Читать книгу: «Homer: Die Odyssee», страница 3

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4 Die Weissagungen des Proteus

Im Rücken zerklüftetes Gebirge erstreckte sich Sparta in die Ebenen.

Aus dem Inneren des erhabenen Königspalastes drang fröhlicher Lärm. Menelaos hatte zur Hochzeit seiner zwei Kinder eingeladen. Das eine davon war Hermione, seine gemeinsame Tochter mit Helena, deren unsterbliche Schönheit Auslöserin des Krieges um Troja war und die nach Hermione keine Kinder mehr gebären konnte.

Das andere war sein Sohn Megaphentes, den Menelaos mit einer Sklavin gezeugt hatte. Dieser Sohn würde heute eine Fürstentochter aus Sparta heimführen, während Hermione dem jungen Kriegshelden Neoptolemos, dem Sohn des Achilleus versprochen war.

Zwei Männer tanzten ausgelassen nach den temperamentvollen Rhythmen einer Harfe, die ein viel gerühmter Sänger spielte, als der Diener Eteoneus dem König Menelaos neuen Besuch meldete: „Hoher Herr, da sind zwei Fremde mit einem Wagen vorgefahren. Sie sehen aus, als seien sie direkte Nachfahren des Zeus – soll ich ihre Pferde ausspannen lassen oder sie lieber bitten, woanders Quartier zu suchen?“

„Du bist wohl nicht mehr ganz bei Trost!“, wies Menelaos den Diener barsch zurecht. „Bevor wir beide nach Sparta heimgekehrt sind, waren wir doch auch froh, als uns Gastfreundschaft gewährt wurde. Du spannst jetzt sofort ihre Pferde aus und bittest sie freundlich herein! Hast du verstanden?“

Eteoneus machte auf der Stelle kehrt und winkte einige Diener zusammen. Mit ihnen versorgte er die Pferde der neuen Gäste auf das Beste, um sie dann in das Innere des Palastes zu geleiten.

Telemach und Peisistratos konnten sich an den prachtvoll ausgeschmückten Kammern gar nicht satt sehen. Sie wurden ins Bad geführt und durften anschließend erfrischt und in neuen Gewändern auf bequemen Sesseln neben dem König Platz nehmen.

Nachdem Menelaos sie zuvorkommend mit Wein und den saftigsten Fleischstücken eines Rindsrückens bewirtet hatte, erkundigte er sich nach dem Woher und Wohin. Auch für ihn war es offensichtlich, dass es sich bei den beiden nicht um gewöhnliche Wanderer handelte. Aber Telemach überhörte die Fragen seines Gastgebers.

„So viel Gold und Silber!“, flüsterte er gerade Peisistratos zu. „Und auch Bernstein und Elfenbein habe ich glänzen gesehen. Reicher kann selbst das Palastinnere des Zeus nicht ausgestattet sein.“

Hierbei hakte Menelaos nun mit nicht mehr zu überhörender Stimme ein: „Liebe Söhne! Mit den unvergänglichen Besitztümern des himmlischen Zeus sollte sich keiner messen.

Unter uns Menschen muss ich allerdings den Vergleich nicht scheuen – dieser Reichtum hatte aber auch seinen Preis: Acht Jahre lang irrte ich auf dem Meer umher, bis ich endlich von Troja wieder nach Hause kehrte. Vorher hatte es mich nach Zypern und an die Küsten der Phönikier, der Ägypter, der Aithiopen, der Erember und der Libyer verschlagen. Und während ich in diesen Ländern meine Schätze sammelte, hat mir ein anderer meinen Bruder mit Hilfe seines treulosen Weibes erschlagen.

Und wenn ich an all die Gefährten denke, die in Troja den Tod fanden – würde ich sie damit vom Tode erlösen, ich gäbe gern zwei Drittel meines Vermögens ab.

Besonders an einen muss ich immer wieder voller Kummer denken. Kein zweiter hatte so gekämpft wie er, und gerade ihm ist ein derart dunkles Los zugefallen. Niemand weiß, was Odysseus zugestoßen ist, ob er noch lebt oder schon längst in den Hades gefahren ist.

