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Das GeldGeld ist, wie sein theoretischer Reflex, die rationalistische Weltauffassung, eine SchuleSchule des neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens von IndividualitätIndividualität gegen die traditionellen Mächte der Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang prägt SimmelSimmel, Georg die paradoxe Formel von der „Majorisierung des Einzelnen“. Das Geld besitzt eine individualistische Komponente: Es ‚objektiviert‘ zwar die „impulsiv-subjektivistischeSubjektivismus, subjektivistisch“ „in überpersönliche und sachlich normierte Verfahrungsweisen“, aber es gibt dem Einzelnen überlegene Strategien an die Hand, seinen Willen und seine Ziele durchzusetzen. Der „kommunistische“ Charakter des Geldes, den SimmelSimmel, Georg ironisch, aber zugleich ganz ernst gemeint, gegen den SozialismusSozialismus seiner ZeitZeit setzt, ergibt sich hingegen aus dem „nivellierten“ Charakter des Geldes, für das alles gleichgültig (im Doppelsinn des Wortes) und allgemein mitteilbar ist. Das Geld macht alles theoretisch für alle zugänglich, es ist „allgemein mittelbar“.24

Andy WarholWarhol, Andy, ein praktischer Soziologe mit künstlerischen Mitteln, hat dies ganz ähnlich gesehen wie SimmelSimmel, Georg. Er hat sich mit massenwirksamen Symbolen beschäftigt, so auch mit Hammer und Sichel, dem SymbolSymbol des offiziellen marxistischenMarxismus, marxistisch KommunismusKommunismus. Diesem hat er die Cola-Flasche gegenübergestellt, die er – so ironisch wie unironisch – als ein unsentimentales SymbolSymbol einer demokratischenDemokratie, demokratisch PopularkulturPopularkultur gefeiert hat: Jeder, auch die Queen trinkt Coca Cola, textet WarholWarhol, Andy in seiner Hommage auf den KommunismusKommunismus der verallgemeinerten Geldkultur, jeder trinkt unabhängig von Herkunft, GeschlechtGeschlecht (Gender), Geschlecht-, und KlasseKlasse Coca Cola.25

Die Geldkultur ist, wenn man sie seitlich anleuchtet, also durchaus attraktiv, gerade weil sie individualistische und ‚kommunistische‘, d.h. egalitäre Momente miteinander verknüpft. Nicht, weil die USA der mächtigste Staat dieser Welt sind, sondern weil die Vereinigten Staaten diesen Kommunismus des GeldesKommunismus (des Geldes)Geld – mit all seinen Facetten – perfekt zu verkörpern scheinen (denn die gesellschaftlicheGesellschaft, gesellschaftlich Realität dürfte sich von diesem Selbst- und FremdbildFremdbild unterscheiden), ist Amerika, ungeachtet eines weltweiten Anti-Amerikanismus, jene Kultur des Westens, die noch immer die mächtigste Anziehungskraft auf breite Schichten der außeramerikanischen Welt ausübt, eben weil sie beides verspricht, IndividualitätIndividualität und egalitären Konformismus.

Aus diesen beiden gegenläufigen Momenten ergibt sich eine weitere Form des modernenModerne, modern, -moderne LebensstilsLeben, Lebens-, -leben, der Atomismus der modernen GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich. Die Masse tritt in dieser Kultur höchst selten in geballter Form, als Mega-KörperKörper, körperlich auf, wie es die diversen MassentheorienMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen- marxistischer, psychoanalytischer und kulturanthropologischer Provenienz dargelegt haben, sondern zumeist handelt es sich um eine virtuelle Masse, in der jeder für sich allein ist:

Die Allgemeingültigkeit der Intellektualität ihren Inhalten nach wirkt, indem sie für jede individuelleindividuell Intelligenz gilt, auf eine Atomisierung der GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich hin, sowohl vermittels ihrer wie von ihr aus gesehen erscheint jeder als ein in sich geschlossenes Element neben jedem anderen, ohne dass diese abstrakte Allgemeinheit irgendwie in die konkrete überginge, in der der Einzelne erst mit den anderen zusammen eine Einheit bildete.26

SimmelSimmel, Georg zählt weitere Charakteristika auf, die mit den oben beschriebenen Tendenzen direkt zusammenhängen. Für den heutigen Leser ist die Mischung aus Vertrautem und Befremdlichem verblüffend. So spricht SimmelSimmel, Georg von der modernenModerne, modern, -moderne Kultur als einer Kultur des Messens, was sich im Umgang mit GeldGeld aber auch mit ZeitZeit sinnfällig demonstriert. In der modernen Kultur dominiert das Phänomen der Verflüssigung, des Prozessualen, demgegenüber das Statische und das Produkt zurücktreten. SimmelSimmel, Georg zufolge handelt es sich dabei um eine „Verdichtung der rein formalen Kulturenergie, die jedem beliebigen Inhalt zugeordnet werden kann“.

