Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Der Mime», страница 12

Шрифт:

Die Kaiserin warf einen prüfenden Blick auf Paris und sagte dann, der Sturm sei willkommen, sie liebe die Stürme.

Paris schwelgte in einer Wonne, wie er sie nie vorher empfunden. Die Meeresfläche, noch blauer als der Himmel, schien im Gold der Sonne zu zerschmelzen. Der Himmel durchsichtig flammend, die Ufer grün leuchtend – wie von der Hand des Malers mit allen Reizen der Phantasie geschmückt, das ganze Bild dieser lachenden Landschaft mit ihren Landhäusern und Rebenhügeln verursachte eine träumerische Verschwommenheit aller Gedanken und Empfindungen, lud zu jenem Schlaf ein, in dem man sanft von der kühlen Seeluft gestreichelt, das träumt, was uns in Wirklichkeit umgiebt, so daß uns in süßer Lässigkeit das Wirkliche und das Eingebildete ineinander rinnt. Wandte Paris sein Auge von der seeumspielten Landschaft ab, so berauschte sich sein Blick an dem rosengeschmückten, sanft durch die feuchte Bläue gleitenden Schiff, unter dessen Mast die Kaiserin als Venus gekleidet auf Purpurpolstern ruhte, umgeben von als Liebesgötter gekleideten Knaben, die ihr Kühlung zufächelten. Wohin er auch blicken mochte, das Leben schäumte ihm aus goldnem Becher entgegen – — dort das reiche Bild einer zu feierlicher Schwermuth einladenden Landschaft, hier die Krone der Schöpfung, ein schönes Weib, in der ganzen Entfaltung ihrer frühlingsduftigen und doch reifen Reize. Es war zuviel! Allʼ diese Entzückungen auf einmal zu übersehen, in sich aufzunehmen, zu verarbeiten, war unmöglich, sie beängstigten ihn. Während er mit der Kaiserin heitere, geistreiche Worte wechselte, zerstreute ihn das Landschaftsbild, während er die Landschaft genoß, zerstreuten ihn die zärtlichen Blicke des Weibes, dazu ertönte aus der Kajüte herauf ein sehnsuchtstrunkener Gesang, – der leise im Seewind anschwoll und hinstarb, – Paris senkte die Stirne, – diese allzumächtig auf ihn eindringenden Entzückungen schlugen in ihr Gegentheil um, er versank in Schwermuth.

Er wandelte an die äußerste Spitze des Fahrzeugs, die durch ein Segel von dem übrigen Verdeck getrennt war, stützte den Kopf in die hohle Hand und fühlte sich so, mitten in der allgemeinen Lust, vereinsamt, von einer räthselhaften Beklemmung durchfröstelt. Eine unbestimmte Sehnsucht nach der Qual des Lebens beschlich ihn. In den Tönen des Gesangs glaubte er Lydiaʼs Vorwürfe zu vernehmen, er kam sich schlecht, durch und durch verdorben vor, und dieses Gefühl steigerte sich bis zur Vernichtung. Ringsum die lässige Ruhe erschien ihm wie ein Frevel allʼ Denen gegenüber, die sie nicht genießen durften, allʼ den Kranken und Elenden gegenüber. Er wußte nicht, wie es kam, als er so über die wunderbar blaue Wasserfläche hinüber sah, sein hinabgeschwundenes Leben überdachte, und der Gesang immer schmelzender, immer vorwurfsvoller an sein Herz drang, sank sein Haupt an die Schiffswand, seine Hand ballte sich in seinen Haaren, und die innere Beängstigung, das Gefühl seiner Schwäche überdrang ihn so mächtig, daß er in Thränen ausbrechend, die Stirne in den auf das Geländer gestützten Armen verbarg. – Noch ganz seiner verzehrenden Reue hingegeben, fühlte er plötzlich einen warmen Hauch an seiner Wange.

»Paris!« flüsterte eine heiße, bebende Stimme.

Er hob den Kopf und sah finster drohend auf.

Die Kaiserin war es, die sich zu ihm herabgebeugt, und die jetzt, als sie diese thränenverschleierten Augen, diese trotzigen Gesichtszüge vor sich auftauchen sah, zurückfuhr.

»Du zürnst mir, Paris?« frug die hohe Frau erschrocken.

»Nein!« stieß Paris rauh, beinahe hart, hervor.

»Ich wüßte auch nicht,« stammelte sie, »warum du mir zürnen solltest – oder —«

»Was?« stieß er mürrisch heraus.

