhungern lassen,« brummte der Suchende, »ich will mich rechtfertigen, dieser Schimpf schneidet mir tiefer ins Fleisch, als wenn sie mich mit Hetzpeitschen aus dem Forsthause getrieben; es muß klar werden zwischen uns!« Endlich durchsuchte er die am Ofen stehende Holzkiste, in welche Frau Enger, um bequemer Feuer anmachen zu können, alles überflüssige Papier zu werfen pflegte. Gerade im Augenblick, als er sich mit klopfenden Schläfen über diese Kiste herabbeugte, befiel ihn ein leichter Schwindel, er wollte, nach einem weißen Blatt greifend, ausrufen: »Da ist er —« als er bemerkte, daß ihm die Zunge den Dienst versagte. Frau Enger sah zu ihrer größten Bestürzung, wie er mit dem Kopf gegen die Kiste zu sank und in dieser Lage verharrte.

»Gott! was ist Dir? warum stehst Du nicht auf?« rief sie aus, eilte auf ihn zu und bemerkte mit Entsetzen, daß er sich vergeblich bemühte, zu reden; unverständliches Gestammel entquoll seinen verzerrten Lippen; die ganze linke Hälfte des Mundes hing schlaff herab.

Der Schlag hat ihn gerührt,« schrie die zum Tod Erschrockene auf, welcher Schrei den Knecht nebst der Magd inʼs Zimmer lockte.

»Hilf, ihn aufheben,« rief der Knecht der Magd zu.

»Wie schwer der Herr ist,« keuchte die Magd, den unbeweglichen Mann unter den Schultern fassend, indes Frau Enger ratlos, ihrem Gatten bald auf die Brust, bald auf die Stirn, bald auf den Rücken tastete.

»O Gott, o Gott, wäre Eduard doch hier,« jammerte sie leise, »sprich doch ein Wort, Alterle, wie fühlst Du Dich denn? Hast Du Schmerzen, soll ich Dir kalte Umschläge machen? – er redet nicht, was soll ich nur beginnen —«

Sogleich ward der Knecht nach dem Arzt geschickt. Die Frau brachte den alten Mann, der sich nun heftig erbrach, mit Hülfe der Magd zu Bett, der Förster jedoch versuchte trotz seiner hülflosen Lage mit der rechten unverletzten Gesichtshälfte seiner Frau verständlich zu machen, daß er den bewußten Brief in der Holzkiste entdeckt.

Er beruhigte sich nicht eher, als bis seine Frau ihm das ganz beschmutzte, zerrissene Blatt vorlegte, das er darauf, nachdem ihm die Linke den Dienst versagt, mit der zitternden rechten Hand sorgsam unter dem Kopfkissen verbarg.

* * *

X

Das Palais des Grafen Ibstein war an einem der folgenden Abende hell erleuchtet. Die gewagten Rhythmen eines Straußschen Walzers durchrauschten die Säle und schienen von ihren klingenden Flügel herab Glanz, Blumenduft, Gelächter durch alle Räume bis hinaus auf die winterlich verschneite Straße schütteln zu wollen. Der große Saal flimmerte wie ein Feenreich; aus dem heißen Glast, der von den Kronleuchtern herabtroff, blitzten die Epaulette, bauschten sich die weißen Kleider, lauschten die nackten Schultern, Handschuhe, lächelnde Lippen und nur die schwarzen Fräcke der Herren trugen in diesen ätherischen Lichtduft ernstere Tinten. Der Festgeber, Graf Ibstein, der sich für Litteratur interessirte, sprach gerade mit einem jungen Schriftsteller, der, ein Pince-nez auf der Nase, durchaus den Eindruck eines Commisvoyageuer machte. Der Intendant trat zu den beiden heran.

