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Offenbar litt Franz zeitlebens unter dem Vergleich mit seinem Bruder Felix, oder zumindest phasenweise, etwa während der Schulzeit ab 1916. Franz war ein fleissiger, guter Schüler. Aufgrund der besseren, gar exzellenten Noten seines Bruders stand er aber meistens in dessen Schatten. Eine Mitschülerin empfand Felix bereits damals als «Gentleman britischen Zuschnitts» und eine «Respektsperson».16 In Franzens Zeugnissen sind fachliche Schwächen nicht zu übersehen: in der Primarschule im Fach Schreiben und am Gymnasium in Französisch und Italienisch. Im Turnen und Freihandzeichnen gelang ihm jedoch meistens die Bestnote. Sein Betragen war stets «ziemlich gut» bis «gut». Im Schülertheater spielte er bereits die Hauptrolle. In seiner «Autobiographie II. Teil» – einer losen, selbst getippten Blattsammlung, die er zwischen 1992 und 1993 in der Psychiatrie verfasste – erinnert er sich: «Dann in der Tertia unseres Gymnasiums führten wir Goethes ‹Iphigenie› auf. Ich durfte den Orestes mimen. Und das bestimmte meine Berufswahl. Schauspieler …»17 Seine nicht an die von Felix heranreichenden schulischen Leistungen aber wurden schliesslich zu solch einer Belastung, dass man das Brüderpaar separierte und in unterschiedliche Klassen einteilte.

Detailgenau schildert Franz Schnyder in der «Autobiographie» ausserdem einen Vorfall, der sich während der letzten Jahre im Gymnasium ereignet haben soll und dessen Nacherzählung, falls sie der Wahrheit entspricht, Schnyders selbstbewusstes Verhalten gegenüber Obrigkeiten verdeutlicht: «In der Sekunda wurde ich – über Nacht – zum Rebell. Ein Deutschlehrer – Leo Wolf, aus Germanien – meinte: ‹Schreibt einen Aufsatz über Das Berner Bauernhaus.› Ich lieferte ganze drei Sätze ab: ‹Es hat mir geträumt … Sie, Herr Wolf, wollen näheres über das Berner Bauernhaus erfahren? Gucken Sie selber bei einer Bauernfamilie nach …› Totenbleich, fassungslos erschien der überraschte Wolf: ‹Schnyder! Sie sind verrückt!› ‹Das …›, so meinte ich gelassen, ‹ist nicht von Gewicht. Sie wiederum, verehrter Herr Wolf, sollten sich beschränken, mir nach Gusto eine Note zu geben …› Am Nachmittag erschien dann der Rektor – Lutherbacher – bei meinem Vater.»

Im weiteren Verlauf ihrer Leben entwickelte sich Felix dann zu demjenigen, der, so der Regisseur Christoph Kühn, im Gegensatz zu Franz, «kein Träumer» und «am Boden geblieben» war. In seinem Dokumentarfilm «FRS – Kino der Nation» (1984), einem so sensiblen wie intelligenten Porträt, begleitete Kühn das Brüderpaar nach Burgdorf. Die betreffende Sequenz zeigt zunächst Franz, der auf dem Perron des dortigen Bahnhofs auf Felix’ Ankunft wartet. Erfreut blickt Franz auf die Gleise, dann ungeduldig auf die Bahnhofsuhr und schliesslich zum einfahrenden Zug. Als Felix – vornehm gekleidet in Anzug, Krawatte und mit Einstecktuch – auf der Ausstiegstreppe erscheint, begrüsst ihn Franz mit: «Mäusi!» [Schweizerdeutsch für «kleine Maus»], und nimmt ihm sofort den Koffer ab. Eine Umarmung findet nicht statt, ebenso kein Handschlag. Die beiden gehen respektvoll und leicht distanziert miteinander um. Während sie in ein nahe gelegenes Restaurant zum Essen und anschliessend zum Grab der Familie gehen, hört man im Off ein Gespräch zwischen Felix Schnyder und Regisseur Kühn. Darin wird Felix gefragt, ob er nie Konkurrenz zu seinem Bruder empfunden habe. Ohne Zögern antwortet dieser: «Konkurrenz habe ich nie empfunden, weil unsere Lebenswege so weit voneinander entfernt waren. Ich bin jahrzehntelang fast immer im Ausland gewesen. Aber immer wieder, wenn wir in der Schweiz zusammengekommen sind, waren wir so vertraut wie früher. […] Franz gehört zu den Menschen, die mir am nächsten stehen. Und wahrscheinlich auch umgekehrt.»

