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Читать книгу: «Aus der Praxis», страница 3

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Der Maler schüttelte den Kopf.

»Das sind romantische Träumereien, mein Lieber,« fuhr der Doktor fort, »halten Sie sich jetzt wieder an die Wirklichkeit. Sie machen sich das weis, dass Sie jene unbekannte Mildtätige lieben.«

»Ich weiß auch nicht, ob ich sie liebe,« entgegnete der Kranke träumerisch, »ihre Mildtätigkeit tat mir nach dem vielen Schlimmen, Gehässigen, das ich erlebt, so unendlich wohl, erfüllte mich mit so hingebender Dankbarkeit. Und dann ihre Schönheit; wenn Sie diesen Kopf gesehen hätten, Doktor, Sie würden anders reden. Diese Feinheit, diese Durchgeistigung in allen Linien, dabei diese Weichheit des Mundes, während um die Augenbrauen ein reizender Trotz schwebte und die Augen so tief aufmerksam leuchteten – wer das gesehen, vergisst es nie wieder.«

»Nun,« unterbrach ihn der Doktor lächelnd, »jene Fremde, von der ich sprach, ist auch nicht zu verachten, wenn auch Ihr Phantasiebild, das Sie von jener anderen im Kopfe tragen, unerreichbar zu sein scheint für arme Sterbliche. Sehen Sie sich einmal das Gesicht Fräulein Pöhns an, ich finde, diese Züge könnten einem Maler unter Umständen gefallen.«

Er hielt Paul die Photographie entgegen, die dieser ohne Interesse, fast widerwillig ergriff, dann aber, da seine Hände nervös zitterten, zu Boden fallen ließ. Er bückte sich, das Bild aufzuheben, warf einen Blick darauf, zuckte wie vom Schlag gerührt zusammen und legte dann das Bild, während ihn eine tödliche Schwäche anzuwandeln schien, mit zitternden Fingern aus das Bett, auf das er langsam zurücksank.

Der Arzt sprang dem, wie von einem Krampfe Befallenen bei, spritzte ihm aus einer nebenstehenden Schüssel Wasser in das erblasste Gesicht und frug erschrocken, was ihm denn fehle, was denn geschehen sei. Er erinnerte sich, dass er dem Kranken gestern durch einen Diener eine Flasche Portwein zugeschickt; nach dieser Flasche suchte er sogleich in allen Winkeln, fand sie auch schließlich hinter der Staffelei und flößte dem nun allen Ernstes in Ohnmacht Gesunkenen einige Tropfen ein. Die belebende Wirkung des Weins blieb nicht aus. Nach einiger Zeit begannen sich die Wangen des Ohnmächtigen zu röten, seine Augen verloren ihre verglaste Starrheit und indem er die Hand seines Helfers krampfhaft an die Brust drückte, bewegte er die Lippen zum Sprechen.

»Was wollen Sie sagen, mein Freund?« frug Kahler, der ihn nicht zu verstehen vermochte, mitleidig.

»Doktor, Doktor,« brachte der Kranke mühsam hervor, »sie ist es!«

»Wer?« frug Kahler, der zu erröten begann, »es ist doch nicht —«

Der Maler nickte, während sich ein glückseliges Lächeln in seinen vergrämten Zügen Bahn brach.

»Ja, sie ist es, es ist dieselbe,« flüsterte er »eben diese Augen, eben dieser Mund, so sah sie mich an – und Sie sagen, sie liebt mich —?«

»Wie? Es ist also jene Fremde, die auf dem Schlosse, vor dem Bilde mit Ihnen sprach?« frug Kahler und wusste selbst nicht, warum ihm bei dieser Vermutung das Blut in die Wangen stieg und ein fast an Zorn grenzendes Schmerzgefühl die Brust umklammerte.

Der Maler, der sich infolge der freudigen Erregung auffallend rasch von seiner Ohnmacht erholte, erklärte nochmals, dass er sich nicht täusche. Er ließ sich noch einmal die Photographie reichen, betrachtete sie mit inniger Aufmerksamkeit und sagte dann, während ein kindliches Lächeln seine Lippen kräuselte:

»Also habe ich ihr gefallen. Sie sagen, dass sie sich nach mir erkundigt, Doktor? Reden Sie doch! Teilen Sie mir doch ihre Schicksale, ihre Familienverhältnisse mit.«

Kahler, der in ein trübes Sinnen verfallen war, bestätigte die Neigung des Mädchens und fügte ein paar flüchtige Bemerkungen über ihre Familie bei, mit sich selbst uneins, was er nun beginnen solle, ob er seine Lüge aufrecht erhalten oder dem unerfahrenen Jüngling die offene Wahrheit, die ganze unselige Erbschaftsangelegenheit auseinandersetzen solle. Endlich stand er, nach seinem Hut greifend, auf.

