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Auch Franz Schnyders Vater Max und Bruder Felix, die ihn zur Premiere in München besuchten, gefiel das Stück. Die beiden waren sehr stolz auf ihn, wie sie Mutter Louise berichteten, und alle drei bedauerten, dass sie nicht dabei sein konnte. Sie befand sich zu dieser Zeit mit einer Depression in der Klinik im bernischen Kehrsatz. Mitte Mai schrieb Louise an Conrad: «Ihr kommt nach Hause, es ist keine Mutter da. Zum Vater schaut auch niemand mehr. Kann man sich da etwas traurigeres denken als unsere Haushaltung? Vor einem Jahr war noch alles gut und jetzt sind wir alle so bitter bös daran.» Felix, Conrad, Max und auch Franz versuchten, sie mit Briefen aufzuheitern. Selbst die gute Frau Grünbaum, Franz’ Vermieterin in Berlin, schrieb ihr ein paar nette Zeilen.

Ein gescheitertes Engagement

Franz Schnyder erzählte im hohen Alter, dass er nie vorhatte, Schauspieler zu bleiben.71 Er liebäugelte bereits während seiner Zeit in Deutschland damit, in Kinoproduktionen mitzuwirken, und beantragte bereits 1936 die Aufnahme in die Reichsfilmkammer, die ihm auch gewährt wurde. Er liess sich als Schauspieler und Spielleiter registrieren. Das Theater-Tageblatt schrieb im Artikel «Die Bühne als Kraftquelle des Films», dass die meisten Leute über das Theater zum Film kämen und im Schnitt jeder neue Film drei Anfänger herausbringe. «Auch in die Front der Regisseure sind die vom Theater kommenden Leute aufgerückt. […] Hans Deppe, […] Veit Harlan, […] Carl Boese.» Vielleicht hat dieser allgemeine Trend Schnyder darin bestärkt, an seinem Vorhaben festzuhalten. Kurz nach der Premiere von «Im sechsten Stock» schrieb er am 7. Juni 1939, dass er nach Berlin gefahren sei, um Verhandlungen für einen Film zu führen, den er in einem Jahr drehen sollte. Aus dem Projekt wurde wohl nichts, da er am 4. Juni 1940 aufgefordert wurde, seinen Mitgliederausweis Nr. 8898 zurückzugeben, weil er in den vergangenen zwei Jahren seine «Filmtätigkeit als Film-Spielleiter-Anwärter» nicht wahrgenommen habe.72

Im Juni 1939 erhielt Schnyder endlich seinen Vertrag, in dem er von Hilpert für ein fixes Engagement an die Münchner Kammerspiele ausgeliehen wurde. Hierfür musste er bestätigen, dass er rein arischer Abstammung war und, eingeschlossen die vier Grosseltern, keinerlei nichtarische Vorfahren besass. Für die Spielzeit 1939/40 sollte er als Erster Spielleiter wirken. Sein Lohn betrug nun schon 750 Reichsmark brutto pro Monat. Bei der Unterzeichnung musste er auch den Sonderbestimmungen der Kammerspiele zustimmen. So durfte er etwa die Stadt ohne Urlaubsschein nicht verlassen.

Porträts von Franz Schnyder aus seiner Münchner Zeit, um 1939.

Nach dem Wechsel der Münchner Kammerspiele in den Besitz der Stadt konnte die Spielstätte an der Maximilianstrasse umgebaut werden – und zwar nach den persönlichen Anweisungen Adolf Hitlers. Der Innenraum, der gemäss Hitler in der «derzeitigen Verfassung entsetzlich» sei, würde der hohen Qualität der Aufführung nicht entsprechen und müsse dringend renoviert werden. Hitler gab sehr direkte und genaue Anweisungen für die Neugestaltung, welche die Besucher beeindrucken sollte. Für die einjährige Renovierungsphase zog man in das Variété-Theater Colosseum, dessen Lage aber allgemein als schwierig beurteilt wurde. Es war etwas abseits gelegen, und der Weg dorthin war aufgrund der Verdunkelung sowohl für die Besucher, aber auch für die Schauspielerinnen sehr umständlich und gefährlich. Umso mehr sollte in der Presse positive Stimmung zu diesem einjährigen Provisorium verbreitet werden. Deshalb produzierten die Kammerspiele eine Spezialausgabe ihres Werbehefts, das das Publikum auf möglichst humorvolle Weise auf die räumliche Veränderung vorbereiten sollte. «Lieber Herr Schnyder! Wir haben zwar für unser Propagandaheft schon ein Bild von Ihnen, das ich seinerzeit vorsorglich zurückbehalten habe. Aber es ist uns zu ernst. Wir machen nämlich ein komisches Propagandaheft – seit ‹Im 6. Stock› werden bei uns nur noch komische Dinge gemacht. […] Alle Schauspieler erscheinen nur in Liebhaberfotos irgendwelche für sie symbolische Gegenstände mit sich schleppend. Bitte senden Sie mir sofort auch ein derartiges Bild von sich, das ganz irr sein darf – wenn auch in Grenzen!», wurde er von der Theaterleitung aufgefordert.

Bereits im Sommer 1939, den er wie gewohnt in Burgdorf verbrachte und von wo aus er gelegentlich Bergtouren unternahm,73 besprach er sich schriftlich mit Falckenberg über die zu inszenierenden Stücke. Im Juli erhielt er «Die gefesselte Phantasie» zur Lektüre, ein Zauberspiel in zwei Aufzügen von Ferdinand Raimund. Gegenüber Falckenberg gab er zu bedenken, ob dieses Stück nicht doch zu harmlos und «kindlich-verspielt» sei, um dem heutigen Publikum zu gefallen. Falckenberg wies darauf hin, dass es Aufgabe der Regie sei, das Werk entsprechend zu inszenieren, und überliess deshalb ihm die Entscheidung, ob er nicht lieber «Der Arzt am Scheideweg» übernehmen wolle. Jedoch würde Friedrich Domin, der darin die Hauptrolle spielte, gerne selbst Regie führen. Schnyder präferierte «Die gefesselte Phantasie», da er Domin nicht kränken wollte. Daraus wurde jedoch nichts. Am 9. August bat ihn Direktor Waldeck, die Regie von «Mensch und Übermensch» zu übernehmen. «Seien Sie uns nicht böse, dass es nun mit der Regie von ‹Die gefesselte Phantasie› nichts geworden ist. Intendant Falckenberg möchte sie selbst gerne gemeinsam mit Herrn Wery, der sich als Bayer ungemein gerade für dieses Stück interessiert, machen.» Doch auch «Mensch und Übermensch» wurde aus verschiedenen Gründen fallen gelassen. «Über unsere weiteren Pläne, insbesondere auch mit Ihnen, erhalten Sie Nachricht sobald Herr Intendant Falckenberg und Herr Direktor Waldeck wieder aus ihrem Urlaub zurück sein werden», liess ihn Chefdramaturg Wolfgang Petzet wissen.

Auch nach den Ferien Waldecks und Falckenbergs herrschte Funkstille. Obwohl Schnyders Vertrag am 1. September 1939 in München begonnen hätte, reiste er wieder zurück in die Schweiz, da er von München noch nichts vernommen und auch in Berlin nichts mehr zu tun hatte. Erst am 19. Oktober erhielt er die Aufforderung, nach München zu kommen, da die Stellprobe für «Schuss im Rampenlicht» auf Ende Monat festgelegt worden war und Falckenberg ihn als Regisseur bestimmt hatte.

Es sollte für Schnyder in München zu keinem Auftrag mehr kommen. Später sagte er oft, dass der Krieg seine Karriere in München beendet habe. Doch waren es vielmehr sein Stolz und die Differenzen mit Falckenberg. Zwar erhielt er regelmässig seinen Lohn; kreativ tätig sein konnte er jedoch nicht. Das Hin und Her der Kammerspiele bewog ihn wohl dazu, sich nach weiteren Möglichkeiten umzusehen und Regieaufträge in Zürich anzunehmen. Am 26. Oktober 1939 war ein Telegramm aus München in die Schweiz unterwegs, adressiert an «Franz Schnyder, Schauspiel, Zürich: Bestätigen telefonische Vereinbarung, wonach Ihr Vertrag ab 1. November gelöst ist. September und Oktober-Gage wird von uns bezahlt.» Das Telegramm konnte aber nicht übermittelt werden, da die Telegrafenverbindung unterbrochen war. Was auch immer genau geschehen war – Schnyder kam dann später doch noch zur Besinnung und schrieb am 19. November 1940 von Zürich aus an Falckenberg: «Sie haben mir einmal prophezeit, ich würde beim Film landen. Diese Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen; ich mache gegenwärtig meinen ersten Film. Aus diesem Anlass heraus fühle ich mich gezwungen, Ihnen zu schreiben. Und zwar einzig und allein aus dem Grunde, weil ich Ihnen gegenüber ein sehr schlechtes Gewissen habe. Was mich bei der ganzen Geschichte beruhigt, ist nur, dass ich allein der Leidtragende bin. Ich denke sehr ungern an meine Münchner Zeit zurück, weil sie eng verbunden ist mit meiner Riesen-Dummheit. Ich hätte an Ihrem Theater die Möglichkeit gehabt, in jeder Beziehung künstlerisch und menschlich zu reifen: diese Möglichkeit habe ich mir selbst genommen und das werde ich mir nie verzeihn. Nicht dass ich mich in einer Notlage befinde; im Gegenteil: financiell ist es mir noch nie so gut gegangen wie jetzt. Aber umso mehr bin und kann ich objektiv sein und Fehler erkennen, aus denen ich zwar viel gelernt habe, die ich aber leider leider nicht gut machen kann. Sehr verehrter Herr Intendant! Ich kann Sie zwar nicht bitten, mein damaliges Gebaren zu verstehn – ich kann es heute selbst nicht mehr verstehn –, aber eines muss ich Sie bitten, mir, so weit es Ihnen möglich ist, meine Fehler nicht mehr nachzutragen.»74 Vielleicht war es die Reue über die verpatzte Chance und die Bosheit gegenüber sich selbst, weshalb er sich später einredete, die politische Situation sei Grund für seine Heimkehr gewesen.75

