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Читать книгу: «Der Mondstein», страница 35

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»Es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen haben,« sagte ich. »Das letzte Mal war bei dem letzten Geburtstagsdiner, das meiner armen Tante zu geben beschieden sein sollte.«

»Richtig« rief Herr Candy aus, »das Geburtstagsdiner!«

Er sprang unwillkürlich auf und sah mich an. Ein tiefes Roth überflog plötzlich sein blasses Gesicht und er setzte sich rasch wieder nieder, als ob er sich bewußt war, eine Schwäche verrathen zu haben, die er gern verbergen wollte. »Es war klar, zum Erbarmen klar, daß er seine eigene Gedächtnißschwäche wohl kannte und daß er sich bemühte, diesen Mangel der Beobachtung seiner Freunde zu entziehen.

Bisher hatte er nur mein Mitleid rege gemacht. Aber die wenigen Worte, die er eben ausgesprochen, reizten meine Neugierde auf’s Höchste. Das Geburtstagsdiner war bereits für mich das einzige Ereigniß der Vergangenheit geworden, aus welches ich mit einer eigenthümlichen Mischung von Hoffnung und Mißtrauen zurückblickte. Und jetzt gab sich dieses Diner unzweideutiger Weise als den Gegenstand kund. in Betreff dessen Herr Candy mir etwas Wichtiges zu sagen hatte!«

Ich versuchte es, seinem Gedächtniß noch einmal aufzuhelfen. Aber dieses Mal war meine mitleidige Theilnahme der Ausfluß meines eigenen Interesses, das mich für den Zweck, den ich im Auge hatte, etwas zu rasch vorgehen ließ.

»Es ist fast ein Jahr her,« sagte ich,« »daß wir bei jenem heiteren Mittagsmahl versammelt waren. Haben Sie sich in Ihrem Tagebuch oder sonst über das, was Sie mir sagen wollten, irgend eine Notiz gemacht?«

Herr Candy verstand diese Andeutung und zeigte mir, daß er sie als eine Insulte auffasse.

»Ich bedarf keiner Notizen,« sagte er in sehr scharfem Ton. »Ich bin noch nicht so alt und kann mich, Gott sei Dank, durchaus auf mein Gedächtniß verlassen.«

Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich mich stellte, als ob ich seine Empfindlichkeit nicht sehe.

»Ich wollte, ich könnte dasselbe von meinem Gedächtnisse sagen,« antwortete ich. »Wenn ich an Dinge zurückdenke, die vor einem Jahre geschehen sind, so finde ich meine Erinnerungen selten so frisch, wie ich es möchte. So geht es mir zum Beispiel mit dem Diner bei Lady Verinder.«

Diese Anspielung heiterte Herrn Candy sofort wieder auf.

»Ja, das Diner – das Diner bei Lady Verinder!« rief er noch eifriger als vorher aus. »Ich habe Ihnen in Betreff desselben etwas zu sagen.«

Seine Augen sahen mich wieder mit dem starren, suchenden Ausdruck an, der mir so peinlich war. Er bemühte sich offenbar eifrigst, aber vergebens, die verlorene Erinnerung wieder zu finden. »Es war ein sehr heiteres Diner,« brach er plötzlich mit einer Miene aus, als ob es das sei, was er habe sagen wollen. »Ein sehr heiteres Diner, Herr Blake, nicht wahr? Das arme Männchen nickte und lächelte und schien zu glauben, daß es ihm durch eine rechtzeitige Anstrengung seines Geistes gelungen sei, das gänzliche Versagen seines Gedächtnisses zu verbergen.

Die Sache war so betrübend, daß ich trotz meines lebhaften Interesses, seine Erinnerungen wieder wach werden zu sehen, die Unterhaltung sofort auf Gegenstände von localem Interesse brachte.

Hier ging es ganz gut. Elende kleine Scandalgeschichten und Zänkereien in der Stadt, von denen einige schon Wochen alt waren, schienen ihm rasch genug wieder einzufallen. Er plauderte mit einem Rest der fließenden Geschwätzigkeit früherer Tage. Aber selbst mitten in diesem Strom seiner plappernden Beredtsamkeit gab es Momente, wo er plötzlich stockte und mich wieder mit dem starren Ausdruck des Suchens ansah, sich dann wieder zusammennahm und fortfuhr. Ich ergab mich geduldig in mein Märtyrerthum, – denn so darf man es wohl nennen, wenn ein Mann von kosmopolitischen Interessen sich dazu verurtheilt sieht, sich in schweigender Resignation die Neuigkeiten einer Landstadt erzählen zu lassen —, bis die Uhr auf dem Kamin mir zeigte, daß mein Besuch schon über eine halbe Stunde gedauert habe. Jetzt durfte ich mein Opfer als vollendet betrachten und stand auf, um mich zu verabschieden. Als ich ihm die Hand reichte, spielte Herr Candy unaufgefordert wieder auf das Geburtstagsfest an.