»Ich muss gehen,« sagte er ein wenig rau, »werde aber heute Mittag gegen 3 Uhr wieder erscheinen; wenn es Ihnen recht ist, begleitet mich Fräulein Pöhn.«

Der Maler, den die Aussicht, jene unbekannte Wohltäterin von Angesicht zu Angesicht wiederzusehen in eine momentane Aufregung versetzte, konnte kein Wort hervorbringen. Er begnügte sich, tief aufatmend mit dem Haupte zu nicken.

»Also bis heute Mittag,« sagte der Arzt, als er bereits die Türe geöffnet, »denken Sie über das Glück nach, das Ihnen bevorsteht, mein Lieber! Die Dame scheint ganz ernstliche Absichten zu haben – denken Sie an Ihre der Pflege bedürftige Gesundheit und vor allem an Ihr unvollendetes Bild —«

Der Arzt hatte diese Worte sehr hastig, fast unverständlich hervorgestoßen, die letzte Mahnung hatte er durch den Spalt der fast geschlossenen Türe in das Zimmer hereingesprochen und war dann rasch von dannen geeilt. Er kennt sie also bereits, er liebt sie, klang es in seinem Innern nach, während er die finstre Galerie entlang schritt, aber wie töricht, wie charakterlos, einem Sterbenden diese Liebe verübeln zu wollen Gewaltsam lenkte er seine Gedanken von diesem ihm peinlichen Gegenstande ab, bemerkte jedoch mit Verwunderung, wie ihm alle Gegenstände, an welchen er vorübergehen musste, in ein flimmernd rotes Licht getaucht erschienen und seine Augen, oder seine Sinne sich in einer Verfassung befanden, die ihn mehrmals den Weg verfehlen ließ, der ihm doch genau bekannt war. Das Nervensystem des jungen Menschen ist überreizt, dachte er dann, er liebt sie wohl kaum, das ist eine krankhafte, sentimentale Anwandlung. Als er dann auf die Straße vor den noch immer haltenden Wagen trat, durch dessen herabgelassenes Fenster Fräulein Emma Pöhn, ihre Erwartung verbergend, herausschaute, konnte er anfangs vor Herzklopfen kaum reden, bezwang sich jedoch und berichtete, durch welche Lüge er sich aus der Affäre gezogen. Emma sah ein, dass diese Lüge eine Notwendigkeit gewesen und wusste, obgleich sie sich eines unbehaglichen Gefühls nicht zu erwehren vermochte, nichts dagegen einzuwenden.

»Natürlich muss diese kleine Täuschung aufrechterhalten werden,« mahnte Kahler, als beide Platz genommen und der Wagen abfuhr. Emma schwieg, auch Kahler war einsilbig und prüfte zuweilen das ernste, schöne Antlitz des nachdenklichen Weibes.

»Wie lange mag er noch leben?« frug sie nach längerem Stillschweigen.

»Einen Monat vielleicht,« sagte Kahler achselzuckend, während er die heftigsten Gewissensbisse darüber empfand, dass er es nicht über sich gewinnen konnte, dem Mädchen von jenem Zusammentreffen im Ausstellungssaale und der Dankbarkeit des armen Malers zu erzählen, ebenso wie ihn bei der Aussicht, sein Patient überlebe den kommenden Monat nicht mehr, ein ihm unerklärliches Gefühl anwandelte, ein Gefühl, das er, da er den jungen Mann doch wahrhaft liebte, verdammen musste, das er mit Gewalt verscheuchen wollte und das doch immer wiederkehrte.

* * *

Indessen lag der junge Maler auf seinem Bette, von einem Glücksrausch übermannt, der sein Herz beängstigte und ihn manchmal an seiner gesunden Vernunft zweifeln ließ. Wie? Träumst du nicht dies alles? murmelte er manchmal vor sich hin.

Oder hat dir die Nachwirkung des Arseniks die Verstandeskräfte verwirrt und du hältst Eingebildetes für Wirkliches. Aber hier stand noch der Stuhl, auf dem Kahler gesessen, noch klang ihm das Wort des Arztes im Ohr nach, und da lag sie ja noch, die Photographie, da blickten sie ihn an, die düster schönen, geheimnisvoll-unheimlichen Gesichtszüge.