Ich darf gar nicht an seine Lieben denken! Sein alter Vater Laërtes und seine geliebte, kluge Penelope weinen sich gewiss die Augen nach ihm aus und nicht zuletzt sein Sohn Telemach, den er als Säugling zurücklassen musste.“

Da vermochte Telemach seine Tränen nicht mehr zurückzuhalten. Er verdeckte zwar sein Gesicht mit den Mantelenden, aber Menelaos bemerkte es trotzdem. Während dieser noch überlegte, ob er nachfragen oder abwarten sollte, trat, einer Göttin an Schönheit gleich, Helena zu ihnen. Augenblicklich wurde ihr von den Bediensteten ein kunstfertig gearbeiteter Lehnstuhl mit einer weichen Wolldecke ausgelegt, auf dem sie es sich bequem machen konnte. Sie hatte von den Neuankömmlingen gehört und wollte nun in Erfahrung bringen, um wen es sich handelte.

„Ich mag mich ja irren“, sagte sie leise zu Menelaos, „aber hat der eine von den beiden nicht eine große Ähnlichkeit mit Odysseus? Wahrhaftig, es könnte sein Sohn Telemach sein, der da weint!“

„Jetzt wo du es sagst, fällt mir die Ähnlichkeit auch auf“, bekräftigte Menelaos die Vermutung seiner Gemahlin. „Und fing er nicht gerade dann zu weinen an, als ich von meiner Trauer um Odysseus erzählte?“

Peisistratos klärte das Königspaar schließlich auf. Telemach sei viel zu bescheiden gewesen, um die Erzählungen eines Königs vorlaut unterbrechen zu wollen.

Menelaos konnte sich erst gar nicht beruhigen, dass er tatsächlich den Sohn seines liebsten Freundes zu Gast hatte. Hatte er Odysseus wegen seiner Verdienste nicht sogar eine Stadt in der Nachbarschaft zum Geschenk machen wollen, damit sie einander möglichst nahe wären?

„Aber das“, beklagte Menelaos nun ebenfalls mit Tränen in den Augen, „hat uns wohl ein Gott missgönnt.“

Mit der Trauer um die liebsten Angehörigen und Freunde hielten damals weder Frauen noch Männer stillschweigend hinter dem Berg, und so löste die letzte Bemerkung des Menelaos bei den drei Männern ein unsägliches Klagegeschrei aus. Der eine vermisste seinen Vater, der andere seinen Freund, und Peisistratos schließlich musste an seinen vor Troja gefallenen Bruder Antilochos denken.

Als sie sich in ihrer Trauer derart erschöpft hatten, dass aus ihrem Jammern und Schluchzen ein lautloses Weinen geworden war, raffte sich Menelaos auf und rief die Bediensteten herbei. Sie gossen ihnen Wasser über die Hände, damit sie sich die entzündeten Augenlider benetzen konnten. Das sollte zugleich das Zeichen sein, das Nachtmahl zu beenden und sich schlafen zu legen. Die Zeus-Tochter Helena jedoch wollte dieses Fest nicht so traurig beendet sehen.

Den Abschluss eines Festes bildeten üblicherweise Geschichten. Denn Geschichten, gesungen oder erzählt, bereiteten Helena wie allen anderen Achaiern das größte Vergnügen. Deshalb ließ sie noch einmal jedem Wein reichen, in den sie ein starkes Kraut gerührt hatte. Dieses Kraut hatte die Eigenschaft, einen jeden Schmerz vergessen zu lassen. Dann warf Helena die Angel aus, indem sie selber eine Geschichte zum Besten gab. Geschickt erinnerte sie dabei an eine Begebenheit mit Odysseus: Einst brachte er sich selbst eine Verwundung bei, legte einen alten Lumpen um und war so als Bettler verkleidet unter die feindlichen Trojaner gehumpelt. Zwischen den Schiffen der Achaier wäre er sofort aufgefallen, aber in Troja würdigte Odysseus keiner auch nur eines Blickes. Nur Helena hatte ihn sofort erkannt und wollte ihn nach Menelaos und den anderen befragen. Aber er gab erst Antwort, als sie ihn bei sich eingelassen, ihn gebadet und mit neuen Kleidern versehen hatte. Außerdem musste sie vorher geloben, ihn nicht eher zu verraten, als bis er wieder hinter seinen eigenen Reihen angelangt wäre. Dann erst erzählte er ihr von dem Plan, wie Troja zu zerstören und sie zu befreien sei. Im Gegenzug vermochte sie ihm wertvolle Hinweise zur Ausführung seines Planes zu geben. Auf dem Rückweg erstach Odysseus noch manchen der Trojaner mit seinem Schwert, so dass später großes Wehgeschrei unter den trojanischen Frauen war. Sie selbst hatte darüber nur gelacht, denn längst erschien Helena die Verblendung, mit der sie von der Liebesgöttin Aphrodite umgarnt worden war, als ein Fluch. Sie wollte nur noch nach Hause zu ihrer Tochter und zu dem Mann, der ja niemandem nachstand, weder im Aussehen noch in seinem Denken.