»Gratuliere zu dem neusten Erfolg,« sagte er, dem jungen Schriftsteller auf die Schulter klopfend, »wir werden das Stück, das in Weimar so sehr gefallen, gewiß auch auf unsre Bühne bringen.«

Der junge Schriftsteller, der sowohl in seinen Werken, als in seinem Benehmen die Franzosen nachahmte, verbeugte sich ironisch lächelnd. Er hatte nämlich vor einem halben Jahre dasselbe Stück, das in Weimar kürzlich einen großen Erfolg errungen, dem Intendanten eingereicht, der es damals mit dem Bemerken ablehnte, das Stück sei nicht aufführbar. Baron Brunau erkannte seinen Irrtum und war auch anständig genug, sich ein wenig zu schämen, was bei einem gewesenen Militair, der nun auf einmal Schauspieler kommandieren muß, immerhin anerkennungswert ist. Graf Ibstein, der einige Zeitschriften las und zuweilen auch einmal ein Buch kaufte, unterhielt sich, nachdem der Baron gegangen, mit dem jungen Schriftsteller über die neusten Erscheinungen der Litteratur und war höchst verwundert zu hören, die modernen Dichter beklagten sich bitter über die Teilnamlosigkeit der Nation.

»Da haben Sie recht,« sagte der Graf im Laufe des Gesprächs, »was einer Nation den Wert gibt, ist nicht die äußere Machtstellung, sondern die geistige Arbeitskraft, ebenso wie man in der guten Gesellschaft den einzelnen Mann nicht nach seiner Muskelkraft, sondern nach dem beurteilt, was er denkt.« Der Graf wollte sich noch weiter über diesen Gegenstand äußern, ward jedoch abgerufen, da im Hintergrund des Saales eine Bewegung entstand. Gleich darauf sah man ihn am Arm seiner Tochter nach dem Wintergarten eilen, während Baron Brunau, neben beiden hertänzelnd, dem sehr blassen Mädchen aufʼs liebenswürdigste zusprach.

»Das Fest – hem – hem – nehme seinen Fortgang,« sagte der Graf in seiner vornehm hüstelnden Art zu den Umstehenden, »lassen sich meine Gäste – hem – hem – nicht stören durch diesen Zwischenfall: meine Tochter wird sich sogleich wieder unter die Tanzenden begeben. Die Hitze des Saales und die allzustürmische Gallopade, die Isabella tanzte, haben ihr das vorübergehende Unwohlsein zugezogen.«

Die Gäste zerstreuten sich allmählig, die Musik begann von neuem ihre wirbelnden Weisen.

»Wie befinden Sie sich, Gräfin?« frug, nachdem man den Wintergarten erreicht, Baron Brunau besorgt und rückte einen mittelalterlich verzierten Sessel in die Nähe der Erschöpften, die sich schweigend niederließ. Rings in dem einer Tropfsteinhöhle nachgebildeten Raum herrschte eine angenehm blaue Dämmerung, die von mehreren künstlich verdeckten Lampen ausging und in welcher die lang herabbängenden Steinzapfen phantastische Schatten auf die wohlgepflegten Blattpflanzen warfen.

»Nicht wahr, Isabella, Du bist mein gehorsames Kind,« sagte der Graf, während die herüberhallenden Tanzweisen seine Stimme zuweilen übertönten, »Du suchst Dich so rasch wie möglich zu fassen. Diese Störung ist mir sehr unwillkommen, man deutelt und bespricht sie in auffallender Weise. Habe genug Stolz meine Tochter, Dir nicht merken zu lassen, wie sehr Dein Herz leidet.«

Als Isabella noch immer ein düstres Schweigen beobachtete, nahm der Baron das Wort. »Die Wunde,« sagte er höflich, »die ein Elender meiner schönen Braut schlug, wird heilen, sobald sie Beweise von der Aufrichtigkeit meiner Liebe erhalten hat. Und an diesen Beweisen wird es nicht fehlen, sobald uns das zarteste der Bande auf immer verknüpft. Und dies Band – morgen wird es uns beide umschlingen.«

»Ich möchte Sie bitten, lieber Baron, sich in den Saal zu begeben,« erwiderte ihm der Graf, ein wenig verächtlich, »die Gäste werden ungeduldig, Ihre Braut sollen Sie nicht lange zu vermissen haben.«

