Читать книгу: «Die letzte Kurve», страница 3

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Die Angesprochene legte ihren Helm auf einem größeren Stein ab. Sie trug ihre rote Lederkluft, und das machte ihn heiß, wahnsinnig heiß. Er würde sie nachher richtig rannehmen, von hinten, und sie dabei an den langen Haaren ziehen, denn das turnte sie richtig an.

»Hey, Boss«, grüßte sie ihn mit einem Augenzwinkern. Er wusste, dass sie das hochgradig ironisch meinte, doch das schnallten die meisten seiner Jungs gar nicht, und sie tat ihm den Gefallen, um seine Position zu stärken. Er war der Anführer, bei ihm liefen die Fäden zusammen, bei ihm …

Sie drückte ihm einen Kuss auf den Mund, warm und feucht, und ihr Haar fiel wie ein Vorhang um sein Gesicht. »Hast du mich vermisst?«, fragte sie mit ihrer rauen, leicht kehligen Stimme.

»Kaum«, meinte er mit gespielter Ablehnung. »Du bist heute fremdgegangen«, tadelte er und gab ihr einen Klaps auf den kleinen, runden, festen Po. Das mochte sie, auch im Bett.

Susi schenkte ihm einen Augenaufschlag. »Hast du schon das mit dem Richard mitgekriegt?«, erkundigte sie sich und nahm mit kleinem huldvollem Nicken eine Bierflasche an, die Florian ihr hinhielt.

»Wer ist Richard?«, fragte Sven zurück und legte seine große Hand auf ihren runden Arsch. Dann brachte er seinen Mund ganz nah an ihr Ohr und leckte mit seiner Zunge ihr Ohrläppchen. »Ist das dein Neuer? Du weißt doch, wenn du mich jemals bescheißt, Baby, dann bring ich euch beide um.«

Susi lachte glockenhell. »Lass den Scheiß, Sven«, mahnte sie und trat einen Schritt zurück. »Das ist nicht witzig. Der ist tot.«

»Der Wengerts Ritschie?«, riet Sven, und Susi nickte. »Scheiße«, fluchte er. »Was ist denn passiert?«

»Unfall, bei Bächlingen.«

»Warst du dabei?« Weiber vertrugen so was nicht gut, das wusste er. Aber seine Susi war vergleichsweise hart im Nehmen.

»Ich bin vor ihm gefahren«, antwortete seine Freundin.

»So, dann hat er dir ja die ganze Zeit auf den Arsch schauen können, du kleine Schlampe!« Wieder ein Klaps auf den Po, diesmal ein stärkerer Protestschrei von Susi.

»Sven! Das ist echt nicht witzig.«

Der »Tarantel«-Boss leckte sich die Lippen. Da hatte Susi ganz recht, die Sache war überhaupt nicht witzig. Und vor den Toten musste man ein klein bisschen Respekt haben, selbst er, der sonst vor nichts und niemandem Respekt hatte. »Hey!«, brüllte er, und als er bemerkte, dass er das allgemeine Grölen nicht übertönt hatte, versuchte er es noch mal lauter: »Hey!«

Schlagartig verstummte alles, selbst die Vögel und die paar ersten Sommergrillen, es waren nur noch ein leises Plätschern vom See her und das Prasseln der Flammen ihres Lagerfeuers zu hören.

»Schweigeminute für Richard Wengert, der heute nach Walhalla eingezogen ist«, forderte Sven seine Getreuen auf.

Alle gehorchten, senkten die Köpfe, so lange, wie er es wollte, das war klar.

Nach ungefähr 30 Sekunden befahl er: »So, und jetzt feiern wir weiter.« Jemand, der seiner Susi so ungeniert auf den Arsch stierte, wie es der Ritschie immer getan hatte, der verdiente nicht mehr als eine halbe Schweigeminute, auch als Toter nicht. Und hätte er noch gelebt, hätte er eher eins in die Fresse oder einen ordentlichen Leberhaken verdient.

Das hohenlohisch-westfälische Ermittlerteam stand um dieselbe Zeit vor einem Reihenendhaus im Sauerbrunnen, einem der zentralen Crailsheimer Stadtteile. Der akkurat gepflegte Vorgarten strahlte gutbürgerlichen Charme aus, ebenso wie ein metallenes Türschild mit dem Namen der Familie Wengert und die Fußmatte, die mit einem Hollywood-Boulevard-Stern verziert war und ebenfalls den Familiennamen trug.

Ein dezentes Surren ertönte, als Heiko die mit Computer beschriftete Klingel drückte.

Die Gegensprechanlage klackte, und ein leises »Ja?« erklang.