Menelaos knüpfte gutwillig bei ihrer Erzählung an und fuhr mit einem Beispiel für Odysseus' Klugheit fort. Als sich nämlich die auserwählten Krieger alle in einem hölzernen Pferd versteckt hatten, war Helena wohl doch noch einmal von einer Trojaner freundlichen Gottheit angestiftet worden, beinah den ganzen Plan aufzudecken. Dreimal hatte sie den gefüllten Bauch des Pferdes umschritten und dabei mit verstellter Stimme die tapfersten Krieger mit Namen gerufen. Einige, auch er selbst, wären beinahe darauf hereingefallen, hätte Odysseus sie nicht alle zur Ruhe ermahnt. Einem musste Odysseus sogar den Mund zuhalten, so sehr hatte es diesen gedrängt, endlich mit seiner vermeintlichen Gemahlin sprechen zu können. Die Helden konnten erst wieder aufatmen, als Helena zu guter Letzt von Athene entführt wurde.

Jetzt ergriff Telemach zum ersten Mal das Wort: „Wie stolz ich auf meinen Vater sein kann! Aber all sein Listenreichtum vermochte nicht, das Verhängnis von sich abzuwenden, und eure Erzählungen vergrößern nur meinen Schmerz. Deshalb bitte ich euch inständig: Lasst uns endlich schlafen gehen, damit wir für den morgigen Tag genügend Ruhe finden!“

Dem Wunsch Telemachs wurde nun bereitwillig entsprochen und den beiden Gästen in der Vorhalle ein bequemes Lager hergerichtet.

Am nächsten Morgen, noch bevor alle anderen wach waren, nahm Menelaos Telemach in ein freundliches Verhör. Beeindruckt von dem Achtung gebietenden Äußeren dieses Herrschers, der sich bereits fertig angekleidet zu ihm ans Bett gesetzt hatte, erzählte Telemach ihm von seinem Leid mit den Freiern und dass er sich gezwungen sah, möglichst bald eine Entscheidung herbeizuführen und dazu genaue Auskunft über das Schicksal seines Vaters haben musste. Wenn Menelaos also etwas Genaueres wisse, und sei es auch die Nachricht vom Tod seines Vaters, so solle er es ihm nicht vorenthalten.

Menelaos konnte die Dreistigkeit der Freier gar nicht fassen und nannte sie: „Kälber, die sich in die Höhle des Löwen wagen!“

Dann aber erzählte er, was er wusste und wie er zu diesem Wissen gelangt war:

„Nicht weit von Ägypten, auf einer Insel namens Pharos, hielten mich die Götter auf, weil meine Opfer zu gering ausgefallen waren.

Zwanzig Tage lang blies uns schon der Wind entgegen, und ich kam mit meinen Schiffen nicht aus dem Hafen. Wir wären allesamt jämmerlich verhungert, hätte sich nicht eine Göttin unseres Geschickes angenommen: Eidothea, die Tochter des starken Proteus. Sie kam mir eines Tages entgegen, als ich einsam den Strand entlangschritt. Wir versuchten schon mit kleinen Haken, Fische zu fangen, damit uns der Hunger nicht die Magenwände zerriebe. Eidothea sprach mich also an: Ob es mir eigentlich gefalle, Hunger zu haben, oder warum bliebe ich auf der Insel und sähe zu, wie es mit meinen Gefährten langsam, aber sicher dem Ende zuginge?

Du kannst dir vorstellen, wie überrascht ich von diesen Fragen war. Aber ich gab ihr ehrliche Antwort und erzählte von meiner Verfehlung. Ich fragte sie auch gleich, ob sie nicht wisse, welchem der Götter ich diese Strafe zu verdanken habe.

Das wusste sie nicht, aber sie gab mir einen vortrefflichen Rat: Nicht weit von hier verweile des Öfteren ihr Vater, ein mächtiger Untertan Poseidons. Ich solle ihm auflauern und ihn dann gut festhalten. Für die Freiheit werde er mir den rechten Weg zur Heimkehr weisen und mir sogar, wenn ich es wolle, berichten, was sich in meiner Abwesenheit zu Hause zugetragen habe.