»Auf Wiedersehen, schöne Isabella,« lächelte Herr von Brunau und verschwand hinter der Portiére, die den Wintergarten vom Saale schied. Nun waren Vater und Tochter allein, mitten im Jubel des Festes allein. Der Vater betrachtete sein Kind, das noch immer teilnahmlos vor sich nieder sah mit feuchten Augen. Nach einer Pause sagte er, die Hand auf das Haupt Isabellas legend:

»Armes Kind! Ich hätte Deinen Schmerzen gerne Zeit gelassen, sich auszutoben. Rücksichten dem Hofe gegenüber machen mir dies unmöglich. Ich kann Dir nicht helfen, Isabella, trotz meines Ansehns, das ich genieße, der morgende Tag gibt Dich dem Baron. Zeige, daß Du ein adliges Herz im Busen trägst – wir Edlen müssen unsern Adel im Leiden am schönsten bewähren, sonst verdienen wir ihn nicht.« Dann fügte er fragend hinzu: »Gib mir Aufschluß, mein Kind, über Deinen Gemütszustand – fühlst Du Dich stark genug, morgen ein heiteres Gesicht zur Schau zu tragen?« Isabella sah nicht zu ihm empor, ihren Fächer entfaltend, sagte sie mit dumpfer Stimme, die allmählich den schärfern Klang der Ironie annahm:

»Wir Edeln sind von Kindheit an gewohnt unsre Gemütszustände zu übertünchen. Verlange, welche Miene ich annehmen soll, es steht mir jede zu Gebot: soll ich die schelmische, die bloß heitere, die thränenreiche, oder gar die glückstrahlende Braut spielen? befiehl!«

Wie seltsam ihre reiche, heitere Toilette mit dieser Miene kontrastirte.

»Mein Kind – hem – hem! Dein Humor – hem – hem – schmerzt mich,« entgegnete Graf Ibstein mit zitternder Stimme.

»Das sollte er nicht, mein Vater,« erwiderte sie ganz ruhig, ohne Affektation.

»Du hast die Mutter entbehren müssen,« fuhr der Vater mit immer unsichrer Stimme fort, »ich habe den Fehler begangen, Dich auf dem Lande fern von mir erziehen zu lassen, und ich fühle bitter, wie sich das alles rächt. Doch solltest Du Mitleid mit Deinem Vater haben, selbst wenn er an Dir gefehlt —! Dein Vater empfindet mehr für Dich, als Du glaubst.« Er warf einen reuevollen Blick auf sie und verließ hastig den Wintergarten.

»Er hat kein hartes Herz,« dachte Isabella, »er liebt mich und er würde meinem Glücke nicht hindernd im Wege gestanden haben, wenn —!« sie brach ab und setzte laut hinzu: »Doch gleichviel! Das ist vorbei!«

Wie seltsam es ihr zu mute war, als sie jetzt so allein in dem halb dunklen Raum saß, entfernt von den lachenden, schwatzenden Gästen. Sie empfand eigentlich gar nichts mehr, manchmal schlief sie bei wachen Sinnen und nur die zuweilen aufjubelnde Tanzmusik durchzuckte sie wie ein jähes, schmerzendes Schwert. O Glanz der Welt, dachte sie einmal und lächelte. So versank sie in allerlei Phantasien, wie sie der herannahende Schlaf zu erzeugen pflegt, bis Frau von Pork, die mit der Zofe nahte, sie aus diesem nicht unangenehmen Hinbrüten aufschreckte. Frau von Pork gab der Dienerin einen Wink. Letztere verstand.

»Da hat sich eine Rose aus Ihrem Haare losgelöst, Gräfin,« plauderte die geschwätzige Zofe, »ich stecke sie fest. Wie glücklich Sie sein müssen, gnädiges Fräulein, – Sie stehen in der Vorhalle der Seligkeit, morgen um diese Zeit umarmt Sie der Glücklichste der Sterblichen.«

»Ordnen Sie die Toilette der Gräfin, damit wir in den Saal zurückkehren können und beeilen sie sich,« unterbrach sie die Gesellschafterin.

