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Читать книгу: «Harter Ort», страница 3

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VII

Ein eisiger Wind wehte von der Ostsee herüber. Es schneite nicht mehr wie an den vergangenen Tagen. Nur noch ein leichter Schneegriesel fiel aus den Wolken. Es waren mindestens zehn Grad unter null.

Thomas Förster versuchte, die aufgebrachten Menschen zu beruhigen. „Wir wollen endlich weg“, rief einer aus der Menge. „Wer bezahlt uns denn den Arbeitsausfall?“

„Machen Sie endlich Ihre Arbeit!“

„Wir tun, was wir können“, beteuerte der Bürgermeister. „Aber uns sind hier die Hände gebunden. Der Krisenstab in Stralsund bemüht sich, Hilfe von der Bundeswehr zu bekommen, um Sie auszufliegen. Aber so schnell geht es leider nicht.“

„Schieben Sie doch nicht die Verantwortung auf andere. Wir wollen weg!“, schrie ihm ein Mann wütend entgegen, der direkt vor ihm stand. Dann begannen alle zu skandieren: „Wir wollen weg! Wir wollen weg!“

Förster wusste sich nicht zu helfen. Er wedelte mit den Armen, schaute sich Hilfe suchend nach den paar Hiddenseern um, die von der Straße vor dem Sportplatz interessiert zuschauten, wie ihr Bürgermeister versuchte, die Leute zu besänftigen. Da rief einer: „Seid doch mal still. Hört doch mal.“

In der Luft war plötzlich ein Brummen zu hören. Auf einen Schlag verstummten die Menschen. Alle schauten in den Himmel. Beifall und Jubelrufe waren nun zu hören, obwohl noch nichts zu sehen war. Kaum einer beachtete, dass Damp mit seinem Polizeiwagen auf das Vorfeld des Hubschrauberlandeplatzes fuhr, die Blaulichter auch weiter rotieren ließ, nachdem er schon aus dem Wagen gesprungen war, und mit einem Feldstecher den Himmel absuchte. Das Blaulicht war das vereinbarte Signal für die Piloten. Dann tauchten aus der dicken Wolkendecke zwei Hubschrauber auf. Vorn flog ein blauer Helikopter mit der Aufschrift „Bundespolizei“. Er wurde eskortiert von einem gelben ADAC-Rettungshubschrauber. Der Beifall verebbte, als die Wartenden sahen, dass es sich nur um kleine Hubschrauber handelte.

Während der Polizeihubschrauber auf dem Landeplatz aufsetzte, kreiste die andere Maschine über dem Hafengebiet von Vitte. Der Pilot wollte offenbar näher bei der „Caprivi“ landen und ging dann auch auf dem kleinen Platz am Anleger des gesunkenen Schiffes runter.

Nachdem die Rotoren abgestellt waren, öffnete sich die Tür des Kopiloten und eine Schiebetür wurde aufgezogen. Damp war erstaunt. Nicht nur Holm Behm, ein weiterer Kollege der Spurensicherung und Nelly Blohm kletterten aus dem Helikopter, sondern auch Polizeidirektor Bökemüller.

„Hallo, Damp, wie ist die Lage?“, begrüßte er seinen Revierleiter auf Hiddensee betont jovial. „Haben Sie schon neue Erkenntnisse?“

Damp berichtete, was er über den toten Hotelier von Malte Fittkau erfahren hatte. Auch Bürgermeister Förster kam dazu.

„Vielleicht können Sie sich gleich mal als Mitglied des Krisenstabes ein Bild machen, dass wir hier dringend Hilfe brauchen“, drang er auf den Polizeichef ein. „Die Menschen müssen nach Hause und die Vorräte in den Supermärkten, aber auch an Treibstoff für die Schneepflüge und den Inselbus gehen zur Neige.“

Bökemüller nickte immer wieder bedächtig bei den Worten Försters. „Mir sind da auch die Hände gebunden. Ich verstehe schon Ihre Lage, aber momentan vertröstet uns die Bundeswehr von Tag zu Tag.“

Förster deutete auf den Hubschrauber. „Könnten wir damit nicht wenigstens die Eltern mit Kindern ausfliegen?“

