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Читать книгу: «Der Mondstein», страница 36

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Er kehrte auf der Stelle um und ich ich ging ihm eine längere Strecke entgegen. »Herr Jennings,« sagte ich, »ich bin nicht ganz offen gegen Sie zu Werke gegangen. Das Interesse, welches ich habe, die Spur der verlorenen Erinnerung des Herrn Candy zu verfolgen, ist nicht das Interesse an der Wiederauffindung des Mondsteins, sondern meinem Besuch in Yorkshire liegt ein sehr ernstes persönliches Motiv zu Grunde. Ich habe nur eine Entschuldigung dafür, daß ich in dieser Angelegenheit nicht offener gegen Sie gewesen bin. Es ist mir peinlicher, als ich es sagen kann, mich gegen irgend Jemanden über meine wirkliche Situation rückhaltlos auszusprechen.«

Ezra Jennings sah mich mit einem Ausdruck anscheinender Verlegenheit an, den ich bisher noch nicht an ihm beobachtet hatte.

»Herr Blake,« sagte er, »ich habe weder das Recht, noch den Wunsch, mich in Ihre Privat-Angelegenheiten zu mischen. Erlauben Sie, daß ich Sie meinerseits um Verzeihung bitte, wenn ich Sie höchst unabsichtlich veranlaßt habe, ein Ihnen peinliches Geständniß zu machen.«

»Sie haben das vollste Recht,« erwiderte ich, »die Bedingungen zu bestimmen, unter welchen allein Sie sich für berechtigt halten, mir mitzutheilen, was Sie an Herrn Candy’s Krankenlager gehört haben. Ich begreife und achte das Zartgefühl, welches Sie in dieser Angelegenheit leitet. Welchen Anspruch auf Ihr Vertrauen kann ich geltend machen, wenn ich Ihnen nicht zuvor das meinige schenke? Sie müssen und sollen wissen, welches Interesse ich daran habe, zu erfahren, was mir Herr Candy sagen wollte. Wenn es sich ergeben sollte, daß ich von einer irrigen Voraussetzung ausgehe und daß Sie, nachdem Sie mein wirkliches Interesse an der Sache kennen gelernt haben werden, mir doch nicht helfen können, so werde ich in Ihrer Ehre eine Gewähr für die Bewahrung meines Geheimnisses finden und mich, wie mir eine innere Stimme sagt, in meinem Vertrauen nicht getäuscht finden.«

»Halt, Herr Blake, Bevor Sie fortfahren, muß ich Ihnen ein Wort sagen.«

Ich sah ihn erstaunt an. Eine furchtbare Aufregung schien sich seiner bemächtigt zu haben und ihn auf’s Tiefste zu erschüttern. Seine zigeunerhafte Hautfarbe hatte sich in ein fahles blasses Grau verwandelt, seine Augen erglänzten plötzlich von wilder Gluth, seine Stimme hatte einen leisen, finsteren, entschlossenen Ton angenommen, den ich noch nicht bei ihm gehört hatte. Die in der Seele dieses Mannes schlummernden Kräfte – ob guter oder böser Natur war in diesem Augenblick schwer zu sagen leuchteten mir auf einmal mit der Plötzlichkeit eines Blitzstrahls entgegen.

»Bevor Sie mir Ihr Vertrauen schenken,« fuhr er fort, »müssen und sollen Sie erfahren, unter welchen Umständen ich in dem Hause des Herrn Candy Aufnahme gefunden habe. Es bedarf dazu nicht vieler Worte. Meine Geschichte wird Niemand von mir erfahren, Herr Blake, meine Geschichte wird mit mir begraben werden. Alles, was ich mir von Ihnen erbitte, ist die Erlaubniß, Ihnen zu erzählen, was ich Herrn Candy erzählt habe. Wenn Sie, nachdem Sie das gehört haben werden, bei Ihrem Entschluß beharren, mir Ihre beabsichtigte Mittheilung zu machen, so werde ich Ihnen meine ganze Aufmerksamkeit und meine Dienste zur Verfügung stellen. Sollen wir weiter gehen?«

Der Ausdruck eines gewaltsam niedergehaltenen Jammers in seinem Gesicht machte mich stumm. Ich bejahte seine Frage durch ein Zeichen und wir gingen weiter.

