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ELISABETH OBERBÜCHLER
* ca. 1713
Todestag unbekannt
Das Schicksal einer protestantischen St. Johanner Bauerntochter

In den Salzburger Gebirgsgauen Pongau und Pinzgau fallen die Lehren Martin Luthers auf einen besonders fruchtbaren Boden. Die Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen im streng katholischen Kirchenstaat Salzburg scheinen sich unter den Erzbischöfen Johann Ernst Graf von Thun und Hohenstein und Franz Anton Graf von Harrach zu beruhigen. Doch als Leopold Anton von Firmian den erzbischöflichen Stuhl besteigt, ist es mit dem Religionsfrieden vorbei. Das Ziel des neuen Landesfürsten ist es, die katholische Kirche in Salzburg wieder zur alten „Macht und Herrlichkeit“ zu führen. Der von einer hemmungslosen Religiosität charakterisierte Landesherr formuliert seine Überzeugung in bildhafter Sprache: „Lieber Dornen und Disteln auf den Äckern als Protestanten im Lande.“

Firmian schickt 200 Soldaten in die Gebirgsregionen des Pongaus und Pinzgaus, um seine Macht zu demonstrieren und sie durchzusetzen. Protestanten werden zu Rebellen erklärt und fallen damit nicht mehr unter die Religionsfreiheit des Westfälischen Friedens. Der fanatische Landesfürst lässt zudem Jesuiten aus Bayern holen, die auf den Dorfplätzen predigen und die Evangelischen zur Rückkehr zum alten Glauben zwingen wollen. Als der Erfolg ausbleibt, lässt er in den Jahren 1731/32 auf Rat seines Hofkanzlers Hieronymus Cristani von Rall alle Protestanten des Landes verweisen. Firmian unterzeichnet am 31. Oktober 1731 das Emigrationspatent, das in offenem Widerspruch zur Vereinbarung des „Westfälischen Friedens“ von 1648 steht. In diesem ist ausdrücklich eine dreijährige Frist für eine Ausweisung vorgesehen. Der österreichische Kaiser Karl VI. ist zwar mit Firmians Vorgangsweise nicht einverstanden, begnügt sich jedoch, den erzbischöflichen Landesherrn zu einer milden Anwendung zu mahnen.

„Angesessene“ (d.h. Grundbesitzer) müssen je nach Größe ihres Grundbesitzes und Vermögens zehn Prozent als „Nachsteuer“ bezahlen, um die leeren Kassen des Fürsterzbischofs aufzufüllen. Innerhalb weniger Monate werden durch Firmians gnadenlose Härte mehr als 20 000 protestantische Salzburger*innen aus dem Land vertrieben. Auch die erst 18-jährige Bauerntochter Elisabeth Oberbüchler muss dieses grausame Schicksal erleiden und landet schließlich in der ostpreußischen Provinz rund um Königsberg (heute: russische Enklave Kaliningrad).

Bereits im Juli 1731 schickt Firmian Soldaten in die südlichen Salzburger Landesteile und lässt wichtige Orte und Pässe besetzen. Die Ankündigung von Truppen des österreichischen Kaisers Karl VI. führt zur Versammlung von etwa 150 Pongauer Protestanten des „Salzbundes“, die durch Eintauchen der Finger der rechten Hand in ein Salzfass bekunden, dass sie sich vom Lutherischen Glauben nicht werden abbringen lassen. Für den Erzbischof stellt dies das Verbrechen der Rebellion dar.

Doch dann kommt Rettung vom preußischen König Friedrich Wilhelm I., denn dieser unterzeichnet am 2. Februar 1732 das Immigrationspatent, in dem er die heimatlosen Salzburger*innen unter den Schutz des preußischen Staates stellt und ihnen eine neue Heimat in Ostpreußen anbietet. Das Gebiet zwischen den Flüssen Memel und Ister ist zwischen 1709 und 1711 durch die Pest drastisch entvölkert worden. Er schickt seinen Kommissar Göbel, der ein paar hundert Menschen erwartet. Doch zwischen dem 30. April 1732 und dem 15. Juli 1733 ziehen nicht weniger als 14 700 Salzburger Protestant*innen Richtung Norden. Der größte Teil der Exulant*innen wird von Stettin per Schiff nach Königsberg gebracht. Am 28. Mai 1732 kommt das erste Schiff in Königsberg an. Die beschwerliche Reise per Schiff fordert allerdings zahllose Todesopfer, vor allem unter den Kindern. So sterben von den 10 700 Personen auf 19 Seetransporten 515 Menschen.