»So bist du traurig, wo ich heiter gestimmt bin,« sagte sie leise, und erröthete, wie man der Anstrengung, dies Erröthen zu unterdrücken, anmerkte, diesmal in aufrichtigem Schamgefühl.

Auf Paris machte das Erröthen einer gereiften Frau einen solchen Eindruck, daß er unwillkürlich mit ihr erröthete, und daß es ihm stiller, weicher umʼs Herz ward.

»Laß die Musik schweigen,« sagte er verwirrt.

Die Kaiserin gab einen Wink; die Töne schwiegen, nur das Glucksen der Wellen am Schiffskiel war vernehmlich.

»Nun bin ich wieder frei,« murmelte der Jüngling, als Stille eingetreten war, und eine beklemmende Pause entstand.

»Du hast geweint!« lispelte die Kaiserin nach einiger Zeit.

Paris schüttelte den Kopf und sah traurig lächelnd auf die Wasserfläche.

Sie aber tupfte ihm mit der Hand an das Augenlid.

»Sieh, mein Finger ist feucht!« sagte sie lächelnd, wie geistesabwesend.

Paris lächelte ebenfalls träumerisch, weltverloren, trübsinnig.

»Ich begreife mich nicht,« sagte er, sich abwendend.

»Ich aber begreife dich!« lispelte die Kaiserin, sich immer näher zu ihm herabneigend, und ehe Paris zu sich selbst kommen konnte, hörte er sie flüstern:

»Du Armer, deine Wange ist feucht,« und fühlte, ehe noch eine Ahnung in ihm aufdämmerte, einen heißen Kuß auf seiner Wange brennen, während ein weicher Arm seinen Nacken umspannte – —!

Elftes Capitel

Einige Tage später ging an einen gewissen Stephanus, Intendanten der Kaiserin, folgender Brief von Bajä nach Rom ab:

. . . »Die tausend Sesterzen habe ich erhalten, und mache mir auch kein Gewissen daraus, dies Geld anzunehmen, ebensowenig bereue ich es, dir über meine Herrin gewisse Mittheilungen gemacht zu haben. Sie traut mir, ihrer Sekretärin, zwar mehr, als ihren übrigen Sklavinnen, ich habe aber nichtsdestoweniger unter ihrer Launenhaftigkeit bitter zu leiden, und folge nur dem Drange gerechter Rache, wenn ich dir ihr Leben, das sie hier in Bajä führt, enthülle.

Erst gestern versetzte sie mir, als ich ihr einen Brief nicht nach Wunsch abfaßte, eine Ohrfeige, deren Spuren sich durch die auf die Wange gestrichene Salbe kaum verbergen lassen. Du verlangst, Stephanus, ich solle die Kaiserin in einer Situation belauschen, die es dir zur Pflicht macht, dem Kaiser die Ermordung dieses Pantomimen anzurathen – ja, eine solche Situation herbeizuführen, ist mein sehnlichster Wunsch, bis jetzt kann ich nur die Vermuthung aussprechen, daß Strafwürdiges bereits stattgefunden, sichere Beweise dafür habe ich noch nicht.

Denn wie du begreifen wirst, bewahrt die Kaiserin den äußeren Anstand, wie mir denn auch fast scheinen will, als wenn Paris ihrer Leidenschaft keine ebenso heftige entgegenbringe, wenigstens ist er in ihrer Nähe meist einsilbig, lächelt gezwungen und benimmt sich zerstreut. Uebrigens können wir diesen Paris alle sehr gut leiden, er ist freigebig, menschlich und besitzt ein so hübsches Gesicht, was wie du weißt, selbst die Dienerinnen nicht unbeachtet lassen. Gestern meldete sich ein sechzehnjähriger junger Mann bei ihm – der Jüngling wollte sich für die Bühne ausbilden. Paris betrachtete den Knaben lange und rieth ihm dann, indem er seine Hand faßte, mit eindringlichen, wahrhaft rührend väterlichen Worten, von seinem Vorhaben abzustehen. Als der junge Mensch sich nicht abmahnen ließ, ward Paris ärgerlich und schließlich, als der Knabe hartnäckig auf seinem Wunsch beharrte, führte ihn Paris an das Impluvium, so daß das Licht hell auf die Stirne des Trotzkopfʼs fiel. »Ach was!« sagte ihm Paris, nachdem er ihn prüfend betrachtet, verstimmt, »du hast ja gar keine Nase zum Schauspieler!« Wir lachten, der Knabe erröthete und entfernte sich sehr niedergeschlagen. Parisʼ Rede war wirklich wunderschön, die Kaiserin sah ihn mit leuchtenden, feuchten Augen an, als er die Gefahren schilderte, die das Leben auf der Bühne mit sich brächte. – — – Doch du wirst nach alle dem glauben, ich sei in Paris verliebt? Keineswegs, du weißt, daß nur dir dies Herz gehört.«  – —  – — – —  – —  – —  – —  —