Nachdem wir einige hundert Schritte gegangen waren, blieb Ezra Jennings vor einer Oeffnung in der Felswand stehen, welche sich an dieser Stelle des Weges aus dem Haideboden erhob.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir hier ein wenig ausruhen?« fragte er. »Ich bin nicht mehr der Alte und gewisse Dinge erschüttern mich.«

Ich willigte natürlich ein. Er führte mich durch die Oeffnung zu einem Rasenfleck auf dem Haideboden, der nach der Seite der Landstraße hin durch Gebüsch und verkrüppelte Bäume geschützt war und nach der andern Seite hin eine trostlose Aussicht über die weite braune Oede der Haide gewährte. Schwere Wolken hatten sich seit einer halben Stunde am Himmel zusammengeballt. Die Beleuchtung war matt, die Aussicht getrübt. Das liebliche Antlitz der Natur blickte uns sanft und ruhig, aber farblos und ohne Lächeln an. Wir setzten uns schweigend nieder. Ezra Jennings legte seinen Hut bei Seite und fuhr sich mit der Hand matt über die Stirn und durch sein wunderlich weiß und schwarzes Haar. Er warf sein kleines Bouquet von wildwachsenden Blumen weg, als ob ihm die Erinnerungen, die dasselbe in ihm wachgerufen, jetzt peinlich seien.

»Herr Blake!« sagte er plötzlich. »Sie sind in schlechter Gesellschaft. Eine furchtbare Anklage hat Jahre lang auf mir gelastet. Ich sage Ihnen gleich das Schlimmste, ich bin ein Mann, dessen Leben ein Wrack und dessen guter Ruf verloren ist.«

Ich versuchte zu reden, aber er wehrte mir.

»Nein,« sagte er, »verzeihen Sie mir noch nicht. Lassen Sie sich nicht zu Ausdrücken der Theilnahme hinreißen, die Sie später vielleicht bereuen würden. Ich sprach von einer Anklage, die Jahre lang auf mir gelastet hat Gewisse Umstände sprechen bei dieser Anklage sehr entschieden gegen mich. Ich kann mich nicht entschließen, Ihnen den Gegenstand derselben mitzutheilen, da ich völlig außer Stande bin, meine Unschuld zu erweisen, ich kann dieselbe vielmehr nur betheuern und ich betheuere sie, Herr Franklin, auf meinen Eid als Christ, – mich auf meine Ehre als Mann zu berufen, steht mir nicht zu.«

Er hielt wieder inne. Ich sah ihn an, während er unausgesetzt seine Blicke von mir abwandte. Sein ganzes Wesen schien in dem Schmerz der Erinnerung und in das peinliche Ringen nach Worten auszugehen.

»Ich könnte,« begann er wieder, »viel über die mir von meiner eigenen Familie widerfahrene erbarmungslose Behandlung und die erbarmungslose Feindschaft, der ich zum Opfer gefallen bin, sagen. Aber das Uebel ist einmal geschehen, das Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden, und ich will Sie nicht unnöthiger Weise langweilen oder betrüben. Gleich beim Betreten meiner Laufbahn in diesem Lande trat mir die niedrige Verleumdung, von der ich gesprochen habe, sofort vernichtend entgegen. Ich verzichtete darauf, es in meinem Beruf zu etwas zu bringen, dunkle Zurückgezogenheit war das Einzige, was mir zu wählen übrig blieb. Ich trennte mich von dem Weibe, das ich liebte, wie konnte ich sie dazu verdammen, meine Schande zu theilen. In einem Winkel Englands bot sich mir die Stelle eines ärztlichen Assistenten, ich nahm sie an. Ich hoffte in derselben Ruhe und Verborgenheit zu finden, ich täuschte mich. Böse Nachrede weiß langsam und sicher überall hin ihren Weg zu finden. Die Anklage, vor der ich geflohen war, verfolgte mich. Ich wurde vor ihrem Herannahen gewarnt. Ich konnte noch rechtzeitig meine Stelle mit guten Zeugnissen über mein Verhalten freiwillig verlassen. Dieselben verschafften mir eine andere Stelle in einer andern noch entfernteren Gegend. Wieder verging die Zeit und wieder wußte mich die Verleumdung, die meinem Rufe so verderblich war, zu finden; dieses Mal traf sie mich unvorbereitet. Mein Principal erklärte mir eines Tages: Herr Jennings, ich habe Ihnen nichts vorzuwerfen, aber Sie müssen sich rechtfertigen oder mich verlassen. Ich hatte keine andere Wahl als meine Stelle aufzugeben. Ich will nicht bei dem verweilen, was ich damals litt. Ich bin erst vierzig Jahr alt! und sehen Sie mein Gesicht an, Sie werden in demselben die Geschichte jammervoller Jahre lesen. Endlich kam ich hierher und lernte Herrn Candy kennen. Er brauchte gerade einen Assistenten. In Betreff meiner Fähigkeit verwies ich ihn an meinen letzten Principal, blieb noch die nöthige Auskunft über meinen Charakter übrig. Ich theilte ihm das, was ich Ihnen erzählt habe, und noch mehr mit. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß selbst wenn er meinem Bericht Glauben schenke, Unannehmlichkeiten nicht ausbleiben würden. Hier wie überall sagte ich ihm, verschmähe ich die schuldbewußte Ausflucht, einen fremden Namen anzunehmen. Ich bin in Frizinghall nicht sicherer vor der Wolke, die mich aus allen meinen Wegen verfolgt als anderswo.« Er antwortete mir: »Ich Pflege nichts halb zu thun, ich glaube Ihnen und ich beklage Sie; wenn Sie die möglichen Gefahren Ihrer Lage nicht scheuen, so will auch ich mich denselben aussetzen. Der Allmächtige lohne es ihm. Er hat mir Obdach, Beschäftigung, Gemüthsruhe wieder gegeben und seit einigen Monaten habe ich die feste Ueberzeugung gewonnen, daß er keine Ursache mehr haben wird es zu bereuen.«