Bökemüller legte altväterlich dem Bürgermeister den Arm um die Schultern. „Lieber Herr Förster! Wie oft soll die Maschine denn hin und her pendeln zwischen Hiddensee und Rügen? Da passen doch nur fünf Passagiere rein. Das ist völlig unmöglich. Außerdem handelt es sich hier um einen Polizeieinsatz“, er hob den Zeigefinger, „möglicherweise in einem Mordfall. Das hat jetzt erst mal Priorität.“

Holm Behm, der mittlerweile vom Warten kalte Füße bekam, nutzte die letzten Worte des Polizeidirektors. „Ich würde dann gern auch mal zum Tatort, wenn’s möglich ist. Denn Krüger ist uns jetzt schon voraus und ich würde mir nicht gern die vorhandenen Spuren zertreten lassen.“

Während der Trupp sich dem Polizeiwagen näherte, wurde wieder Unmut unter den Wartenden laut. „Eh, was wird denn nun mit uns?“

„Wo bleibt denn die Hilfe für uns?

„Warum werden wir nicht ausgeflogen?“

Und dann begannen wieder die Sprechchöre: „Wir wollen weg!“ Die Menschen schoben sich immer näher an den Landeplatz heran. Förster sah ängstlich zu Damp. Die Situation drohte zu eskalieren. Da sprang Nelly Blohm nach vorn, wedelte kurz mit den Armen und überraschend wurde es wieder still.

„Wir können Ihren Unmut verstehen“, rief sie den Leuten zu, „aber wir müssen uns hier um einen Toten kümmern.“

Ein Raunen ging durch die Menge. Bökemüller verzog das Gesicht und zupfte am Ärmel von Nelly Blohm. Doch die Polizistin ließ sich nicht beirren. „Mein Vorschlag wäre, wir stellen jetzt einen SMS-Verteiler zusammen und Sie werden dann sofort benachrichtigt, wenn es möglich ist, die Insel zu verlassen. Außerdem sollten wir eine Art Reihenfolge aufstellen und Wartenummern ausgeben, falls nicht alle sofort zur gleichen Zeit ausgeflogen werden können. Die Familien mit Kindern sollten als Erste Nummern bekommen, dann Kranke und Alte, die medizinische Versorgung brauchen, und so weiter. Ich denke, nein, ich hoffe, Ihre Arbeitgeber werden Verständnis haben für Ihre Situation. So müssen Sie auch nicht weiter hier stehen und frieren.“

Offenbar hatte Nelly damit alle so verblüfft, dass sich zunächst ein großes Schweigen breitmachte. Dann kamen aus der Menge zustimmende Rufe. Bökemüller sah seine junge Beamtin mit einigem Stolz an, fragte sich aber im Stillen, ob das nicht sein oder Försters Job gewesen wäre und Nelly ihm die Show gestohlen hätte.

Damp raunte Behm zu: „Machen wir jetzt hier Urlauberbetreuung oder wollen wir einen möglichen Mord aufklären?“

Nelly kramte schon nach einem Block aus ihrer Tasche und wollte anfangen, die Telefonnummern zu notieren, da mischte sich Bökemüller ein. Er legte ihr die Hand auf den Arm. „Vielleicht kann das Notieren der Namen und Telefonnummern sowie die Ausgabe der Wartemarken die Inselverwaltung übernehmen.“ Dabei schaute er zu Förster, der auch sofort zustimmend nickte. „Und die Beamten machen mal ihren eigentlichen Job.“ Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. Dann schob er Nelly mit leichtem Druck zum Polizeiwagen. „In Zukunft wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie solche Aktionen mit mir absprechen“, flüsterte er ihr beim Einsteigen in den Wagen noch zu.

„Was ist das eigentlich für ein Schiff, auf dem sie den Toten gefunden haben?“, fragte Bökemüller Damp, als sie im Auto saßen.

„Es war ein Hotelschiff, früher mal ein Jugendklub“, antwortete der Polizist. „Lief aber zuletzt nicht mehr so gut. Der Bürgermeister versucht gerade, den Besitzer aufzutreiben. Das scheint aber gar nicht so leicht zu sein.“

„Die Bergungskosten werden immens sein. Das wird der kaum bezahlen können.“

„Die Insel kann das aber auch nicht bezahlen“, erwiderte Damp.

