Читать книгу: «Unter dem Ostwind», страница 4

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Forsch, mit unverhohlenem Ärger steigt Antonya die Treppen nach oben und läuft einige Male durch das Zimmer. Das Gehen tut gut, nachdenklich bleibt sie am Fenster stehen. Die Sonne kommt herauf und wischt die Schatten der Bäume und Sträucher aus dem Park. Wieder einmal hat die Halina sie beunruhigt. Wäre es nicht besser, das kleine Miststück aus dem Haus zu jagen? Nein, solange sie bei ihr in Diensten ist, hat sie eine gewisse Kontrolle über das, was die Halina unter diesem Dach zu treiben versucht. Manches mag geschehen, wovon Antonya nichts weiß, aber das eine oder andere wird sie durchkreuzen können, sagt sie sich.

Durch den Park sieht sie ihren Mann kommen. Er geht vornübergebeugt und in Gedanken. Dann ist etwas da, das ihn stehen bleiben lässt und das sein Interesse erregt. Er schaut zum Haus herüber, dahin, wo die Küche ist und macht mit der Hand eine abwehrende Bewegung; dann blickt er prüfend zu Antonyas Fenster hoch. Aber hinter den Vorhängen kann er sie nicht sehen, und hastig läuft er auf den Eingang der Dienstboten zu.

Antonyas Wissen und die wilden, quälenden Vermutungen lassen keinen klaren Gedanken zu. Aber so ist es: immer, wenn sie einen klaren Kopf behalten will, dann wird sie nur noch verwirrter. Antonya ist hilflos und weiß nicht aus noch ein. Ganz bestimmt wird sie alles wieder falsch machen!

Dieses polnische Mädchen reizt sie und macht sie wütend, auch ihr Mann macht sie wütend. Aber am meisten kann Antonya über sich selbst aus der Haut fahren.

Später ist die Halina bemüht, so zu tun, als sei nichts vorgefallen. Und auch Antonya versucht den Eindruck zu erwecken, als wäre die Episode in der Küche ihrerseits vergessen. Wenn da nicht die auffallende Schweigsamkeit zwischen ihrem Mann und dem Mädchen wäre. Was die Halina in Stanislaus’ Nähe zu tun hat, das tut sie mit eisernem Schweigen. Ja, sie wagen es nicht einmal, sich anzusehen. Wenn die Halina ihm etwas zureicht, dann zittern ganz schwach ihre Hände und jedesmal kriecht aus ihrem Kragen eine leichte Röte in ihr Gesicht.

Das bleibt Antonya nicht verborgen; zum Teil verunsichert sie das noch mehr, teils sieht sie ihren Verdacht bestätigt, und wieder steigt Wut in ihr hoch und lähmt sie.

Das Essen heute am Silvesterabend ist ruhig verlaufen. Alles geschah, wie die Hausfrau es angeordnet hatte.

Nach der Mahlzeit ist das Personal in den Salon gekommen, so wie es auch am Abend vor dem Weihnachtsfest gekommen ist und alle Jahre zuvor. Sie haben der Herrschaft und den Gästen ein gutes neues Jahr gewünscht und dafür ihre Hand aufgehalten. Auch die Halina ist darunter gewesen. Und von Stanislaus und Antonya haben sie alle ihr ’Feiergeld‘ erhalten, wie es der Brauch in diesem Hause verlangt.

Mit den Kindern haben die Eltern an diesem Abend ihre Plage; die großen wie die Kleinen zeigen keinen Appetit, sie quengeln und liegen den Müttern in den Ohren, wann es denn endlich an den Teich geht, auf dem sie alle Schlittschuh laufen wollen.

Antonya mag nichts mehr hören, sie wird ungehalten und sagt: eine solche lästige Horde könne sie nicht bis um Mitternacht ertragen. Sie werde ihren Plan dahingehend ändern, dass alle, auch die Cousins und Cousinen aus Zdunska Wola, ins Bett gesteckt würden!

Das wirkt.

