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Die DialektikDialektik der AufklärungAufklärung, aufklärungs- ist ein zutiefst radikales und in dieser Radikalität anfechtbares kulturpessimistisches Werk, das sich durchaus in ein merkwürdiges, spezifisch deutsches Unbehagen an TechnikTechnik, -technik und Wissenschaft einordnen lässt. Es unterscheidet sich indes dadurch, dass es sich – das ist in der Auseinandersetzung mit Ludwig KlagesKlages¸ Ludwig, einem der Stichwortgeber der Konservativen Revolution gut ablesbar – jedweder Art von Romantisierung vormodernerModerne, modern, -moderne Zustände widersetzt. Die beiden Autoren werden nicht müde, die heimlichen und auch offenen Befürworter des MythosMythos, Mythologie, mythologisch an dessen Blutspur in der GeschichteGeschichte zu erinnern. Auf paradoxe Weise behalten sie letztendlich jenen Maßstab bei, der durch die historischen Ereignisse in sein Gegenteil verkehrt worden ist: den der Aufklärung und des kritischen Denkens, das sich nun gegen die Aufklärung selbst richtet. Der Umschlag der Aufklärung in ihr Gegenteil wird im BuchBuch (als Medium) auf verschiedenen Ebenen thematisiert.

 Die Verkehrung der Wissenschaft in ihr Gegenteil, in MythosMythos, Mythologie, mythologisch und magisches Denken. So wie das magische Denken den Dingen eine geheimnisvolle MachtMacht zuspricht, so die Wissenschaft dem Begriff, mit dem sie die Wirklichkeit darunter zu fixieren trachtet. Die Wissenschaftsgläubigkeit der modernenModerne, modern, -moderne (westlichen) Kultur erweist sich also als eine Variante magischen Denkens.

 Die Verkehrung von Befreiung in HerrschaftHerrschaft: Ziel der AufklärungAufklärung, aufklärungs- war die Beseitigung von Herrschaft, wie sie im Kampf gegen das ancien régime zum Ausdruck kommt. Diese Abschaffung der Herrschaft von Menschen durch Menschen sollte durch die Beherrschung der NaturNatur bewerkstelligt werden. Aber diese Herrschaft über die Natur, wie sie, HorkheimerHorkheimer, Max und AdornoAdorno, Theodor W. zufolge, BaconBacon, Francis schon früh zum Programm erhoben hat, schlägt in ihr Gegenteil um: in die Herrschaft der GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich, des technisch-ökonomischen Komplexes über den Menschen. Mit dieser Kritik an der Ausbeutung der Natur, die ihre Folgen für Mensch und Natur zeitigt, haben AdornoAdorno, Theodor W. und HorkheimerHorkheimer, Max Ideen der Ökologie vorweggenommen, die in den 1980er Jahren dann öffentlich wirksam geworden sind.

 Die Mündigkeit des Menschen war – in allen Versionen der AufklärungAufklärung, aufklärungs- – ein erklärtes historisches Ziel. Aber diese Freiheit schlägt in EntfremdungEntfremdung und Objektivierungobjektiv, Objektiv- um: Der Mensch wird gleichsam zum OpferOpfer seines eigenen Freiheitsprojektes. Der Mensch wird zum reinen Mittel reduziert.

Ob es an den falschen ‚Methoden‘ lag oder ob die Ziele von vornherein schon suspekt waren, das wird nicht näher ausgeführt, bleibt ebenso offen wie die Frage nach der Möglichkeit einer alternativen Form von AufklärungAufklärung, aufklärungs-. Eine solche zeichnet sich allenfalls als ästhetische ReflexionReflexion ab.

Wenn Rationalität selbst zu einer raffinierten und unentrinnbaren Herrschaftspraxis mutiert, dann müsste es eine andere Form von kritischem Denken sein, das diesen Automatismus von Rationalität und Beherrschung – von Dingen, Tieren wie von Menschen – durchbricht. AdornosAdorno, Theodor W. RhetorikRhetorik, seine Programmatik einer essayistischen Schreibweise, ist als der Versuch zu verstehen, einen Sprachwechsel vorzunehmen, der am kritischen Impuls des Denkens festhält, aber zugleich die Machtförmigkeit der begrifflichen SpracheSprache zu unterlaufen sucht. Insbesondere AdornosAdorno, Theodor W. Wertschätzung der KunstKunst, Kunstwerk, ein Erbe der RomantikRomantik, hängt damit zusammen, denn Kunst ist nicht etwas, das die Welt und die Wirklichkeit in den Griff zu bekommen versucht, sondern sich ihr gleichsam ausliefert.