»Wüst und Luft von der Kriminalpolizei«, meldete Heiko und bückte sich dabei ungeschickt hinab.

Als Antwort surrte der Türöffner, und die schwere weiße Haustür schwang auf.

Lisa und Heiko betraten die helle Wohnung, die überwiegend in Weiß und Chrom eingerichtet war. Im Flur erwartete sie mit verschränkten Armen Max, der Sohn des vermeintlichen Mordopfers. Er trug einen dunkelblauen Jogginganzug und wirkte angemessen verstört, aber gleichzeitig so aufmerksam, dass Heiko sofort wusste, dass er mit ihm würde reden können.

»Nochmals unsere Anteilnahme«, begann Lisa, die so etwas deutlich besser konnte als Heiko. Sie reichte Max die Hand, der sich aus seiner starren Haltung löste und ihren Händedruck kräftig erwiderte.

»Von mir auch«, beeilte sich Heiko und fügte hinzu: »Ist denn Ihre Mutter auch da? Und ist sie jetzt in der Lage, mit uns zu reden?«

Max nickte und führte die Kommissare ins Wohnzimmer. Das Erste, was einem in diesem Raum auffiel, war ein riesiges Aquarium mit fünf seltsamen, grimmig dreinblickenden und relativ großen Fischen, die von blauem Licht angestrahlt wurden. Wenige Pflanzen wuchsen im Becken, das von Moorkienwurzeln und einigen flachen Steinen dominiert wurde.

»Sind das …«, begann Heiko.

»… Piranhas, ja. Ein Hobby meines Vaters«, vollendete Max.

»Die gucken aber böse«, stellte Lisa fest.

»Ich würde da auch nicht unbedingt den Finger reinhalten. Obwohl eigentlich nur was passieren dürfte, wenn man blutet«, erklärte der Sohn des mutmaßlichen Mordopfers.

»Ritschie hat die Piranhas geliebt«, tönte es vom Sofa, wo die Frau des Toten saß, vor sich ein Glas Wein. Sie stand auf und zwang sich zu einem Lächeln. »Die hatten sogar Namen, aber mir fällt partout nicht ein, welche. Ich überlege schon die ganze Zeit.«

»Ich weiß es«, half der Sohn nach. »Sylvester, Arnold, Vin, Jason und Bruce. Eigentlich waren es sieben, aber Chuck ist an Altersschwäche gestorben und Steven war eines Morgens einfach nicht mehr da.«

Heiko biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszulachen. Dass ausgerechnet Chuck Norris an Altersschwäche gestorben war, musste definitiv ein Fehler in der Matrix sein. Steven Seagal war in seinen Augen hingegen mit Abstand der schlechteste dieser Schauspieler, kein Wunder, dass die anderen ihn nicht duldeten. Und gerade jetzt guckten die Piranhas wie Actionstars, die, ohne mit der Wimper zu zucken, kaltblütig morden würden, wenn es nötig wäre.

»Ihr Vater war Filmfan?«, vermutete Lisa.

»Leidenschaftlich. Er hat eine umfangreiche DVD- und VHS-Sammlung. Noch alte Schule, nix mit Pay-TV.«

»Wieso seid ihr denn hier?«, erkundigte sich Christine Wengert endlich. »Es war doch ein Unfall, ein schrecklicher, tragischer Unfall?«

Lisa drückte auch der frischgebackenen Witwe ihre Anteilnahme aus, bevor sie korrigierte: »Das wissen wir noch nicht sicher. Wir müssen die Obduktion abwarten.«

Es war besser, zu diesem Zeitpunkt noch etwas vage zu bleiben. Denn im Extremfall waren die Ehefrau und der Sohn ebenso verdächtig wie alle anderen, die beim Ausflug dabei gewesen waren.

»Reine Routine«, versicherte Heiko mit einem Lächeln.

»Ach so«, meinte die Frau und ließ sich mit etwas mattem Blick zurück in den Sessel fallen.

»Für alle Eventualitäten wäre es auf jeden Fall wichtig zu wissen, wer mit Ihrem Mann ein Problem gehabt hat. Beziehungsweise mit Ihrem Vater«, erklärte Heiko.

Max stieß ein Schnauben aus, das wohl Ahnungslosigkeit suggerieren sollte.

»Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der noch nie mit irgendjemandem Streit hatte«, behauptete Lisa. »Auch der Verstorbene nicht, mit Verlaub. Denken Sie also bitte gut nach, alles könnte hilfreich sein.«

Die beiden sahen sich auf eine Art an, dass Heiko sofort wusste, dass es sich um eine stumme Absprache handelte. »Ich nehme an, Ihnen ist gerade etwas eingefallen? Ihnen beiden?«

Drei der Piranhas waren zur linken Ecke des Aquariums geschwommen und schienen die Szene genau zu beobachten.