Stets zur Mittagszeit steige der Meeresalte, in einen schwarzen Regenschauer gehüllt, aus dem Wasser und ruhe sich in einer der vielen Grotten aus. Mit dem aufkommenden Westwind versammelten sich um ihn die Robben, die Kinder des Meeres, und verströmten ihren bitteren Salzgeruch.

Wie von ihr geraten, hatte ich mir dann drei besonders vertrauenswürdige Gefährten ausgesucht. Eidothea versorgte uns mit vier frisch abgezogenen Robbenfellen und legte sie über uns, nachdem wir uns in den Sand gegraben hatten. Damit wir nicht an dem fürchterlichen Gestank der Felle erstickten, rieb sie unsere Nasen mit himmlischer Ambrosia ein, das den Geruch augenblicklich überdeckte.

Nun mussten wir warten. Nach und nach kamen die Robben aus dem Meer und legten sich neben uns in einer Reihe auf den Strand. Endlich wurde es Mittag und Proteus selbst entstieg dem Wasser. Bevor er sich hinlegte, hatte er uns und die Tiere wie ein Hirte gezählt und begutachtet. Ihm war nichts aufgefallen. Als er sich dann ausstreckte, fielen wir über ihn her.

Erst verwandelte er sich in einen brüllenden Löwen, dann in eine Schlange, in einen Panther und in ein riesiges Wildschwein. Er wurde zu Wasser und zu einem dicht belaubten Baum. Aber wir haben nicht lockergelassen, bis er mich schließlich beim Namen nannte und fragte, was ich eigentlich von ihm wolle.

Da sagte ich es ihm, obwohl er es als Unsterblicher ja längst wusste. Er gab mir den Bescheid, dass ich über die See nach Ägypten fahren müsse, um Zeus und den anderen Göttern wohlgefällige Opfer darzubieten.

Dass ich wieder nach Ägypten sollte, schmeckte mir gar nicht, trotzdem wollte ich jetzt auch wissen, wie es meinen anderen Kampfgefährten ergangen sei. Erst rückte er nicht recht mit der Sprache heraus, aber dann gestand er mir, dass zwei der Führer umgekommen seien und einer noch irgendwo festgehalten werde.

Der kühne Aias hatte sich gegenüber Poseidon im Ton vergriffen und mein Bruder Agamemnon wurde, wie du ja schon weißt, nach glücklicher Heimkehr von seiner eigenen Frau und ihrem Nebenbuhler ermordet. Als ich das von meinem Bruder hörte, brach es mir schier das Herz, aber zuletzt fragte ich den Gott auch nach dem dritten, der irgendwo festgehalten wurde.

Ja, das sei Odysseus, den die Göttin Kalypso nicht losließe, obwohl er sich so sehr nach seiner Heimat sehne. Er habe weder Schiff noch Leute und könne deshalb auch keinen Ausfall wagen. Mir als Gemahl der Zeustochter Helena aber sei es bestimmt, in Argos zu sterben, um dann zu den Elysischen Gefilden zu gelangen. Sorgenfrei und ohne jemals Not erleiden zu müssen, sei es dort für die Menschen noch am schönsten.“

Nach diesem Bericht lud Menelaos Telemach noch auf elf, zwölf Tage ein, sein Gast zu sein, um sich dann von ihm fürstlich beschenken zu lassen. Aber Telemach wollte so schnell wie möglich nach Ithaka zurück. Allein die Achtung vor dem König hielt ihn ab, sofort alles stehen und liegen zu lassen und sich einfach davonzumachen.

***

Wie eh und je amüsierten sich die Freier vor der Halle des Odysseus. Gerade erprobten sich einige an Wurfscheiben und Speeren. Nur die beiden Angesehensten unter ihnen, Antinoos und Eurymachos, saßen abseits und schauten zu. Da kam Noemon des Weges und hielt bei ihnen an: „Sag mal Antinoos, weißt du, wann Telemach wiederkommt? Ich brauche nämlich mein Schiff für eine Fuhre nach Elis.“

Diese Worte brachten Antinoos und Eurymachos schnell auf die Beine, und auch die anderen Freier eilten herbei. Sie wollten auf der Stelle wissen, wann und mit wem Telemach in See gestochen sei und ob er dem Noemon sein Schiff etwa unter Zwang abgenommen habe.