Die DialektikDialektik der AufklärungAufklärung, aufklärungs- ist ein kulturphilosophisches Schlüsselwerk, das bis heute wichtige Impulse im kulturwissenschaftlichen DiskursDiskurs liefert. Die Bewertungen und die pointierten Aussagen über den Zustand der okzidentalen Kultur oder über die PopularkulturPopularkultur muss man heute nicht mehr teilen: Zu offenkundig ist, dass es auch schon vor der kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Ökonomie Volks- und Popularkulturen mit standardisierender Wirkung gegeben hat und dass kulturelle Programmierung womöglich ein Grundelement menschlichen Daseins darstellt. Allein der Versuch, im Bereich der Kulturtheorie eine dritte Position jenseits von blanker Bejahung des Bestehenden und Nostalgisierung der Vergangenheit einzunehmen, ist bedenkenswert genug. Angesichts der ganz offenkundigen Kehrseiten der modernenModerne, modern, -moderne Popularkultur, ihrer weithin entpolitisierenden Wirkung, ihrer Unbeeindrucktheit gegenüber BildungBildung, ihrer konsumistischen Grundhaltung, lassen sich manche Befunde AdornosAdorno, Theodor W. über die moderne Kulturindustrie noch immer mit Gewinn lesen, auch wenn ein Nachteil AdornosAdorno, Theodor W. etwa gegenüber SimmelSimmel, Georg (→ Kap. 5) oder Roland BarthesBarthes, Roland (→ Kap. 7) unübersehbar ist: Mangel an Unvoreingenommenheit, fehlende Neugierde den Phänomenen gegenüber, vorschnelles Urteil. Die moderne westliche Kultur, wie sie die Emigranten HorkheimerHorkheimer, Max und AdornoAdorno, Theodor W. in den 1930er und 40er Jahren in den Vereinigten Staaten kennengelernt haben, wird letztendlich aus der Perspektive eines kulturellen Milieus vorgenommen, das, wie oft vermerkt worden ist, großbürgerlichen Zuschnitts ist.

Kritikpunkte und Anmerkungen (1)

 Die Kritische TheorieKritische Theorie ist eine Kritik der okzidentalen Kultur. Sie kritisiert nicht bloß und auch nicht so sehr die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichenGesellschaft, gesellschaftlich Verhältnisse im modernenModerne, modern, -moderne KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch des 20. Jahrhundert, sondern, ganz im Sinne der Kultur I, insbesondere die Bereiche der modernen Wissenschaft, der MedienMedien, Medien-, -medien, medien- und der modernen Kulturindustrie. Die Fehlentwicklung der okzidentalen Kultur, wie sie in der DialektikDialektik der AufklärungAufklärung, aufklärungs- beschrieben und untersucht wird, ist gleichsam in die StrukturStruktur, strukturiert, strukturell westlichen Denkens eingeschrieben, das sich spätestens seit der Neuzeit seine Bahn bricht. Diese Fehlentwicklung des Denkens hat für die Entwicklung von Kultur und Gesellschaft fatale Konsequenzen: Letztendlich ist Auschwitz auch das Ergebnis einer instrumentellen Vernunft, die den Menschen als bloßes verfügbares Material behandelt. Damit hat die Kritische Theorie eine Selbstkritik der modernen Kultur entwickelt, die in ihrer Radikalität singulär ist.

 Die Kritische Kultur ist eine Kulturtheorie, weil sie neue Phänomene wie die moderneModerne, modern, -moderne MassenMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen-- und PopularkulturPopularkultur, die psychoanalytische Therapie oder das Fernsehen in ihrer Eigenart und FunktionFunktion in der modernen Welt kritisch beleuchtet (Kultur II).

 Die Kritische TheorieKritische Theorie ist eine Kulturtheorie, weil sie die KunstKunst, Kunstwerk der klassischen ModerneModerne, modern, -moderne als eine symbolische Gegenwelt zur bestehenden Kultur ansieht, die es ermöglicht, den Verblendungszusammenhang zu durchstoßen. Sie weist ihr damit eine reflexive und verändernde FunktionFunktion zu (Kultur III → Kap. 1).

