promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Erinnerungswürdig», страница 6

Шрифт:

HERMANN SCHMIDTMANN
1841–1919
Kunstdüngerfabrikant und Pinzgauer Schlossherr

Die größten Grundbesitze im Pinzgau gehören heute den staatseigenen Österreichischen Bundesforsten, den Bayerischen Saalforsten und den Automobil-Tycoons Porsche und Piëch. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann sich allerdings der deutsche Selfmademan Hermann Schmidtmann, der durch Kunstdüngerproduktion in den USA ein riesiges Vermögen aufgebaut hatte, mit 7 000 Hektar Landwirtschaftsbesitz und 30 000 Hektar Jagdgründen als bedeutendster Eigentümer land- und forstwirtschaftlicher Flächen rühmen. Dazu kommen noch die Schlösser Grubhof und Oberrain. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende galoppierende Inflation setzen dem Milliardär aber hart zu. Dennoch weisen seine Nachkommen auch heute noch im Raum Maria Alm-Hinterthal beträchtlichen Grundbesitz auf. Hermann Schmidtmann wird als Sohn armer Eltern in der thüringischen Stadt Schmalkaden geboren. Er ergreift den Beruf eines Kaufmanns und studiert eifrig Sprachen. Im Jahr 1858 wandert er in die Vereinigten Staaten aus, wo er durch enormen Fleiß und Tüchtigkeit den Grundstein für sein späteres Vermögen legt. Vierzehn Jahre später kehrt er nach Europa zurück und kauft dem Erfinder der Diamantkronenbohrmaschine dessen Patent ab. In England beteiligt er sich an einem neuen System der Gesteinsbohrung, was schließlich zur Gründung der „Continental Boring Company“ führt, dessen Generaldirektor Schmidtmann wird. Schließlich erwirbt er die gesamte Gesellschaft, die im Raum Aschersleben in Sachsen-Anhalt erfolgreich nach Kalisalz gebohrt hat.

Als der erste Förderschacht im Jahr 1878 angeschlagen wird, ziehen sich die Engländer aus dem Vorhaben zurück, Schmidtmann führt das Unternehmen jedoch erfolgreich weiter und lässt noch weitere sechs Schächte bohren. Kalisalz (oder kurz Kali) ist eine fossile Ablagerung verschiedener Salzminerale mit einem hohen Gehalt an Kaliumverbindungen. Der Mineralstoff Kalium ist ein Hauptelement der Pflanzenernährung und verstärkt bei Pflanzen die Stoffwechselprozesse. Dadurch wird das Wachstum der Pflanzen gefördert. Schmidtmann hat auf das richtige Pferd gesetzt und kann nun durch Nichteinhaltung von Konventionen und Beschränkungen ein Kalisyndikat errichten, das ihm in Europa eine absolute Vormachtstellung bringt. In der Wirtschaft gilt er mit seinen unternehmerischen Maßnahmen als Außenseiter, doch sein Reichtum steigt für damalige Verhältnisse ins Unermessliche. Denn die Landwirtschaft kann jetzt durch den Einsatz von Kali und Thomasmehl die Hektarerträge verdoppeln.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts dominiert Schmidtmann den gesamten Düngemittelmarkt der USA, Russlands, Deutschlands und der österreichischen k. u. k. Monarchie. Schmidtmann ist jetzt so vermögend, dass er ständig 40 Millionen Goldkronen flüssig hat. Der Milliardär ist mit der Schweizerin Josefine Bürgi verheiratet und hat mit ihr zwei Kinder: Sohn Waldemar und Tochter Florence.

Die ungeheure Ausweitung seines Unternehmens hält Schmidtmann nicht davon ab, auch privat viel zu reisen. So kommt er 1886 erstmals zur Erholung nach Lofer, ist sofort von der Gegend begeistert und pachtet die Gemeindejagd von Lofer. Im Jahr 1890 kauft er von der Familie Josef und Anna Faistauer, den Eltern des später berühmten Malers Anton Faistauer, das Gut Grubhof mit seinen Nebengebäuden, reißt es bis auf die Grundmauern ab und beauftragt den Architekten Josef Wessicken (s. Kap.: Josef Wessicken) und den Salzburger Baumeister Ceconi, ein dreigeschoßiges Schloss im spätgotischen Stil zu errichten.

Zudem stattet er das Schloss im ersten Stock mit wertvollen Gemälden aus. Er erwirbt auch das Gut Oberrain in Unken, das er ebenfalls zu einem prächtigen Schloss ausbauen lässt und es schließlich seiner Tochter Florence als Hochzeitsgeschenk überträgt.

Schmidtmanns Ziel ist es aber nicht nur, prachtvolle Herrensitze zu errichten, er hat wesentlich hochfliegendere Pläne. Er kauft im Saalachpinzgau zwischen Unken und Hinterthal viele Bauerngüter auf und kann durch den Einsatz seines Kunstdüngers die landwirtschaftliche Produktion wesentlich erhöhen. Denn die Bauern hatten ihre Felder bisher ausschließlich mit Mist und Jauche gedüngt. Insgesamt erwirbt der Unternehmer 41 Bauernhöfe oder Gutsbestände. Darunter befinden sich der Brandlhof bei Saalfelden, das Stoißengut in den Hohlwegen, die Bachwinkelgüter und große Teile von Hinterthal, die sich zum Teil heute noch im Besitz seiner Nachkommen befinden.

Durch die Einfuhr von großen Mengen an Kalium und Thomasmehl erringt der Unternehmer im Pinzgau bald eine landwirtschaftliche Monopolstellung. Seine Bauernhöfe werden zu Mustergütern. Die dynamische Ankaufspolitik des Kunstdünger-Millionärs findet natürlich nicht die Zustimmung vieler kleinerer Landwirtschaftsbetriebe. Schon damals liest man in der heimischen Presse vom „Ausverkauf der Heimat“. Durch Schmidtmanns Ankaufspolitik kommt zwar viel Geld in den Pinzgau, doch gleichzeitig verlieren viele der verschuldeten Bauern ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit. Insgesamt umfasst der Schmidtmann’sche Grundbesitz schließlich 7 000 Hektar.

Da Schmidtmann der Jagdleidenschaft frönt, pachtet er 30 000 Hektar Jagdgründe im Pinzgau, wozu das gesamte Gebirgsmassiv des Steinernen Meeres gehört. Dazu beschäftigt er 64 Jäger, um das gesamte Gebiet jagdwirtschaftlich zu betreuen.

Die Reaktion der stets selbstbewussten Pinzgauer, die sich durch den Eindringling aus Deutschland bedroht fühlen, führt zu Forderungen an den Salzburger Landtag, aber auch an den Reichsrat in Wien. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende galoppierende Inflation zwingt allerdings die Familie Schmidtmann, später wieder einen großen Teil der landwirtschaftlichen Betriebe abzustoßen.

Ein persönliches Anliegen ist für Schmidtmann die Aufzucht und Veredelung der Pinzgauer Rinderrasse. Sein Gutsverwalter Heinrich Gierth versucht als erster, durch eine strenge Zuchtauswahl die Produktionskraft des Pinzgauer Rindes zu stärken. Da dies bald zu erheblichen Erfolgen führt, wird Gierth schließlich vom Land Salzburg als Tierschutzinspektor angeworben.

Auch der Pferdezucht gilt Schmidtmanns Liebe, speziell den Norikerpferden. Zur Heimat seiner „braunen Lipizzaner“ wird der Brandlhof in den Pinzgauer Hohlwegen bei Saalfelden, denn die „weißen Lipizzaner“ sind ausschließlich dem Kaiserhaus vorbehalten. Auch im Getreide- und Obstanbau setzt der innovative Unternehmer auf neue Produktionsmethoden und stellt in Lofer große Glashäuser auf, in denen er im Winter Erdbeeren, Weintrauben und Gurken züchtet, die er sodann an den deutschen Kaiser liefern lässt.

Für das Pinzgauer Saalachtal sind sein fortschrittlicher Geist und seine unternehmerische Energie von großem Nutzen, denn er lässt von Lofer nach Hinterthal die erste Telefonleitung bauen und für den Grubhof das erste Elektrizitätswerk im Pinzgau errichten. Mit dem Flatscherbauern Jakob Herbst schließt er für immerwährende Zeiten einen Vertrag zur Errichtung einer Wasserleitung vom Kramerhaus bis Oberrain in Unken.

Hermann Schmidtmann stirbt im Jahr 1919 mit 78 Jahren und wird im Park des Schlosses Grubhof bestattet. Den amerikanischen Besitz erbt Sohn Waldemar, die europäischen Güter die Tochter Florence, die mit General Arno von Poser und Groß Naeditz verheiratet ist. Das Testament Hermann Schmidtmanns enthält nicht weniger als 74 Grundbucheintragungen allein im Saalach-Pinzgau und im angrenzenden Tirol (Waidring).

Nach dem Ersten Weltkrieg bleibt das Schloss Grubhof weitgehend ungenutzt. Im Jahr 1956 geht das prachtvolle Gebäude im neugotischen Stil zu je einem Drittel an die Töchter von Florence Poser, Hildegard Wolff, Maria Spitzy und Florence Schandl-Dachmann. Leider wird der Park des Schlosses später durch die Errichtung moderner Apartmenthäuser verbaut und als Ferienwohnanlage einer Tiroler Time-Sharing-Gesellschaft geführt.

Das Schloss Oberrain wird dem mit der Familie befreundeten Rittmeister Erwin Sochatzky und dessen Frau überlassen, die daraus einen Hotelbetrieb machen, der bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges ein internationales Publikum anzieht. Im Jahr 1957 kauft die Salzburger Landesregierung Schloss Oberrain und übergibt es der Gesellschaft „Rettet das Kind“, die Jugendliche mit Behinderungen auf ein möglichst selbstständiges Privat- und Berufsleben vorbereitet.

ERZHERZOG LUDWIG VIKTOR VON HABSBURG
1842–1919
Der verbannte Habsburger im Schloss Kleßheim

Der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Ludwig Viktor, als Kind liebevoll „Luziwuzi“ genannt, hat es am Habsburgerhof in Wien nicht leicht. Er gilt als exzentrischer Sonderling und äußerst schwieriger Charakter. Er kann sehr charmant sein, ist aber wegen seiner scharfen Zunge gefürchtet. Die Fürstin Nora Fugger lästert über ihn, er sei „weder militärisch noch kunstverständig, schwächlich, unmännlich, geziert und von garstigem Äußeren“. Noch abschätziger beurteilt ihn Kaiserin Elisabeth: „Ekelhaft ist mir der Affe/boshaft wie kein andres Vieh/hässlich, wie es anzuschauen/ist sein Maul auch lästerhaft.“

Kaiser Franz Joseph muss sich in seinem Herrscherhaus noch mit anderen schrulligen Erzherzögen herumschlagen. Einer davon ist Leopold (geb. 1868 als Sohn von Ferdinand IV.), der zunächst die Tochter eines Zuckerbäckers liebt, später mit der Prostituierten Wilhelmine Adamovic ein Verhältnis hat und schließlich Maria Magdalena Ritter, die er von ihrem Zuhälter freigekauft hat, heiratet. Dem „schönen“ Erzherzog Otto Franz Josef wird nachgesagt, dass er betrunken und nackt durch das Hotel Sacher spaziert sei. Als wahrhafter Aussteiger erweist sich Erzherzog Ludwig Salvator, der mit seiner Dampfyacht „Nixe“ über das Mittelmeer segelt und kulturhistorische Bücher schreibt. Er schwimmt nackt und schläft unter freiem Himmel, trägt abgenutzte Kleidung – und das trotz einer jährlichen Apanage von 100 000 Kronen. Die Seitensprünge der Habsburger sind wohl das Ergebnis der Heiratspolitik, denn Liebesheiraten sind nicht vorgesehen. Zudem sind einige der Erzherzöge unterfordert, denn sie bekommen vom starrsinnigen Kaiser keine politischen Aufgaben. Das fördert das Bestreben, das enge Herrschaftskonzept zu sprengen.

Tatsächlich dürften es jedoch Ludwig Viktors homosexuelle Neigung gewesen sein, die seine Position am Wiener Hof untergraben. Kaiser Franz Joseph und Elisabeth versuchen zunächst, ihm Sophie aus dem Hause der Wittelsbacher als Ehegattin zuzuführen. Doch diese lehnt dankend ab, was seine Selbstachtung schwer verletzt. Ludwig Viktors Bruder, Kaiser Maximilian von Mexiko, hat keine rechtmäßigen Erben und will daher „Luziwuzi“ zu einer Heirat mit der Tochter des brasilianischen Kaisers Pedro II. bewegen. Somit wären Mexiko und Brasilien Teil einer großen, transatlantischen Habsburgermonarchie. Doch dann wird Maximilian 1867 erschossen und die Geschichte läuft in ganz andere Bahnen. Luziwuzis Eskapaden weisen aber auch in die ganz andere Richtung. Denn von der Tänzerin Claudia Couqui erhält er ein Billett, in dem sie ihm für eine gemeinsame Nacht dankt.

Als Ludwig Viktors homophile Neigungen aber immer öffentlicher werden und zu Skandalen führen, muss der Kaiser handeln. So soll sich Ludwig Viktor im Wiener Centralbad in der Weihburggasse einem Offizier derart anzüglich genähert haben, dass dieser ihn ohrfeigt. Der Salzburger Historiker Ernst Hanisch hat darauf verwiesen, dass in ganz Europa damals, später verstärkt durch den Prozess um den irischen Dichter Oscar Wilde, eine homophobe Panik ausgebrochen sei. Der exzentrische Sonderling muss daher vom Wiener Hof entfernt werden. Kaiser Franz Joseph entscheidet daraufhin bereits 1861, dass Ludwig ihn in Salzburg vertreten solle, wohin man bereits die Witwe des Kaisers Franz I., Caroline Auguste, abgeschoben hatte. Ludwig residiert nun im Schloss Kleßheim. Da dieses aber im Winter kaum beheizbar ist, lässt er vom Architekten Heinrich von Ferstel, dem Erbauer der Votivkirche und des Hauptgebäudes der Universität Wien, das sogenannte Winterschloss erbauen, besser bekannt als Kavalierhaus. Dieses wird bis ins Detail blau-weiß eingerichtet, von den Teppichen und Tapeten über das Porzellan bis zum Zigarrenlöscher und der Nagelfeile. Ferstel baut für ihn auch im Renaissancestil das Palais am Schwarzenbergplatz in Wien.

Die neue Umgebung und die fehlenden Zwänge des habsburgischen Hofes lassen Ludwig Viktor zu einem neuen Menschen werden. Statt der bislang gezeigten Überheblichkeit und seines menschenverachtenden Witzes zeigt er nun Interesse und Anteilnahme an den Menschen. Aus dem unbeliebten, geradezu Verachteten wird ein Mitfühlender und großer Mäzen für Salzburg. Aufgrund seines Sinneswandels beruft ihn Kaiser Franz Joseph nun zum Vorsitzenden des neu gegründeten Roten Kreuzes. Ludwig Viktor selbst spendet 10 000 Gulden und bereist fast das gesamte Habsburgerreich, um die Einrichtungen des Roten Kreuzes zu inspizieren und zu verbessern.

Als im Jahr 1899 eine Hochwasserkatastrophe große Teile der Stadt Salzburg verwüstet, öffnet er großzügig Schloss und Park von Kleßheim für eine Wohltätigkeitsveranstaltung und spendet selbst eine große Summe zur Linderung der Katastrophe. Ludwig tritt auch für eine unentgeltliche Krankenbehandlung in Spitälern ein, unterstützt Witwen und Waisen, richtet Armenküchen für Obdachlose ein und fördert karitative Vereine.

Sehr regen Anteil nimmt Ludwig am Kulturleben der Stadt Salzburg und wird zu einem der wichtigsten Förderer des Kunstschaffens. Daher ist er auch Protektor des neu gegründeten Salzburger Kunstvereins und des entstehenden Künstlerhauses. Er fühlt sich auch der Gemeinde Siezenheim sehr verbunden. So ist die Gründung der Volksschule Siezenheim eine Schenkung des freigiebigen Erzherzogs. Im Verlauf der vier Jahrzehnte, die er als „Verbannter vom Wiener Hof“ in Salzburg lebt, tut er mehr für die Stadt und deren Bevölkerung als jemals ein Habsburger vor oder nach ihm.

Die Homosexualität eines Mitglieds des Herrscherhauses gibt aber immer noch Anlass zu Spekulationen. Da homosexuelle Handlungen auch zu Erpressung führen können, fürchtet das Militär dahinter auch Spionage und Verrat. Daher wird den in Salzburg stationierten Offizieren verboten, Einladungen des Erzherzogs wegen dessen „unnatürlicher Neigungen“ anzunehmen.

In den letzten Lebensjahren wird beim Erzherzog Ludwig Viktor geistige Umnachtung festgestellt. Er lebt nun völlig zurückgezogen unter Kuratel in seinem Schloss Kleßheim, wo er am 18. Jänner 1919, wenige Wochen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stirbt. Seinem Wunsch gemäß wird er nicht in der Kapuzinergruft, sondern am Ortsfriedhof von Siezenheim bestattet. Der schlichte Grabstein trägt keinen Namen, sondern einen persönlich verfassten Dankesgruß an seinen Kaiser und seine Freunde:

„Meinem Kaiser (Franz Josef I.) Dank!

Die Seele Gott – in Buß’ und Reue,

Der starren Erde meine Hülle –

Dafür, was sie mir einst im Leben,

Den Dankesgruß an meine Freunde,

Und all den Blinden mein Vergeben,

Die, – unverdient, mir etwa Feinde.

18. Jänner 1919.“

IRMA VON TROLL-BOROSTYÁNI
1847–1912
Die Vorkämpferin der Frauenemanzipation in Salzburg

Irma von Troll-Borostyáni ist im stockkonservativen Salzburg der Jahrhundertwende, insbesondere für die patriarchal dominierte Männerwelt, ein Schreckgespenst. Schon ihre äußere Erscheinung ist im klerikal-konservativen Salzburg eine Herausforderung.

„Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, muss wetten und wagen, das Glück zu erjagen. Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder und herrschet weise im häuslichen Kreise.“

So schreibt Friedrich Schiller in seiner Ballade „Das Lied von der Glocke“, das Generationen von Schulkindern auswendig lernen müssen. Während der Philosoph, Ökonom und Politiker John Stuart Mill in seinem 1869 erschienenen Werk „The Subjection of Women“ (Die Hörigkeit der Frau) keine der damals festgestellten Unterscheidungen in Wesen und Verhalten von Frauen und Männern als naturgegeben ansieht, da das meiste ein Produkt von Erziehung und gesellschaftlichen Strukturen sei, herrscht im übrigen Europa noch die vormoderne Gesellschaftsstruktur. „Gut erzogen galt damals bei einem jungen Mädchen für vollkommen identisch mit lebensfremd, und diese Lebensfremdheit ist den Frauen jener Zeit manchmal für das ganze Leben geblieben […] Durch diese lebensfremde Erziehung von vornherein bestimmt, in der Ehe dann willenlos vom Manne geformt und geführt zu werden, schreibt Stefan Zweig in seinem Erinnerungsbuch „Die Welt von Gestern“.

Irma von Troll-Borostyáni hingegen trägt Männerkleidung und einen Kurzhaarschnitt, Hemden mit Stehkragen und Masche und raucht in der Öffentlichkeit Zigarren. Sie polemisiert gegen die weibliche Erziehung und den damals einzig möglichen Beruf der Frau als Gattin. Sie fordert eine bestmögliche Ausbildung für Mädchen als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und kämpft gegen die Prostitution. Einer ihrer Kernsätze ist: Ich fühle mich unfähig, weiblich zu sein.“ Ihr maskulines Gehabe sorgt bei der spießigen Bürgerschaft der Kleinstadt Salzburg für gehörige Erregung.

Marie von Troll (so ihr Geburtsname) wird als jüngstes von vier Kindern des Zollbeamten Otto Ritter von Troll und seiner Frau Josefine von Appeltauer am 31. März 1847 im Baumeister-Rauscher-Haus in der Griesgasse 4 in Salzburg geboren. Da es für Mädchen keine Ausbildung in Gymnasien oder an der Universität gibt, bleibt nur das Benediktinerinnenkloster am Nonnberg als Ausbildungsstätte. Nach zwei Jahren im klösterlichen Ausbildungsbetrieb erkrankt das Mädchen an einem heftigen Nervenfieber. In ihrer Ablehnung des stockkonservativen weiblichen Rollenbildes lässt sie sich nun die Haare kurz schneiden und trägt fortan Männerkleidung. Sie nennt sich nun Irma, um sich von ihrem bisherigen Dasein radikal zu distanzieren. Als der Vater 1866 plötzlich stirbt, hat Marie die Wahl zwischen einer Heirat oder dem Leben als Gouvernante. Sie will Schauspielerin werden, was jedoch von ihrer Mutter und ihren Brüdern abgelehnt wird. So lässt sie sich in Wien zur Pianistin ausbilden. Neben ihrer musikalischen Ausbildung verfasst sie in der Bundeshauptstadt unter den Pseudonymen Leo Bergen oder Veritas Skizzen und Essays für diverse Tageszeitungen.

Da sie sich besonders für die Situation unterprivilegierter Frauen interessiert, geht sie in Männerkleidern und in Begleitung eines Freundes in die Wiener Prostituiertenviertel, um die Situation der Sexarbeiterinnen aus eigener Anschauung kennenzulernen. Die Prostitution ist für sie Zeichen bürgerlicher Doppelmoral und männlicher Herrschaft. Die Prostituierten rekrutieren sich vor allem aus Arbeiterinnen, die sich vor dem Verhungern retten wollen.

„Die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen im Allgemeinen und die noch ungünstigere der arbeitenden Frau führen der gewerbsmäßigen Prostitution ihre Opfer zu. Nicht ihre angeborene Lasterhaftigkeit, nicht ihr freier Wille, sondern die Peitsche des Hungers treibt sie auf die Straße, um dem nächstbesten Vorüberziehenden für ein Abendessen ihren Leib zu verkaufen“ (Die Prostitution vor dem Gesetz, zit. nach Gürtler, 196).

Ihre essayistische Arbeit steht deutlich im Vordergrund, während ihre literarische Tätigkeit vorwiegend der Popularisierung ihrer sozialpolitischen Bestrebungen und dem Gelderwerb dient. Sie ist eine der radikalsten Denkerinnen, die nicht nur für die Gleichstellung der Frau kämpft, sondern sie verlangt grundsätzlich eine Erziehung der Kinder durch den Staat und außerhalb der Familie, weil die familiäre Struktur der Familien sehr unterschiedlich ist und nur wohlhabende Familien sich die Erziehung der Kinder durch Hauslehrer und gebildete Gouvernanten leisten können.

In Budapest lernt Irma den Journalisten Nandor Borostyáni kennen, den sie heiratet. Der Ehe entstammt eine Tochter, die allerdings nach drei Jahren an Diphtherie stirbt. Da ihr Gatte beruflich sehr viel in Paris engagiert ist, entwickelt sie sich zunehmend zu einer streitbaren Vertreterin der Frauenemanzipation. Im Jahr 1878 erscheint ihr erstes Buch „Die Mission unseres Jahrhunderts – eine Studie über Frauenfragen“.

In diesem Hauptwerk stellt sie fünf Forderungen für eine humanere Form der Gesellschaft auf: Sie drängt auf die politische und soziale Gleichstellung der Geschlechter, die vollkommene und unbedingte Lösbarkeit der Ehe, die Abschaffung der Prostitution, die Reform der Jugenderziehung beider Geschlechter und die Erziehung der Kinder in staatlichen Institutionen:

„Selten dringt ein Schmerzensschrei des Weibes an die Öffentlichkeit. Die Frau hat es gelernt zu lächeln, während erstickte Tränen ihr das Herz zusammenpressen. An wen sollte sie sich mit ihren Klagen wenden? An die Frauen? Die haben nicht die Macht, ihr zu helfen. An den ritterlichen Schutz des Mannes? Der Mann erweist der Frau nur dann gern Gefälligkeiten, wenn er als deren Lohn sich durch die Frau Vorteil oder Genuss verschaffen kann. An den Staat? Ach, der Staat ist es ja eben, der die Gesetze schuf, welche die Frau der Gewalt des Mannes überliefern“ (Die Mission unseres Jahrhunderts, 58).

Zusätzlich tritt sie vehement für das Wahlrecht für Frauen ein. Sie fordert auch eine Reform der Frauenkleidung in ihrem Pamphlet „Das Weib und seine Kleidung“. Darin lehnt sie das „Panzermieder und die zu engen Schuhe als Verstümmelung der Füße ab: „In der Geschichte der menschlichen Verstandesschwäche gebührt dem Kapitel der weiblichen Kleidung eine hervorragende Stelle.“

In Ergänzung und zur Untermauerung ihrer Forderungen schreibt sie neben ihren sozialpolitischen Texten Romane und Novellen. Insgesamt erscheinen von ihr zu Lebzeiten 19 Bücher. In ihren erzählerischen Werken tritt ganz deutlich ihre Liebe und Sorge für die Entrechteten und Ausgebeuteten zutage. Bekannt wird sie einer breiteren Leserschaft vor allem durch ihren Roman „Aus der Tiefe“ (1892).

Troll-Borostyáni hat auch mit zahlreichen Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen engen Kontakt. Mit der Friedennobelpreisträgerin Bertha von Suttner und den Frauenrechtlerinnen Auguste Fickert, Adelheid Popp und Rosa Mayreder hat sie jahrelang regen Briefkontakt. Bertha von Suttner nennt ihre „Gesinnungsschwester“ eine der „tiefsten Denkerinnen aller Zeiten“.

Nach zwölf Jahren kehrt Irma von Troll-Borostyáni im Jahr 1882 nach Salzburg zurück, da ihre Mutter sterbenskrank ist. Irma zieht gemeinsam mit ihrer ebenfalls feministisch engagierten Schwester Wilhelmine in das Haus Riedenburgstraße 7 ihrer drei künstlerisch begabten Freundinnen Helene, Johanna und Maria Baumgartner ein, wo sie bis zu ihrem Tode wohnt. Alle fünf Frauen sind mit ihrer Wohngemeinschaft und ihren künstlerischen, feministischen und sozialpolitischen Engagements gesellschaftliche Außenseiterinnen in der Stadt. Zu Irmas Freundinnen zählen auch die künstlerisch tätigen Schwestern Esinger, die in ihrem Haus am Mönchsberg in ähnlicher Art ihr alternatives Lebensmodell zu der herkömmlichen bürgerlichen Art verwirklichen. Ihren Mann dürfte sie nie mehr getroffen haben.

Eine Zeitlang ist Irma von Troll-Borostyány auch Mitglied der im Jahr 1897 gegründeten Künstlergruppe PAN, zu der auch der Musiker August Brunetti-Pisano und Georg Trakl gehören. Die Vereinigung setzt sich zum Ziel, die kulturkonservative Struktur der Stadt aufzubrechen.

Die Troll-Schwestern Wilhelmine und Irma sind aber auch begeisterte Bergsteigerinnen, die es wagen, den Großglockner zu bezwingen. Doch im Jahr 1900 erleidet Irma einen schweren gesundheitlichen Rückschlag mit Herzbeschwerden, Atemnot und einem Nervenleiden. Ausschlaggebend dafür dürften existenzielle finanzielle Sorgen gewesen sein. Als ihr Mann Nandor im Herbst 1902 stirbt, bessert sich die Lage. Sie kann nun Kuraufenthalte in Hofgastein und am Gardasee absolvieren. Im Alter von 65 Jahren stirbt die kämpferische Frauenrechtlerin am 10. Februar 1912. Auf ihrem Grabstein steht: „Die tapfere Bahnbrecherin der Frauenbewegung“. Das Grab auf dem Salzburger Kommunalfriedhof ist jedoch aufgelassen und seit vielen Jahren von einer anderen Salzburger Familie belegt. Seit 1995 vergeben Land und Stadt Salzburg für frauenrechtliches Engagement den Troll-Borostyáni-Preis.

Бесплатный фрагмент закончился.

1 617,18 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
411 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783702580865
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

18+
Эксклюзив
Черновик
4,9
37
Эксклюзив
Черновик
4,7
241