Christine räusperte sich und meinte unbestimmt: »Nun, mein Mann hat durchaus polarisiert.«

»Können Sie das konkretisieren?«, bat Lisa und lächelte der Frau aufmunternd zu.

Es war Max, der weitersprach. »Der Manfred ist meinem Vatter neulich mal an den Karren gefahren, weil er sich von ihm verarscht gefühlt hat.«

»Inwiefern?«, hakte Heiko nach.

»Ich weiß es gar nicht genau, es ging wohl um den Papagei.«

»Um was?«

»Den Papagei. Das war ein Motorrad, das der Manfred selbst lackiert hatte. Ihr erinnert euch vielleicht an diesen Flickenteppich-Polo aus den 90ern? Wo jedes Blechstück in einer anderen Knallfarbe lackiert war?«

»Dunkel«, gab Heiko zu, und die hintersten Windungen seines Hirns ließen tatsächlich ein Bild dieser Geschmacksverirrung vor seinem inneren Auge entstehen.

»So ein Motorrad hatte der Manfred, und da war irgendwas, was ihm nicht gepasst hat. Ich kann aber nicht sagen, was genau. Weißt du da mehr?« Die Frage war an seine Mutter gewandt, die aber den Kopf schüttelte.

Heiko bemerkte, dass sie inzwischen von vier Piranhas beobachtet wurden. Er fragte sich, wie man die Viecher wohl unterscheiden konnte.

»Da müsstet ihr den Manfred fragen«, riet Max Wengert und fuhr sich durch das blonde Haar, das er von seiner Mutter geerbt hatte.

Auch der letzte Piranha stierte sie nun durch das Glas an. Es war, als fänden die Fische das Gespräch spannend.

»Und dann war da noch dieses latente Gefrotzel«, ergänzte Max nach einem sanften, nachgerade zärtlichen Lächeln in Richtung der Haustiere seines Vaters.

»Von wem?«, erkundigte sich Heiko.

»Nein, er hat gefrotzelt. Das konnte er gut.«

»Und wen denn?«

Max leckte sich die Lippen und zuckte die Achseln. »Och. Mal den einen, mal den anderen. Den Simon, den Sohn vom Manfred, weil er so ein pedantischer Sicherheitsheini ist. Den Jan, weil er ein Möchtegern-Rocker ist. Den Timo, weil er ein Schönling ist. Und so weiter und so fort.«

»Nun gut«, meinte Heiko und dachte bei sich, dass das nicht unbedingt Mordmotive waren. »Hatte er sich auf irgendjemanden besonders eingeschossen?«

Max tauschte erneut einen Blick mit seiner Mutter, die erneut die Achseln zuckte. »Nicht wirklich«, befand er. »Aber wer weiß, den einen oder anderen hat das vielleicht mehr geärgert, als er zugegeben hat.«

»Möglich«, glaubte Lisa und fuhr mit einer etwas heikleren Frage fort. »Entschuldigen Sie, Frau Wengert, dass ich das frage, aber«, die Actionstar-Piranhas waren jetzt vollzählig und so nah an der Scheibe, als wollten sie sich durchbeißen, »war Ihre Ehe in Ordnung?«

Christine errötete und senkte den Kopf, nickte dann aber. »Schon okay, das müsst ihr ja fragen. Ich denke, wir hatten eine ganz normale Ehe. Nicht besonders gut, aber auch nicht schlecht. Normal eben.«

Heiko beobachtete Max. Die Miene des jungen Mannes blieb absolut neutral – irgendwie seltsam. »Und was hat Ihr Mann denn gearbeitet?«, fragte Heiko weiter.

»Sein Onkel hat eine Kfz-Werkstatt. Da war er Meister. Mit dem Onkel hat er sich aber immer gut verstanden«, informierte die Frau. Die Fische wandten sich nacheinander scheinbar enttäuscht ab, und nur einer, womöglich Sylvester, harrte noch aus.

Obwohl es schon neun gewesen war, hatten die Kommissare nach dem Besuch bei Familie Wengert noch beim MFHC-Vorsitzenden in Altenmünster geklingelt. Allerdings war niemand zu Hause gewesen, und da keine Gefahr im Verzug war, hatten die beiden ihre Befragung auf morgen verschoben. Mit etwas Glück wüssten sie dann schon mehr, wenn die Ulmer Gerichtsmedizin, wo die Hohenloher Leichen immer hinkamen, die Obduktionsergebnisse lieferte.