Angesprochen auf Gemeinsamkeiten erklärt Felix weiter, dass Franz, im Gegensatz zu ihm, schon früh im Leben eher literarische Interessen gehabt habe. Franz habe viel gelesen und dafür weniger Sport getrieben. Ausserdem fuhr Felix gerne in den Ferien in die Pfadfinderlager, wohin Franz nie mitkam. Die Brüder verband jedoch die Eigenschaft, «unsere Aufgabe vor unsere Person zu stellen». Louise Schnyders erzieherischen Einfluss auf die Ambitionen ihrer Söhne kommentierte Felix anschliessend: «Die Mutter selbst war auch von einem unbändigen Willen beseelt, immer wieder mehr zu erleben, mehr zu erfahren, mehr zu wissen. Sie hat uns sicher Ehrgeiz mitgegeben, vielleicht aber eher eine Unternehmungslust, die uns das ganze Leben begleitet hat. Der Franz hat sicher davon mehr mitbekommen als ich.» Barbara Lamparter empfand ihren Vater als «brav und angepasst», also völlig anders als Franz, der auch noch ziemlich «dickköpfig» war. Ausserdem soll Franz mehr Geld ausgegeben haben, etwa für modische Kleidung, denn er war «sehr eitel». Dagegen war Lamparters Vater ausgesprochen sparsam. Franz bezeichnete seinen Bruder in diesem Zusammenhang gerne als «Eichhörnchen, das Nüsse verscharrt», denn Felix war finanzielle Sicherheit sehr wichtig.

Die heranwachsenden Brüder Franz und Felix (rechts), aufgenommen in einem Burgdorfer Fotoatelier in den 1920er-Jahren. Äusserlich ähnlich – in Anzug und Krawatte –, waren die beiden jungen Männer in ihrem Wesen sehr unterschiedlich.

Im Gegensatz zu Franzens verlief Felix’ berufliche Laufbahn geradlinig steil nach oben: Nach dem Rechtsstudium in Bern war er ab 1938 zunächst in der Privatwirtschaft tätig. Zwei Jahre später begann er für das Eidgenössische Politische Departement18 zu arbeiten, was seine diplomatische Karriere einleitete. Zahlreiche Auslandseinsätze folgten: Moskau, Berlin, Washington, Tel Aviv. Von 1958 bis 1961 war Felix Schnyder als ständiger Beobachter der Schweiz bei den Vereinten Nationen (UN) in New York und als Vertreter der Schweiz bei der Unicef tätig. In den Jahren 1961 bis 1965 wirkte er als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge in Genf und von 1966 bis zu seiner Pensionierung 1975 als Schweizer Botschafter in Washington. Verheiratet war er mit Sigrid Bucher; die gemeinsame Tochter, Barbara Lamparter, wurde 1943 geboren. Die Ärztin und Bildhauerin lebt heute in Zürich und im Tessin.

In einem Nachruf in der Neuen Zürcher Zeitung von 1992 steht geschrieben: «Die Aufzählung der beruflichen Stationen, so eindrücklich sie auch ist, vermag aber der Statur von Felix Schnyder nicht voll gerecht zu werden, wenn nicht auch sein Wesen und seine Persönlichkeit gewürdigt werden. Wer ihn kannte, weiss – über das Professionelle hinaus – um seine lebendige Vielseitigkeit, seine Offenheit den Mitmenschen gegenüber, seine geistige Beweglichkeit, die Originalität seines Denkens. Dazu kamen seine Führungsqualitäten, gepaart mit dem Enthusiasmus, den er seinen Mitarbeitern […] einzuflössen vermochte. Nie war es eintönig in seiner Gegenwart. Geist, Ideenreichtum und Initiative begleiteten ihn bis ins hohe Alter.»19

In Franz Schnyders Nachlass befindet sich ein Tagebuch seines älteren Bruders Konrad, das dieser 1927 im Alter von 21 Jahren zu schreiben begann. An diesem fällt zunächst auf, dass der Verfasser seinen Vornamen hier nicht mehr mit «K», sondern mit «C» schrieb – wahrscheinlich, weil es ihm schlichtweg besser gefiel. Später wurde diese Schreibweise auch im Namen seiner Firma CWS (Conrad Wolfgang Schnyder) berücksichtigt. An die Geburt seiner Brüder erinnert er sich im November 1927 folgendermassen: «Ich war 4 Jahre alt, damals, als meine Brüderlein auf die Welt kamen. Nicht, dass mir dieser Umstand selbst einen tiefen Eindruck gemacht habe – Nein, nur ein Bild des Zimmers, wo die Neugeborenen schliefen (später befand sich im Raum das Bureau) ist mir geblieben. Dunkel, Betten, ein breites Nachtgeschirr, und eine einäugige, hässliche Hebamme …»20 Offenbar beeindruckte ihn die Ankunft der Zwillinge weniger als die Umgebung und das Aussehen der Geburtshelferin.