»Hat die Verleumdung nachgelassen?« fragte ich.

»Die Verleumdung ist so thätig wie immer, aber bis sie mich hier erreicht, wird es zu spät sein.«

»Wollen Sie von hier fort?«

»Nein, Herr Blake, ich werde todt sein. Seit zehn Jahren leide ich an einem unheilbaren inneren Uebel. Ich mache kein Hehl vor Ihnen daraus, daß ich mich schon lange an diesem Uebel würde haben sterben lassen, wenn mich nicht noch ein einziges Interesse, das mir das Leben noch von Werth erscheinen läßt, an das Dasein fesselte. Ich muß noch für ein mir theures Wesen sorgen, das ich niemals wiedersehen werde. Mein eigenes kleines Vermögen dürfte kaum hinreichen, je unabhängig von der Welt zu machen. Die Hoffnung, dieses Vermögen durch längeres Leben zu vermehren, ist der Antrieb für mich gewesen, mein Leiden mit allen mir zu Gebote stehenden Palliativen zu bekämpfen. Das einzige wirksame Palliativ in meinem Fall ist – Opium. Dieser allmächtigen und allbarmherzigen Arznei verdanke ich eine jahrelange Frist bis zur Ausführung des über mich verhängten Todes-Urtheils. Aber selbst die Wirkung des Opiums hat ihre Grenzen. Der Fortschritt des Leidens hat mich allmälig genöthigt, den Gebrauch des Opiums in einen Mißbrauch desselben zu verwandeln. Ich fange an die Folgen zu verspüren. Mein Nervensystem ist erschüttert; ich verlebe schreckliche Nächte. Das Ende kann nicht mehr fern sein. Mag es kommen. ich habe nicht umsonst gelebt und gearbeitet. Ich habe die mir nöthige kleine Summe fast beisammen und ich würde sie zu vervollständigen wissen, wenn meine letzten Lebenskräfte mir früher versagen sollten, als ich es erwarte. Ich weiß kaum wie ich dazu gekommen bin, Ihnen alles Das mitzuteilen; ich glaube nicht, daß mich das niedrige Motiv, Ihr Mitleid zu erregen, dabei geleitet hat. Vielleicht war es unbewußt der Wunsch, Sie bereiter zu finden, mir Glauben zu schenken, wenn Sie wüßten, daß ich zu Ihnen als ein Sterbender rede. Ich mache kein Hehl daraus, Herr Blake, daß ich mich für Sie interessire. Ich habe es versucht, die Gedächtnißschwäche meines armen Freundes zu einer Annäherung an Sie zu benutzen. Ich habe darauf speculirt, daß Sie ein vorübergehendes Interesse an Dem, was er Ihnen zu sagen wünschte, und an meiner Fähigkeit, Ihnen darüber Auskunft zu ertheilen, nehmen würden. Vielleicht läßt es sich entschuldigen, daß ich mich Ihnen aufgedrängt habe. Ein Mann der erlebt hat, was ich erlebt habe, hat bitttere Momente, in denen er über das menschliche Schicksal brütet. Sie haben Jugend, Gesundheit, Reichthum, eine Stellung, – die ganze Welt steht Ihnen offen. Sie und Ihresgleichen zeigen mir die sonnige Seite des Lebens und versöhnen mich mit der Welt, die ich verlassen im Begriff stehe. Wozu auch diese unsere Unterhaltung führen mag, ich werde nie vergessen, daß Sie mir durch Ihre Gegenwart wohlgethan haben. Es steht jetzt bei Ihnen, Herr Blake, auszusprechen, was Sie mir zu sagen beabsichtigen oder von dannen zu gehen.«

Ich hatte nur eine Antwort auf diese Worte» Ohne mich einen Augenblick zu bedenken, erzählte ich ihm die Wahrheit so rückhaltlos, wie ich sie in diesen Blättern verzeichnet habe.

