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Kapitel 6

Wie spät ist es eigentlich?, fragte sich Kommissarin Wagenried und schaute auf ihre Armbanduhr. Die zeigte bereits halb vier. Bis jetzt waren sie noch nicht weitergekommen. Es standen mehrere Untersuchungsergebnisse aus, unter anderem die Auswertung der Spuren an der Vase selbst. Ob was gefunden worden war? Daran glaubte Maria nicht – so viel Glück würden sie kaum haben. Auch wenn sie aus Erfahrung wusste, dass selbst der vorsichtigste Täter Spuren hinterließ.

Mindestens zwölf Stunden würde es dauern, bis die KTU, die kriminaltechnische Untersuchung, die drei derzeit wichtigsten Fragen geklärt hatte: Handelte es sich bei dem Fleck auf dem Boden um das Blut der Toten? Befanden sich Blutspuren des Opfers auf der Leiter aus dem Großen Garten, sodass man darauf schließen konnte, dass auch der Täter sie benutzt hatte? Möglich war ja ebenso, dass er seine eigene Leiter mitgebracht hatte. Dann wäre er doch aber von nächtlichen Besuchern im Park dabei beobachtet worden. Ein Mann mit einer Leiter und einer Tüte, in der er einen abgetrennten Kopf transportierte, hätte doch auffallen müssen. Und wie war der Leichnam auf den Ast gekommen?

Die Identität der Ermordeten stand auch noch nicht fest. Keine Vermisstenanzeige, keine Kleidung, keine Handtasche, nichts, rein gar nichts. Aber wieso wurde die Frau nicht vermisst? Sie hatte doch bestimmt irgendwo gearbeitet. Warum fiel niemandem auf, dass sie nicht zur Arbeit erschienen war? Freunde würden wahrscheinlich erst nach einigen Tagen bemerken, dass sie telefonisch nicht mehr erreichbar war. Und wenn sie in einem dieser anonymen Hochhäuser wohnte, in denen die Mieter ständig wechselten und sich nicht umeinander kümmerten, würde den Nachbarn ihre Abwesenheit vielleicht überhaupt nicht auffallen.

Hatte sie ihre Wohnung verlassen oder war sie innerhalb ihrer eigenen vier Wände ermordet worden? Vielleicht hatte sie den Täter gekannt und ihn selbst hereingelassen? War es also doch eine Beziehungstat? Sie musste sich gewehrt haben. Dann würden deutliche Spuren an Händen oder Armen zu finden sein. Niemand lässt sich ohne Gegenwehr den Kopf abschneiden, außer man war vorher betäubt worden. Darüber würde die rechtsmedizinische Untersuchung Auskunft geben können, jetzt, da man den Körper gefunden hatte. Aber bis die durchgeführt wurde, würde es ebenfalls noch dauern.

Wieso nahm das alles immer so viel Zeit in Anspruch?

Dass die Frau noch am Leben gewesen war, als der Mörder sein schreckliches Werk verrichtet hatte, hatte Dr. Stein ja sofort kundgetan. Wie hatte er das so schnell mit solcher Bestimmtheit sagen können? Warum war sie nicht auf die Idee gekommen, ihn zu fragen? Doch das ließ sich nachholen.

Wieder schossen ihr die entsetzlichen Bilder des vor Todesangst verzerrten Gesichtes durch den Kopf. Der Anblick der langen, feinen, seidig schimmernden Haare hatte sie am meisten berührt. Ein verstörender Gegensatz zur hässlichen Fratze des Todes.

Maria verspürte den Drang nach einer Zigarette. Hier im Polizeipräsidium selbst war das Rauchen natürlich untersagt. Die einzige Möglichkeit, schnell ein paar hastige Züge zu nehmen, war der ungemütliche Innenhof. Aber auf den hatte sie jetzt keine Lust. Gleich hier am Schreibtisch wollte sie rauchen, ohne erst den langen Flur runtermarschieren, den Aufzug nehmen und im Hof bekannte Gesichter sehen zu müssen. Womöglich wäre sie dann gezwungen, Smalltalk zu führen. Das wollte sie heute auf jeden Fall vermeiden. Außerdem hatte sie Kopfschmerzen vom vielen Alkohol gestern, und geraucht hatte sie für zwei.

Sie und Nihat waren in ein Restaurant gegangen, um dort zu Abend zu essen. Bevor das Essen serviert worden war, hatten sie bereits zu viel getrunken. Sie noch mehr als Nihat, der eigentlich immer peinlichst darauf achtete, nicht mehr als ein oder zwei Gläser Wein zu trinken.

Kapitel 7

Sechzehn Tage vorher

Gott sei Dank, endlich zu Hause. Linda Hansmann räumte schnell ihre Einkaufstüten aus und verstaute alles im Kühlschrank. Hastig warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Zwanzig vor sieben.

Da sie ein Glas Weißwein trinken wollte, während sie mit diesem Markus chattete, musste sie die Flasche ins Gefrierfach legen. Bis er sich meldete, würde der Wein auf eine einigermaßen angenehme Temperatur heruntergekühlt sein.

Eilig schmierte sie sich zwei Brote und trug den Teller ins Wohnzimmer, wo sie sich auf das Sofa setzte und anfing zu essen. Sie hatte keinen richtigen Appetit, aber sie musste etwas essen, sonst würde ihr der Wein gleich zu Kopf steigen.

Ihr Blick fiel auf den Zettel mit den rot unterstrichenen Verhaltensregeln. Auf was für einen bescheuerten Mist man sich einlassen muss, um einen Mann an Land zu ziehen, ärgerte sie sich. Im selben Moment fiel ihr auf, dass sie ihr Handy in der Küche vergessen hatte. Hoffentlich habe ich jetzt keine Nachricht verpasst!

Sie sprang auf und eilte in die Küche, klappte schnell die Schutzhülle des Telefons auf und stellte fest, dass noch keine Nachricht eingegangen war. Zur Sicherheit stellte sie den Ton auf volle Lautstärke, um ja nicht das Ping des Messengers zu überhören.

Sie holte die Flasche aus dem Eisfach und ging mit gefülltem Glas ins Wohnzimmer zurück. So, jetzt konnte er sich melden. Halt, die Zigaretten fehlten noch. Normalerweise rauchte sie nur in ganz seltenen Fällen in der Wohnung, aber heute würde sie eine Ausnahme machen. Das würde sie beruhigen und ihr dabei helfen, sich zu konzentrieren.

Ping!

Linda verschluckte sich und musste so heftig husten, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Sie versuchte, sie wegzuwischen, erreichte damit aber nur, dass die Wimperntusche verschmierte und höllisch brannte. Jetzt musste sie auch noch niesen. Sie lief ins Badezimmer und schnäuzte sich mit einem Stück Toilettenpapier die Nase.

Sie nieste noch mehrere Male, bis der Anfall endlich vorüber war. Im Spiegel sah sie ihr Gesicht, hochrot und völlig verschmiert. Sowas Blödes! Sie hastete ins Wohnzimmer und schnappte sich das Handy, noch bevor sie sich überhaupt hingesetzt hatte. Ja, sie erkannte den Mann auf dem kleinen Profilbild sofort. Noch immer blinzelnd, weil die Mascara einen Schmierfilm auf ihren Augen hinterlassen hatte, versuchte sie die Nachricht zu entziffern:

Markus:Hi, schöne Frau. Bist du da?

Linda:Ja, war nur gerade im Bad, konnte nicht gleich antworten.

Was für eine bescheuerte Antwort war das denn? Er konnte doch ruhig fünf Minuten warten. Mein Gott, wie blöde war sie eigentlich?

Markus:Geduscht? War ja heute auch tierisch heiß!

Linda:Ja, genau, geduscht. Jetzt habe ich mir gerade ein Glas kalten Weißwein eingegossen …

Markus:Oh, den könnten wir doch zusammen trinken :)

Nichts lieber als das. Aber das kam ja erst in einer Million Stunden in Betracht.

Markus:Warte, ich hole mir auch ein Glas. Hast du noch ein bisschen Zeit?

Linda:Ja, klar, ein bisschen noch. Zehn Minuten. Länger heute leider nicht.

Das hatte sie gut gemacht. Aber nun musste sie auch wirklich die Zeit einhalten. Jetzt war es zehn nach sieben, also bis zwanzig nach.

Linda zündete sich eine Zigarette an. Ihre Hände zitterten leicht.

Markus:Na denn, Prost!

Linda:Ja, Prost.

Markus:Trinkst du gerne Wein?

Linda:Ja, am liebsten Weißwein. Schön kalt.

Markus:Was hältst du davon, wenn wir mal ein Gläschen zusammen trinken?

Linda:Das können wir mal machen. In nächster Zeit habe ich allerdings nicht so viel Zeit.

Markus:Macht nichts. Ich meinte ja auch nicht gleich morgen.

Linda:Okay. Was arbeitest du denn?

Markus:Personaldisponent.

Linda:Aha. Das ist jemand, der Handwerker vermittelt?

Markus:Genau. Aber nicht nur Handwerker, auch medizinisches Personal, Bürokaufleute und so weiter.

Linda:Ist das stressig?

Markus:Manchmal ja. Was machst du so?

Linda:Verwaltungsangestellte. Ziemlich langweilig :(

Markus:Was denn genau?

Linda:Wasser und Abwasser. Nicht gerade spannend, ich weiß.

Markus:Hörst du gerne Musik?

Linda:Ja. Ich geh auch oft auf Konzerte in den Alten Schlachthof oder auch in die Junge Garde.

Markus:Also keine Klassik?

Linda:Nein, ist überhaupt nicht mein Ding. Du?

Markus:Nein, meins auch nicht. Ich mag Pop. Und manchmal höre ich auch Jazz. Meistens im Auto.

Linda zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch geräuschvoll aus. Dieser Markus wurde ihr immer sympathischer.

Markus:Rauchst du?

Linda:Ja. Du auch?

Markus:Nein, nicht mehr. Hab ich vor zwei Jahren aufgegeben. Treibe stattdessen Sport. Zwei bis dreimal die Woche im Fitnessstudio.

Wahrscheinlich hatte er auch noch eine Bombenfigur.

Linda:Das sollte ich eigentlich auch machen.

Aber was ich eigentlich machen sollte, schoss es ihr durch den Kopf, ist, die Unterhaltung jetzt zu beenden.

Linda:Tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen. Hab noch was vor.

Markus:Kein Problem. Kann ich mich noch mal bei dir melden?

Linda:Klar, mach einfach. Tschüss.

Markus:Ciao, schöne Frau :)

Linda goss sich ein zweites Glas Wein ein und trank es hastig aus. Sie hatte das gute Gefühl, dass sich aus diesem vielversprechenden Anfang etwas entwickeln könnte.

Kapitel 8

Als Patrick Seidel in die kleine Straße der Reihenhaus-Siedlung einbog, fand sein Blick sofort das Haus, das er mit seiner Frau Sabine bewohnte: auf der linken Straßenseite in der vierten Reihe.

Ein warmes Gefühl tiefer, aufrichtiger Freude durchflutete seinen Körper wie eine Welle. Ein Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit. Das hier war sein Lebensinhalt: Seine Frau und das bescheidene Haus bedeuteten ihm alles. Der kleine Vorgarten, den Sabine mit Akribie pflegte, die gemütliche Einrichtung und die kleine Terrasse, auf der sie im Sommer saßen und Kaffee tranken, waren ihr gemeinsames Reich. Jedes Mal, wenn er von der Arbeit nach Hause kam und die Eingangstür hinter sich schloss, war es, als würde er sie vor der Welt da draußen verschließen. Ein Bollwerk gegen jegliche Störung und Irritation. Seine Frau empfand genau wie er. Auch sie war so glücklich wie er darüber, dass sie nur einen Halbtagsjob hatte und somit den Rest des Tages zu Hause verbringen konnte.

Was für ein Glück ich doch mit dieser Frau habe, sinnierte er nicht zum ersten Mal. Es war einfach unglaublich, in wie vielen Dingen sie harmonierten. Genau wie er ging sie nicht gerne aus. Sie kochte hervorragend – warum sollte man da viel Geld für einen Restaurantbesuch ausgeben? Das war doch rausgeschmissenes Geld. Einmal im Jahr, an ihrem Geburtstag, führte er sie dennoch aus. Dann gingen sie in ein Konzert mit klassischer Musik und aßen anschließend in einem guten Restaurant zu Abend.

Ganz selten tranken sie auch mal ein Glas Wein in der Stadt oder nahmen nach einem Einkaufsbummel einen kleinen Imbiss zu sich. Selbst an seinem eigenen Geburtstag bevorzugte er es, wenn sie zu Hause blieben und Sabine ihm sein Lieblingsessen kochte: Rinderroulade mit Rotkraut und Salzkartoffeln.

Die Anzahl ihrer gemeinsamen Freunde hielt sich in Grenzen, sodass sie auch nicht allzu oft Besuch bekamen. Und wenn doch, dann gab sie sich allergrößte Mühe, ihren Gästen etwas Tolles anzubieten.

Zufrieden registrierte er die anerkennenden Blicke, die sie seiner Frau zuwarfen. Dann war er voller Stolz auf seine Sabine, die zudem gut aussah. Er war ein richtiger Glückspilz!

Vorsichtig fuhr er an die Bürgersteigkante, um sich ja die Felgen nicht an dem scharfen Bordstein zu verschrammen, stieg aus und ging den schmalen Fußweg aus rötlichen Waschbetonplatten entlang. Er steckte den Haustürschlüssel ins Schloss und wollte ihn gerade herumdrehen, als sein Blick auf das kleine Beet mit den Blaukissen und den zart rosafarbenen Zwergröschen links neben dem Treppenabsatz fiel.

Ein silbrig glänzender Metallgegenstand lag mitten in der Polsterstaude, deren unzählige kleine, intensiv blau leuchtende Blütenblätter einen reizvollen Kontrast zu der Farbe der Rosen bildeten. Patrick Seidel stutzte kurz, bückte sich und griff danach. Verblüfft erkannte er, dass es sich um einen Lippenstift handelte. Wieso lag der hier zwischen den Blumen? Sabine sollte besser auf ihre Sachen achtgeben, dachte er etwas ungehalten und schloss die Tür auf.

»Sabine?«, rief er durch den Flur. »Ich bin wieder da!«

Seine Frau antwortete nicht, aber er hörte ihre Schritte im Obergeschoss und eine Tür ins Schloss fallen.

»Soll ich schon mal den Tisch decken?«, fragte er laut.

Aber sie hatte ihn augenscheinlich noch immer nicht gehört. Wahrscheinlich räumte sie oben die Wäsche in den Schrank und hörte dabei Musik über ihren MP3-Player.

Also holte er Teller, Gläser und Besteck hervor und deckte den Tisch in der Essecke des kleinen Wohnzimmers. Er stellte gerade das Brotkörbchen und die Platte mit dem Aufschnitt hin, als sie hereinkam. Sie sah heute besonders hübsch aus, fand er. Sie hatte sogar ein wenig Make-up aufgelegt, sehr dezent, nicht so übertrieben, wie es in letzter Zeit Mode war, sodass man die Gesichter der Frauen fast gar nicht mehr erkennen konnte.

Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und fragte ihn, wie sein Tag gewesen war. Bereitwillig gab er Auskunft, während sie aßen. Er erzählte ihr von dem neuen Projekt, bei dem es um die Entwicklung einer Software ging, an der er und sein Kollege schon seit drei Wochen tüftelten. Im Laufe ihrer Arbeit waren immer neue Fehler aufgetaucht. Mängel einzelner Elemente hatten dazu geführt, dass das Programm nicht rund lief oder zu Abstürzen führte. Geduldig hörte Sabine zu und stellte ab und zu eine wohlüberlegte Frage zu technischen Einzelheiten, die ihm signalisierte, dass sie aufmerksam zuhörte und seine vereinfachten Erklärungen durchaus verstand.

Aber schließlich war es doch an der Zeit, vom Tisch aufzustehen. Sabine räumte ab und er ging in den Garten, um die Blumen zu gießen und den Rasen zu sprengen. Auf der Terrasse wickelte er den Wasserschlauch von der Trommel und wollte gerade das Ventil aufdrehen, als er eine Stimme vom angrenzenden Grundstück hörte:

»Hallo Frank. Das war ja heute eine Bullenhitze. Ich bin gerade mit dem Wässern fertig geworden.«

Irritiert erblickte er die rundliche Gestalt von Helga Metzler, der Nachbarin. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Mit zerzausten Haaren und schweißüberströmtem Gesicht stand sie am Gartenzaun, lächelte ihn fröhlich an und entblößte dabei ihr bemerkenswertes Pferdegebiss.

»Hallo«, erwiderte er. »Stimmt, ist ’ne Mörderhitze heute.«

Er hatte keine Lust auf Nachbarschaftstratsch und sagte deshalb schnell: »Ich will mal weitermachen, bevor es zu spät wird.«

»Wie geht es denn Sabine? Hab sie schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen.« Sie stemmte die kräftigen, braungebrannten Arme in die Hüften. »Den ganzen Tag im Haus – bei dem schönen Wetter. Versteh ich nicht!«

Langsam ging ihm diese Frau auf die Nerven.

»Sie verträgt diese Hitze nicht, das weißt du doch. Dann bekommt sie Kreislaufprobleme. Soll ich ihr Bescheid sagen, dass sie rauskommen soll?«

»Ach nee, lass mal. Ich geh jetzt auch rein, duschen. Bin völlig durchgeschwitzt.«

Gute Idee, dachte er. Endlich haute diese blöde Schachtel ab. Jetzt konnte er wenigstens in Ruhe seine Pflanzen wässern. Nachher würden er und Sabine noch ein wenig fernsehen.

Aber er hatte sich in der Annahme getäuscht, dass seine aufdringliche Nachbarin tatsächlich ins Haus verschwinden würde. Sie war zwar plattfüßig zur Terrassentür gestapft, drehte dort aber ihren Lockenkopf noch einmal zu ihm herum und fragte:

»Geht es ihr auch wirklich gut?«

»Ja, natürlich. Wie gesagt, ihr macht nur diese drückende Hitze zu schaffen. Da legt sie sich lieber aufs Bett und liest ein Buch oder hört Musik. Ich sage ihr nachher, dass sie mal bei dir klingeln soll. Okay?«

Damit gab sich Helga Metzler zufrieden. Sie hob die Hand zum Gruß und verschwand endlich im schwarzen Ausschnitt der Tür. Patrick Seidel atmete tief aus. Endlich Ruhe, dachte er erleichtert.

Entschlossen drehte er den Wasserhahn neben der Terrasse auf und öffnete das Ventil des Gartenschlauches, sprengte zunächst die Pflanzen und Blumen und ganz zum Schluss den Rasen. Er fing am hinteren Ende des Gartens an und bewegte sich langsam mit kleinen Schritten rückwärts. Sobald nämlich das Gras einmal nass war, sollte man es nicht mehr betreten. Eisern hielt er sich an diese Regel und das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen. Intensiv leuchtete das Grün des Rasens, der diese Bezeichnung verdiente und eben nicht bloß eine Wiese war. Kein Löwenzahn oder gar Klee durchbrach diesen samtigen Teppich, der die Rabatten in sanften Rundungen umgab. Mochte dieses Grundstück auch noch so klein sein, er und Sabine hatten es in ein kleines Paradies verwandelt.

Kapitel 9

Maria kaute auf einem Bleistift herum. In knapp einer Stunde würde der Psychologe ins Präsidium kommen. Dr. Martin trug mit Vorliebe rote Pullover oder T-Shirts, eine Eigenart, deren Ursprung in seiner Kindheit lag, so hatte er ihr einmal erklärt, weil sie es sich mehrmals nicht hatte verkneifen können, ihn mit den Worten »Ah, der Gentleman in Rot« zu begrüßen. In seiner Jugend wären Feuerwehrautos sein Lieblingsspielzeug gewesen.

Seltsame Erklärung, hatte sie gedacht. Sie trug doch auch keine pinkfarbenen Sachen, nur weil sie in ihrer Kindheit mit Barbiepuppen gespielt hatte. Mindestens zehn dieser aus ihrer heutigen Sicht fürchterlichen Exemplare, alle Geschenke ihrer Tante aus dem Westen, hatten auf ihrer Kinderzimmerkommode gesessen. Es hatte auch einen Ken gegeben, aber der hatte ohnehin nur eine untergeordnete Rolle gespielt und war in seiner grässlichen Badehose eigentlich zu nichts nutze gewesen. Manchmal allerdings hatte er für eine der Barbies eine Aufgabe erledigen dürfen, wie zum Beispiel ein Kleid aus dem kleinen Kostümköfferchen zu holen.

Maria lächelte in Erinnerung an die stundenlange Beschäftigung mit den Frisuren und der Kleiderauswahl. Zusammen mit ihrer besten Freundin hatte sie Modenschauen und Schönheitswettbewerbe veranstaltet. Ken hatte lediglich als stummer Zuschauer am Rand gesessen und war gar nicht erst nach seiner Meinung gefragt worden.

Ihre Gedanken wurden durch das Öffnen der Tür und hereinströmenden Kaffeeduft unterbrochen. Ihr Kollege Gerd hielt zwei Becher mit der dampfenden Flüssigkeit in den Händen und verzog das Gesicht. Schon oft hatte Maria festgestellt, dass Männer doch wesentlich schmerzempfindlicher waren, als das Credo des starken Geschlechts es eigentlich verlangte. Er schloss die Tür mit dem Fuß, stellte die Pappbecher hastig auf ihren Schreibtisch und zog scharf die Luft ein.

»Autsch, heiß, diese verdammten Dinger«, meinte er und schüttelte heftig die Hand, als ob er in offenes Feuer gefasst hätte.

»Soll ich deine Hand verarzten?«, frotzelte Maria.

»Haha, sehr witzig!«, erwiderte er, nicht im Geringsten beleidigt. »Wann kommt unser Psycho-Kollege mit seinem roten Pullöverchen?«

»Um halb neun. Eigentlich ist es noch ein bisschen früh für eine Einschätzung. Aber vielleicht hat das rote Pullöverchen ja eine gute Idee. Man darf ihn nicht unterschätzen, auch wenn er bisweilen recht absonderlich wirkt.«

»Ja, das stimmt. Auf seinem Gebiet ist er wirklich ein Ass.«

»Wir haben immer noch keine Vermisstenanzeige. Aber die labortechnischen Untersuchungen müssten eigentlich heute Morgen reinkommen. Ach übrigens, Nihat hat die Datenbanken durchwühlt, bisher ohne Ergebnis. Kein ähnlicher Fall, in dem einem der Opfer der Kopf abgeschnitten, hübsch in einer Vase drapiert und der Körper anschließend in einen Baum gesetzt wurde. Es gab zwar einige Leichenverstümmlungen, darunter auch das Entfernen des Kopfes und weiterer Gliedmaßen, aber dieses spezielle Merkmal, das Arrangieren von Kopf und Körper, tauchte in keinem der anderen Fälle auf.«

»Es kann natürlich sein«, meinte Gerd nachdenklich, »dass der Täter sein Arrangement, wie du es so schön ausdrückst, erweitert, also eine neue Komponente hinzugefügt hat.«

»Ja, gut möglich, glaub ich aber eher weniger. Fragen wir unseren roten Pullover. Wenn sich jemand in die verquere Denkweise eines kranken Hirns hineinversetzen kann, dann er. Ich sage Nihat Bescheid, dass er die entsprechenden Fälle aus der Datenbank ausdrucken soll. Ich möchte, dass Dr. Martin sie sich ansieht. Vielleicht kann er doch Parallelen entdecken.«

»Irgendwas Neues von der Rechtsmedizin?«, wollte Gerd noch wissen.

»Nein, bisher noch nicht. Ist ja erst halb acht.«

Gerd trank schlürfend den brühendheißen Kaffee und sah dabei Maria über den Rand des Bechers an.

Das Telefon klingelte. Hastig nahm sie den Hörer ab und meldete sich mit ihrem Namen. Ihr Kollege sah sie gespannt an. Aus dem, was Maria sagte, konnte er schließen, dass die Rechtsmedizin am anderen Ende der Leitung war.

Kaum hatte sie sich mit den Worten »Danke, schicken Sie mir bitte den Bericht zu!« verabschiedet, nickte sie mit dem Kopf und sagte:

»Bingo, Gerd, wir sind ein Stück weiter. Dr. Petermann hat mir mitgeteilt, dass das Blut an der Vase und auf dem Boden vor dem Sockel mit dem der Toten übereinstimmt. Das war ja auch nicht anders zu erwarten gewesen. Auf der Leiter wurden ebenfalls winzige Blutspritzer nachgewiesen. Wie wir bereits vermutet haben, hat der Täter die Leiter aus dem Großen Garten benutzt, um den Kopf in der Vase zu drapieren. Er wusste also, wo sie aufbewahrt wird. Ansonsten sind auf der Leiter natürlich Hunderte andere Spuren, da sie ja ständig in Benutzung ist. Wir werden also alle Angestellten, die dort arbeiten oder gearbeitet haben, vernehmen müssen.«

»Ja, das ist zumindest ein Ansatzpunkt. Wenngleich …«

»Ich weiß, was du sagen willst. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es sich beim Mörder um einen der Gärtner oder Bediensteten handelt. Die schließe ich aus, weil es einfach zu riskant wäre, die Leiche hier in ihrem Park zu präsentieren. Der Verdacht würde doch sofort auf einen von ihnen fallen.« Sie machte eine zerstreute Geste. »Aber weiter zum Baum, auf dem die Tote saß. Der Bericht der KTU ist vorhin gekommen. In ihm heißt es, dass zur Befestigung der Hände an den Ästen handelsüblicher Draht verwendet wurde. Außerdem ist nun auch klar, wie sie dort hinaufgekommen ist. Die SPUSI hat Einkerbungen an dem Ast darüber gefunden, die darauf schließen lassen, dass eine Seilwinde daran befestigt wurde, um den Körper hochzuhieven.«

Gerd nickte zustimmend und wartete auf weitere Erläuterungen.