„Dann bleibt das Wrack sicher, wo es ist. Auf dem Grund des Boddens.“

Der Wagen hielt.

Krüger, der Rechtsmediziner von der Uniklinik in Greifswald, stand auf dem Vorschiff der „Caprivi“ und schaute in den Raum mit Dehnes Leiche. „So wünscht man es sich“, begrüßte er den Chef der Stralsunder Spurensicherung, Holm Behm. „Die Leiche schon schön gekühlt. Da bleiben die Spuren frisch.“

„Waren Sie schon drin?“, fragte Behm nicht ohne Schärfe.

„Gott bewahre“, antwortete Krüger. „Ich werde Ihnen doch nicht vorgreifen, obwohl ich es kaum erwarten kann, endlich an die Beute zu kommen. Hier draußen wird es auch langsam etwas kühl. Allerdings fürchte ich, drinnen ist es nicht besser“, er zeigte auf Dehne, „wenn ich den Herrn da auf der Bank sehe.“

„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie Sie ihn hier raus und nach Greifswald bringen wollen?“

Krüger legte die Stirn in Falten. „Gute Frage. Nächste Frage.“ Er kratzte sich am Kopf. „Am besten wäre tiefgekühlt, aber so passt er wahrscheinlich nicht in die Luke des Rettungshubschraubers. Wir werden ihn auftauen müssen. Die Leichenstarre wird schon vorbei sein, wenn es stimmt, was die Feuerwehrmänner erzählt haben und er eine Tasche mit Silvesterraketen bei sich hatte. Aber ich müsste genau die Temperatur beim Auftauen kontrollieren. Bei dem Wetter könnte es außerdem ohne Hilfe etwas dauern.“

„Vielleicht mit so einem Gasheizer, die immer in den Biergärten stehen“, kam es von Barnhöft. Der Feuerwehrmann wollte endlich auch mit dem Auslegen der Ölsperren um das gesunkene Schiff vorankommen. Seit dem Fund der Leiche hatten sie die Arbeit eingestellt. Je schneller der Tote geborgen war, umso weniger Öl konnte weiter unters Eis in den Bodden laufen.

Krüger drehte sich zu Barnhöft um und schlug ihm auf die Schulter. „Guter Mann“, lobte er, „aber wo kriegen wir so ein Ding her? Jetzt ist nicht unbedingt Biergartensaison.“

„Vielleicht beim ‚Hiddenseer‘, vermutete der Feuerwehrmann, „gleich im Wiesenweg. Die haben solche Dinger im Sommer auf ihrer Terrasse und müssten noch aufhaben. Die hatten bestimmt Pensionsgäste über den Jahreswechsel.“

Barnhöft winkte drei seiner Leute heran und gab ihnen Befehl, einen Wärmestrahler vom „Hiddenseer“ zu holen. Wenn es Probleme gäbe, sollte der Wirt Damp oder ihn anrufen.

Behm hatte inzwischen angefangen, den Raum mit der Leiche zu inspizieren. Er pinselte das Schott, die Riegel und den Rahmen der Luke ab, die in den ehemaligen Barraum der „Caprivi“ führte. Dann wandte er sich dem Innenraum zu. „Wieder alles zerlatscht und wahrscheinlich auch angegrabscht. Wie schon bei diesem Bauunternehmer!“, fluchte er. „Könnt ihr nicht mal lernen, dass ein Tatort keine Spielwiese ist.“

Krüger grinste. „Behm, Sie haben ganz recht!“, meinte er mit gespielter Entrüstung, „mir sind diese Outdoor-Tatorte auch total suspekt. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen.“

Behm schaute ihn grimmig an. „Hatte ich Sie nach Ihrer Meinung gefragt?“

„Nicht direkt.“

Behm beließ es dabei. „Sascha!“, rief er nach seinem Assistenten. „Wir brauchen von allen Feuerwehrleuten und wer sonst noch hier in den letzten Stunden herumgetollt ist, Fingerabdrücke zum Vergleich. Die Fußspuren sind für den Ar … eh, ich meinte unbrauchbar“, verbesserte er sich, als er Nelly Blohm auf dem Vorschiff entdeckte.