Eine Passage in Franz’ Autobiografie dokumentiert, dass das Verhältnis zu Conrad während der Kindheit problematisch war: «Und wir liebten uns innig, Felix der ältere, und Franz der jüngere … Doch da zeigte sich noch einer: Conrad Wolfgang … volle 4 Jahre älter …: Felix, der ältere und Franz, der jüngere: unbarmherzig verdrosch er uns … schrien, wimmerten, klagten, litten stumm … unmenschlich, ganz ohne Mitleid …» Louise schrieb an ihre Schwester Ida im Januar 1920 über den 14-jährigen Sohn: «Er [Konrad] ist stark und gross und hat, wenn es ihm nicht darauf ankommt noch ein böses Maul!» Dennoch war Conrad ihr Lieblingssohn. An zweiter Stelle folgte Franz, zuletzt kam Felix. Barbara Lamparter bezeichnete Conrad als «originell», als jemand, «der immer ganz verrückte Sachen» machte. Der Vater trug in seinem Portemonnaie eine Fotografie seines Ältesten bei sich, auf dem sich dieser mit nur einem Arm an der Regenrinne des Burgdorfer Gymnasiums festhält.

Dort hing der junge Conrad in luftiger Höhe so lange er konnte und zur Freude eines staunenden Publikums. Diese auch heute noch spektakulär wirkende Aufnahme zeigte Max Schnyder gerne und voller Stolz jedem, der sie sehen wollte.

Conrad Wolfgang Schnyder, der spätere Gründer der Firma CWS, als junger Mann am Dach des Burgdorfer Gymnasiums hängend. Ein waghalsiger Stunt oder eine Fotomontage?

Im Jahr 1927 verbrachten die Schnyders ihre Sommerferien in der französischen Hafenstadt St. Malo. Ein aussergewöhnlicher Urlaub, da solche Reisen zur damaligen Zeit eher wohlhabenden Familien vorbehalten waren. Zwei Wochen danach schrieb der 21-jährige Conrad – vermutlich hatte er gerade seine kaufmännische Ausbildung absolviert – in sein Tagebuch, dass es während der Ferien zu Spannungen zwischen der Mutter und einem seiner Brüder gekommen war. Selbstkritisch reflektierte er sein eigenes damaliges Verhalten: «Vor 14 Tagen bin ich aus den Ferien in St. Malo zurück gekehrt. Trotz dem ich viel Vergnügen gehabt habe – und noch mehr hätte haben können – so verursacht mir die Erinnerung an die 14 Tage Bretagne schmerzliche Gefühle; Gefühle, die bei mir nur entstehen können, wenn ich mich selber anzuklagen habe. Ich klage mich an einer schlechten Aufführung, Nervosität und Ungeduld der Mutter, dem Bruder gegenüber. Da, sogar als es regnete, wo ich Sonnenschein wollte, habe ich den Weltorganismus verflucht! Nicht genug damit dauerte der Zustand der Halt- u. Würdelosigkeit drei Wochen nach den Holidays an. Jetzt erst habe ich den Faden wiedergefunden.»

Conrad schrieb ausserdem, dass es ihm ein Bedürfnis sei, den Grund dieser Vorfälle zu ermitteln, und dass er diesen zunächst in seiner eigenen, zu hohen Erwartungshaltung an die Ferien sah. «Ich sagte zu mir: Ich will geniessen wenigstens 14 Tage im Jahr. Gut. Der in der Vorstellung blaue Himmel war nun grau – ich fluchte. Der vermutete reibungslose Verkehr mit Mutter und Bruder wurde in Wirklichkeit anders – weil es eben andere Naturen als ich sind und auch persönliche Willensäusserungen haben. Sie wollten Dinge, die ich im Programm nicht vorgesehen hatte, so war ich ungehalten. Ich beachtete nicht, dass die Mutter von der Arbeit auch ermüdet war und deshalb manchmal nervös wurde, dass der Bruder aber noch ein Kind ist und von ihm nicht eine meiner Leistung entsprechende erwartet werden kann. Und ferner wolle ich nun einmal sehr viele Liebschaften in dieser kurzen Zeit durchbringen – das brachte auch wieder eine Abhängigkeit in dieser Frage mit sich.»