»Ich bin gleich zu Ende,« schwatzte die Zofe weiter, »Gräfin, Sie können gar nicht glauben, wie heiter Baron Brunau ist, und auch Ihren Vater haben Sie erfreut durch Ihre rasche Zusage – doch er blickt ernster. – So, nun können Sie sich wieder sehen lassen.«

»Bringe mir einen Becher gekühlten Weins, meine Liebe. Mein Kopf glüht,« sagte Isabella, worauf sich Emma entfernte.

»Sehe ich sehr erhitzt aus; gute Mutter?« frug das Mädchen.

»Nein, liebes Kind, Sie sehen blaß aus.«

»Tanzen! Ich habe in der That getanzt. Begreifen Sie es?« lachte Isabella vor sich hin.

»Wie eine Bacchantin haben Sie getanzt, alle Gäste haben es bemerkt,« entgegnete die Gesellschafterin, sich neben ihrem Kinde niederlassend.

»Sagen Sie, wie ein Geist im Mondenschein auf seinem Grab,« fuhr Isabella fort.

»O bitte, reden Sie nicht so schauerliche Dinge, man könnte lauschen —«

Die Dienerin hatte indes den Wein auf das kleine, runde Tischchen gestellt. Die Musik verstummte, man vernahm wieder das Durcheinander-Reden, die rauschenden Schritte der Versammelten.

»Es ist gut, gehe!« sagte Isabella, worauf sich Emma entfernte. »Mag man lauschen,« fuhr die Gräfin fort, »lassen Sie mich jetzt noch reden, man wird sich bald über mein Schweigen wundern.« Dann hielt sie inne, atmete auf und flüsterte wie im Traume: »Ich werde recht glücklich sein – recht glücklich!«

Frau von Pork, die sie nicht verstand, sagte hierauf freudig: »O gewiß, Sie können auch mit ihm glücklich sein.«

»Mit ihm? Besser ohne ihn,« lachte Isabella, die während des ganzen Verlaufs dieser Unterhaltung fast regungslos dasaß.

»Ohne ihn? Wie meinen Sie das, mein Kind?« gab die alte Frau erstaunt zurück.

»Das ist mein Geheimnis,« schnitt ihr die Gräfin die Frage ab. »Liebe Mutter, denken Sie, mir ist stets, als höre ich den Wald über meinem Haupte rauschen.«

»Erinnerung an den Aufenthalt in Ibstein, mein Kind,« meinte die alte Frau seufzend, »aber lassen wir solche Erinnerungen – sehen Sie, Sie atmen schwer auf – verbannen Sie diese Erinnerungen – Lassen sie uns nun in den Saal zurückkehren, dort herrscht glänzendes Leben, dafür sind Sie erzogen.«

»Freilich! ich bin erzogen worden, um mich zu langweilen,« lächelte Isabella mit bleichen Lippen. »Die Langweile ist ein Tod bei Bewußtsein, ich bin erzogen worden, um diesen Tod zu sterben. Liebe Mutter, Sie glauben es nicht, wie abgeschmackt mir dieses Leben vorkommt, ich halte es fast nicht der Mühe wert Atem zu holen, diese Anstrengung ist so langweilig, immer dieselbe Bewegung man erhält so viel goldnen Staub und silbernes Elend in die Lunge. Diese Gestalten, die mich umgeben, sind wir wie bewegliche Wachsfiguren, sie grinsen mich an, ich grinse sie wieder an, sie verbeugen sich, ich thue dasselbe, ich rede, sie sagen ihre Lektion auf. Ich bin eben eine solche Wachsfigur und ich möchte einmal meinen eigenen Mechanismus sehen, der alle diese Empfindungen aus sich hervorbringt; mir dünkt, die Räder und Walzen sind bereits ein wenig, abgenutzt.« Plötzlich griff sie sich an die Stirne. »O! mein Kopf!« stöhnte sie.