O diese Gesichtszüge, wie sie ihn während seines Krankseins verfolgt, wie sie auch in der tiefsten Betäubung aller seiner Sinne nicht von ihm wichen, und wie sie ihn anlächelten, wenn diese Betäubung einem leichteren Traum Platz machte. Aus dem einen edlen Charakterzug dieses Weibes konstruierte sich der Schwärmer den ganzen Charakter, und noch jetzt rührte ihn ihr mitleidiger Blick, der damals auf ihm geruht, zu Tränen. In seiner jugendlichen Phantasie stand sie wie ein überirdisches Wesen; seine Seelenleiden, Hunger und Schwäche hatten seine Liebe ins Krankhafte gesteigert.

Also ein solches Glück stand wie ein Wunder plötzlich vor ihm und wollte ihn ans Herz drücken und sagte: fasse zu, hier bin ich, du hast lang genug gelitten, ich will dich erlösen. Und sollte er zugreifen? War es nicht beschämend für ihn, ohne Kampf den Sieg zu genießen? Er sah durch sein Dachfenster über die wirr durcheinander geworfenen Dächer, überall rauchende Schornsteine, trübe Fenster, moosbewachsene Ziegel, Windeln und Geschirr, eine öde, traurige Welt gähnte ihn an, so weit er blickte, dürre, erdrückende Prosa! Und aus diesem engen Gefängnis konnte er sich befreien, nur eines Wortes bedurfte es, so führte man ihn in ein reiches, glänzendes Leben! Ach! Und er gesundete vielleicht noch! War es ihm doch, als durchströme ihn jetzt schon ein nie gekanntes Jugendfeuer; die Aussicht, sein Bild zu vollenden, an der Seite eines geliebten Weibes zu wandeln, sie war schon hinreichend, ihn mit jenem stürmischen Lebensmut zu erfüllen, der den phantasievollen Künstler zuweilen mit göttlicher Kraft überfällt. Und wenn sie ihn wirklich liebte – ihr Wort, ihre Miene mussten es ja beweisen —! Und warum sollte sie ihn nicht lieben? Sprach doch schon damals, als er in der Bildergalerie auf einen Stuhl gesunken war, eine so tiefe Teilnahme aus ihrem Auge, konnte sich diese Teilnahme nicht mit der Zeit vergeistigt, verstärkt haben? Und wenn sie ein seltsam geartetes Weib war, einen außergewöhnlichen Charakter besaß – was schadete dies! Sollte das ihn abhalten, sie zu lieben? Konnten Untiefen und Absonderlichkeiten des Charakters einer Ehe nicht erst einen außergewöhnlichen Reiz verleihen? War er doch auch kein Philister, der immer nur die breite Heerstraße des Gewöhnlichen liebt, suchte er doch mit Vorliebe das Abenteuerliche.

Und dann sein nagender Ehrgeiz – wenn das Bild vollendet vor ihm prangte, allen Meistern mit seiner leuchtenden Farbenpracht zurufend: Seht, das hat ein seither Unbekannter, Verachteter geschaffen! Paul stand auf und schritt, wie im Fieber an allen Gliedern zitternd, in dem engen Gemach auf und nieder, zuweilen halblaute Worte vor sich hinmurmelnd.

Bald verwarf er den ganzen Plan als seiner unwürdig, bald war er freudeberauscht mit allem einverstanden, selig in dem Gedanken, ihr Sklave zu sein, und als jetzt Luise, die Tochter seiner Hauswirtin mit dem Mittagessen ins Zimmer trat, sah er sie so geistesabwesend an, dass das Mädchen ganz erschrocken frug, ob sie den Arzt rufen solle? Es scheine, als ob ihm unwohl sei.

Paul, der dem Mädchen, da es ihn während seiner Krankheit treu gepflegt, Dank schuldete, griff ihm lächelnd unter das Kinn und bemerkte in seinem trunkenen Zustande nicht, wie dem Kinde fast die Tränen in die Augen traten, er richtete, ohne recht zu wissen, was er sagte, stammelnd ein paar freundliche Worte an sie und war in seinem Taumel nahe daran, ihr die Ereignisse, die ihm bevorstanden, mitzuteilen. Er frug einmal, was sie wohl dazu sagen werde, wenn er Hochzeit halte, und gab dann in so humoristisch-verwirrter Weise ein paar Andeutungen, betreffs zu erwartenden Reichtums, dass Luise ihm wirklich mehrmals mit unverhohlener Angst in die Augen sah. Endlich bemerkte er selbst, dass man ihn heute nicht verstehen werde und er lenkte lachend von diesem Thema ab.

»Luise, wirst du mir endlich einmal Modell stehen?« frug er sie, ganz versunken die Photographie Emmas betrachtend.