Unter den Neuankömmlingen ist auch die erst 18-jährige Elisabeth Oberbüchler aus St. Johann im Pongau. Mit acht Geschwistern wächst sie auf einem Bergbauernhof auf. Sie ist von Kindheit an nach dem evangelischen Glauben aufgezogen worden und mit der Bibel bestens vertraut. Als am 20. Juli 1731 in St. Johann eine Kommission mit dem Hofkanzler Cristani von Rall auftaucht, bekennen sich allein in diesem Pongauer Ort 2700 Menschen zum Lutherischen Glauben, darunter auch die gesamte Familie Oberbüchler. Am 24. November 1731 erscheinen Soldaten auf dem Oberbüchler-Hof und zwingen die Familie mit roher Gewalt mitzukommen. Die erwachsene Elisabeth und zwei ihrer Brüder werden nach Salzburg verfrachtet, um sie aus dem Land zu vertreiben. Die Ausstellung der Auswanderungspässe dauert jedoch fünf Wochen, so dass bereits Schnee gefallen ist, als sie sich in Richtung Bayern auf den Weg machen müssen. Über Rosenheim und Schongau kommen sie am 27. Dezember endlich nach Kaufbeuern, wo Katholiken und Protestanten konfliktfrei leben.

Die gastfreundliche Stadt nimmt die ca. 750 Exulant*innen auf, kann sie aber auf Dauer weder beherbergen noch ihnen Arbeit verschaffen. Elisabeth und ihre Schwester allerdings kommen bei einem Goldschmied unter. Als dann aber das Angebot des preußischen Königs eintrifft, machen auch sie sich auf den Weg. Als sie hören, dass sich auch ihre Brüder in Preußen ansiedeln wollen, schließen sie sich dem immer stärker werdenden Strom der Emigranten in Richtung Norden an. Nach einem langen und beschwerlichen Fußmarsch kommen die Salzburger Exulant*innen endlich in Brandenburg an, wo sie vom Herrscherpaar Friedrich Wilhelm I. und seiner Gattin, Kurfürstin Sophie Dorothea, empfangen werden. Die Kurfürstin ist vom Anblick der Exulant*innen in Salzburger Tracht so angetan, dass sie dem Hofmaler Antoine Pesne den Auftrag erteilt, drei von ihnen zu porträtieren: einen alten Mann, eine Frau und das junge Mädchen Elisabeth Oberbüchler. So entsteht das reizende Porträt der jungen Protestantin in ihrem roten Wams. Sie scheint die Strapazen der Auswanderung während der Wintermonate glänzend überstanden zu haben, denn sie wirkt auf dem Ölbild in keiner Weise übermüdet oder krank. Der Glaube und der Zusammenhalt untereinander dürfte sie gestärkt haben. Von da an verlieren sich ihre Lebenslinien. Es ist anzunehmen, dass ihr Weg mit Heirat und Familiengründung vorgezeichnet war.

Sie dürfte wie der Großteil der Salzburger Vertriebenen nach Ostpreußen gekommen sein. Vor allem in den Kreisen Gumbinnen, Pillkallen, Stallupönen und Darkehmen werden nämlich den Salzburger*innen landwirtschaftliche Flächen zur Verfügung gestellt. So werden im Jahr 1734 in diesen Regionen bereits mehr als 11 500 Salzburger*innen angesiedelt. Als Bergbäuerinnen und Bergbauern verstehen sie sich hervorragend auf die Pferde- und Viehzucht und mit ihrem Einzug in das flache ostpreußische Gebiet an der Ostsee bringen sie auch den Kartoffelanbau nach Norddeutschland, der in Salzburg schon länger bekannt ist.