Auf diesen Brief erhielt die Schreiberin folgende Antwort:

– — – »Ich bin nicht sonderlich mit dir zufrieden, meine Liebe, du erzählst mir allerlei Histörchen und vergissest die Hauptsache, obgleich du weißt, wie sehr es nöthig ist, daß ich mich in der Gunst des Kaisers befestige. Woher soll ich das Geld nehmen, das mich deine Liebhabereien kosten? Des Kaisers Kasse ist auch die deine, wenn du mir beistehst, diesen Paris zu Fall zu bringen, denn mein Vermögen ist ziemlich aufgebraucht. Du verstandest es vortrefflich, mir es durchbringen zu helfen. Der Kaiser ist finsterer als je, und spießt mehr Mücken als je an seinem Schreibgriffel auf, trotzdem will er nicht zugeben, daß diesem Paris ein Leid geschehe. Unumstößliche Beweise will er sehen. Gestern saß ich bei ihm, als er seinen dicken Bauch im Bade bespühlte. Als ich ihm von deinem Briefe berichtete, schlug er im Zorn so heftig inʼs Wasser, daß meine neue Toga über und über von der fettigen Salbe durchdrungen ward, nach der das Wasser roch.

Sein Glaube an Parisʼ Tugend ist schwer zu erschüttern, besonders deshalb, weil er in Erfahrung gebracht hat, daß der Tänzer ein Mädchen, Namens Lydia, liebt. Und dieser mißtrauische, menschenfeindliche Domitian glaubt an die Tugend eines Mimen! Ist das nicht wunderlich? Was ihm dieser Tänzer nur angethan haben mag! Mich nannte er einen Verläumder und nur der Einsprache seines Zwerges habe ich es zu verdanken, daß er mich nicht vor die Thüre setzen ließ. Dieser Zwerg scheint die Kaiserin zu hassen, könnte also unser Bundesgenosse werden, ist aber im Uebrigen ein unleidliches Individuum, denn als ich nun ganz durchnäßt neben dem Badebassin saß, ließ er sichʼs angelegen sein, mich zur Belustigung seines Herrn mit heißen Wasserdämpfen zu belästigen, die er aus einem in der Nähe befindlichen Schlauch auf mein künstlich geordnetes Haar leitete. O Jupiter! welche Figur ich machte; meine Locken lösten sich in klebrige Striemen auf; der alte Kahlkopf lachte in seinem Bassin, wie ein Faun, und ich ballte vor Wuth die Faust unter der Toga. – Indeß stellte ich dieser Lydia nach, was du nun nicht übel nehmen darfst —, die Politik verlangt dies Liebesabenteuer. Vielleicht, daß wir mit Hilfe dieses hübschen, übrigens sehr unbedeutenden Mädchens die Festung überfallen können!«  – —  – —  – —  – —

Indessen brachte Lydia ihre Tage in unruhigem, geschäftigem Nichtsthun hin. Sie erwartete ihn stündlich, entschuldigte stündlich sein Ausbleiben, vertröstete sich beim Zubettgehen auf den künftigen Morgen, von diesem auf den Mittag, vom Mittag auf den Abend, ohne irgend welchen Argwohn zu hegen, ohne sich eigentlich großem Kummer hinzugeben. – Es war so selbstverständlich, daß er ausblieb – es war so selbstverständlich, daß er sich nach ihr sehnte, und daß er, sobald es ihm möglich war, zurückkehrte.