In den diskursiven Zusammenhang der Kritischen TheorieKritische Theorie gehört selbstverständlich auch das Werk von Walter BenjaminBenjamin, Walter (1892–1940). Zugleich ist aber dessen Sonderstellung unübersehbar. Im Gegensatz etwa zu HorkheimerHorkheimer, Max ist BenjaminBenjamin, Walter erst sehr spät und durch die Vermittlung seiner Geliebten Asja LacisLacis, Asja auf die MarxMarx, Karl’sche Theorie gestoßen, die er sodann auf originelle Weise adaptiert und weiterentwickelt hat. Am wirksamsten hat sich im Rahmen von BenjaminsBenjamin, Walter Version einer materialistischen Ästhetik der Aufsatz Das KunstwerkKunst, Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen ReproduzierbarkeitReproduzierbarkeit erwiesen1, auch im Hinblick auf die angloamerikanische Diskussion. Im heutigen Jargon gesprochen, analysiert BenjaminBenjamin, Walter hier die grundlegenden Folgen der Photographie und auch des Kinos im Hinblick auf die bestehende Kultur. „Technische Reproduzierbarkeit“ ist für BenjaminBenjamin, Walter jene Eigenschaft, die das Photo vom klassischen Tafelbild unterscheidet. Über BenjaminBenjamin, Walter hinaus betrachtet, gilt diese Eigenschaft der technischen Reproduzierbarkeit für viele technische MedienMedien, Medien-, -medien, medien-, das Tonband, die Schallplatte, genauer für alle Konserven der Kultur, die uns heute am Eingang des 21. Jahrhunderts zur Verfügung stehen.

BenjaminBenjamin, Walter greift ein für ihn entscheidendes Merkmal heraus, das das Photo vom gemalten BildBild unterscheidet: Das technisch hergestellte Bild existiert beinahe beliebig oft, das gemalte Bild nur einmal; denn selbst eine Kopie hat noch einen Rest von Einmaligkeit und DifferenzDifferenz. Mit der Einmaligkeit verbindet BenjaminBenjamin, Walter den Begriff der Aura. Damit zielt BenjaminBenjamin, Walter auf jene Ausstrahlung, die das einzelne KunstwerkKunst, Kunstwerk besitzt und zu dem man hinpilgert wie zu einem Heiligtum. Die Bilder der Photographie und des FilmsFilm kommen – und das wird im Zeitalter des Computers auf radikale Weise kulturelle Wirklichkeit – hingegen frei ins Haus. Sie haben keine Aura. So vollzieht sich beim Übergang von gemalten Bild zum chemisch hergestellten, beliebig kopierbaren Photo eine Art SäkularisierungSäkularisierung, denn die Aura des traditionellen Bildes verbindet diese Art von Kunst noch mit dem Sakralen, das Photo hingegen ist seiner ganzen StrukturStruktur, strukturiert, strukturell nach ein säkulares technisches Produkt, das ArtefaktArtefakte einer entzauberten Welt. Im Unterschied etwa zu AdornoAdorno, Theodor W. sieht BenjaminBenjamin, Walter in diesem Triumph des Photographischen keineswegs nur ein Verhängnis, sondern zugleich eine Chance für eine demokratischeDemokratie, demokratisch MassenkulturMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen-, in der breiten Schichten der Bevölkerung jene Kunst zugänglich wird, die bislang einer kleinen EliteElite, elitär vorbehalten war. Obschon sich BenjaminBenjamin, Walter über weite Strecken seines Aufsatzes auf diesen Aspekt der technischen ReproduzierbarkeitReproduzierbarkeit beschränkt, klingt doch am Ende der GlaubeGlaube durch, dass die neuen technischen MedienMedien, Medien-, -medien, medien- gegen die Ästhetisierung der PolitikPolitik, wie sie FaschismusFaschismus und NationalsozialismusNationalsozialismus entwickelt haben, gerichtet werden können.

So steht BenjaminsBenjamin, Walter Vision einer progressiven linken MassenkulturMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen- in einem unüberhörbaren Gegensatz zu einer Melancholie, die post-romantisch den wirklichen oder auch vermeintlichen Verlust der Aura beklagt. Von dieser ambivalenten Haltung ist BenjaminsBenjamin, Walter gesamtes Œuvre gezeichnet.