»Sie leiden, mein Kind?« frug Frau von Pork besorgt.

Gelassen sagte Isabella nach einer Pause:

»Ich lebe!!«

»Sie leben geliebt und bewundert,« » wandte Frau von Pork gerührt ein.

»Geliebt von wem?« fuhr das Mädchen fort. »Bewundert, um welche Eigenschaften? Geliebt, weil ich eine Gräfin von mehreren Millionen bin; bewundert, weil ich Arme und Nacken habe.« Dann setzte sie mit verächtlichem Tone nach einer Pause hinzu: »Es ist gar zu elend,« und preßte hierauf die zitternden Lippen, ein wildes sarkastisches Lächeln unterdrückend, fest aufeinander.

»Der falsche, treulose Mann hat Sie zu Grunde gerichtet,« hauchte Frau von Porks bebender Mund, »hat Ihr Gemüt erbittert – o! Fluch ihm Gott!«

»Ich danke ihm dem Manne!« entgegnete ihr das Mädchen mit fieberhafter Erregtheit, die an jenen grausigen Humor der Verzweiflung streifte. »Er hat wohlthätig gewirkt auf meine Geisteskräfte. Mir ist so wohl in meinem Unglück, o! so wohl!« fügte sie mit singender Stimme hinzu. »Sehen Sie, ich durchschaue die Welt, ich schaue ihr ins Innerste, als wenn sie von Glas wäre, ich schaue den Menschen mitten in die Brust und sehe darin, wie das Herz zuckt, das so gerne zur Ruhe kommen möchte, ich durchschaue den Himmel und ich suche nach Gott. Das ist das Glück des Unglücks, daß es unsere Kräfte erhöht, daß es uns lehrt, da zu verachten, wo wir sonst angebetet.«

»O, mein Kind,« stieß Frau von Pork ganz erschrocken hervor, indes im Saale eine lärmende Gallopade ihre brutalen Rythmen herüberwehte. Isabella schwieg. Dann flüsterte sie auf einmal:

»Gute Mutter glauben Sie mir, wenn ich sage: ich liebe ihn noch!?«

»Von Herzen glaube ich es,« erwiderte ihr die alte Frau, sie umarmend. »Ich kenne solche Empfindungen: wen es einmal geliebt hat, den hält es fest, das Frauenherz.«

»Das ist thöricht und unrecht von ihm,« meinte Isabella lächelnd, »mein Herz ist ein Kind und ich werde es züchtigen. Mein Herz und ich wir vertragen uns nicht länger, es folgt seinen eignen Liebhabereien. Nun! wir wollen ihm zeigen, wer Herr im Hause ist.« —

»Wollen Sie nicht nachsehen, was diesen Lärm vor der Thüre veranlaßt?«

Dieser letzte Zusatz galt dem Bedienten, der seinen Kopf zur Thür herein steckte. Frau von Pork stand auf, um nachzusehen, was es gäbe. Wiederum saß Isabella allein und indem sie sich scheu ringsumblickte, griff sie nach dem Becher, der noch unangerührt auf dem Tische stand. Sollte sie es jetzt thun? Der morgende Tag lag vor ihr, wie ein Abgrund, hinter ihr Nacht, vor ihr Nacht, aus der eine widerwärtig lächelnde Gestalt mit ihren ekeln Küssen, ihren erniedrigenden Umarmungen auftauchte. Das Versprechen war gegeben, nur ein Mittel blieb noch, sich dieser Qual auf immer zu entziehen. Sollte sie es nun anwenden? Isabella war mit dem Scharfsinn, den das Unglück verleiht, zu Werke gegangen. Ihr Vater litt seit einiger Zeit an heftigem, nervösem Kopfschmerz, der blitzartig reißend auftrat. Sie war zufällig anwesend, als der alte, erprobte Hausarzt dem Vater ein Mittel aufschrieb, das diesen peinigenden Schmerz vertreiben sollte.