Er sprang auf und sah mich mit athemloser Spannung an, als ich mich der Erzählung des entscheidenden Vorgangs meiner Geschichte näherte.

»Es ist unzweifelhaft, daß ich das Zimmer betrat,« sagte ich, »es ist unzweifelhaft, daß ich den Diamanten fortnahm. Ich kann diesen beiden unbestreitbaren Thatsachen nichts entgegensetzen, als die Versicherung, daß ich, was ich auch gethan haben mag, ohne Bewußtsein gethan habe. Sie werden glauben, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«

Ezra Jennings ergriff in großer Aufregung meinen Arm.

»Halt!« sagte er. »Sie haben mir mehr gesagt, als Sie selbst vermuthen. Haben Sie je die Gewohnheit gehabt, Opium zu nehmen?«

»In meinem ganzen Leben habe ich es nicht gekostet.«

»Waren Ihre Nerven im vorigen Jahr angegriffen? Waren Sie ungewöhnlich unruhig und reizbar?«

»Ja.«

»Schliefen Sie schlecht?«

»Seht schlecht. Viele Nächte verbrachte ich wachend.«

»War es in der auf den Geburtstag folgenden Nacht anders? Suchen Sie doch sich zu erinnern. Schliefen Sie in jener Nacht ausnahmsweise gut?«

»Ich kann mich sehr wohl erinnern, – ich erfreute mich in jener Nacht eines sehr festen Schlafe.«

Er ließ meinen Arm eben so plötzlich wieder los, wie er ihn ergriffen hatte, und sah mich an wie Jemand, der sich von einem letzten auf seinem Gemüth lastenden Zweifel befreit sieht.

»Dies ist ein merkwürdiger Tag in Ihrem wie in meinem Leben,« sagte er feierlich; »ich bin jetzt Einer Sache völlig gewiß, Herr Blake. Meine Aufzeichnungen enthalten, was Herr Candy Ihnen diesen Morgen sagen wollte. Warten Sie! das ist noch nicht Alles. Ich bin fest überzeugt, daß ich beweisen kann, daß Sie kein Bewußtsein von dem hatten, was Sie thaten, als Sie das Zimmer betraten und den Diamanten fortnahmen. Lassen Sie mir Zeit, nachzudenken und Sie zu befragen. Ich glaube den Beweis Ihrer Unschuld in meinen Händen zu haben.«

»«Erklären Sie sich näher! Um Gotteswillen, was wollen Sie damit sagen?«

In der Aufregung unseres Gesprächs hatten wir einige Schritte vorwärts über das Gestrüpp hinaus gethan, welche uns bis jetzt den Augen Vorübergehender entzogen hatte.

Noch ehe Ezra Jennings mir antworten konnte, wurde er von der Landstraße her von einem Manne angerufen, der ersichtlich in großer Aufregung war und offenbar nach ihm ausgeschaut hatte.

»Ich komme schon,« rief er zurück, »ich komme, so rasch ich kann!«

Er wandte sich wieder zu mir.

»In dem Dorfe da drüben wartet ein Schwerkranker auf mich; ich hätte schon vor einer halben Stunde dort sein sollen, ich muß jetzt sofort hingeben. », Lassen Sie mir zwei Stunden Zeit und kommen Sie dann wieder nach Herrn Candy’s Hause, und ich verspreche Ihnen, für Sie bereit zu sein.«

»Wie soll ich es ertragen, so lange zu warten!« rief ich ungeduldig aus. Können Sie mein Gemüth nicht durch Wort der Erklärung beruhigen, bevor wir uns trennen?«

»Unsere Angelegenheit ist viel zu ernst, als daß sie eine eilige Erklärung irgend zuließe, Herr Blake. Ich stelle wahrlich Ihre Geduld nicht muthwillig aus die Probe, aber ich würde Ihre Ungewißheit nur vermehren, wenn ich es versuchen wollte, dieselbe durch ein eiliges Wort zu heben. Also aus Wiedersehen in zwei Stunden in Frizinghall!«

Der Mann auf der Landstraße rief wieder nach ihm, er eilte fort und ließ mich allein.

Zehntes Capitel

Wie die mehrstündige Ungewißheit, zu welcher ich mich jetzt verurtheilt sah, auf andere Menschen in meiner Lage gewirkt haben würde, vermag ich nicht zu sagen. Die Wirkung dieser Prüfung auf mein Temperament war folgende: Ich fühlte mich physisch unfähig an irgend einer Stelle auszuharren, und moralisch unfähig mit irgend einem menschlichen Wesen zu reden, bis ich Alles gehört haben würde, was Ezra Jennings mir zu sagen hatte.