So lässt sich BenjaminsBenjamin, Walter poetisches Werk Berliner Kindheit um 19002 nicht nur als ein Rückblick auf das Wilhelminische Berlin um die Jahrhundertwende lesen, sondern sehr viel mehr als eine Rekonstruktion der damaligen kindlichen Wahrnehmung. Das Kind fungiert im Text als kultureller Sonderbeobachter, der die Architektur des 19. Jahrhundert, den Anhalter Bahnhof mit der staunenden Unkenntnis des kindlichen Blicks betrachtet. Noch im Nachhinein erzeugt der kindliche Blick ein Fremd-Werden der scheinbar selbstverständlichen Welt, deren Details und Oberflächen mit dem unwissenden Auge gleichsam abgetastet werden.

Vorbild dieses Verfahrens ist zweifelsohne Marcel ProustsProust, Marcel imposanter Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen ZeitZeit3, neben BaudelairesBaudelaire, Charles schmalem Œuvre4 das wohl wichtigste literarische Werk, das er zum Ausgangspunkt seiner Kulturtheorie nimmt. Insbesondere in den ersten Teilen dieses gigantischen mnemotechnischen Unternehmens wird die entschwundene Zeit der Kindheit nahezu ausschließlich aus dem befangenen Blick des Kleinkindes und später des Jugendlichen gesehen. Die Zeit ist keineswegs die ‚objektivobjektiv, Objektiv-‘ messbare, lineare Größe, die seither vergangen und unwiderruflich verloren ist, es ist vielmehr die subjektiveSubjektivität, subjektiv innere Zeit: die Zeit der Kindheit mit der ihr ganz eigenen Logik, die Welt in ihrer Unverständlichkeit, Rätselhaftigkeit und Unvertrautheit.

Die Untersuchung über Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, Exposé des unvollendeten Passagenwerks, bildet, ungeachtet seiner Fragmentarität das Kernstück des kulturwissenschaftlichen Projektes BenjaminsBenjamin, Walter. Es ist avancierte Kulturtheorie und angewandte KulturanalyseKulturanalyse in einem. Der Paris-Essay ist gleichsam ein komprimiertes Fragment des geplanten Werkes, das die wichtigsten methodischen Prämissen enthält. Es gliedert sich in sechs thematische Abschnitte, die verschiedene Aspekte der modernenModerne, modern, -moderne urbanen kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Kultur beleuchten. Jedem Abschnitt wird dabei eine charakteristische Persönlichkeit zugeordnet: der Frühsozialist Fourier den neuen Einkaufspassagen, die Figur Daguerres dem Panorama und den Weltausstellungen, der Bürgerkönig Louis Philippe dem Phänomen von Sammlung und Interieur, die Lyrik BaudelairesBaudelaire, Charles der Erfahrung von Straße, Anonymität und Menge, der Stadtplaner Haussman der architektonischen Umgestaltung und Stadtplanung im Paris der zweiten Jahrhunderthälfte.

Warum und inwiefern ist Paris, die Stadt, die FlaubertFlaubert, Gustave, Hugo, BaudelaireBaudelaire, Charles und ProustProust, Marcel immer aufs Neue literarisch erfunden und entdeckt haben, die Hauptstadt Europas? Sie ist es, ließe sich sagen, deswegen, weil hier zum ersten Mal der Weg einer historischen Stadt in die ModerneModerne, modern, -moderne sichtbar wird. BaudelaireBaudelaire, Charles ist unter anderem auch der historische Zeuge der Zerstörung des alten Paris und der Entstehung einer neuen Stadt im Zeitalter des KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch. Paris ist die historische Metropole der Revolution, man braucht bloß an die Jahre 1789, 1848 und 1870/71, die ZeitZeit der Pariser Kommune zu denken. Paris ist aber auch die Hauptstadt Europas auf Grund seiner Vorbildhaftigkeit in der Stadtarchitektur wie im Bereich der Neuen MedienMedien, Medien-, -medien, medien- und Kunstentwicklungen. Das moderne Wien der Jahrhundertwende, das Wien der Ringstraße und vermutlich auch das Wilhelminische Berlin sind gleichsam kulturelle Reaktions- und Nachbildungen, Triumph des mimetischen BegehrensBegehren, mimetisch.