Das hätte Telemach bei ihm gar nicht nötig, stellte Noemon gleich richtig, und es seien die Besten der Stadt, die sich ihm angeschlossen hätten. Als Schiffsführer wäre Mentor an Bord gegangen, aber vielleicht wäre das in Wahrheit ein Gott, denn erst gestern hätte er Mentor wieder hier am Ort gesehen. Und damit verabschiedete sich Noemon von den Freiern.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, empörte sich Antinoos. „Verschwindet der Kleine einfach gegen unseren Willen mit dem besten Schiff! Wir müssen uns vorsehen! Besorgt mir ebenfalls ein schnelles Schiff und zwanzig Mann, dann soll Telemachs Seefahrerei ein jähes Ende finden.“

Das fand bei allen Umstehenden Beifall und sie begaben sich anschließend eilig in das Haus des Odysseus.

Der getreue Ausrufer Medon aber hatte Wind von diesem Anschlag bekommen und sprach deswegen sogleich bei Penelope vor.

„Wie kommt mein Sohn nur auf eine solche Idee? Weshalb muss der Junge nun auch noch über's Meer fahren? Will er denn genauso umkommen wie sein Vater?“, entfuhr es Penelope unter Tränen.

Der Ausrufer antwortete so gut er konnte, nämlich, dass Telemach von sich aus, oder von einem Gott beraten, nach Pylos wollte, um sich dort nach dem Schicksal seines Vaters zu erkundigen. Als sich Medon wieder zurückgezogen hatte, schimpfte Penelope die jammernden Mägde aus: „Warum hat mir keine von euch Bescheid gesagt? Ihr wusstet doch bestimmt von dem Vorhaben meines Sohnes. Hätte ich nur etwas geahnt, ich hätte ihn schon davon abzuhalten vermocht. Aber los, eine ruft mir jetzt den alten Diener Dolios. Er soll geschwind zum alten Laërtes und ihm alles berichten. Vielleicht weiß er ja einen Rat!“

Dazu kam es aber nicht, denn nun warf sich die alte Eurykleia vor ihre Füße und bat um Vergebung. Der junge Herr habe ihr einen schrecklichen Eid abverlangt, so dass sie erst zu Beginn des zwölften Tages von seiner Fahrt etwas hätte sagen dürfen, und Penelope solle doch lieber zu Athene beten, als den alten Laërtes noch tiefer in seinen Kummer zu stürzen.

Da beruhigte sich Penelope wieder ein wenig. Sie betete zu Athene, wie von Eurykleia geraten, und Athene erhörte ihr Gebet.

„Unsere geliebte Penelope wird bald Hochzeit feiern und hat keine Ahnung, dass ihr Söhnchen daran wohl nicht teilnehmen wird!“

So oder ähnlich tönten unterdessen die Übermütigsten der Freier, die aber sogleich von Antinoos zurechtgewiesen wurden: „Seid ihr verrückt? Was fällt euch ein, so laut herumzuschreien!“, und er fuhr selber leiser fort: „Ich werde mir jetzt zwanzig der Besten von uns aussuchen und mit ihnen heimlich verschwinden, so wie es abgemacht war!“

Noch am selben Abend wollte Antinoos den Posten seines Hinterhaltes beziehen.

Penelope aber hatte sich nach dem Gebet auf ihr Lager gelegt. Sie konnte nichts essen und nichts trinken. Ständig kreisten ihre Gedanken um Telemach: Wird er den Freiern entrinnen? Oder wird er den Tod durch sie finden?

Erschöpft fiel sie schließlich in einen leichten Schlaf. Athene sah das Leid der geplagten Frau, und sie schickte ihr ein Schattenbild an das Bett, das Iphtime glich, der Schwester Penelopes: „Arme Penelope, die Sorgen um deinen Sohn bringen dich noch um. Dabei hast du keinen Grund dazu. Telemach wird wieder heimkehren, hat er sich doch vor den Göttern kein Unrecht zu Schulden kommen lassen.“

„Ach Iphtime, was führt dich zu mir? Du kommst so selten, hast ja auch einen weiten Weg hierher – du meinst, ich brauche mir keine Sorgen zu machen, und das, nachdem ich meinen geliebten Mann wohl schon verloren habe und ich nun weiß, dass diese Schurken meinen Sohn hinterrücks ermorden wollen?“

„Vertraue mir Penelope! Keine Geringere als Pallas Athene hat mich in deine Träume geschickt, und Athene ist es auch, die Telemach unter ihren Schutz gestellt hat.“

„Wenn du von einer Göttin gesandt worden bist, dann sage mir doch auch etwas über meinen Mann! Lebt er noch? Bitte sprich!“

„Dazu kann ich dir leider nichts Genaues sagen, und Vermutungen von mir nützen dir nichts.“

Damit verschwand der Schatten, wie er gekommen war, und Penelope öffnete erleichtert die Augen. Sie spürte, dass dies kein leerer Traum war, und sie fasste neuen Lebensmut.