Ein leichter Schnee fällt, spärlich und fein wie Staub. Rund um den Teich brennen Fackeln, die an den Ästen der in der Nähe stehenden Bäume und an eigens dafür in den Boden gerammten Stangen befestigt sind. An einigen Stellen knistern Feuer in Eisenkübeln, die ein kreisrundes schwarzes Loch in den Schnee geschmolzen haben. Etwas oberhalb des aus dem Eis herausragenden Steges hat das Personal einen Tisch hergerichtet, auf dem, auf einem stattlichen Stövchen, der Punschtopf dampft.

Die Leute stehen in Gruppen zusammen, beim Tisch steht überwiegend weibliches Volk, das mit Antonya zu tun hat An den Feuern, sich einmal vorne, einmal den Rücken wärmend, sind die Männer, und Stanislaus in ihrer Mitte. Unter ihnen befindet sich die Halina, dick in Tücher gehüllt, so dass sie kaum zu erkennen ist. Die Halina beteiligt sich nicht an den Männergesprächen, sie hört zu, was die sich zu erzählen haben.

Antonya läutet mit einer kleinen, schwer zu hörenden Schelle. Niemand reagiert, erst als einer der Männer „Ruhe mal!“ schreit und in seine Hände klatscht, werden sie auf das Läuten merksam. „Ich möchte mit Ihnen allen anstoßen!“ ruft Antonya. „Bitte, kommen Sie zu mir an den Tisch.“

Schwerfällig setzen sich die Menschen in Bewegung und stellen sich im Halbkreis um die Hausherrin. Ganz hinten, als suche sie irgendwo Zuflucht, steht die Halina, die trotz ihrer Vermummung vor Kälte ganz in sich zusammengesunken ist.

Antonya, die das erste Glas einschenkt, sagt zu den Leuten: „Wer nicht mit Punsch anstoßen will, für den hat mein Mann Wodka und Bier im Korb.“

Die Männer murmeln beifällig und die Frauen stellen sich vor dem Punschtopf auf. Alle sind heiter, lachen und schwatzen durcheinander und stoßen sich wie die Kinder.

„Sie brauchen es nicht bei uns in der Kälte auszuhalten. Wer ins Warme gehen möchte ...“ Antonyas Arm vollführt eine Geste der Entlassung, aber sie bleiben, keiner scheint Lust zu haben, ins Haus zu gehen.

Die Kinder toben mit roten Gesichtern auf der Eisfläche. Antonyas Kinder haben alle Schlittschuhe an den Füßen, mit denen die beiden älteren, die Selma und der Otto, geschickt herumwirbeln und Kreise ziehen. Die kleinen stützen sich gegenseitig, und wenn eins hinfällt, dann liegen sie alle lachend und kreischend auf dem Eis.

Für die Kinder ihres Schwagers hat Antonya durch den Frantizek Schlitten herbeischaffen lassen. Einer ist darunter, der wie eine kleine offene Kutsche gebaut ist, vor die man ein Pony spannen könnte. Aber dafür ist er nicht eingerichtet. An der Rückseite hat er einen geschwungenen Eisengriff, mit dem er wie ein Kinderwagen zu schieben ist. Amalie hat die siebenjährige Martha und die kleine Natalie hineingesetzt, die aber vor lauter Angst zu brüllen beginnt, als die Tür hinter ihr geschlossen wird. Frantizek bugsiert den Schlitten um den Teich, und manchmal lässt er ihn allein von der Böschung gleiten, dass die Schlittschuhlaufenden Kinder auf dem Eis kreischend auseinander stieben.

Auch Antonya und Stanislaus wagen sich später unter die Kinder. Beide sind im Eislauf geübt, ganz besonders Antonya. Sie hat, als sie vom Personal Beifall bekommt, für eine kurze Zeit die Eisfläche für sich allein. Sie dreht Pirouetten und wagt sogar schon einmal einen Sprung, dabei hält sie den Muff weit von sich gestreckt und rafft mit der freien Hand den langen Mantel ein wenig in die Höhe.

Sie scheint Gefallen am Eislauf und am Applaus gefunden zu haben, denn sie mag gar nicht mehr aufhören.