Vielleicht hatte Schnyder aber auch gerade Glück, wieder in die Schweiz gekommen zu sein, denn die Lage an den Kammerspielen verschlechterte sich. «Der Krieg […] bestimmte mehr noch als die Erfahrungen mit der behelfsmässigen Wirkungsstätte des Kolosseums manche wesentliche Umstellung und Änderung des angekündigten Spielplans», war im Völkischen Beobachter im Juli 1940 zu lesen. Immerhin konnte man am 12. Februar 1940 wieder in das modernisierte Schauspielhaus zurückkehren. Doch der Krieg verschlimmerte die Arbeitsbedingungen, und der grosse Kleider- und Kostümmangel war nur eine der vielen Sorgen der Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Situation am Schauspielhaus Zürich war gewiss besser.

Rückblickend sagte Schnyder in den 1970er-Jahren,76 dass die Nazis ihn in künstlerischer Hinsicht nicht eingeschränkt hätten. «Das Deutsche Theater und die Münchner Kammerspiele waren ‹Inseln im Sturm.›» Diese Aussage mochte für ihn persönlich vielleicht stimmen, weil er nicht direkt miterlebt hatte, was in den Büros der Direktion geschah oder es ihn schlicht nicht interessierte. Der Einfluss der Nazis auf die Spielplangestaltung – in München ja gar in die baulichen Massnahmen – war offensichtlich, aber solange er die vorgegebenen Stücke frei inszenieren konnte, schien ihn das Geschehen nicht sonderlich beunruhigt zu haben – oder er ignorierte es einfach. 1991 schrieb er: «Die Theaterleute waren ja alle keine Nazis. Doch Op[p]ortunisten – dazu feige. Sie wollten doch gefeierte Stars sein – und da lässt man Gewissen Gewissen sein.»

Rückkehr in die Schweiz

In diversen Texten liest man, und Schnyder sagte es öfters auch selbst, dass der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sein Engagement an den Münchner Kammerspielen vereitelt habe und er zurück in die Schweiz gekommen sei, um in den Militärdienst einzurücken. Probenzettel und Aufführungsanzeigen widerlegen diese Begründung jedoch. Denn zum einen ging er in der zweiten Hälfte des Jahres 1939 direkt ans Schauspielhaus Zürich, wo er regelmässig inszenierte. Auch wenn er bei den Aufführungen, in denen er nicht Teil des Schauspielensembles war, nicht jedes Mal anwesend sein musste, brachten die Inszenierungen doch viele Probentermine mit sich. Zum anderen fanden die Dreharbeiten zu «Gilberte de Courgenay» im Februar und März 1941 statt, also musste er sich spätestens ab Herbst 1940 mit den Vorbereitungen beschäftigen. Somit blieb nicht viel Zeit für Militärdienst. Es könnte höchstens sein, dass er während der Sommerpausen seiner Militärpflicht im Rahmen der obligatorischen Wiederholungskurse nachkam, doch diese hätten ein Engagement in Deutschland nicht verhindert. Wegen des Kriegs zurückzukehren, um seinem Vaterland zu dienen, hört sich natürlich im Nachhinein besser und heroischer an und ist auch nicht grundsätzlich falsch. «Ich musste einrücken. Und ich bin gerne eingerückt. Die Schweiz schien mir ein Paradies. Keine Nazis, jeder konnte seine Meinung sagen und frei leben. Und jeder musste natürlich auch seine Pflichten gegenüber dem Staat erfüllen.»77

