Читать книгу: «Die Schneefrau», страница 3

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In Gstaad wurden viele Chalets – der bereits erwähnten Bauvorschriften wegen – nach dem gleichen Strickmuster realisiert: Die Einstellhalle lag auch im Swoboda auf der untersten Ebene. Witali Ugromow hatte den Platz optimieren lassen, mit einer Drehplattform und einer Hebebühne ausgerüstet, sodass insgesamt 16 Autos darin Platz fanden. Zwar war nur etwas mehr als die Hälfte der Plätze belegt, aber wie: Ritter zählte beim Vorbeigehen zwei Ferrari – einer davon ein F-60 America, von dem es weltweit nur zehn Exemplare gab –, zwei Maserati, einen Rolls Royce, einen Aston Martin, einen Bugatti Veyron Super Sport – Tuning by Mansory, einem deutschen Veredler und Tuner von Luxusautos –, der allein weit über eine Million Franken wert war, und einen SUV-Porsche Macan. Auffallend: Auch ein gewöhnlicher weisser Kombi war zu sehen, wie auch alle anderen Fahrzeuge ohne Nummernschild.

«Herr Delacroixriche, wo geht es hier weiter?», fragte Georges Kellerhals. Kriminaltechnisch war ihm zwar in der Einstellhalle prima vista nichts Verdächtiges aufgefallen, er behielt sich jedoch alle Optionen offen, sollte es später einmal darum gehen, Textilfasern auf den Beifahrersitzen zu untersuchen.

«Meine Herren, bitte folgen Sie mir», sagte Delacroixriche.

Am Ende des langen Gangs drücke der Advokat auf einen Knopf, worauf sich die dort angebrachte Türe teilte, nach links und nach rechts. Die beiden Kollegen des KTD sahen sich im Lift wortlos an, denn jeder Ausdruck wie «Fahrstuhl» oder «Aufzug» wäre diesem Gefährt, diesem «Elevator» mit Klimaanlage, TV-Bildschirm, Telefon und – man höre und staune – mit kleinem und aufgefülltem Kühlschrank nicht gerecht geworden, man hätte glatt ein Weekend darin verbringen mögen.

«Wir befinden uns jetzt im ersten Untergeschoss, hier finden Sie Swimmingpool, Spa, Fitnesszentrum, Spielhalle und vier Zimmer für das Personal, zu denen ein dreissig Meter langer Korridor führt», fuhr Delacroixriche nach dem Halt fort. Während des kleinen Rundgangs unter seiner Führung sprach niemand ein Wort. Diese Räume waren von aussen nicht einsehbar, beleuchtet wurden sie durch zum Teil wahnwitzige und entsprechend teure Lichtinstallationen, aber auch mit grossen Deckenfenstern, die den Einfall von Tageslicht ermöglichten, ihrerseits als grosse Halbkugeln aus Kunststoff in die oberirdische Gartenanlage integriert. Vom Schnee befreit gaben diese Kuppeln in dieser Jahreszeit dem verschneiten Garten ein nahezu ausserirdisches Aussehen.

«Möchten die Herrschaften die Treppe ins Erdgeschoss benutzen oder nochmals den ‹Ascenseur›?»

«Einige Schritte zu Fuss werden uns bestimmt gut tun …», meinte Eugen Binggeli. Und auch die geschwungene Treppe ins Erdgeschoss hatte es in sich, sie war bestimmt vier Meter breit und aus Edelholz gefertigt. Oben angelangt, eröffnete sich den Herren ein atemberaubendes zweistöckiges Interieur.

«Wow!», entfuhr es Joseph Ritter, der in Sachen Kunst und Architektur durchaus bewandert war.

«Die weltbekannte, dieses Jahr leider verstorbene Architektin Zaha Hadid hat das Chalet realisiert, Herr Ugromow liess ihr dabei freie Hand, nun ja, bis auf die Aussenfassaden. Sie wissen schon, die Bauvorschriften …»

Ritters «Wow!» bezog sich allerdings nicht bloss auf die Architektur, sondern auch auf die Gemälde, die an den Wänden hingen.

«Kandinsky, von Jawlensky, Matisse, Corinth, Kokoschka, Kollwitz, Schönberg, Weill und andere, alle schön beieinander, Kirchner, Nolde, Dix, unglaublich, ich bin sprachlos …»

«Sie interessieren sich für Impressionisten und Vertreter entarteter Kunst?», fragte Delacroixriche, wobei sein anfänglich schroffer Ton in eine Art Bewunderung gleitete.

«Ja, schon, und ich finde, Zaha Hadid war eine geniale Architektin, ihr Dubai Opera House ist unbeschreiblich», sagte Ritter und dachte: ‹Kein Wunder, kratzen viele dieser Villen an der 40-Millionen- Franken-Grenze, Autos und Kunst nicht einmal eingerechnet.›

Die beiden Herren des KTD holten Ritter auf den harten Boden der Realität zurück.

«Herr Delacroixriche, ich würde mich jetzt gerne in den Arbeitsräumen von Herrn Ugromow umsehen, mein Kollege Binggeli in den übrigen Räumen hier im Erdgeschoss», sagte Kellerhals.

«Laut Durchsuchungsbeschluss muss ich Sie gewähren lassen, aber das Unverständnis meines Mandanten – und auch meines – ist total. Was soll das alles?» Joseph Ritter antwortete mit einer Gegenfrage: «Herr Delacroixriche, wenn in der Gartenanlage einer Villa in Moskau eine Leiche gefunden wird, kommt der Besitzer für die Tat automatisch nicht in Frage?»

«Doch, natürlich schon.»

«Da sind wir ja einer Meinung. Und deshalb werden wir uns sofort an die Arbeit machen, damit Herr Ugromow unter Umständen so schnell als möglich entlastet werden kann, das ist doch gewiss auch in Ihrem Sinn, nicht wahr?»

Dem konnte Maître Delacroixriche vollumfänglich zustimmen.

Gegen Mittag meldete sich Eugen Binggeli mit einer ersten Zwischenbilanz. «Nichts Tatverdächtiges, aber eines möchte ich dir dennoch zeigen, J. R.»

Zum Erstaunen des Advokaten hatten es Binggeli und Kellerhals geschafft, den vorhandenen PC zu starten, sich einzuloggen und ins Programm zu gelangen. «Woher kennen Sie das Passwort von Herrn Ugromow?», wollte Delacroixriche wissen.

Binggeli grinste breit.

«Mit ‹Valeria› hatte ich keinen Erfolg, umso mehr mit ‹Swoboda›, Herr Ugromow hatte hier wenig Fantasie …»

Die nächste Frage lag auf der Hand.

«Herr Delacroixriche, sagen Sie, kennt Herr Ugromow Valeria Morosowa?», wandte sich Binggeli an den Anwalt.

Dieser zuckte mit den Achseln. Man müsse seinen Mandanten schon selber fragen, meinte er ziemlich schroff. Er selber habe keine Ahnung, wer diese Frau sei, habe ihren Namen noch nie gehört.

«Fotos der Vermissten oder Mailverkehr mit ihr haben wir auf Anhieb nicht gefunden, wohl aber Fotos einer Unbekannten. Mehrere Aufnahmen zeigen sie vor dem Eisentor, beim Fotografieren des Anwesens. Keine Ahnung, wer sie ist und weshalb sie sich für das Chalet interessiert.»

Die Anwesenden betrachteten vier, fünf Aufnahmen, ganz offensichtlich von einer Überwachungskamera aufgenommen, am Montag, 27. Januar zwischen 11.30 und 11.32 Uhr. Zu sehen war eine Frau um die 30. Ihre Haare wurden durch eine Wollmütze verdeckt. Weil die Aufnahmen schwarz-weiss waren, konnte man die Farben ihrer Kleidung nicht erkennen. Starker Schneefall an diesem Tag verhinderte zudem klarere Konturen, die professionelle Nikon-Kamera liess immerhin darauf schliessen, dass die Unbekannte nicht bloss Ferienfotos geknipst hatte. Merkwürdig war einzig, dass sie dabei Handschuhe trug. Eugen Binggeli – die Kollegen sprachen seinen Vornamen amerikanisch aus, «Iutschiin», weil es originell tönte –, ein Informatik-Ass, setzte gleich den Drucker in Betrieb.

«Sicher ist sicher, man weiss ja nie.»

Die oberflächliche Hausdurchsuchung dauerte etwas mehr als zwei Stunden. Die Beamten entdeckten dabei nichts Verdächtiges, sodass sie sich mit dieser ersten Besichtigung begnügten. Den PC liessen sie vorderhand vor Ort, um eine unnötige Provokation zu vermeiden. Während der ganzen Aktion ärgerte sich Delacroixriche darüber, dass die KTD-Leute fotografierten, er musste seinen Protest aber bei Worten bewenden lassen.

«Herr Delacroixriche, ich denke wir können die Sache für den Moment auf sich beruhen lassen und weitere Entscheide der Staatsanwaltschaft überlassen», sagte Ritter. «Immerhin wüsste ich gerne, wer die Frau auf den Fotos ist und weshalb die Aufnahmen gespeichert wurden.»

Überraschend zog Delacroixriche sein Handy aus der Tasche, wählte eine Kurznummer und wartete auf die Verbindung. Nach nur einigen Worten war klar: Er sprach mit Witali Ugromow – in russischer Sprache. Binggeli, Kellerhals und Ritter waren baff.

Das Gespräch verlief anfänglich ruhig, plötzlich war allerdings ein erzürnter Ugromow zu hören, quer durch das halbe Haus – im wahrsten Sinne des Wortes. Delacroixriche, der das Handy nun in einiger Distanz zum Ohr hielt, liess sich nicht beirren und sprach in gemässigter Lautstärke sachlich weiter. Nach ungefähr zwei Minuten war von beiden Seiten «Do swidanja» zu hören. Während des Gesprächs erhielt auch Joseph Ritter einen Anruf, er sprach aber nichts, hörte nur zu und verabschiedete sich nach einigen Augenblicken mit «Danke, Regula.»

«Herr Ugromow ist sehr, sehr ungehalten darüber, dass Sie seinen PC gehackt haben.»

«Entschuldigung, Herr Delacroixriche», sagte Binggeli und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum der Anwalt keinen kürzeren und einfacheren Namen haben konnte, «wir haben nicht gehackt, wir sind mit dem Passwort hineingekommen, im zweiten Anlauf.»

«Das sind nach Ansicht meines Mandanten – es entspricht auch meiner Meinung – Wortverdrehungen, die nichts zur Sache tun. Herr Ugromow behält sich rechtliche Schritte gegen Sie vor. Als Schweizer und Kenner unserer Gesetze werde ich ihm jedoch davon abraten.»

Plötzlich gab Delacroixriche Erklärungen zu den Fotos der Unbekannten ab. Binggeli, Kellerhals und Ritter waren erneut überrascht. Offenbar hatte der Sekretär von Witali Ugromow die Frau beobachtet, weshalb Ugromow die Videoüberwachung checken und einige Fotos abspeichern liess. Weiter, sagte der Anwalt, gebe es über die Frau nichts zu sagen, niemand wisse, wer sie sei und weshalb sie vor dem Haus fotografiert habe.

«Vielleicht hat ihr ja ganz einfach das Chalet gefallen», meinte Ritter und fuhr fort: «Können Sie uns sagen, wann Herr Ugromow in die Schweiz ein- respektive wieder ausgereist ist – und in wessen Begleitung er war?»

«Das weiss ich auswendig. Er ist am Samstag, 25. Januar, mit seinem Privatjet und seinem Staff in Genf gelandet – ich selber habe ihn dort getroffen – und dann mit Heli-Alps nach Gstaad weitergeflogen.»

«Mit Heli-Alps?», wunderte sich Kellerhals, «die haben ihre Basis doch in Sion …» «Das ist mir bekannt, Herr Kellerhans.»

«Kellerhals.»

«Pardon, Herr Kellerhals. Herr Ugromow nimmt immer die Dienste von Heli-Alps in Anspruch, er kennt dort einen der Piloten und vertraut ihm. Er wurde am Montag, dritten Februar, auch wieder von Francis Sermier, dem Präsidenten des Verwaltungsrats von Heli-Alps, in Gstaad abgeholt und nach Cointrin geflogen. Von dort aus ist er via Paris, wo er kurz geschäftlich zu tun hatte, nach Moskau weitergereist. Herr Ugromow fliegt seinen Jet selber.»

«Und weshalb fliegt er nicht direkt zum Flugplatz Saanen?»

«Die Piste in Saanen ist für den Jet von Herrn Ugromow zu kurz.»

Erneutes Staunen, zum dritten Mal.

«Ugromow war in Begleitung seines Chauffeurs, seines Kochs und seine Sekretärs. Die drei Herren ihrerseits sind erst gestern Sonntag, 16. Februar, direkt von Zürich aus nach Moskau geflogen, mit Aeroflot. Zuvor hatten sie in der Schweiz und in Frankreich für Herrn Ugromow einige Aufträge zu erledigen.»

Maître Delacroixriche vergass dabei erstaunlicherweise Oxana Iwanowa zu erwähnen, die persönliche Assistentin von Herrn Ugromow, denn Regula Wälchli hatte kurz zuvor in ihrem Gespräch mit dem Chef erwähnt, dass Nachbarn übereinstimmend von vier Herren und einer Frau als Aufenthalter im Chalet «Swoboda» berichtet hatten. Einer der Nachbarn wusste sogar ihren Namen.

Einige Minuten später, als alle wieder vor dem Chalet standen, rief Joseph Ritter «Ritschi» Müller an mit der Bitte, die Alarmanlage wieder «scharf» zu stellen und das Chalet weiter bewachen zu lassen. Die Strassensperrung würde die Polizei am Abend aufheben, nach dem zu erwartenden Ansturm der Fotografen am Nachmittag. Von weitem schon sah Ritter den Journalisten des Anzeigers von Saanen wie ein Tiger im Käfig umherlaufen. Irgendwie hatte er Erbarmen mit ihm, sodass er auf ihn zuging.

«Ich rate Ihnen, an der Medieninformation um zwei Uhr teilzunehmen, dort erfahren Sie alle bisher bekannten Fakten.»

«Das geht nicht, um zwei Uhr muss ich abliefern, wir gehen um drei Uhr in Druck. Darf ich Ihnen deshalb einige Fragen stellen, die ich in Interviewform abdrucken werde?»

Ritter stimmte zu. Die Fragen waren sehr allgemein gehalten, ebenso deshalb die Antworten. Fünf Minuten später liess sich Ritter von Georges Kellerhals zum Polizeiposten zurückfahren.

Maître Delacroixriche verabschiedete sich dort von den übrigen Herren und fuhr in seinem Aston Martin mit monegassischem Kennzeichen vom Feuerwehr- und Polizei-Areal weg.

«Der Mann ist eine Wundertüte», wunderte sich Ritter mit hochgezogener rechter Augenbraue.

«Wieso bezeichnest du ihn eigentlich als Maître? Er ist doch kein Lehrer …», wollte Binggeli wissen.

«Mon cher Bainschöli, in der Grande Nation werden Advokaten so angesprochen, diese Ehre wollte ich ihm erweisen, vielleicht wurde er deshalb zum Schluss geradezu handzahm», antwortete Ritter lachend.

«Oho! Grosses Kino in Sachen Polizeipsychologie. Chapeau, Maître Ritter!»

Im ersten Stock hatten Gabriela Künzi und Ursula Meister bereits alles für die Medieninformation vorbereitet. Ritter liess sich telefonisch von den drei Befragungsteams aufdatieren, ebenso von Robert Käser. Ritter, Künzi und Meister sprachen sich für den Anlass im grossen Sitzungszimmer ab. Ritter freute sich einmal mehr über die Professionalität der beiden Medienverantwortlichen, an alles hatten sie gedacht, sodass man eine halbe Stunde vor Beginn der Konferenz ruhig der kommenden Dinge harren konnte.

Ritter hatte es sich angewöhnt, Sitzungen auf die Sekunde genau zu beginnen, aus Respekt vor jenen, die pünktlich eintrafen. Die Nachzügler indessen bekamen auf dem Weg zu ihrem Platz «Ich danke übrigens allen, die pünktlich erscheinen konnten», zu hören, vielfach belächelt von den bereits Anwesenden. Das war auch heute nicht anders. Der Reporter einer Gratiszeitung fühlte sich besonders schlau und wollte vor der Medieninformation schnell noch ein paar Bilder des Fundorts machen, wo er 50 Meter davor jedoch auf einen über zwei Meter grossen Vertreter von Gstaad Watch traf.


Der Schneemann auf dem Grundstück des Chalets Swoboda von Witali Ugromow: Nicht bloss die warmen Temperaturen, auch die Arbeit der Kriminaltechniker hatten dem Schneemann arg zugesetzt.

Joseph Ritter setzte die ungefähr 20 Medienvertretenden über die bisherigen Erkenntnisse ins Bild und diese waren, ehrlich gesagt, nicht gerade ergiebig, zumindest nicht aus Sicht der Journalisten, die es aber – so war anschliessend jedenfalls verschiedentlich zu hören – schätzten, dass die Polizei sofort und offen informierte. Die anschliessende Diskussionsrunde – in Zusammenarbeit mit Gabriela Künzi – erwies sich wie erwartet als viel interessanter, wobei sich die beiden Polizeivertreter nie mit dem Rücken zur Wand zurückdrängen liessen. Wie an gewissen Medienkonferenzen üblich, meldeten sich auch in Gstaad die Journalisten vor ihren Fragen mit Namen und Medium, damit vor allem Joseph Ritter wusste, mit wem er es zu tun hatte. Es galt auch hier und heute: Die Journalisten stellten hier nur Fragen, über deren Antworten die anwesenden Berufskollegen keine Exklusivitäten ableiten konnten. Andere Fragen behielten sie für sich, für anschliessende Gespräche mit der Polizei, unter vier Augen.

«Peter Göller, Blick. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der verschwundenen Valeria Morosowa und der aufgefunden Toten?»

«Das lässt sich im Moment nicht sagen.»

«Und weshalb nicht?», hakte Göller nach.

«Die Tote wurde in einem grossen Schneemann gefunden, sie wurde dort hineingelegt.»

«Entsorgt?»

«Ich habe ‹hineingelegt› gesagt, Herr Göller. Der Schneemann war weit über zwei Meter hoch und bestand aus übereinandergestapelten Kugeln. Der Körper der Toten war gefroren, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen, müssen wir ihn zuerst auftauen lassen. Das geschieht im Institut für Rechtsmedizin in Bern, ohne Hilfsgeräte. Das Signalement, das die Kolleginnen der Medienstelle heute Morgen gemacht haben, muss ausreichen, für den Moment. Am Mittwoch wissen wir vermutlich mehr.»

«Max Gerber von Radio BeO. Weiss man, wann der Schneemann gebaut wurde?» «Nach unseren bisherigen Erkenntnissen Ende Januar, sicher vor dem ersten Februar. Zwei Angestellte von Herrn Ugromow haben ihn gebaut.»

«Brigitta Dömötör von 20 Minuten. Wurde Herr Ugromow bereits befragt?» «Herr Ugromow ist zurzeit landesabwesend, wir hatten heute Morgen Kontakt mit seinem Anwalt, der mit Spezialisten vom KTD der Kantonspolizei Bern und mit mir die Räumlichkeiten des Chalets besucht hat.»

«Roman Imobersteg vom Berner Oberländer. Wird Ugromow der Tat beschuldigt?»

«Moment, Herr Imobersteg, immer der Reihe nach. Als Besitzer des Chalets sind seine Aussagen natürlich von Interesse für uns. Nach unserer Begehung heute Morgen ist Herr Ugromow nicht dringend tatverdächtig und schon gar kein Beschuldigter.»

«Worauf stützen sich Ihre Erkenntnisse?»

«Sie werden sicher verstehen, dass ich Ihnen aus ermittlungstaktischen Gründen dazu nichts sagen kann.»

«Ja, Herr Göller?»

«Sie haben meine Frage von vorhin nicht beantwortet. Besteht die Möglichkeit, dass es sich bei der Toten um die vermisste Valeria Morosowa handelt?»

«Herr Göller, am Mittwoch. Bitte.»

«Kathrin Zgraggen von der Schweizerischen Depeschenagentur sda. Herr Ugromow gehört laut Forbes zu den dreissig reichsten Männer der Welt. Darf er auf eine spezielle Behandlung hoffen?»

«Ich verstehe Ihre Frage nicht.»

«Wird man ihn mit besonderer Rücksicht behandeln, immerhin heisst es von Herrn Ugromow, dass er mit Wladimir Putin befreundet ist.»

«Frau Zgraggen, sowohl Herrn Ugromow als auch der Schweizer Justiz stehen viele Rechtsmittel zur Verfügung. Innerhalb dieser Rechtsprechung werden wir uns bewegen, wie wir das übrigens immer tun. Habe ich Ihre Frage somit beantworten können?»

«Ja, danke», antwortete sie mit einem leicht süffisanten Schmunzeln und nickte.

«Hat sonst jemand noch eine Frage?»

«Urs Meyer von Schweiz aktuell, Fernsehen SRF. Wann genau während seines letzten Aufenthaltes war Herr Ugromow in Gstaad? Und: War er allein?» Joseph Ritter sprach nannte das Datum und sprach lediglich von drei Mitarbeitenden, die später nachgeflogen seien.

«Dann kommen ja auch die Angestellten für den Mord in Frage!», gab sich Göller entzückt.

«Dafür müssen Sie das Orakel von Delphi befragen, Herr Göller.»

Unter allgemeinem Schmunzeln ging die Medienkonferenz zu Ende, Ritter bedankte sich auch im Namen seiner beiden Kolleginnen für das Interesse. Gabriela Künzi und er stünden weiterhin zur Verfügung, Ursula Meister, inzwischen am Oberbort, ebenso, allerdings sei die Zufahrt zum Chalet Swoboda gesperrt und vom Schneemann wegen der hohen Temperaturen nicht mehr viel zu sehen.

Punkt 17 Uhr – die Staatsanwältin war kurz zuvor eingetroffen – begann der Tagesrapport, damit alle Teilnehmendem den gleichen Wissensstand hatten. Im Anschluss daran wurde der nächste Arbeitstag besprochen, also der Dienstag, 18. Februar. Die Befragungen der Nachbarn hatten ein einheitliches Bild der zweiten Februarhälfte ergeben. Im und um das Chalet Swoboda wurden verschiedene Personen gesehen, meistens Männer, einmal auch eine Frau, ab und zu fuhr ein Wagen aus der Einstellhalle, der Schneemann fiel allen auf.

«Wir können also von der bisher bekannten Voraussetzung ausgehen, was Wetter und Schneemann betrifft», sagte Ritter.

«Etwas Lustiges muss ich euch schon noch schnell erzählen», meldete sich Regula Wälchli.

Sie berichtete davon, dass Monika Grünig und sie bei ihren Befragungen unter anderem von einem echten Gentleman empfangen wurden, «nachdem wir ihm unsere Ausweise in die Überwachungskamera gehalten haben.» Beide Frauen seien gehörig erschrocken, als der Mann die Türe des Chalets geöffnet und sie begrüsst habe: Ein weltbekannter Schauspieler, zu Besuch bei Freunden, weil er selber inzwischen sein Chalet in Gstaad verkauft hatte und heute an einem anderen Ort lebte.

«Er war sehr offen, hat unsere Fragen alle beantwortet, sofern dies möglich war. Sogar den Namen von Oxana Iwanowa wusste er, aber nicht, wie die Herren hiessen. Dann hat er gefragt, ob wir etwas trinken möchten. ‹Einen Wodka-Martini›, sagte ich, ‹geschüttelt, nicht gerührt.› Ihr hättet seinen Blick sehen sollen!»

«Ehrlich, er wollte Regula wirklich diesen Cocktail mixen», funkte Monika Grünig freudig dazwischen, «ich habe den Mann aber darauf hingewiesen, dass wir während des Dienstes keinen Alkohol trinken dürfen, weshalb es nur einen fast banalen Earl Grey Tea gab. So oder so. Das war ein wirkliches Erlebnis!»

Eugen Binggeli und Georges Kellerhals liessen ihren Aufenthalt im Chalet Swoboda Revue passieren, in allen Einzelheiten, weil man ja nie wusste, ob einem mit vernetztem Denken nicht noch jemandem etwas ein- oder auffallen würde. Sie reichten die Bilder der unbekannten Frau herum, ohne weitere Anhaltspunkte. Christine Horat hörte aufmerksam zu, in der Hoffnung, dass keiner der Beamten im Haus von Witali Ugromow einen Fauxpas begangen hatte, den der Russe via Anwalt umgehend als Beschwerde im Sinne eines Verfahrensfehlers hätte einreichen können. Dies schien nicht der Fall zu sein.

«Was genau hat es mit den Mitarbeitenden auf sich?»

«Das wissen wir noch nicht», antwortete Binggeli, «wir haben intensiv fotografiert und auch Fingerabdrücke genommen, diese gilt es zuerst auszuwerten.» «Den PC haben Sie hoffentlich nicht mitgenommen …?», erkundigte sich die Staatsanwältin besorgt.

«Nein, haben wir nicht. Kollega Binggeli ist ein echter Computerfreak, er hat nichts Verdächtiges gefunden ausser den Fotos dieser unbekannten Frau.»

«J. R., Monika und ich haben nach unseren Befragungen – einige der Nachbarn waren nicht da, vielleicht am Skifahren, haben jedenfalls nicht auf unser Läuten reagiert – das eine oder andere erkundet. Und eine Überraschung erlebt», sagte Regula Wälchli.

Sie rief den Kolleginnen und Kollegen in Erinnerung, dass Matthias Kaufmann laut Protokoll ausgesagt hatte, Valeria Morosowa letztmals am Morgen des 5. Februar gesprochen zu haben, als sie im Charly’s sass.

«Das ist aber nicht möglich, denn der Laden hatte an diesem Tag geschlossen, wegen eines Wasserschadens in der Nacht vom vierten auf den fünften Februar, er war erst am sechsten Februar wieder zugänglich.»

Staunen allenthalben. Wieso also diese Aussage von Kaufmann? Absicht? Eine Verwechslung? Konnte man überhaupt nach so kurzer Zeit die beiden Daten oder Lokalitäten verwechseln?

«Das ist ja interessant, nicht zuletzt deshalb, weil das Handy nach dem vierten Februar nicht mehr benutzt wurde.»

«Ja, J. R., ich werde meine früheren Kontakte aktivieren, man weiss ja nie.» «Siehst du, genau deshalb wollte ich dich hier oben haben.»

Die bisherigen Erkenntnisse liessen den Fall an der Oberfläche, nicht zuletzt deshalb, weil die Tote noch nicht identifiziert werden konnte. Mitten in diese eher flauen Aussagen liess Robert Käser eine eigentliche Bombe platzen.

«Die Kreditkarte von Valeria Morosowa wurde vorgestern in Zermatt benutzt, jedenfalls hat man wenigstens versucht, damit zu bezahlen.»

Auf einmal waren alle hellhörig. Käser berichtete davon, dass ein Paar im Restaurant Clovis nach einem gediegenen Nachtessen mit der Karte bezahlen wollte, was aber nicht möglich war, aus welchen Gründen auch immer. Der Mann habe deshalb dem Kellner anschliessend seine Karte zur Zahlung überreicht.

«Woher weisst du das, Röbu?»

«J. R., irgendwie kam das dem Geschäftsführer komisch vor, auch wegen des Namens Valeria Morosowa, er glaubte, ihn schon einmal gehört zu haben. Also hat er den Namen gegoogelt, aber erst heute Morgen.»

«Hast du gefragt, ob …»

«Nur nicht so hastig … Erstens einmal stimmt das Signalement der Frau in keiner Art und Weise mit jenem unserer Vermissten überein. Und bevor du mich wieder unterbrichst: Der Karteninhaber ist ein gewisser Vytautas Petraitis, wohnhaft in Kaunas, Litauen.»

«Wunderbar, grossartig! Also, auf die Suche nach diesem Herrn Petrautas oder wie er auch immer heisst!»

«Das wird wohl nicht so einfach, leider. Ich habe bereits bei der Kreditkarten-Vertretung in der Schweiz nachgefragt, eigentlich gilt diese Karte als gesperrt, weil als gestohlen gemeldet. Eine komische Sache. Aber einen Trumpf haben wir vielleicht noch: Das Paar wurde von einer Videokamera vor dem Restaurant erfasst, leider scheint sie jedoch nicht besonders aussagekräftig, der Geschäftsführer wird uns morgen eine Foto übermitteln.»

Die noch kurz zuvor herrschende Euphorie wurde damit wieder arg gedämpft. In diesem Moment vibrierte das Handy von Joseph Ritter. Derweil Käser weitersprach, schaute Ritter diskret auf das Display. «IRM» stand da zu lesen.

«Sorry, Röbu, wenn ich dich unterbreche, aber offenbar ruft Veronika an.» Ritter meldete sich. Es war tatsächlich die Rechtsmedizinerin. Er bat Veronika Schuler das Handy auf «Lautsprecher» stellen zu dürfen, damit alle Anwesenden mithören konnten.

«Guten Abend nach Gstaad. Wir haben erste Erkenntnisse zur Schneefrau, da die Extremitäten der Toten aufgetaut sind. Zudem ist das Gesicht teilweise zu sehen. Eine DNA-Analyse liegt auch vor. Wir wissen zwar noch immer nicht, wer die Frau ist, eines steht aber fest: Es ist nicht Valeria Morosowa.»

«Wie hast du das so schnell herausfinden können?»

«Vielleicht wissen das nicht alle Anwesenden, deshalb erkläre ich es kurz. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es in der Schweiz eine DNA-Datenbank, diese ist international vernetzt. Unsere Tote ist dort nicht registriert, wohl aber Valeria Morosowa, aus welchen Gründen immer. Somit kann ausgeschlossen werden, dass sie die Tote ist.» «Veronika, hast du vielleicht schon andere Ansatzpunkte, die uns bei unseren Ermittlungen helfen könnten?»

«J. R., ich fürchte nicht, dazu sehen wir noch zu wenig. Es wird dich ja kaum interessieren, dass die Schneefrau keine Ringe an den Fingern trägt. Mehr morgen Nachmittag, dann sollten wir so weit sein. Und nur unter uns, für den Moment: Ich schätze sie zwischen fünfundzwanzig bis fünfunddreissig Jahre alt.»

Gabriela Künzi und Ursula Meister von der Medienstelle der Kapo schauten sich nur kurz an, wussten nach gegenseitigem Kopfnicken, was das bedeutete: eine knappe und sofortige Pressemitteilung als Ergänzung zur Medieninformation, vor allem für die Printmedien, aber auch für die elektronischen Medien, obwohl es für die Abendnachrichten um 18 Uhr knapp würde, sehr knapp.

Es herrschte Stille im Raum. Plötzlich hatten sich einer der beiden Knoten gelöst, bei der Toten handelte es sich nicht um Frau Morosowa. Um wen aber sonst? Und was war mit der Vermissten, wie und unter welchen Umständen kam ihre Kreditkarte nach Zermatt?

«Ich muss über die Situation nachdenken, möchte im Moment noch keinen Tagesbefehl für morgen festlegen. Ich schlage vor, dass wir uns wieder um neun Uhr hier treffen, Frau Staatsanwältin natürlich ausgenommen, wenn Ihnen das recht ist.»

«Danke, Herr Ritter, ja, das passt für mich, halten Sie mich einfach auf dem Laufenden. Für heute habe ich genug von Ugromow und Delacroixriche und Swoboda und Morosowa.»

«Regula, kannst du dich erkundigen, ob im Alpeblick noch ein zusätzliches Doppelzimmer frei ist bis Freitag?»

«J. R., ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen …»

«Ich gehe davon aus, dass wir ab morgen volles Programm haben, weshalb ich Elias und Stephan hier haben will. Ich biete sie für sieben Uhr auf. Und ich denke, dass uns dafür zwei Einzelzimmer und ein Doppelzimmer genügen», sagte er und lachte herzlich. «Komm, lass uns beide zum Apéro gehen, du kannst mir beim einen oder anderen Gedankengang sicher auf die Sprünge helfen.»

Auf dem Fussweg ins Sporthotel Victoria – inzwischen zeigte die Uhr einer Bijouterie an der Promenade 18.13 Uhr –, wo man am späteren Nachmittag jeweils das eine oder andere an Klatsch und Tratsch vom Stammtisch aufschnappen konnte, rief Regula Wälchli Maria Schneeberger im Alpeblick an, die ihr das zusätzliche Doppelzimmer für sie selbst und für Elias Brunner sofort bestätigte. Kurz darauf sass Joseph Ritter mit seiner Mitarbeiterin allein an der Bar des Victoria, zwei Minuten später stand ein Dreier Malvoisie auf der Theke. Ritter und Wälchli prosteten sich zu: «Auf gutes Gelingen.» Regula Wälchli berichtete, dass die Schneefrau Tagesgespräch in Gstaad sei, nicht bloss bei den Einheimischen, das habe sie während ihrer Befragungen gemerkt. Sie habe auch viele Bekannte getroffen, die wussten, weshalb sie in Gstaad sei. Kein Wunder, hörte die mit «Janine» angeschriebene Barmaid mit gespitzten Ohren zu, allerdings derart unbedarft, dass Ritter und Wälchli augenblicklich leise sprachen.

«J. R., mir ist dabei aufgefallen, dass Witali Ugromow nicht unbedingt die Beliebtheitsskala der Top-Hundert in Gstaad anführt.»

«Hast du eine Ahnung, weshalb dem so ist?»

«Nun gut, wenn wir von den üblichen Vorurteilen ausgehen, mag der russische Milliardär eine Rolle spielen, Oligarchen werden hierzulande ja argwöhnisch zur Kenntnis genommen. Aber angeblich lässt Ugromow die Leute hier in den Geschäften und Betrieben spüren, wer König und wer seiner Meinung nach Untertan ist. Das Rollenspiel beherrscht er anscheinend perfekt. Und die Einheimischen machen halt gute Miene zum bösen Spiel. Als ‹Chotzbrocke› hat ihn jemand bezeichnet.»

«Geld regiert die Welt. Schliesslich kommt es bei gewissen Leuten in gewissen Kreisen im Leben nur auf drei Sachen an.»

«Nun bin ich aber gespannt …», sagte die hübsche Gstaaderin, die ihre langen hellbraunen Haare nun offen trug, neugierig.

«Geld. Macht. Sex. Reihenfolge zufällig und beliebig. Ugromow hatte ja offenbar auch eine Dame an seiner Seite, diese Oxana Iwanowa.»

«Ist Ugromow eigentlich verheiratet?»

«Delacroixriche sagte etwas von geschieden, mehr war aber nicht zu erfahren.»

Das nächste Thema galt den Kunstwerken im Chalet Swoboda. Ritter sprach begeistert von den Werken an den Wänden, alles Originale von bekannten Kunstschaffenden. In den Räumen des Erd- und Obergeschosses – mit unglaublichen architektonischen Finessen verbunden – waren ausserdem Plastiken von Henry Moore und Auguste Rodin zu sehen. Delacroixriche hatte am Morgen in seiner Freude über die kulturellen Kenntnisse von Ritter beinahe beiläufig erwähnt, dass «Herr Ugromow noch weitere Kostbarkeiten besitzt, die allerdings in einem Tresor lagern und nur bei speziellen Gelegenheiten im kleinen Kreis gezeigt werden». Ritter staunte vor allem über die vielen Bilder entarteter Kunst, wurden die meisten dieser Werke unter den Nazis bekanntlich vernichtet respektive konfisziert und galten vielfach als verschwunden.

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