Das Mädchen stellte die Schüsseln auf den Tisch, strich sich die Schürze glatt und sagte dann:

»Ach! Herr Steinacher, keinem täte ich das, aber Ihnen recht gern, doch Sie wissen es ja, er will es nicht leiden.«

»Dein Bräutigam? Nicht wahr?« warf er zerstreut hin.

»Ja,« entgegnete sie verschämt.

Paul betrachtete immer noch entzückt die feinen Züge Emmas und bemerkte, wie in einer Märchenwelt befangen, nicht, welch verzehrenden Blick Luise auf ihn richtete, indem sie halb abgewendet von ihm tat, als müsse sie eifrig den Mittagstisch ordnen.

Luise besaß einen Körperbau, der in seiner graziösen Kraft und Zartheit halb an den niederen Stand, dem sie angehörte, halb an aristokratische Geburt gemahnte, sie hatte etwas von einer Herrin und zu gleich Dienerin.

»Weißt du,« begann der Maler von neuem gleichgültig, »ich brauche dich für mein neues Bild. Du hast so freie, kräftige Züge, hast auch ein wenig Trotz im Auge, ganz wie es jene Griechin haben müsste.«

Dann unterbrach er sich und wendete sich nach ihr hin, so dass sie gerade noch Zeit hatte, mit Blitzesschnelle ihren heißschmachtenden Gesichtsausdruck, der an dem Maler hing, in einen gleichgültigen zu verwandeln.

»Sieh, wie gefällt dir dies Mädchen,« rief er fast übermütig und hielt Luise die Photographie Emmas entgegen.

»Ach, die ist schön,« sagte Luise bescheiden, als denke sie nicht daran, selbst zu gefallen.

»Gefällt sie dir?« fuhr er fort und küsste das Bild.

»Ist das Eure Braut?« fragte sie, ohne Eifersucht zu empfinden, fast resigniert.

»Kann sein,« sagte er lachend, strich dann dem Mädchen über die dichten Stirnhaare und sagte zu der Errötenden: »Sieh, wenn du mir sitzen willst, machst du dir den Hals etwas frei, nicht wahr?«

»Ach nein!« sagte sie erglühend.

»Nicht?« fragte er leise.

»Nun ja, Ihnen tue ich es,« fuhr sie fort.

»Und die Haare lässt du frei über den Nacken strömen,« begann er wieder.

Sie nickte ergeben.

»Und die Arme lässest du entblößt,« setzte er träumerisch hinzu.

Die großen Augenlider gesenkt, stand sie vor ihm regungslos, nur dass es manchmal über ihre schönen, energischen Züge zuckte. Er betrachtete sie, an Emma denkend und versank in Schweigen, bis sie plötzlich ihre Augen zu ihm emporschlug.

»Ich muss jetzt gehen,« sagte sie; »wenn mich Heinrich hier aufsuchte!«

»Heinrich?« fragte er, »ach! Dein Bräutigam, der Schreiner, der Gehilfe deines Vaters – nicht wahr?«

Sie nickte wieder.

»Er ist schrecklich hitzköpfig,« sagte sie, »er brächte mich um und brächte auch Sie um, wenn er —« sie brach verlegen ab.

»Nun —?« fragte er.

»Nun – wenn er Verdacht schöpfte,« fuhr sie leise fort.

»Verdacht?« sagte Paul zerstreut, »warum Verdacht?«

»Sonst ist er gut,« sagte sie, »aber das Raufen kann er nicht lassen – erst vorgestern musste ich ihn im Wirtshaus zurückhalten, dass er nicht dreinschlug – aber er ist sonst wirklich gut und gibt seinen letzten Heller her für mich.«

»So liebst du ihn wohl sehr?« warf Paul hin.

»O ja,« meinte sie lachend, »warum nicht. Er ist nur gar zu streng. Da ist doch nichts Schlimmes dabei, wenn ich Ihnen einmal sitze – nicht wahr?«

Kaum hatte sie geendet, als heftig an die Tür gepocht wurde.

»Gott, das ist er,« rief sie erbleichend und klirrte absichtlich heftig mit dem Geschirr.

Paul öffnete die Tür; ein krausköpfiger, rothaariger Mensch in Hemdärmeln stand vor ihm, mit verdrießlicher Miene in das Zimmer schielend.

»Luise, wo bleibst du,« rief er, »dein Vater sucht dich – wird’s bald —«

Sie raffte verlegen, die Augen schuldbewusst niederschlagend, die Serviette zusammen und entfernte sich. Paul hörte noch, als er die Türe geschlossen auf dem Hausgang die zurechtweisende Stimme des jungen Menschen. —

Als Luise nach einer halben Stunde wieder in Pauls Zimmer trat, um den Mittagstisch abzudecken, hatte sie verweinte Augen und erzählte, Heinrich habe erklärt, er würde sie totschlagen, wenn sie nur ein einziges Mal Modell stehe. Ach! Er sei gar zu streng, aber wirklich herzensgut.