„Wird gemacht, Chef“, antwortete der junge Spurensicherer und notierte die Anweisung in einem Block.

Während Behm jetzt in das Schiffsinnere kletterte, sprach er seine Beobachtungen in ein umgehängtes Mikrofon. „Nicht gerade gemütlich, diese ‚Bar Blue Mayday‘“, meinte er mit Blick auf das recht schlichte Mobiliar aus billigen Barhockern und Plastiktischen.

Damp stand mit Bökemüller noch am Kai. Beide traten vor Kälte von einem Fuß auf den anderen.

„Sollte nicht erst mal der Pathologe schauen, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt?“, fragte Damp leise. „Vielleicht hat sich Dehne hier nur einen eingetüdert, ist dann eingeschlafen und erfroren. Wie sagt man?, dumm gelaufen.“

Krüger hatte Damps Worte trotzdem gehört. „Im Prinzip keine schlechte Theorie, Herr Kommissar. Aber wo ist dann bitte die leere Flasche? Ich frage mal nach.“

Krüger lief zurück zur geöffneten Luke. „Behm?“

„Was ist denn schon wieder?“, blaffte der Spurensicherer ärgerlich.

„Haben Sie dort eine leere Flasche Alkohol gefunden?“

Behm sah sich um. „Nö, hier ist nix.“

„Dann könnte er natürlich die Flasche auch noch weggeworfen haben“, sagte Krüger leise zu sich. Er blickte sich um, doch der Schnee lag ringsherum so hoch, dass es sinnlos war, nach einer Flasche zu suchen. Allerdings entdeckte er etwas anderes. „Interessant“, flüsterte er. „Behm?“, rief er dann laut.

„Mein Gott! Kann ich hier mal in Ruhe arbeiten?“

Aber Krüger ließ sich nicht beirren. „Haben Sie das hier schon gesehen, Behm? Eine Skispur! Vom Schiff auf den Bodden.“

Die Polizisten liefen heran und lehnten sich wie der Pathologe über die Schiffswand. Auf der Eisfläche des Boddens waren noch die Spuren von zwei Skiern zu erkennen, obwohl sie schon von Neuschnee überdeckt waren. „Wir könnten ihr folgen“, schlug Krüger vor.

„Hier ist das Eis aber ziemlich brüchig, nachdem wir eine Rinne um das Schiff frei gekloppt haben.“

Nelly hielt das nicht auf. Sie kletterte wieder zum Anleger hoch, lief dann ein Stück an Land, bis sie auf den vereisten Bodden abbog. Die Spur führte nach Süden, in Richtung der Fährinsel.

„Mensch, Damp, trägt denn das Eis da draußen?“, fragte Bökemüller besorgt. „Die Frau hat doch ein Kind.“

Damp zuckte mit den Schultern.

„Keine Sorge, da ist es mittlerweile fast vierzig Zentimeter dick. Da können Elefanten drauf tanzen.“

Nelly Blohm blieb plötzlich stehen. Sie hockte sich in den Schnee und schüttelte dann den Kopf.

„Haben Sie was gefunden?“, schrie Bökemüller.

Die Polizistin winkte ab und kam wieder zurück. „Die Spur endet da hinten. Ganz plötzlich. Wahrscheinlich ist die vom Neuschnee zugedeckt oder vom Wind verweht worden.“

„Gestern Nacht, da habe ich einen Skifahrer hier in der Nähe vom Schiff gesehen. Als die Leiche entdeckt wurde. Er stand da hinten.“ Damp wies in Richtung der alten Pizzeria, die schon vor Jahren geschlossen hatte, aber deren Werbung immer noch an dem Haus prangte.

„Wir sollten dem nachgehen“, meinte Bökemüller.

Behm hatte mitgehört. „Sascha! Schau mal, ob du da eine Skispur findest.“

Sein Assistent lief über den Kai zur geschlossenen Pizzeria. Da drehte er sich um und hob den Daumen. „Hier ist eine Spur. Sie führt hier weiter“, rief er.

„Da ist der alte Poststeig entlang der Bäk zum Wiesenweg“, erklärte Damp. „Er endet fast genau am alten Postamt.“

In Bökemüller erwachte der Jagdinstinkt des Polizisten. „Kommen Sie, wir sehen uns das selbst an.“ Er stürmte von Bord. Damp folgte ihm. Sie liefen Behms Mitarbeiter hinterher, der auf dem Weg schon weitergelaufen war, immer neben der Skispur.