Zwei Jahrhunderte später werden die Nachfahren der protestantischen Salzburger Aussiedler*innen genau in diesem Gebiet Ostpreußens an der Nordsee erneut zu Emigrant*innen. Denn in den Märztagen 1945 wird die Schlacht von Heiligenbeil (heute: Mamonowo) zu einer der letzten großen Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges. Im Rahmen der Schlacht um Ostpreußen wird die 4. Armee von den sowjetischen Truppen mit dem Rücken zum zugefrorenen Haff eingeschlossen. Diese deutsche Armee hatte es im Winter 1944/45 geschafft, die Zivilbevölkerung Ostpreußens zu einem großen Teil über das gefrorene Haff nach Westen zu schleusen. Doch nun sind sie von den deutschen Truppen abgeschnitten und von der russischen Armee eingekesselt. In einem zweimonatigen Kampf im März und April 1945 fallen 80 000 deutsche Soldaten oder werden verwundet, 50 000 kommen in russische Gefangenschaft.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden die Landkreise, in denen die Salzburger Protestant*innen eine neue Heimat gefunden haben, als russische Enklave aus dem alten deutschen Gebiet ausgegliedert und als Enklave Kaliningrad zu einem russischen Sperrgebiet erklärt. Für die verbliebene deutsche Bevölkerung (ca. 25 000 Menschen), die gegen Kriegsende nicht vor den Russen in den Westen fliehen können, besteht zunächst ein Ausreiseverbot. Ihre Vertreibung beginnt erst auf Befehl Stalins vom 11. Oktober 1947. Bis 1992 ist die Enklave Kaliningrad (Oblast Kaliningrad) für westliche Besucher*innen gesperrt. So sind die Nachfahr*innen der Salzburger Exulant*innen mehr als 200 Jahre später wieder zu Vertriebenen geworden. Als Erinnerung an ihre Verbundenheit mit der ursprünglichen Heimat wird von der Sektion Königsberg des Deutschen Alpenvereins im Jahr 1927 in 1 630 Metern Höhe direkt vor dem Massiv des Hochkönigs die Ostpreußenhütte errichtet.

FRANZ MICHAEL VIERTHALER
1758–1827
Salzburgs erster großer Schulreformer

Franz Michael Vierthaler wird wegen seiner umwälzenden Schulreformen mit Fug und Recht als einer der größten Pädagogen Österreichs eingestuft. Es ist die Zeit der Aufklärung, in die Vierthaler hineinwächst. Den alten Autoritäten der Kirche und der königlichen Macht wird nun die Vernunft gegenübergestellt. Ausgehend vom französischen Philosophen René Descartes gehen Voltaire und Jean-Jacques Rousseau von konkretem Wissen und freiem Denken aus. Rousseau fordert in seinem Werk „Émile oder Über die Erziehung“ in Vorwegnahme der Französischen Revolution das Prinzip der Gleichheit.

Im Sinne der Aufklärung löst Vierthaler in Salzburg das Schulwesen aus der Hörigkeit der Kirche und des Militärs und führt als erster eine geregelte Lehrerausbildung ein. Mit seinen Standardwerken zur Pädagogik und seinen zahllosen philosophischen und geografischen Schriften übt er einen großen Einfluss auf die gesamte Bildungspolitik des Habsburgerreiches aus. Durch sein Wirken als Direktor des Waisenhauses in Wien, das 2 500 Zöglinge betreut, verbessert er die medizinische und hygienische Versorgung und wird zum Vorbild für die im 20. Jahrhundert entstehenden Kinderdörfer.

Vierthaler wird am 25. September 1758 als fünftes Kind des Maurermeisters und Stuckateurs Jakob und seiner Gattin Maria Anna Vierthaler in Mauerkirchen im bayerischen Innviertel geboren, wo er die Pfarrschule besucht. Wegen seiner schönen Singstimme empfehlen ihn der örtliche Pfarrer und seine beiden geistlichen Onkel dem Benediktinerstift Michaelbeuern als Sängerknabe. Dort kommt er erstmals mit der lateinischen Sprache in Kontakt, für die er zeit seines Lebens Begeisterung zeigt. Ein Jahr später tritt er zu den fürsterzbischöflichen Sängerknaben in Salzburg über und wird Schüler des mit der Benediktineruniversität verbundenen Gymnasiums. Später setzt er seine Studien im bayerischen Burghausen fort. Im Herbst 1775 inskribiert er an der Universität Salzburg. Zu Beginn des Studiums muss er die zweijährige philosophische Fakultät absolvieren, die für alle weiteren Studien als Vorstufe verpflichtend ist. Er wählt sodann die juridischen Fächer, obwohl seine Vorliebe den klassischen Sprachen und der Geschichte gilt.

Eine Zeitlang versucht er sich als Dramatiker und kann sein Trauerspiel „Der englische Spion“ mit Erfolg im Salzburger Hoftheater aufgeführt sehen. Als am Kollegium Virgilianum, einem Institut für junge Adelige zur Erklärung und Wiederholung des universitären Lehrstoffes, eine Instruktorenstelle frei wird, bekommt er diese. Doch als ihm kurz darauf ein Theologe als erster Instruktor vorgesetzt wird, verlässt er das Institut und widmet sich erneut der schriftstellerischen Tätigkeit. Schon bald erscheint der erste Band seines siebenteiligen Werkes „Philosophische Geschichte der Völker und Menschen“ (1787).