Paul, der mittlerweile einen Brief von Rechtsanwalt Heinheimer erhalten, ließ die Auseinandersetzungen des Mädchens gänzlich unbeachtet. Sein Geist weilte bei der bevorstehenden Zusammenkunft – heute Abend um sechs wollte Emma ihn besuchen.

Er lag auf seinem Bett, wie an allen Gliedern gelähmt, ein süßer Schwindel zog an seiner Stirn vorbei, sein Herzklopfen wuchs ins Unerträgliche und manchmal glaubte er zu ersticken, so presste ihm die Erwartung, die Aufregung, die krankhafte Liebe die Brust. Was er nicht alles sagen wollte! Wie er ihr danken wollte für ihre Teilnahme, wie zum Sterben weich es ihm ums Herz ward! Er fürchtete, er werde dieses Wiedersehen nicht ertragen. Und so kamen und flohen die Stunden, bis gegen 6 Uhr ein dumpfes Rollen von der Straße herübertönte – und bald darauf die Treppe des Hauses von langsamen Schritten erknarrte.

III. Kapitel

Frau Steinacher, geb. Emma Pöhn hatte die prunkvoll eingerichtete Wohnung ihres verstorbenen Onkels, die vor der Stadt lag, bezogen. Wir finden sie in dem Gartensaal auf einer Chaiselongue ruhen, von wo aus sie, einen Roman in den Händen haltend, zuweilen den etwas müden Blick über die im Frühlingsschmuck prangenden Blumenbeete des Gartens streifen lässt.

Ein Gähnen unterdrückend, schloss sie alsdann das nicht sehr interessante Buch eines modernen Schriftstellers und griff nach ihrer Lieblingslektüre, dem Philosophen Schopenhauer. Sie hatte sich dessen Werke prächtig einbinden lassen; aus einer Ecke des Zimmers blickte der Gipskopf des Philosophen mit seinem sarkastischen Lächeln zu ihr herüber. Auf Anraten Dr. Kahlers bemühte sie sich, den Lebensgenüssen ein wenig mehr Geschmack abzugewinnen; sie hatte bereits mehrere Theatervorstellungen besucht, hatte, da es jetzt ihre Mittel erlaubten, mehrere Ölgemälde angeschafft, sich überhaupt völlig den Erhebungen der Kunst und der Literatur hingegeben. So verbrachte sie ihre Tage in geistvoller Einsamkeit, die nur zuweilen durch den Besuch Doktor Kahlers unterbrochen wurde, der ihr anfänglich manchmal von dem Befinden ihres Gemahls Nachricht brachte.

Paul Steinacher, der seinen Tod herannahen fühlte und dessen Dankbarkeit und Liebe zu seiner schönen Retterin sich, als sie ihn besuchte, ins Maßlose gesteigert, hatte nach einigem Zögern in die Ehe eingewilligt. Emma war es sehr schwergefallen, dem jungen Menschen gegenüber ihre Rolle durchzuführen, aber das Mitleid, das sie ihm entgegenbrachte, wurde, ohne dass sie es ahnte, von seiner Seite als tiefe Neigung aufgefasst, auch hütete sie sich, länger als unbedingt notwendig erschien, mit ihm zu sprechen, oder auf seine Gefühlsergüsse einzugehen.

Am Tage, da beide auf das Standesamt fuhren, versagten dem Kranken, den der Ernst, die Wichtigkeit des Moments in ein Fieber gestürzt, fast die Kräfte, sich aufrecht zu erhalten. Emma tat alles, um ihm diesen Schritt zu erleichtern, sie redete kaum ein Wort, sondern drückte sich totenbleich, fast dem Weinen nahe, in die Ecke des Wagens, sich zuweilen besorgt nach dem wie berauscht dasitzenden Jüngling umwendend, der ihr manchmal still die Hand drückte und der ihre scheue Zurückhaltung in seinem fieberhaften Zustand kaum bemerkte, oder sie für eine tiefe, seinen Leiden gezollte Ehrfurcht hielt. Gleich nach der Vollziehung der Formalitäten brachte Doktor Kahler den Kranken in eine mehrere Stunden von der Stadt entfernt liegende Heilanstalt. Rührend war es, wie der Kranke während dieser Fahrt seinem Begleiter sein übervolles Herz ausschüttete, das Beste von diesem Aufenthalt in freier Bergluft hoffte und in eine Art Verzückung verfiel, wenn er auf seine Retterin zu sprechen kam, von der er nicht wusste, was er mehr preisen sollte, ihre Schönheit, ihren Edelmut, oder ihre Liebe.