Hinter dem Tisch stehen sich Stanislaus und die Halina gegenüber. Als der Mann sein Glas abgestellt hat, nimmt es das Mädchen und dreht es bis zu der Stelle, von der er getrunken hat. Ohne auf die Leute zu achten, die ihr dabei zusehen, hebt sie das Glas mit dieser Stelle an ihre Lippen und prostet ihm zu.

Das ist Antonya nicht verborgen geblieben; mitten im Lauf bleibt sie stehen, dann steigt sie wackelig und vorsichtig die Böschung hinauf und hält einem dürren, blaugefrorenen Mann ihre Füße hin, dass der sie von den Schlittschuhen befreie.

„Ich brauche etwas zu trinken!“ ruft sie. Und, als ihr ein Glas Punsch gereicht wird, wendet sie sich überaus leise und sanft der Halina zu: „Halina.“ Antonya deutet auf das Glas, aus dem die Halina gerade getrunken hat.

Das Mädchen tut, was die Frau wünscht.

„Schmeckt dir der Punsch, Halina?“

Halina sieht sie belauernd an und nickt.

„Gut, Dann trinke auch mit mir, Halina?“

„Ich habe gerade getrunken“, flüstert das Mädchen.

„Vielleicht nicht genug. Du solltest mehr trinken. Ich weiß, dass du mehr möchtest, und auch mehr verträgst, Halina! Na zdrowie!“

Antonya sieht, dass ihr Mann sich zum Haus hin entfernt; sie möchte ihm hinterherschreien, was er für ein feiger Kerl sei, wenn er sich aus dem Staube macht und das Mädchen allein lässt, wenn sie mit ihm abrechnen möchte.

Sie blickt dem Mädchen ins Gesicht. „Ein hübsches Gesicht hast du“, zischt sie. „Aber es ist ein dummes, ein freches und gewöhnliches Gesicht, Halina, so dass ich mich wundere, dass ein Mann ... mein Mann daran Gefallen finden kann, denn ich weiß, dass er alles Gewöhnliche verabscheut!“

Antonyas Finger umklammern das heiße Glas, dass sie es kaum halten kann.

’Es wäre mir ein Genuss‘, denkt sie, ’dir dieses hier mitten in deine Visage zu schütten, so heiß wie es ist!‘

Plötzlich gießt sie den Punsch dem Mädchen vor die Füße, dass ihre Schuhe und der Rock bespritzt sind.

„Merke dir das: da bringe ich dich hin: da in den Dreck.“

Antonya deutet mit dem Kinn auf den dunklen Fleck im Schnee. „Glaube nicht, dass ich keine Augen im Kopf habe! Ich sehe mehr, als dir lieb ist! Unterschätze mich nicht, du ...“ Sie sieht sich nach ihrem Mann um, aber Stanislaus ist verschwunden. Dann wendet sie sich ab und geht zu ihren Kindern, die wieder über das Eis tollen.

Amalie hat von Antonyas Ausbruch nichts mitbekommen, sie ist mit deren Kleinen, Ottilie und Ludwig, und mit ihren eigenen Kindern vor längerer Zeit schon ins Haus gegangen, um sie ins Bett zu bringen.

Später entdeckt Antonya auch wieder ihren Mann. Er steht bei den Männern und scheint ihnen irgendetwas zu erklären. Denn sie hören aufmerksam und mit gesenktem Kopf zu.

Von der Halina ist an diesem Abend nichts mehr zu sehen.

„Wir können nicht bis Mitternacht hier draußen bleiben“, kommt Stanislaus an sie heran. „Lass uns hineingehen. Die Kälte bringt uns alle um.“

„Was ist es, das dich mit einem Male von hier wegzieht? Ist sie es?“

„Tonya, ist es meine Schuld, wenn das verrückte Ding sich Flausen in den Kopf setzt?“ brummt der Mann.

„Flausen nennst du das? Ich denke, mein Lieber, dass diese Flausen nur deshalb gedeihen können, weil du ein guter Boden dafür bist. Seit wann benutzt du den Dienstboteneingang, Stanislaus? “

„Lass uns später darüber reden, Tonya, wenn wir allein sind. Sollen die Leute sich das anhören, was wir bereden? Nicht hier, Tonya, und nicht an diesem Abend.“

„Du fragst doch sonst nicht danach, ob andere euretwegen Stielaugen bekommen oder ihre Ohren spitzen, wenn ihr euch sicher fühlt, wenn ihr eure Köpfe zusammensteckt. Alle hier wissen, was los ist! Und ich, Stanislaus: ich bemerke mehr, als du ahnst.“

„Bitte, Tonya, bitte ...“ Er nimmt ihre Hand, als wollte er sie streicheln, aber es geschieht nichts. Er hält sie nur, ihre feste und in den dicken Handschuhen unerreichbare Hand. Er sagt: „Oft habe ich das Gefühl, ersticken zu müssen.“

„Du?“ höhnt die Frau erstaunt und schüttelt verständnislos den Kopf, und sie schiebt den Mann, als ekele er sie an, mit einem Stoß von sich und wendet sich der Männergruppe zu.

Stanislaus hört, dass sie den Leuten, die es bis jetzt noch in der Kälte bei ihnen am Teich ausgehalten haben, Anweisungen gibt.

Müde, mit hängenden Schultern, geht sie danach mit Jendrik ins Haus.

Als die Glocken das neue Jahr einläuten, steht Stanislaus am Fenster seines Arbeitszimmers. Er hat es eine handbreit geöffnet, um diese Geräusche hören zu können, die nur in dieser einen Nacht des Jahres zu hören sind. Sein Kopf ist voller Gedanken, aber er könnte nicht sagen, was das für Gedanken sind, die ihn durcheinanderbringen; er hat wohl zu viel Punsch und Wodka getrunken.

Seine linke Gesichtshälfte, seine Schulter beginnen unter dem Luftzug, der durch den Spalt weht, zu schmerzen. Jetzt hat er zu lange am Fensterspalt gestanden. Auf den Straßen lärmen die Menschen immer noch.

Wie ein Geschlagener tappt er zur Chaiselongue, um sich schlafen zu legen.

Er hört, wie oben im Zimmer seine Frau auf und ab geht.

Die Sonne steht schräg und lässt den Schnee glitzern, so dass es in den Augen sticht. Alle Erdmanns sind heute mit den Pferdeschlitten unterwegs. Im ersten sitzen die Brüder Stanislaus und Jendrik und die größeren Kinder, ihnen folgen, in einem gepolsterten und luxuriösen Schlitten, die beiden Frauen mit den Kleinen. Amalie hat sich die Zwillinge unter die Pelzdeckegesteckt. Sie sind den gleichen Weg gefahren, den die Männer zuvor für die Bärenjagd gewählt haben. Hier draußen bläst ein schneidender Wind aus Nordost und zwingt sie, noch tiefer in die Pelze zu kriechen. Auf ebener Strecke springt schon einmal eins der großen Kinder, der Otto und auch der Berthold, ab und läuft, von schrillen Zurufen begleitet, neben dem Schlitten oder den Pferden her.

„Passt auf“, ruft Stanislaus ihnen zu. „Hinter einer Schneewehe oder in einem zugeschneiten Erdloch könnte ein Bär oder ein Luchs lauern! Ihr wisst ja, was der mit übermütigen Kindern macht? Er frisst sie mit ihren Pelzen und Schuhen!“ Wenn ihnen Angst eingejagt wird, dann schwillt das Geschrei und Gequieke an und sie sehen zu, dass sie schnell wieder auf den Schlitten kommen.

Auch der Frantizek lässt sich von der Ausgelassenheit der Kinder anstecken. Er wirft seine Pelzmütze in die Luft und lässt dazu einen scharfen schrillen Pfiff hören, der die Pferde veranlasst, sich in noch wilderem Galopp ins Zeug zu legen. Dann schießt der Schlitten nach vorn, dass sie alle aneinanderstoßen oder gar von den Sitzen rutschen.

„Bei euch, Schwägerin, gibt es wohl keine Schwierigkeiten?“ fragt Antonya.

„Du meinst, zwischen Jendrik und mir?“

„Ja, das meine ich. Bei euch, so hat es den Anschein, geht es friedlich und beinahe ohne die sonst üblichen Reibereien und Streitigkeiten ab.“

„Es ist das Alltägliche, Schwägerin, wie es in den meisten Ehen vorkommt.“

„Alltäglich? Was sind alltägliche Schwierigkeiten? Das, was bei mir mit Stanislaus üblich ist, das ist vielleicht bei anderen die Hölle. – Bei dir, denke ich, könnte es die Hölle sein!“

Amalie ahnt, was die Schwägerin anspricht. Was soll sie dazu sagen? Sie macht sich mit den Kindern zu schaffen. Sie möchte nicht über Dinge reden, von denen man zu niemandem spricht, Dinge, die jeder besser für sich behält. Amalie fühlt sich überfordert, wenn die Schwägerin diese Seiten ihres Lebens aufschlägt. Solche Offenbarungen machen sie rat- und hilflos und verwirren sie.

Ja, sie hat von Frauen gehört, die plötzlich durch einen Vorfall nicht mehr bereit waren zu schweigen und zu tragen, was ihnen kein anderer abnehmen konnte. Solche Frauen machten andere zu Mitwissern, und deren Ehe wurde dadurch durchsichtig. Das ist, als müsste man nackt durch die Stadt laufen, so kam ihr das vor.

Sie spürt Antonyas Blick, die etwas von ihr erwartet, wenn schon keine Antwort, dann doch eine Geste. Ihr wird unbehaglich in der Nähe der Schwägerin, aber sie muss es aushalten. Schließlich sagt sie so hin: „Antonya, wo gibt es die Ehe, die wir uns als junges Ding erträumt haben? In Büchern, ja, da soll es so etwas geben. Aber im Leben? Im Leben ist das doch ganz anders ...“

„Kennst du Angst?“ fragt Antonya.

„Angst? Welche Angst meinst du?“

„Von der Angst vor allen Kreaturen, die Röcke tragen und vor den Männern mit den Hüften wackeln, Schwägerin. Es wird dir doch nicht entgangen sein, dass die Halina, diese kleine unverschämte Schlampe, meinem Stanislaus nachstellt. Und das ohne jede Vorsicht! Sie nimmt sich nicht einmal vor mir in Acht!“

„Warum ist sie dann noch im Haus?“

„Weil ich sie unter meinem Dach einigermaßen im Auge habe. Werfe ich sie hinaus, dann habe ich keine ruhige Minute, wenn Stanislaus in der Stadt oder sonst wo zu tun hat.“

„Und er? Ich meine, Stanislaus?“

„Stani? Der fühlt sich geschmeichelt. So junges Gemüse ... Stani will nur eines: erkunden, ob unter den Röcken dieser Proletenweiber etwas anderes versteckt ist, etwas Neues, das er nicht kennt.“

Sie schweigen vorerst, und jede schaut nach einer anderen Seite ins Land.

Antonya beginnt wieder: „Das Schlimme ist, dass man so allein ist ... Es gibt keinen Menschen, zu dem ich davon sprechen kann. Meinen Eltern darf ich damit nicht kommen. ‚Du hast ihn genommen’, sagen sie, ‚und damit hast du auch alles andere genommen.’ Ja, so wird es wohl auch sein: es ist allein meine Last.“ Sie greift nach der Hand der Schwägerin. „Ich hoffe, in dir, Amalie ...“ Antonya spricht nicht aus, was sie sich von Amalie erhofft.

Ohne dass sie es wahrgenommen haben, haben die Schlittenlenker den Rückweg eingeschlagen.

Vor dem Haus werden Stanislaus und Antonya von einem Haufen aufgeregter Leute erwartet; es sind vor allem die Frauen aus der Küche, die palavernd neben dem Schlitten des einfahrenden Hausherrn her laufen und ihn umringen, so dass Stanislaus Mühe hat auszusteigen. Die Halina ist nicht unter ihnen, und das, so meint Antonya, sei verdächtig. Stanislaus, der beim Vorfahren des Schlittens der beiden Frauen herbeigeeilt ist, um ihnen und den Kindern beim Aussteigen zu helfen, raunt seiner Frau zu: „Unannehmlichkeiten. Geh in die Bibliothek und warte auf mich.“

„Was gibt’s denn?“

„Später, später ... Warte in der Bibliothek ...“

Und damit läuft er zu den Ställen hin.

Über die Schulter ruft er dem Bruder zu: „Jendrik, geh mit Amalie und allen Kindern in den Salon! Wir kommen gleich nach!“

Beunruhigt, nervös geworden geht Antonya vor den Bücherschränken auf und ab. Mit meiner Unruhe hat die Halina zu tun, sagt sie sich. Das Luder will sich rächen und hat sich eine Hinterhältigkeit ausgedacht! Was findet Stanislaus nur an diesem pummeligen und gewöhnlichen Weibsbild? In wenigen Jahren ist die eine fette, eine trampelige Wachtel, die kommandiert und schreit und Teller an die Wand wirft!

Antonya betrachtet ihr Spiegelbild in den langen Glasscheiben. Eine schlanke, aufrechte und gepflegte Frau blickt sie an, der die Männer zu Füßen liegen könnten, wenn sie es darauf anlegte. Weiß ihr Mann überhaupt noch, dass sie gut aussieht und manche der ersten Frauen der Stadt, mit der sie Umgang pflegen, in den Schatten stellt?

Halina! Wenn sie doch dieses Mädchen ans Ende der Welt oder auf eine Insel wegschaffen könnte! Was mag die sich ausgedacht haben? Draußen, bei den Frauen, ist sie nicht zu sehen gewesen. Sollte die vielleicht versucht haben, sich selbst oder einem anderen etwas anzutun?

Bei der Tür bleibt sie stehen, sie möchte in das Treppenhaus hinaussehen, weil sie unten verhaltene Stimmen hört, aber dann setzt sie sich mit klopfendem Herzen in einen Sessel, die Hände im Schoß, und wartet.

Es dauert nicht lange, und leise wird die Tür geöffnet, nur ein wenig, und in dem Spalt erscheint Stanislaus, und hinter ihm taucht ein herabgekommener und stoppelbärtiger Mann auf in einem Mantel, der über den Boden schleift; sein Gesicht hat er unter einer zu großen Mütze versteckt.

„Hier“, sagt Stanislaus, „diesen Menschen haben sie bei den Ställen erwischt. Ein Dieb! Vielleicht ein Halsabschneider!“ brüllt er durchs ganze Haus. „Der hat es wohl auf Geld oder Schmuck oder sonstwas abgesehen!“ Stanislaus schiebt den Mann ins Zimmer, so dicht vor Antonya, dass der fast ihre Fußspitzen berührt. Nachdem er die Tür zugedrückt hat, fragt er mit gedämpfter Stimme: „Erkennst du ihn nicht?“

Der Fremde grinst auf die Frau herab; er zittert, als wäre er wirklich bei etwas Verbotenem erwischt worden.

„Wer ist das?“ fragt sie.

„Tonya ...“, flüstert der Fremde. „Tonya ...“

Sie steht auf, um sein Gesicht besser sehen zu können; argwöhnisch starrt Antonya ihn an, dann stößt sie plötzlich einen leisen Schrei aus. Sie ist kreideweiß geworden und geht ein paar Schritte rückwärts und fällt vor Schreck in den Sessel zurück.

„Krystian?“ stammelt sie. „Krystian ... Barmherziger Gott!“ Der Fremde grinst sie weiter an und nickt. Er nickt immerzu, als könnte er gar nicht damit aufhören. Plötzlich reißt er seine Mütze vom Kopf und wirft sie auf den Boden und ergreift ungestüm ihre Hand. „Tonya“, flüstert er wie eben. „Tonya, Tonya ...“ und küsst ihre Hand.

„Krystian, wo kommst du her?“ fragt sie wie benommen und schlägt ihre Zähne in die Faust.

Er hebt die Achseln. „Von überall und nirgends ...“

„Von überall und nirgends“, wiederholt sie, als wäre sie nun im Bilde. Sie hat sich wieder erhoben und ist ein wenig zur Seite getreten, aus angstvollen Augen betrachtet sie den Bruder und schüttelt immerzu ungläubig den Kopf.

„Wie du aussiehst!“

„Erschreckend, nicht wahr? So ist es, wenn man die Gesellschaft wechselt, Schwester.“ Wieder nimmt er ihre Hand, um sie auf seine Brust zu drücken, auf diesen zerschlissenen und verdreckten Mantel. „Tonya, ich brauche Hilfe.“

„Hilfe, ja ... Brauchst du ein Versteck?“ fragt sie.

Wieder nickt der Mann.

„Wie sollen wir dich hier verstecken, Krystian? Unsere Leute wissen, dass du hergekommen bist?“

„Die meisten wissen es“, antwortet ihr Mann. „Aber sie haben ihn für einen Einbrecher gehalten und eingesperrt. Weißt du“, sagt Stanislaus nach kurzem Überlegen, „wir sagen ihnen, er sei wirklich ein Einbrecher ...“

„Den wir so mir nichts, dir nichts einfach wieder laufen lassen?“ Über Antonyas Nasenwurzel erscheinen die scharfen steilen Falten, die sie immer dann bekommt, wenn sie angestrengt nachdenkt, oder wenn sie unwillig oder böse wird.

„Lass mich das machen“, rät Stanislaus, der sich insgeheim darüber freut und eine gewisse Genugtuung verspürt, seine Frau nach dem Streit wegen der Halina in dieser misslichen Lage zu sehen und ihr helfen und beistehen zu können, und außerdem wird sie die Sache mit dem Küchenmädchen vergessen. Er sagt: „Ich werde den Krystian fürs erste in der Fabrik unterbringen. Dann werden wir weitersehen.“

„Wissen die Eltern, dass du hier bist?“ fragt Antonya.

Der Mann lächelt sie an. „Aber nein. Wie könnte ich sie in Gefahr bringen? Die wissen nichts von mir! Gar nichts. Die halten mich doch für tot, glaube ich. Oder sie denken, ich sitze im Zuchthaus, oder ich bin in der Verbannung.“

„Was hast du denn diesmal angestellt, Krystian?“

Wieder lächelt er. „Was ich tun muss, Tonya, das weißt du doch. Eine Sache, die jedem guten Polen zur Ehre gereicht, wenn sie gelingt, Tonya. Wenn du es wissen willst: eine Bombe auf den Großfürsten geworfen. Leider ging es daneben, leider.“

„Du großer Gott! Warst du allein?“

„Allein, Tonya, sind wir nicht, weil wir allein nichts sind. Wir Polen sind nur stark, wenn wir uns vereinigen und auf unser Ziel einschwören. Alle Polen müssen sich vereinigen und für die heilige Sache kämpfen, Tonya. Nicht nur die Jungen. Nicht nur die Intellektuellen, Tonya, alle ... Hörst du: alle!“

Antonya winkt ab. Sie ist dicht an den Bruder herangetreten, dass einer den Atem des anderen spürt. Sie reckt sich auf die Zehenspitzen und drückt wie eingeschüchtert einen Kuss auf Krystians Stirn.

„Krystian“, sagt sie leise, und dabei nimmt sie sein stoppeliges Gesicht in die Hände. „Krystian, Krystian, wie unselig, dass du von solchen Gedanken besessen bist! Vielleicht reibt ihr euch vergeblich auf, und euer Leben opfert ihr auch vergeblich. Glaube mir, die Zeit wird das lösen, was ihr nicht lösen könnt. Du machst nicht nur dich unglücklich, Krystian, du machst uns alle unglücklich. Unsere Eltern leiden. Sie werden darüber sterben, Krystian ... Wo du gehst, da ziehst du eine Blutspur. Das wird dich verderben, das wird deine Genossen verderben und auch uns. Was habt ihr dann erreicht?“

Und plötzlich schlingt sie ihre Arme so wild um seinen Nacken, dass der Mann erschreckt zurückweicht.

„Ein Versteck, Tonya, nur für diesen Tag. In der Dunkelheit werde ich wieder verschwinden. Helft mir, nur dieses Mal.“

„Damit, dass du hier aufgetaucht bist, hast du uns in eine schlimme Sache hineingezogen, Krystian.“

Krystian hebt die Schultern. „Ja, ich weiß, ich weiß. Was soll ich denn machen, Tonya?“

„Wir müssen etwas tun“, mahnt Stanislaus. „Wegen der Leute müssen wir etwas tun! Komm, Schwager, ich bringe dich in ein Versteck. – Hier hat dich niemand erkannt. Ich werde dich wie einen Schurken, wie einen erwischten Dieb aus dem Haus fahren und allen sagen, dass ich dich der Polizei übergeben werde. Und du, Tonya, sagst es ihnen auch. Komm, Krystian!“

„Tonya, leb wohl! Leb wohl. Grüße die Eltern von mir. Es wird sie freuen, dass du mich lebend gesehen hast. Leb wohl ...“

Stanislaus fasst Krystian beim Handgelenk und führt ihn aus dem Haus. Antonya hält ihn verzweifelt am Arm fest, sie schlingt, als er sich losmachen will, wieder ihre Arme um seinen Nacken und weint laut auf.

„So sei doch vorsichtig!“ mahnt ihr Mann. „Wenn dich jemand hört!“

Der Krystian biegt ihre Arme wie bei einer Puppe nach unten und drängt sich an seinem Schwager vorbei ins Treppenhaus.

Antonya blickt ihnen von der Treppe nach, bis die Tür ins Schloss fällt. Dann geht sie über den Flur, um mit Amalie und Jendrik über diese Angelegenheit zu sprechen.

Vor dem Salon zögert sie. Soll sie, so benommen wie sie sich fühlt, zu den Verwandten gehen? Was soll sie denen sagen?

Sie hört die Kinder, sie hört auch gedämpfte Gesprächsfetzen der Erwachsenen. Zittern überfällt sie; wenn sie doch weggehen und für sich allein sein könnte. Sie öffnet die Tür, ohne es gewollt zu haben.

„Was ist denn passiert?“ ruft Amalie. „Antonya, wie du aussiehst! Was ist denn?“

„Der Krystian“, stammelt sie. „Er ist hergekommen. Nein, er ist gegangen ...“

„Der Krystian?“ fragen beide. „Dein Bruder?“

Antoniya nickt und lässt sich gegen die Wand fallen.

„Warte mal!“ Amalie steht auf, um die Kinder aus dem Zimmer zu bringen.

Jendrik nimmt ihre Hand und streichelt sie. „Es kann nur gut sein, wenn die nicht alles mit anhören“, sagt er und rückt der Schwägerin einen Stuhl hin. „Setz dich, du bist ja wie vor den Kopf geschlagen. Nein ... Also der Krystian ...“ murmelt er fassungslos.

Amalie ist schon eine Weile wieder bei ihnen, da beginnt Antonya stockend zu erzählen. Sie berichtet, wie sie ihn nicht erkannt habe, wie er aussieht, wie besessen er immer noch von dem Gedanken ist, für Polen zu kämpfen.

„Nicht nur zu kämpfen!“ ruft sie. „Zu sterben! Mit den anderen! Er hat ein Attentat auf den Großfürsten versucht, dieser Idiot! David gegen Goliath! Wird das was ändern? Nichts! Ich sage: nichts! Es wird die Situation nur verschlimmern!“

Antonyas Betroffenheit, ihre Angst um den Bruder schlägt in Wut um. Ihre Hände knetend läuft sie durch den Salon. „Was können wir tun? Nichts! Wir können nur hinsehen oder wegsehen. Ein Besessener ist nicht zu retten! Nein, er muss an seiner Besessenheit zugrunde gehen.“

Sie bleibt vor den Verwandten stehen. „Bedenken die Schufte denn nicht, dass ihr Treiben auch über Andere Leid bringt? Oder Unglück? Unsere Eltern ... Die dürfen nichts erfahren. Er will, dass ich sie grüße! Für die Alten ist er schon lange tot! Grüßen ... Kein Wort werde ich davon sagen! Jetzt nicht. Vielleicht später. Aber das weiß ich noch nicht!“

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9783844264692
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