»Es freut mich sehr, daß wir uns wieder gesehen haben,« sagte er, »es lag mir am Herzen, es lag mir wirklich am Herzen, Herr Blake, Sie zu sprechen. Ueber das Diner bei Lady Verinder, wissen Sie! Ein heiteres Diner! Wirklich, ein sehr heiteres Diner! Nicht wahr?«

Bei der Wiederholung dieser Frage schien er jetzt nicht mehr so ganz sicher, daß es ihm gelungen sei, seine Gedächtnißschwäche vor mir zu verbergen, wie er es vorher gewesen war. Der starre Blick umwölkte sein Auge wieder, und, nachdem er anfänglich anscheinend beabsichtigt hatte, mich bis an die Hausthür zu begleiten, änderte er plötzlich seinen Sinn, klingelte nach dem Diener und blieb im Wohnzimmer zurück.

Ich ging die Treppe des Doctors in der peinlichen Ueberzeugung langsam hinunter, daß er mir wirklich etwas von für mich entscheidender Wichtigkeit zu sagen habe, und daß er unfähig sei, es auszusprechen. Die Anstrengung der Erinnerung an die Thatsache, daß er mir etwas zu sagen habe, war nur zu ersichtlich die einzige Anstrengung, deren sein geschwächtes Gedächtniß noch fähig war.

Gerade als ich am Fuß der Treppe angelangt und eben um die Ecke gebogen war, um in den äußeren Vorplatz zu treten, öffnete sich leise eine Thür zur ebenen Erde, aus der eine sanfte Stimme hinter mir hervorklang und die Worte sprach:

»Ich fürchte, mein Herr, Sie haben Herrn Candy traurig verändert gefunden?«

Ich drehte mich um und fand mich von Angesicht zu Angesicht Ezra Jennings gegenüber.

Neuntes Capitel

Des Doktors niedliches Hausmädchen stand, die offene Hausthür in der Hand, auf mich wartend da. Die Morgensonne beleuchtete das Gesicht von Herrn Candy’s Assistenten hell, als ich mich umdrehte und ihn ansah.

Es war unmöglich, Betteredge’s Behauptung zu bestreiten, daß die Erscheinung Ezra Jennings für das Auge der Menge gegen ihn sprechen mußte. Seine zigeunerhafte Hautfarbe, seine eingefallenen Wangen, seine dürren Backenknochen, seine träumerischen Augen, sein wunderbar doppelfarbiges Haar, der merkwürdige Widerspruch zwischen seinem Gesichte und seiner Gestalt, der ihn zu gleicher Zeit alt und jung aussehen machte, das Alles war dazu angethan, auf einen Fremden einen ungünstigen Eindruck hervorzubringen. Und doch! – obgleich ich mich dieses Eindrucks nicht zu Erwehren vermochte – kann ich nicht leugnen, daß Ezra Jennings ein unwiderstehliches Gefühl der Sympathie in mir erweckte. Während meine Welterfahrung mich mahnte, seine Frage bejahend zu beantworten und dann meines Weges zu gehen – hielt mich doch mein Interesse für Ezra Jennings zurück und gab ihm die Gelegenheit, vertraulich mit mir über seinen Prinzipal zu reden, auf den er augenscheinlich gewartet hatte.

»Gehen Sie desselben Weges mit mir, Herr Jennings?« sagte ich, da ich bemerkte, daß er seinen Hut in der Hand hielt, »ich will meiner Tante Ablewhite einen Besuch machen.«

Ezra Jennings erwiderte, daß er einen Patienten zu besuchen habe und daß er denselben Weg gehe.

Wir verließen das Haus zusammen. Es fiel mir auf, daß das hübsche Dienstmädchen, das ganz Lächeln und Liebenswürdigkeit war, als ich ihr beim Hinausgehen »guten Morgen« wünschte, eine kleine einfache Bestellung von Ezra Jennings, die sich auf die wahrscheinliche Zeit seiner Rückkehr bezog, mit zusammengekniffenen Lippen und mit Augen entgegennahm, die kein Hehl daraus machten, daß sie alles Andere lieber ansehen wollten, als sein Gesicht. Der arme Kerl war offenbar im Hause nicht beliebt. Außer dem Hause war er, wie ich von Betteredge wußte, überall unpopulär.