Jan Bullinger ärgerte sich, er ärgerte sich sogar sehr. Er sollte nicht hier sein, nicht hier in seiner kleinen Wohnung in einem Block in den Riedwiesen in Altenmünster. Er gehörte hier nicht hin, nicht heute Abend. Saumäßig gerne wäre er woanders. Obwohl das vielleicht pietätlos wäre, an einem solchen Tag. Er musste zugeben, dass ihn das schon ein bisschen mitgenommen hatte, dieser Unfall, auch, wenn der Richard ein blödes Arschloch gewesen war, ein Angeber vor dem Herrn. Trotzdem, ein solches Ende wünschte man niemandem. Wie er so verdreht dagelegen hatte, wie eine Marionette, deren Schnüre irgendeiner abgeschnitten hatte. Aber gut, es war nun einmal so. Und tot war tot. Er hingegen, Jan Bullinger, lebte noch, und er wäre heute gerne wirklich woanders gewesen, zehn Kilometer weiter südöstlich, am Degenbachsee, um genau zu sein, beim Treffen der »Tarantel«.

Jan stand im Schlafzimmer vor dem Spiegel. Er war kein Narzisst, ganz bestimmt nicht, und ihm war durchaus bewusst, dass er nicht der Schönste war. Nicht so schön wie der Timo zumindest. Aber das wollte er auch gar nicht sein. Vielmehr wollte er respektiert werden. Ein bisschen cool wirken. Vielleicht könnten die Leute ein klein wenig Angst vor ihm haben, manche zumindest, das würde überhaupt nicht schaden. Und dann wäre er vielleicht auch mal für die »Taranteln« interessant, die ihn bisher immer hatten abblitzen lassen.

Grübelnd betrachtete er das Patch auf seiner Kutte, dessen Bedeutung sich nur Eingeweihten erschloss. Er hoffte, irgendwann einmal als Prospect, als Probemitglied, akzeptiert zu werden. Bisher sah er sich als Supporter, als einen Unterstützer, der sich danach sehnte, der »Tarantel« beizutreten. Natürlich war er nicht auf offiziellen Wegen an das Patch gekommen, also hatte er seine Oma gebeten, es mit ihrer Hightech-Nähmaschine für ihn zu sticken. Seine Oma hatte ihm alles eingescannt, es von der Maschine sticken lassen und dann die einzelnen Teile auf die Kutte genäht. Oben stand als Top Rocker »Taranteln Hohenlohe«, darunter prangte neben dem »MC« für »Motorcycle Club« eine stilisierte und äußerst gefährlich aussehende Spinne. Das Clublogo, das sogenannte Colour, wie Jan wusste, denn er kannte sich aus. Unterhalb davon prangten die Buchstaben »T.F.F.T.« – »Tarantel forever, forever Tarantel«. Unten, am Bottom Rocker, stand »Sacrum Hohenlohe«. Und zwischen den beiden Worten war eine kleine Raute mit »1 %« angebracht, deren Bedeutung sich wiederum nur Insidern erschloss. Zunächst konnte man ein Prozent für den Inbegriff der Unzulänglichkeit halten. Aber in Wahrheit war es ein Ritterschlag. Der Begriff hatte eine Geschichte: Als nämlich im amerikanischen Hollister im Jahr 1947 ein Bikertreffen ziemlich aus dem Ruder gelaufen war und die Biker sich auf ganzer Linie danebenbenommen hatten, bezeichnete der Amerikanische Motoradfahrerverband 99 Prozent aller Motoradfahrer als friedliebende und gesetzestreue Bürger. Das übrige eine Prozent galt demnach als das Gegenteil. Gewissenlose Schläger und Verbrecher. Die »Bad Guys« sozusagen, und er, Jan, war ein böser Junge.

Er drehte sich wieder um, zog seine Kutte mit einer energischen Bewegung enger um seinen massigen Körper und fuhr sich durchs Haar. Das hatte cool ausgesehen! Er ließ seine Hand nachgerade unauffällig zu seiner hinteren Hosentasche gleiten. Eine echte »Tarantel« hatte ein Taschenmesser. Gut, jeder echte Kerl hatte ein Taschenmesser, in Hohenlohe sowieso. Aber nicht so eines. Er zückte mit einiger Schnelligkeit ein chromglänzendes Butterflymesser und genoss das Geräusch, das entstand, wenn man es aufklappte. Er war gut darin, nicht mal eine halbe Sekunde brauchte er dafür. Viermal machte es »klack«, klack klack klack klack, dann war die kleine Waffe einsatzbereit. Er hielt sich das Messer dicht vors Gesicht, drehte die Klinge nach vorn, so wie es neulich der Seagals Steven in einem seiner Filme gemacht hatte. Saucool hatte das ausgesehen. Und Jan Bullinger fand, dass er dem Seagals Steven im Moment gar nicht so unähnlich war, zumindest so von der Attitüde her.