»Außerdem gab es Abriebspuren am Baumstamm. Sie könnten von einer Leiter herrühren. Ob es sich um dieselbe handelt, mit der der Mörder an der Vase hochgeklettert ist, konnte nicht festgestellt werden. Aber warum sollte er eine andere Leiter benutzt haben, das macht ja keinen Sinn.« Nachdenklich knabberte Maria wieder auf ihrem Bleistift herum, eine nervtötende Angewohnheit, über die Gerd sich schon oft mokiert hatte.

»Sonst irgendwelche Spuren auf dem Boden?«

»Nein, gar nichts. Der Täter hat den Sandboden unterhalb des Baumes geharkt oder mit einem Besen gefegt. Das gleiche gilt für den Weg. Keinerlei Fuß- oder Reifenspuren.«

»Er muss die Leiche doch irgendwie transportiert haben. Er wird sie nicht auf seiner Schulter getragen und die ganzen Gerätschaften in einer Tüte mitgeschleppt haben.«

»Nein, natürlich nicht, das ist klar. Was kommt da infrage? Was meinst du?«

Ihr Kollege biss nachdenklich auf seine Unterlippe.

»Mit dem Auto kann er nicht gekommen sein, wegen dieser Pfosten, die am Eingang stehen. Nur Angestellte der Parkverwaltung können mit einem Spezialschlüssel herein. Ich denke da eher an ein Fahrrad. Ein Fahrrad mit Anhänger. Da passt alles rein und es ist vor allen Dingen leise und unauffällig.«

»Ja, das könnte sein.« Maria kratzte sich mit der Bleistiftspitze die Kopfhaut, was Gerd mit einem irritierten Blick quittierte.

»Ich glaube, ich vertrage dieses blöde Shampoo nicht«, entschuldigte sie sich.

»Also mit einem Fahrrad …«

Ihre Überlegungen wurden durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Hastig sah sie auf ihre Armbanduhr.

»Das rote Pullöverchen!«, raunte sie und grinste verschwörerisch.

Tatsächlich. Es war Dr. Martin in seinem unvermeidlichen roten Pullover. Dazu trug er eine ausgebeulte gelbe Baumwollhose. Ein merkwürdiger altmodischer Lederblouson krönte dieses Gesamtbild der Geschmacklosigkeit. Das dichte weiße Haar stand wie bei einem Hahn hoch zu Berge und verlängerte sein ohnehin schmales Gesicht. Der große Kopf passte nicht zu dem rundlichen, halslosen Körper. Genau genommen passte nichts zueinander. Die Arme waren für seinen gedrungenen Oberkörper zu lang und die Beine zu kurz. Die dicken Brillengläser ließen seine Augen zu kleinen, braunen Murmeln zusammenschrumpfen. Etwas Kindliches und – Maria schämte sich für diesen Gedanken – fast Retardiertes ging von dem Psychologen aus. Aber das täuschte. Sein Verstand war äußerst scharf, geprägt von analytischem und logischem Denkvermögen.

Maria rief Nihat an und bat ihn, die ausgedruckten Informationen aus der Datenbank in ihr Büro zu bringen. Wenige Minuten später war er da. Mit dem Schnellhefter in der Hand schoss er einen feindseligen Blick auf Gerd Wechter ab.

Dr. Martin hatte sich inzwischen auf einen Stuhl gesetzt. Als ob er einen steifen Hals hätte und deswegen den Kopf nicht drehen könnte, wandte er sich Nihat mit dem gesamten Oberkörper zu und beäugte ihn interessiert, wobei sein linker Arm schlaff und leblos an seiner schiefen Schulter baumelte.

»Gib den Ordner bitte Herrn Dr. Martin.«

Als Nihat wieder verschwunden war, schob Maria kurzerhand Aktenordner, Papierstapel und die Tastatur auf ihrem Schreibtisch zur Seite und breitete dort die Polizeifotos von Kopf und Körper der Leiche und den zwei unterschiedlichen Fundorten aus.

»Das ist unser Opfer. Zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt. Hier der Kopf in der Vase am Palaisteich im Großen Garten und da«, Maria tippte mit dem Zeigefinger auf das Bild, »der Körper, so wie wir ihn gefunden haben, im Baum, einige Hundert Meter vom Fundort des Kopfes entfernt.«

Dr. Martin inspizierte die Fotos und bewegte dabei unmerklich die Lippen. Maria ließ ihm Zeit und beobachtete den Mann, der sie heute mehr denn je an einen Gnom erinnerte. Mit gekrümmtem Rücken hatte er sich über den Schreibtisch gebeugt und sah sich hoch konzentriert ein Bild nach dem anderen an.

Endlich hob er den Kopf. Maria und Gerd sahen ihn gespannt an.

»Spread your wings and fly. Hm, kann er aber nicht, dieser Vogel. Flugunfähig, weil Flügel gefesselt und kein Kopf.«

Gerd und Maria sahen sich kurz an und dachten beide dasselbe. Hatte dieser Psychologe vielleicht doch einen an der Waffel, wie so mancher Vertreter seiner Zunft?

»Rache. Die Frau hat ihren Mann verlassen, wollte wegfliegen. Frei sein, wie ein Vogel. Da hat er ihr dann den Kopf abgeschnitten und sie in den Baum gesetzt.« Seine kindlich hohe Fistelstimme stand in krassem Gegensatz zu seiner nüchternen Erläuterung.

Na großartig, dachte Maria, so weit waren wir auch schon.

»Mit dieser Inszenierung will er seine Macht und Überlegenheit demonstrieren«, ergänzte Dr. Martin. »Und außerdem …« Jetzt zögerte er.

»Ja, und außerdem?«, fragte sie.

Im selben Moment läutete das Telefon. Genervt entschuldigte sich die Kommissarin, die die Nummer der Rechtsmedizin auf dem Display erkannt hatte und den Hörer abnahm. Mit ungläubiger Miene lauschte sie ihrem Gesprächspartner und schaute von Gerd zu Dr. Martin, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.

»Das war noch einmal die Rechtsmedizin. Dr. Petermann hatte vorhin ein Detail vergessen.«

»Welches?«, fragte ihr Kollege ungeduldig.

»Die Tote war im Intimbereich rasiert. An sich ja nichts Außergewöhnliches. Trotzdem befanden sich dort Haare, allerdings keine menschlichen.«

»Keine menschlichen?«, echote Gerd entgeistert.

»Nein. Es handelt sich um ein Stück Kaninchenfell, das aufgeklebt wurde.«

»Interessant …«, lispelte Dr. Martin.

Maria schwieg für einen kurzen Moment und runzelte dann die Augenbrauen.

»Dr. Martin. Sie wollten doch noch etwas sagen, bevor wir unterbrochen wurden.«

»Ja, richtig. Er hat diese Frau zu einem Tier gemacht und ihr damit das Wesen eines Menschen genommen, sie ihrer menschlichen Würde beraubt. Verstehen Sie, was ich meine? Nicht wenige Mörder schließen den Getöteten die Augen oder decken sie zu. Was nichts anderes bedeutet, als dass man ihnen, obwohl man sie umgebracht hat, ihre Würde belässt. Ein finaler Gnadenakt sozusagen, wenn auch vielleicht unbewusst. Im vorliegenden Fall wurde das genaue Gegenteil angestrebt. Die Frau wird zu einem bloßen Objekt degradiert, zu einem Vogel, der weder fliegen noch sehen oder hören kann. Ein Nichts.«

»Ich verstehe. Eine komplette Vernichtung?«

»Nicht ganz. Dieser Akt der Degradierung und Entmenschlichung offenbart eine fürchterliche, rasende Wut. Gleichzeitig bedeutet er für den Täter eine Art Erleichterung. Die Frau, die ihn verlassen hat oder ihn verlassen wollte, ist kein Mensch mehr. Es schmerzt nicht mehr so stark, denn sie ist ja nur ein verstümmeltes Tier.«

»Also haben wir es hier mit einem Psychopathen zu tun, wenn ich Sie richtig verstanden habe.«

Dr. Martin schwieg für einen Moment, sagte dann aber:

»Viele Menschen – mehr als Sie sich vorstellen können – haben zum Teil völlig unterschiedliche Ego-Anteile in sich. Es kommt immer darauf an, wie diese Anteile miteinander kooperieren beziehungsweise sich im schlimmsten Fall kontrollieren lassen. Aber wenn Sie darauf bestehen, ja, es handelt sich um einen Psychopathen, also einen Menschen mit einer extrem schweren Persönlichkeitsstörung, die dafür sorgt, dass ihm Empathie und soziales Gewissen fast vollständig fehlen.«

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22 декабря 2023
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9783948916008
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