Eine der auffälligsten Erscheinungen modernerModerne, modern, -moderne marktkapitalistischer UrbanitätUrbanität sind die Einkaufspassagen, die für BenjaminBenjamin, Walter das spezifisch Neue der kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Kultur versinnbildlichen. Sie sind in der Tat ganz neu und unterscheiden sich von den traditionellen Märkten und Kontoren. Es handelt sich um prachtvolle Durchgänge, deren Reste man heute noch in vielen europäischen MetropolenMetropole, deren Hochblüte ins 19. Jahrhundert fällt, bewundern kann, sozusagen von Birmingham in England bis zu der spät entstandenen ungarischen Metropole Budapest, der zweiten Hauptstadt des Habsburgerreiches. Man braucht nur die Einkaufsarchitektur im ZentrumZentrum des wiedervereinten Berlins oder die Kärntner Ringpassage in Wien zu betrachten, um zu sehen, dass die PostmodernePostmoderne, postmodern die kulturelle Energie der Passagen und das Versprechen, das sie beinhalten, wiederentdeckt hat.

Bei dieser reichen Einkaufsarchitektur, die damals wie heute die globalisierte Warenwelt präsentiert, bleibt der Blick an der Oberfläche der Erscheinungen haften. Ähnlich wie im Märchen Schwan, kleb an kann sich der Betrachter nicht losreißen von dieser Welt und diesem fortwährenden Fest der ausstaffierten Ware; es handelt sich um Erscheinungsformen, die programmatisch mit dem Wesen des modernenModerne, modern, -moderne KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch auf verschlungene, aber auch auf programmatische Art und Weise korrespondieren.

In den Augen BenjaminsBenjamin, Walter sind diese Einkaufspassagen des Jahrhunderts, diese Prachtstraßen der Waren und des Kommerzes, Monumente des schönen KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch. Üblicherweise neigt die Theorie dazu, in die Tiefe zu gehen; sie gönnt sich keinen Blick auf das Augenscheinliche. Aber gerade im Hinblick auf die Kultur, die der Kapitalismus in immer neuen Schüben hervorbringt, ist es wichtig, beim Augenschein zu verweilen. Die Literatur ist darin gleichsam eine Lehrmeisterin. So wie sich Dante bei seinem Durchgang durch die Unterwelt einen Reisegefährten wählt, so hat auch BenjaminBenjamin, Walter bei seinem Durchgang durch das Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Begleiter: Fourier, den ekstatischen Sozialisten, BaudelaireBaudelaire, Charles, den anarchisch-melancholischen Lyriker des urbanen Umbruchs, BalzacBalzac, Honoré de, FlaubertFlaubert, Gustave und ProustProust, Marcel, den monomanen Erinnerungskünstler. Wenn es eine spezifisch kapitalistische Kultur gibt, dann muss man sie sichtbar machen. So abstrakt sich die kapitalistische Ökonomie mit ihren verschwiegenen Regeln auch ausnehmen mag, die kulturelle Erscheinungswelt der Ware ist auffällig, glitzernd und zuweilen auch pompös. Triumph der Oberfläche.

Der klassische MarxismusMarxismus, marxistisch hat den KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch als ökonomisch-gesellschaftlichesGesellschaft, gesellschaftlich System, als Produktions- und wirtschaftliche Verkehrsform zu ergründen versucht (→ Kap. 12). In dieser theoretisch gleichsam nachgeholten post-marxistischen KulturanalyseKulturanalyse geht es darum, die wesentlichen Phänomene der kulturellen Selbstdarstellung kapitalistischer Ökonomie zu erfassen und diese Welt verheißungsvoller Oberflächen mit den hintergründigen ökonomischen Bewegungsgesetzen des Kapitals zu verknüpfen.