Ziehen wir eine erste Zwischenbilanz, so lässt sich sagen, dass SimmelsSimmel, Georg Analyse in der Tat einem kulturellen MaterialismusMaterialismus verpflichtet ist, der bestimmte Denkformen, Haltungen und LebensformenLeben, Lebens-, -leben, das Hervortreten neuer symbolischer FormenFormen, symbolische wie der modernenModerne, modern, -moderne KunstKunst, Kunstwerk vornehmlich nicht dem Entstehen neuer Ideen und Konzepte zuschreibt. Deren Durchsetzung ist nur möglich mittels der medialen Eigendynamik des GeldesGeld. Von allen Medien ist Geld das kulturell nachhaltigste und durchschlagendste. Alle nachfolgenden technischen KommunikationsmedienMedien, Medien-, -medien, medien- tragen dessen StrukturStruktur, strukturiert, strukturell in sich. Aus dieser Perspektive sind politische Phänomene wie Pazifismus, FeminismusFeminismus sowie politischer und sozialer Egalitarismus nicht so sehr geistesgeschichtliche Ereignisse, sondern Effekte der modernen, von der Struktur des Geldes bestimmten Lebensstilkultur. Die Devise des amerikanischen MedientheoretikersMedien, Medien-, -medien, medien- Marshall McLuhan The medium is the message gilt ganz besonders für das Geld.27

Der Pazifismus z.B. ist in dieser Argumentation nur möglich, weil die moderneModerne, modern, -moderne Kultur die Tendenz beinhaltet, weltanschauliche Gegensätze zurückzustellen, und einen Menschentypus hervorbringt, der seinem ganzen Verhaltenskodex nach versöhnlich ist. Der FeminismusFeminismus ist nicht zuletzt auch das Ergebnis eines Egalitarismus, der im GeldGeld verankert ist und der GleichgültigkeitGleichgültigkeit mit sich bringt. Unter den Bedingungen des ‚Kommunismus‘ des GeldesKommunismus (des Geldes) ist jedes IndividuumIndividuum ein gleichberechtigter Konsument, unabhängig von seinen spezifischen und inneren Besonderheiten, von denen die moderne Kultur ebenso wie das Geld abstrahiert.

Bezeichnend ist SimmelsSimmel, Georg extreme AmbivalenzAmbivalenz: Man kann seine Beschreibung der modernenModerne, modern, -moderne westlichen, durch das MediumMedium GeldGeld gesteuerten Kultur wie ein Kippbild betrachten. Dann sehen wir auf der einen Seite das positive SelbstbildSelbstbild unserer gegenwärtigen Kultur – des LebensLeben, Lebens-, -leben, der PolitikPolitik und der Künste – und auf der anderen Seite jene problematischen Aspekte, die stets – um mit FreudFreud, Sigmund (→ Kap. 2) zu sprechen – „Unbehagen“ hervorrufen (RelativismusRelativismus, relativ, Zynismus, Egoismus, Verlust an sozialer Verbindlichkeit usw.). Die radikale Pointe dieser Ambivalenz liegt indes darin, dass SimmelsSimmel, Georg Analyse der modernen Kultur uns zwingt, uns einen Spiegel vorzuhalten, in den wir üblicherweise nicht schauen mögen. Denn bei aller Attraktivität der modernen Kultur möchten wir uns nicht als Menschen begreifen, die maßgeblich von der Kultur des Geldes geprägt und habitualisiert sind. In diesem Sinn zieht SimmelSimmel, Georg eine verfängliche Bilanz; auf befremdliche Weise führt er uns unsere Kultur in ihrer latenten Programmatik vor, ohne in antimodernistische Ressentiments zu verfallen, die nahezu alle kulturrevolutionären oder -konservativenkonservativ Bewegungen des abgelaufenen Jahrhunderts begleitet und die verfängliche, aber auch korrigierende Wirkungen hervorgebracht haben. Was SimmelSimmel, Georg offenkundig anstrebt, ist eine möglichst ungeschminkte und distanzierte Form der Diagnose. Im Gegensatz zu FreudFreud, Sigmund richtet sich das nicht so benannte „Unbehagen“ in der Philosophie des Geldes nicht gegen die Kultur schlechthin, sondern gegen eine ganz spezifische Kultur: die Welt der westlich-kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Kultur und ihre Universalität. Dieses Unbehagen findet seine symbolische ‚Nahrung‘ in den Gegenwelten anderer, vor allem außereuropäischer Kulturen (→ Kap. 2).