Susanne Schneider war heute nicht mit zu Sven nach Hause gegangen, ihr war nicht danach gewesen, nach einer Nacht mit ihm, der sehr fordernd sein konnte und dem Ritschies Tod offensichtlich einigermaßen egal war. Sie musste für sich sein, nur heute, nur dieses eine Mal. Nach einem solchen Tag und nach dem Abend am Degenbachsee. Sie hatte sich splitternackt ausgezogen, war in ihr Bett gekrochen und war nahezu sofort in einen tiefen, zunächst traumlosen Schlaf gefallen. Später in der Nacht träumte sie dann doch. Von seinen warmen sehnigen Händen, die ihren Körper gierig berührten. Von seinem Blick, der Bewunderung zeigte, als sie sich auf ihm wand. Und sie genoss es ebenfalls – denn er machte gut, was er da tat, es war schön mit ihm, und sie wölbte ihm ihren Unterleib entgegen. Er streichelte ihr Haar andächtig, küsste sie hingebungsvoll, ach Gott, er betete sie an! Und zusammen bewegten sie sich so lange, bis die Wellen der Lust über ihnen zusammenschlugen und sie entkräftet liegen blieben.

Mit einem kleinen Schrei erwachte Susanne und brauchte eine Sekunde, um festzustellen, dass sie daheim war und nicht in jener kleinen Pension im Westen Hohenlohes. Sie blinzelte, und eine Träne rann ihr über die Wange, als sie gewahr wurde, dass es nie wieder so sein würde, dass seine kundigen Hände sie nie wieder streicheln würden, nie wieder irgendeine Frau streicheln würden, nicht einmal seine eigene. Susanne hob ihre schmale Hand, um die Träne wegzuwischen, und zog die Nase hoch. Schlimm, durchaus tragisch. Aber unbestreitbar hatte das Ganze auch seine guten Seiten.

Dienstag

Am Dienstagmorgen schlugen Lisa und Heiko als Erstes bei Uwe auf. Uwes Reich war im ersten Stock des Polizeireviers Crailsheim, und hier herrschte er wie ein König. Während seine Besucher mit hölzernen Hockern vorliebnehmen mussten, thronte er in seinem ledernen Arbeitssessel, fast wie Schorsch, der Chef der Kripo, der auf seinem hochmodernen Stuhl vor dem hochmodernen Rechner saß und die meiste Zeit Solitär zockte. Uwe nutzte seinen Sessel neben der Arbeit, die er wirklich gut machte, meistens zum Trinken von unsäglich süßem Automatenkaffee. Trotz mehrmaliger Anläufe des Personalrats hatten sie es noch nicht geschafft, das alte Ding durch eine modernere Maschine zu ersetzen. Aber die Brühe hatte auch etwas Authentisches, Ursprüngliches.

Als Lisa und Heiko das Büro betraten, saß Uwe also auf seinem Thron und trank Kaffee. Ergeben ließen sich die Kommissare nach einem Gruß auf den Holzhockern nieder.

»Und? Gibt es schon was?«, erkundigte sich Heiko ungeduldig.

Uwe schnalzte mit der Zunge, trank einen Schluck und verdrehte die Augen. »So schnell geht das nicht. Ungefähr heute Mittag ist mit Ergebnissen zu rechen. Aber die Ulmer haben schon gesagt, dass ich die Klamotten von dem Kerl nicht so arg anfassen soll.« Uwe wies auf den Helm und das blausilberne Motorraddress, die beide in Folie verpackt auf der Ablage lagen.

»Wegen des Erbrochenen?«, vermutete Heiko.

Uwe senkte die Lider, während er Kaffee trank, ein Synonym für »Nein«. »Anscheinend war da schon irgendwas Böses im Spiel. Sie wissen nur noch nicht genau, was.«

»Hm«, machte Heiko, »gar keine Ahnung?«

Uwe fuhr sich über die rasierte Glatze und stellte seinen Becher neben dem Helm ab. »Sie vermuten ein Nervengift.«

Heikos Augen weiteten sich. »Wie bitte? Ein Nervengift? In Hohenlohe?«

Uwe zuckte die Achseln, und mehr war aus ihm nicht herauszukriegen, er vertröstete sie unerbittlich auf den Nachmittag.