Die Freier aber bestiegen ihr Schiff und hielten schon bald Kurs auf eine kleine Felseninsel mit Namen Asteris. Diese Insel lag in der Meerenge zwischen Ithaka und dem gebirgigen Same. Verborgen in einer ihrer zahlreichen Buchten wollten sie dann Telemach auflauern.

5 Abschied von Kalypso

Die Nymphe Kalypso hauste in einer großen Höhle, ihren Herd befeuerte sie mit weit duftendem Zedernholz und Lebensbaum.

Erst nach einer neuerlichen Mahnung Athenes hatte der Götterbote Hermes von Zeus den Auftrag erhalten, die Nymphe nun endlich aufzusuchen. Hermes war erstaunt, in welch reizvoller Umgebung sie lebte.

Ein immergrüner Wald aus Erlen, Pappeln und Zypressen umschloss die Höhle. In den Bäumen nisteten viele Vögel, auch große, wie Eulen, Habichte und Krähen. An der Felsenwand der Höhle hatte sich ein kräftiger Weinstock festgekrallt, der voller Trauben hing. Gleich vier Quellen sprudelten von hier aus in die verschiedenen Teile des Umlandes. Dazwischen gediehen Wiesen mit Veilchen und Eppich.

Kalypso erkannte Hermes sofort als einen der ihren, auch wenn sie ihm zuvor noch nie begegnet war. Sie unterbrach ihr Singen und Arbeiten am Webstuhl, um ihm einen Platz anzubieten.

Während sie Ambrosia reichte und roten Nektar mischte, fragte sie Hermes, was es mit seinem Besuch auf sich hätte. Aber Hermes genoss erst die Speise und den Trank der Götter, ehe er seine für Kalypso unangenehme Botschaft verkündete: „Es ist Zeus, der mich zu dir gesandt hat. Von mir aus wäre ich bestimmt nicht gekommen. Zwischen deiner Insel und der nächsten Stadt wogt meilenweit nur salziges Wasser, und freiwillig lebt hier kein einziger Mensch, der einem Opfer spenden würde. Doch Befehl ist Befehl!

Zeus sagt, bei dir lebt ein Mann, der wohl der unglücklichste aller ehemaligen Kämpfer vor Troja ist. Du sollst ihn nun endlich freigeben, denn es ist ihm nicht bestimmt, dass er hier zugrunde geht.“

„So seid ihr eifersüchtigen Götter!“, entrüstete sich Kalypso. „Immer neidet ihr es uns Göttinnen, wenn wir unser Lager mit einem Sterblichen in Liebe teilen. Ob bei Eos und ihrem Orion oder bei Demeters Jasion, immer habt ihr euch eingemischt: Den einen traf ein Pfeil der Artemis, den anderen ein Blitz des Zeus. Mir und meinem Odysseus soll es wohl nun auch so ergehen. Dabei habe ich ihn aus den Fluten gerettet, als schon alle seine Gefährten im Meer versunken waren. Ich nahm ihn freundlich auf, gab ihm zu essen und schenkte ihm meine Liebe, ja, ich wollte ihn sogar unsterblich machen und ihm ewige Jugend verleihen.

Aber bitte – wenn Zeus es so will, dann lasse ich ihn eben wieder auf das Meer hinaus. Ein Geleit kann ich ihm jedoch nicht geben. Ich verfüge weder über ein Schiff noch über Ruderer. Aber ich will ihm gerne die nötigen Ratschläge erteilen, damit er unversehrt sein Land erreicht.“

„Du hast die Botschaft vernommen!“, bekundete Hermes. „Denke nur stets an den Zorn des Zeus, damit du es dir nicht wieder anders überlegst!“

Mit dieser Warnung entschwand der Götterbote den Blicken der Kalypso, und sie machte sich unverzüglich auf den Weg zum Strand.

Dort kauerte Odysseus mit tränenverschmiertem Gesicht, die Augen starr über die Wogen des Meeres gerichtet.

„Du hast keinen Grund mehr zur Klage!“, sprach ihn Kalypso unvermittelt an. „Ich lasse dich frei. Fälle dir einige Bäume, dann gebe ich dir Eisenklammern, damit du die geschälten Stämme aneinander fügen und dir auf das Floß ein Verdeck bauen kannst. Du erhältst von mir auch Proviant und Kleidung und was du sonst noch für deine Fahrt auf dem Meer benötigst. Zudem will ich dir einen günstigen Wind schicken, sofern nicht mächtigere Götter meinem aufrichtigen Willen im Wege stehen.“

Aber Odysseus traute ihr nicht.

„Das soll ich glauben?“, empörte er sich. „Ich war mit einem guten Schiff unterwegs und bin zuletzt mit zwei notdürftig zusammengebundenen Wrackteilen hier an deiner Insel gestrandet, und nun willst du mich auf einem kleinen Floß dem Meer überantworten?

Bevor ich mich darauf einlasse, müsstest du mir schon den großen Eid schwören, dass du wahrhaftig nichts Neues gegen mich im Schilde führst!“

Kalypso musste unwillkürlich lächeln. Sein Gesicht streichelnd gab sie seiner Forderung nach: „Also gut: Ich schwöre dir bei der Erde, dem breiten Himmel und dem Fluss der Unterwelt, dass ich nichts Böses gegen dich im Sinn habe und dass ich dich so gut beraten werde, als ginge es um meine eigene Flucht – du musst nicht so schlecht von mir denken! Ich habe kein Herz aus Stein, sonst hätte ich dich auch damals nicht vor dem sicheren Tod bewahrt.“

Da stand Odysseus auf und ließ sich von der Nymphe zur Höhle geleiten.

Als er auf dem Stuhl saß, den kurz vorher Hermes benutzt hatte, reichte ihm Kalypso köstliche Speisen, während sie sich selbst von den Mägden Ambrosia und Nektar auftragen ließ.

Nachdem sie wieder ihre Hände gereinigt hatten, konnte es sich Kalypso nicht verbeißen, Odysseus noch einmal zu versuchen: „Du willst mich also wirklich verlassen?

Wenn du wüsstest, welche Gefahren dir noch drohen, du würdest hier bleiben, unsterblich werden und mit mir gemeinsam dieses Anwesen bestellen. Sosehr du dich auch nach Penelope sehnen magst – ich muss mich doch hinter Penelopes Schönheit sicher nicht verstecken?“

„Ach Kalypso! Natürlich überstrahlst du als Göttin die Schönheit der klugen Penelope! Sie ist sterblich, und du bist unsterblich und kannst dich ewiger Jugend erfreuen. Dennoch will ich nach Hause und sehne mich danach alle Tage. Selbst wenn ich Gefahr liefe, auf dem Meer wieder von einem der Götter verfolgt zu werden, ich würde jede Gelegenheit nutzen, um von hier fortzukommen.“

Da bedrängte Kalypso Odysseus nicht weiter.

Es wurde dunkel, und sie gingen beide Hand in Hand zu ihrem Lager. Seit langem war Odysseus Kalypsos schier unstillbarem Verlangen nur noch freudlos nachgekommen, aber in dieser Nacht dankte er ihr für die Rettung von einst und für die nun versprochene Aussicht auf baldige Heimkehr mit aufrichtiger Zärtlichkeit, bevor sie dann Arm in Arm einschliefen.

Am nächsten Tag machte sich Odysseus mit dem ersten Sonnenstrahl an die Arbeit. Wie versprochen wies ihm Kalypso zwanzig verdorrte Bäume zu, deren Stämme leicht auf dem Wasser schwimmen würden, und versorgte ihn mit dem nötigen Werkzeug.

Vier Tage lang arbeitete Odysseus, bis er mit seinem Werk zufrieden war.

Am fünften Tag, nachdem Kalypso ihn gebadet und mit duftenden Kleidern ausgestattet hatte, bepackte sie das kunstfertig gebaute Floß mit mehr als ausreichenden Vorräten. Zuletzt beschrieb sie Odysseus die Sternbilder, nach denen er seinen Kurs bestimmen sollte, und schickte ihm als Abschiedsgruß einen lauen, steten Wind in sein Segel.

Odysseus war guter Dinge. Nach all den Jahren bei Kalypso genoss er es, wieder unterwegs zu sein. Der Wind stand nach wie vor günstig, und Kalypso hatte für sein leibliches Wohl wirklich hervorragend gesorgt. Dank der genauen Beschreibung der Sternbilder konnte es nicht mehr lange dauern, bis er sein erstes Ziel erreicht haben würde. Nach achtzehn Tagen schienen die Berge des Phaia­kenlandes bereits zum Greifen nah.