Als Damp und Bökemüller ihn erreichten, prüfte er gerade die Spur. Hier hatten die Bäume und das dichte Buschwerk verhindert, dass sie von Neuschnee bedeckt war. „Ich würde sagen, Langlaufski. Billigware. Plastikbeschichtung mit eingepressten Lamellen.“ Sascha hockte sich hin. „Sehen Sie hier. Ab und zu sieht man das Muster der Lauffläche. Ich schätze, der Besitzer nutzt kein Wachs. Ein Amateur.“

Sie liefen weiter bis zum Wiesenweg. Dort endete die Spur, weil der Schneepflug schon die Straße geräumt hatte. „Mist“, fluchte Bökemüller. Der Spurensicherer nahm es gelassener. „Ich mache mal ein paar Aufnahmen von der Skispur. So kann man die Laufflächen vergleichen“, wandte er sich an Damp, „wenn euch doch einmal ein Skifahrer über den Weg läuft.“

Da vernahmen sie plötzlich Geschrei aus Richtung der „Caprivi“. Damp und Bökemüller eilten zurück. „Sie können da nicht durch“, hörten sie Barnhöft rufen.

„Ich muss aber.“ Es war eine weibliche Stimme.

Als Damp und Bökemüller am Schiff ankamen, hielten zwei Feuerwehrmänner eine junge Frau an den Oberarmen fest. Sie strampelte und versuchte mit aller Kraft sich loszumachen. „Ich muss auf das Schiff. Ich suche meinen Chef!“

„Wer soll das denn sein?“, fragte einer der beiden.

„Martin Dehne, der Besitzer vom Hotel ‚Dornbusch‘.“

VIII

Laura Ihlow umklammerte mit den Händen die Tasse mit dem dampfenden Tee. Sie saß auf dem Besucherstuhl im Hiddenseer Revier. Sie hatte ein schmales helles Gesicht mit vielen blassen Sommersprossen. Ihre langen rotblonden Haare fielen über die Schultern herab. Einige kräuselten sich leicht. In der Wärme des kleinen Polizeireviers wandelten sich die Eiskristalle in ihren Augenbrauen und Haarspitzen zu kleinen Wassertröpfchen und glitzerten nun im Licht der alten Neonröhre. Damp war überwältigt von der Schönheit der jungen Frau. Alles an ihr schien perfekt zu sein. Er schätzte sie auf Anfang, höchstens Mitte zwanzig. Sie strich sich ein paar feuchte Locken aus der Stirn und wirkte plötzlich nervös. „Stimmt etwas nicht?“

„Nein, nein“, stammelte er. „Ich war nur in Gedanken“, fügte er verlegen hinzu. Nelly Blohm suchte in ihrer Reisetasche unterdessen nach ein paar trockenen Sachen. Durch den langen Weg im tiefen Schnee vom Hochland in Kloster bis nach Vitte war die Kleidung der Frau völlig durchnässt.

Jetzt hielt die Polizistin ein Paar Jeans erst bei sich an und reichte sie dann der jungen Frau. „Mit Schuhen oder Stiefeln kann ich nicht dienen, aber die Hose könnte Ihnen passen. Wir haben ungefähr die gleiche Figur.“

Damp zog sich kurz auf den Flur zurück, damit sich Laura Ihlow umziehen konnte. Nelly Blohm folgte ihm.

„Wie wollen wir vorgehen?“, fragte sie ihn auf dem Flur.

„Na, wie wohl?“, entgegnete Damp. „Wir fragen, was passiert ist. Und dann sehen wir weiter.“

„Wäre es nicht besser, wenn ich als Frau …“

„Noch bin ich hier der Revierleiter, Frau Blohm“, erklärte Damp ärgerlich. Rieder hatte ihm bei so manchem Fall die Wurst vom Brot genommen. Das würde ihm nicht wieder passieren.

„Ich dachte ja nur …“, wandte Nelly Blohm ein, verschreckt von der Reaktion Damps.

Sie gingen wieder zurück ins Zimmer. Die nassen Stiefel lagen auf der Heizung und die klamme Hose hing über dem zweiten Besucherstuhl.

Damp setzte sich an seinen Schreibtisch. Nelly lehnte sich hinter ihm an die Wand.

„Frau Ihlow, erzählen Sie uns erst mal, was passiert ist. Sie kommen also vom Hotel ‚Dornbusch‘? Der früheren Vogelwarte?“

„Genau. Und der Herr Dehne ist seit …“, sie zählte die Tage mit ihren Fingern ab, „ja, er ist seit vier Tagen verschwunden. Er wollte nach Rügen und dort Feuerwerk für Silvester kaufen … und, und, und … nun ist er tot“, stieß sie hervor und begann zu schluchzen. Tränenströme liefen ihr übers Gesicht. Damp schaute zu Nelly Blohm. Sie verstand seinen Blick, ging zu der jungen Frau, legte den Arm um ihre Schultern und versuchte sie zu trösten. „Beruhigen Sie sich“, sagte sie zu Laura Ihlow, die immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Schon auf der „Caprivi“ war Laura Ihlow dem Zusammenbruch nah gewesen, als sie ihren toten Chef identifiziert hatte. „Wie soll ich das nur seiner Frau beibringen“, stieß sie schluchzend hervor. Nelly reichte ihr ein Taschentuch. Mehrmals schnäuzte sie sich, ohne mit dem Weinen aufzuhören.

„Na, das können Sie ruhig uns überlassen. Dafür sind wir da“, meinte Damp besänftigend, stutzte dann aber. „Seiner Frau? Ich dachte, Herr Dehne sei Witwer?“

Laura schüttelte den Kopf. „Nein. Wie kommen Sie darauf?“, fragte sie verwundert.

„Nicht so wichtig … Aber warum ist denn dann seine Frau nicht zu uns gekommen und hat sein Verschwinden angezeigt?“, wunderte sich Nelly.

„Sie wollte ihre beiden Kinder nicht allein lassen …“

„Kinder auch noch?“, warf Damp erstaunt ein. Warum hatte ihm das Malte Fittkau nicht erzählt? Offenbar konnte man sich auf ihn als Informationsquelle auch nicht mehr verlassen.

„Ich glaube, es sind ihre Kinder, nicht seine … äh, ich meine, er ist nicht der Vater“, erklärte Laura. „Auf mich kann man da oben momentan am besten verzichten. Die Gäste hocken meistens in ihren Zimmern. Da muss ich nicht saubermachen. Neue Gäste kommen auch nicht auf die Insel, um deren Ankunft ich mich kümmern muss.“

„Sie sind also die Putzfrau“, meinte Damp.

„Nein“, widersprach Laura Ihlow heftig. „Ich bin die Hausdame im Hotel ‚Dornbusch‘.“ Aus ihrer Stimme klang ein gewisser Stolz. „So eine Art Mädchen für alles. Eigentlich soll ich die Gäste betreuen. Aber bis das Hotel richtig läuft und Geld einspielt, muss ich auch putzen. Ist aber kein Problem für mich. Hauptsache, ich habe eine Stelle.“

Nelly Blohm lehnte sich wieder an das Regal. „Trotzdem bleibt die Frage, warum Sie oder auch seine Frau vier Tage warten, bis sie Herrn Dehne hier als vermisst melden.“

Laura schaute sie an. „Wissen Sie nicht, was los ist?“, fragte sie verärgert. „Wir sind da oben total abgeschnitten. Es liegt über einen Meter Schnee. Wir kommen nicht aus dem Haus. Das Telefon geht nicht mehr, auch nicht die Funktelefone. Das Internet ist tot. Niemand kommt vorbei. Ich habe fast zwei Stunden gebraucht, um hierher nach Vitte zu kommen. Und als ich dann ins Rathaus kam“, ihre Stimme wurde hysterisch, „sagte mir irgendjemand, ich solle mal zum Hafen gehen, da hätten sie einen Toten entdeckt … Und dann …“ Sie konnte nicht weiterreden, ein erneuter Weinkrampf schüttelte sie.

896,44 ₽
Возрастное ограничение:
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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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304 стр. 7 иллюстраций
ISBN:
9783954626922
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Правообладатель:
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