BenjaminsBenjamin, Walter ambitioniertes Projekt einer von MarxMarx, Karl inspirierten, aber über ihn zugleich hinausweisenden Kulturwissenschaft hält eine wichtige Prämisse fest, die wohl für jedwede theoretische Durchdringung von Kultur gilt: KulturanalyseKulturanalyse lebt von einer Perspektive, die nichts selbstverständlich nimmt und die so ein Gespür für das Befremdliche, Nichtwahrgenommene der eigenen Kultur entwickelt. Das kann wie bei ProustProust, Marcel oder in BenjaminsBenjamin, Walter Berliner Tableaus der staunende Blick des Kindes sein, aber es gibt auch andere Möglichkeiten verfremdender Wahrnehmung: die Position des kulturell Fremden, der verstohlene weibliche Blick in eine Männerwelt, die Sichtweise der kulturellen Außenseiter. In BenjaminsBenjamin, Walter Fall ist es insbesondere der Blickwinkel des Flaneurs, wie ihn BaudelaireBaudelaire, Charles eingenommen hat, jenes Flaneurs, der ziellos durch die Stadt streift und für den der Konsum des ästhetischen Scheins der Warenwelt zum einzigen Konsum wird, weil er sich das, was in den teuren Einkaufspassagen angeboten wird, ohnehin nie wird leisten können. Die moderneModerne, modern, -moderne Warenwelt und ihre Verpackungen sind seine Obsession, aber als SubjektSubjekt verhält er sich kontrastiv zum kaufenden Wirtschaftssubjekt, indem er, aus seiner Not eine Tugend machend, die Warenwelt ausschließlich als ein einziges ästhetisches Spektakel betrachtet.

In der Einkaufspassage imaginiert sich der aufkommende KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch auf einer sinnlichen Oberfläche als eine einzigartige Erfolgsgeschichte in Gestalt eines prächtigen Warenlagers, einer Welt des Verfügbaren. Noch in den großen Einkaufshäusern der Zwischenkriegszeit wird diese Strahlkraft, diese Aura der Warenpaläste manifest. Wobei die Verbindung zwischen der Ware und dem Palast höchst ironisch ist, werden hier doch zwei gegenläufige Kulturen – aristokratisch-elitärer Reichtum und demokratischeDemokratie, demokratisch, allseits verfügbare Konsumwelt – scheinbar bruchlos miteinander verschmolzen. Diese schöne neue Welt hat einen semiotischen Überhang (→ Kap. 7, 15), sie ist übersät mit Zitaten aus anderen, fremden ZeitenZeit und exotischen Welten. Aus heutiger Perspektive lässt sich auch sagen, dass die Einkaufspassage den überhöhten Ausdruck einer GlobalisierungGlobalisierung, global darstellt, wie sie im 19. Jahrhundert nicht zuletzt durch den klassischen KolonialismusKolonialismus, kolonialisiert möglich geworden war. Für die Entfaltung dieser Pracht ist der Gestus wichtig, dass Waren aus aller Herren Länder scheinbar für alle verfügbar sind. Als wichtige Voraussetzung für diese neue Kultur des Kaufens, in der sich Exklusivität und Inklusivität eigentümlich verbinden – jeder kann kaufen, er braucht dafür nur die entsprechende Menge an GeldGeld – sieht BenjaminBenjamin, Walter gerade im Hinblick auf Paris den Aufstieg der Textil- und Bekleidungsindustrie. Es gibt, nebenbei bemerkt, einige europäische Städte, die ihren Aufstieg der Textilindustrie verdanken, Lyon und Manchester zum Beispiel oder auch die mährische Metropole Brünn.

Neben der Obsessivität, mit der die globalGlobalisierung, global gewordene Warenwelt feilgeboten wird, ist die Verquickung von Industrie und Kultur, wie sie die technischen KonstruktionenKonstrukt, Konstruktion des 19. Jahrhunderts sichtbar machen, die ‚Ehe‘ zwischen Ingenieurskunst und Ästhetik, ein zweites konstitutives Merkmal des KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch als Kultur. FlaubertFlaubert, Gustave hat diese Tendenz in seiner Éducation sentimentale bereits festgehalten. (→ Kapitel 9) BenjaminBenjamin, Walter, der Zitate sehr strategisch einsetzt, bezieht sich indes auf Fourier, den utopischen Sozialisten, der die Rivalität zwischen KunstKunst, Kunstwerk und Industrie hervorhebt, die aber auch, wie das architektonische Design von Paris, von den Mietshäusern Haussmanns über die Straßenplanung und die Einkaufspassagen bis zu den neuen Prachtbauten, zeigt, eine Indienstnahme des Ästhetischen durch den funktionalen Industrialismus bedeutet:

De ces palais les colonnes magiques

A l’amateur mointrent les toutes parts Dans les objets, qu’etalent leurs portiques Que l’industrie est rivale des arts.5