Lisa und Heiko hatten beschlossen, dass es am sinnvollsten sei, erst einmal mit Manfred Hofmeister zu reden. Das hohenlohisch-westfälische Ermittlerteam betrat erneut das Grundstück in Altenmünster, das zu einem typischen 50er-Jahre-Einfamilienhaus gehörte. Es war von einer gepflegten Buchsbaumhecke umgeben, die so hoch war, dass Neugierigen der Einblick verwehrt blieb. Die Kommissare stiegen ein paar Stufen hoch, die von einem kleinen Dächlein überspannt waren und seitlich zum Hauseingang führten. Gerade hob Heiko die Hand, um zu klingeln, als die Tür von alleine aufging, und Manfred Hofmeister fixierte sie mit einem leichten Kopfnicken.

»Ich hab euch schon gesehen«, erklärte er. »War ja klar, dass ihr kommt.«

»Hm«, machte Heiko und meinte es irgendwie unbestimmt.

»Ihr habt Glück, dass ich schon Rentner bin, sonst wär ich um die Zeit kaum dahamm. Kommt rei«, lud Hofmeister ein und trat beiseite, ein flokatibelegter Flur mit altem Omabüfett kam zum Vorschein. Er führte sie hindurch ins Wohnzimmer, einen kleinen, gemütlichen Raum mit eher niedriger Decke, wie man sie früher gehabt hatte. »Deff ii eich was oubieda?«, erkundigte sich der Vorsitzende des MFHC beflissen.

»Grood hobb ii froocha wella«, ließ sich seine Frau von der Tür her vernehmen. Ulrike, wenn Heiko sich richtig erinnerte. »An Kaffee?«, schlug die Frau vor.

»Ein Kaffee wäre vielleicht wirklich gut«, meinte Lisa mit einem Lächeln. Eventuell ließe sich in gemütlicher Atmosphäre noch etwas mehr aus den Leuten herausholen.

Fünf Minuten später saßen alle auf einer beigefarbenen Sofagarnitur um den niedrigen, mit scheckigen Kacheln befliesten Couchtisch und tranken aus einem 80er-Jahre-Teeservice Kaffee. Auf einem Spitzendeckchen in der Mitte dominierte eine dieser goldfarbenen, verglasten Tischuhren, in der sich unentwegt und hektisch ein knubbeliges Pendel drehte, den Tisch. Gegenüber stand eine Schrankwand mit einem nicht dazu passenden, modernen Flachbildfernseher. Es schien sich bis auf den Fernseher um einen wahrhaft authentischen Retro-Haushalt zu handeln.

»Ich frage mich, was die Kripo mit dem Fall zu tun hat«, erkundigte sich Hofmeister. »Das war doch ein Unfall? Oder etwa nicht?«

Die Kommissare wechselten einen Blick. »Wahrscheinlich«, antwortete Lisa schließlich nüchtern.

»Dann ist Ihr Besuch reine Routine?«

»Reine Routine«, bekräftigte Heiko. »Wir waren bei der Familie Wengert«, begann der Kommissar schließlich die Befragung.

»Sou«, machte Manfred Hofmeister und blickte gespannt und gleichermaßen freundlich drein. »Und?«

»Die haben was von einem Papagei erzählt«, sprach Heiko weiter und beobachtete mit einiger Genugtuung, wie das Lächeln auf Hofmeisters Gesicht erstarb und er sich nervös mit der Hand durch die Haare fuhr.

»Etz verzehl’s, Manfred, die finden das sowieso raus. Und du hast ja nichts zu verbergen«, ermutigte ihn seine Frau.

Der Mann seufzte und begann: »Wir Biker schrauben ja gern. Und pimpen gern.«

»Aha.«

»Ja, und ich hatte da eine Liebhaberei, ich hab eine 125er so lackiert wie diesen Polo in den 90ern. Und das Ding hatte schnell den Spitznamen ›Papagei‹ weg und wurde quasi legendär.«

»Sie sind damit rumgefahren?«, hakte Lisa nach, wahrscheinlich, weil sie den Gedanken witzig fand, dass ein ehrwürdiger älterer Herr mit Bauchansatz ernst guckend auf so einem quietschbunten Gefährt saß.

»Selten. Das war, wie gesagt, eher eine Liebhaberei.«

»Und dann kam ja der Ritschie«, schaltete sich seine Frau ein, und Hofmeister sandte ihr einen Blick zu, der sie dazu brachte zu verstummen und die Retro-Tasse an ihre Lippen zu führen.

