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Читать книгу: «Mann und Weib», страница 4

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VIII

Seinem Ende rasch entgegengehend hat das Vorspiel noch zu zeigen, wie die beiden Mädchen, Anne und Blanche, die verflossenen Jahre verlebt hatten. Lady Lundie löste das feierliche Wort, das sie ihrer Freundin gegeben hatte, voll ein. Sorgfältig vor jeder Versuchung bewahrt, die das Verlangen, dieselbe Laufbahn wie ihre Mutter zu betreten, in ihr hätte erwecken können, mit allen für Geld erreichbaren Mitteln für das Leben einer Erzieherin vorbereitet, durfte Anne ihre ersten und einzigen Versuche auf dem Felde der Erziehung unter Lady Lundie’s eigenem Dach, an Lady Lundies eigenem Kinde machen. Die Verschiedenheit des Alters der beiden Mädchen, sieben Jahre, und ihre gegenseitige Liebe, die mit jedem Tage zuzunehmen schien, Begünstigten diesen ersten Versuch. In der zwiefachen Eigenschaft einer Lehrerin und Freundin der kleinen Blanche flossen die Mädchenjahre Anne Silvester’s sicher, glücklich und ereignißlos, in dem stillen Heiligthum einer bescheidenen Häuslichkeit dahin. Ein schärferer Contrast zwischen ihrem und ihrer Mutter Jugendleben war nicht denkbar. Niemand, der das Leben dieses Mädchens beobachtete, hätte in der schrecklichen Frage, welche die Mutter in ihren letzten Augenblicken gemartert hatte: »Wird sie auch enden wie ich? etwas Anderes als das Wahngebilde einer Sterbenden erblicken können.

Indessen wurde doch das friedliche Familienleben im Lauf der Jahre, die wir jetzt an uns vorüberziehen lassen, durch zwei wichtige Ereignisse unterbrochen. Im Jahre 1858 brachte die Ankunft Sir Thomas Lundie’s neues Leben in das Haus, und im Jahre 1865 wurde der Haushalt in Folge der Rückkehr Sir Thomas Lundie’s nach Indien in Begleitung seiner Frau ganz aufgehoben.

Lady Lundie’s Gesundheit war seit einiger Zeit schwankend geworden. Die zu Rathe gezogenen Aerzte erklärten, zufällig gerade zu der Zeit, wo Sir Thomas wieder nach Indien zurückkehren mußte, daß eine Seereise gerade das geeignete Mittel sei, die Kräfte ihrer Patientin wiederherzustellen. Um seiner Frau willen fand sich Sir Thomas bereit, seine Rückkehr zu verschieben, um die Seereise mit ihr machen zu können.

Die einzige Schwierigkeit, die bei dieser Reise zu überwinden war, bestand darin, daß man Blanche und Anne während der Zeit in England zurücklassen mußte.

Die Aerzte hatten nämlich erklärt, daß sie es nicht für gerathen halten könnten, Blanche in dem kritischen Zeitpunkt ihrer Entwickelung mit ihrer Mutter nach Indien zurückkehren zu lassen. Gleichzeitig erboten sich nahe und liebe Verwandte, freundschaftlichst bereit, Blanche und ihre Erzieherin bei sich aufzunehmen, während sich Sir Thomas seinerseits verpflichtete seine Frau in anderthalb, höchstens zwei Jahren nach England zurückzubringen. Von allen Seiten bestürmt, mußte Lady Lundie endlich ihre Abneigung, die Mädchen zu verlassen, überwinden Sie entschloß sich zu der Reise mit schwerem Herzen und sorgenvollen Gedanken an die Zukunft.

Im letzten Augenblick nahm sie Anne Silvester mit sich in einen Winkel des Zimmers, wo Niemand von den Anwesenden sie hören konnte. Anne war jetzt zweiundzwanzig, Blanche fünfzehn Jahr alt.

»Mein liebes Kind«, sagte sie ruhig, »ich muß Dir etwas anvertrauen, was ich meinem Mann nicht sagen kann, und was ich mich Blanche zusagen scheue. Ich verlasse Euch mit schlimmen Ahnungen. Ich fühle, daß ich nicht wieder nach England zurückkehren werde, und ich glaube, mein Mann wird sich nach meinem Tode wieder verheirathen. Vor Jahren war Deine Mutter auf ihrem Totenbett besorgt für Deine Zukunft, jetzt bin ich für Blanches Zukunft besorgt. Damals versprach ich meiner theuren verstorbenen Freundin, daß ich für Dich wie für mein eigenes Kind sorgen wolle, und das beruhigte sie. Beruhige Du jetzt mich, Anne, vor meiner Abreise. Was auch im Lauf der Zeit geschehen möge, versprich mir, immer für Blanche zu sein, was Du ihr jetzt bist, eine Schwester.« Zum legten Male reichte sie ihr die Hand. Mit ganzer Innigkeit küßte Arme Silvester diese Hand und versprach es.