Ezra Jennings schien entschlossen, nachdem er seinerseits einmal auf Herrn Candy’s Krankheit angespielt hatte, es mir zu überlassen, den Gegenstand wieder aufzunehmen. Sein bedeutungsvolles Schweigen sagte mir: »Jetzt ist die Reihe an Ihnen!« Ich hatte meine Gründe, auf die Krankheit des Doctors zurückzukommen, und übernahm bereitwillig die Verantwortlichkeit, zuerst wieder das Wort zu ergreifen.

»Nach der Veränderung zu schließen, die ich an Herrn Candy beobachtet habe,« fing ich an, »muß seine Krankheit viel ernster gewesen sein, als ich vermuthet hatte.«

»Es ist beinahe ein Wunden« sagte Ezra Jennings, »daß er es überlebt hat.«

»Ist sein Gedächtniß nie besser, als ich es heute gefunden habe? Er hat es versucht, mit mir über etwas zu reden —«

»Das in die Zeit vor seiner Krankheit fällt?« fragte der Assistent, als er bemerkte, daß ich zauderte, den Satz zu vollenden.

»Ja.«

»Seine Erinnerungen an Ereignisse jener Zeit sind hoffnungslos geschwächt,« sagte Ezra Jennings »Man möchte fast die dürftigen Ueberreste beklagen, die dem armen Mann noch davon verblieben sind. Er erinnert sich dann und wann dunkel gewisser Pläne, gewisser Dinge, die er vor seiner Krankheit sagen oder thun wollte, – aber er ist vollkommen unfähig, sich diese Absichten oder diese Dinge wieder in’s Gedächtniß zu rufen. Er ist sich seiner Schwäche schmerzlich bewußt und wie Sie bemerkt haben werden, peinlich bemüht, dieselbe der Beachtung Anderer zu entziehen. Wenn er in einen Zustand völliger Vergessenheit des Vergangenen hätte verfallen können, so würde er glücklicher sein. Vielleicht wären wir Alle glücklicher,« fügte er mit einem trüben Lächeln hinzu, »wenn wir die Vergangenheit völlig vergessen könnten«

»Aber doch trägt jeder Mensch Erinnerungen aus seinem Leben mit sich,« erwiderte ich, »die er ungern entbehren würde.«

»Das trifft gewiß für die meisten Menschen zu, Herr Blake, aber ich fürchte, nicht für Alle. Haben Sie irgendwelchen Grund anzunehmen, daß die Erinnerung, welche Herr Candy, während Sie sich eben mit ihm unterhielten, wieder in sich wach zu rufen bemüht war, von Wichtigkeit für Sie sein würde?«

Mit diesen Worten hatte er unaufgefordert den Punkt berührt, über den ich ihn um Rath zu fragen lebhaft wünschte. Das Interesse, welches mir dieser sonderbare Mann einflößte, war für mich der erste Antrieb gewesen, ihm eine Gelegenheit zu geben mit mir zu reden. Indem ich mit dem, was ich meinerseits über seinen Prinzipal zu sagen haben möchte, zurückhielt, bis ich mich zuvor überzeugt haben würde, daß er ein Mann sei, auf dessen Delicatesse und Discretion ich mich verlassen könne, war ich schon nach dem Wenigen, was er bis jetzt gesagt hatte, sicher, daß ich mit einem Gentleman zu thun habe. Er hatte, was ich als eine zur zweiten Natur gewordene Selbstbeherrschung bezeichnen möchte, die nicht nur in England, sondern überall in der civilisirten Welt das Zeichen einer guten Erziehung ist. Was er auch bei seiner eben an mich gerichteten Frage für einen Zweck im Auge gehabt haben mochte, so trug ich doch schon jetzt kein Bedenken, ihm seine Frage rückhaltlos zu beantworten.

»Ich glaube, ich habe ein sehr dringendes Interesse,« sagte ich, »die Spur der verlorenen Erinnerung, welche Herr Candy nicht wieder aufzufrischen im Stande ist, zu verfolgen. Darf ich mir die Frage erlauben; ob Sie mir irgend ein Mittel, seinem Gedächtniß zu Hilfe zu kommen, an die Hand geben können?«

Ezra Jennings blickte mich mit einem plötzlich aufblitzenden Interesse in seinen träumerisch – braunen Augen an.

»Dem Gedächtnis; des Herrn Candy,« sagte er, »ist auf keine Weise aufzuhelfen. Ich habe seit seiner Wiederherstellung oft genug vergebliche Versuche dieser Art gemacht und kann mich über diesen Punkt ganz positiv aussprechen.

