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2. Feststellung der Überschuldung nach zwischenzeitlichem Insolvenzrecht

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Die Überschuldung ist bei Kapitalgesellschaften gem. § 19 InsO Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren. Das Gesetz enthielt dafür seit der Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 bis Oktober 2008 folgende Definition: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrundezulegen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.“

Überschuldung ergab sich demnach allein aus der Aufstellung einer Bilanz, die nicht mit der Handelsbilanz identisch war. Das geschriebene Recht enthielt freilich keinerlei genaue Regeln dafür, wann und wie diese Sonderbilanz genau aufzustellen war. Jedoch war die Bedeutung der Fortführungsprognose durch diese Gesetzesformulierung deutlich begrenzt worden. Entgegen der bis 1999 klaren Auffassung der ganz h.M. (Rn. 268) entschied die Fortführungsprognose nicht mehr allein über die Überschuldung, sondern nur noch über die Bewertungsprämisse der Überschuldungsbilanz. Jedenfalls dann, wenn eine Bilanzierung unter der Fortführungsprämisse bereits eine Überschuldung ergab, musste auch bei einer positiven Fortbestehensprognose, der Insolvenzantrag gestellt werden.

3. Der Überschuldungsbegriff seit Oktober 2008

a) Einführung

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Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG), welches im Oktober 2008 in Kraft trat, wurde der Überschuldungsbegriff der InsO erneut geändert. § 19 Abs. 2 InsO lautet nun:

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„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1-5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.“

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In der Fachpresse wird diese gesetzliche Neudefinition der Überschuldung als Rückkehr zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung, nämlich zur Geltung des sog. modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs verstanden.[15] Dieses Ziel der Neuformulierung ergibt sich auch aus der Begründung des Entwurfs des FMStG.[16]

b) Inhalt des geltenden Überschuldungstatbestands
aa) Überschuldungsstatus und Fortführungsprognose

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Nach der Gesetzesformulierung setzt die rechtliche Überschuldung neben der rechnerischen Überschuldung auch eine negative Fortführungsprognose voraus (vgl. § 19 Abs. 2 InsO: „es sei denn...“). Für die rechnerische Überschuldung ist dabei nicht auf die Handelsbilanz der Gesellschaft, sondern auf den Überschuldungsstatus abzustellen (siehe bereits Rn. 267).

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Die Fortführungsprognose ist eine auf Tatsachengrundlagen erstellte Beurteilung, ob das Unternehmen mittelfristig, d.h. bis zum Ende des laufenden und des folgenden Geschäftsjahres, die fälligen Verpflichtungen wird erfüllen können. Die Fortführungsprognose ist also eine sog. Zahlungsfähigkeitsprognose. In der Regel setzt eine positive Prognose den Fortführungswillen des Schuldners sowie ein tragfähiges Unternehmenskonzept und einen dokumentierten Finanz- und Ertragsplan voraus.[17] Wird die mittelfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % prognostiziert, tritt trotz rechnerischer Unterdeckung also keine rechtliche Überschuldung ein. Ein Insolvenzantrag braucht dann nicht gestellt zu werden.

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Beide Elemente der Überschuldung (Zahlenwerk und Prognose) stehen gleichrangig nebeneinander. Nur wenn rechnerische Überschuldung und negative Prognose gegeben sind, liegt auch Überschuldung im Rechtssinne vor. Die Reihenfolge der Prüfung ist dementsprechend gleichgültig. Die Geschäftsleitung kann entscheiden, welche der beiden Prüfungen sie für weniger aufwändig hält und dementsprechend zuerst anstellt.

bb) Zeitpunkt der Überschuldungsprüfung

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Die aus der früheren Rechtslage bekannten Rahmenbedingungen für die Prüfung sind denkbar unbestimmt geblieben, insbesondere was den Zeitpunkt angeht. Auch ihr Hauptvertreter, K. Schmidt, gibt nicht an, wann genau die Prüfung anzustellen ist.[18] Er meint, ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter mache einen Insolvenzstatus selbstverständlich erst auf, wenn die Unternehmensprognose zu Zweifeln Anlass gibt. Diese soll „in der Nähe der Krise auch durch Finanzpläne belegt sein“. Damit wird nicht klar, was und wann der Geschäftsleiter nun genau tun soll. Soll er ständig Prognosen anstellen, die irgendwann zu Zweifeln Anlass geben und (erst) dann die Aufstellung einer echten Fortbestehensprognose gebieten? Oder geht es lediglich um eine nicht näher bestimmte Selbstprüfungsobliegenheit des Geschäftsleiters?