In der Habsburgermonarchie hat Maria Theresia 1774 mit ihrer „Allgemeinen Schulordnung“ maßgebliche Schulreformen durchgeführt und die Unterrichtspflicht auf alle Schichten der Bevölkerung ausgeweitet. Es ist dies die erste Maßnahme für eine verpflichtende und egalitäre Grundschulbildung. Daher erkennt es auch der geistliche Landesfürst Hieronymus Graf Colloredo im Fürsterzbistum Salzburg als Notwendigkeit, eine moderne leistungsfähige Staatsbürokratie einzurichten. Diese führt über die Ausweitung der Bildung und die Einbeziehung bürgerlicher Akademiker anstatt bloß adeliger Funktions- und geistlicher Würdenträger in die Staatsführung. Eine verpflichtende Grundschulbildung für breite Bevölkerungsteile ist dafür die wesentlichste Voraussetzung. Der Nützlichkeitsgedanke überwiegt dabei die Vorteile einer humanistischen Bildung. Das Haupthindernis für eine tiefgreifende Änderung liegt in der mangelnden pädagogisch-didaktischen Ausbildung der Lehrer. Daher kommt die von Colloredo eingesetzte Schulreformkommission zur Einsicht, dass ein Lehrerseminar eingerichtet werden müsse.

Nach jahrelangem Zögern betraut Colloredo schließlich Vierthaler mit dem Aufbau eines Lehrerseminars. Dieses wird im sogenannten Ritzerbogenhaus (heute: Buchhandlung Höllrigl) eingerichtet. Mit der Verpflichtung für die Lehramtskandidaten zu hospitieren und mit praktischen Lehrversuchen schafft Vierthaler die Grundlagen für die moderne Pädagogik. Er verfasst zudem zahlreiche pädagogische Schriften und Lehrbücher und übernimmt zusätzlich die Ordnung und Katalogisierung der erzbischöflichen Bibliothek. Auf Wunsch des Landesfürsten übernimmt er auch die von Lorenz Hübner geleiteten Zeitungen „Staatszeitung von Salzburg“ und „Literaturzeitung von Salzburg“. Seine naturkundlichen und historischen Reisen gibt er unter dem Titel „Reisen durch Salzburg“ (1799) heraus. Er nimmt auch am zweiten Versuch der Erstbesteigung des Großglockners teil. So kann Vierthaler in Salzburg als Begründer der Reiseliteratur bezeichnet werden.

Als Vierzigjähriger heiratet er Josefa Kleinmayrn, die älteste Tochter des Hofratsdirektors Franz Thaddäus von Kleinmayrn und bezieht eine Wohnung am Waagplatz 72. Als am 26. Dezember 1802 das Fürsterzbistum Salzburg endgültig säkularisiert wird, übernimmt der Bruder des Kaisers, Erzherzog Ferdinand, bisher Großherzog von Toskana, als Entschädigung für das verlorene italienische Gebiet das Erzstift, das damals noch Teile von Bayern umfasst (Berchtesgaden und die Bistümer Passau und Eichstätt). Als einziger aus der von Fürsterzbischof Colloredo eingesetzten Schulkommission behält Vierthaler sein Amt. Und er übernimmt alle Schulen und Erziehungsanstalten des Landes mit Ausnahme der Universität und des ihr angegliederten Gymnasiums. Er steigt damit zum allmächtigen Landesschulinspektor im Fürsterzbistum Salzburg auf.

Doch damit scheint sein Aufgabenbereich noch zu knapp bemessen. Denn der neue Landesherr Erzherzog Ferdinand überträgt ihm auch die Verwaltung der beiden Waisenhäuser in der Vorstadt Mülln. Die Sorge um verwaiste Kinder ist bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ausschließlich Aufgabe der Geistlichen. Die Waisenhäuser an der Salzach sind wirtschaftlich und administrativ ruinös geführt und dem Verfall preisgegeben. Erst durch die Verdrängung des Prinzips der göttlichen Vorsehung durch den Verstand im Sinne der Aufklärung und durch die Forderung des Gemeinwohls als staatliche Aufgabe geraten soziale Fürsorgeeinrichtungen in den Fokus der Herrschenden. Dem jungen Kurfürstentum Salzburg ist noch keine politische Ruhe beschieden. Denn 1806 stürmen wieder bayerische und französische Truppen ins Land. Vierthaler hat schon bei der ersten Besetzung Salzburgs durch die Franzosen die berühmte erzene Statue des Jünglings von Helenenberg, die sich seit 1506 in Salzburg befindet, versteckt und so einem Kunstraub durch die feindlichen Truppen vorgebeugt. Nun wird er im Oktober 1806 zum Direktor des Wiener Waisenhauses ernannt. Vierthalers Bedeutung als reformatorischer Pädagoge und Wissenschafter wird also noch durch seine sozialpädagogischen Verdienste gesteigert.