So lebte sie in einem Traumdasein, immer hoffend, immer geduldig, immer auf die Zukunft vertrauend, bis ihr endlich die Botschaft wurde, Paris werde den andern Tag in Rom eintreffen. Gegen Abend eilte sie bereits für den kommenden Tag geschmückt in den Garten, um, ganz in die Stunde des Wiedersehens verloren, sich an dem kleinen Teiche niederzulassen, an dessen Ufer sie gewöhnlich die Abendkühle genoß. Erregt war sie kaum, es lag nicht in ihrer Natur, sich stürmischen Erwartungen hinzugeben, eher fühlte sie sich von einer tiefen, wonnigen Ruhe durchströmt, von der Ruhe seliger Gewißheit. Manchmal freilich pochte ihr Herz hoch auf, wenn sie sich so sehr in die Wonne des Wiedersehens vertiefte, daß sie sich in der Phantasie von ihm umschlungen, von ihm geküßt wähnte, aber alsdann verbannte sie so rasch als möglich diese berückenden Vorstellungen, was ihr, da sie doch mehr eine praktisch angelegte Natur war, nicht allzu schwer fiel. Es dunkelte bereits, als sie sich entschloß, zur Villa zurückzukehren. Ein fröhliches Liedchen vor sich hinsummend, schritt sie an dem Ufer des Teiches entlang, über dessen Spiegel der Mond eine bleiche Silberstraße goß; nun füllten sich auch die ferneren Baumgruppen mit dem eigenthümlichen grausilbernen Duft, der wie ein mattleuchtendes Spinngewebe von den Wipfeln bis zu den Wiesen herabhing, und dem Ausblick in die Tiefen der ferneren Haine eine zauberhafte Verschwommenheit verlieh.

Lydia blieb stehen, ihr für Naturschönheiten nicht sehr empfänglicher Sinn fühlte nur das Verlassensein, die Einsamkeit dieser entlegenen Gärten. Und als nun neben ihr ein marmorner Satyr aus dem Gebüsch herübergrinste, packte sie ihr Gewand und eilte kichernd und doch beängstigt davon. Dann ging sie wieder langsamer und überlegte sich, wie sie ihren Geliebten am besten überraschen könne, ob sie ihn auf irgend eine Weise erfreuen könne. Sie hatte während seiner Abwesenheit versucht, das Zitherspiel zu erlernen, und frug sich nun, ob sie ihn durch ein neues Lied erfreuen solle, oder ob es ihm lieber sei, wenn sie sein Herz mittelst ihrer Kochkunst zu gewinnen suchte. Einmal jubelte sie hell auf, als sie so dahin schritt, schwieg dann erröthend still und pflückte im Vorbeigehen einen Zweig, der ihr den Weg versperrt.

Als sie in der Nähe des kleinen Venustempels vorüber kam, fiel es ihr auf, daß die sonst immer in tiefstes Dunkel gehüllten Säulen diesmal von einer aus dem Inneren dringenden Gluth geröthet erschienen. Erstaunt blieb sie stehen und betrachtete wie von einer Geistererscheinung befangen, das seltsame Licht, das aus der halbgeöffneten Thüre quoll, die Säulen umglühte und sie dadurch gewissermaßen durchgeistigte.

Plötzlich knickte neben ihr das Gebüsch, eine häßliche, verwachsene Gestalt schlüpfte hervor und frug mit heiserer Stimme, wer sich hier befinde.

Lydia wollte ohne zu antworten entfliehen, der Zwerg jedoch packte sie am Kleid und frug, ob sie die Geliebte des Paris sei, was sie erschrocken bejahte.

»So mache, daß du fort kommst,« rief Antonius, der Zwerg Domitianʼs, denn dieser war es, der sich hier versteckt gehalten.

Lydia wandte ihr Gesicht von seiner Mißgestalt ab.

»Hörst du?« wiederholte er, »hier hast du nichts zu sehen.«

»So lasse mich doch los!« entgegnete Lydia zitternd.

»Der Zwerg zwinkerte mit dem einen Auge nach dem erleuchteten Tempel hinüber, murmelte noch einmal: »Mache daß du fort kommst!« hielt aber, ohne es selbst zu wissen, das Mädchen immer noch am Kleid.

»Lieber Mann,« flehte Lydia, in der der Verdacht aufstieg, sie habe es mit einem Geisteskranken zu thun, »ich möchte gerne gehen, bitte, laß mich gehen!« —

Der Zwerg sah sie mit irren leeren Blicken an, zuweilen unverständliche Worte vor sich hin murmelnd.

»Weißt du, daß sie mich geohrfeigt?« murmelte er etwas vernehmlicher, wie geistesabwesend zwischen den Zähnen. »Wie? Siehst du hier auf meiner Wange den rothen Fleck?«

Darauf versank er in sinnendes Stillschweigen.

»Ich weiß nichts, ich sehe nichts,« rief Lydia dem Weinen nahe.

»Sie thatʼs aber,« ächzte der Zwerg grimmig in sich hinein, »was geht mich ihr Abenteuer an? – getreten hat sie mich auch —.« Er versank, als brüte er über einem Entschluß, in Nachdenken, während Lydia furchtsam sein vom Mondschein kaum erhelltes Gesicht betrachtete.