IX

Zwei Monate später war eine der bösen Ahnungen, die auf Lady Lundie’s Gemüth gelastet hatten, in Erfüllung gegangen. Sie starb während der Reise und fand ihr Grab in der kalten See.

Ein Jahr später hatte sich auch ihre zweite Befürchtung bestätigt. Sir Thomas Lundie verheirathete sich zum zweiten Mal. Gegen Ende des Jahres 1866 kam er mit seiner zweiten Frau nach England zurück.

Das Leben schien in dem neuen Haushalt ebenso ruhig wie in dem alten verlaufen zu sollen. Sir Thomas ehrte das Vertrauen, das seine erste Frau auf Anne gesetzt hatte. Die neue Lady Lundie richtete ihr Benehmen in dieser Angelegenheit kluger Weise nach dem ihres Mannes und ließ die Dinge, wie sie dieselben in dem neuen Hause fand. Im Beginn des Jahres 1867 war das Verhältniß zwischen Anne und Blanche das zweier mit inniger Zuneigung aneinanderhängender Schwestern. Die Aussichten in die Zukunft waren die freundlichsten.

Von den mit dem Trauerspiel, das vor zwölf Jahren in der Villa in Hampstead gespielt hatte, verknüpften Personen waren um diese Zeit drei bereits gestorben, und eine in freiwilliger Verbannung im Auslande. In England lebten nur noch Anne und Blanche, die damals Kinder gewesen waren, und der Advocat, der die Ungültigkeit der irischen Heirath entdeckt hatte. – damals Mr. Delamayn, jetzt Lord Holchester.

Ende des Vorspiels.

Die Erzählung

Der Garten-Pavillon

Erstes Kapitel.
Die Eulen

Im Frühling des Jahres 1868 lebten in einer schottischen Grafschaft zwei ehrwürdige weiße Eulen.

Sie bewohnten einen verfallenen und verlassenen Garten-Pavillon. Dieser stand in einem Garten, der zu einem unter dem Namen Windygates bekannten Landsitz in Perthshire gehörte.

Windygates lag nach der wohlüberlegten Wahl des Erbauers in jenem Theil der Grafschaft, wo die fruchtbare Ebene in hügeliches Land überzugehen anfängt. Das Herrenhaus war mit Umsicht erbaut und prächtig eingerichtet. Die Ställe waren ein Muster von lustiger Geräumigkeit, und Garten und Park waren eines fürstlichen Besitzers würdig.

Trotz dieser ausgezeichneten Vorzüge gerieth Windygates nicht lange nach seiner Erbauung in Verfall. Der Fluch eines Prozesses lag auf dem Hause und den dazu gehörigen Ländereien. Länger als zehn Jahre umfing ein endloser Rechtsstreit den Landsitz enger und enger mit seinen unbarmherzigen Armen und machte denselben nicht nur unbewohnbar, sondern auch völlig unnahbar. Das Haus war geschlossen. Der Garten wurde zu einer von üppigem Unkraut überwucherten Wildniß. Der Garten-Pavillon ward von Schlingpflanzen fast erdrückt und den Schlingpflanzen folgten die Nachtvögel.

Jahrelang lebten die Eulen ungestört auf dem Grund und Boden, den sie kraft des ältesten aller bestehenden Rechte, der Besitzergreifung, erworben hatten. Den Tag über saßen sie in feierlichem Schweigen mit geschlossenen Augen in dem kühlen Dunkel, mit welchem der Epheu sie umgab. Mit Anbruch der Dämmerung gingen sie auf ihr eigentliches Geschäft. In weiser Verbrüderung flogen sie geräuschlos über die friedlichen Gartenwege hin, sich den Stoff für ihre Mahlzeit zu suchen. Einmal jagten sie wie ein Hühnerhund über ein Feld hin und stürzten sich auf eine nichts Böses ahnende Maus; ein andermal flogen sie zur Abwechselung gespensterhaft über die schwarze Oberfläche eines Teiches hin und erbeuteten einen Barsch. In ihrer Nahrung nicht wählerisch, nahmen sie auch mit Ratten und Insecten fürlieb; es gab aber Momente, stolze Momente in ihrem Leben, wo sie einen schlafenden Vogel zu fangen wußten. In solchen Fällen erfüllte sie das Gefühl der Ueberlegenheit über die kleinen Vögel, welches die großen überall empfinden, mit einem Behagen, dem sie durch heiseres Gekreisch in der Stille der Nacht Ausdruck gaben.