»Der Ritschie wollte meinen Papagei haben, für eine Tante, die das Teil saucool fand, hat er gesagt.«

»Und dann?« Lisa lächelte dem Mann auffordernd zu.

»Ich hab’s ihm verkauft, weit unter Wert, weil er so rumgejammert hat, wie arm die Tante sei und so.«

»Hat aber nicht gestimmt?«, vermutete Heiko.

Hofmeister seufzte tief und trank Kaffee, bevor er antwortete. »Zwei Wochen später habe ich über den Buschfunk erfahren, dass er gar keine Biker-Tante hat, sondern das Ding online für das Doppelte vertickt hat.«

»Nicht schön«, fand Heiko und fragte sich, ob das ein Mordmotiv wäre.

»Gar nicht schön«, bestätigte Manfred. »Ich hab ihn dann natürlich zur Rede gestellt und er hat nur dumm gelacht und gemeint, dass es so eben laufen würde. Das war nicht okay von ihm.«

»Aber bevor ihr jetzt meinen Mann verdächtigt, schaut euch lieber mal dem Ritschie seine Weibergeschichten an«, wechselte Ulrike abrupt das Thema.

Heiko hob die Hand. »Moment noch. Sie hätten ihn anzeigen können.«

Hofmeister winkte ab. »Das mit dem Geld war mir egal. Ich hab mein Auskommen. Mir ging’s um die Enttäuschung, um das Menschliche.«

»Kann ich verstehen«, stimmte Lisa zu und nestelte nachdenklich an dem gehäkelten Spitzendeckchen herum, das in der Mitte des Couchtischs unter der Uhr lag. »Und was war das jetzt für eine Geschichte mit den … Damen?«

Ulrike schnaubte. »Der Ritschie war schon immer hinter allem her, was nicht bei drei auf den Bäumen war.«

»Wissen Sie da auch was Konkretes?«, forschte Heiko weiter.

Die Frau hob mahnend den Finger. »Konkret nicht. Aber ich hab’s der Tine schon immer gesagt, schon immer!«

»Christine Wengert?«, vergewisserte sich Heiko.

Ulrike Hofmeister nickte heftig. »Sie wollte aber nichts davon hören und hat ihm jede seiner Ausreden geglaubt.« Wieder trank sie mit beiden Händen aus der Kaffeetasse. »Nix gwiieß waaß mer awwer net«, fügte sie hinzu.

»Dann zurück zu gestern. Ist Ihnen denn irgendwas aufgefallen?«, forschte Heiko weiter und lehnte sich in die knarzende Couch zurück.

Hofmeister schien sich zu entspannen. »Also, mir ist wie schon gesagt nichts aufgefallen. Der ist einfach geradeaus weitergefahren und vom Moped geplumpst.«

»Vielleicht Selbstmord?«, schlug Ulrike im Flüsterton vor.

Manfred lachte. »Der doch nicht. Der fand sich viel zu toll.«

In diesem Moment klingelte Heikos Handy. Es war Uwe, der vermeldete, dass die Ulmer fertig seien. Und dass es vollkommen abstruse Neuigkeiten gebe.

Eine halbe Stunde später saßen Lisa und Heiko wieder auf den Holzhockern in Uwes Reich, und nur Heikos deutlich gerunzelte Stirn hielt den Spurensicherer davon ab, ein großes Gewese um die Verkündigung des Obduktionsergebnisses zu machen.

»Die haben den Kerl auf alle möglichen Giftstoffe getestet, das volle Programm, und das war der Durchbruch«, begann Uwe und legte die passende Akte auf die Arbeitsplatte.

»Also doch Nervengift?«, vermutete Lisa.

»Nicht ganz«, korrigierte der Spurensicherer und holte aus: »Wir hatten ja eh schon den Verdacht auf Vergiftung.«

Heiko dachte an das seltsam grünliche Erbrochene und war gottfroh, dass er die Leiche nicht weiter angefasst hatte. Nicht auszudenken, wenn er …

»Und die haben ihn jetzt auf Nervengifte untersucht, auf Arsen, auf Selen, Zyanid, Rizin, Botulinumtoxin …«

»Was issn des?«, wollte Heiko wissen.

»Das kann in altem Fleisch entstehen, in Wurstdosen zum Beispiel.«

»Hm. Aber das war es nicht«, glaubte der Kommissar.

Uwe grinste und schüttelte den Kopf. »Auf Schlangengifte, sogar auf Curare …«

»Auf was?«, hakte Heiko nach.