In dieser Gemüthsfassung gab ich nicht nur meinen beabsichtigten Besuch bei meiner Tante Ablewhite auf, sondern suchte sogar einer Begegnung mit Gabriel Betteredge aus dem Wege zu gehen.

Ich kehrte nach meinem Hotel in Frizinghall zurück und verließ dasselbe wieder unter Zurücklassung eines Billets an Betteredge, in welchem ich ihm sagte, ich sei unerwarteter Weise auf einige Stunden abgerufen worden, er könne mich aber gegen drei Uhr Nachmittags mit Sicherheit zurück erwarten. Ich bat ihn, inzwischen zu seiner gewohnten Stunde im Hotel zu speisen und sich so gut er könne die Zeit zu vertreiben. Er hatte, wie ich wußte. eine Menge Freunde in Frizinghall und konnte um die Ausfüllung seiner Zeit bis zu meiner Rückkehr nicht verlegen sein.

Dann ging ich wieder zur Stadt hinaus und durchstreifte das einsame Haideland, welches Frizinghall umgiebt, bis meine Uhr mich belehrte, daß endlich die Zeit meiner verabredeten Rückkehr nach Herrn Candy’s Hause gekommen sei.

Ich fand Ezra Jennings bereit und meiner wartend. Er saß allein in einem dürftig möblirten kleinen Zimmer, welches durch eine Glasthür mit dem Laboratorium in Verbindung stand. Widerliche Abbildungen von den Verwüstungen widerlicher Krankheiten bedeckten die häßlich braun bemalten Wände; ein mit verräucherten medicinischen Werken gefüllter Bücherschrank, auf dem statt der gebräuchlichen Büste ein Todtenkopf stand; ein großer hölzerner, von Tintenflecken starrender Tisch; hölzerne Stühle, wie man sie sonst nur in Küchen und Bauerhütten findet; ein fadenscheiniges Stück groben Teppichs, das nur die Mitte des Fußbodens bedeckte, und ein roh in die Wand eingelassener Handguß mit Becken und Ablauf, der die widerlichsten Vorstellungen an seinen Gebrauch bei chirurgischen Operationen erweckte, machten das ganze Mobiliar des Zimmers aus. Die Bienen summten um ein Paar vor dem Fenster stehende Blumentöpfe herum; die Vögel sangen im Garten und von Zeit zu Zeit vernahm man das schwache Geklimper aus einem abgenutzten Clavier in einem Nachbarhause. An jedem andern Orte würden diese alltäglichen Klänge vielleicht gut zu der alltäglichen Außenwelt gestimmt haben. Hier erklangen sie wie Eindringlinge in eine Stille, die zu unterbrechen nur menschliche Leiden das Recht zu haben schienen. Mein Blick fiel auf den Mahagoni-Kasten mit chirurgischen Instrumenten und die große Rolle Charpie, die ihren eignen Platz auf den Bücherbrettern hatten, und ich schauderte innerlich bei dem Gedanken an die Laute, die in Ezra Jennings’ Zimmer die gewohnten und alltäglichen waren.

»Ich entschuldige mich nicht wegen des Orts, an dem ich Sie empfange, Herr Blake,« sagte er; »es ist das einzige Zimmer des Hauses, in welchem wir zu dieser Tageszeit sicher sein können, ungestört zu bleiben. Hier habe ich meine Aufzeichnungen für Sie bereit und hier sind zwei Bücher, in welchen wir vielleicht nachzuschlagen Veranlassung haben werden, bevor wir mit unserm Geschäft zu Ende sind. Rücken Sie Ihren Stuhl an den Tisch und wir werden mit einander arbeiten können.«

Ich setzte mich an den Tisch und Ezra Jennings überreichte mir seine Aufzeichnungen. Sie bestanden aus zwei großen Foliobogen. Der eine derselben war nur an einzelnen Stellen, der andere aber mit rother und schwarzer Tinte von oben bis unten dicht beschrieben. In meinem durch die gespannteste Neugierde aufgeregten Zustand legte ich das zweite Blatt verzweifelt wieder aus der Hand.

»Haben Sie Erbarmen mit mir!« sagte ich. »Sagen Sie mir, was ich zu erwarten habe, bevor ich es es versuche, dies zu lesen.«

»Gern, Herr Blake! Aber darf ich noch ein Paar Fragen an Sie richten?«

»Fragen Sie, was Sie wollen!«

Er sah mich mit einem trüben Lächeln auf den Lippen und dem Ausdruck einer freundlichen Theilnahme in seinen sanften braunen Augen an.