Diese Bemerkung desappointirte mich und ich hatte daraus kein Hehl.

»Ich gestehe« sagte ich, »daß Sie die Hoffnung auf eine weniger entmuthigende Antwort in mir rege gemacht hatten.«

Ezra Jennings lächelte. »Vielleicht ist es nicht mein letztes Wort, Herr Blake, vielleicht ist es möglich, die Spur der verlorenen Erinnerung des Herrn Candy zu verfolgen, ohne an Herrn Candy selbst appelliren zu müssen.«

»Wirklich? Ist es nicht indiscret, zu fragen, wie das möglich wäre?«

Durchaus nicht. Die einzige Schwierigkeit bei Beantwortung Ihrer Frage besteht für mich in der Schwierigkeit, mich zu erklären. Wird es keine zu harte Geduldsprobe für Sie sein, wenn ich noch einmal auf Herrn Candy’s Krankheit zurückkomme und wenn ich Ihnen dabei dieses Mal einige technische Details nicht erspare?«

»Bitte, fahren Sie fort. Sie haben mich schon auf diese Details begierig gemacht« Mein Eifer schien ihn zu ergötzen Er lächelte wieder. Wir hatten eben die letzten Häuser der Stadt hinter uns gelassen. Ezra Jennings stand einen Augenblick still und pflückte einige wildwachsende Blumen von der Hecke am Wege. »Wie schön die Blumen sind,« sagte er, indem er mir sein kleines Bouquet zeigte. »Und wie wenige Leute in England den rechten Sinn für die Schönheit solcher Blumen haben!«

»Sie sind kein geborener Engländer?« fragte ich.

»Nein. Ich bin in einer unserer Colonien geboren und theilweise erzogen. Mein Vater war ein Engländer, aber meine Mutter. .. Aber wir kommen von unserem Gegenstande ab, Herr Blake, und zwar durch meine Schuld. Ich habe ein eigenes Verhältniß zu diesen bescheidenen kleinen Blumen. Aber lassen wir das; wir sprachen von Herrn Candy, kommen wir aus ihn zurück.«

Indem ich die wenigen Worte über ihn selbst, die ihm so widerwillig entschlüpft waren, mit der melancholischen Weltanschauung welche ihn das menschliche Glück in einem vollständigen Vergessen der Vergangenheit finden ließ, in Verbindung brachte, gewann ich die Ueberzeugung, daß die Geschichte, welche ich in seinem Gesicht zu lesen glaubte, in zwei Punkten wenigstens der Wahrheit entsprach. Er hatte gelitten wie wenige Menschen und sein englisches Blut war mit dem einer fremden Race gemischt.

»Sie haben vermuthlich von der ursprünglichen Veranlassung von Herrn Candy’s Krankheit gehört?« fing er wieder an. »An dem Abend nach Lady Verinder’s Mittags-Gesellschaft regnete es heftig. Mein Principal fuhr in seinem offenen Wägelchen im Regen nach Hause und wurde bis aus die Haut durchnäßt.

In seiner Wohnung fand er eine dringende Bestellung eines Patienten vor, der ihn sehnsüchtig erwartete und fuhr unvernünftiger Weise sofort zu diesem Kranken, ohne sich die Zeit zu lassen, seine Kleider zu wechseln. Ich selbst war an jenem Abend durch einen Fall in einiger Entfernung von Frizinghall in Anspruch genommen.

Als ich am nächsten Morgen zurückkehrte, fand ich Herrn Candy’s Diener in großer Unruhe auf mich wartend, um mich nach dem Zimmer seines Herrn zu führen. Das Unheil war bereits geschehen. Die Krankheit war ausgebrochen.«

»Ich habe bis jetzt nur in ganz allgemeinen Ausdrücken von der Krankheit als von einem Fieber reden hören,« sagte ich.