An Frau Steinachers Geist zog, während sie auf dem Diwan ruhte, die ganze Bilderreihe dieser glücklich überstandenen Tage vorüber und es fiel ihr dabei selbst auf, wie wenig Teilnahme sie eigentlich dem Todkranken nun, da sie ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen, entgegenbrachte.

Paul schien liebenswert, kindlich, von edler Gestalt; aber sie bemerkte seine guten Eigenschaften mit jener Gleichgültigkeit, wie man sie etwa schönen Statuen gegenüber empfindet. Er interessierte sie nicht und sie war ein Weib, dessen Interesse nur durch außer gewöhnliche Charaktereigentümlichkeiten erregt werden konnte. Als sie so vor sich hin träumte, brachte die Dienerin einen Brief, der den Stempel jener Heilanstalt, Michelstadt, trug. Alle acht Tage lief ein solcher Bericht ein, den Frau Steinacher, da sie doch wusste, was er enthielt, meistens ungelesen beiseitelegte. Auch diesmal überflog sie das Schreiben sehr rasch, da der Leiter der Anstalt, wie er es jedes Mal zu tun pflegte, in kurzen Worten andeutete, auf Besserung sei kaum zu hoffen, die Schwäche nehme eher zu als ab.

Emma stand von dem Diwan auf, band einen leichten Strohhut um und überschaute von der Terrasse ihre herrliche Besitzung. Fern schimmerten die Dächer der Stallungen; ein Wink genügte, um den elegantesten Landauer vor das Portal der Villa zu rufen; auf dem Teiche wiegten sich Schwäne, der Wald, die Wiese, der kleine Tempel gehörte ihr, die prunkvollen Zimmereinrichtungen, die ausgesuchten Speisen, die Dienerschaft, das alles stand ihr zu Gebote.

Aber dort hinten, über dem reich ornamentierten Hausgang, warf immer wieder jene geheimnisvolle Türe ihren dunklen Schatten in all die Pracht der reichen Frau, wie sie ihn bereits über das ganze Leben des Mädchens geworfen. Emma wandte ihr Auge von dem Kronleuchter, den schwellenden Samtdiwans ab und fühlte wie nie zuvor die Wahrheit der Lehre von der Richtigkeit aller irdischen Herrlichkeit. Ja, es kam ihr vor, als fühle sie sich nun mitten in diesem Glanz unglücklicher, gedrückter als früher in der engen, dunklen Wohnung, die von Straßenlärm wiederhallte. Eine tiefe Melancholie überschauerte sie, wenn sie bedachte, was ihr nun all dieser Reichtum nützte, dass er sie nicht gefördert, ihr Denken nicht umgewandelt, dass da immer noch eine unerklärliche Leere blieb und dass die unselige Frau dort in dem verdunkelten Gemach, trotz der besseren Speisen, die sie jetzt genießen konnte, so unselig blieb, wie sie es seit Jahren gewesen. —

Der Widerwille gegen das Leben, der in Emmas Gemüt schon so oft aufgetaucht, erhob sich jetzt mit voller Gewalt, bestärkt durch die modernen, pessimistisch-philosophischen Werke, die sie gelesen, und an denen sie sich geradezu geweidet. Sie besaß trotz aller Geistes- und Charakterstärke nicht genug innere Widerstandsfähigkeit, die Gedanken jenes Lieblingsphilosophen zu verarbeiten, zu überwinden; diese Gedanken überwältigten sie, sie gab dem düstern Weltweisen in allen Stücken unbedingt recht, was bei ihrer Lebensweise, ihren traurigen Lebenserfahrungen nicht wunder nehmen konnte. Den Unglücklichen zieht, sobald er tiefer nachdenkt, das Unglück an.

Als sie sich jetzt in das Zimmer zurückbegab, um nach ihrer Mutter zu sehen, erwachte von neuem in ihr der entsetzliche Plan, den sie früher schon oft gehegt. Als sie in das dunkle Zimmer der Kranken trat und die weißhaarige Frau mit dem stumpfen Blick im Bette liegen sah, überkam sie geradezu ein Trotz gegen das Schicksal, und als sie jetzt der Hilflosen, die nur noch aß und schlief, eine Tasse Schokolade reichte, als sie sah, mit welch’ tierischem Heißhunger die Erbarmungswürdige auf die Nahrung zufuhr, überkam sie ein grenzenloses Mitleid, ein Ekel vor der ganzen Weltordnung.