Der von pädagogischen Motiven geprägte Wissenschafter tritt nun vehement dafür ein, dass auch diesen Kindern eine gründliche Schulbildung zuteil wird und fähiges Lehrpersonal die Bildung und Erziehung übernimmt. Bisher hatten Offiziere und Invaliden diese Aufgaben inne gehabt. Vierthaler ersetzt diese durch ausgebildete Lehrer, unter denen sich auch Ferdinand Schubert, der Bruder des Komponisten Franz Schubert, befindet.

In Wien ist der inzwischen berühmt gewordene Schulreformer und Sozialpädagoge ein gern gesehener Gast im Haus der bekannten Schriftstellerin Karoline Pichler (1769–1843), wo er die Crème de la Crème der Wiener Künstler*innen und Schriftsteller*innen trifft und Teil des intellektuellen Lebens wird. Er verkehrt mit den Dichtern Franz Grillparzer, Ferdinand Raimund und Clemens von Brentano sowie dem Komponisten Franz Schubert. Als die Franzosen 1809 neuerlich in Wien einrücken, vertraut Kaiser Franz I. dem Pädagogen seine Porträtsammlung an, die dieser im Keller des Wiener Waisenhauses vor den französischen Heerscharen versteckt. In den zwanzig Jahren seiner Wiener Zeit arbeitet Vierthaler weiter an seinem siebenbändigen Werk „Philosophische Geschichte der Menschen und Völker“. In Folge eines Schlaganfalls stirbt der 69-jährige Pädagoge und Humanist und wird auf dem Währinger Friedhof zur letzten Ruhe gesetzt. Im Salzburger Stadtteil Schallmoos ist eine Straße nach ihm benannt. Durch sein umsichtiges pädagogisches und soziales Wirken gilt Vierthaler als „Österreichs Pestalozzi“ und „Vater der Waisen“.

CONSTANZE MOZART
1762–1842
Mozarts erste Biografin

Mozarts Frau, mit der er neun Jahre verheiratet ist, steht zeitlebens und bis heute im Schatten des musikalischen Weltgenies. Die Urteile über sie sind stets extrem emotionsgeladen und reichen von „geistlos, egoistisch, raffgierig, triebhaft“ bis zu „liebende Ehefrau“. Überwiegend wird sie als „graues Aschenputtel“ an der Seite des Genies beschrieben und ihr jede Intellektualität abgesprochen. Sogar eine Mitschuld an seinem frühen Tod wird ihr angelastet. Wenn man Mozarts Briefen Glauben schenken kann, so scheint die Ehe glücklich gewesen zu sein. Viele Biografien beschäftigen sich mit der Frage, warum sie sich nicht um Mozarts Grab gekümmert habe. Selbst Albert Einstein stimmte in die Herablassungen ein: „Constanzes Ruhm besteht darin, dass Mozart sie geliebt hat und damit in die Ewigkeit mitgenommen, so wie der Bernstein die Fliege.“

Die Liste der Verunglimpfungen befindet sich bis in unsere Zeit auf dem Niveau der Klatschpresse und dürfte eher einem frauenfeindlichen Verständnis entspringen. Der schon zu Constanzes Lebzeiten entstehende Geniekult um Mozart gestattet wohl keine adäquate Partnerin neben ihm. Jedenfalls hat sie mit ihrer ersten Biografie Mozarts diesen Geniekult erst richtig ausgelöst und ist als eine faszinierende Frau, Bannerträgerin und Nachlassverwalterin Mozarts in die Musikgeschichte eingegangen. Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann Georg Nikolaus Nissen (1761–1826) ist es ihr Verdienst, dass die Musik Mozarts im 19. Jahrhundert nicht der Vergessenheit anheimgefallen ist.

Constanze Mozart wird am 5. Jänner 1762 als dritte von vier Töchtern des Bassisten und Kopisten Franz Fridolin Weber und seiner Frau Maria Cäcilia in Zell im Wiesental in Baden-Württemberg geboren und wächst in Mannheim auf. Im Jahr 1777 macht Mozart auf seiner Reise nach Paris in Mannheim Zwischenstation und lernt Constanze Weber im Hause ihres Vaters kennen. Mozart verliebt sich in Constanzes Schwester Aloysia und fasst sogar den Plan, mit ihr als Primadonna, ihrem Vater als Impresario und Constanze als Hausgehilfin eine Konzertreise nach Italien zu unternehmen. Doch Mozarts Vater befiehlt ihm, die bereits zugesagte Reise zusammen mit der Mutter Maria Anna nach Paris anzutreten. Aloysias Mutter ist darüber nicht unglücklich, denn sie will unbedingt eine Heirat ihrer musikalisch begabten Tochter mit dem Musikgenie verhindern.

In Paris stirbt Mozarts Mutter. Als Mozart am Weihnachtstag 1778 nach Mannheim zurückkehrt, zeigt Aloysia kein Interesse mehr an ihm. Deshalb setzt sich dieser ans Klavier und soll gesungen haben: „Leck mich das Mensch am Arsch, das mich nicht will“ (zit. nach Rieschel, 35).

In Salzburg ist Mozart ständig in Konflikt mit dem Landesfürsten Erzbischof Colloredo, der ihn wie einen Kammerdiener behandelt und ihn ohne seine Genehmigung nicht auftreten lässt. Der Fürsterzbischof beschuldigt Mozart der Flegelhaftigkeit, und nach einem Wortwechsel soll ihn dessen rechte Hand, Graf Karl Joseph Arco, mit einem Tritt hinausbefördert haben. So wird Mozart in einer Zeit, da Musiker nur an einem Fürstenhof oder im Dienste der Kirche überleben können, zu einem freischaffenden Künstler. Als die Familie Weber 1781 nach Wien übersiedelt, gerät Mozart wieder in den Bannkreis der äußerst musikalischen Familie. Aloysia hat inzwischen den Maler Joseph Lange geheiratet, von dem die bekanntesten Bilder der Familie Weber und auch ein populäres Bild Mozarts stammen. Nach dem Tod des Vaters muss die Witwe Weber in dem alten Haus mit dem Namen „Auge Gottes“ Zimmer vermieten, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Mozart lebt in Wien sogar eine Zeitlang bei den Webers, muss aber ausziehen wegen des „Geredes der Leute“.

Am 4. August 1782 heiratet Mozart gegen den Willen seines Vaters und seiner Schwester Maria Anna („Nannerl“) Constanze Weber im Stephansdom. Sowohl Vater als auch Schwester weigern sich, an der Hochzeit teilzunehmen. Besonders die erfolgreiche Pianistin Nannerl macht in Briefen an Mozart immer wieder klar, dass eine „Weberische“ im Tanzmeisterhaus (Mozarts Wohnhaus, Makartplatz 8) höchst unwillkommen ist. Mozart droht seiner Schwester darauf mit einem Dutzend Ohrfeigen.

Scheinbar ist es der Ruf über die Freizügigkeit von Constanzes Lebenswandel, der mit den biederen Vorstellungen von Leopold Mozart nicht in Einklang zu bringen ist. Man sagt ihr eine gewisse Leichtfertigkeit im Umgang mit Männern nach, doch eheliche Untreue lässt sich nicht nachweisen. Der Hofmusiker und Komponist Peter Winter bezeichnet Constanze bereits im Jahr 1781 Mozarts Vater gegenüber als „Luder“. Mozart wehrt sich und bezeichnet Winter in einem Brief an seinen Vater als „hundsföttig“. Mozart sieht sich daher genötigt, über seine junge Frau an den Vater Folgendes zu schreiben: „Sie ist nicht hässlich, aber auch nichts weniger schön, ihre ganze Schönheit besteht in zwei kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachstum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand, genug um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können.“ Er berichtet ihm aber auch über das „fürstliche“ Hochzeitsmahl, das Baronin Elisabeth Waldstätten für das Brautpaar gegeben hat und schließt den Brief mit den Worten: „Nun freuet sich meine liebe Constanze noch hundertmal mehr, nach Salzburg zu reisen! Seiner jungen Frau legt Mozart aber nahe, „auf seine und ihre Ehre Rücksicht zu nehmen.“ Mozart selbst aber nimmt es mit seiner ehelichen Treue nicht allzu genau, denn er fühlt sich immer wieder auf seinen Reisen zu anderen Frauen hingezogen. Das Musikgenie denkt aber gar nicht daran, seinem Vater und Nannerl seine junge Frau vorzustellen, obwohl der Vater in Briefen ständig darauf drängt. Der Umstand, dass Constanze schwanger ist, zögert die beschwerliche drei- bis viertägige Kutschenfahrt zusätzlich hinaus. Mitte Februar 1782 steckt Mozart zudem in einer schweren Finanzkrise, weil er einem Kaufmann eine Menge Geld schuldet. Die Baronin Waldstätten hilft ihm allerdings aus der Patsche. Erst ein Jahr später, am 26. oder 27. Juli 1793 kommen Mozart und Constanze mit der Postkutsche vor dem Tanzmeisterhaus in Salzburg an, wo sie trotz des eisigen Empfangs 14 bis 16 Wochen bleiben. Von den sieben großen Kutschenreisen, die Mozart in seinen letzten 12 Lebensjahren unternimmt, führt ihn nur diese eine in seine Heimatstadt. In Salzburg vollendet Mozart die Messe, die er für seine Frau nach einer geglückten Entbindung gelobt hatte zu komponieren, er schreibt für Michael Haydn zwei Duette und zwei Akte einer Oper von Giambattista Varesco (1735–1805), die allerdings nie vollendet wird. Ob die Wurzeln für die Entstehung der Oper „Die Zauberflöte“ auf die zahlreichen Besuche Mozarts im Aigner Park mit seiner geheimnisvollen Illuminatengrotte zurückgehen, bleibt wohl ungeklärt. Mozart und Constanze treffen im 1760 gegründeten Kaffeehaus (Zillnerhaus) am Alten Markt auch den Sänger Josef Tomaselli. Constanze kann damals nicht ahnen, dass sie rund 40 Jahre später in einem oberen Stockwerk des Hauses wohnen wird.

Das Leben Constanzes an der Seite Mozarts ist keineswegs leicht, denn er kann mit Geld nicht umgehen und ist ständig verschuldet. Seine Hyperaktivität ist zudem eine schwere Belastung für die sensible junge Frau. Constanze wird in den neun Ehejahren mit Mozart sechsmal schwanger, doch nur die Söhne Carl Thomas (1784–1858) und Franz Xaver Wolfgang (1791–1844) überleben. Nach Aussage ihrer Schwester Sophie leidet Constanze an einer Beinkrankheit, die ihr immer wieder große Schmerzen bereitet. Die Behandlungskosten engen in der Folge den finanziellen Spielraum des Musikgenies noch mehr ein.

Constanze, die eine schöne Stimme hat und auch sehr gut Klavier spielt, erreicht allerdings nicht das stimmliche Niveau ihrer Schwester Aloysia. Mozart aber zieht sie als Beraterin ständig heran und spielt ihr auch seine neuen Kompositionen vor. Constanze hat Mozart durchaus inspiriert. Daher widmet Mozart seiner Frau mehrere Werke, darunter die Sopranpartie der großen c-Moll-Messe. Als Mozart in der Nacht zum 5. Dezember 1791 stirbt, ist Carl sieben Jahre und Wolfgang sechs Monate alt. Er hinterlässt seiner Frau enorme Schulden, eine unfertige Partitur seines „Requiems“, für das er entlohnt worden ist, und einen ganzen Stapel ungeordneter und unvollständiger Musikautografen. Trotz der enormen Not verkauft Constanze jedoch die Manuskripte zunächst nicht, für die sie wegen des bereits großen Ruhms Mozarts großzügig entlohnt worden wäre, sondern bewahrt sie sorgfältig auf.

Nach dem Tod des musikalischen Genies gelingt es ihr dank hochherziger Hilfen, ein Abgleiten in äußerste Not zu verhindern. So ist es ihr großes Verdienst, dass die Autografen nicht in alle Welt verstreut sind. Trotzdem ist sie von manchen Biografen als raffgierige und betrügerische Geschäftemacherin diffamiert worden. Die Ursache dafür mag in der Tatsache begründet sein, dass zwei Fragen bislang nicht ausreichend beantwortet werden können: Warum hat sie sich nie um Mozarts Grab gekümmert? Und warum hat sie bezüglich des „Requiems“ verschwiegen, dass der Komponist Franz Xaver Süßmayr (1766–1803) nach Mozarts Tod das „Requiem“ vervollständigt hat? Unbezweifelbar steht jedoch fest, dass es ein lebenslanges Anliegen der Witwe Mozarts war, sein Andenken wachzuhalten.

Gemeinsam mit ihrer Schwester Aloysia unternimmt Constanze 1795/96 eine Konzertreise mit Mozarts Werken durch Deutschland. Die beiden Söhne bringt sie auf das Landgut Villa Bertramka des befreundeten Ehepaares Josepha und Franz Xaver Duschek bei Prag. Erst zur Jahreswende 1799/1800 verkauft sie die noch vorhandenen Autografen Mozarts an den Offenbacher Musikverleger Johann Anton André.

Im Jahr 1797 lernt Constanze den dänischen Legationssekretär und Diplomaten Georg Nikolaus Nissen kennen. Sie kann ihn erst 1809 auf der Flucht vor Napoleon im damals ungarischen Preßburg heiraten, da im österreichischen Teil des Habsburgerreiches religiöse Mischehen verboten sind. Constanze führt ab dem Winter 1800 in Wien einen der wichtigsten musikalischen Salons am Michaelerplatz, um Mozarts kammermusikalische Werke zur Aufführung zu bringen. Als der Diplomat 1810 nach Kopenhagen berufen wird, lebt Constanze mit ihm zehn Jahre in der dänischen Hauptstadt. Zwischen 1820 und 1824 bereist das Ehepaar Nissen Deutschland, bevor es sich 1824 endgültig in Salzburg niederlässt.

Nissen ist den beiden überlebenden Söhnen Mozarts ein liebevoller Vater. Carl, den Constanze zum Kaufmann ausbilden lässt, wird von ihr nach Italien geschickt, wo er als Verwaltungsbeamter der Monarchie lebt und 1858 als letzter Mozart stirbt. Sein Bruder Franz Xaver Wolfgang, ein begabter Sänger, Komponist und einer der renommiertesten Pianisten der Zeit, arbeitet in Lemberg beim Grafen Viktor von Baworowski, da er in der Pubertät mit seinen Eltern ständig in Konflikt geraten ist. In Salzburg machen sich Constanze und Nissen daran, das Leben Mozarts aufzuarbeiten und eine erste Biografie zu verfassen. Doch Constanze schildert ihrem Gatten hauptsächlich vordergründige Begebenheiten und kann über seine Musik nur Oberflächliches berichten. Daher stützt sich Nissen auf die Aufzeichnungen des Philosophen und Musikkritikers Franz Xaver Niemetschek. Zudem ist Nissen bemüht, alle ihm unschicklich erscheinenden Ereignisse im Leben Mozarts auszublenden, denn er will dem Ruhm des Meisters keinesfalls schaden. Als Nissen – der kein Adeliger war – 1826 stirbt, nimmt Constanze ein „von“ in ihren Namen auf. Sie vervollständigt Mozarts Lebensbericht. Das Buch „Biographie W.A. Mozarts“ erscheint 1828 und wird in Europa viel gelesen und in mehrere Sprachen übersetzt. In ihren letzten Lebensjahren in Salzburg darf auch ihr Beitrag für die Gründung des Mozarteums und die Errichtung der Mozartstatue auf dem Mozartplatz nicht unterschätzt werden.

Constanze stirbt am 6. März 1842 in Salzburg an einer Lungenentzündung und überlebt damit Mozart um ein halbes Jahrhundert. Ihre jüngere verwitwete Schwester Sophie, die mit ihr im ehemaligen Domherrenstöckl Mozartplatz 8 wohnt, kann wenige Wochen nach Constanzes Tod ihre Blicke auf das neu errichtete Mozartdenkmal richten. Der „Witwe Mozart“, wie Constanze sich auch in ihrer Ehe mit Nissen stets bezeichnet hat, ist dieser sehnsüchtige Rückblick nicht mehr gegönnt.

Drei weniger biografische als fiktionale, allerdings sehr lesenswerte Romane über Constanze Mozart haben die österreichische Schriftstellerin Renate Welsh („Constanze Mozart. Eine unbedeutende Frau“), die Münchener Kunsthistorikerin und Schriftstellerin Lea Singer („Das nackte Leben“) sowie die aus Constanze Mozarts Geburtsort stammende Schriftstellerin Heidi Knoblich („Constanze Mozart geb. Weber“) verfasst. Der Tiroler Dramatiker Felix Mitterer hat das Leben der Familie Weber in seiner musikalischen Komödie „Die Weberischen“ dramatisch gestaltet.

1 617,18 ₽
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411 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783702580865
Издатель:
Правообладатель:
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