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Auch sonst wird der Zeitpunkt für eine Überschuldungsprüfung zwar etwas näher, aber gleichwohl im Ergebnis nicht ausreichend und vor allem in ganz unterschiedlicher Weise bestimmt: So soll etwa der Zeitpunkt gekommen sein, wenn es Zeichen für eine Krise gibt oder wenn sich ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten abzeichnen (wann ist das genau der Fall?), insbesondere, wenn die Hälfte des Stammkapitals verbraucht ist oder Überschuldung nach Handelsbilanz vorliegt.[19] Nach Wimmer sollen „alle Alarmglocken der Gesellschaft klingeln“, wenn rechnerische Überschuldung vorliegt. Aber eine rechnerische Überschuldung setzt ja die Aufstellung einer Sonderbilanz (Überschuldungsstatus) voraus (Rn. 267)! Und wann diese Sonderbilanz aufgestellt wird, beantwortet Wimmer nicht.[20]

cc) Maßstäbe für die Aufstellung der Fortführungsprognose und Beweislast

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Was die Maßstäbe für die Prognose angeht, so kann nach K. Schmidt eine positive Fortbestehensprognose nur auf die Wirtschaftskraft der Gesellschaft selbst, ggf. auch auf ein realisierbares Sanierungskonzept gestützt werden, nicht auf die bloße Erwartung von Sanierungshilfen seitens Dritter.[21] Ferner wird auf die Erstellung einer Ertrags- und Finanzplanung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen verwiesen und deren Aussagekraft sowie Realitätsnähe betont. Für die Tatsachengrundlagen einer positiven Fortführungsprognose trägt nach mittlerweile h.M. die Geschäftsleitung die Darlegungs- und auch die Beweislast.[22]


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Teil 3 Gläubigerschutz › § 6 Bilanz- und Insolvenzrecht › VII. Der hier vertretene Standpunkt

VII. Der hier vertretene Standpunkt

1. Fortführungsprinzip und Vorsichtsprinzip als Gefahren für die Gläubiger

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Das deutsche Bilanzrecht tendiert zu einer von Liquidationswerten abweichenden Bewertung der Aktiva und Passiva der Gesellschaft. Dass die durch die Prämisse des going concern (oben Rn. 253) ermöglichten Fortführungswerte und damit eine Überbewertung des Vermögens dem Gläubigerschutz zuwiderläuft, sollte sofort einleuchten: In Wahrheit ist weniger da, als in der Bilanz angegeben ist.

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Aber auch das Vorsichtsprinzip (oben Rn. 254) führt zur Gläubigergefährdung, weil es hilft, im Wege stiller Reserven die wahre Vermögensentwicklung der Gesellschaft zu verstecken. Zwar mag zunächst tatsächlich ein größeres Vermögen vorhanden sein, als in der Bilanz angegeben (damit lassen sich z.B. Steuern sparen). Jedoch kann infolgedessen erstens nicht ermittelt werden, ob sich die Gesellschafter durch ein unausgewogenes Geschäft (verdeckte Gewinnausschüttung) verdeckt Geld aus der Kasse genommen haben.

Beispiel:

Eine Immobilie ist 200 wert, steht aber nur mit 100 in der Bilanz. Gesellschafter und Gesellschaft veräußern die Immobile nun zum Buchwert (100) an den Gesellschafter. In der Bilanz scheint alles seine Richtigkeit zu haben (Aktiventausch). Tatsächlich aber ist eine Zuwendung in Höhe von 100 an den Gesellschafter erfolgt.

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Stille Reserven verschleiern und erleichtern also zum ersten verdeckte Gewinnausschüttungen und erschweren es später dem Insolvenzverwalter, Verstöße gegen die Kapitalerhaltung festzustellen. Zweitens sinkt durch eine solche verdeckte oder „stille“ Auflösung der stillen Reserven das Vermögen der Kapitalgesellschaft, ohne dass dies in der Bilanz publik wird. Die Gläubiger erhalten also keine Warnsignale, dass es der Gesellschaft in Wahrheit bereits schlechter geht, als aus der Bilanz ersichtlich.

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Ziel der Handelsbilanz müsste es daher eigentlich sein, den Zeitpunkt Z2 zu ermitteln. Sie müsste auf die Zeitwerte der Vermögensgegenstände abstellen. Damit sind das heutige Verständnis des Vorsichtsprinzips (v.a. das Anschaffungswertprinzip) und der Grundsatz des going concern (Fortführungswerte) jedoch nicht vereinbar.