»Der Erfolg ist indes ungewiß,« hatte der Arzt gesagt, »halten Sie sich genau an meine Vorschrift; das Mittel ist ziemlich arsenhaltig, demnach ist Vorsicht nötig.«

Sie horchte auf! Arsenik? Isabellas Geist klammerte sich an dieses Wort. Sie ging mehrmals am Tage, ohne zu wissen, was sie that, in das Schlafgemach des Vaters und betrachtete sich das auf dem Nachttisch liegende Schächtelchen voll arglos aussehender weißer Pulver. Sie öffnete die Papierhülse, befeuchtete den Zeigefinger an der Zunge und tupfte damit in die weiße Masse. Wie das wohl schmecken mag? Als sie den Finger an die Lippen brachte, empfand sie einen süßlichen Geschmack. Man sagt, es mache schön, dachte sie und besah sich lächelnd im Spiegel.

Nun! sie hielt sich für schön genug! Immer wieder zog es sie zu diesen Pulvern, von denen sie immer größere Dosen naschte, da sie gar keine Wirkung bemerkte. Mich vergiften? Nein! Warum? das ist ja Thorheit und ich habe ja längst beschlossen, mich in den Willen des Vaters zu fügen, mir ist ja alles gleichgültig. Dennoch ergriff sie die Schachtel und trug sie auf ihr Zimmer, wo sie dieselbe sorgfältig unter ihren Toilettegegenständen verbarg. Warum thue ich das? frug sie sich. Sie vermochte sich keine Rechenschaft darüber zu geben, sie handelte unter dem Einfluß eines blinden Triebs, ohne Reue zu empfinden, ohne sich zu tadeln, ganz als müsse das alles so seinen Weg nehmen.

Dann stand sie oft minutenlang vor ihrer Toilette, zog die Lade und betrachtete traumverloren den gestohlenen Schatz. Dann dachte sie: es kann doch nicht so schwer sein, zu sterben, als die Leute gewöhnlich sagen, ich weiß nicht, aber was ist da Schweres daran —! Schmerzen? Nun, größere, als diejenigen, die ich ertrage, kann dies Pulver mir nicht bereiten. Doch nein! Vergiften! Das ist so gemein!

Als der Vater zur bestimmten Stunde seine Pulver einnehmen wollte und dieselben nicht fand, frug er Isabella, die in ärgerlichem Tone zur Antwort gab, sie wisse nicht, was er meine. Der Vater, der seine Zerstreutheit kannte, bestellte sich neue Pulver, annehmend, er habe die ersten aus Versehen zum Fenster hinausgeworfen.

Wiederum brach die Musik ab. Ein Diener, beladen mit einer großen Silberplatte, eilte durch den Wintergarten, verschiedene Thüren öffneten sich, sodaß ein lebhafter Zugwind entstand, der das Gelächter herübertrug und die Kleidung des Mädchens durchfröstelte. Welchʼ ein peinlicher Moment! Wie dieser rohe Lärm sich so frech in die schwermütigen Gedanken der Einsamen drängte; wie geschminkte Hanswurste, die sich in die Schauer eines Leichenzugs hereindrängen, fuhren diese Höflichkeitsphrasen, diese gellen Laute zwischen die düstren Betrachtungen der Verlassenen. Sie erhob sich, wobei sie aus Versehen auf ihr Kleid trat, ordnete mit der Hand ihr Haar und bemerkte ihr Antlitz, das ihr im Spiegel leblos, wachsartig entgegenstarrte. Wie häßlich ich bin, dachte sie, ohne zu erschrecken, ganz gleichgültig, ich werde alle Tage häßlicher, und als sie jetzt ihr seidenes Kleid glatt strich, warum durchzuckte sie plötzlich die Erinnerung an ihn? – Ja, diese Bewegung, die sie soeben mit ihren Fingern ausgeführt, die war von ihm, die hatte sie ihm abgelauscht, die brachte ihr sein Bild wieder vor die Sinne und, zornig über diese Schwäche, strich sie nochmals langsam über das Kleid, nun jene charakteristische Fingerbewegung absichtlich vermeidend. Er ist ein Elender, tönte es in ihr wieder, und sie freute sich, daß sie zürnen konnte. Ja, nun ihm zum Trotz, wollte sie dem Baron die Hand reichen – ich will elend werden, ich will leiden, flüsterte sie sich zu, dicht vor den Spiegel tretend, und ihrem eigenen Gesichte drohende Blicke zuwerfend, er aber soll glauben, ich sei glücklich und ich könne ihn entbehren! O! wie kann ich ihn das empfinden lassen? Wie bringe ich es dahin, daß er mich beneidet und elend ist, wie ich es bin?