So verlebten die Eulen Jahre lang die Tage in glücklichem Schlaf, die Nächte in Erbeutung ihrer Nahrungsmittel. Sie hatten sich gleichzeitig mit den Schlingpflanzen in den Besitz des Garten-Pavillons gesetzt, folglich bildeten die Schlingpflanzen einen wesentlichen Bestandtheil der Verfassung des Garten-Pavillons, und folglich waren die Eulen die Wächter dieser Verfassung. Es giebt menschliche Eulen, die ebenso raisonniren, wie unsere Nachtvögel, und die ihnen nicht nur in dieser Beziehung, sondern auch in Betreff des Schnappens nach kleineren schlafenden Vögeln wunderbar gleichen.

Die Verfassung des Garten-Pavillons hatte bis zum Frühjahr 1868 bestanden, als sich plötzlich die ruchlosen Tritte der Neuerung dem Platze näherten, und die ehrwürdigen Privilegien der Eulen zum ersten Mal einen Angriff erfuhren.

Uneingeladen erschienen zwei ungefiederte zweibeinige Wesen an den Pforten des Garten-Pavillons, nahmen die verfassungsmäßigen Schlingpflanzen in Augenschein und sprachen zu einander: »Die Schlingpflanzen da müssen herunter,« blickten in das entsetzliche Tageslicht und sprachen: »das muß hineindringen,« kamen überein, daß das morgen geschehen müsse und gingen wieder fort.

Und die Eulen sprachen: »Haben wir das Sommerhaus darum Jahrelang mit unserer Gegenwart beehrt, daß das entsetzliche Tageslicht nun doch endlich auf uns eindringe? Mylords und meine Herren vom Hause der Gemeinen, die Verfassung ist in ihren Grundfesten erschüttert!«

Sie faßte eine Resolution in diesem Sinn, wie es bei ihresgleichen gebräuchlich ist. Und darauf schlossen sie in dem Bewußtsein treuer Pflichterfüllung wieder ihre Augen.

Noch in derselben Nacht beobachteten sie bei ihrem Fluge über die Felder mit Schrecken ein Licht an einem der Fenster des Hauses. Was hatte das Licht zu bedeuten?

Es bedeutete erstens, daß der Prozeß endlich sein Ende erreicht hatte, zweitens, daß der Eigenthümer von Windygates der Geld brauchte, beschlossen hatte, dasselbe zu vermiethen, und drittens, daß sich ein Miether gefunden hatte und daß das Haus im Begriff stand, von innen und außen wieder in Stand gesetzt zu werden. Die Eulen erhoben, während sie über die dunklen Feldwege dahinflogen kreischend ihre Stimme. Der Fang einer Maus mißlang ihnen.

Am nächsten Morgen wurden die bei ihrer Ueberwachung der Verfassung in tiefen Schlaf versunkenen Eulen durch Stimmen ungefiederter Wesen, die rund um sie her erschallten aus ihrem Schlummer aufgeschreckt. Unter Protest öffneten sie die Augen und sahen Zerstörungswerkzeuge gegen die Schlingpflanzen gerichtet. Bald hier, bald dort bahnten diese Werkzeuge dem Tageslicht einen Weg in den Garten-Pavillon. Aber die Eulen waren dem großen über sie hereinbrechenden Ereigniß gewachsen. Mit zu Berge stehendem Gefieder schrieen sie: »Keine Ergebung!« Die ungefiederten Wesen aber arbeiteten ruhig weiter und antworteten mit dem Rufe: »Reform!« Die Schlingpflanzen wurden unbarmherzig herabgerissen; das entsetzliche Tageslicht drang heller und heller hinein. Die Eulen hatten kaum Zeit gehabt, eine neue Resolution des Inhalts zu fassen, daß sie fest zur Verfassung ständen, als ein Sonnenstrahl ihnen von außen her blendend in die Augen drang und sie in eiligem Fluge den nächsten schattigen Platz aufsuchen ließ. Hier blieben sie blinzelnd sitzen, während das Gartenhaus von dem erdrückenden Schlinggewächs gesäubert, das verfaulte Holzwerk erneuert und dem ganzen in feuchtem Dunkel verfallenden Gemäuer wieder frische Luft und heiteres Tageslicht zugeführt wurde. Und als die Menschen sich es nun betrachteten und sprachen: »so wird es gehen!« schlossen die Eulen in frommer Erinnerung an das ehemalige Dunkel ihre Augen und antworteten: »Mylords und meine Herren vom Hause der Gemeinen, die Verfassung ist in ihren Grundfesten erschüttert!«

Zweites Kapitel.
Die Gäste

Wer hatte die Umgestaltung des Garten-Pavillons angeordnet?