Plötzlich stampfte er mit dem Fuße heftig auf.

»Komm mit!« sagte er hastig, Lydia an der Hand fassend.

»Wohin?« frug diese sich sträubend.

»Du sollst sehen, Mädchen,« entgegnete er lachend, »ich will dir wohl, komm!« und zerrte die, wie im Traum Folgende bis unter die rothglühenden Säulen des kleinen Tempels. Hier angekommen, befahl er ihr, leise aufzutreten, drückte die noch immer Unschlüssige durch die von Glanz durchströmte geöffnete Thüre in die Vorhalle und schob sie vor ein kleines Fenster, durch dessen Gitter man ein reich ausgestattetes Gemach überblickte.

Lydiaʼs kindische Neugier begann allmälig über ihre Furchtsamkeit den Sieg davonzutragen. Nachdem sie einige Zeit von dem grellen, das Gemach durchfluthenden Licht geblendet die Augen zugedrückt, schlug sie dieselben wieder auf – aber um sie sogleich wieder zu schließen und sich zitternd mit blaß verzerrtem Gesicht abzuwenden. Sie hatte genug gesehen. Oder war das Alles nur ein Traum? eine Fieberphantasie? Sie wußte es nicht – Alles stand in ihr still: das Blut, das Herz, der Athem, die Gedanken. Ihre Finger krallten sich in das Gitter des Fensters, ihre Stirn sank seitwärts an das Steinsims. Noch einmal riß sie gewaltsam die halbgelähmten Augendeckel auf und stierte verstört in das Gemach – dort auf den Polstern – nein! – es war kein Irrthum – er – ihr Paris, – ja! – er selbst! oder wenigstens sein getreues Abbild – in den Armen eines Weibes, an dem Mund eines Weibes lag er – und ringsum Rosen, Flammen, Becher – Purpur und Gold – und sie lächelte und er lächelte! . . .

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als es zu glauben.

»Sieh dich nur satt,« zischelte Antonius neben ihr, »das ist die Kaiserin, damit du weißt, wer dir deinen Tänzer entführt. Hörst du, die Kaiserin!«

Jetzt schloß Lydia wiederum die Augen, ihr Busen hob sich keuchend, sie fühlte, wie es sich ihr kalt im Gehirn zusammenzog, in ihrem armen kleinen Gehirn, wie sich etwas Wehes ihr inʼs Herz bohrte. Nur um Alles in der Welt Bewußtlosigkeit! rief es in ihr, dieser Schmerz war so unerträglich, daß es ihr war, als müsse sie nach Schlaf, nach Betäubung ringen; Dunkel – Nacht – das Nichts – nur nicht dies Fühlen, dies Denken . . . Aber sie konnte nicht schreien, der Schrei mußte heraus, aber anstatt seiner zuckte in Zwischenpausen ein krampfiger Stoß, ein Schluchzen durch ihre Brust.

Sie tastete sich an der Wand entlang, bis an die Säulen, von diesen inʼs Freie; dann fiel sie über die Tempelstufen, und kroch, da sie nicht mehr auf konnte, am Boden auf den Knieen weiter, und plötzlich warʼs, als drehte sich etwas um in ihrem Hirn, als habe ihr eine unsichtbare Faust vor die Stirne geschlagen; sie lachte, und wußte nicht, über was, gell auf und besann sich dann, ob es nicht besser wäre, liegen zu bleiben und einzuschlafen.

Unwillkürlich rupfte sie ein wenig Gras aus, steckte es zwischen die Lippen und kaute es. Um ihr Bewußtsein legte es sich wie ein immer dichter werdender kühler, feuchter Schleier, der ihr die Welt in einer stillen Verdüsterung zeigte, und der so angenehm kühlte; das war, wie wenn man den verbrannten Finger in kaltes Wasser taucht. Und sie war auf einmal ganz zufrieden.

Nur tief im Innersten zwang sie ein Dämon zuweilen auf das Regen eines scheußlichen, das Herz zusammenpressenden Gedankens zu lauschen, sie fühlte sich so unsäglich einsam, so verlassen, so ganz vergessen, aber warum das Alles? Sie besann sich, was das wohl für ein Gedanke sein mochte, fand ihn aber nicht, er entwischte jedesmal ängstlich, sie fühlte es ganz deutlich: der Gedanke war wie ein schwarzer, häßlicher Vogel, den man verfolgt, und der flatternd den Kopf in einen finstern Spalt klemmt.