2. Wann sollte ein Insolvenzantrag gestellt werden?

a) Überschuldung nach Überschuldungsbilanz

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Dieser Zeitpunkt wäre übertrieben früh. Eine gewisse Externalisierung von unternehmerischen Risiken auf die Gläubiger ist Zeichen jeder Kapitalgesellschaft. Es wäre zu scharf und würde auch funktionsfähige Unternehmen in den Ruin treiben, wenn man als maßgebende Bilanz eine Überschuldungsbilanz verlangte, die sämtliche denkbaren Abwicklungsverluste in die Betrachtung mit einbezieht und die von einer schnellen Zerschlagung des Unternehmens ausgeht. Dabei ist dieses Argument mit besonderer Vorsicht zu genießen. Es trägt nämlich nur so weit, wie in einer Überschuldungsbilanz auch echte Werte unberücksichtigt blieben, die letztlich nur infolge der Verfahrensbesonderheiten und dem Zeitdruck in der Insolvenz zerstört werden. Ansonsten kann und wird das Argument auch dazu missbraucht werden, den Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung ungebührlich nach hinten zu verlagern.

b) Überschuldung nach Fortführungswerten

286

Bei einer positiven Fortführungsprognose (und das sagte scheinbar das Gesetz bis Oktober 2008) müsste erst im Jahr 5 der Insolvenzantrag gestellt werden, wenn auch unter Zugrundelegung von Fortführungswerten die Überschuldung anzunehmen wäre. Doch können Gesellschafter und Geschäftsführer auf volkswirtschaftlich schädliche Gedanken kommen, wenn nicht die auf dem Markt erzielbaren Werte, sondern letztlich unrealistisch hohe Werte über die Frage der Überschuldung entscheiden. Die Gesellschafter/Geschäftsführer werden nämlich bereits ab dem Jahr 4 (da sie selbst ja die „wahre Vermögenslage“ der Gesellschaft genau kennen) versucht sein, besonders spekulative und riskante Geschäfte einzugehen, um das Unternehmen noch zu retten. Wenn im Zeitpunkt Z1 die Gesellschafter die Liquidation ihrer Gesellschaft beschließen würden, dann bekämen sie noch insgesamt etwas raus (vgl. die Abb.): Im Zeitpunkt Z1 würden bei einer gedachten Liquidation die Gläubiger vollständig befriedigt werden und übrig blieben noch 35 T€. Dieses Geld können die Gesellschafter also auch jetzt noch verlieren, wenn sie in diesem Zeitpunkt ungebührlich hohe Risiken eingehen. Sie werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach im Zeitpunkt Z1 also sehr vernünftig verhalten.

c) Überschuldung nach Liquidationswerten

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Anders dagegen sieht es im Zeitpunkt Z2 (Jahr 4) aus. Würden die Gesellschafter nunmehr die Liquidation ihrer Gesellschaft beschließen, dann werden sie kein Geld mehr erhalten. Also wirtschaften sie ab diesem Zeitpunkt allein mit dem Geld ihrer Gläubiger.

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Es liegt nahe, dass die Gesellschafter einer GmbH diese Liquidationsbilanz kennen, auch wenn sie sie nach dem Gesetz nicht aufzustellen verpflichtet sind. Man stelle sich folgende Fragen: Würde man als Gesellschafter/Geschäftsführer einer GmbH solche Überlegungen anstellen, oder liegt das alles hier besonders fern? Wie hoch wird die Insolvenzquote für die Gläubiger im Zeitpunkt Z3 sein? Wie werden sich die Werte nach Liquidationsbilanz und Überschuldungsbilanz bis zum Zeitpunkt Z3 fortentwickeln?

d) Widerlegung des Hauptgegenarguments

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Das immer wieder geäußerte Hauptargument gegen den hier für richtig gehaltenen Zeitpunkt Z2 als Zeitpunkt für die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags lautet wie folgt: Stellte man auf Liquidationswerte ab, dann würde man viele lebensfähige Unternehmen in den Konkurs treiben: Wenn man dagegen so wie hier vorgeschlagen bilanzierte, dann wären 80 % der deutschen Unternehmen überschuldet.

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Dagegen lassen sich drei Argumente geltend machen.

aa) Das Insolvenzverfahren muss nicht die Zerschlagung des Unternehmens und damit die Vernichtung des Gesellschaftsvermögens bedeuten: Auch in der Insolvenz lässt sich eine Fortführung des Unternehmens bewerkstelligen. Es kann umso eher saniert werden, je mehr Vermögen im Zeitpunkt der Eröffnung noch vorhanden ist. Die gesetzliche Entscheidung ist in § 15a InsO getroffen: Ist das investierte Kapital verbraucht, so ist die Fortführung des Unternehmens eine gesetzlich verbotene Spekulation auf Kosten der Gläubiger.