Sie ordnete das Lager der Mutter, säuberte sie und behandelte sie völlig wie ein Kind. Und diese Dienste leistete sie nun schon seit Jahren, und die Ärzte versicherten, die Kranke würde ihren elenden Zustand noch Jahre lang zu ertragen haben, ehe der Tod sie befreite. Die Mutter lallte, indem sie sich an der Tochter hielt, ein paar Worte, die von einem momentanen Angstgefühl Kunde gaben, die Tochter suchte sie zu beruhigen, strich ihr das weiße Haar aus der Stirne und blieb so lange an dem Bette stehen, bis die alte Frau in ihren gewöhnlichen Schlummer gesunken war. Dann erst verließ sie auf den Zehen das Gemach.

Doch in welchem Seelenzustand befand sie sich, als sie sich jetzt in die Polster des Diwans warf, wie himmelschreiend erschien ihr die Grausamkeit des Schicksals, wie berechnend erschien ihr dies Schicksal, da seine Tücke sie mitten in dem Reichtum nicht losließ, im Gegenteil, der giftige Stachel jetzt nur desto grimmiger bohrte. Die Vergoldungen der Möbel beleidigten sie, die gemalten Amoretten des Plafonds erweckten ihren Zorn und sie verbrachte die Stunden dieses Nachmittags wie im Halbschlaf, in einem dumpfen, erdrückenden Traumzustand, der ihr alle Energie des Handelns raubte. Gegen Abend raffte sie sich empor, um auf dem Flügel einige Akkorde anzuschlagen, die ihre trübe Stimmung verscheuchen sollten, aber dieselbe nur noch mehr verdüsterten; die wenigen Stücke, die sie zu spielen vermochte , waren bald gespielt. Nach einiger Zeit ruhten ihre schönen schlanken Finger auf den weißen Tasten, ihr fein geschnittenes Profil senkte sich gegen den Notenhalter herab, um sich dann zu der über dem Klavier hängenden Raphaelischen Madonna emporzurichten. Die Kerze beleuchtete den Kupferstich ziemlich deutlich und Emmas Auge füllte sich mit Tränen, je länger es in das Antlitz der Himmelsmutter blickte, deren milde Ruhe lebhaft kontrastierte mit ihrem eigenen zerwühlten Innern.

Zusammenzuckend stand sie auf, es war ihr, als ob aus dem Glase des Bildes ein ernstes Männergesicht auf sie herniedergeschaut, ernst fragend, wie vorwurfsvoll. Ja, sie musste es sich gestehen, er hatte ihr imponiert, der ernste, praktische Mann mit dem mildstrengen Auge und sie war die Frau eines andern geworden, trotzig hatte sie seine Annäherung zurückgewiesen, um nur ihre sogenannte Selbstständigkeit zu wahren. Aber begehrte er sie denn wirklich? Er zeigte sich stets so verschlossen, drückte sich immer so nüchtern kurz aus. Teilnahme brachte er ihr entgegen, daran zweifelte sie nicht, ob mehr als Teilnahme, danach zu fragen war ja jetzt überflüssig; es war geschehen, das nicht mehr zu Ändernde, sie hatte ihren Willen durchgesetzt, sie stand allein, einsam inmitten des Glanzes, des glänzenden Elends. Und jener Ferne? Kranke? Ein unleidliches Schmerzgefühl durchbohrte ihr die Brust wenn sie bedachte, in welch’ beunruhigender Lage sie sich befand – einem todkranken Manne angetraut, der sie innig liebte – sie selbst die Liebe zu einem anderen im Herzen —!

Sie fühlte sich bedrückt, wie von einer schweren tiefen Schuld; manchmal, wenn sie nach einer Aussicht aus dieser erdrückenden Enge spähte, überkam sie das Herzklopfen der Verzweiflung, es war ihr, als habe sie sich die Kehle zugeschnürt, und als sie jetzt in ihr Schlafgemach eilte, schluchzte die Charakterstarke laut auf, da sie das Bild ihres Mannes, das er einst eigenhändig entworfen, über ihrem Bett hängen sah. Doch bezwang sie diesen Ausbruch so rasch wie er gekommen, betrachtete aber lange Zeit in düsteres Sinnen verloren den schönen, jugendlichen Gatten, die unentweihten, edelgeformten Züge seines naiven, kindlichen Angesichts.

Du warst deines Glückes Schmied, rief sie sich zu, du hast es nicht anders gewollt und kannst nun nichts tun, als das Kommende mit Gleichmut erwarten! Das Kommende! Ja, was sollte denn kommen? Wann würde er sterben, der kranke junge Mann? Und wie hässlich, ihm den Tod zu wünschen. – Sie hatte sich eine einfache Abendmahlzeit reichen lassen und warf sich nun unausgekleidet auf ihr Bett, den Kopf in die Hand gestützt, zuweilen den schlaftrunkenen Blick auf jenes Bild Pauls werfend.