Der Aufstieg der kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Ökonomie und deren Ausbreitung bilden die eine Voraussetzung für die moderneModerne, modern, -moderne urban-kapitalistische Kultur, die andere technische BasisBasis bildet die Entwicklung neuer ‚künstlicher‘ Baustoffe. Hierzu zählt das Eisen, das völlig neue Konstruktionsmöglichkeiten eröffnet, später das Glas, das sich mit diesen tragenden Eisenkonstruktionen auf geniale Weise verbinden lässt, später kommen Beton und Asphalt hinzu. Im Klassizismus und im frühen HistorismusHistorismus des Empire sind diese neuen Materialien gleichsam noch unter dem Alten versteckt: Die Bahnhöfe sehen häufig noch so aus, als wären sie Backsteinkirchen. Nicht selten nämlich bleiben die neuen Eisenkonstruktionen verdeckt. Erst die Glaspaläste und die Architektur der Weltausstellungen bringen hier eine Wende, sind sie doch eine Schau der neuen Materialien. Indem sie das neue Material schamlos und unversteckt zeigt, wird die große ErzählungErzählung(en) manifest, die mit dieser Kultur einhergeht: die Selbstfeier des FortschrittsFortschritt.

Das neue Material Eisen korrespondiert, so lautet die These BenjaminsBenjamin, Walter, auf geheimnisvolle Weise mit kollektiven WunschbildernWunschbild. Die moderneModerne, modern, -moderne KonstruktionKonstrukt, Konstruktion aus Eisen „nimmt die Rolle des Unterbewusstseins ein“.6 Die kollektiven WunschbilderWunschbild grenzen sich zum einen von der jüngsten Vergangenheit ab und setzen zum anderen ein archaisches Potenzial in Gang.

Die äußere wie die innere Architektonik dieser Kultur hat aber nicht nur eine manifeste Botschaft, FortschrittFortschritt und Reichtum, sondern etabliert Wunschwelten.

Wieder platziert BenjaminBenjamin, Walter geschickt ein Zitat um seine zentrale Gedankenfigur. Es stammt von dem prominenten Historiker Michelet: „Chaque époque rève la suivante.“7 Jede Epoche träumt von der ihr nachfolgenden, nimmt sie im TraumTraum, Traum-, -traum vorweg. Aber damit ist jene schöne kapitalistischeKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Luxuskultur, die sich in den urbanen Passagen Paris‘ und anderer Städte versinnbildlicht und imaginiert, nicht ein bloßer Reflex kapitalistischer Ökonomie, wie es das BasisBasis-ÜberbauÜberbau-Schema des MarxismusMarxismus, marxistisch suggeriert (→ Kap. 12), sondern sie weist einen Überschuss auf, bindet Wunschpotenziale von enormer kultureller Energie. Keineswegs steht die bloße Gebrauchsfunktion der ausgestellten Ware im Mittelpunkt, vielmehr verkünden sie ein kollektives Versprechen, das darüber hinausweist. Dieser Überschuss ist für die moderneModerne, modern, -moderne Warenästhetik zentral.

Im Gegensatz zur Perspektive von AdornoAdorno, Theodor W. und HorkheimerHorkheimer, Max macht dieser Glanz nicht nur blind. Die WunschbilderWunschbild, die die Passagen mit der Fülle der Warenwelt erotisch in die Auslage stellen, verbildlichen ein gedoppeltes Phänomen: Sie sind falsches BewusstseinBewusstsein, falsches im Sinne der MarxMarx, Karl’schen, übrigens auf BaconBacon, Francis zurückgehenden Ideologiekritik,8 sie enthalten aber auch ein utopisches Potenzial.

Das Wort „IdeologieIdeologie“ leitet sich vom griechischen Wort eidos, BildBild, ab. Ideologie ist demnach eine Art von verzerrter Wahrnehmung, die der Logik selbstverständlich ‚wahrgenommener‘ Bildsysteme geschuldet ist. PlatonsPlaton Höhlenmenschen kennen nur die Schattenbilder, deshalb haben sie auch keine Vergleichsmöglichkeit, die ihnen das Bildhafte und Beschränkte ihrer Wahrnehmung vor Augen führen könnte. Ideologie ist falsches BewusstseinBewusstsein, falsches. Die symbolische Verzerrung hat bereits BaconBacon, Francis analysiert, als er von den eidola des Marktes sprach.9

BenjaminBenjamin, Walter, der wie gesagt erst relativRelativismus, relativ spät auf die Theorie von MarxMarx, Karl gestoßen ist und sie kulturwissenschaftlich transformiert, leitet das falsche BewusstseinBewusstsein, bewusst aus der MarxMarx, Karl’schen Warenanalyse ab, wie dieser sie in seinem Hauptwerk Das KapitalKapital, Kapitalismus, kapitalistisch entfaltet hat, und zwar aus dem berühmten Abschnitt über den FetischcharakterFetisch(ismus), Fetischcharakter der Ware. Wir sind diesem für eine marxistischMarxismus, marxistisch orientierte KulturanalyseKulturanalyse wohl relevantesten Textstück aus dem MarxMarx, Karl’schen Gesamtwerk bereits im Konnex mit der DialektikDialektik der AufklärungAufklärung, aufklärungs- begegnet. Es geht um eine Verkehrung, die einen realen und einen bewusstseinsmäßigen Aspekt hat. Die MachtMacht der GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich in Gestalt des universellen Tauschprinzips wäre die reale Umkehrung, die Vorstellung vom Primat der Waren- und Dingwelt ihre symbolische Verdrehung, eben das „falsche BewusstseinBewusstsein, bewusst“.

Bekanntlich unterscheidet MarxMarx, Karl Gebrauchswert und Tauschwert. Der fetischistische Charakter der Ware ergibt sich nicht aus dem Gebrauchswert, sondern aus dem Tauschwert: Der Tisch bleibt, schreibt MarxMarx, Karl launig,

Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt in seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus eigenen Stücken zu tanzen begänne.10

Zunächst ist der FetischFetisch(ismus), Fetischcharakter Bestandteil magischen Denkens: Einem Gegenstand der äußeren Welt wird eine wundersame, unter Umständen auch übersinnliche MachtMacht zugesprochen. Aber es wäre vorschnell, den Fetischismus nur in vormodernenModerne, modern, -moderne Kulturen anzusiedeln. Vielmehr ist er gerade für jene Kultur, die BenjaminBenjamin, Walter im Anschluss an MarxMarx, Karl, C.G. JungJung, Carl G. und FreudFreud, Sigmund analysiert,11 von tragender Bedeutung. Es ist vor allem JungsJung, Carl G. Lehre vom Archetypus, die dieser in Anlehnung an die romantische Psychologie aber auch an die Ethnologie seiner ZeitZeit (Levy-Bruhl) entwickelt hat, die BenjaminBenjamin, Walter – wie auch Ernst BlochBloch, Ernst – aufnehmen. Besonders JungsJung, Carl G. Unterscheidung von Bewusstem und UnbewusstemUnbewusste, das, Unbewusstheit ist für BenjaminsBenjamin, Walter Analyse zentral:

Seelische Existenz wird nur erkannt am Vorhandensein bewußtseinsfähiger Inhalte. Wir können darum nur insofern von einem Unbewußten sprechen, als wir Inhalte dessen nachzuweisen vermögen. Die Inhalte des persönlichen Unbewußten sind in der Hauptsache die sogenannten gefühlsbetonten Komplexe, welche die persönliche Intimität des seelischen LebensLeben, Lebens-, -leben ausmachen. Die Inhalte des kollektiven Unbewußten dagegen sind die sogenannten ArchetypenArchetyp.12

Gerade in der heutigen Warenwelt werden bestimmten Artikeln, zumeist noch mit spezifischen Markennamen versehen, Eigenschaften zugeschrieben, die sie real nicht besitzen. So werden z.B. auch einem sexuellenSexuelle, das, sexuell FetischFetisch(ismus), Fetischcharakter wie dem Schuh oder der Unterwäsche erotische Potenziale zugesprochen, die sie von sich aus nicht besitzen, sondern allenfalls durch die erotische Ausstrahlung ihrer Träger und Trägerinnen bzw. durch die Aura des Erotischen gewinnen. Ihre erotische Selbstinszenierung setzt ferner eine Wahrnehmungskultur voraus, ohne die ihre verlockende MachtMacht, die die primäre FunktionFunktion (komfortables Gehen, Hygiene) in den Schatten stellt, ja erst gar nicht hervortreten könnte.

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9783846356272
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