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bb) Die tatsächliche Behauptung, dass bei einem Abstellen auf den Liquidationswert über die Hälfte der deutschen Unternehmen überschuldet werden, trifft nicht zu. Die hier vorgeschlagene Bilanzierung richtet sich ja nicht nur einseitig gegen Fortführungswerte, sondern auch und gerade gegen alle pseudo-gläubigerschützenden Normen, die – wie etwa das Anschaffungswertprinzip – durch eine Unterbewertung zu einer Bildung stiller Reserven führen. Sie plädiert für eine einheitliche Orientierung an einem true and fair view-Verständnis, so dass sich gewisse Minderbewertungen aus einer Orientierung an der Liquidationsbilanz z.T. wieder ausgleichen. Und im Übrigen würden Gesellschafter und Geschäftsführer ja auch auf die hier befürwortete Verschärfung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung reagieren: Sie werden schon vor der Überschuldung tunlichst neue Investoren suchen, um eine Insolvenz abzuwenden.

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cc) Es gibt noch ein systematisches Argument. Das bisherige System ist nämlich nicht widerspruchsfrei: Die Gesellschafter können nach den bisherigen Regeln auch nach dem Zeitpunkt Z2 weiterwirtschaften. Niemand kann ihnen jedoch verbieten, irgendwann zwischen dem Zeitpunkt Jahr 4 und Jahr 5 einen Liquidationsbeschluss zu fassen. Wenn sie dann während der Liquidation „feststellen“, dass die Gläubiger nicht befriedigt werden können, kann niemand mehr etwas dagegen tun. Das bisherige System leistet also dem Betrug zulasten der Gläubiger Vorschub bzw. legalisiert ihn. Das kann nicht richtig sein.

3. Konsequenzen für die Auslegung des seit Oktober 2008 geltenden § 19 Abs. 2 InsO

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Nach dem unter 2. Gesagten ist richtiger Zeitpunkt für die Antragspflicht Z2. Nach dem bisherigem Recht wurde allerdings von der h.M. Z3 als maßgebender Zeitpunkt zugrundegelegt (siehe Rn. 271). Nach dem nunmehr geltenden Tatbestand der Überschuldung (siehe oben V. 3) entscheidet die bilanzielle Vermögenslage nicht mehr allein über das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes: Bereits im Zeitpunkt Z1 kann Überschuldung gegeben sein, wenn nämlich zugleich eine negative Fortführungsprognose vorliegt. Andererseits kann sogar im Zeitpunkt Z3 die Überschuldung zu verneinen sein, wenn in diesem Zeitpunkt eine positive Fortführungsprognose vorliegt.

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Um die Folgen dieser Änderung abzumildern, könnte man im Unterschied zur alten Rechtslage im Ausgangspunkt doch auf die Überschuldung nach Handelsbilanz abstellen, mit einigen Modifikationen.[23] Das eigentliche Problem der Unbestimmtheit des Zeitpunkts einer Überschuldung wird damit wegen der Maßgeblichkeit der Fortführungsprognose freilich nicht gelöst. Immerhin aber könnte man so dafür sorgen, dass eine Fortführungsprognose auch tatsächlich aufgestellt wird.[24]

4. Insolvenzanfechtung als (Teil-)Abhilfe des Bewertungsproblems

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Wenn man noch einmal das oben unter II. dargestellte Beispiel betrachtet, so kann man erkennen, dass die Gesellschafter sich wegen der Fortführungsprämisse der Handelsbilanz unter Umständen noch in einem Zeitpunkt legal Gewinn aus dem Gesellschaftsvermögen nehmen können, in dem die Gesellschaft bereits überschuldet ist. Nach dem Gesagten kann es sein, dass nach geltendem Kapitalerhaltungs- und Bilanzrecht die Gesellschafter sich Bilanzgewinn aus der Gesellschaftskasse nehmen können, ohne gegen § 30 Abs. 1 GmbHG zu verstoßen, obwohl das Gesellschaftsvermögen zu Liquidationswerten bereits nicht mehr zur tatsächlichen Schuldendeckung ausreicht. In einer anschließenden Insolvenz kann sich also herausstellen, dass die Gesellschafter noch kurz vor Stellung des Insolvenzantrages – formaljuristisch korrekt – Bilanzgewinn verteilt haben. Akzeptiert man diese Gewinnentnahme gesellschaftsrechtlich, weil die Kapitalerhaltung eben nur nach handelsbilanziellen Maßstäben durchzuführen ist (s.o. Rn. 176), so bedeutet das noch nicht, dass man eine solche Entnahme auch aus insolvenzrechtlicher Sicht akzeptieren muss. Vielmehr liegt es nahe, in der Insolvenz nicht nur verdeckte Gewinnausschüttungen, sondern sämtliche Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter den Regeln über die Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO zu unterstellen. Die Insolvenzanfechtung geht der zunächst bestehenden privatrechtlichen Lage vor (sogenannte haftungsrechtliche Unwirksamkeit), so dass die §§ 30 ff. GmbHG die Rechtslage nicht endgültig entscheiden, sondern eben die §§ 129 ff. InsO.[25]