Der neue Miether von Windygates Und wer war dieser?

Der Leser mag sich selbst überzeugen.

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Im Frühling 1868 war, wie wir gesehen haben, der Garten-Pavillon der trübselige Aufenthaltsort eines Eulenpaars gewesen. Im Herbst desselben Jahres war er der anmuthige Sammelpunkt einer aus Herren und Damen, den Gästen des Miethers von Windygates, bei einem Gartenfeste bestehenden Gesellschaft.

Die Scene war beim Beginn des Festes so lieblich anzuschauen, wie heiteres Sonnenlicht, weibliche Schönheit und muntere Bewegung es nur machen können.

Im Innern des Garten-Pavillons hob sich die anmuthige Eleganz der bunten weiblichen Sommertoiletten von dem finstern Hintergrunde trübseliger moderner Herrenkleidung leuchtend ab. Von dem Garten-Pavillon aus sah man durch drei bogenförmige Oeffnungen hindurch über einen saftig grünen Rasen hinweg auf Blumenbeete und Gebüsch, und weiterhin durch eine in den Bäumen künstlich hergestellte Lichtung auf ein großes, die Aussicht abschließendes steinernes Haus, an dessen Vorderseite eine Fontaine plätscherte, deren Wasserstrahlen im Sonnenlicht bunt erglänzten.

Die ganze Gesellschaft war eben in einem oft von hellem Gelächter unterbrochenen heiteren und lebhaften Geplauder begriffen, als eine laute, das Gesumme der Gäste übertönende Stimme, Schweigen gebot. Im nächsten Augenblick trat eine junge Dame an die Schwelle des Garten-Pavillons und überschaute die Menge der Gäste, wie ein commandirender General ein Regiment überschaut, das er Revue passiren läßt.

Die junge Dame schien nicht im Mindestens verlegen, sie war hübsch und nach der neuesten Mode gekleidet. Ihre Stirn überdeckte ein Hut in Form eines Tellers. An ihrem Hinterkopf erhob sich ein weit aufgeblähter Ballon von hellbraunem Haar. Ueber ihre Brust ergoß sich ein wahrer Wasserfall von Perlen. Iu ihren Ohren glänzten ein Paar den lebendigen Originalen zum Erschrecken ähnlich sehende Käfer. Ihre enganliegenden Röcke glänzten im schönsten Himmelblau. Ihre Fußgelenke schimmerten durch die Hülle gestreifter Strümpfe hindurch. Ihre Schuhe waren sogenannte »Watteaus,« mit Hacken von einer Höhe, bei deren Anblick Männer schaudern.

Die junge Dame, die sich so der Gesamtheit der Gäste präsentirte, war Miß Blanche Lundie. Die ehemals rosige, kleine Blanche, die der Leser bereits aus dem Vorspiel kennt, war jetzt achtzehn Jahr alt, in einer ausgezeichneten gesellschaftlichen Stellung, reich, von lebhaftem Temperament und sehr wechselnden Neigungen, mit einem Worte, ein Kind unserer Zeit, mit den Vorzügen und Fehlern unserer Tage und mit einer Grundlage von echten Gesinnungen und wahrem Gefühl.

»Ruhig lieben Leute, wenn ich bitten darf,« rief Fräulein Blanche, »wir müssen uns für das Croquet-Spiel in zwei Parteien theilen; an die Arbeit, an die Arbeit.«

Nach diesen Worten trat eine zweite Dame aus der Menge der Gäste hervor, und antwortete der jungen Dame, die eben gesprochen hatte, mit einem vorwurfsvollen Blick und in einem Tone wohlwollenden Protestes.

Diese Dame war hoch gewachsen, kräftig gebaut und etwa fünf und dreißig Jahre alt; in ihrer Erscheinung boten sich den auf sie gerichteten Blicken eine grausame Adlernase, ein eigensinniges spitzes Kinn, prächtige schwarze Haare und gleichfarbige Augen, eine glänzende, sorgfältige Toilette und eine lässige Grazie in der Bewegung, die im ersten Augenblick etwas Anziehendes, aber bei längerer Betrachtung etwas unaussprechlich Monotones und Ermüdendes hatte. Das war die zweite Lady Lundie, nach viermonatlicher Ehe jetzt die Wittwe des verstorbenen Sir Thomas Lundie, mit andern Worten die Stiefmutter Blanche’s und die beneidenswerthe Besitzerin von Haus und Garten von Windygates.