Dann ward sie ruhiger! Nein! Ich wollte, ich wäre tot, dachte sie, ihr leichenhaftes Gesicht im Spiegel betrachtend, und er stände an meiner Bahre und hätte Mitleid mit mir und liebte die Tote, die ihm nicht mehr antwortet auf seine Liebkosungen! Das wäre eine Rache, wie sie mir ziemt. Nein! Nein! er ist gestraft genug, der Arme, ich wünsche ihm nichts Böses. Sie wandte sich um, Frau von Pork kam, einen Brief in der Hand, auf sie zugeschritten.

»Höchst seltsam, mein Kind,« sagte sie verstört, das unbehülfliche, dick versiegelte Schreiben in die Höhe haltend, »denke Dir – vom Förster Enger —«

»Was denn?« fragteʼ Isabella ohne Accent.

»Ja, dieser Brief, ein Knecht brachte ihn.«

»Gieb her,« sagte das Mädchen, mechanisch nach dem Blatte greifend. »Was ist das?« fügte sie dann geistesabwesend hinzu, »eine Bittschrift? Lege sie in mein Schlafzimmer —«

»Ich weiß nicht – ob ich nicht vorher dem Grafen —«

Isabella entnahm, ohne zu wissen, was sie that, den Brief der ängstlichen Dame. Gerade, als sie ohne Neugierde, ganz gleichgültig den Umschlag entfernte, trat Graf Ibstein mit dem Baron plaudernd hinter der Portiére hervor, mehrere Damen folgten den beiden, alle in heitre Unterhaltung vertieft.

»Ah! Diese Hitze,« klagte der Baron, »aber wo bleibt meine schöne Isabella? – ein Glas Eis – ein Königreich für ein Glas Eis —«

Der alte Graf verließ die fröhliche Gruppe, um auf seine Tochter zuzuschreiten, deren Züge auf einmal, nachdem sie es aus dem Umschlage geschält, wie gebannt an dem halbzerrissenen, beschmutzten Papiere hingen. Als der alte Graf seinen Arm sanft in den Arm seines Kindes legte und sie leise bitten wollte, den Tanzsaal zu betreten, wich diese einen Schritt zurück und sah dem Vater mit einem Blick in die Augen, dessen schmerzliche, vorwurfsvolle Starrheit den alten Mann des Atems zu beraubte. Die Umstehenden wurden allmählig aufmerksam, das Gespräch verstummte, denn jetzt begann der Busen des Mädchens sich heftig und immer heftiger zu heben, als wolle er zersprengen, ihre bläulich werdenden Lippen wölbten sich, ihre Zähne schlugen mit einem knirschenden Laut aufeinander. Der Baron gab sein Glas Eis einem Diener und betrachtete erstaunt bald den alten Mann, bald jenen Brief, bald das Mädchen, in dessen Innerem sich ein gewaltsamer Sturm vorzubereiten schien.

»Vater,« stammelte sie endlich tonlos – »Vater, lies diesen Brief —«

»Mein Kind —« er griff nach dem zitternden Blatt.