Warum konnte sie nicht wenigstens zufrieden sein!

Jeder anderen würde der Gedanke, Herrin dieses reichen Hauses zu sein, das Peinliche der Verhältnisse überdeckt haben, sie jedoch, eigenartig angelegt, erfreute es nicht, an die Prachträume, die Ställe, die Kunstwerke zu denken, die ihrem Willen zur Verfügung standen. – Die reich vergoldete Lampe zuckte, da das Fenster offen stand, im Hauche der Frühlingsnacht, eine Nachtigall begann draußen ihr klagendes Lied. Die Türe, die in das Zimmer der Mutter führte, blieb wie immer auch diesmal die ganze Nacht hindurch geöffnet, sodass Emma jeden Atemzug der Kranken zu belauschen vermochte. So zwischen Schlaf und Wachen blätterte sie in der Philosophie des Unbewussten von Hartmann, die ihr bis jetzt noch unbekannt geblieben, und sie erstaunte über die Folgerichtigkeit, mit der dieser Denker den Pessimismus durchführte. Dazwischen frug sie sich, wenn ihr Blick das Bild Pauls traf, ob sie denn diesem seelenvollen Auge wünschen solle, sich auf immer zu schließen? Ob dieser schöne Mensch wirklich dem Tode verfallen sei? Welche Qual, an solche Dinge denken zu müssen! Bist du denn so gewissenlos, einem armen Unglücklichen den Tod zu wünschen? Wenn du ihn auch nicht liebst, das Leben musst du ihm gönnen, – aber dass in dir solche düstere Fragen erwachen, ist schon abscheulich. Und sie wusste recht gut, warum sie in ihr erwachten, sie verfolgte jenen einen heißen Wunsch bis in die tiefsten Labyrinthe ihrer Brust, um dann endlich ihre Gedanken mittelst eines gewaltsamen Rucks von der ganzen Last des Nachgrübelns zu befreien.

Es mochte gegen ein Uhr sein. Drüben im Salon rief die Pendüle mit ihrer silbernen vornehmen Stimme die Stunde; auf Emmas Auge hatte sich ein unruhiger, flüchtiger Schlaf herabgesenkt.

Die Lampe beleuchtete ihr in die Kissen zurückgesunkenes, so interessantes Haupt, ein wegwerfender, spöttischer Zug kräuselte die schönen Lippen und ließ die Nasenflügel leise erzittern, regelmäßig hob sich ihre Brust, als sie plötzlich emporzuckte. Horch! Ein Stöhnen! Wo? O Gott! Ist’s möglich? Drüben? Bei der Mutter? Noch einmal! Sie ergriff zitternd die dem Erlöschen nahe Lampe.

»Luise!« rief sie stammelnd nach der Dienerin und eilte von zurückgedrängtem Schauder durchrieselt nach dem Schlafgemach der Mutter. Jetzt erinnerte sie sich, als ob sie im Halbschlafe habe rufen hören und als wenn dann ein dumpfer Fall erfolgt sei.

Kaum hatte sie in atemloser Hast das Gemach betreten, als ihr der schmerzlichste, peinlichste Anblick das Herz zusammenschnürte. Die kranke Frau lag außerhalb des Bettes am Boden und starrte mit ausdruckslosen, angstvollen Blicken der Kommenden entgegen.

»Sie kommen, sie kommen, die Schwarzen,« wimmerte die hagere, jammervolle Gestalt der alten Frau unter den aus dem Bette gefallenen Tüchern hervor, indem sie vor dem näher herantretenden, zum Tode erschrockenen Mädchen zu fliehen suchte.

Ein Traum, oder eine ihrer krankhaften Phantasievorstellungen musste die Unglückliche veranlasst haben, das Bett verlassen zu wollen, was ihr in ihrer Schwäche nicht gelingen konnte. Emma, von herzzerreißendem Mitleid erfüllt, half der alten Frau aus dem Gewühle der Kissen und hob sie, ihrer durch ähnliche Hilfeleistungen erstarkten Kraft vertrauend, vom Boden auf. Es gelang ihr, die sich nun nicht mehr Sträubende wieder in das Bett zurückzutragen. Hier niedergelegt, streichelte dies unglückliche Wesen, unartikulierte Laute der Zärtlichkeit ausstoßend, die Wange ihres besorgten Kindes, das sich mit Tränen in den Augen zu ihr herabbeugte.

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04 декабря 2019
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