Diese moderneModerne, modern, -moderne LebenskulturLeben, Lebens-, -leben beschreibt sehr neutral und im Unterschied zur marxistischenMarxismus, marxistisch Diagnose die EntfremdungEntfremdung als eine „Kultur der DingeDinge (Kultur der)“:28

[…] die DingeDinge, die unser LebenLeben, Lebens-, -leben sachlich erfüllen und umgeben, Geräte, Verkehrsmittel, die Produkte der Wissenschaft, der TechnikTechnik, -technik, der KunstKunst, Kunstwerk – sind unsäglich kultiviert; aber die Kultur der Individuen, wenigstens in den höheren Ständen, ist keineswegs in demselben Verhältnis vorgeschritten, ja vielleicht sogar zurückgegangen.29

Die Schere zwischen dem technischen FortschrittFortschritt im Bereich der Welt und dem kulturellen Fortschritt des Menschen klafft auseinander. An diesem Punkt stimmt SimmelsSimmel, Georg Skepsis mit jener FreudsFreud, Sigmund überein. Das Problem sind nicht die DingeDinge, sondern die Menschen, die mit dem technischen Fortschritt in der Welt der Dinge nicht zu Rande kommen. Der Ausdruck „Kultur der DingeDinge (Kultur der)“ hat bei SimmelSimmel, Georg eine dreifache Bedeutung:

 Anwachsen der Welt der DingeDinge und Gerätschaften (TechnikTechnik, -technik, moderneModerne, modern, -moderne MassenprodukteMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen-),

 zunehmendes Dazwischentreten von rationalen, sachlichen und ‚objektivenobjektiv, Objektiv-‘ Mitteln und MedienMedien, Medien-, -medien, medien- zur Durchsetzung individueller Interessen (GeldGeld: „die allgemeinste TechnikTechnik, -technik des äußeren LebensLeben, Lebens-, -leben“),

 Versachlichung des modernenModerne, modern, -moderne LebensLeben, Lebens-, -leben.

Die Bedeutung der KunstKunst, Kunstwerk in der ModerneModerne, modern, -moderne liegt darin, dass sie die widersprüchliche Kultur der DingeDinge (Kultur der) und der Stilisierung vorführt. Die moderne Kunst ‚zeigt‘, wie die künstliche Welt von heute funktioniert. Sie ist nicht ihr Anderes, sondern ihr expliziter Ausdruck (gerade in ihren avancierten Formationen):

Alle KunstKunst, Kunstwerk verändert die Blickweite, in die wir uns ursprünglich und natürlich zu der Wirklichkeit stellen. Sie bringt sie uns einerseits näher, zu ihrem eigentlichen und innersten Sinn setzt sie uns in ein unmittelbares Verhältnis, hinter der kühlen Außenwelt verrät sie uns die Beseeltheit des Seins, durch die es uns verwandt und verständlich ist. Daneben aber stiftet jede Kunst eine Entfernung von der Unmittelbarkeit der DingeDinge, sie läßt die Konkretheit der Reize zurücktreten und spannt einen Schleier zwischen uns und sie, gleich dem bläulichen Duft, der sich um ferne Berge legt. […] die bloße Tatsache ist an sich schon einer der bedeutsamsten Fälle von Distanzierung. Der Stil in der Äußerung unserer inneren Vorgänge besagt, dass diese nicht mehr unmittelbar hervorsprudeln, sondern in dem Augenblick ihres Offenbarwerdens ein Gewand umtun. Der Stil, als generelle Formung des Individuellen, ist für dieses eine Hülle, die eine Schranke und Distanzierung gegen den anderen, der die Äußerung aufnimmt, errichtet.30