Sein Resümee fiel bitter aus, und die Analogie zur pessimistischen Geisteshaltung der Mutter, wie etwa im zuvor zitierten Brief an die Schwester Ida beschrieben, ist auffällig: «Das Ziel darf nie aus dem Auge verloren werden. Das Ziel bedeutet wachsen. Wenn ich also wieder in die Ferien gehen werde so werde ich vorher zu mir sagen: ‹ich gehe in die Ferien. Es wird der Zug vor der Nase wegfahren, ich werde die Brieftasche verlieren, ich werde mich erkälten […].› Doch ich werde die Haltung nicht verlieren, denn ich werde zu mir sagen: ich ging nicht nur in die Ferien, um mich zu freuen, sondern auch um meine Haltung zu bewahren. […] Gewöhne Dich daran zu sagen: der Wille befiehlt nur dies und jenes. Dies nun ist nun zu tun; denn ich habe gar keine Möglichkeit mich dem Befehl zu widersetzen. Du sagst Dir jeden Tag: Dein Wille ist heilig, dein Wille ist heilig. Und wenn der Körper in der Entwicklung nicht schritthalten will, so heisst es: Befehl – widerspruchslos!! […] Bewahre die Haltung, schweige, und sei genügsam.»

Conrad verliess sein Elternhaus endgültig im März 1928, um nach Karatschi in Indien zu reisen. Dort arbeitete er fünf Jahre lang bei der Firma Gebrüder Volkart, die damals das in der Schweiz führende Unternehmen im Handel mit Kolonialwaren und Baumwolle war und weltweit 7600 Mitarbeitende zählte. Der Stammsitz befand sich in Winterthur, Zweigstellen gab es neben mehreren in Indien auch in London, New York und Singapur. Für Louise Schnyder bedeutete dieser Schritt eine schwierige Trennung. Am 13. März 1928 schrieb sie ihrer Schwester Johanna: «Heute segelt Konrad von Venedig ab und ist ca. 3 Wochen auf dem Meere, gestern morgen 8 Uhr hat er von mir Abschied genommen; damit überlasse ich ihn dem Leben.» Im Mai informierte sie Johanna erneut: «Konradli geht es gut in Indien, aber ich glaube er leidet an Heimweh. Er ist doch noch gar jung für so weit fort zu sein. Vielleicht schreibst Du ihm auch einmal eine Karte, er freut sich.»

Auf Besuch bei seiner Familie in Burgdorf brachte Conrad ein besonderes Geschenk mit. Neben Disziplin und Strenge wurde erfreulicherweise auch eine gewisse Libertinage zugelassen, jedenfalls was das Halten von Tieren, genauer gesagt mehreren Hunden und zeitweilig bis zu 30 Katzen, betraf. Barbara Lamparter amüsierte diese Erzählung als junges Mädchen, und sie erinnert sich auch heute noch gerne an sie: «Conrad war in jungen Jahren in Afrika gewesen und hat von dort ein Puma-Baby nach Hause mitgebracht. Mit dem sind sie spazieren gegangen. Irgendwann hat es dann der Milchfrau, die immer die Milch gebracht hat, ein Ohr und den Sonntagshut angefressen. Und dann mussten sie es in einen Wanderzirkus geben. Dort hat es aber nicht gut gefressen. Huscheli haben sie es genannt. Huschi heisst auf Schweizerdeutsch ‹kleines Ding›. Weil es nicht gefressen hat, mussten die Jungs dem Wanderzirkus nachreisen, jeden Sonntag, und es füttern.»

«Spiegelbild» schrieb Franz auf die Rückseite dieser Aufnahme, die ihn als 19-Jährigen zeigt. In einem Waschraum entstanden, zeugt sie von seiner frühen künstlerischen Experimentierlust.

Im Jahr der Weltwirtschaftskrise, 1929, bestand Franz am Burgdorfer Gymnasium die Matura. Er legte die Prüfungen ein Jahr nach seinem Bruder Felix ab, da er 1923/24 ein Schuljahr am Progymnasium hatte wiederholen müssen. Das Gymnasium an der Pestalozzistrasse 17, gegründet 1873 als grösste Maturitätsschule im Kanton Bern, befindet sich noch heute unweit des Elternhauses, die Buben hatten also keinen weiten Schulweg. Sie waren nun stattliche junge Männer geworden, die endlich die Welt ausserhalb Burgdorfs kennenlernen wollten. Aus der Zeit existieren zwei Porträtfotos der Zwillingsbrüder, auf denen die unterschiedlichen Charaktere deutlich erkennbar sind. Während Felix in einem Fotoatelier abgelichtet wurde, in Anzug und Krawatte, die dunklen Haare streng nach hinten gekämmt, selbstbewusst in die Kamera blickend, handelt es sich bei Franz’ Foto um ein Selbstporträt, das er vor einem grossen Wandspiegel, vermutlich in einem Waschraum, aufnahm. Die Kamera mit beiden Händen haltend, ebenfalls in Anzug und Krawatte gekleidet, blickt er prüfend von unten in sein Antlitz im Spiegel.

Die Tanten Ida, Hanni und Frieda

Gewissenhaft sorgte Louise dafür, dass ihre Söhne bereits in jungen Jahren die schulischen Pflichten sorgfältig erfüllten, um später die besten beruflichen Chancen zu erhalten. Im Januar 1920 schrieb sie an ihre Schwester Ida: «Es geht ihm [Konrad] nun gut in der Schule, aber mit den Kleinen muss ich tapfer lernen, denn sie müssen im Frühjahr die Prüfung ins Gymnasium machen.» Eine ständig beschützende, kontrollierende Mutter war Louise dennoch nicht. Sonst hätte sie ihre Kinder nicht so häufig in die Obhut einer ihrer drei Schwestern gegeben, um ihren Mann auf beruflichen Reisen ins Ausland, etwa nach Lemberg oder Wien, zu begleiten, sich auf diese Weise von ihren familiären Aufgaben zu erholen und Anregungen zu finden, die ihr in Burgdorf fehlten. Verschiedenen Briefen und Postkarten kann man entnehmen, dass das Verhältnis der gesamten Familie Schnyder zu Louises drei Schwestern, insbesondere zu Ida und Johanna, sehr gut war und diese beiden Tanten Vertrauenspersonen für Franz und seine Brüder waren.

Als die Schnyder-Zwillinge sieben Monate und Konrad vier Jahre alt waren, kümmerte sich Ida Steiner, die damals in Aarau wohnte, um ihre Neffen. In einem Brief vom 8. September 1911 schrieb ihr Louise: «Gellt, liebes Idali, Du schaust lieb zu den Kindern, ich bringe Dir dann in 14 Tagen eine Ferienchrömli mit. Ich möchte diese Zeit wäre vorüber und ich könnte dann bei Euch sein, aber ich sehe gut, dass es Zeit ist, für mich etwas zu tun. Der Winter ist wieder lang, und die Haushaltung erfordert viel Kraft von mir. […] Konradli war im Zuge sehr müde und wollte nachher sofort schlafen, er war furchtbar müde. Die Kleinen werden nun auch süss schlafen. Idali, tu sie aufs Häfeli morgens, wenn sie erwachen, dann ist es ihnen wohl, nachher noch ein wenig im Trockenen zu ruhen.» Im Jahr darauf schrieb sie ihrer Schwester: «Franzeli spricht immer von Dir, der hat dich so lang er lebt in sein Herz geschlossen.»

Für ihre Ausbildung zur Krankenschwester zog Ida Steiner 1917 nach Lausanne, wo sie am Institut de gardemalades La Source eine dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte. Anschliessend folgten berufliche Aufenthalte in Belgien und England. Doch dann erkrankte sie an Tuberkulose, weshalb sie 1922 einen Kuraufenthalt in einem Davoser Sanatorium verbrachte. Ein Jahr später verstarb Ida Steiner mit nur 29 Jahren.

Die Verbindung zu Tante Johanna (1887–1968), genannt Hanni, war offenbar noch wichtiger und enger als die zu Ida, was in zahlreichen Briefen aller drei Schnyder-Söhne sowie von Louise ersichtlich wird. Auch Johanna war Lehrerin und wohnte zunächst wie Ida in Aarau, später dann im nahe gelegenen Gränichen. Bei ihr verbrachten die drei Buben häufig die Ferien. Die Besuche sollten auch im Erwachsenenalter nicht enden. Als 18-Jähriger schrieb ihr Franz: «Es hat mich gefreut, dass ich Dich besuchen konnte, hoffentlich hat Dich unser Geplauder nicht angestrengt. Im Sommer, wenn es etwas wärmer ist, werde ich Dich wieder einmal besuchen, wenn Du es erlaubst.» Auch als Felix und Franz bereits gestandene Männer waren, schrieben sie ihrer Tante weiterhin, erkundigten sich nach ihrem Gesundheitszustand und erzählten von ihrer Arbeit, dem damit verbundenen Heimweh (Franz), und versprachen, bald wieder zu ihr zu reisen.

Frieda Steiner (1886–1931) war Louises dritte Schwester. Auch sie wird in Louises Briefen, etwa an Johanna, erwähnt – doch eher im Zusammenhang mit der elterlichen Erbschaft und Friedas Spitalaufenthalten ab 1928. Frieda gehörte zu den wenigen Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Schweiz ein Medizinstudium absolvierten. 1918 legte sie an der Universität Genf ihr Examen ab, zwei Jahre später erlangte sie an der Universität Lausanne den Doktorgrad. Über ihre weitere berufliche Tätigkeit ist nichts bekannt. In einem 1928 verfassten Brief von Louise an Johanna steht, dass Frieda damals Patientin im Kantonsspital Zug war, wo Louise sie auch besuchte. Frieda Steiner starb 1931 – genau wie acht Jahre zuvor ihre Schwester Ida – an Tuberkulose.

Die Theaterjahre
1929–1940

Den mutigen Schritt zum Künstlertum und damit auch zu seiner Selbstverwirklichung beschrieb der alte Franz Schnyder rückblickend: «1929 im Herbst … Seltsam: über eine unendliche Zahl von Kilometern findet sich kein Beispiel … Wie kam denn ich dazu, nach Berlin zu wallfahren, um mich mit dem Leben des Theaters und schliesslich der Filmwelt vertraut zu machen? Der innere Kern liegt in meiner charakterlichen Anlage … Seit ich bewusst lebe, lehne ich mich gegen jegliche Bevormundung auf … Sicherlich zu unrecht … Keiner meiner Lehrmeister hatte im Sinn, mich zu unterdrücken, zu liebesdienerischem Gehorsam zu bewegen … So kam für mich ein bürgerlicher Beruf nicht in Frage … Es war wohl ‹Glück› …»21

Die Matura in der Tasche, ging Schnyder ohne Umweg an das nächstgelegene Bühnenhaus. Am Stadttheater Bern begann er, als Assistent in der Bühnendekorationsmalerei von Ekkehard Kohlund, dem Vater des bekannten Schauspielers und Regisseurs Erwin Kohlund, zu arbeiten. Gleichzeitig nahm er Phonetikstunden bei Paula Ottzenn, die festes Ensemblemitglied des Stadttheaters war.

Schnyders Arbeit in Kohlunds Maleratelier dauerte jedoch nur wenige Monate. Auf Empfehlung von Kohlund, Ottzenn und Hans Kaufmann, Direktor des Stadttheaters, beschloss Max Schnyder, seinen Sohn für die Schauspielschule von Louise Dumont und Gustav Lindemann in Düsseldorf anzumelden. Dumont und Lindemann waren die Gründer und Leiter des Schauspielhauses Düsseldorf, dem auch die renommierte Schauspielschule angeschlossen war, zu der nur noch «ganz hervorragende Begabungen» zugelassen wurden: «Wenn Ihr Sohn auf diese Gefahr hin die Reise hierher machen will, kann er an der nächsten Prüfung am 3. Januar nachmittags 5 Uhr teilnehmen und zu diesem Zwecke einige dramatische Scenen oder Monologe vorbereiten.»22 Ottzenn unterstützte Schnyders Bewerbung mit einem Empfehlungsschreiben an Dumont, in dem sie am 30. Dezember 1929 über ihn berichtete: «Franz Schnyder wollte hier als Voluntär anfangen […]. Es ist aber für den Schweizer, der in der Umgangssprache le patois spricht, auch bei grösster Begabung fast unmöglich, den dialektischen Beiklang abzulegen. Deshalb riet ich den Eltern des sehr begabten – sprachlich aber sehr gehemmten Franz Schnyder, keine Zeit zu verlieren und [ihn] in Deutschland studieren [zu lassen]. Er ist aussergewöhnlich intelligent, literarisch für sein Alter unheimlich versiert und sehr persönlich in seinen Auffassungen.»23 Am letzten Tag des Jahres 1929 schrieb Vater Schnyder an das Schauspielhaus Düsseldorf, dass er seinen Sohn in Deutschland ausbilden lassen wolle, «da er in der Schweiz sich die Weichheit der deutschen Sprache nicht aneignen könne, indem diese Weichheit in seinem täglichen Umgange wieder verdorben würde», und wies nochmals auf die für die Deutschen ungewohnte Aussprache seines Sohnes hin, die für einen Schweizer ganz natürlich sei und die Franz dank seines grossen Eifers sicherlich rasch korrigieren werde.

Sowohl er wie auch seine Eltern hätten damals nicht abschätzen können, was ihn erwartete, erinnerte sich Schnyder in reiferem Alter. Hätten sie gewusst, dass nur ein kleiner Teil der Schauspielschüler mit Erfolg von diesem Beruf würden leben können, hätten sie ihn nicht gehen lassen. «Die Nervenprobe ist sehr gross, und man muss gutes Glück haben», sagte er im Jahr 1965.24

Franz Schnyder 1930, am Anfang einer verheissungsvollen Theaterkarriere in Deutschland. Experimentelle Mehrfachbelichtung vor der Tonhalle Düsseldorf.

Die Schauspielschule in Düsseldorf

Sein Vorsprechen war erfolgreich, und so zog Schnyder am 2. Januar 1930 an die Kronprinzenstrasse 18 in Düsseldorf und trat drei Tage später in die Hochschule für Bühnenkunst am Düsseldorfer Schauspielhaus ein. Die Ausbildung dauerte zwei Jahre und wurde in den Fächern Sprechtechnik, Rhythmik, Rezitation, Rollenstudium, Dramaturgie, literarische Besprechung der Schauspielwerke, Gesichtspunkte der Regie, szenische Improvisationen, Theater- und Kunstgeschichte, Unterricht im Schminken und Französisch erteilt.25 Im Februar 1930 schrieb er seiner Tante Johanna, dass er sehr beschäftigt und Düsseldorf eine schöne, grosse Stadt sei. Nur die Luft sei sehr schlecht, wobei er sich zwar sehr gut fühle, aber «trotz Ortswechsel nun 2 kg abgenommen» habe.26

Die Schauspielschule von Dumont und Lindemann schien Schnyder dann doch nicht besonders zu entsprechen, weshalb auf ihn wenig Verlass war und es vorkommen konnte, dass er gar nicht zu Aufführungen erschien. Am 2. Juni erhielt er eine erste Verwarnung: «Sehr geehrter Herr Schnyder! Es wird gemeldet, dass Sie in der Aufführung am 30.5. so spät in die Garderobe kamen, dass es Ihnen nicht möglich war, in Ihrem Auftritt im 3. Akt mitzuwirken. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir im Wiederholungsfalle nach den Bestimmungen der Hausordnung handeln werden und Sie die Konsequenzen dann tragen werden müssen. Wir können es nicht verantworten, Schüler für die Bühne vorzubereiten, die nicht im Vollbesitz des hier notwendigen Verantwortungsgefühls sind.»

Gemeinsam mit einem Schweizer Studienkollegen reichte Schnyder ein Gesuch ein, im Juli schon etwas früher in die Ferien verreisen zu dürfen, da sie eine weite Reise auf sich nehmen müssten und überzeugt seien, dass die Schule gut auf sie beide verzichten könne. Im Verzeichnis der Schüler der Hochschule für Bühnenkunst steht, dass Franz auf den 1. September 1930 ausgetreten sei. Dennoch musste er weitere Auftritte wahrnehmen. Mitte Monat wurde er erneut ermahnt, weil er bei einer Vorstellung von «Sturm im Wasserglas» gefehlt hatte.27 Dies schien wohl der Moment gewesen zu sein, in dem sich Schnyder definitiv zum Verlassen der Schule entschieden hatte. Am 25. September verabschiedete er sich schriftlich beim Intendanten Lindemann. «Wollen Sie meine grosse Dankbarkeit entgegennehmen: ich habe an Ihrem Institut ausserordentlich viel gelernt und gesehen; was ich von Düsseldorf mitnehme wird [mir] für mein ganzes Leben wichtig und notwendig sein. Mit grösster Hochachtung Ihr ergebener Fr. Schnyder.»28

Zum ersten Mal in Berlin

Anschliessend zog Schnyder in die deutsche Hauptstadt, wo er an der Witzlebenstrasse 20 wohnte. Zu seiner Vermieterin Gertrud Grünbaum, einer älteren Dame, pflegte er eine enge, persönliche Beziehung. Zunächst nahm er privaten Schauspielunterricht und traf auf Ellen Widmann,29 eine Schweizerin, deren Theaterlaufbahn ebenfalls in Deutschland begonnen hatte.30 Mit ihr arbeitete er später in der Schweiz noch oft zusammen, sowohl im Theater als auch im Film.

Im November 1930 begann er das Studium bei Ilka Grüning und Lucie Höflich. Es gab daneben noch zwei andere Theaterschulen in Berlin: die Schauspielschule des Deutschen Theaters, gegründet 1905 von Max Reinhardt, und die Berliner Schauspielschule des Deutschen Bühnenvereins und der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger. Grüning und Höflichs Schule war unabhängig und deshalb nicht als solche offiziell im «Deutschen Bühnenjahrbuch» registriert. Jedes Jahr wählten die beiden Lehrerinnen zwölf junge Damen und Herren aus, die sie zwei Jahre lang unterrichten würden. Eine davon war die deutsche Schauspielerin Lilli Palmer. In ihrer Autobiografie «Dicke Lilli – gutes Kind» schrieb sie, dass es in ihrer Klasse ein Mädchen gab, das ihr «in puncto Talent das Wasser reichen» konnte. Es war Juana Sujo, die zehn Jahre zuvor mit ihren Geschwistern von Buenos Aires nach Berlin gekommen war, ehe sie auf Schnyder und Palmer traf.

«Der Lehrplan war einfach. Jeder Schüler hatte seine wöchentliche Privatstunde, das heisst, man spielte seine Rolle, während jemand die Stichworte las, und die anderen sahen zu. Frau Grüning oder Frau Höflich unterbrach oder machte ihre Bemerkungen hinterher. Dadurch lernten wir aus dem Unterricht der anderen genau so viel wie aus dem eigenen. Natürlich wussten wir in kürzester Zeit, bei wem sich das Zusehen lohnte. […] Juanitas Unterricht war immer überfüllt. Sie war allen weit voraus», erinnerte sich Palmer.31

Die Sommerferien verbrachte Franz meistens in der Heimat. Im August 1931 hatte er viele Proben für «Jedermann», ein Stück aus der Feder Hugo von Hofmannsthals, das seit 1920 jedes Jahr bei den von Max Reinhardt und von Hofmannsthal gegründeten Salzburger Festspielen aufgeführt wurde. Nun sollte es auch in Burgdorf unter freiem Himmel zur Aufführung kommen. Franz hatte sich bereit erklärt, während der Sommerferien unter der Regie der lokalen Theatergrösse Franz Della Casa senior mitzuspielen. Er fand es jedoch «eine langweilige Sache – es wäre gescheiter gewesen, ich hätte es nicht gemacht», schrieb er an Tante Johanna.

Im Herbst fuhr Schnyder wieder nach Berlin, wo ihn Mitte September eine Angina plagte. In einem Brief an Johanna, den er krank aus dem Bett schrieb, kam er auf etwas Ernstes zu sprechen: «Hier in Berlin steht es gegenwärtig mies und es scheint immer schlechter zu werden: Letzte Woche haben sie mit einer Judenverfolgung auf offener Strasse begonnen – na, ich bin ja kein Jude, mich geht die Sache ja nichts an.» Dass diese Entwicklungen aber bald auch gravierende Folgen für die Theaterwelt und seine Kolleginnen und Kollegen haben würden, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausmalen.

Franz Schnyder schrieb in hohem Alter einmal, dass er noch während der Ausbildung bei Grüning und Höflich von Max Reinhardt entdeckt worden sei.32 «Im prächtigen Salon der guten Lucie [Höflich] hockte ein älterer Mann … Wie angewachsen … guckte auf mich … Mich störte das. Aber einmal in Fahrt, legte ich los. Der Monolog vom bedauernswerten Melchthal ist ja kein Geheimnis. […] Erschöpft – doch höchst zufrieden – beäugte ich die erstaunte Höflich … ‹Begabt, … schon, aber, …› Da winkte der Alte in der Ecke … ‹Hocken! Und wie heissen Sie doch?› ‹Schnyder […]› ‹Schnyder? So, so […] Haben … solche überhaupt nicht … Weder in Berlin noch in Wien … Aber …› Und er hob seinen linken Zeigefinger. Prophetisch … ‹So lange dauert es nicht … und dieser kuriose Name ‹Schnyder› […] Werden ihn bald kennen … die Leute … Bleiben Sie geduldig, wenn Neid auf Ihren Spuren auftaucht …› Dann machte er sich auf den Weg zur Tür …» Es kam aber nicht direkt zu einem Engagement am Deutschen Theater, wie Schnyder später erzählte, sondern er schloss zuerst gemeinsam mit den anderen die Ausbildung ab.

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427 стр. 79 иллюстраций
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9783039199631
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