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Der Insolvenzverwalter kann dann Zuwendungen an die Gesellschafter an die Masse gem. § 143 Abs. 1 S. 1 InsO zurückverlangen, indem er die Rechte aus den §§ 129 ff. InsO geltend macht. Dafür müssen freilich die Tatbestände der §§ 130–135 InsO gegeben sein, die regelmäßig (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzen. Wenn aber, wie § 135 InsO zeigt, die Gesellschafter sich nicht einmal ein kapitalersetzendes Darlehen in der Krise der Gesellschaft zurückzahlen lassen dürfen (ausführlich dazu Rn. 345, 357), dann dürfen sie erst recht keine offenen oder verdeckten Gewinnausschüttungen an sich veranlassen.

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Zwar nicht für offene Gewinnausschüttungen (diese sind nicht unentgeltlich), wohl aber für verdeckte Vermögensverlagerungen kommt nach hier vertretener Auffassung ferner die Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO in Betracht. Die Kriterien für eine unentgeltliche Leistung (§ 134 InsO) sind nach richtiger Ansicht identisch mit den Maßstäben für eine verdeckte Gewinnausschüttung im Kapitalerhaltungsrecht. Nach dem BGH kommt es für die Unentgeltlichkeit einerseits darauf an, inwieweit die vermögensmindernde Verfügung den Wert einer eventuellen Gegenleistung übersteigt. Andererseits müssen die Parteien dabei den ihnen zustehenden „Bewertungsspielraum“ überschritten haben.[26] Richtigerweise kann das zweite Kriterium (der Bewertungsspielraum) nur eines für die Abgrenzung zwischen einem erlaubten „schlechten“ Geschäft für die insolvente Gesellschaft und einer unentgeltlichen Zuwendung sein. Die Abgrenzung kann also nur objektiv-funktional erfolgen, da es um den Schutz Dritter (der Gläubiger) geht. Für eine solche objektiv-funktionale Auslegung spricht auch die Regelung des § 134 Abs. 2 InsO, der die Reichweite der Ausnahme von der Schenkungsanfechtung ebenfalls nach objektiven Kriterien bestimmt.[27] Daher kann es bei der Frage des Bewertungsspielraums der Parteien allein darauf ankommen, wieweit die konkreten, objektiv feststellbaren Umstände des Geschäfts die Annahme der Unentgeltlichkeit eines Austauschgeschäfts auszuschließen vermögen. Und damit decken sich die Maßstäbe des § 134 InsO mit der h.M. zur verdeckten Vermögensverlagerung im Gesellschaftsrecht, die dort subjektive Maßstäbe ablehnt.

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Lösung zu Fall 15:

Wirft die Handelsbilanz wie in Fall 15 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aus, so ist die Gesellschaft bilanziell überschuldet. Nach h.M. löst dieses Ereignis nicht in jedem Fall besondere Pflichten des Geschäftsführers aus, da sich die Frage der Überschuldung einer Kapitalgesellschaft im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO nicht nach der Handelsbilanz richtet. Diese h.M. ist jedoch abzulehnen, da sie dazu führt, dass der Zeitpunkt der Überschuldung nicht rechtssicher ermittelt werden kann und damit auch nicht überlebensfähige Gesellschaften auf Kosten der Gläubiger weiterwirtschaften können.

Nach hier vertretener Auffassung ist durch eine handelsbilanzielle Überschuldung der Tatbestand des § 19 Abs. 2 InsO erfüllt, so dass der Geschäftsleiter der Kapitalgesellschaft gem. § 15a InsO innerhalb von 3 Wochen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen muss, mindestens aber eine Fortführungsprognose aufstellen und dokumentieren muss, da nur deren tatsächliche Aufstellung und Dokumentation geeignet ist, die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 InsO zu begründen.

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9783811495883
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