Das Lebensprinzip der KunstKunst, Kunstwerk sei, „dass sie uns in eine Distanz von ihnen stellt“.31 Der SubjektivismusSubjektivismus, subjektivistisch des neuen LebensstilsLeben, Lebens-, -leben hat SimmelSimmel, Georg zufolge ein vergleichbares Grundmotiv: Wir gewinnen paradoxerweise ein „innigeres und wahreres Verhältnis zu den Dingen“, indem wir uns in uns selbst zurückziehen und von ihnen abrücken oder die zwischen ihnen und uns bestehende Distanz bewusst anerkennen. Entgegen des erstmals in der romantischen AvantgardeAvantgarde formulierten TraumsTraum, Traum-, -traum von der Wiederherstellung der Einheit von Kunst und LebenLeben, Lebens-, -leben insistiert SimmelSimmel, Georg darauf, dass die Kunst sich immer weiter von diesem ‚LebenLeben, Lebens-, -leben‘ entfernt und sich als eigenes Feld (Kultur III) in der Kultur etabliert und ausdifferenziertAusdifferenzierung, ausdifferenziert (→ Kap. 2).

Den entscheidenden Punkt bildet dabei die Distanz. Wie jeder Besucher von Ausstellungen und Museen weiß, herrscht bei diesen ein generelles Verbot: Noli me tangere. Nicht Berühren. Das gilt für den auferstandenen Christus wie für die modernenModerne, modern, -moderne Werke der Künste, gerade für jene, die die Nähe von KunstKunst, Kunstwerk und LebenLeben, Lebens-, -leben so suggestiv vortäuschen. In seinem Fragment über den Henkel hat SimmelSimmel, Georg diese DifferenzDifferenz mit unbestechlicher Eleganz vorgeführt: Die Vase ist gleichsam ein kultureller HybridHybrid, Hybridität, der in der Kunst-Kultur ebenso beheimatet ist wie in der AlltagskulturAlltag, Alltagskultur, Alltags-. Der Henkel ist das sichtbare Phänomen des praktischen Gebrauchs. Diese Gebrauchsfunktion wird in jenem Moment annulliert, wenn es sich um einen etruskischen, kretischen oder griechischen Krug aber auch um ein ready made handelt, das in einem Museum steht.32 Die Vitrine markiert gleichsam die Durchstreichung der Henkelqualität.

Distanz hat in diesem Zusammenhang also mehrere Aspekte:

 Die KunstKunst, Kunstwerk der klassischen ModerneModerne, modern, -moderne bildet mimetisch die Distanz zwischen Menschen und Dingen und zwischen Menschen und Menschen nach und stellt so eine kulturelle SozialisationSozialisation in die Kultur der Moderne dar.

 Das ArtefaktArtefakte der KunstKunst, Kunstwerk im Kultraum Museum/Ausstellung erhält im Gegensatz zum Gebrauchsgegenstand einen Abstand zum SubjektSubjekt. Es ist das Ding, das sich nicht (so ohne Weiteres) vereinnahmen lässt. Insofern bricht es das selbstverständliche BegehrenBegehren des modernenModerne, modern, -moderne Menschen.

 Diese Widersetzlichkeit schafft dem modernenModerne, modern, -moderne Menschen einen inneren Freiraum, eine Nische.

Gerade durch diese Distanzierung wird „unter günstigen Bedingungen“ „eine Reserve des Subjektiven, eine Heimlichkeit und Abgeschlossenheit des persönlichen Seins“ möglich, eine SubjektivitätSachregisterSubjektivität, subjektiv, die an den religiösenReligion, religiös LebensstilLebensstil früherer ZeitenZeit erinnert, eben dadurch, dass das GeldGeld den modernenModerne, modern, -moderne Menschen die DingeDinge vom Leib hält sowie die „Beherrschung und Auswahl des uns Zusagenden unendlich erleichtert“.33 So führt uns SimmelSimmel, Georg in eigener Person und Sache die Zwiegespaltenheit des modernen Menschen vor.

Mit dem modernenModerne, modern, -moderne Stil des LebensLeben, Lebens-, -leben eng verwandt ist die ModeMode. Sie ist die adäquate Form der Präsentation und RepräsentationRepräsentation des modernen LebensstilsLeben, Lebens-, -leben, indem sie auf geniale Weise konformistisches Verhalten und individualistische Verfügung miteinander verschränkt. Die Mode repräsentiert dabei nicht nur einen bestimmten kulturellen oder gesellschaftlichenGesellschaft, gesellschaftlich Bereich des LebensLeben, Lebens-, -leben, sondern sie ist ein Prinzip, das in alle Bereiche der modernen „nervösen“34 Kultur eindringt. Sie basiert auf der modernen Lebensstilkultur, in der „[…] die großen, dauernden, unfraglichen Überzeugungen mehr und mehr an Kraft verlieren“.35 Sie verkoppelt zwei entscheidende Momente, das (traditionelle) Moment der NachahmungNachahmung mit jenem der Originalität: Der Reiz der Nachahmung besteht darin, dass

[…] sie uns ein zweckmäßiges und sinnvolles Tun auch da ermöglicht, wo nichts Persönliches und Schöpferisches auf den Plan tritt. Man möchte sie das Kind des Gedankens mit der Gedankenlosigkeit nennen. Sie gibt dem IndividuumIndividuum die Beruhigung, bei seinem Handeln nicht allein zu stehen, sondern erhebt sich über den bisherigen Ausübungen derselben Tätigkeit wie auf einem festen Unterbau, der die jetzige von der Schwierigkeit, sich selbst zu tragen, entlastet.36

Der Akzent liegt dabei auf dem „Bleibenden im Wechsel“.37 Für den modernenModerne, modern, -moderne Menschen ist IndividualitätIndividualität ein hohes Gut. Eine solche IdentitätIdentität als IndividuumIndividuum erfordert die fortgesetzte Produktion von DifferenzDifferenz, die für das Phänomen Kultur so charakteristisch ist. Bloße, sichtbare NachahmungNachahmung ist im Fall der individuellenindividuell DifferenzierungDifferenzierung, „des Sich-abhebens von der Allgemeinheit“ kontraproduktiv. Es ist, wie SimmelSimmel, Georg sich ausdrückt, „das [zu] negierende und hemmende Prinzip“. Die ModeMode, die die Setzung von Differenz verspricht, versöhnt zwei DingeDinge, die ansonsten unversöhnlich aufeinander treffen:

 den Konformismus und die Sehnsucht nach Verbindung: „bei dem Gegebenen zu verharren und das Gleiche zu tun und zu sein wie die anderen“,

 das Bedürfnis nach Originalität und Neuerung und die Sehnsucht nach Absonderung und Trennung „zu neuen und eigenen LebensformenLeben, Lebens-, -leben voranschreiten“.38

Die ModeMode ist nun beides. Sie ist die Durchbrechung des bisher Gültigen (DifferenzDifferenz), aber im Gefolge einer vorgegebenen Richtung (NachahmungNachahmung). Ihr Vollzug ist immer ein individueller und das heißt auch – wenigstens formell – ein freiwilliger:

Die LebensbedingungenLeben, Lebens-, -leben der ModeMode als einer durchgängigen Erscheinung in der GeschichteGeschichte unserer Gattung sind hiermit umschrieben. Sie ist NachahmungNachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, sie führt den Einzelnen auf die Bahn, die Alle gehen, sie gibt ein Allgemeines, das das Verhalten jedes Einzelnen zu einem bloßen Beispiel macht. Nicht weniger aber befriedigt sie das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf DifferenzierungDifferenzierung, Abwechslung, das Sich-abheben.39

Die Exponiertheit ist immer eine relativeRelativismus, relativ, die mindestens von einer Gruppe von Menschen getragen wird, die zur neuen ModeMode entschlossen ist:

Die Aufgeblasenheit des Modenarren ist so die Karikatur einer durch die DemokratieDemokratie, demokratisch begünstigten Konstellation des Verhältnisses zwischen dem Einzelnen und der Gesamtheit.40

Die ModeMode ermöglicht einen „sozialen Gehorsam“, der zugleich „individuelleindividuell DifferenzierungDifferenzierung“ ist. Die Menschen fügen sich in ein kulturelles Muster ein, ohne dass dazu Befehl und Gehorsam vonnöten wäre. Diese kongeniale Überbrückung der feindlichen Gegensätze gelingt der Mode durch:

 den unbekümmerten Umgang mit Inhalten, Motiven und Überzeugungen,

 durch ihren zeitlichen – transitorischen – Charakter: „Das Wesen der ModeMode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt […]“ – wenn die Mehrheit auf den Geschmack der jüngsten Mode einschwenkt, ist die Mode längst weiter,

 durch ihre „völlige GleichgültigkeitGleichgültigkeit gegen die sachlichen Normen des LebensLeben, Lebens-, -leben“.41

In ihrem Hang zum Hässlichen und Extravaganten dokumentiert die ModeMode sowohl diese IndifferenzIndifferenz als auch den vermeintlichen Wagemut gegenüber den anderen. Zugleich aber schützt die Mode noch den extravagantesten Auftritt vor dem peinlichen Reflex, den das Ich potenziell bei der Zurschaustellung seiner/ihrer selbst erleidet: der Scham. Ich muss mich nicht schämen, weil es alle anderen – auch – tun. Ich muss mich nicht rechtfertigen, ein Lacanianer, eine Poststrukturalistin oder ein Kulturwissenschaftler zu sein, denn es gibt andere, ich bin Teil eines Trends, einer Mode, die mich schützt. Das gilt übrigens auch für das scheinbare und schiere Gegenteil von Bekleidung: die Nacktheit, die sich als Aura des Natürlichen oder der sexuellenSexuelle, das, sexuell Befreiung seit der letzten Jahrhundertwende großer Beliebtheit erfreut. So ist das Nacktbaden am mediterranen Nudistenstrand (wo es von der ansässigen Bevölkerung bestenfalls toleriert wird, was den Reiz, anders zu sein, beträchtlich erhöht) oder in der Wiener Lobau eine Mode der longe durée, der ich mich anschließen kann (oder nicht), womit sich der Anschluss an eine kulturelle Gruppe eröffnet, die sich als progressiv und sexuell nicht prüde begreift.

Sehr viel riskanter ist es hingegen, gegen den Strom zu schwimmen, etwa als Lehrende oder als Studierender an heißen Sommertagen nackt die Universität zu betreten, denn dafür gibt es bislang keinen Modetrend. Solange diese Einschränkungen wirksam sind, ist – vom Nudistenreservat abgesehen – die Provokation des nackten KörpersKörper, körperlich wirksam, ob in aktionistischen Opern- und Theaterinszenierungen oder als politische Provokation wie weiland an der Frankfurter Universität in den ZeitenZeit der Studentenbewegung, wo durch die Entblößung des Oberkörpers durch weibliche Studierende (en groupe) dem betroffenen Meisterphilosophen T.W. AdornoAdorno, Theodor W. seine mangelnde politische Radikalität und sein traditionelles Frauenbild buchstäblich durch die Präsentation entblößter weiblicher Oberkörper vorgeführt wurde.

Wo die Welt der ModeMode aufhört, beginnt die Welt des riskanten Einsatzes. Das gilt übrigens nicht bloß für die Mode, für Autos, für Architektur, sondern auch für das Denken und die KunstKunst, Kunstwerk. Heute sind die Grenzen zwischen den sogenannten Transavantgarden und der Mode sichtbar fließend geworden. Auch der akademische Betrieb unterliegt mittlerweile diversen Moden. Nicht nur, dass Denkschulen kommen und gehen. Wenn der Einsatz des Computers zum Ausweis von Modernität wird, dann wird die Power-Point-Präsentation zur soziokulturellen Pflicht, unabhängig davon, ob sie medial stimmig ist oder nicht. Sobald dies aber alle Lehrenden tun, verliert die Verwendung des Computers ihren spezifisch luxurierenden Nutzen. Mit dem Einsatz des digitalen Geräts ist nunmehr kein Differenzgewinn zu erzielen. Ähnliches gilt auch für das Denken selbst: Wenn ein innovativesInnovation, innovativ Denken zum AlltagAlltag, Alltagskultur, Alltags- geworden ist, verblasst sein Glanz des Besonderen, das sich abhebt von all den anderen denkmodischen Langeweilern.

Der im Vergleich zu SimmelsSimmel, Georg ZeitZeit heute überwältigende PluralismusPluralismus, pluralistisch der ModenMode und der unterschiedlichen medialen Formate und Inszenierungen in allen Bereichen von Kultur und GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich modifiziert das kulturelle Großphänomen Mode, ist aber letztendlich nur die logische Konsequenz dieses paradoxen Phänomens. Weil es andere Moden gibt, für die ich mich hätte entscheiden können, wächst das Gefühl der individuellenindividuell Wahlfreiheit ebenso wie das Glück der DifferenzDifferenz, das Glück, beispielsweise ein Fan von Rasta-Musik und keiner von Hip-Hop oder Punk zu sein.

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