»Sie haben mir bereits gesagt,« fing er an, »daß Sie, Ihres Wissens, noch nie in Ihrem Leben Opium gekostet haben.«

»Meines Wissens?« wiederholte ich.

»Sie werden sogleich verstehen, warum ich mich dieses Vorbehalts bediene. Lassen Sie uns weiter gehen. Sie wissen nicht, daß Sie jemals Opium genommen haben. Im vorigen Jahr um diese Zeit litten Sie an nervöser Aufregung und hatten sehr schlechte Nächte. Die Nacht nach dem Geburtstage bildete aber eine Ausnahme von der Regel – Sie schliefen gut. Verhält sich das so?«

»Vollkommen!«

»Sind Sie sich irgend einer Ursache Ihrer nervösen Leiden und Ihrer Schlaflosigkeit bewußt?«

»Ich bin mir keiner solchen Ursache bewußt. Ich erinnere mich nur, daß der alte Betteredge eine Ursache gefunden zu haben glaubte, doch die verdient wohl kaum eine Erwähnung.«

»Um Vergebung. Alles verdient Erwähnung in einem Fall wie dieser. Worin glaubte Betteredge die Ursache Ihrer Schlaflosigkeit gefunden zu haben?«

»Darin, daß ich das Rauchen ausgegeben hatte.«

»Waren Sie gewohnt gewesen, regelmäßig zu rauchen?«

»Ja.«

»Gaben Sie die Gewohnheit plötzlich auf?«

»So hatte Betteredge vollkommen Recht, Herr Blake. Wer zu rauchen gewöhnt ist, muß eine ungewöhnlich starke Constitution haben, wenn er es plötzlich aufgeben kann, ohne davon zeitweilig unangenehme Folgen für sein Nervensystem zu verspüren. Ihre schlaflosen Nächte sind also für mich erklärt. Meine nächste Frage betrifft Herrn Candy. Erinnern Sie sich, an dem Geburtstag oder später mit ihm eine Art von Disput über seinen Beruf gehabt zu haben?«

Die Frage erweckte in mir auf der Stelle eine meiner schlummernden Erinnerungen an das Geburtstagsfest. Man wird die Schilderung meiner kindischen Zänkerei mit Herrn Candy bei jenem Diner viel ausführlicher, als sie es verdient, im zehnten Capitel von Betteredge’s Erzählung finden. Die Einzelheiten des Disputs wie sie dort berichtet sind, waren mir gänzlich entfallen, – so wenig hatte ich später wieder daran gedacht. Alles, dessen ich mich jetzt erinnern, und Alles, was ich Ezra Jennings mittheilen konnte, war, daß ich die ärztliche Kunst bei Tische so hartnäckig und so heftig angegriffen habe, daß selbst Herr Candy für den Augenblick darüber seinen Gleichmuth verloren habe. Ich erinnerte mich auch, daß Lady Verinder sich in’s Mittel gelegt hatte, um dem Streit ein Ende zu machen, und daß der Doktor und ich »uns wieder gut wurden«, wie die Kinder sagen, und so gute Freunde waren, wie je zuvor, als wir uns zum Abschied die Hände gaben.

»Noch Eines« sagte Ezra Jennings, »wäre für mich sehr wichtig zu wissen. Hatten Sie irgend einen Grund, im vorigen Jahr um diese Zeit wegen des Diamanten besonders besorgt zu sein?«

»Ich hatte dazu die aller stärksten Gründe; ich wußte, daß der Diamant der Gegenstand einer Verschwörung sei, und ich war gewarnt, Maßregeln zum Schutz von Fräulein Verinder, als der Besitzerin des Edelsteins, zu treffen.«

»War die Sicherheit des Diamanten der Gegenstand der Unterhaltung zwischen Ihnen und Jemand Anderem, unmittelbar bevor Sie sich am Abend des Geburtstages zur Ruhe begaben?«

»Das war der Gegenstand einer Unterhaltung zwischen Lady Verinder und ihrer Tochter —«

»Die in Ihrer Gegenwart stattfand?«

»Ja«

Ezra Jennings nahm seine Aufzeichnungen vom Tische auf und überreichte sie mir.