Da entdeckte ihn Poseidon.

Wie sehr er den Aithiopen wegen ihres Opfers auch gewogen sein mochte, so verfinsterte sich das Gemüt dieses Gottes doch augenblicklich, als er Odysseus unweit des Strandes der Phaia­ken gewahr wurde. Wolken schoben sich zu riesigen Gebirgen zusammen. Sturmwinde kamen von allen Seiten her und Poseidon wirbelte die See mit seinem Dreizack auf, bis sie schäumte.

Den Untergang vor Augen erinnerte sich Odysseus an die Warnung der Kalypso und bedauerte, nicht das Schicksal der in Troja gefallenen Gefährten zu teilen. Dort wäre er wenigstens in allen Ehren begraben worden, anstatt hier im Meer als Namenloser jämmerlich ertrinken zu müssen.

Schon die erste mächtige Sturzwelle schleuderte ihn vom Floß. Der Mastbaum brach mitten entzwei. Odysseus hatte wegen seiner voll gesogenen Kleider große Mühe, sich wieder an die Wasseroberfläche zu arbeiten. Aber schließlich kämpfte er sich an die Seite des Floßes, zog sich hoch und krallte sich an dem Maststumpf fest.

Hin und her wurde das Floß gestoßen, der Süd- warf es dem Nordwind zu und das nächste Mal wurde es ein Spielball von Ost- und Westwind. Da gewann Odysseus die Anteilnahme der Leukothea.

Sie war eine Tochter des Kadmos und hieß früher Ino. Einst für ihre glockenreine Stimme bekannt, hatte sie sich voller Verzweiflung in das Meer gestürzt und war zu einer Schutzgöttin geworden.

In diesem stürmischen Gewässer einem Tauchervogel an Beweglichkeit gleich, setzte sie sich nun zu Odysseus auf das angeschlagene Floß.

„Du Ärmster! Was hast du nur gegen Poseidon verbrochen, dass er dir so übel mitspielt? Aber wenn du jetzt auf meinen Rat hörst, wird es nicht zum Schlimmsten kommen! Ziehe deine nassen Kleider aus und wickele dir dieses Tuch um die Brust. Schwimme mit ihm an Land! Hast du den Strand erreicht, wirfst du das Tuch einfach hinter dich ins Meer zurück.“

Den Maststumpf mit der einen Hand umklammernd, das Tuch in der anderen Hand haltend, sah Odysseus argwöhnisch zu, wie Leukothea wieder unter die Wellen tauchte.

War das nun eine weitere List der Götter? Die Küste nirgends auszumachen und nur mit diesem Tuch angetan sollte er ins Wasser springen? Nein, solange das Floß nicht völlig auseinander fiel, wollte er es nicht aufgeben.

Eine besonders gewaltige Sturzflut ergoss sich nun über das Floß. Die Holzstämme stoben auseinander wie dürres Stroh im Wind. Aber Odysseus konnte sich auf einen der Stämme retten und klammerte sich an ihn, wie an den Hals eines wild galoppierenden Pferdes. Er versuchte nun, seine Kleider abzustreifen und sich das Tuch um die Brust zu binden. Als es ihm endlich gelang, stürzte er sich kopfüber in die wogenden Wellen und hielt sich, so gut es ging, über Wasser.

Poseidon sah dem ungerührt zu.

Selbst wenn es Odysseus jetzt gelingen sollte, das Festland und freundlich gesinnte Menschen zu erreichen, würde er vorher Todesängste ausstehen und noch eine Menge von Poseidons bitterer Medizin zu schlucken haben. Daran konnte auch der mächtige Zeus nichts ändern.

Mit dieser Gewissheit trieb der Gott des Meeres die schaumgekrönten Rösser vor seinem Wagen an und wendete sich seinem Wohnsitz in der Ägäis zu.

Darauf hatte Athene nur gewartet, und als Erstes beruhigte sie die stürmischen Winde. Nur der Nord durfte noch blasen, damit ihr Schützling sobald wie möglich an die Küste der Phaia­ken getrieben würde.

Aber auch so musste Odysseus noch zwei Tage und Nächte durchhalten, bevor er ein mächtiges Dröhnen vernahm.

Was war das? Würde er nun mit der Brandung gegen das spitze Gestein felsiger Klippen geschmettert? Was sollte er tun?

Seitlich auszuweichen, barg das Risiko in sich, wieder ganz zurück ins Meer getrieben zu werden.

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