Nun stand sie auf und betrachtete die stille, friedliche Mondnacht, und wiederum mußte sie lächeln, den Mond anlächeln, obgleich sie ganz deutlich fühlte, daß ihr eigentlich sehr traurig, jedenfalls gar nicht heiter zu Muthe war.

Am Teiche angekommen, befeuchtete sie ihre Hand und drückte sie vor die glühende Stirne, dann pflückte sie Blumen, die sie sich inʼs Haar steckte, und hatte dabei eine dunkle Vorstellung von Wiedersehen und Abschiednehmen, jedoch waren alle diese Vorstellungen verzerrt, nicht festzuhalten.

In diesem erbarmungswürdigen Zustand trat aus dem gegenüberliegenden Hain ein Mann auf sie zu, der ihr während Parisʼ Abwesenheit schon mehrmals nachgestellt, und sie mit Liebesanträgen verfolgt hatte. Es war dies Stephanus, der Intendant Domitiaʼs, der zuweilen in die Villa kam, um das Gesinde daselbst zu beaufsichtigen, Rechnungsbücher zu führen und der, da er Lydia heute nicht in der Villa gefunden, einen Spaziergang durch die Gartenanlagen gemacht. Der hagere, sonst sehr verschlossene Mann, erfreut darüber, das Mädchen allein in dieser Einsamkeit zu finden, drängte sich sogleich an sie, um seine Neckereien und wüsten Albernheiten zu beginnen, und als Lydia auf seine Frage, was sie hierhergeführt, antwortete, sie müsse sich schmücken, ob er denn nicht wisse, daß Paris heute komme, versuchte er es, ihr einen Kuß beizubringen. Sie sei reizend in diesem Blumenschmuck, sagte er sie umarmend, sie aber entriß sich ihm und gerieth in einen ihr sonst nicht eigenen Zorn.

Einen Augenblick schien in diesem zerrütteten Hirn wieder ein klarer Ueberblick der Verhältnisse aufzudämmern. Sie besann sich, und als Stephanus ihr verstört lächelndes Gesicht jetzt deutlicher gewahrte, ergriff ihn die Ahnung, daß hier nicht Alles ganz in Richtigkeit sei.

Er frug behutsam, wen sie hier suche. Sie kauerte sich zu Boden, faltete die Hände im Schoß und sagte sich besinnend, sie suche Paris, er sei aber dort – dort – bei der Kaiserin und wolle nichts von ihr wissen.

Stephanus folgte ihrem Finger, der nach dem erleuchteten Tempel deutete. »Liebt er dich nicht mehr?« frug der Intendant, in dessen Geist es helle zu werden begann.

»Frage du ihn, lieber Mann, bitte, frage ihn!« sagte sie träumerisch, den Kopf zur Erde geneigt, mit nervösen Fingern eine Blume im Schoße zerpflückend.

»Wie? Nicht mehr?« frug Stephanus, »wen liebt er denn?«

Sie besann sich längere Zeit, dann sah sie auf.

»Nicht wahr, die Kaiserin ist ein böses Weib?« frug sie mit hastiger, ängstlich tonloser Stimme. »Gewiß, sie will mich tödten. Nicht wahr? —«

Dann schwieg sie und seufzte nach einiger Zeit auf: »O Götter, Götter! wie mir nur ist.«

Stephanus, ein gewandter Höfling, ruhte nicht eher, als bis ihm dieses zerstörte Bewußtsein so viel Andeutungen gegeben, daß er sich das übrige leicht selbst vervollständigen konnte.

Erst als ihn Lydia in der Richtung des Tempels durch die Büsche davoneilen sah, stieg in ihrem allmälig mehr und mehr erwachenden Bewußtsein eine dunkle Ahnung von der Gefahr auf, in die sie Paris gebracht. Eine unbestimmte Angst drängte sie dazu, dem Enteilenden zu folgen, sie rief; er hielt an, sie erreichte ihn und klammerte sich an ihn, indem sie ihn frug, was er vorhabe.

Er lachte und erwehrte sich ihrer, sie aber preßte ihn mit der Kraft der Verzweiflung an sich.

»Albernes Ding,« stieß er hervor, mit ihr ringend und da sie ihn immer noch nicht los ließ und da sie um Hilfe zu rufen begann, stieß er sie so heftig von sich, daß sie taumelte und mit einem lauten Aufschrei zu Boden schlug. – —

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают