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Die Entwicklung neuer Produkte im Kindernahrungsmittel-Segment

Wie Verwaltungsratspräsident Louis Dapples an der Generalversammlung 1936 festhielt, waren die Gewinnmargen auf Massenprodukten wie Kondensmilch und Schokolade in der Zwischenkriegszeit stark geschrumpft. Zwar stellten diese Produkte nach wie vor das wichtigste Standbein des Unternehmens dar, ihr Ertrag konnte allerdings nur noch damit gesteigert beziehungsweise erhalten werden, indem das Verkaufsvolumen ausgeweitet wurde. «Gerade mit Rücksicht auf den Umstand, dass die Gesellschaft bei der Massenproduktion mit ganz kleinem Nutzen arbeiten muss, zwingt sie zum Ausfindigmachen von neuen Spezialitäten, die ihr jedoch nicht ohne Weiteres in den Schoss fallen, sondern wiederum bedeutende Forschungskosten verursachen»,288 schrieb die «Schweizerische Handelszeitung» 1936 weiter.

Angefangen hatten diese Forschungsaktivitäten in den Jahren 1921/22, als im Zuge der Reorganisation des Unternehmens die bisher getrennten Forschungslaboratorien in Cham und Vevey zusammengeführt wurden und die Entwicklung neuer Produkte unter der Leitung des Norwegers Dr. Arnold Bakke erstmals systematisch vorangetrieben werden konnte.289 Die Markennamen dieser neuen Produkte-Generation wurden später oft mit dem Präfix Nes- und der Produktbezeichnung versehen, um die verwandtschaftliche Bindung mit der Nestlé-Gruppe erkennbar zu machen.290

Eine der vordringlichsten Aufgaben der Forschung war damals, auf dem Gebiet der Kindernahrung neue Produkte zu entwickeln, denn seit 1915 waren die Verkaufszahlen von Nestlé’s Kindermehl in den Vereinigten Staaten rückläufig gewesen. Konnte der anfängliche Nachfragerückgang noch mit Preisanpassungen begründet werden, hatte der danach folgende, langsame Absatzschwund tiefere Ursachen: Das Produkt genügte den damaligen Anforderungen an ein Kindernahrungsmittel nicht mehr,291 weil es die Nestlé & Anglo-Swiss verpasst hatte, der Tendenz zu Milchpulververfahren frühzeitig zu folgen.292

Wurde Milchpulver in der Schweiz zuerst vor allem zur Herstellung von Milchschokolade verwendet,293 begannen später auch immer mehr Kindernahrungsmittel-Unternehmen wie Guigoz schonende Dehydratationsverfahren bei tiefen Temperaturen zu entwickeln, dank denen die Proteine wesentlich besser erhalten blieben und die Oxidation von Vitamin C vermieden werden konnte. Damit kamen kurz vor dem Ersten Weltkrieg neue Kindernahrungsmittel auf den Markt, welche lange haltbar und trotzdem mit Proteinen und Vitaminen angereichert waren.294 Nestlé sah sich deshalb gezwungen, ihr Kindermehl durch die Beigabe von Vitaminen den ernährungswissenschaftlichen Erwartungen an ein Kindernahrungsmittel anzupassen.

1929 gelang es den Forschern von Nestlé schliesslich, Nestlé’s Kindermehl dank einem Dorschleberöl-Konzentrat295 mit den Vitaminen A und D anzureichern, welche das Wachstum und die Widerstandsfähigkeit sowie den Knochenaufbau der Säuglinge verbessern sollten. Trotzdem blieb das Kindermehl in den 1930er-Jahren weiterhin in der Kritik der Ärzte, weil durch das Erhitzen der Milch nicht nur krankmachende Keime, sondern auch wichtige Bestandteile wie die Vitamine C und B1 wesentlich reduziert wurden. Deshalb mischte Nestlé dem Kindernahrungsmittel schliesslich ebenfalls Vitamin B1 bei.296 Bei dieser Verbesserung sowie der Entwicklung weiterer diätetischer Produkte wie Pelargon, Nestrovit, Nesviton und Nestamin arbeitete Nestlé eng mit Kinderärzten und medizinischen Autoritäten sowie der Schweizer Pharmaindustrie zusammen.297

Ab 1921 begann sich Nestlé aber auch intensiv mit der Herstellung von Kindernahrungsmitteln auf der Basis von Milchpulver298 zu beschäftigen. Im Zentrum standen dabei zwei Verfahren, welche Nestlé durch die Akquisition der australischen The Baccus March Concentrated Milk Company sowie der norwegischen Firma Egron aus Christiania erworben hatte. Denn Milchpulver hatte gegenüber Kondensmilch und Kindermehl den entscheidenden Vorteil, dass sich die Dosierung einfacher gestaltete.299

Vom Milch- zum Kaffeepulver – Nestlé bringt Nescao, Milo und Nescafé hervor
Nestlés erste Schritte mit Milchpulver und pulverisierter Kindernahrung

Nestlés erstes Kindernahrungsmittel auf der Basis von Milchpulver wurde 1921 unter der Marke Lactogen vertrieben, welche durch die Übernahme der australischen The Baccus March Concentrated Milk Company zum Unternehmen gestossen war. Das speziell für Kleinkinder präparierte Milchpulver, dessen Zusammensetzung der Muttermilch angenähert worden war, wurde damals auf dem Prinzip der Walzentrocknung hergestellt, welches auch zur Herstellung von Milchschokolade verwendet wurde.300 Nestlé verkaufte und bewarb Lactogen vor allem in den tropischen Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.301 In Europa dagegen wurde die australische Pulvernahrung für Kinder nicht allzu stark vermarktet, weil dies negative Vorurteile gegenüber der gezuckerten Kondensmilch hätte hervorrufen können, die damals die wichtigste ökonomische Stütze des Unternehmens war.302

Parallel dazu bot die Nestlé & Anglo-Swiss von Norwegen aus das Milchpulver Molico an, welches explizit nicht als Kindernahrung verkauft wurde, sondern zur Zubereitung von Kaffee, Tee und Kakao sowie zur Herstellung von Milchglacen empfohlen wurde.303 Anders als Nestlés bisherige Verfahren beruhte die Milchtrocknung von Molico nicht auf der Vakuum- oder Walzentrocknung, sondern auf einem Sprühtrocknungsverfahren, welches sich das Schweizer Unternehmen 1916 mit der Übernahme der Firma Egron erworben hatte.304 Mit dem Egron-Sprühtrocknungsverfahren, welches um 1910 von den beiden Norwegern Gustav Jebsen und Christian Finckenhagen entwickelt worden war, konnte im Gegensatz zu anderen Milchtrocknungsmethoden eine Verklumpung der Milchtröpfchen verhindert werden, indem der zerstäubten, noch flüssigen Milch ein Strahl von sehr heisser, komprimierter Luft entgegengesetzt wurde und die Milch somit augenblicklich trocken war.305 Das Verfahren hatte den entscheidenden Vorteil, dass die Trocknung so schnell stattfand, dass keine chemischen Reaktionen auftraten, welche den Geschmack verändert hätten. Ausserdem wurde die Trockenmilch durch die schnelle Trocknung wesentlich länger haltbar.306

1925 patentierte Nestlé deshalb neben Lactogen ein auf der Egron-Sprühtrocknung basierendes Kindermilchpulver unter der Marke Nestogen. Allerdings verhielt sich die Unternehmensführung auch bei diesem Kindernahrungsmittel sehr zögerlich bei der Einführung, weil sie Nestogen als ernsthafte Konkurrenz für die gezuckerte Kondensmilch betrachtete.307 Erst als die Nestlé & Anglo-Swiss während der Weltwirtschaftskrise ihre dominante Stellung auf dem britischen Kondensmilchmarkt verlor,308 wurde Nestogen 1930 schliesslich als neues Kindernahrungsmittel auf den Markt gebracht.309 Ebenso entschied sich Nestlé erst 1931 zur weltweiten Lancierung des sprühgetrockneten Milchpulvers Molico, um dem schleichenden Wechsel von Kondensmilch zu Milchpulver Rechnung zu tragen.310 Allerdings blieb Nestogen der sofortige Durchbruch verwehrt: Zu viele Milchpulver existierten bereits auf dem Markt. Um das Produkt von anderen abzuheben, mischte Nestlé ihm 1932 zusätzliche Kohlenhydrate in Form von Dextrin, Maltose und Saccharose bei, welche damals von Schweizer und deutschen Kinderärzten empfohlen wurden. Erst dadurch konnte sich Nestogen schliesslich durchsetzen.311

Parallel zu Molico und Nestogen beabsichtigte Louis Dapples, mit Hilfe der Egron-Sprühtrocknung weitere Produkte in Pulverform herzustellen.312 Bereits in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre versuchte Nestlé in ihren Forschungslaboren auch Milkmaid Café au lait als Pulvergetränk aufzuwerten,313 welches zusammen mit dem Kakaogetränk Nescao unter der Marke Nescafé eine neue Generation von Kaffee- und Kakaopulvergetränken bilden sollte.314 In den nächsten drei Teilkapiteln wird aufgezeigt, wie aus der Kondensmilch mit Kaffeearoma schliesslich Nescafé entwickelt und weitere Kakao- und Malzgetränke wie Nescao und Milo aus der Milch- und Kindernahrungsmittel-Industrie abgeleitet wurden.

Nescao und der Einstieg in den Bereich der Kakao- und Malzgetränke

Neben Milchpulver und Kindermehl wurden ebenfalls Kakao- und Malzgetränke als Kindernahrungsmittel propagiert. Dank van Houtens Verfahren konnte der Fettgehalt von Kakaopulver wesentlich reduziert werden, wodurch das Produkt auch von Kindern, Kranken und alten Menschen als Stärkungsmittel getrunken werden konnte.315 Auf diese Weise entwickelte sich das Kakaogetränk in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam zum nahrhaften und gesunden Frühstücksgetränk für jüngere Frauen und Kinder.316 Dabei wurde der Kakao als belebende, stärkende und erfrischende Alternative zum «entnervenden», krank und bleich machenden Kaffee oder Tee beworben.317 Ebenso entstanden bereits im 19. Jahrhundert Malzprodukte wie Mellin’s Food for Infants and Invalids oder Horlick’s Malted Milk, die als Stärkungsmittel für Kinder und Kranke galten.318

Der Übergang zwischen Kindernahrungsmittel und stärkendem Frühstücksgetränk war dabei fliessend: In Südfrankreich mischte Nestlé seiner Kindernahrung ebenfalls Kakao bei, andererseits verkaufte die Konkurrenz ähnliche Mischungen als malz- oder kakaohaltige Frühstücksgetränke.319 Dabei begannen sich die kakaohaltigen Frühstücksgetränke in den 1920er-Jahren immer mehr vom herkömmlichen Kakaopulver abzugrenzen, indem sie neben Zucker und Kakao auch Voll- oder Magermilch sowie besondere Mehle, Mineralsalze und Vitamine enthielten. Der billige Kakao wurde somit veredelt und zum stärkenden oder aufbauenden Getränk weiterentwickelt.320

Aufgrund dieser Konstellation war es naheliegend, dass Nestlé ebenfalls auf dem Gebiet der Kakao- und Malzgetränke tätig wurde. Zu Beginn der 1920er-Jahre brachte das Unternehmen in Anlehnung zu Horlicks Malzgetränk Nestlés Malted Milk auf den Markt. Die Mischung aus Milchpulver und Malzextrakten verkaufte Nestlé im ganzen Britischen Empire.321

Gleichzeitig wies in den 1920er-Jahren ein Stärkungsgetränk unter dem Namen Callmanns Phospho-Cacao, das später als Phoscao verkauft wurde, abgesehen von der Zugabe des Kakaos grosse Ähnlichkeit mit der Zusammensetzung von Nestlé’s Kindermehl auf. Phoscao war günstig, konnte einfach zubereitet werden und wurde von Ärzten als Stärkungsmittel empfohlen. Um dieser neuen Konkurrenz in Frankreich entgegenzutreten, zu der neben Phoscao auch Banania zählte,322 lancierte Nestlé ebenfalls ein Stärkungsmittel und Frühstücksgetränk für Kinder und Erwachsene:323 1930 kam mit Nescao eine einfache Mischung aus Nestlé’s Kindermehl, Kakao und Vanillezucker auf den französischen Markt.324 Zusätzlich sollte Nescao in Europa und Lateinamerika das Milchgeschäft unterstützen, indem das Kakaopulver gleichzeitig auch die Nachfrage nach Dauermilchprodukten steigerte.325

Fast gleichzeitig mit der Lancierung von Nescao erwarb sich die Lamont, Corliss & Co. 1929 ausserdem ein Kakaopulververfahren zur Herstellung von heisser Schokolade,326 mit welchem das befreundete Unternehmen 1935 eine Mischung von Kakao und Milchpulver unter der Marke Nestlé’s EverReady Cocoa auf den US-Markt brachte. Das amerikanische Kakaopulver war dabei weniger auf die gesunden Inhaltsstoffe als die sofortige Zubereitung ausgerichtet: Man brauchte dem Instantprodukt bloss noch heisses Wasser beizugeben, um ein fertiges Milchkakaogetränk zu erhalten.327

Milo und Ovomaltine teilen sich den weltweiten Malzgetränkemarkt

Zu den weltweit bedeutendsten Kakao- und Malzgetränken zählte die Ovomaltine der Firma Wander. Nachdem die Ovomaltine 1905 in der Schweiz ihre ersten Erfolge gefeiert hatte, begann das Berner Unternehmen sein neues Produkt international zu vertreiben. 1910 gründete Wander sowohl eine britische als auch eine deutsche Tochtergesellschaft und besass ab 1913 in King’s Langley (einer Stadt ausserhalb Londons) eine eigene Fabrik, von wo aus das ganze Britische Empire versorgt werden konnte.328 Nach anfänglicher Zurückhaltung gegenüber der Ovaltine,329 wie die Ovomaltine im Empire genannt wurde,330 entwickelte sich das Malzgetränk in Grossbritannien zu einem Erfolgsprodukt. Sowohl die britische als auch die deutsche Tochtergesellschaft verkauften 1914 etwa 180 000 Dosen.331

Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Ovomaltine vom diätetischen Nährmittel zum populären Frühstücksgetränk der gesundheitsbewussten bürgerlichen Oberschicht. Der Absatz verdreifachte sich innerhalb kurzer Zeit. Ausserdem zeigten erste Vitaminkontrollen, dass Wanders Malzgetränk von diesem Standpunkt her ein sehr hochwertiges Produkt war.332 Gleichzeitig erhielt Wanders Ovomaltine aber auch immer mehr Nachahmer wie Herculan in Deutschland oder Eimalzin in der Schweiz.333 Auch die Forschungslaboratorien in Vevey erhielten im August 1930 von Louis Dapples den Auftrag, neben Nescao und Nestlé’s Malted Milk ein zusätzliches Stärkungsmittel nach dem Vorbild der Ovomaltine von Wander herzustellen, wobei dieses mit dem Egron-Sprühtrocknungsverfahren hergestellt werden sollte und keinen Malzgeschmack aufweisen durfte: «I hate the malty taste of Wander’s Ovaltine, please take note»,334 soll er damals den Technikern in Vevey gesagt haben.

Zwischen Nestlé und Wander existierten seit mehreren Jahren enge Beziehungen: Als Wander 1917 in Frankreich eine Tochtergesellschaft gründete, diente Nestlé als Informationslieferant, und 1926 übernahm Wander Nestlés leerstehende Fabrik in Neuenegg.335 Des Weiteren herrschte zwischen den beiden Unternehmen die Vereinbarung, dass Nestlé bei der Firma Wander das Exklusivrecht genoss, den Kakao für die Herstellung der Ovomaltine zu liefern, während Nestlé umgekehrt kein malzhaltiges Stärkungsmittel auf den Markt bringen durfte: «[…] as long as Ovomaltine was quasi a monopoly of Wander, we considered it natural that two important Swiss firms, on friendly terms, should not launch out into direct competition with a product of the same order»,336 beschrieb Nestlé die Gründe dafür.

Deshalb verzichtete Nestlé auf die Zugabe von Eiern und experimentierte anstelle von Malz und Kakao mit anderen Geschmacksrichtungen wie Kaffee, Tee und Apfelsaft. Die Ergebnisse fielen aber vermutlich nicht sehr überzeugend aus, denn schliesslich entschieden sich die Nestlé-Forscher doch für den Malz- und Kakaogeschmack – wobei sie im Unterschied zur Ovomaltine mehr Kakao benutzten und den Malzgeschmack mit der Verwendung von gemälztem Weizenmehl dämpften. Um das Produkt von der Konkurrenz abzuheben, wurden dem Stärkungsmittel nach dem gleichen Prinzip wie bei Nestlé’s Kindermehl zusätzlich die Vitamine A und D beigegeben sowie Vitamin B1 aus der Hefe. Ausserdem mengten die Forscher Magnesiumsalze bei, weil Magnesiummangel damals in der medizinischen Forschung als Grund für zahlreiche Krankheiten betrachtet wurde.

1931 wurde das Stärkungsmittel den weltweiten Nestlé-Filialgesellschaften unter der Marke Vifex zur Verfügung gestellt. Allerdings waren nur die wenigsten Tochtergesellschaften an diesem Produkt interessiert, weil sie bereits Nescao verkauften. Einzig Australien und Südafrika zeigten sich schliesslich bereit, Vifex auf ihren Märkten einzuführen. Aufgrund der grossen Beliebtheit von Nestlé’s Malted Milk in Australien wollte die dortige Tochtergesellschaft dem neuen Produkt allerdings unbedingt einen Malzgeschmack geben.

Den ursprünglichen Gedanken von Louis Dapples ignorierend, experimentierte Thomas Mayne im entfernten australischen Smithtown an einer verbesserten Mischung für Vifex mit Milch, Malz und Kakaopulver weiter und brachte das Resultat schliesslich 1934 unter einer neuen Formel auf den australischen Markt:337 Anstelle von Weizen- wurde nun Gerstenmalz verwendet, weshalb das Pulvergetränk nicht mit dem Egron-Verfahren sprühgetrocknet, sondern vakuumgetrocknet wurde.

Nachdem Vifex in Australien und Südafrika sehr erfolgreich eingeführt worden war, benannte Nestlé das Stärkungsmittel 1936 in Anlehnung an den griechischen Helden Milon von Croton, der im 6. Jahrhundert v. Chr. sechsmal die Olympischen Spiele gewonnen haben soll,338 in Milo339 um und versuchte es ebenfalls in anderen Ländern zu verbreiten.340 Besonders in Belgien, Deutschland, Italien und Spanien hätte Nestlé gerne Milo eingeführt, da Nescao mit der damaligen Formel gegenüber Ovomaltine nicht konkurrenzfähig war.341

Gegen die Einführung von Milo in Europa und einigen Staaten in Asien und Lateinamerika erhob das befreundete Unternehmen Wander allerdings Einspruch, indem es Nestlé an die mit ihm getroffenen Vereinbarungen erinnerte. Nach mehreren Briefwechseln konnten sich die beiden Unternehmen schliesslich auf ein «Gentlemen’s Agreement» einigen: Wander erklärte sich weiterhin bereit, ihren Kakao für die Herstellung von Ovomaltine bei Nestlé zu beziehen, als Gegenleistung durfte Nestlé aber keine ähnlichen Stärkungsmittel wie Ovomaltine in Europa, Nordamerika und einigen lateinamerikanischen und asiatischen Märkten verwenden.342 Abgesehen von diesen Ländern war Nestlé aber nicht mehr bereit, auf die Einführung von Milo zu verzichten, zumal das Unternehmen dort mit dem Erscheinen von Ovaltine herbe Rückschläge auf dem Gebiet der Kakaogetränke hinnehmen musste.343

Der Vertrag zwischen Nestlé und Wander führte dazu, dass sich bei Nestlé auf dem Gebiet der Kakao- und Malzgetränke weltweit keine einheitliche Marke herausbildete: Während Nescao in Europa und Lateinamerika Verbreitung fand, wurde Milo vorwiegend in Afrika, Asien und Australien verkauft.344

Max Morgenthaler und die Erfindung des Nescafés

Parallel zur Entwicklung von Kakao- und Malzgetränken gelang es den Forschern von Nestlé Ende der 1920er-Jahre, Milkmaid Café au lait in Pulverform herzustellen. Auf eine Kommerzialisierung des Produkts wurde damals jedoch verzichtet, weil die Gewohnheiten der Milch- und Zuckerzugabe zum Kaffee von Land zu Land sehr unterschiedlich waren: Während die Briten gerne viel Zucker und Milch im Kaffee mochten, war dieser den Schweizern zu süss, und den Holländern hatte die weniger gezuckerte Schweizer Version wiederum zu wenig Milch. Aus diesem Grund kamen die Forscher auf den Gedanken, statt einer Milchkaffee-Mischung einen reinen, sprühgetrockneten Instantkaffee zu entwickeln. Bis 1929 gelang Nestlé auf diesem Gebiet allerdings kein nennenswerter Fortschritt.345

Im Herbst desselben Jahres wurde Verwaltungsratspräsident Louis Dapples von einem Vertreter seines ehemaligen Arbeitgebers – der Banque Française et Italienne pour l’Amérique du Sud – angefragt, ob Nestlé der brasilianischen Regierung nicht in irgendeiner Form helfen könnte, die beträchtlichen Kaffeereserven abzubauen.346 Nachdem sich der Kaffeeanbau in Brasilien Ende des 19. Jahrhunderts zu einem sehr rentablen Geschäft entwickelt hatte und die Kaffeeproduktion Jahr für Jahr ausgeweitet worden war, überstieg diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Nachfrage. Als monopolistisch auftretender Kaffeeanbieter versuchte Brasilien das Angebot und damit die Kaffeepreise zu stabilisieren, indem der Staat die Kaffeeüberschüsse aufkaufte. Nachdem dieses System der Kaffeevalorisierung zwischen 1907 und 1912 einen zwiespältigen Erfolg gefeiert hatte, wurde es aufgrund der sinkenden Rohstoffpreise nach dem Ersten Weltkrieg abermals eingeführt: In São Paulo hielt die Regierung in grossen Lagerhallen die überschüssigen Kaffeebestände zurück, welche über Kreditaufnahmen bei Banken finanziert wurden. Das Angebot wurde dadurch künstlich knapp gehalten und die Kaffeepreise auf hohem Niveau stabilisiert. Geblendet von den kurzfristigen Profiten verpassten es die brasilianischen Kaffeeproduzenten allerdings, Angebot und Nachfrage rechtzeitig wieder ins Lot zu bringen, indem sie die Lagerbestände wieder abbauten. Stattdessen wurden diese andauernd erweitert, bis die Lagerhallen 1929 überquollen und die Banken ihre Kredite gefährdet sahen, falls die ungeheuren Kaffeelager nicht irgendwie vermindert werden konnten.

Vor dem Hintergrund dieser Kaffee-Spekulationsblase, die am 11. Oktober 1929 schliesslich platzte und gemeinsam mit dem Einbruch der Börsenkurse in New York zwei Wochen später die Kaffeepreise ins Bodenlose fallen liess,347 schlug die Banque Française et Italienne pour l’Amérique du Sud Nestlé vor, einen in Wasser löslichen Kaffeewürfel (ähnlich wie ein Bouillonwürfel) herzustellen, der günstig war und die Kaffeezubereitung wesentlich erleichterte. Dank Nestlés weitverzweigtem Vertriebsnetz sollten die Würfel den Kaffeekonsum auch in Ländern fördern, wo dieser bisher nicht verbreitet war. Die Bank hoffte, dass der Konsum von Kaffee durch diese Massnahme um fünf bis zehn Prozent gesteigert werden und die riesigen Kaffeereserven in Brasilien in kurzer Zeit abgebaut werden könnten.

In Zusammenarbeit mit dem Institut de la Défense du Café en Europe wurde die Idee in den darauffolgenden Monaten weiter vorangetrieben. Die Nestlé & Anglo-Swiss beauftragte ihre Laboratorien in Vevey mit entsprechenden Forschungen,348 dämpfte aber gleichzeitig allzu grosse Hoffnungen der Südamerikaner bezüglich der Realisierbarkeit eines solchen Instantkaffeewürfels.349 Es zeigte sich jedoch rasch, dass ein solches Produkt mittels Extraktion und anschliessender Evaporation, wie sie damals zur Herstellung von Instantkaffee und Kondensmilch verwendet wurden, schon nach kurzer Zeit seinen typischen Geschmack verlor. Auch die nachträgliche Beigabe von fein gemahlenem Röstkaffee lieferte keine zufriedenstellenden Resultate.350 Aufgrund dieser Erkenntnisse erklärte die Nestlé & Anglo-Swiss das Kaffeeprojekt in dieser Form im April 1930 gegenüber den brasilianischen Initianten für beendet.351

Trotzdem wurde in den Laboratorien in weniger hektischen Phasen an einem löslichen Kaffee weitergeforscht. Auch die Nestlé-Führung lieferte weiterhin Impulse, das Kaffeeprojekt weiterzuverfolgen: Von einer Reise aus den Vereinigten Staaten soll Louis Dapples mit einer Dose G. Washington’s Coffee in den Forschungslaboratorien erschienen sein und die Techniker beauftragt haben, einen Instantkaffee nicht in Würfel-, sondern in Pulverform herzustellen und diesen in Dosen unter Verschluss zu halten.352

Zwar war es einfach, einen Löslichkaffee nach dem Vorbild von G. Washington’s Coffee herzustellen. Der Kaffeegeschmack konnte auf diese Weise jedoch nicht über längere Zeit konserviert werden. Eine interessante Entdeckung war in diesem Zusammenhang, dass sich das Kaffeearoma beim Milchkaffeepulver, welches in den 1920er-Jahren auf der Grundlage von Milkmaid Café au lait mit Hilfe des Egron-Verfahrens entwickelt worden war, viel länger in der Dose hielt als das reine Instantkaffeepulver.353 Deshalb nahm Nestlé zwischen 1932 und 1935 diese Spur unter der Leitung von Dr. Max Morgenthaler354 wieder auf, indem man Café au lait in Pulverform zu verbessern versuchte. Obwohl die Resultate vom Geschmack her zufriedenstellend ausfielen, wurde das Milchkaffeepulver schliesslich als marktuntauglich eingestuft, weil seine Löslichkeit zu wünschen übrig liess.355 Gleichzeitig entwickelten Nestlés Laboratorien in dieser Zeitspanne eine speziell konstruierte Extraktionsmaschine, in welcher mehrere Kaffee-Extraktionsabläufe nacheinander stattfanden. Im Unterschied zur Evaporation konnte das Trockenkonzentrat der Extrakte dadurch wesentlich erhöht werden, ohne dass die Ausbeute abnahm.356

Da Morgenthalers Forschungsarbeiten nur sehr langsam voranschritten, beauftragte Nestlé zusätzlich Professor Dutoit von der Universität Lausanne mit Parallelstudien auf diesem Gebiet. Auch ihm gelang aber kein entscheidender Durchbruch, weshalb er 1934 das Kaffeeproblem für unlösbar erklärte.357 Als ein Jahr später immer noch kein verwertbares Forschungsresultat vorlag, glaubte selbst Nestlés technischer Direktor nicht mehr an ein positives Resultat.358 Spätestens am 16. August 1935 wurde die Kaffeeforschung von Nestlé offiziell für beendet erklärt.359

Angesichts der bisherigen Fortschritte in den Laboratorien blieb Max Morgenthaler bezüglich der Herstellung eines löslichen Kaffee-Extrakts aber weiterhin optimistisch: «Was den Kaffee-Extrakt anbetrifft, so kann also gesagt werden, dass es prinzipiell möglich ist, einen konzentrierten Kaffee-Extrakt zu erhalten, der in Bezug auf Aroma und Geschmack vollwertig ist, bei gleichzeitig genügend guter Ausbeute des Kaffees»,360 zeigte er sich 1935 über den Forschungsstopp enttäuscht. Die in unzähligen Experimenten gewonnenen Erkenntnisse liessen ihn nicht mehr los. Mit selbst gekauften Kaffeebohnen verfolgte er das Problem der Geschmacks- und Aromakonservierung neben seiner Arbeit zu Hause weiter. Zudem gestand ihm Nestlé zu, in weniger hektischen Zeiten in den Nestlé-Laboratorien an den Kaffeeversuchen «à temps perdu» weiterzuarbeiten.361

Nachdem Morgenthaler bereits beim Milchkaffeepulver auf der Basis von Milkmaid Café au lait aufgefallen war, dass die für Kaffee typischen Geschmacks- und Aromastoffe im gezuckerten Milchkaffee besser erhalten blieben, als dies im ungezuckerten der Fall war, fand er anhand von Tests mit mehreren Kaffee-Extraktionsverfahren heraus, dass diese Stoffe umso besser erhalten blieben, je stärker man die Kaffeebohne extrahierte, und dass durch die stärkere Extraktion bei höheren Temperaturen mehr Kohlenhydrate im Endprodukt vorhanden waren. Diese Beobachtung erlaubte es Morgenthaler, das Problem der Geschmacks- und Aromakonservierung zu lösen: Entgegen der damals vorherrschenden Lehrmeinung erkannte er, dass der Kaffeegeschmack nicht durch die Fettbestandteile des Kaffeeöls, sondern durch die Kohlenhydrate fixiert wurde.362

Ende 1935 verfolgte Morgenthaler seine Entdeckung weiter, indem er die gesamte geröstete Kaffeebohne unter grossem Druck und hoher Temperatur extrahierte. Anstatt eines reinen Instantkaffees entstand dabei jedoch ein verkochtes Kaffeegebräu. In einem zweiten Schritt reduzierte er deshalb Temperatur und Extraktionsgrad, musste die verminderte Zahl der aus der Kaffeebohne gewonnenen Kohlenhydrate jedoch durch die Zugabe von Maltodextrin und Glukose wettmachen.363 Schliesslich fand er ein günstiges Mischverhältnis, indem er einen Drittel der Kohlenhydrate aus den Kaffeebohnen selbst gewann und zwei Drittel zusätzlich in Form von Maltodextrin und Glukose beifügte.364

Ein letztes Problem blieb jedoch noch ungelöst: Die beigefügten Kohlenhydrate durften den Geschmack nicht verfälschen. Bereits vor ihm hatten die Amerikaner Pratt & Trigg den Kaffeegeschmack mit Kohlenhydraten zu binden versucht. Allerdings wurde der Kaffeegeschmack bei diesem Verfahren durch den süssen Zuckergeschmack stark überdeckt.365 Um dies zu verhindern, verwendete Morgenthaler – vermutlich auf Anraten seines Arbeitskollegen Albert Kaehr366 – dieselben geschmacksneutralen Maltodextrin-Lösungen, die Nestlé bereits bei gewissen Kindernahrungsmitteln wie Nestogen verwendet hatte. Schliesslich wurde die Kaffeelösung analog zu Milchpulver mit dem Egron-Verfahren sprühgetrocknet. Im Frühjahr 1936 hatte Morgenthaler ein fast geruchloses Pulver entwickelt, das von seiner Haltbarkeit und der Reinheit des Kaffeegeschmacks her neue Massstäbe setzte. Sicherheitshalber wartete er aber noch mehrere Monate, bis er seine Vorgesetzten informierte. Im Herbst 1936 zeigte er schliesslich dem technischen Direktor einige Versuchsmuster. Dieser soll sich erstaunt gezeigt haben, dass Morgenthaler seine Forschungen zum Kaffee noch immer verfolgte. Nicht minder beeindruckte ihn aber die Qualität des Instantkaffees,367 denn der nach dem Verfahren von Morgenthaler hergestellte Pulverkaffee kam dem Geschmack und Aroma eines Bohnenkaffees bedeutend näher als alle bisher bekannten Instantkaffeesorten.368 Der technische Direktor hatte sofort vollstes Vertrauen in Morgenthalers Kaffeeprodukt und lud den Verwaltungsratspräsidenten Louis Dapples ebenfalls zu einer Degustation ein.369 Auch dessen Nachfolger Eduard Müller war vom neuen Produkt sofort begeistert und bezeichnete es im April 1937 als «[…] one of the nicest babies to which Mother Nestlé has given birth!».370

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