»Liebes Kind,« sagte Lady Lundie, »Worte bedeuten etwas, selbst im Munde eines jungen Mädchens, nennst Du das Croquet-Spiel eine Arbeit?«

»Sie wollen es doch wohl nicht Vergnügen nennen?« rief eine ernst ironische Stimme aus dem Hintergrunde des Garten-Pavillons.

Die Gäste traten vor diesem letzten Sprecher zurück, der inmitten der modernen Gesellschaft ein Bild vergangener Zeiten darbot.

Das Wesen dieses, Mannes zeichnete sich durch eine geschmeidige Anmuth und Höflichkeit aus, die unserm heutigen Geschlecht abhanden gekommen zu sein scheinen. Seine Toilette bestand aus einer viel gefalteten weißen Cravatte, einem dicht zugeknöpften blauen Frack und nankingenen Kniehosen nebst entsprechenden Gamaschen; einem für unsere Augen lächerlichen Anzuge. In seiner bequemen Art zu reden gab sich eine unabhängige Art zu denken und eine hochentwickelte feine Gabe satyrischer Repliken kund, die bei der heutigen Generation gleich sehr gefürchtet und unbeliebt ist; er war von kleiner und schmächtiger Gestalt, mit einem schönen weißen Kopf und funkelnden schwarzen Augen; um seine Lippen spielte ein humoristischer Zug; an dem einen Bein hatte er einen Klumpfuß, trug aber dieses körperliche Gebrechen wie seine Jahre mit heiterm Muthe. In der Gesellschaft war er bekannt als Besitzer eines elfenbeinernen Spazierstockes mit einer in der Krücke desselben angebrachten Schnupftabaksdose, und gefürchtet wegen seines Hasses der modernen Institutionen, dem er zu passender und unpassender Zeit Luft machte, indem er immer dieselbe verhängnißvolle Neigung kund gab, geschickt die schwächsten Punkte der Gegner zu treffen. Das war Sir Patrick Lundie, der Bruder des verstorbenen Baronets Sir Thomas und nach dessen Tode der Erbe der Titel und Güter desselben. —

Blanche nahm weder von dem Vorwurf ihrer Mutter, noch von dem Commentar ihres Onkels Notiz, deutete vielmehr auf einen Tisch, auf dein Croquet-Bälle und Hämmer bereit lagen, und lenkte die Aufmerksamkeit auf das Spiel zurück. »Ich führe die eine Seite an, meine Damen und Herren,« nahm sie wieder auf und Lady Lundie führt die andere Seite. Wir wählen unsere Spieler abwechselnd.« »Mama ist die ältere und muß daher auch zuerst wählen.« Mit einem Blick auf ihre Stieftochter, der so viel bedeutete als »wenn ich nur dürfte, würde ich dich in die Kinderstube schicken« drehte sich Lady Lundie um und ließ ihre Blicke über die Gäste hinschweifen Sie war offenbar bereits mit sich einig, welchen Spieler sie berufen wollte »Ich wähle zuerst Miß Silvester,« sagte sie mit einer besonders scharfen Betonung des Namens. Bei diesen Worten theilte sich die Menge abermals und hervortrat die uns bereits bekannte Anne Silvester. – Fremden, die sie heute zum ersten Male sahen, erschien sie als eine einfache, schmucklos in Weiß gekleidete junge Dame in der Blüthe ihrer Jahre. Langsam trat sie vor die Dame des Hauses hin.

»Das ist ja ein reizendes Mädchen,« flüsterte einer der fremden Gäste einem der Freunde des Hauses zu; »wer ist sie?« Der Freund erwiderte flüsternd »,Miß Lundies Gouvernante, weiter nichts.«

Der Fremde sah die beiden Damen an und flüsterte wieder: »Da ist etwas nicht in Ordnung zwischen der Dame und der Gouvernante.«

Der Freund sah gleichfalls auf, die beiden Frauen und antwortete mit einem sehr ausdrucksvollen Worte: »Offenbar.«

Es giebt Frauen, deren Einfluß auf die Männer ein unergründliches Geheimniß für weibliche Beobachter ist.

Die Gouvernante gehörte zu diesen Frauen. Sie hatte die Reize, aber nicht die Schönheit ihrer unglücklichen Mutter geerbt.

Wenn man sie nach dem Maßstabe berühmter weiblicher Schönheiten und Illustrationen an den Schaufenstern der Kunsthändler beurtheilth so konnte das Erkenntniß nur dahin lauten: »sie hat keinen einzigen regelmäßigen Zug im Gesicht.« Auch hatte die ganze Erscheinung nichts besonders Bemerkenswerthes, so lange sie im Zustande der Ruhe verharrte. Sie war von gewöhnlicher Größe, nicht besser gebaut, als die meisten jungen Mädchen; Haar und Teint waren weder hell noch dunkel, sondern von einer indifferenten Farbe; noch schlimmer, sie hatte in ihrer Gesichtsbildung positive Mängel, ein nervöses Zucken des einen Mundwinkels verzog die Lippen, sobald sie sich bewegten; eine nervöse Unsicherheit des Blickes an derselben Seite des Gesichts kam einem Schielen sehr nahe, und doch, trotz dieser unbestreitbaren Mängel, war sie eines jener furchtbaren weiblichen Wesen, die über die Herzen der Männer und den Frieden der Familie nach Willkür gebieten.

Sie brauchte sich nur zu rühren und sie entwickelte in jeder ihrer Bewegungen etwas so unsagbar Reizendes, daß Jedermann sich nach ihr umschaute, seine Unterhaltung mit dem Nachbar unterbrach und sie beobachtete. Wenn sie bei Einem saß und sich mit Einem unterhielt, so übten der zuckende Mundwinkel und die Unsicherheit des Blickes in dem sanften grauen Auge einen eigenthümlichen Zauber, welcher körperliche Mängel in Schönheit verwandelte, die Sinne gefangen nahm, die Nerven dessen, den sie zufällig berührte, zucken und sein Herz höher schlagen machte.

Alles das widerfuhr wohlverstanden nur Männern, die Augen der Frauen gelangten bei ihrem Anblick zu ganz ganz anderen Resultaten. Die beobachtende Dame pflegte sich an die nächste weibliche Freundin zu wenden und im Tone aufrichtigen Mitleids mit dem andern Geschlecht zu sagen: »Was können die Männer nur an ihr finden.«

Die Augen der Frau vom Hause und die Augen der Gouvernante begegneten sich mit offenbarem Mißtrauen. Wenigen Beobachtern hatte entgehen können, was jener Fremde und der Freund des Hauses Beide bemerkt hatten, daß hier etwas unter der Oberfläche gähre.

Miß Silvester ergriff zuerst das Wort.

»Besten Dank, Lady Lundie,« sagte sie, »ich möchte lieber nicht mitspielen.«

Lady Lundie erwiderte mit einem Ausdruck äußerster Ueberraschung, der die Grenzen des gesellschaftlich Erlaubten überschritt und in scharfem Ton:

»Wirklich, ich muß gestehen, da wir doch Alle hier zusammen gekommen sind, um zu spielen, finde ich das auffallend; fehlt Ihnen etwas, Miß Silvester?«

Das zarte, bleiche Gesicht Miß Silvester? erröthete, aber sie war sich ihrer Pflicht als Dame und als Gouvernante bewußt, fand sich in das unvermeidliche und hielt so für dieses Mal das gute Einvernehmen äußerlich aufrecht.

»O, mir fehlt eigentlich nichts,« antwortete sie, »ich fühlte mich nur diesen Morgen nicht ganz wohl, aber ich werde mitspielen wenn Sie es wünschen.«

»Ich wünsche es!« entgegnete Lady Lundie.

Miß Silvester trat bei Seite, stellte sich an eine der Eingangsthüren des Gartenhauses und erwartete das Weitere, indem sie ihre Blicke mit sichtlicher innerer Unruhe, die sich durch das Heben ihres Busens deutlich kundgab, über den Rasen schweifen ließ.

Jetzt war die Reihe an Blanche, den nächsten Spieler zu wählen. Mit einem etwas unsicheren Blick überschaute sie die Gäste, bis ihr Auge auf einen Herrn in der vordersten Reihe fiel. Er stand neben Sir Patrick, ein echter Repräsentant der jetzt lebenden Generation, wie Sir Patrick der Repräsentant einer vergangenen Generation war.

Der moderne junge Mann war jung und blond, hoch gewachsen und kräftig; der Scheitel seines gelockten, blonden Haares fing in der Mitte der Stirn an und ging über den Hinterkopf bis zum Nacken hinunter. Seine Züge waren so vollkommen regelmäßig und so vollkommen unintelligent, wie menschliche Züge es nur sein können. Der Ausdruck seines Gesichts war der einer wunderbar unerschütterlichen Ruhe. Die Muskeln seiner kräftigen Arme waren durch die Hülle seines leichten Sommerrockes hindurch sichtbar; er hatte eine breite Brust, eine feine Taille und stand fest auf seinen Füßen. Mit einem Wort, er war ein prachtvolles, vom Scheitel bis zur Sohle zur höchsten Entwickelung seiner physischen Kräfte gelangtes menschliches Thier. Das war Mr. Geoffrey Delamayn, gemeiniglich der »Ehrenwerthe« genannt, eine Bezeichnung, die er in mehr als einer Hinsicht verdiente. Er war erstens »ehrenwerth« als der zweite Sohn des uns aus dem Vorspiel bekannten Advocaten, der jetzt Lord Holchester hieß; er war zweitens »ehrenwerth« als der Erringer des höchsten Siegespreises, welcher bei dem gegenwärtigen Erziehungs-System des modernen Englands erreicht werden kann, er hatte bei einem »Universitäts Wettrudern« den Preis davon getragen. Wenn man hinzunimmt, daß ihn nie Jemand etwas anders als eine Zeitung lesen gesehen, und daß er niemals eine Wette refüsirt hatte, so werden diese Züge zur Schilderung dieses ausgezeichneten jungen Engländers für jetzt genügen. Blanches Augen blieben sehr natürlich auf ihm haften, und sie wählte ihn als den ersten Spieler auf ihrer Seite: »Ich wähle Mr. Delamayn.«

Kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, als die Röthe von Miß Silvester’s Gesicht verschwand und einer tödtlichen Blässe Platz machte. Sie schien den Garten-Pavillon verlassen zu wollen, hielt aber plötzlich inne und legte die eine Hand auf die Lehne einer neben ihr befindlichen Gartenbank; ein hinter ihr stehender Herr, der die Hand betrachtete, sah wie sich dieselbe so krampfhaft und gewaltsam zusammenballte, daß der Handschuh auf derselben platzte. Der Herr merkte sich das wohl und fand in diesem Zug den Beweis eines furchtbar leidenschaftlichen Temperament. Inzwischen beobachtete Mk. Delamayn sonderbarer Weise dasselbe Verfahren, zu welchem vor ihm Fräulein Silvester ihre Zuflucht genommen hatte, auch er suchte sich dem gemeinschaftlichen Spiel zu entziehen.

»Vielen Dank,« sagte er, »Sie würden mir eine noch größere Freude erweisen, wenn Sie einen andern Herrn wählen wollten, ich spiele nicht gern.«

Vor fünfzig Jahren würde man diese einer Dame ertheilte Antwort als eine nicht zu entschuldigende Impertinenz betrachtet haben, nach den gesellschaftlichen Regeln unserer Tage wurde die Antwort als ein Beweis einer liebenswürdigen Offenheit beifällig aufgenommen.

Die Gesellschaft lachte, aber Blanche wurde ungeduldig.

»Interessiren Sie sich denn für gar nichts Anderes, als für gewaltsame Körperübungen, Mr. Delamayn,« fragte sie in scharfem Ton, »muß es durchs aus ein Wettrudern oder ein Wettlaufen sein? wenn Sie etwas wie Geist besäßen, so würden Sie das Bedürfniß empfinden, sich ein wenig Ruhe zu gönnen; nun haben Sie zwar keinen Geist, aber Muskeln, warum wollen Sie diesen nicht auch ein wenig Ruhe gönnen?«

Die Spitzen von Blanche’s scharfem Witz glitten aber an Mr. Delamayn völlig ab.

»Wie es Ihnen gefällig ist,« erwiderte er mit unerschütterlichem Gleichmuth, »nehmen Sie es mir nicht übel, ich bin hier in Gesellschaft von Damen, die mich nicht rauchen lassen wollen und ich vermisse meine Pfeife schmerzlich, ich dachte ich könnte mich einen Augenblick davon machen und ein paar Züge thun, aber wenn Sie es wünschen, will ich auch spielen.«

»O bitte, rauchen Sie doch ja,« erwiderte Blanche, »ich werde einen Anderen wählen, ich will Sie gar nicht.«

Dem »ehrenwerthen« jungen Manne sah man an, wie sehr ihn diese Antwort erfreute.

Die ungestüme junge Dame wandte ihm den Rücken zu und sah sich nach den Gästen an der andern Seite des Pavillons um. »Wen soll ich wählen?« fragte sie sich selbst.

Ein junger Mann mit einer von der Sonne gebräunten Haut, der in Ausdruck und Wesen etwas von einem Seemann hatte, trat schüchtern auf sie zu und sagte flüsternd: »Wählen Sie mich.«

Auf Blanche’s Gesicht riefen diese Worte ein reizendes Lächeln hervor; allem Anschein nach war der dunkle junge Mann sehr gut bei ihr angeschrieben.

»Sie?« sagte sie kokett, »Sie verlassen uns ja in einer Stunde.«

Er wagte sich noch einen Schritt näher und sagte: Ich komme übermorgen wieder.«

»Aber Sie spielen ja so schlecht?«

»Ich könnte mich aber bessern, wenn Sie es mich lehren wollten!«

»Glauben Sie? dann will ich es mit Ihnen versuchen.«

Sie wandte sich mit heiterer Miene zu ihrer Stiefmutter und sagte: »ich wähle Mr. Arnold Brinkworth!«

Abermals schien hier in einem den Gästen unbekannten Namen etwas zu liegen, was gleichwohl einen besonderen Eindruck, dieses Mal nicht auf Miß Silvester, sondern auf Sir Patrick hervorbrachte. – Er sah Mr. Brinkworth plötzlich mit einem Ausdruck von Interesse und Neugierde an, und würde, hätte nicht die Frau vom Hause in diesem Augenblicke seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, unfehlbar mit dem jungen Manne gesprochen haben. Die Reihe war an Lady Lundie, ihrerseits einen zweiten Spieler zu wählen. Ihr Schwager war für sie eine wichtige Person, und sie hatte ihre besonderen Gründe, sich bei dem Haupte der Familie beliebt zu machen. Sie setzte die ganze Gesellschaft in Erstaunen, als sie Sir Patrick zu ihrem Mitspieler erwählte.

»Mama,« rief Blanche, »wo denkst Du hin? Sir Patrick spielt gewiß nicht mit, Croquet war ja zu seiner Zeit noch gar nicht erfunden.«

Sir Patrick gestattete der jungen Generation nie, eine verletzende Bemerkung über seine Zeit zu machen, ohne dieser Generation mit gleicher Münze heimzuzahlen.

»Zu meiner Zeit,« sagte er zu seiner Nichte gewendet, »erwartete man von den Leuten, daß sie zu einer Gesellschaft, wie diese, einige liebenswürdige Eigenschaften mitbringen würden, in neuerer Zeit habt Ihr aber solche Anforderungen aufgegeben; das ist,« bemerkte der alte Herr, indem er einen der Croquethämmer vom Tische nahm, »eines der Erfordernisse des Erfolgs in der modernen Gesellschaft und hier,« fügte er hinzu, indem er einen Ball in die Hand nahm, »ist ein anderes; man lernt so lange man lebt, ich spiele mit.«

Lady Lundie, die gegen jede ironische Bemerkung gefeit war, lächelte anmuthig und sagte: »Ich wußte, daß Sir Patrick mir zu Gefallen mitspielen würde.«

Sir Patrick verneigte sich verbindlich.

»Lady Lundie,« antwortete er, »meine Gedanken sind für Sie kein Geheimniß und liegen offen vor Ihnen.«

Zum Erstaunen aller noch nicht vierzigjährigen Gäste gab er diesen Worten einen besonderen Nachdruck. Indem er die Hand aufs Herz legte und einen Vers citirte, sagte er: »Ich darf mit Dryden ausrufen: »Alt wie ich bin, für Frauenlieb’ nicht mehr gemacht, Fühl’ ich doch immer noch der Schönheit Macht.«

Lady Lundie war durch diese Galanterie ersichtlich beleidigt.

Mr. Delamayn ging noch einen Schritt weiter, mit der Miene eines Mannes, der sich gebieterisch berufen fühlt, eine Pflicht zu erfüllen, nahm er das Wort und sagte: »Das hat Dryden nicht gesagt, darauf lasse ich meinen Kopf.«

Mit Hilfe seines elfenbeinernen Spazierstockes drehte sich Sir Patrick rasch um und sah Mr. Delamayn scharf in’s Gesicht.

»Wollen Sie Dryden besser kennen als ich?« sagte er.

Der »ehrenwerthe« Geoffrey antwortete bescheiden: »Ich glaube wohl, denn ich habe drei Mal mit ihm um die Wette gerudert und wir haben uns zusammen auf’s Rudern eingeübt.«

Sir Patrick sah mit einem bitter triumphirenden Lächeln umher.

»Dann erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie mit einem Manne um die Wette gerudert haben, der vor ungefähr zweihundert Jahren gestorben ist.«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
930 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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