»Herr Blake,« sagte er, »wenn Sie diese Auszeichnungen jetzt in dem Lichte lesen, welches meine Fragen und Ihre Antworten aus dieselben geworfen haben, so werden Sie zwei merkwürdige Entdeckungen in Betreff Ihrer selbst machen. Sie werden finden: – Erstens, daß Sie, als Sie Fräulein Verinders Wohnziminer betraten und den Diamanten fortnahmen, sich in einem durch Opium hervorgerufenen Zustand der Extase befanden; zweitens, daß Ihnen das Opium ohne Ihr Wissen von Herrn Candy als eine praktische Widerlegung der Ansichten, welche Sie bei dem Geburtstagsdiner gegen ihn geäußert hatten, verabreicht worden war.«

Ich saß, die Papiere noch in der Hand, ganz versteinert da.

»Versuchen Sie es, dem armen Herrn Candy zu vergeben,« sagte der Assistent »Er hat schreckliches Unheil angerichtet, das muß ich zugeben, aber er hat es ohne böse Absicht gethan. Wenn Sie die Auszeichnungen ansehen wollen, werden Sie finden, daß er, wenn ihn seine Krankheit nicht daran verhindert hätte, am Morgen nach der Gesellschaft wieder zu Lady Verinder gekommen sein und sich zudem Streich bekannt haben würde, den er Ihnen gespielt hatte. Fräulein Verinder würde davon gehört und ihn näher befragt haben, und die Wahrheit, welche ein Jahr lang verborgen geblieben ist, würde in einem Tage entdeckt worden sein.«

Ich fing an, meine Fassung wieder zu gewinnen.

»Herr Candy ist für meine Rache unerreichbar,« sagte ich zornig, »aber der Streich, den er mir gespielt hat, bleibt darum doch ein Act der Verrätherei. Ich kann ihm vergeben, aber ich werde es nie vergessen.«

»Jeder Arzt begeht solche Acte der Verrätherei in seiner Praxis, Herr Blake. Das aus Unwissenheit hervorgehende Mißtrauen gegen Opium beschränkt sich in England keineswegs auf die unteren und ungebildeten Klassen. Jeder vielbeschäftigte Arzt sieht sich dann und wann genöthigt, seine Patienten zu betrügen, wie Herr Candy Sie betrogen hat. Ich will den thörichten Einfall, Ihnen unter den damaligen Umständen einen solchen Streich zu spielen, gewiß nicht vertheidigen. Ich möchte Sie nur zu einer genaueren und milderen Beurtheilung der Motive veranlassen.«

»Wie geschah es?« fragte ich, »wer gab mir das Opium ein, ohne daß ich etwas davon wußte?«

»Das vermag ich Ihnen nicht zu sagen. Während der ganzen Krankheit des Herrn Candy ist ihm kein Wort in Betreff dieses Umstandes entfahren. Vielleicht kann Ihnen Ihr eigenes Gedächtniß auf die Spur der fraglichen Person helfen.«

»Nein«

»In dem Fall ist es unnütz, weiter nachzuforschen. Irgendwie wurde Ihnen das Opium im Geheimen beigebracht. Lassen Sie uns für’s Erste uns dabei beruhigen und zu Dingen von größerer unmittelbarer Wichtigkeit übergehen. Lesen Sie meine Aufzeichnungen, wenn Sie können. Machen Sie sich mit dem Geschehenen vertraut; ich habe Ihnen in Betreff des zu Geschehenden einen sehr kühnen und verwegenen Vorschlag zu machen.«

Diese letzten Worte brachten mich wieder völlig zur Besinnung.

Ich sah die Aufzeichnungen eine nach der andern, wie sie mir Ezra Jennings in die Hand gegeben hatte, durch. Das Blatt, welches die abgebrochenen Sätze und Worte enthielt, lag oben auf. Dieselben lauteten wie folgt:

– Herr Franklin Blake – und angenehmer – Eins darauf – Medicin – bekennt – Schlaflosigkeit – sage ihm – Unordnung – Medicin – Er sagt – Dunkeln tappen dasselbe – ganzen Mittagsgesellschaft – Ich sagte – tappen nach Schlaf – nichts als, Medicin – Er sagt – einen Blinden führt – weiß ich, was damit gemeint ist – witzig – gegen seinen eigenen Willen – ruhige Nacht – braucht wirklich Schlaf – Lady Verinder’s Medicinkasten – ohne sein Wissen – fünfundzwanzig Tropfen Opium – morgen früh – Nun, Herr Blake – heute – Medicin – Ohne das – keinen – Herr Candy – ohne Medicin – vortreffliche – Wahrheit sagen – etwas anderes – vortrefflichen – Dosis Opium – lieber Herr – Bett – Was – jetzt – ärztlichen Kunst.

Das war der ganze Inhalt des ersten Bogens. Ich gab denselben Ezra Jennings zurück.

»Das ist es, was Sie an seinem Krankenlager gehört?« sagte ich.

»Buchstäblich sind genau« antwortete er, »nur daß ich die Wiederholungen, wie sie sich in meinen stenographischen Aufzeichnungen finden, nicht mit übertragen habe. Gewisse Worte und Sätze wiederholte er wohl zehn, zwanzig, fünfzig Mal, je nachdem er auf die Ideen, die ihm dabei vorschwebten, größeres oder geringeres Gewicht legte. So aufgefaßt, waren mir die Wiederholungen bei der Zusammensetzung der Bruchstücke von Nutzen. Denken Sie nicht,« fügte er hinzu, indem er auf das zweite Blatt Papier hinwies, »daß ich mir einbilde, die Ausdrücke wieder gegeben zu haben, deren Herr Candy sich selbst bedient haben würde, wenn er im Stande gewesen wäre, zusammenhängend zu reden. Ich behaupte nur, daß es mir gelungen ist, das Hinderniß der unzusammenhängenden Ausdrucksweise zu überwinden und zu dem zusammenhängenden Sinn der derselben zu Grunde lag, vorzudringen. Urtheilen Sie selbst.«

Ich nahm das zweite Blatt Papier in die Hand, von dem ich jetzt wußte, daß es den Schlüssel zu dem ersten enthalte.

Abermals waren hier die irren Reden des Herrn Candy mit schwarzer Tinte wortgetreu wiedergegeben, während die Zwischenräume zwischen den abgebrochenen Sätzen von Ezra Jennings mit rother Tinte ausgefüllt waren. Ich gebe das Resultat hier in einer Gestalt wieder, da ja die ursprünglichen Ausdrücke und die zu ihrer Erklärung hinzugefügten Worte in diesen Blättern nahe genug bei einander stehen um leicht verglichen und verificirt werden zu können.

» – Herr Franklin Blake ist ein gescheidter und angenehmer Mann, aber er muß Eins darauf haben, wenn er von Medicin spricht. Er bekennt, daß er an Schlaflosigkeit gelitten hat. Ich sage ihm, daß seine Nerven in Unordnung sind und daß er Medicin nehmen müßte. Er sagt mir, daß Medicin nehmen und im Dunkeln tappen dasselbe sei, und das vor der ganzen Mittagsgesellschaft. Ich sagte ihm, Sie tappen nach Schlaf und nichts als Medicin kann Ihnen dazu verhelfen, denselben zu finden. Er sagt mir, ich habe sagen gehört, daß ein Blinder einen Blinden führt und jetzt weiß ich, was damit gemeint ist. Das ist ganz witzig, aber ich kann ihm doch gegen seinen eigenen Willen eine ruhige Nacht verschaffen; er braucht wirklich Schlaf und Lady Verinder’s Medicinkasten steht zu meiner Verfügung. Ihm ohne sein Wissen heute Abend fünfundzwanzig Tropfen Opium eingeben und ihn dann morgen früh besuchen. »Nun, Herr Blake, haben Sie nicht heute Lust, etwas Medicin zu nehmen? Ohne das finden Sie doch keinen Schlaf.« – »Da irren Sie sich, Herr Candy, ich habe ohne Medicin eine vortreffliche Nacht gehabt« – Dann ihm die Wahrheit sagen. – »Sie haben noch etwas anderes außer einer vortrefflichen Nacht gehabt; Sie haben eine Dosis Opium zu sich genommen, lieber Herr, ehe Sie zu Bett gegangen sind. Was sagen Sie jetzt zu der ärztlichen Kunst?«

Meine erste Empfindung, als ich Ezra Jennings die durchgelesenen Blätter wieder überreichte, war natürlich Bewunderung des Scharfsinns, welcher dieses glatte und seine Gewebe aus einem so verwickelten Knäuel von Fäden hergestellt hatte. Bescheiden unterbrach er den anerkennenden Ausdruck meiner Ueberraschung mit der Frage, ob mir die Schlüsse die er aus seinen Aufzeichnungen gezogen habe, gerechtfertigt erschienen.

»Glauben Sie mit mir,« fragte er, »daß Sie Alles, was Sie in der Geburtstags-Nacht in Fräulein Verinders Hause vernahmen, unter dem Einflusse des Opiums thaten?«

»Ich weiß zu wenig von den Wirkungen des Opiums, um darüber ein eigenes Urtheil abgeben zu können,« antwortete ich. »Ich kann mich nur Ihrer Ansicht anschließen und mich überzeugt fühlen, daß Sie Recht haben.«

»Nun wohl. Jetzt aber fragt es sich: Wie sollen wir andern Leuten unsere Ueberzeugung beibringen?«

Ich deutete auf die beiden Bogen Papier, die vor uns auf dem Tische lagen. Ezra Jennings schüttelte den Kopf.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
780 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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