»Ich kann nichts zur genaueren Bezeichnung hinzufügen,« antwortete Ezra Jennings. »Vom ersten bis zum letzten Augenblick nahm das Fieber keine spezifische Form an. Ich schickte auf der Stelle zu zwei von Herrn Candy’s Collegen in die Stadt, mit der Bitte, mich bei diesem Fall mit ihrem Rath zu unterstützen. Sie stimmten mit mir darin überein, daß die Sache sehr ernst sei, wichen aber Beide in Betreff der anzuwendenden Behandlung wesentlich von meiner Ansicht ab. Wir waren ganz verschiedener Meinung über die Schlüsse, die aus dem Pulsschlag des Patienten zu ziehen seien. Die beiden Doctoren folgerten aus der Raschheit des Pulsschlags, daß eine herabstimmende Behandlung die einzig angezeigte sei, während ich meinerseits zwar die Raschheit des Pulsschlags zugab, aber gleichzeitig in der beunruhigenden Schwäche desselben ein Symptom der Erschöpfung des ganzen Systems erblickte, welches die Anwendung von stimulierenden Mitteln gebieterisch fordere. Die beiden Doktoren wollten ihn auf eine Diät von Limonade, Hafer und Gerstenschleim u. s. w. setzen. Ich hingegen erklärte mich dafür, ihm Champagner oder Cognac, und Chinin zu geben. Eine sehr ernste Meinungsverschiedenheit, wie Sie sehen, zwischen zwei selbstständig etablirten Aerzten von bewährtem localen Ruf auf der einen und einem Fremden, der nur der Assistent des Patienten war, auf der anderen Seite. In den ersten paar Tagen hatte ich keine Wahl, als den älteren und angeseheneren Männern nachzugeben. Als aber die Kräfte des Patienten fortwährend abnahmen, machte ich einen zweiten Versuch, die unwiderleglich klare Beweiskraft des Pulses für mich anzurufen. Seine Raschheit war dieselbe und seine Schwäche hatte zugenommen.

Die beiden Doctoren nahmen meine eigensinnige Beharrlichkeit übel und sagten mir: »Herr Jennings, wir behandeln diesen Fall oder Sie behandeln ihn! Wählen Sie!«" worauf ich erwiderte: »Meine Herren, lassen Sie mir fünf Minuten Zeit zur Ueberlegung und ich will Ihnen auf Ihre entschiedene Frage eine entschiedene Antwort geben. Nach Verlauf der erbetenen Bedenkzeit hatte ich meine Antwort bereit. Ich sagte: »Weigern Sie sich positiv, es mit einer stimulierenden Behandlung zu versuchen?« Sie sprachen diese Weigerung in der positivsten Weise aus. »Dann werde ich diese Behandlung auf meine eigene Hand versuchen, meine Herren.« – »Versuchen Sie es, Herr Jennings, und wir räumen Ihnen das Feld.« – Ich ließ eine Flasche Champagner aus dem Keller holen und gab dem Patienten mit eigener Hand ein halbes Wasserglas voll zu trinken. Die beiden Aerzte setzten schweigend ihre Hüte auf und verließen das Haus.

»Sie hatten damit eine sehr ernste Verantwortlichkeit auf sich genommen,« sagte ich. »Ich an Ihrer Stelle würde, fürchte ich, davor zurückgeschreckt sein.«

»An meiner Stelle würden Sie sich erinnert haben, daß Herr Candy Sie unter Umständen engagirt habe, die Sie für Ihre Lebenszeit zu seinem Schuldner machten. An meiner Stelle würden Sie gesehen haben wie er stündlich schwächer wurde, und würden lieber Alles gewagt haben, als den einzigen Menschen, der sich Ihnen freundlich erwiesen hatte, vor Ihren Augen sterben zu lassen. Denken Sie nicht, daß ich für das Schreckliche der Lage, in die ich mich selber gebracht hatte, unempfindlich gewesen wäre! Es gab Momente, in denen ich das ganze Elend meiner Freudlosigkeit, die ganze Gefahr meiner furchtbaren Verantwortlichkeit fühlte.