»Froschgift, vom Pfeilgiftfrosch. Wobei die Viecher in Hohenlohe eher selten vorkommen, sondern eher im südamerikanischen Regenwald. Die gibt es in allen Farben und die sind wirklich hübsch, so blaue gibt es auch …«

»Aha«, machte Heiko und seufzte schwer. Uwe würde wohl nie damit herausrücken.

»Ja, und was war es denn nun?«, erkundigte sich endlich Lisa mit bewundernswerter Geduld.

»Dann irgendwann sind sie auf das einheimische Zeugs gekommen« fuhr Uwe unbeirrt fort.

»Und was ist das einheimische Zeugs?«, verlangte Heiko zu wissen, nun schon deutlich verärgert.

»Gyromitrin«, lautete die lapidare Antwort, und Uwe drehte sich wortlos zu seinem Rechner und googelte irgendwas.

»Hm.« Heiko dachte bei sich, dass er damit genauso viel oder wenig anfangen konnte.

Uwe rief die Ergebnisse auf, klickte auf »Bilder«, und es kam ein unsagbar hässlicher Pilz zum Vorschein, mit einem beigefarbenen Stiel und einem Hut, dessen bräunliche, verschlungene Strukturen an Gewürm oder Eingeweide erinnerten. »Gestatten, die Frühlingslorchel. Enthält Unmengen Gyromitrin. Und sollte nicht mit der Frühlingsmorchel verwechselt werden.«

»Nur ein Buchstabe Unterschied«, stellte Heiko lakonisch fest.

»Ein fataler Unterschied. Der Unterschied zwischen Genuss und Tod.«

»Und Richard Wengert hat Frühlingslorchel gegessen?«, wunderte sich Heiko. »Wie geht das denn?« Der Pilz war dermaßen hässlich, dass alleine der Anblick jeden vernünftigen Menschen vom Verzehr abhalten müsste. Obwohl, wenn Heiko da an die Schlachtplatte auf der Muswiese dachte, also, Ästhetik ging anders, aber das war ja so was Gutes!

Uwe fuhr sich über die Glatze, bevor er antwortete: »Das ist ja das Komische. Im Magen haben die Kollegen keine Pilzreste gefunden.«

»Also kein Versehen beim Pilzesammeln, sondern Mord?«, stellte Lisa fest.

Uwe nickte heftig. »Davon könnt ihr ausgehen.«

Heiko räusperte sich und stellte beiläufig fest, dass die Motorradkluft und der Helm des Mordopfers von der Arbeitsplatte verschwunden waren. »Irgendeine Idee, wie das Gift in den Körper gelangt sein könnte?«

»Normalerweise hat Gyromitrin eine Latenzzeit von mehreren Stunden.«

»Latenzzeit?«, fragte Lisa nach.

»Die Zeitspanne von der Einnahme des Giftes bis zu dem Moment, wo es zu wirken anfängt«, erklärte Uwe.

»Ou«, machte Heiko, »dann haben wir aber ein echtes Problem.«

»Wenn der das nicht gegessen hat, dann muss es ihm irgendwie verabreicht worden sein. Weiß man schon, wie?«, bohrte Lisa weiter.

Uwe schüttelte den Kopf. »Ich hab die Klamotten und den Helm mal nach Stuttgart ins Kriminaltechnische Labor geschickt, wegen Schweiß und so weiter. Die sind dran, ich würde mich melden, sobald die mehr wissen.«

»Aber immerhin können wir jetzt schon mal nach Leuten suchen, die sich mit Pilzen auskennen«, resümierte Heiko, und Uwe nickte. Das wäre sicherlich ganz vernünftig.

Susi knöpfte sich den obersten Knopf des Kittels wieder zu, denn der war aufgegangen – sicherlich sehr zum Bedauern der Patienten, deren Zimmer sie gleich betreten würde. Sie hatte heute Spätschicht im Krankenhaus. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie mit mehreren Klammern zu einem Dutt gebändigt, denn hier im Klinikum Crailsheim wurde Hygiene groß geschrieben. Keime, Bakterien und Pilze aller Art waren heutzutage eine ernsthafte Bedrohung für die Kranken, die harmloseste Operation konnte lebensbedrohlich werden, wenn sich der Patient irgendwas Komisches einfing. Und wenn Ärzte und Schwestern nicht aufpassten. Sie hatte sich gründlich die Hände desinfiziert, und nun schob sie den enormen Wagen mit dem Mittagessen ins Zimmer der beiden älteren Herren, von denen einer wegen einer gebrochenen Schulter und der andere wegen einem Oberschenkelhalsbruch behandelt wurden.

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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273 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839266120
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