Franz Schnyder liess sich in Zürich an der Hottingerstrasse 30 nieder, wo er die kommenden acht Jahre gewohnt hat.78 Die Zeit am «Pfauentheater», dem Aufführungsort des Zürcher Schauspielhauses, war von entscheidender Bedeutung. Hier traf er viele berühmte jüdische und systemkritische Bühnenkünstler, die seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus dem Deutschen Reich geflohen waren und mit denen er später noch oft zusammenarbeiten sollte. Schauspieler wie Heinrich Gretler, Therese Giese, Anne-Marie Blanc, Erwin Kohlund, Leopold Biberti – aber auch Regiegrössen wie Leonard Steckel oder Leopold Lindtberg, den Musiker Paul Burkhard, den Bühnenbildner Teo Otto und den Dramaturgen Kurt Hirschfeld. Mit der Annexion Österreichs 1938 hatte eine zweite grosse Emigrationswelle eingesetzt. Zürich entwickelte sich damit zum rettenden Hafen der Elite deutschsprachiger Kultur, deren Vertreterinnen und Vertreter der Stadt eine blühende Ausstrahlung verliehen, auch wenn sie zum Teil nur auf der Durchreise waren. An seiner neuen Wirkungsstätte konnte sich Franz Schnyder einer äusserst hochkarätigen Truppe anschliessen, die nicht nur das schweizerische Theater-, sondern auch das Filmgeschehen entscheidend mitprägte.

Bereits am 2. November 1939 feierte Schnyder seine erste Premiere in Zürich. Es handelte sich um das Stück «Das schöne Abenteuer», das er ein Jahr zuvor in Berlin inszeniert hatte. Nachdem er am Stadttheater Basel «Cäsar und Cleopatra» nach George Bernard Shaw und am Stadttheater Bern Goethes «Egmont» inszeniert hatte, konnte er nach der Sommerpause wieder in Zürich arbeiten und spielte dabei auch selbst. Am 10. Oktober 1940 feierte «Die Fassade» von Robert Faesi Premiere, worin er den Jakob Rütschi verkörperte. Daraufhin folgte am 2. November «Der Soldat Tanaka». Das Stück des in der Schweiz lebenden deutschen Autors Georg Kaiser ist in Japan angesiedelt und handelt von einem Soldaten, der in sein Dorf zurückkehrt. Der Autor entlarvt den japanischen Militarismus und thematisiert ganz allgemein die Ohnmacht und das Elend von Unterprivilegierten in einem kriegerischen Regime. Werk und Inszenierung erhielten gute Kritiken. Auf Druck des japanischen Gesandten in Bern, Yutaka Konagaya, wurde jedoch von der Schweizer Bundesregierung auf das Schauspielhaus eingewirkt, das Stück abzusetzen. Am 9. November sagte die Direktion dies zu, jedoch konnten die Vorstellungen vom 10. und 12. November nicht mehr abgesagt werden. Kaiser war über die Absetzung äusserst verbittert, starb am 4. Juni 1945 in Ascona und sollte die Erstaufführung in Deutschland, wenige Jahre später, nicht mehr erleben.79

Die ersten drei Spielfilme
1941–1943

Während Franz Schnyders Engagement als Regisseur am Schauspielhaus Zürich stand ein besonderes Stück auf dem Spielplan: «Gilberte de Courgenay».80 Der Basler Dramatiker Rudolf Bolo Maeglin hatte den Roman und das Theaterstück geschrieben. Leonard Steckel sowie Richard Schweizer – späterer treuer Mitarbeiter Schnyders – inszenierten das Stück auf der Pfauenbühne. Der Soldatensänger Hanns In der Gand81 hatte zuvor den Schlager berühmt gemacht, der von der Tochter eines jurassischen Gastwirts, Gilberte Schneider-Montavon (1895–1957), handelt, die im Ersten Weltkrieg zahlreiche Grenztruppen versorgt hatte und anschliessend zur patriotischen Kultfigur wurde. Der Erfolg des Stücks war überwältigend: volle Häuser bei zunächst acht Vorstellungen im Schauspielhaus und anschliessend 125 im Zürcher Corso, 80 in Basel und 50 in St. Gallen.

Dass sich diese Geschichte auch für einen Kinofilm eignen würde, erkannte Lazar Wechsler, der damals wichtigste Produzent des noch jungen Schweizer Filmschaffens und Leiter der Filmgesellschaft Praesens-Film AG. Unterstützt von Drehbuchautor Richard Schweizer, der als Vizedirektor des Zürcher Schauspielhauses bestens vernetzt war, sicherte er sich die Rechte an dem Theaterstück. Doch bis zum ersten Drehtag im Februar 1941 sollten noch eineinhalb Jahre vergehen. Der Grund lag in der sich in die Länge ziehenden Mobilmachung der Schweizer Armee. Jeder weitere Tag verschaffte dem Thema eine zunehmende Bedeutung und Aktualität. Ausserdem musste die «echte Gilberte», Madame Schneider-Montavon, ihr Einverständnis zum Film geben. Und sie liess es sich nicht nehmen, auch noch die Entstehung des Drehbuchs sehr genau zu überwachen. Sie veranlasste, dass die Produktion von der Nationalspende gefördert wurde. Diese Institution verfolgte das Ziel, «den Patriotismus und den Unabhängigkeitsgeist zu stimulieren, zur geistigen Landesverteidigung beizutragen, indem sie das Volk darauf vorbereitet, für seine Rechte zu kämpfen».82 Die Einbindung der Nationalspende in den finanziellen Herstellungsprozess hatte den Vorteil, dass der Film der gesamten Schweizer Bevölkerung empfohlen wurde, sodass er maximale Verbreitung fand. Im Gegenzug erhielt die Behörde einen Teil der Einnahmen für die Allgemeine Armeehilfe.83

Geistige Landesverteidigung

Sowohl das Bühnenstück als auch die Kinoadaption von «Gilberte de Courgenay» entstanden im zeitgeschichtlichen Kontext der Geistigen Landesverteidigung, mit der die einheimische Identität gegen die Ideologien des Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus gestärkt werden sollte. In der Botschaft des Bundesrats vom 9. Dezember 1938 formulierte Philipp Etter konkrete Absichten und Ziele dieser politisch-kulturellen Bewegung, nämlich die Abwehr von Rassismus, Nationalismus, staatlicher Kulturpropaganda sowie dem Führerstaat. Hierfür sollten folgende schweizerische Eigenschaften dienen: die Zugehörigkeit zu drei europäischen Kulturräumen, die kulturelle Vielfalt, die demokratische Gesinnung sowie die Ehrfurcht vor der Freiheit des Menschen. Als Instrumente der Geistigen Landesverteidigung wirkten Institutionen wie die 1938 als private Kulturorganisation gegründete Pro Helvetia, die Neue Helvetische Gesellschaft und ab 1939 die neue Armeesektion Heer und Haus, welche vor allem der staatlich gelenkten Kulturpropaganda aus Deutschland und Italien entgegentraten. Das Kulturschaffen konnte sich in der Schweiz relativ autark entwickeln, bereichert durch Rückkehrer und Emigranten. Einige Bereiche erlebten eine Blüte – Verlagswesen, Theater, Radio, Presse und Film –, oder sie etablierten sich neu, wie das Tanzschaffen, der Swing und der Jazz.

Am 1. Mai 1939 begann in Zürich die mit 10,5 Millionen Besucherinnen und Besuchern äusserst erfolgreiche Landesausstellung. Sie präsentierte eine mit sich selbst versöhnte, aber durch die Nachbarstaaten in ihrer Souveränität bedrohte Schweiz, die es zu bewahren galt. Das Medium Film nahm bei der Schau eine Sonderstellung ein. Man präsentierte historische und ökonomische Aspekte des Kinos, wobei die Werke der Praesens-Film besonders stark vertreten waren, stellte das Unternehmen damals doch den Grossteil der einheimischen Produktionen und nahezu alle im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung her.

Der Schweizer Film in seinen Anfängen

Zuvor, in den 1930er-Jahren, hatte sich das einheimische Filmschaffen nur mühsam und ohne staatliche Unterstützung entwickelt. Die jährliche Anzahl abendfüllender Produktionen lag zwischen zwei und maximal zehn. Dabei herrschte eine erdrückende Dominanz des Importfilms, vor allem aus Hollywood, der fast nie weniger als 98 Prozent des filmischen Angebots in der Schweiz ausmachte. Um die Kinos regelmässig auszulasten, waren also ausländische Filme nötig, und so zeigte man davon pro Jahr teilweise mehr als 700 Titel. Eine enorme Diskrepanz. Im Uraufführungsjahr von Franz Schnyders «Gilberte de Courgenay», 1941, verzeichnete man immerhin einen leichten Anstieg auf 14 einheimische Produktionen.

Hollywood-Filme wurden inhaltlich und ästhetisch nach bestimmten Richtlinien, dem production code, hergestellt, um eine zu starke Konkurrenz der grossen amerikanischen Produktionsgesellschaften untereinander zu vermeiden.84 Diese Art freiwillige Selbstzensur übernahm das Schweizer Filmschaffen. Dazu gehörte etwa die Abbildung einer ausschliesslich städtischen, gehobenen Mittelschicht, also des Lebens der feinen Leute, sowie von deren Gefühlen, Wünschen und Beziehungen. Die Themen «Ehe» und «Familie» waren generell als ideal darzustellen, und bestimmte Wörter wie «Hölle» und «Gott» durften nicht verwendet werden. Dieser Moralkodex normierte die Darstellung der Wirklichkeit. Experimentelle Inszenierungen waren kaum möglich, weder in Hollywood noch in der Schweiz. Viel wichtiger war es, dass die Produktionen ihre Herstellungskosten einspielten, was allein mit überdurchschnittlich hohen Kinobesucherzahlen gelang. Nur so konnte der Schweizer Film neben dem internationalen konkurrieren. Eine staatliche Filmförderung war noch lange nicht in Sicht.

Das einheimische Filmschaffen fügte sich also dem Diktat des ausländischen und versuchte seine Existenz mit verschiedenen Filmtypen zu rechtfertigen. In den 1930er-Jahren dominierte die Meinung, dass die Schweiz allein wegen ihrer Landschaft und Berge sowie der Natürlichkeit der Menschen ein Filmland sei. Produziert wurden deshalb vor allem Landschafts- beziehungsweise Bergfilme, zum Beispiel «Die Herrgottsgrenadiere» (Anton Kutter, 1932) oder «Die weisse Majestät» (Anton Kutter, 1933), bei denen die Bergwelt die Handlung visuell dramatisch verstärkt und ein Kontrast zur eher negativ besetzten Stadtwelt erzeugt wird. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelangte die nationalsozialistische Propaganda auch über das Medium Film in die Schweiz. Der Bund versuchte, Gegensteuer zu geben. 1938 wurde die Schweizerische Filmkammer gegründet. Sie vertrat die Programmatik der Geistigen Landesverteidigung des Bundes und versuchte, diese in die Praxis umzusetzen. In der Botschaft des Bundesrates über Organisation und Aufgabe der schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung vom 9. Dezember 1938 hiess es: «Die Abwehr wesensfremder Einflüsse auf unser Volk soll erstens durch Zensur gewährleistet werden.» Es müsse aber auch ein «bodenständiger Film geschaffen werden, der die fremde Propaganda für das Eigene, das Schweizerische ersetzt».85 Die Filmpolitik forderte also Produktionen im Zeichen nationaler Werte und zur Stabilisierung der landeseigenen Identität. Kritische Meinungsbildung und ästhetische Ansprüche gerieten dabei in den Hintergrund.

Filme der Geistigen Landesverteidigung werden heutzutage von Filmhistorikerinnen und -historikern durchaus kritisch bewertet. Sie zeigen die Schweiz als unabhängige, geeinte, starke Nation mit konservativen Wertvorstellungen. Freiheit war in diesen Produktionen kein Recht des Individuums, sondern das Selbstbestimmungsrecht der Eidgenossenschaft, deren Bevölkerung in erster Linie als kampfbereite Bauernsoldaten gezeigt wurden, die in familiären Strukturen organisiert waren, fern von grossstädtischen Problemen, religiösen Unterschieden, Sprachgräben und Klassenunterschieden.86

Doch was aus heutiger Sicht eindeutigen Propagandacharakter besass, erfüllte im zeitgenössischen Rahmen durchaus seinen Zweck. Zwischen 1938 und 1943 gelang es, die Erwartungen der Zuschauerinnen und Zuschauer zu erfüllen, patriotische Überzeugungen wiederzugeben und das grosse Publikum zu mobilisieren. Einige Produktionen verzeichneten in zwei Auswertungsjahren bis zu einer Million und mehr Kinobesucherinnen und Kinobesucher – eine enorme Zahl bei einer Gesamtbevölkerung von 4,2 Millionen im Jahr 1940. Zu den bedeutendsten Filmen gehörten «Füsilier Wipf» (Leopold Lindtberg, Hermann Haller, 1938) und «Gilberte de Courgenay» (Franz Schnyder, 1941), die nicht nur im deutschsprachigen Teil des Landes, sondern auch im französischen sowie im Tessin erfolgreich liefen. In der Westschweiz jedoch wurde das Thema «Heimat» sowie die patriotische Rhetorik als aufgesetzt und künstlich empfunden. Ferner empfand man die Bedrohung durch Deutschland als weniger stark, was auch an der geografischen Entfernung lag, sodass das Konzept des Mediums Film im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung dort nicht umgesetzt wurde. Stattdessen gelang es dem Filmschaffen in der Romandie dank dessen liberalerem künstlerischen Selbstverständnis Ende der 1950er-Jahre – und damit wesentlich früher als in der Deutschschweiz –, den geeigneten Nährboden für den sogenannten Neuen Schweizer Film zu schaffen.

Die Praesens-Film AG und Lazar Wechsler

Die Praesens-Film AG war bereits in den 1930er-Jahren die wichtigste Produktionsgesellschaft des Landes und entwickelte sich zur einzigen in der Schweiz mit Weltruf. Dem thematischen Schwerpunkt «Heimat» widmete das Unternehmen ein ganzes Produktionsprogramm. Dazu gehörten die äusserst erfolgreichen Filme «Füsilier Wipf», «Gilberte de Courgenay» und «Landammann Stauffacher» (Leopold Lindtberg, 1942), alle geschrieben von Richard Schweizer. Gegründet wurde die Praesens 1924 von zwei Männern, die auf den ersten Blick wenig Kompetenzen für die Filmbranche mitbrachten: Lazar Wechsler (1896–1981), einem studierten Ingenieur und über Jahrzehnte Hauptakteur der Firma, sowie dem Schweizer Luftfahrtpionier und Kameramann Walter Mittelholzer. Die Erfolgsgeschichte der Praesens basierte vor allem auf Wechslers Charisma, Mut, Spürsinn und Hartnäckigkeit. Geboren im polnischen Petrikau, galizischer Herkunft, mit österreichischem Pass, Sohn einer der wohlhabendsten jüdischen Familien des Landes, besuchte er ein Gymnasium in Russland und liess sich kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs mit der Mutter und seinen Brüdern in Zürich nieder. Wie Maximilian Schnyder absolvierte auch Wechsler an der ETH ein Ingenieurstudium. Anschliessend heiratete er die Zürcherin Amalie Tschudi, mit der er Sohn David bekam, und erhielt 1923 die schweizerische Staatsbürgerschaft.

Zum Erstaunen seiner Umgebung ging Wechsler jedoch nicht den zunächst geplanten Weg in das solide Baugewerbe, sondern wagte den Schritt in die Filmbranche, die in der Schweiz gerade erst am Entstehen war. Kaufmännische Grundkenntnisse erwarb er sich beim Verleiher Chaim Weissmann, der damals für die Emelka-Film (Münchner Lichtspielkunst GmbH) tätig war, aus der später die Münchner Bavaria Filmstudios hervorgingen. Es folgten erste Versuche als Regisseur, Werbeberater und Produzent. Als Teilhaber seiner Firma konnte er Walter Mittelholzer gewinnen, der im Besitz einer eigenen Kamera war und seit 1919 sogenannte Kino-Flüge filmte. Durch ihn entstanden die ersten von einem Flugzeug aus gedrehten Dokumentarfilme, wie «Im Flugzeug von Basel zum Mont-Blanc» (1919) oder «Flug über die Berner und Walliser Alpen» (1920). Am 19. März 1924 gründeten Mittelholzer und Wechsler die Praesens-Film AG mit einem bescheidenen Startkapital von 10 000 Franken.

Franz Schnyder und Produzent Lazar Wechsler 1954 bei den Dreharbeiten für den Film «Heidi und Peter». Wechsler gründete 1924 in Zürich die Praesens-Film AG, mit der Schnyder für sieben seiner Langspielfilme zusammenarbeitete.

Aus ökonomischen Gründen bestand das Praesens-Programm zunächst nur aus Werbefilmen, Reklamedias und weiteren erfolgreichen Flugreportagen Mittelholzers, etwa «Bern» (1926) und «Zürich und der Zürichsee» (1927). Die Firma entwickelte sich positiv, das Stammkapital wurde erhöht, man bezog neue Büroräume an der Weinbergstrasse, Filialen in Lausanne und Brüssel entstanden, und der Rechtsanwalt Paul Meyer (späterer Direktor der Central Film) sowie der Werbeberater Charles Ruedi kamen als Partner an Bord. 1930 schaffte Wechsler mit «Frauennot – Frauenglück» (Eduard Kasimirowitsch Tisse), einer Dokumentation über das Thema Schwangerschaftsabbruch, seinen ersten Erfolg. An dieser wirkte auch der Russe Sergei Eisenstein, einer der virtuosesten Regisseure der Filmgeschichte, mit. Aufgeführt wurde sie in ganz Europa, in den USA, Südamerika, Australien und Japan. Bis zu Beginn der 1930er-Jahre hatte sich Lazar Wechsler zum wichtigsten Produzenten für Industrie- und Dokumentarfilme des Landes entwickelt.

Doch das reichte dem umtriebigen Filmpionier nicht. Sein Ziel war es, Spielfilme zu produzieren, die das Leben des einheimischen Publikums widerspiegelten, in Dialekt gesprochen und nicht für den Export bestimmt waren. Er kreierte somit einen lokalen Nischenfilm, der neben Filmen aus Hollywood oder Deutschland existieren konnte. Dieser sowie die Geistige Landesverteidigung waren die filmkulturellen Grundlagen, auf denen Schnyders Leinwanddebüt entstand. Sie boten dem Burgdorfer zwar Orientierung, doch mit den damit einhergehenden formalen wie inhaltlichen Grenzen ebenso eine Art kreatives Korsett. Sie prägten ihn wesentlich bis in sein Spätwerk Ende der 1960er-Jahre.

Basierend auf einem Theaterstück des St. Galler Autors August Corrodi schrieb Richard Schweizer das Drehbuch zum ersten Schweizer Spielfilm in Mundart: «Wie d’Warret würkt», dessen Regie Walter Lesch übernahm. Wechslers Schritt, in Dialekt drehen zu lassen, war kühn, fand man das Schweizerdeutsche zur damaligen Zeit – auch weil es vom kultivierten Bürgertum abgewertet wurde – doch kaum in den Medien vor. Doch entfaltete dieser Coup eine identitätsstiftende Wirkung. Der «Kleinbürgerfilm», in dem ein Autoverkäufer aufgrund einer Wette während 24 Stunden ausschliesslich die Wahrheit sagen darf, was diverse Dramen auslöst (Kündigung, Trennung von der Verlobten), wurde mit beliebten Schauspielern wie Emil Hegetschweiler und Heinrich Gretler an fast ausschliesslich originalen Zürcher Schauplätzen gedreht. Die Uraufführung fand am 1. Dezember 1933 im Zürcher Kino Apollo statt. Der erste vollkommen einheimisch produzierte Tonfilm kam trotz einiger technischer wie dramaturgischer Mängel beim Publikum zufriedenstellend an und spielte seine Kosten wieder ein.87

Wichtige Einflüsse

In den folgenden Produktionen etablierte sich zusehends eine Praesens-Equipe, die zum Erfolgs- und Qualitätsgaranten wurde. Dazu gehörten unter anderem Drehbuchautor Richard Schweizer, Kameramann Emil Berna, Komponist Robert Blum und Cutter Hermann Haller, später allesamt langjährige Kollegen Franz Schnyders. Zum wichtigsten Filmemacher der Praesens und zur prägendsten Figur für den Schweizer Film der gesamten Kriegszeit avancierte schliesslich Leopold Lindtberg. Rückblickend sah Schnyder ihn nicht als Konkurrenten. Vielmehr anerkannte er dessen nachhaltige, kreative Leistungen und den positiven Einfluss auf Wechslers unternehmerische Tätigkeiten. Lindtberg, der gebürtige Wiener und Sohn eines jüdischen Kaufmanns, emigrierte 1933 von Deutschland, wo er erfolgreich als Theaterdarsteller und -regisseur tätig gewesen war, über Paris, Warschau und Tel Aviv in die Schweiz. Am Schauspielhaus Zürich entwickelte er sich zum Starregisseur. Nach der ebenfalls gewinnbringenden Mittelholzer-Dokumentation «Abessinienflug» (1934) engagierte ihn Wechsler für seine zweite Dialektkomödie «Jä – soo!» (1935). Unterstützt wurde Lindtberg hier noch von Co-Regisseur Walter Lesch. Mit Emil Hegetschweiler in der Hauptrolle, den Kabarettisten Elsie Attenhofer und Max Werner Lenz und zahlreichen Darstellern aus «Wie d’Warret würkt», etwa Armin Schweizer, Mathilde Danegger und wieder Heinrich Gretler, wurde auch diese Produktion beim Publikum, in der Presse und an der Kinokasse ein voller Erfolg.

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