Wenn ich ein glücklicher Mensch gewesen wäre, wenn ich ein heiteres Leben hinter mir gehabt hätte, so würde ich, glaube ich, der Last der Ausgabe, die ich mir selbst aufgebürdet hatte, unterlegen sein. Aber für mich gab es keine vergangenen glücklichen Tage auf die ich hätte zurückblicken können; ich hatte nie den Seelenfrieden gekannt, dessen Contrast mit meiner gegenwärtigen Angst und Ungewißheit sich mir hätte aufdrängen können und ich ließ mich in meinem Entschluß durch nichts irre machen. Nur in den Tagesstunden, in denen sich mein Patient am erträglichsten befand, gönnte ich mir etwas Ruhe, den übrigen Theil der vierundzwanzig Stunden des Tages wich ich, so lange sein Leben in Gefahr war, nicht von seinem Bette. Gegen Sonnenuntergang trat, wie gewöhnlich in solchen Fällen, das Delirium, das mit dem Fieber verbunden zu sein pflegt, ein. Dasselbe dauerte mehr oder weniger die ganze Nacht hindurch und ließ dann in jener schrecklichen Zeit zwischen 2 und 5 Uhr, wo die Lebensgeister selbst der Gesündesten unter uns am tiefsten gesunken sind, nach. Das ist die Zeit, wo der Tod seine reichste Ernte unter den Menschen hält. In diesen Stunden bestand ich am Krankenbette einen furchtbaren Kampf mit dem Tode, dem ich seine Beute abzuringen suchte. Keinen Augenblick wurde ich an dem Spiel irre, das ich mit meiner Behandlungsart gewagt hatte. Wenn der Wein seine Dienste versagte, versuchte ich es mit Cognac. Wenn alle Stimulanzen ihre Wirkung verfehlten, verdoppelte ich die Dosis. Nach einer Zeit schrecklicher Ungewißheit, – deren gleichen ich Gott bitte, mich nicht wieder erleben zu lassen, – kam ein Tag, wo die Rapidität des Pulsschlags unbedeutend aber doch merklich abnahm und, was noch besser war, auch die Art des Pulsschlags sich in ganz unzweideutiger Weise veränderte und der Puls fester und stärker wurde. Da wußte ich, daß ich ihn gerettet hatte und da brach ich zusammen. Ich legte die abgezehrte Hand des armen Mannes wieder aufs Bett und brach in Thränen aus. Eine Erleichterung durch hysterische Thränen, Herr Blake, weiter nichts! Die Physiologie behauptet, und zwar mit Recht, daß es weiblich organisirte Männer giebt – und zu diesen gehöre ich!«

Er sprach diese bittere ärztliche Entschuldigung für seine Thränen in derselben ruhigen und schmucklosen Weise aus, in der er auch alles Vorhergehende gesagt hatte. In seinem Ton und ganzen Wesen äußerte sieh von Anfang bis zu Ende eine ängstliche, fast krankhafte Beflissenheit, sich mir gegenüber nicht interessant zu machen.

»Sie werden mich gewiß fragen,« fuhr er fort, »Warum ich Sie mit diesem ermüdenden Detail behelligt habe. Aber ich weiß keine andere Art, Herr Blake, Sie passend auf das vorzubereiten, was ich Ihnen demnächst zu sagen habe. Sie kennen jetzt genau meine Lage zur Zeit von Herrn Candys Krankheit, um so eher werden Sie es begreifen, daß ich ein schmerzliches Bedürfniß empfand, mir von Zeit zu Zeit eine Erleichterung der auf meinem Gemüth lastenden Sorge zu verschaffen. Seit einigen Jahren habe ich meine Mußestunden mit dem Versuch ausgefüllt, ein den Mitgliedern meines Berufs gewidmetes Buch über den intricaten und delicaten Gegenstand des Gehirns und der Nerven zu schreiben. Meine Arbeit wird wahrscheinlich nie vollendet und gewiß nie veröffentlicht werden. Nichtsdestoweniger ist sie mir in mancher einsamen Stunde ein Freund gewesen und hat mir geholfen, die angstvollen Stunden ungewissen Wartens an Herrn Candy’s Bett zu überstehen. Ich habe Ihnen, glaube ich, schon gesagt, daß er heftig phantasirte und auch die Stunden genannt, wo dieses Delirium einzutreten pflegte, nicht wahr?«

»Ja.«

»Nun hatte ich gerade zu jener Zeit einen Abschnitt meines Buches beendet, welcher diese Frage des Deliriums berührte. Ich will Sie mit meiner Theorie über den Gegenstand nicht aufhalten. Ich will mich vielmehr darauf beschränken, Ihnen nur das davon mitzutheilen, was Sie in diesem Augenblick interessiren kann. Es ist mir im Laufe meiner ärztlichen Praxis oft ein Zweifel darüber aufgestiegen, ob wir in Fällen des Deliriums aus dem Verlust der Fähigkeit, zusammenhängend zu reden, mit Recht auf den Verlust der Fähigkeit, zusammenhängend zu denken, als eine nothwendige Folge schließen dürfen. Die Krankheit des armen Herrn Candy gab mir eine Gelegenheit, die Berechtigung meines Zweifels zu erproben. Ich bin des Stenographirens kundig und konnte vermöge dieser Fertigkeit die irren Reden des Kranken wörtlich wie er sie aussprach, zu Papier bringen. – Sehen Sie nun endlich, Herr Blake, wo ich hinaus will?«

Ich sah es vollkommen deutlich und horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit athemlos auf.

»Gelegentlich, wie sich die Zeit dazu fand,« fuhr Ezra Jennings fort, »übertrug ich dann meine stenogrophischen Aufzeichnungen in gewöhnliche Schrift, indem ich zwischen den abgebrochenen Sätzen und selbst zwischen den einzelnen Worten, wie sie Herrn Candy zusammenhangslos entfallen waren, leere Stellen ließ. Ich behandelte dann das so erlangte Resultat nach einer ähnlichen Methode, wie man sie bei der Zusammensetzung eines Geduldspiels für Kinder anzuwenden pflegt. Anfänglich erscheint Alles Verwirrung, aber wenn man nur den rechten Schlüssel dazu findet, kann man Alles in seine gehörige Ordnung bringen. Ich wandte dieses Verfahren an, indem ich die leeren Stellen auf dem Papier mit dem ausfüllte, was mir die Sätze und Worte an beiden Enden des leeren Raums als die wirkliche Meinung des Sprechenden an die Hand gaben, indem ich dabei fort und fort änderte, bis meine Zusätze sich den vorangehenden Worten natürlich anzuschließen und die folgenden Worte einzuleiten schienen. Das Ergebniß war, daß ich mir in dieser Weise nicht nur über viele angstvolle und müßige Stunden hinweghalf, sondern daß ich zu etwas gelangte, was mir eine Bestätigung meiner Theorie zu sein schien. Deutlicher gesprochen, nachdem ich die abgebrochenen Sätze zusammengefügt hatte, fand ich, daß das höhere Vermögen, mehr oder weniger zusammenhängend zu denken, in dem Geiste meines Patienten fortwirke, während das niedrigere Vermögen des Ausdrucks sich in einem Zustande fast völliger Unfähigkeit und Verwirrung befand.«

»Ein Wort!« unterbrach ich eifrig, »Kam in seinen irren Reden je mein Name vor?«

»Das sollen Sie gleich hören, Herr Blake. Unter den schriftlichen Beweisen meiner eben aufgestellten Behauptung oder richtiger, unter den schriftlichen Experimenten, welche ich zu dem Zweck angestellt habe, um meine Behauptung zu beweisen, befindet sich eines, in welchem Ihr Name vorkommt. Fast während einer ganzen Nacht war Herrn Candy’s Geist mit etwas beschäftigt, was zwischen ihm und Ihnen vorgegangen war. Ich habe seine abgebrochenen Worte, wie sie ihm entfuhren, auf einem Blatt Papier und die von mir aufgefundenen Ringe, welche zwischen jenen Worten eine Kette herzustellen bestimmt sind, auf einem andern Blatt Papier. Das Product, wie man in der Arithmetik sagt, ist die verständliche Angabe erstens: von etwas in der Vergangenheit wirklich Geschehenem, und zweitens von etwas, was Herr Candy künftig zu thun beabsichtigte, und an dessen Ausführung ihn seine Krankheit vermuthlich verhindert hat. Die Frage ist nun, ob das die verlorene Erinnerung ist, welche wieder aufzufrischen er sich diesen Morgen bei Ihrem Besuch vergeblich abmühte oder nicht.«

»Ganz unzweifelhaft« antwortete ich. »Lassen Sie uns auf der Stelle umkehren und die Papiere in Augenschein nehmen!«

»Das ist unmöglich, Herr Blake!«

»Warum?«

»Versetzen Sie sich einen Augenblick in meine Lage,« entgegnete Ezra Jennings. »Würden Sie einer andern Person das, was Ihrem leidenden Patienten und hilflosen Freunde in bewußtlosem Zustande entfahren ist, enthüllen, wenn Sie sich nicht vorher vergewissert hätten, daß Ihre Mittheilung durch eine dringende Nothwendigkeit gerechtfertigt erscheine?

Ich fühlte sehr wohl, daß darauf nichts zu erwidern sei, versuchte es aber nichtsdestoweniger, die Frage mit ihm zu discutiren.

»Mein Benehmen in einer so delicaten Situation, wie Sie sie bezeichnen,« erwiderte ich, »würde größtentheils davon abhängen, ob die Enthüllung geeignet wäre, einen Freund zu compromittiren oder nicht.«

»Ich habe diese Seite der Frage bereits seit langer Zeit erwogen,« sagte Ezra Jennings. »Wo immer meine Aufzeichnungen irgend etwas enthielten, wovon ich annehmen mußte, daß Herr Candy dasselbe geheim zu halten gewünscht haben würde, habe ich diese Aufzeichnungen vernichtet. Die von mir an dem Krankenbette meines Freundes angestellten schriftlichen Experimente enthalten jetzt nichts mehr, was er Anstand genommen haben würde, Andern mitzutheilen, wenn er den Gebrauch seines Gedächtnisses wieder erlangt hätte. In Ihrem Fall habe ich sogar Ursache zu glauben, daß meine Aufzeichnungen Etwas enthalten, was er Ihnen selbst mitzutheilen wünschte.«

»Und doch nehmen Sie Anstand?«

»Und doch nehme ich Anstand. Vergegenwärtigen Sie sich die Umstände, unter welchen ich die Kunde, in deren Besitz ich mich befinde, erlangt habe. So harmlos deren Besitz an und für sich ist, so kann ich es doch nicht über mich gewinnen, Ihnen dieselbe mitzutheilen, bevor Sie mich nicht überzeugt haben, daß dazu ein besonderer Grund vorliegt. Er war so entsetzlich krank, Herr Blake, und so hilflos in meiner Gewalt, – können Sie es mir unter diesen Umständen verdenken, wenn ich Sie nur um eine Andeutung darüber bitte, worin Ihr Interesse an jener entschwundenen Erinnerung besteht, oder was Sie für den Inhalt jener entschwundenen Erinnerung halten?

Um ihm mit der Offenheit zu antworten, auf welche seine Sprache und sein Wesen ihm beide einen gleich berechtigten Anspruch gaben, würde ich mich zu dem Geständniß haben herbeilassen müssen, daß der Verdacht des Diebstahls des Diamanten auf mir laste. So sehr sich auch mein erstes impulsives Interesse an Ezra Jenning’s Person im Verlaufe unserer Unterhaltung gesteigert hatte, so hatte er doch meine unüberwindliche Abneigung, mich über meine entwürdigende Situation auszusprechen, nicht ganz beseitigen können. Ich nahm abermals zu den erklärenden Phrasen meine Zuflucht, mit welchen ich mich gegen die Neugierde Fremder gewaffnet hatte.

Dieses Mal hatte ich mich nicht über Mangel an Aufmerksamkeit von Seiten der Person, an die ich mich wandte, zu beklagen. Ezra Jennings hörte geduldig, ja ängstlich aufmerksam zu, bis ich geendet hatte.

»Ich bedaure, Herr Blake,« sagte er, »daß ich Ihre Erwartungen gespannt habe, nur um Sie enttäuschen zu müssen. Während der ganzen Dauer der Krankheit des Herrn Candy vom ersten bis zum letzten Augenblick ist ihm kein Wort über den Diamanten entfahren Die Angelegenheit, im Zusammenhang mit welcher ich ihn Ihren Namen habe aussprechen hören, steht, wie ich Sie versichern kann, in keiner noch so entfernten Beziehung zu dem Verlust oder der Wiederauffindung von Fräulein Verinder’s Juwel.«

Als er diese Worte sagte, waren wir gerade an einer Stelle der Landstraße angelangt, wo sich dieselbe in zwei Wege theilte. Der eine derselben führte nach dem Hause meines Onkels Ablewhite und der andere nach einem zwei bis drei Meilen entfernten Dorfe in der Haide. Ezra Jennings stand hier still.

»Mein Weg führt dorthin,« sagte er, nach der Richtung des Dorfes hindeutend. »Es thut mir herzlich leid, Herr Blake, daß ich Ihnen nicht habe dienen können.«

Der Ton seiner Stimme bürgte für die Aufrichtigkeit seiner Worte. Seine sanften braunen Augen ruhten einen Augenblick mit einem Ausdruck melancholischen Interesses auf mir. Er verneigte sich gegen mich und ging, ohne ein Wort weiter zu sagen, seines Weges nach dem Dorfe hin. Eine Zeit lang blieb ich stehen und sah ihm nach, während er sich weiter und weiter von mir entfernte und weiter und weiter Das mit sich forttrug, was nach meiner festen Ueberzeugung der Schlüssel war, den ich suchte. Nachdem er eine Strecke Weges gegangen war, sah er sich wieder nach mir um. Als er sah, daß ich noch an der Stelle, an der wir uns getrennt hatten, stillstand, blieb auch er stehen, als ob er vermuthe, daß ich ihn vielleicht noch ein Mal zu sprechen wünsche. Ich hatte keine Zeit, meine Situation zu überdenken, keine Zeit, mich zu erinnern, daß ich im Begriff stehe, mir die Gelegenheit, vielleicht eine entscheidende Wendung meines Lebens herbei zu führen, entschlüpfen zu lassen, und das nur, um meiner eitlen Selbstachtung zu schmeicheln. Ich hatte nur Zeit ihn zurückzurufen. Ich rief ihn zurück und sagte mir dann: »Jetzt hilft nichts mehr, ich muß ihm die Wahrheit sagen.«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
780 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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