»Sie bleiben im ungestörten Besitz Ihres Amtes – sobald sich Ihr Sohn – meine Güter zu verlassen – heute noch muß sich die Gräfin – Untreue überzeugen – — —«

Er hatte genug gelesen und wankte, nachdem er den Brief überflogen und ihn als jenes Schreiben des Barons wiedererkannte, das dem Förster die Amtsentsetzung angekündigt, nach der Thüre zu, einen hülfesuchenden Blick auf den allmählig begreifenden Baron richtend.

»Sie weiß alles,« flüsterte er dem Baron zu, »der Förster hat uns verraten —«

»Vater,« rief das Mädchen, immer mehr Herr seiner Sinne und Worte werdend, »und das hast Du gethan? – Bestohlen – betrogen – beraubt —« schluchzte sie dann auf, die Arme vor sich hinstreckend, als öffnete die Erde vor ihr einen tiefen Abgrund. Der Intendant drängte sich durch die Reihen der neugierigen, ahnungsvollen Gäste. Isabella preßte die Hände gegen die krampfhaft zuckende Brust und rang vergebens nach Thränen.

»Liebe Isabella, folgen Sie mir – nicht hier – kommen Sie, schonen Sie den Vater,« stotterte der Intendant leise, ihre Hand erfassend. Einen Augenblick sah ihm Isabella, als er so dicht vor ihr stand, starr, krampfhaft-ruhig in die verlegene Miene. Dann schien sie ihn zu erkennen, sie lächelte irre, ein vernichtender Haß brannte in ihr auf, da der Urheber ihres ganzen Unglücks so gefaßt vor ihr stand; eine rote Wolke legte sich ihr glühend über die ganze Welt und als der Baron nun an ihrem linken Arm zog, wußte sie nicht mehr, was sie that; sie schlug ihm mit der rechten, sich langsam ballenden Faust so heftig zwischen Stirn und Nase, daß sein Augenglas hoch in die Lüfte flog und er, ihren Arm fahren lassend, wie trunken zurücktaumelte.

»Isabella!« jammerte der Vater; Frau von Pork hielt sich die Augen zu: die Umstehenden kamen in Bewegung: eine Dame schrie auf; mehrere sprangen dem Baron bei, dem das Blut über die Wangen in den Mund lief, indes Isabella, an allen Gliedern zitternd, nur eine entsetzliche, dunkle Vorstellung von Blut, Menschengesichtern und betäubendem Lärm hatte. In dieser Vision, in der sie sich als eine Art Mörderin empfand, stammelte sie verzweiflungsvolle, halb unverständliche Worte vor sich hin, die ihr wie im Rausche entfielen.

»Magʼs hören, wer will,« redete sie die Gesellschaft an, »und er liebt mich doch – und damit Ihrʼs wißt – hier! kommt her – lest den Brief —«

Und sie griff nach dem zu Boden gefallenen Brief, schritt auf den ersten besten Gast zu, als wolle sie ihre That durch jenes Blatt entschuldigen, sank aber, noch ehe sie ihr Vorhaben zur Ausführung gebracht, krampfhaft aufschluchzend neben der Portiere nieder, im Falle den Damastvorhang mitreißend. Der alte Graf sprang seiner Tochter bei, ein jüngerer Herr kam ihm zuvor, das ganze Palais geriet in Alarm, bis die Gäste einsahen, daß es schicklich sei, sich so rasch als möglich zu entfernen, so daß auf das Lärmen und wüste Durcheinanderreden die tiefste Stille folgte. Als man Isabella zu Bette gebracht und sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war, litt sie nicht, daß ihr Vater, der mit ihr zu sprechen begehrte, das Zimmer betrete. Sie wollte ganz allein sein. Die Überreizung ihres Nervensystems machte sich in unaufhörlichen Thränen Luft, die sie ganz für sich selbst fließen lassen wollte. Jedes Geräusch berührte sie schmerzhaft, das Licht mußte gelöscht werden, die ab und zu schleichenden Dienerinnen bereiteten ihr unsägliche Qual und wenn sich von der Straße herüber das dumpfe Rollen eines Wagens wahrnehmen ließ, zuckte sie jedesmal zusammen, als erwarte sie ein herannahendes Unheil.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают