Читать книгу: «Unter dem Ostwind», страница 3

Шрифт:

„Wie, du selbst denkst das auch?“ bricht es aus Amalie hervor und sie schlägt sich sofort vor Schreck auf den Mund.

„Amalie, Schwägerin, das spürt man doch. Du würdest es auch spüren. Du zeigst eine harte Rinde, aber innen, Amalie, bist du aus weichem Holz, bist verletzbar, ohne viel Widerstand. Und jetzt, da von der alten Generation keiner mehr da ist“, sagt Antonya fast fröhlich, „möchte ich Frieden schließen. Mit dir, auch mit dem Jendrik. Darum habe ich alles daran gesetzt, dass ihr nach Lodz kommt. Und ihr seid gekommen. Glaubst du mir, dass ich mich darüber freue? Sehr freue?“

Antonya kommt um das Tischchen, um die Schwägerin zu umarmen. „Amalie, ich möchte alles versuchen, dass wir uns näher kommen und nicht mehr wie Fremde gegenübersitzen.“

Stanislaus ist mit seinem Bruder an diesem Nachmittag in die Fabrik gefahren, die ihm durch eine Erbschaft seiner Frau mit zugefallen ist. Noch vor seiner Heirat mit Antonya hat er sich ins Praktische der Tuchweberei eingearbeitet und den Betrieb in wenigen Jahren zu einem angesehenen und gewinnbringenden Unternehmen ausgebaut.

Das war einer der Gründe, warum sein Schwiegervater, der alte Graf Zlotczinsky, die Eskapaden seines Tochtermannes ertrug. Der andere war dieser: sein Sohn Krystian, Antonyas älterer und einziger Bruder, war sehr früh als Anarchist in den Untergrund gegangen, um mit einer Gruppe junger Männer und Frauen gegen die russischen Okkupanten zu kämpfen. Sie sollen achtzehnhunderteinundachtzig bei dem Attentat auf den Zaren beteiligt gewesen sein, und seither lebte Krystian irgendwo auf der Welt als Gejagter in einem Versteck, das keiner aus seiner Familie kennt.

Aufgebracht ermahnte der alte Graf seinen Sohn: „Patrioten, mein Sohn, das sind wir alle! Auch deine Mutter, die sich nicht zu den politischen Dingen äußert. Du weißt doch: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Was ist das schon, was ihr vollbracht habt? Mit Alexander II. habt ihr den falschen in die Luft gejagt! Die Ochrana und die ganze Polizeimacht wird nicht eher Ruhe geben, bis sie euch aufgespürt und gehängt hat. Mein Sohn, du bringst nicht nur Sorge, Unruhe und Enttäuschung über deine alten Eltern, sondern Angst! Angst um dich, um deine Schwester – auch Angst um uns selbst. Das wir so etwas noch erleben müssen!“

Krystian hatte dazu geschwiegen. Und als der Vater nichts mehr zu sagen hatte, stand er auf, hatte wortlos die Mutter geküsst und war gegangen. Seither hat es kein Lebenszeichen mehr von ihm gegeben.

An manchen Tagen äußerte die alte Gräfin: „Mir sagt eine innere Stimme, dass der Krystian tot ist. Es ist so, als flüstere jemand mir das ins Ohr. Immer wieder, immer wieder ...“

Sie bekam dann rote Augen, verließ die anderen und zog sich für längere Zeit in ihr Boudoir zurück und wollte ungestört bleiben.

So ist denn die Leitung der Tuchweberei in Stanislaus’ Hände gekommen.

Die Fabrik liegt jenseits der Straße, weiter zur Stadt, hinter einer Reihe von kleinen schäbigen Arbeiterhäusern. Diese Häuser, erklärt Stanislaus seinem Bruder, werde er in ein paar Jahren für seine Leute kaufen und sie verbessern lassen. „Bezahle deine Leute gut und schaffe ihnen eine ordentliche Unterkunft, so hältst du sie bei der Stange.“ Er lacht laut. „Wenn du erfolgreich ausbauen und erweitern willst, Bruder, dann musst du auch auf solchen Feldern ackern!“

Überall wo Stanislaus sich mit seinem Bruder sehen lässt, da taucht auch bald ein Schwarm dienstbeflissener Leute auf. Jendrik ist die Unterwürfigkeit der Männer zuwider. Mit krummem Rücken, die Mütze in der Hand, erwarten sie Befehle.

‚Die russischen Herren haben viel verbogen, sogar den Charakter der Polen, denkt er. Mein Bruder scheint es zu genießen, dass sie um ihn scharwenzeln und ihm liebedienern‘, denkt er, denn Stanislaus steht sehr achtunggebietend vor ihnen und schaut mit abwesendem Blick über die gesenkten Köpfe hinweg, als gäbe es die gar nicht.

„Wie kannst du das ertragen?“ fragte Jendrik, als sie wieder allein sind. „Diese Demut, diese Kriecherei ...“

„Ich kann es nicht ändern! Glaube mir nicht, dass ich das mag! Was sollen sie sonst vor dem Herrn tun? Über viele Jahre wurde ihnen das mit der Knute eingebläut. Wie sollen sie sich da nicht bücken vor einem, den sie für mächtig halten? Schließlich haben sie doch nur überlebt, weil sie den Rücken krumm gemacht haben und auf dem Bauch gekrochen sind!“ Er bleibt stehen und hält den jüngeren Bruder am Arm fest. „Wenn du nicht auf dem Acker unserer Väter säßest – Bruder, hier würdest auch du dich krumm machen! Aber so, wie du lebst, lebst du wie ein freier Mann und Herr!“

Der Acker der Väter – ja, darum geht es ihm! Vielleicht hat der Bruder das mit Absicht gesagt. Um über das väterliche Land zu sprechen, dafür ist er nach Lodz gekommen. Bis jetzt hat keiner daran gerührt. Das Land zu teilen bedeutet, in ein bedeutungsloses Kätnerdasein zu fallen und, was beinahe noch ärger wäre, Häme und Spott der Nachbarn hinzunehmen.

Stanislaus lässt den Bruder stehen und wendet sich einer adretten Frau zu, die in gehöriger Entfernung auf ihn wartet. Jetzt, da er auf sie zukommt, streckt sie ihm eine Mappe entgegen. Der Bruder blättert darin und erklärt etwas, und die Frau nickt mit gesenktem Kopf. Plötzlich aber reckt sie sich und sieht ihm keck ins Gesicht, wobei sie sich herausfordernd nach hinten biegt.

Stanislaus ist verärgert und weiß nicht, wie er sich vor dem Bruder verhalten soll. Er herrscht die Frau an und sie flüchtet mit rotem Kopf in die Halle zurück.

„Manchmal schlägt das kleine Luder übers Ziel“, meint er verlegen zu Jendrik und wiegt seinen Kopf: ja, da kann man nichts machen.

„Ja, vielleicht ist es so, dass du sie an einer langen Leine laufen lässt, Bruder“, antwortet Jendrik.

Das väterliche Erbe – vor allem Jendrik spukt der Gedanke an eine Aussprache durch den Kopf und bedrückt ihn. Wenn sie allein sind, dann liegt das bleischwer zwischen ihnen, findet er. Was wird der Bruder vorschlagen und unternehmen, der sich in der Rechtswissenschaft gut auskennt und dem in einer Stadt wie Lodz alle Möglichkeiten offen stehen, um an das zu gelangen, worauf er ein Anrecht hat. Hätte nur der Vater diese Sache noch geregelt! Das wäre nicht anzufechten, das hätte Gültigkeit für alle Zeit. Haben die Alten es nicht über Generationen so gemacht? Wie wird diese Sache ausgehen? Wortlos sitzen sie in der Kutsche einander gegenüber. Jendrik scheut sich, den Bruder anzusehen, als könnte der in seinem Gesicht die Gedanken lesen. Sein ganzes Interesse scheint dem zu gelten, was er draußen sieht: die hetzenden Menschen, die endlosen Häuserzeilen, an denen sie vorbeifahren. Das alles fesselt ihn so, als sähe er es zum ersten Male. Er hört den Bruder sagen: „Mit Vaters Erbe gibt es nichts zu regeln, Jendrik. Es ist geregelt, wie es schon vor seinem Tod geregelt war. Und so soll es bleiben.“

„Ich verstehe dich nicht ... Nichts zu regeln?“, stottert er verwirrt. „Deine Frau sagte doch ...“

„Ach was! – Es bleibt alles, wie es ist. Bruder, ich habe mehr, als ich brauche. Die Tage, die du bei mir bist, habe ich mir die Sache wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen. Nein, eigentlich nicht – im Grunde, Jendrik, stand mein Entschluss schon bei Vaters Beerdigung fest. Ich habe mit Antonya gesprochen, die hält es auch für richtig, dass alles so bleibt, wie es ist, und dass das Land nicht in billige, nutzlose Flicken zerrissen wird.“

„Heißt das, dass du verzichtest? Vaters Land, das Haus – nicht teilen? Meinst du das?“

„Ja. Wir dürfen nicht teilen. Denn jeder Erdmann vor uns hat versucht, den Besitz zu vermehren.“

„Ja, das ist wahr.“

„Und du, Bruder, sollst es wie unsere Väter machen! Was ich hier in Lodz besitze, das siehst du ja. Und dann sind da noch die Güter meines Schwiegervaters. Meine Kinder sind versorgt, alle vier. Was mit dem Krystian ist, das steht in den Sternen. Der wird sein Erbe, wenn sich die politische Lage nicht ändert, niemals antreten können. Ja, wenn der überhaupt noch lebt! Solange die Russen einen Fuß in Polen haben, wird der das Leben einer Ratte führen müssen: immer im Untergrund, immer im Verborgenen ... So ist das doch.“

„Ihr wisst nichts von ihm?“

„Gar nichts. Also, noch einmal: mit Vaters Land und Haus bleibt es, wie es ist!“

Vor der Villa toben die Kinder im Schnee. Als sie die Kutsche entdecken, rennen sie schreiend nebenher. Der Kutscher Frantizek ist abgesprungen, um einen Unfall zu verhüten. Er hält die kleine Horde behutsam von den Rädern fern. „Was gibt’s denn?“ fragt Stanislaus durch den Fensterspalt. „Warum schreit ihr wie die Pferdeknechte?“

„Wir dürfen Silvester Schlittschuh laufen, Vater! Alle! Bis in die Nacht! Ach – bis ins neue Jahr hinein!“

„So?“

„Es soll ein richtiges Fest werden! Weil wir Besuch haben!“

„Wer sagt das?“

„Mutter!“

„Ja, dann wird das wohl so sein.“

Antonya steht mitten im Zimmer. Sie kehrt ihrem Mann den Rücken zu als sie fragt: „So, du willst auf die Bärenjagd?“

„Ja.“

„Wann hast du dir das denn überlegt?“

„Seit ich weiß, dass es einen Bären in der Jezower Gegend gibt.“

„Um diese Zeit?“ fragt sie misstrauisch. „Ein Bär? Ende Dezember? Liegen die nicht im Winterschlaf?“

„Man hat ihn aufgestöbert oder aufgeschreckt ...“

„Wer will hier wem einen Bären aufbinden, Stani?“

„Bitte, Antonya, es ist ein Bär ...“ beteuert der Mann. „Mein Bruder wird mitgehen ...“

Sie dreht sich jäh um und kommt einen Schritt auf ihn zu. „Jendrik? Ja, will der sich dieses schreckliche Treiben denn überhaupt ansehen?“

„Er will.“

Damit muss Antonya sich zufrieden geben. Sie lässt die Halina kommen und gibt Anweisung, alles herzurichten, was die beiden Herren für die Jagd benötigen.

Am Vormittag des folgenden Tages brechen die Männer auf, um bei Jezow nach dem Bären zu suchen.

In einem zweiten Wagen fahren ein paar von Stanislaus’ Leuten und die Hunde mit; es geht ostwärts. Ein kleines Stück fahren sie durch die Stadt, dann sind sie im freien Feld. Hier ist es frostiger und der Schnee nicht so grau und voller Flecken. Die Kälte hat einige Bäume zerrissen und manchmal müssen die Männer die Straße von Ästen und Zweigen freiräumen. Es kann vorkommen, dass Bauern, die verstreut im Feld hausen, vor ihre Hütte treten und über die wunderliche Gesellschaft lachen, die bei diesem Wetter mit einer jaulenden Hundemeute übers Land fährt.

„In mir hast du nicht mehr als einen Zuschauer“, sagt Jendrik zu seinem Bruder.

„Kein Gewehr?“ fragt Stanislaus und tut belustigt.

„Nein.“

„Du bist dir treu geblieben, Jendrik, bist immer noch die Taube, die du als Junge schon gewesen bist.“

Die Männer hocken frierend in ihren Pelzen und Decken in der Kutsche. Von oben bis unten sind die Scheiben vereist. Wenn jemand spricht, dann zeigt sich eine Fahne von Rauhreif vor seinem Gesicht. Den Frantizek anschreiend, erkundigt sich Stanislaus, wo, verflixt noch einmal, sie denn überhaupt sind. Die Kälte und das Gerumpel des Wagens zerrten an seinen Nerven. Ebenso laut, dass die beiden Männer zusammenzucken, brüllt der Frantizek seine Antwort durch einen Spalt im Dach. Jendrik hat nichts verstanden, aber der Bruder nickt zufrieden: „Gott sei Dank, jetzt dauert’s nicht mehr lange.“

Der Boden, über den sie fahren, scheint glatt zu sein wie ein zugefrorener See; das Gerumpel hört auf. Wie in einem Schlitten gleiten sie fast lautlos durch lichte Gehölze. Immer öfter verdichten sie sich zu Wäldern, die sich schwarz, abweisend den Fuhrwerken entgegenschieben und die aussehen, als sei noch nie jemand hier durchgegangen. Dann weitet sich das Land wieder und hinter einem Hügel taucht das verschneite Dach einer Hütte auf. Der rauchende Schornstein verrät, dass sie bewohnt ist.

Als die Wagen sich ihr nähern, treten zwei Menschen ins Freie. Die Arme fest um den Leib geschlungen, sehen sie den Ankömmlingen entgegen, und dann erkennen sie sie und beginnen heftig zu winken.

Frantizek brüllt durch den Schlitz: „Die Szannowskis erwarten Sie schon, Herr Graf!“

Stanislaus schlägt die Decken zurück und pellt sich mit steifen, verfrorenen Fingern bei dieser Nachricht aus seinem Pelz. Seine dicken Stiefel treten den Boden, als wollte er ihn einebnen. „Wir sind angelangt!“ ruft er fröhlich. „Bei den Szannowskis können wir uns erst einmal aufwärmen.“

Lachend und sich verneigend kommen die beiden Alten an den Wagen. Von ihren Gesichtern sind nur die Augen zu sehen. „Willkommen der Herr, willkommen! Der Herr Graf will den Bären schießen? Madonna, bei diesem Wetter!“ ruft der alte Mann und reibt vergnügt seine Hände.

„Ja, ja, den Bären! Wo habt ihr ihn gesehen?“ fragt Stanislaus ihn.

Der Alte deutet über seinen Rücken. „Dahinten am Wald. Vorgestern haben wir seine Spuren hier in der Nähe entdeckt. – Aber ans Haus hat sich der Halunke noch nicht getraut. Ich habe auch mehrmals in die Luft geschossen!“

Während seine Alte die Männer in ihr Haus führt, kümmert Szannowski sich um die Pferde. Die Hunde ahnen wohl, worum es geht. Sie kläffen, als röchen sie den Teufel, sie rennen wie besessen durcheinander und schnüffeln in der Luft herum und würden am liebsten sofort losstürmen.

„So bindet doch erst einmal die Viecher an!“ schreit Stanislaus. „Oder sperrt sie weg! Das Höllenspektakel ist ja nicht zum Aushalten!“

Szannowskis Stube ist niedrig und dunkel. Auf den schmalen Fensterbänken hat die Alte zusammengerollte Decken und Säcke vor die Ritzen gelegt, die den Luftzug, der durch die undichten Rahmen kommt, abhalten sollen. In einem Verschlag neben dem Ofen stehen ihre drei Schafe. Die vielen Menschen, die plötzlich die Stube füllen, haben die Tiere erschreckt, dass sie ihr Wasser ablassen und wegzuspringen versuchen. Die alte Szannowska steht bei ihnen und ist bemüht, die Tiere zu beruhigen.

Szannowski langt eine Flasche vom Bord und ein paar Gläser. „Trinken wir!“ ruft er. „Dass es Ihnen glückt, Herr Graf, den Bären abzuknallen. – Das hier wärmt, das macht Mut!“ fügt er augenzwinkernd und die Schnapsflasche schwenkend hinzu.

Alle trinken, auch Stanislaus trinkt mit, worüber sich der Alte dermaßen freut, dass er auf die Tischplatte haut und die Gläser hüpfen lässt.

„Zdrowie, Herr Graf! zur Jagd haben Sie noch nie mit mir getrunken! Brennt der Bestie ordentlich eins aufs Fell“, sagt er „Meine Alte und ich – wir beide haben ja keine Ruhe mehr hier draußen. Knackt einmal ein Balken – dann wird gelauscht und ich laufe nach der Flinte. Aber mit dem Schießen ist das bei meinen Augen so eine Sache. Ich knalle vielleicht noch meine Alte ab. Zdrowie!“ Szannowski gießt den Schnaps in seinen Hals, und weil ihn der hohe Besuch erfreut, gießt er gleich das zweite Glas hinterher.

Die Runde bricht in Gelächter aus. Auch die Alte lacht glucksend mit.

„Leute, wenn wir heute noch zum Schuss kommen wollen ...“ Stanislaus macht eine Geste des Aufbruchs.

Am Abend, wenn die Jagd beendet sein wird, wenn die Männer die Suppe gelöffelt haben, die die alte Szannowska ihnen bereiten wird, dann wird der Graf sie großzügig bezahlen, wie er es immer getan hat. Daran, wie einer dich bezahlt, hat die Alte einmal ihrem Mann zugeraunt, daran kannst du den Herrn erkennen. Ein wirklich großer Herr gibt viel, als wäre es wenig für ihn. Ein Reicher, der wenig gibt, der ist nicht nur ein Geizhals, der hat auch eine schlechte Seele, weil er glaubt, die paar Sloty machen ihn zu einem großen Herrn!

Der alte Szannowski weiß, wo sie den Bären suchen müssen. Darum geht er mit. Er führt die Gruppe an, und vor ihm laufen die Hunde, die immer aufgeregter werden, je näher und tiefer sie in den Wald kommen.

„Sag, wer hat das Tier denn zu dieser Jahreszeit aufgescheucht?“ fragt Stanislaus ihn.

„Partisanen, Herr Graf“, sagt Szannowski, und legt einen Finger auf den Mund. „Eine ganze Gruppe war hier. Trieb sich im Wald herum und knallte, als wäre Krieg.“

„Ist auch Krieg“, sagt der bucklige Marek, einer von Stanislaus’ Leuten, die als Treiber mitgefahren sind.

„Und die haben den Bären aufgescheucht?“

„So muss es gewesen sein. Hier, Herr Graf ...“

Szannowski hat eine Spur entdeckt. Die Männer betrachten sie und die Hunde drücken ihre Nasen hinein und werden noch gereizter.

Stanislaus befiehlt, dass man die Hunde jetzt laufen lassen soll. Unter den anfeuernden Rufen der Männer stieben sie jaulend und bellend davon. Und die hinterherlaufenden Männer haben Mühe, sie nicht aus den Augen zu verlieren.

„Und was machen wir?“ fragt Jendrik.

„Wir warten, bis es so weit ist. Das kann nicht lange dauern. Die Spur scheint einigermaßen frisch zu sein. Also treibt er sich auch noch hier herum.“ Stanislaus zündet seine Pfeife an, und mit seitwärtsgeneigtem Kopf lauscht er den Hunden und den Männern nach, die sich schnell entfernen.

„Wenn es so weit ist, dann kommst du mit“, sagt er zu seinem Bruder. „Bleibe nicht allein zurück. Der Bär kann ausbrechen. Es ist gefährlich, allein zu sein, du bist nicht bewaffnet. Jeder von uns trägt ein Gewehr bei sich, da ist das Risiko geringer.“

Sie stampfen mit den Füßen, aber es hilft nicht viel gegen diese beißende Kälte. Im Westen vergrößert und verfärbt sich die Sonne für den Untergang. Es wird nicht mehr lange dauern und sie verlängert die Schatten, und in ihrem rötlichen Licht bekommt die Kälte noch mehr Schärfe. Ein Krähenschwarm sucht kreischend seinen Schlafbaum auf.

„Also, du meinst, es soll alles so bleiben ... mit dem Erbe, meine ich“, sagt Jendrik.

Stanislaus spürt, dass der Bruder immer noch beunruhigt ist und seine Zweifel und Fragen dazu hat. „Das ist so gut wie verbrieft und besiegelt, Jendrik. Auch wenn du der jüngere bist. Du sollst auf dem Land bleiben! Ich kann da nicht leben, ganz zu schweigen von Antonya und den Kindern.“

„Ich denke, wenn der Vater das rechtzeitig ...“

„Hat er aber nicht. Du weißt, dass die Spannungen zwischen uns nie ganz ausgeräumt wurden. Dann war es zu spät für solche Dinge.“

Für diesen Augenblick wirkt Jendrik wieder erleichtert, als wäre die Sache damit endgültig und ein für allemal geklärt. Er möchte etwas sagen, und da fällt ihm nichts anderes ein als den Bruder zu fragen: „Stanislaus, kannst du dir erklären, warum die Eltern uns slawische Namen gegeben haben? Unsere Eltern, die Großeltern – alle hatten sie deutsche Namen, soviel ich weiß.“

„Nun, vielleicht wollte Vater, dass wir mit unseren Namen ganz in Polen aufgehen, wie er gerne in Polen aufgegangen wäre. Allen Geschwistern hat er slawische, hat er polnische Namen gegeben, den Mädchen, den Jungen – allen! Du weißt, der Vater konnte polnischer sein, als die Behörden es erwarteten. Auf polnischer Erde lebte er, polnischer Boden ernährte ihn, in polnische Erde kehrte er zu den Vorfahren zurück – vielleicht wollte er mit der Wahl solcher Namen mit der langen deutschen Tradition brechen. Wer weiß. Oder er hat sich damit der Mutter widersetzt, die oft genug sagte, sie könne das Polnische nicht ausstehen.“

„Dann hätte er echte polnische Namen wählen sollen:“

Plötzlich ertönt das Signal, dass der Bär gefunden ist. Und gleichzeitig hören sie auch das giftige Bellen der Hundemeute. „Heißt das, dass wir kommen sollen?“ fragt Jendrik.

„Ich denke, sie werden versuchen, ihn ins Feld zu treiben. Warten wir noch.“

Stanislaus hat vor Aufregung seine Pfeife gelöscht. Jetzt kann er nicht mehr still dastehen, er muss sich bewegen. Das Gewehr unter dem Arm, läuft er auf und ab und stolpert, weil er in eine Vertiefung unter der Schneedecke getreten ist.

„Mist!“ schimpft er. „Das fehlt noch, dass ich mir die Knochen breche.“

„Dein erster Bär ist das wohl nicht“, sagt Jendrik. „Oder hast du schon einmal einen erlegt?“

„Das ist mein dritter. Die anderen haben wir in den Wäldern meines Schwiegervaters gejagt. Der ist regelmäßig auf die Jagd gegangen ... Niederwild, Rehwild und Sauen, auch Schnepfen und Bekassinen.“

„Du hast Gefallen daran, ja?“

Stanislaus blickt für einen Moment seinen Bruder halb belustigt, halb skeptisch an. Er weiß, ihm ist das Töten ein Greuel. Er sagt: „Ja, ich bin anders als du, Jendrik. Du konntest nicht einmal einer Henne den Kopf abschlagen oder dem toten Stallhasen das Fell über die Ohren ziehen!“ Lachend zündet er wieder die Pfeife an. „Und ich wette: deine Schweine und Schafe lässt du immer noch schlachten und läufst weg, wenn der Metzger ihnen das Messer an die Gurgel setzt! Aber ganz so schlimm bin ich nicht. Wenn es um Bestien geht, die den Menschen angreifen – ja, dann schieße ich. Bären und Wölfe und ...“ er zögert etwas. „ ...und Russen. Ja, die gehören auch dazu, weil sie schlimmer sind als Bären und Wölfe.“

„Du würdest auf einen Menschen anlegen?“

„Nein, auf Menschen nicht, aber auf Russen?“

„Liebäugelst du am Ende auch mit Anarchisten und allen anderen, die die Ordnung verändern wollen?“

„Anarchisten? Einer in der Familie reicht mir, Bruder! Ich habe einen anderen Weg gewählt: den des Bürgers. Und das heißt, dass ich nicht nur für mich allein Verantwortung trage. Aber das mit den Russen, Jendrik, das ist so eine Sache.“

„Billigst du, was die Anarchisten tun?“

„Du solltest mich nicht danach fragen, Bruder. Aufgepasst, jetzt geht es los. Sieh doch nur ...“

Vor ihnen bricht ein durchdringendes Getöse im Wald los. Die Männer schreien durcheinander und schlagen mit Stöcken gegen die Bäume. Sie johlen und fluchen in deutscher und in polnischer Sprache und schließlich gehen ihre Rufe im Höllenspektakel der Hunde unter.

Stanislaus stapft durch den Schnee, um hinzugelangen, wo sie den Bären gestellt haben. Unerwartet besinnt er sich und kehrt um, und in diesem Moment fallen mehrere Schüsse; alles ist still geworden, sogar die Hunde.

„Jetzt haben die Idioten mich um mein Vergnügen gebracht!“ schimpft er. „Knallen die mir tatsächlich den Bären ab!“

Frantizek ruft durch die Hände: „Herr Graf, kommen Sie!“ Der Kreis um den Bären öffnet sich, als Stanislaus mit seinem Bruder erscheint. Schwanzwedelnd zerren die Hunde an ihrer Leine und winseln und versuchen, nach der Beute zu schnappen. Den Bären sehen sie ausgestreckt auf dem Bauch liegen, die Schnauze hat er unter eine Pfote gesteckt.

„Wir mussten das tun, Herr Graf. Er hat den buckligen Marek erwischt“, erklärt jemand aus der Runde. „Da.“ Unter dem Tier lugen ein Paar verdrehte Beine hervor.

„Vielleicht lebt er noch!“ ruft Stanislaus. „So rollt doch das Vieh von dem Menschen herunter!“

„Es ist besser, wenn Sie alles so lassen, wie es ist“, sagt der Frantizek. „Der Bär hat ihn regelrecht zerfetzt und verstümmelt. Der alte Szannowski wird Sie und Ihren Herrn Bruder zur Hütte zurückfahren, und um das hier, Herr Graf, kümmern wir uns. Fahren Sie nur.“

In der Kutsche sagt Jendrik: „Ein Menschenleben für ein Jagdvergnügen, Bruder ...“

„Es klingt so, als wolltest du mir einen Vorwurf machen? Das ist mehr als nur ein Unfall“, murmelt er, als spräche er mit sich.

„War das mitbedacht?“

„Nein, verdammt noch einmal! Nein, nein!“ Stanislaus ist verärgert, aber er zwingt sich, nicht scharf oder laut zu werden. Er sagt: „Die Bestie ist aus ihrem Winterschlaf geschreckt worden. Das macht sie wild und gereizt. Früher oder später wäre sie über die beiden alten Szannowskis hergefallen, dann über ...“ Er stopft seine Pfeife, ehe er weiterspricht. „Wir mussten ihn erledigen. Wir mussten es tun! Ach ja, der bucklige Marek ... Er hatte nur mit Wölfen Erfahrung. Dies war wohl sein erster Bär. Und sein einziger ...“

Die Rückfahrt kommt Jendrik kürzer vor, und ehe sie sich versehen, stehen sie vor der hingeduckten, schiefen Hütte.

Die alte Szannowska steht mit fragenden Augen neben der Kutsche. „Pan ...“ flüstert sie. „Pan, mein Mann ...“

„Dein Mann kommt. Er kümmert sich mit den anderen um den Bären. Du kannst wieder ruhig schlafen. Wir haben ihn erledigt. Von dem habt ihr nichts mehr zu befürchten.“

Die Alte bekreuzigt sich erlöst und ihr zahnloser Mund öffnet sich weit zu einem befreienden Lachen, ja, ihre Augen werden feucht vor Erleichterung, so dass sie sie mit dem Ärmel ihrer Jacke wischen muss. Mit großer Geste und viel weiter als nötig reißt sie die Tür auf und lässt die beiden Herren eintreten.

Später kommt auch der Wagen mit den anderen Männern. Sie sind ernst und wortkarg. Zwischen ihnen liegen der tote Marek und der Bär, und um die Hunde friedlich zu halten, hat man sie hinter dem Wagen herlaufen lassen.

Die alte Szannowska spendiert eine Decke, in die sie den toten Marek wickeln. Sie erzählt den Männern, wie froh sie ist, dass es nicht ihren Alten erwischt hat. In der Stube ist sie die einzige, die immer etwas zu reden und zu lachen hat.

„Wer sagt seiner Familie, was passiert ist?“ fragt Jendrik.

„Der Marek hat keine Familie“, antwortet Stanislaus. „Der lebt allein.“

Nachdem der alte Szannowski die Männer mit seiner Schnapsflasche aufgewärmt hat, fangen sie wieder zu reden an. Sie erzählen seiner Frau, wie sie den Bären gefunden haben und wie er sofort auf sie losgegangen ist.

„Auf die Hunde!“ verbessert einer. „Die haben den doch mit ihrem Gekeife richtig verrückt gemacht. Man hätte sie nicht ableinen dürfen, vielleicht hätten sie das Ungeheuer dem Herrn Grafen direkt vor die Flinte scheuchen können.“

„Ja, er ist ja auch in die Richtung getrabt, wenn der Marek, dieser Dämlack, ihm nicht den Weg versperrt hätte. Wollte den Helden spielen ... Wollte ihn mit bloßen Händen aufhalten oder in die richtige Richtung zwingen!“

„Ist das wahr?“ fragt Stanislaus.

Die Männer nicken. Er sieht zu seinem Bruder hinüber: „Siehst du, Jendrik, so war es also. Reine Unvorsichtigkeit. Eigene Schuld ... Siehst du.“ Zu den Männern sagt er: „Zieht das Vieh sauber ab. Den Pelz bekomme ich. Das Fleisch, das könnt ihr haben oder den Hunden geben.“

„Pfui Deibel!“ ruft einer über den Tisch, dabei spuckt er etwas von seinem Essen aus, und sofort beugt er sich wie ein geohrfeigtes Kind über seinen Teller. „Bärenfleisch! Wer wird denn so etwas essen!“

„Blödmann!“ ruft einer. „Weißt du, wie das schmeckt? Du würdest nicht nur den Teller, du würdest auch noch deine Pfoten ablecken!“

Es ist dunkel geworden, als sie aufbrechen. Über dem Wald steht der Vollmond und beleuchtet das weiße Land, so dass sie die Laternen nicht anzuzünden brauchen.

„Der ist ja ganz steif, der Marek“, stellt einer der Männer fest.

„Klar, bei der Kälte!“

Die Wagen holpern und schaukeln, und das Knirschen der Räder klingt viel lauter als am Tage.

Sie sind schon ein gutes Stück gefahren, als Stanislaus sich plötzlich seinen Pelz etwas zurück schlägt und horchend an die Wagentür rückt.

„Was ist los?“ fragt Jendrik.

„Hörst du’s nicht? Die singen.“

„Wer singt?“

„Die Männer beim Marek im Wagen.“

Sie müssen sich anstrengen, um das Lied erkennen zu können. Die Männer, die um den toten Marek hocken, singen ’Alle Menschen müssen sterben, alles Fleisch vergeht wie Heu‘.

„Sie singen für ihn“, sagt Jendrik.

„Ja, ja, für ihn.“

Mit einem Male frieren die Brüder noch mehr. Sie wickeln sich fester in die Pelze ein und ziehen die Decken bis ans Kinn und wünschen, dass die Fahrt bald zu Ende sei.

Sorgfältig notiert die stupsnasige Halina, was Antonya anordnet. Sie steht über den Küchentisch gebeugt und lässt die Zunge spielen, während sie schreibt. Das Häubchen hängt keck auf der Seite, als wäre es allzu hastig auf den Kopf gedrückt worden.

Ihr Busen scheint heute üppiger zu sein als sonst. Liegt es vielleicht daran, dass sie ihr Kleid nicht ganz zugeknöpft hat? Antonya runzelt die Stirn. Seitdem ihr Mann den ganzen Tag im Haus ist, kommt ihr diese Halina noch aufreizender und aufsässiger vor. Ihr Blick, ihre Gesten und ihr Gang wirken herausfordernd. Wenn sie die Gräfin anschaut, verrät ihr Blick Geringschätzung für die etwas ältere Frau. Sogar etwas Triumphierendes meint Antonya erkennen zu können; sie kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass diese Person etwas im Schilde führt.

Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, fragt die Halina: „Die Soße zum Karpfen – wie wünschen Sie die?“

„Haben wir jemals eine andere gemacht?“ Antonya lässt sich gegen ihren Willen reizen. In ihren Ton ist etwas von Kampf gekommen.

Das kleine Luder soll auf der Hut sein, die wird mich noch kennenlernen, denkt sie. Bedrohlich leise, die Augen zusammengekniffen, fragt Antonya: „Wie kommt es, dass sie nach der Karpfensoße fragen? Wie lange, Halina, sind Sie in diesem Hause?“

Aus Halinas nicht ganz geschlossenem Kleid steigt Röte in den Hals. „Die Mädchen in der Küche sind unsicher und lassen fragen“, rechtfertigt sie sich.

„Wie? Ihr wisst nicht mehr, wie die Karpfensoße in diesem Haus zubereitet wird?“ Sie blickt die Mädchen der Reihe nach an, die plötzlich alle viel zu tun haben. „Ja, dann werde ich auch hier öfter einmal nach dem Rechten sehen müssen!“ „Nein, bitte, das ist nicht nötig. Es wird alles gemacht, wie es sein soll!“ Die Halina ist erschreckt. Sie rafft allen Mut zusammen und meint ein wenig verlegen: „Nicht jeder in diesem Haus, Gräfin, mag Ihre ... mag die Soße.“

„Nicht jeder?“ Antonya ist erstaunt, sie ist so dicht an das Mädchen herangetreten, dass sie deren Körperwärme spürt. Sie riecht, dass Halina ein Duftwasser benutzt hat.

„Wer ist: ’nicht jeder‘, Halina?“

Das Mädchen antwortet nicht, es sieht zu Boden. Die anderen kichern heimlich.

„Noch einmal: Wer ist – ’nicht jeder‘? Antworte!“

Antonya packt sie beim Arm. Und wie sie Halinas Wärme und deren Widerstand spürt, steigt kalte Wut in ihr auf. Sie möchte ihr in das freche Gesicht schlagen. Antonya stößt sie von sich. „Geh und tu, was ich dir sage. Ihr alle! Tut, was ihr zu tun habt! Halina, Ich werde herausfinden, wen du mit ’nicht jeder‘ meinst“, zischt Antonya. „Geh an deine Arbeit. Geh!“

Vorsichtig und lautlos, aber sichtbar erleichtert, verschwindet die Halina aus der Küche.

909 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
660 стр.
ISBN:
9783844264692
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают