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4. KAPITEL
Spitaleintritt

Ich wache bei meinen Eltern zu Hause auf und merke, wie sich gleich alles in mir zusammenzieht. In wenigen Stunden muss ich im Spital sein. Ich bin nervös, aber ich versuche positiv zu denken. Es wird alles gut. Augen zu und durch. Ich schaffe das!

Ich stehe auf und beginne mich für den Tag fertig zu machen. Ich bin völlig in mich gekehrt und grenze mich extrem ab. Nichts und niemand kommt wirklich an mich heran. Ich bin angespannt, verunsichert. Auch wenn ich mich zwinge positiv zu denken oder etwas lockerer zu sein, will sich die Anspannung nicht lösen.

Es gibt Momente, in denen ich lache, etwas auftaue. Im nächsten Augenblick aber bin ich schon wieder völlig zugeknöpft und hänge meinen Gedanken nach.

Auch Mam, Pap, meine Schwester und mein Freund Sacha scheinen innerlich Achterbahn zu fahren mit ihren Emotionen.

Ich habe das Gefühl permanent beobachtet zu werden, so als wären die Antennen alle auf mich gerichtet. Was macht sie gerade, was sagt sie, in welchem Ton sagt sie etwas, lacht sie oder ist sie traurig?

Ich packe alles zusammen, was ich in den nächsten Tagen brauche und fühle mich dabei wie eine Maschine. Ich mache einfach. Meine Bewegungen sind mechanisch. Ich habe das Bedürfnis alles in die Länge zu ziehen. Den Abschied hinauszuzögern. Ich bin total schlecht im Loslassen. Und dieser Abschied fühlt sich wie ein Loslassen an. Es graut mir regelrecht davor.

Alles ist bereit zur Abfahrt. Mein Kloss im Hals wird grösser. Vor dem Moment habe ich mich immer gefürchtet. Meinen Leuten tschüss sagen zu müssen. Ist es ein Abschied für immer? Werde ich sie nochmal sehen? Verdammt, schon wieder schießen mir solche negativen Gedanken durch den Kopf! Jetzt reiße dich mal zusammen! Es ist echt nervig. Ich will nicht negativ denken!

Ich umarme jeden einzelnen lange und versuche sie noch mal ganz nah zu spüren. In erster Linie nehme ich aber vor allem meinen Eigenschutz wahr. Der scheint im Moment wirklich mein ständiger Begleiter zu sein.

Auch das Thema Abschied ist in meinem Leben gerade sehr präsent. Habe ich früher kurz umarmt, einen Kuss gegeben oder einfach tschüss gesagt um dann davonzuspazieren, bekommt der Abschied jetzt viel mehr Gewicht. Ich habe das Gefühl, ich bin mich nur noch am Verabschieden. Von Menschen, Situationen, Erlebnissen, meinem vergangenen Leben. Und immer schwingen die Emotion und der Gedanke mit: War das jetzt das letzte Mal?

Das macht mich traurig, schwer und es nervt gewaltig!

Es ist für mich ein extrem schlimmes Gefühl, mich von meinen Eltern und der Schwester zu verabschieden mit der Frage im Kopf: „Sehe ich sie nochmal?“

Für mich war und ist es furchtbar daran zu denken liebe Menschen zu verlieren und nie mehr wiederzusehen. Das ist meine größte und tiefste Angst! Ich habe noch nie einen nahen Menschen verloren. Diejenigen die mir am nächsten standen, waren meine Urgroßeltern. Und jetzt könnte ich diejenige sein, die als nächstes geht. Mir dreht sich schier der Magen um, wenn ich mir vorstelle, wie meine Leute an meiner Beerdigung um mich trauern. Wie sie leiden, nur wegen mir. Das ist absolut das Letzte, was ich will! Also beschließe ich zu kämpfen.

Wie? Ich habe keine Ahnung. Aber aufgeben geht nicht. Das ist absolut keine Option! Das bin ich ihnen schuldig.

Ich versuche die Tränen zurückzuhalten. Ich will stark sein. Es gelingt mir teilweise. Als meiner Mutter die Tränen die Wangen hinunterrollen, ist aber auch bei mir der Damm gebrochen.

Der Moment, in dem ich im Auto sitze und mein Freund mich vom Haus wegfährt, alle dastehen und mir nachschauen, der hat sich tief in meine Erinnerung eingebrannt. Das war unglaublich intensiv.

Ich muss meine Leute verlassen und fahre jetzt sozusagen meinem Henker entgegen. So komme ich mir irgendwie vor.

Das Spital sieht aus wie ein großer, befremdender Kasten. Ich werde wieder nervös. Komme ich da je wieder lebend raus? Es ist wirklich unglaublich. Ich kann diese destruktiven Gedanken im Moment nicht kontrollieren. Es scheint, als hätten sie ein Eigenleben, eine Eigendynamik bekommen.

Als erstes heißt es: Ab zur Patientenaufnahme! Da werden meine Personalien, Krankenkasseninfos usw. aufgenommen. Das ist also der Eintritt in die Höhle des Löwen. Jetzt gilt es ernst, jetzt kann ich mich nicht mehr drücken.

Und ab jetzt heiße ich Wilma Black!

Ich bin ehrlich entsetzt, nein geschockt. Wie kann man nur mit solchen Pseudonymen arbeiten? Da merkt man doch sofort, dass etwas faul ist. Dabei habe ich mir doch schon so schöne Namen für mich ausgedacht. Ich bin enttäuscht. Niemand hat mir erzählt, dass das Spital eigens eine Namenliste dafür hat und dass man einfach einen Namen zugeteilt bekommt.

Als ich die Option bekam, unter einem Pseudonym im Spital zu sein, kam mir das sehr gelegen. Es verschaffte mir Zeit.

Ich muss das alles zuerst selber begreifen. Und ich weiß ja nicht, wie alles herauskommt. Was, wenn etwas schiefläuft? Wenn jetzt die Presse von all dem Wind bekommt, dann bin ich geliefert. Beim Gedanken an Journalisten wird mir unwohl und ich stehe sofort unter Druck.

Ich hätte keine Ahnung wie reagieren. Ich bin ja sonst schon mit allem hier überfordert. Wilma Black ermöglicht mir, mich freier zu fühlen, gibt mir Luft zum Atmen und eben Anonymität. Aber mal ehrlich, wer um Himmelswillen heißt schon so? Da riecht man doch schon kilometerweit, dass etwas mit diesem Namen nicht stimmt.

Ich bekomme ein Einzelzimmer. Es ist weder groß noch klein. Ich versuche mich einzurichten so gut es eben geht. Mein Blick fällt auf das Schild am Bettpfosten. Da steht es schwarz auf weiß. Ich heiße jetzt Wilma Black. Tanja Gutmann ist für die nächsten Tage auf Eis gelegt. Ich fühle, wie wieder ein Schamgefühl in mir hochsteigt. Wilma Black! Derjenige, der sich diesen Namen ausgedacht hat, muss wohl ein Fred-Feuerstein-Fan gewesen sein.

Ich kann mich nur mit Mühe damit abfinden. An eine Identifikation ist hier definitiv nicht zu denken!

Dieses Zimmer ist also für die nächste Zeit mein „Zuhause“.

Sacha und ich sitzen da und warten. Und warten, und warten … Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. In diesem Warten steckt die ganze Emotionsfülle, die man sich vorstellen kann. Ich bin voll auf der Achterbahn. Da sind Tränen, Lacher, Küsse, beklemmendes Schweigen und vor allem Angst. Panik. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Todesangst. Mir ist kalt, ich habe Gänsehaut, der Kloss im Hals wird immer grösser. Ich fühle mich komplett in die Ecke gedrängt, wie ein verängstigtes Tier. Am liebsten würde ich laut herausschreien, die ganzen unangenehmen Gefühle rauslassen, meine Sachen packen, wieder nach Hause fahren und sagen: „Ihr könnt mich alle mal! Da mache ich nicht mit“. Ich will einfach mein „altes“ Leben wieder zurück! So wie es vorher war! Die Probleme, mit denen ich mich vorher herumgeschlagen hatte, sind jetzt nur noch Problemchen. Sie scheinen weit hinten am Horizont nur noch kleine Pünktchen zu sein. Eigentlich sind es gar keine mehr.

Was kommt hier auf mich zu? Ich habe keine Ahnung! Und genau das macht mir so zu schaffen. Ich weiß ja, dass das Leben unberechenbar sein kann. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich ausgeliefert. Abhängig von anderen, von Ärzten. Mein Leben, meine Zukunft befindet sich in den Händen von Fremden und ich kann nur hoffen, dass sie gut und vorsichtig damit umgehen.

Es ist ein verdammt unangenehmes Gefühl, Leuten sein Leben anvertrauen zu müssen, die man nicht mal kennt.

Ich habe vor allem Angst vor Schmerzen. Werde ich welche haben, wenn ja, was für welche und wie stark?

Stecke ich mitten in einer Woge der Angst, dann brennt und vibriert mein Brustkorb innerlich, mein Magen zieht sich nervös zusammen und egal wie viel ich atme, ich bekomme zu wenig Luft. In solchen Momenten bin ich ganz in mich gekehrt und abgeschottet von allem und jedem.

Trotz dieser Angstwellen versuche ich mir nach außen möglichst nichts anmerken zu lassen und den Ball flach zu halten. Das hilft mir den Boden unter den Füssen zu behalten. Würde ich alle diese Gefühle nur schon meinem Freund kommunizieren, ich glaube, ich würde durchdrehen! Dann würden diese Ängste die Oberhand über mich bekommen.

Es ist ein einziges Auf und Ab.

Ich bin so froh, ist Sacha da. Er lenkt mich immer wieder von meinen trüben Gedanken ab. Hin und wieder reißen wir auch mal einen lustigen oder ironischen Spruch. Dann lachen wir drauflos. Das tut extrem gut und schafft ein Stückchen Normalität. Lachen ist die beste Medizin in schwierigen Momenten und für mich jetzt gerade Balsam für die Seele. Einer meiner Leitsätze im Leben ist: Einfach nie den Humor verlieren. Diese Einstellung kommt mir jetzt zugute.


Tipp: Mit der akuten/spezifischen Angst umgehenEine akute Angst ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl, sie kann auch lähmend sein. Sogar so, dass die einfachsten Alltagsaufgaben zu einem schier unmöglichen Unterfangen werden können. Aber du bist der Angst nicht machtlos ausgeliefert. Du kannst viel für dich selbst tun.
Finde heraus, wer und was dir die Situation und die Angst erträglicher macht.
Wie reagiert dein Körper auf die Angst? Wie und wo nimmst du sie wahr? Das kann z. B. ein Druck, eine Verkrampfung oder eine Anspannung sein.
Versuche deine Empfindungen zu beschreiben.
Fühlst du die Angst, z. B. als Druck im Nacken, dann geh mit deinen Gedanken dort hin und versuche alles zu erfassen. Nur schon das Bewusstwerden und Benennen alleine kann lösend sein.
Achte auf deinen Atem. Versuche im Moment der Angst tief in den Bauch einzuatmen und beim Ausatmen die Anspannung loszulassen.
Bewegung kann helfen die Energie abzubauen und von der Angst weg wieder mehr zum Körpergefühl zurückzufinden.
Wer sind deine Vertrauenspersonen und wer kann dich auch wirklich unterstützen? Wer tut dir gut? Es gibt Menschen, die mit solchen Situationen selbst überfordert sind.
Was erwartest du von deinen Vertrauenspersonen und wie können sie dir helfen? Kommuniziere das deinen Leuten auch.
Sprich über dein Schicksal und deine Angst, aber nur so viel und so oft es dir guttut.
Ist man draußen unter weiteren Leuten, sind auch Codewörter eine gute Möglichkeit die Angst und andere Gefühle zu kommunizieren, ohne dass gerade jeder mitbekommt, wie es um einen steht.
Gib dir eine Tagesstruktur/Tagesplanung.
Verliere den Humor nicht. Nimm dich selbst auf die Schippe oder tu, was auch immer zu dir passt. Lache.
Denke positiv. Alles wird gut. Die Angst ist nur ein Moment. Sie wird wieder vorbeigehen und dann geht es dir dafür doppelt so gut.
Sei dir bewusst, Angst hat jeder Mensch. Du bist also nicht der /die Einzige.

5. KAPITEL
Angiographie – Endlich geht etwas!

Es klopft kurz an der Tür. Mein Herz macht einen Satz und mein Puls schnellt in die Höhe. „Geht es etwa schon los? Ich bin noch gar nicht bereit dazu!“, meine Gedanken überschlagen sich fast. Aber es ist nur eine Pflegefachfrau, die vorbeikommt, um die üblichen Untersuchungen zu machen: Blutdruck und Temperatur messen sowie Blut entnehmen.

„Eine Kollegin kommt gleich noch vorbei um mit Ihnen das Eintrittsgespräch zu machen“, informiert sie mich zum Schluss. „Gut, dann kann ich ja den nächsten Türklopfer etwas entspannter angehen“, rutscht es aus mir heraus.

Die Pflegefachfrau, die mit mir die Pflegeanamnese macht, wird hier auch meine Bezugsperson sein.

Dann heißt es wieder warten. Die Ungewissheit, wann was passiert, macht mich echt wahnsinnig. Ich bereite mich gerne psychisch auf Herausforderungen vor. Und wenn ich in einer unangenehmen Situation stecke, dann möchte ich sie so schnell wie möglich hinter mich bringen.

Der nächste Besuch ist der von Dr. Lukes. Er kommt mit mehreren Assistenzärzten zum ersten Mal auf Visite. Heute ist wohl der Tag der Anamnesen. Denn auch die Ärzte wollen eine genaue Standortbestimmung von mir und auch sonst noch so einiges wissen. Im Gegenzug klärt mich Dr. Lukes auf, was sie alles mit mir vorhaben. Zuerst steht eine Voruntersuchung, eine sogenannte Angiographie, oder ganz genau, eine selektive intraarterielle Angiographie, auf dem Programm. Dafür musste ich auch nüchtern hier antraben, für den Fall, dass es Komplikationen gibt und ein Eingriff erforderlich wird.

Info: Angiographie

Die Angiographie ist ein spezielles Röntgen-Untersuchungsverfahren zur Darstellung von Arterien im menschlichen Körper.

Da diese Gefäße nicht ohne Weiteres sichtbar sind, müssen sie für den kurzen Moment der Röntgenbestrahlung mit Kontrastmittel gefüllt werden.

Dies geschieht mit Hilfe eines Katheters.

Nach örtlicher Betäubung wird die Arterie (meistens Leistenarterie) mit einer Nadel punktiert und eine sogenannte Schleuse gelegt. Durch diese wird dann der Katheter in die Arterie eingeführt und bis an den Ort der zu untersuchenden Gefäße (in der Neuroradiologie Hals- und Kopfarterien) vorgeschoben. Danach wird Kontrastmittel injiziert.

Während der Kontrastmittelapplikation werden in schneller Folge Röntgenbilder angefertigt.

Nach der Untersuchung wird der Katheter wieder entfernt, die Punktionsstelle zur Blutstillung komprimiert und anschließend für ca. 6 Stunden ein Druckverband angelegt.

Wird die Angiografie während eines stationären Aufenthalts vorgenommen, ist eine Bettruhe von ca. 6 Stunden einzuhalten.

Die notwendigen Kontrastmittel sind in der Regel sehr gut verträglich. Überempfindlichkeitsreaktionen kommen selten vor.

Eine Angiographie wird gewöhnlich zur Darstellung von Erkrankungen der Gefäße verordnet (u. a. bei Arteriosklerose, Embolien und Aneurysmen).

Bei Tumoren werden mit der Angiographie die Blutgefäße rund um den Tumor genau lokalisiert, damit der Chirurg weiß, welches Ausmaß dieser hat, wie das Durchblutungsverhältnis rund um ihn herum ist und ob er keine größeren Blutadern eingeschlossen hat. Diese Informationen sind sehr wichtig, um den besten Zugang zum Tumor zu finden, denn bei einer Hirnoperation ist klar: Ein kleiner Patzer und es hat fatale Folgen.

Ich bekomme also einen Schlauch in meine Beinarterie gesteckt und dann stoßen sie das Ding auch noch durch meinen halben Körper! Das kann ja heiter werden! Nur schon der Gedanke daran verpasst mir von Kopf bis Fuß einen Adrenalinstoß. Da kommt ja noch mehr auf mich zu, als ich gedacht habe.

„Die Operation ist für morgen, 26. Dezember am Vormittag geplant“, informiert mich Dr. Lukes weiter. Ich fühle mich plötzlich ganz klein und werde sehr still. Dabei schaue ich wohl etwas beunruhigt in die Runde, denn er meint weiter: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich mache solche Operationen tagtäglich und habe sehr viel Erfahrung darin. Das bringen wir gut über die Bühne.“ Ja, diesen Satz kann ich gut brauchen. Er beruhigt mich und schafft Vertrauen. Im Moment sind meine Gefühlssensoren sehr fein eingestellt. Ein falscher Ton, eine komische Geste und ich bin schon wieder auf der Achterbahn.

Etwas brennt mir aber noch auf der Zunge: „Wann werden denn meine Haare abgeschnitten?“, frage ich. Sie schauen mich verdutzt an. Gefolgt von einem breiten Grinsen. „Das wird während der Narkose gemacht. Aber es werden nur die Haare im Bereich des Hautschnitts abrasiert. Alles andere bleibt dran“, erklärt mir Dr. Lukes lachend. Ich bin unglaublich erleichtert und komme mir gleichzeitig ziemlich blöd vor! Ich hatte echt Angst, dass ich, wenn ich zuhause bin, andauernd angequatscht werde und mich immer erklären muss. Dabei möchte ich doch, dass niemand von all dem hier erfährt.

„Ach nein, jetzt habe ich mich schon so auf deine Glatze gefreut“, grinst mir Sacha entgegen. „Ja, ja, du kannst schon lachen“, entgegne ich ihm schmunzelnd. „Wenigstens haben sich die Ärzte amüsiert.“ Und ich habe jetzt mal einen Plan, auf den ich mich einstellen und vorbereiten kann. Das ist wichtig für mich. Das sind die Grashälmchen an denen ich mich festhalte und die meinem Leben wieder gewisse Eckpfeiler geben. Ein wenig trügerische Sicherheit habe ich also wieder zurückerlangt. Aber eben trügerisch! Ich fahre weiter Achterbahn mit meinen Emotionen. Mal bin ich ruhig und kann sogar einen Spruch reißen, mal schüttelt es mich emotional wieder richtig durch. „Nach der Operation bin ich gehirnamputiert“, witzle ich zu Sacha. „Du kannst dich also auf etwas gefasst machen.“ Humor und Ironie sind für mich in schwierigen Situationen gute Begleiter. Ich nehme mich gerne auf die Schippe, auch jetzt. Es macht alles viel leichter und erträglicher.

Nach erneutem längerem und nervenaufreibendem Däumchen drehen besucht mich der interventionelle Neuroradiologe um mit mir die Angiographie zu besprechen. Wir beide haben das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Das merke ich sofort. Ich habe keine Ahnung, ob er einfach einen schlechten Tag hat, ob er eher etwas kauzig und mürrisch veranlagt ist oder ob ich ihm einfach nicht sympathisch bin. Es ist auch völlig egal, denn mittlerweile liegen meine Nerven so blank, dass ich einfach nur noch froh bin, dass es endlich vorwärtsgeht. Immer in der Warteposition, mit dem Gedanken, dass ich dem Ganzen ohnehin nicht entkommen kann, ist richtig mühsam. Es kostet mich unglaublich viel Energie.

Der Spezialist erklärt mir das genaue Vorgehen. Der Nervenkrieg geht wieder von vorne los. Jetzt ist mir erst recht mulmig. Als wäre das nicht schon genug für mein Gemüt, höre ich von ihm auch noch beiläufig den Satz. „Ja, so eine Hirntumoroperation ist nicht ohne. Das ist ein großer Eingriff. Das darf man nicht unterschätzen.“ Diese Aussage sitzt. Ich bin ja nicht naiv oder dumm. Ich weiß, dass das kein Zuckerschlecken ist. Aber in dem Tempo, in dem alles in den letzten drei Tagen passiert ist und in meiner chaotischen psychischen Verfassung habe ich trotz der Todesangst und all meiner Gedanken bis jetzt immer noch nicht richtig realisiert, was diese Operation wirklich heißt, was da alles passieren kann und dass sie alles andere als ein Spaziergang ist.

Das Vertrauen, das Dr. Lukes mir bei der Visite gegeben hat, ist jetzt mit diesem Satz zunichtegemacht.

Wem und was soll ich denn jetzt glauben? Es kommt alles gut, ich muss mir keine großen Sorgen machen oder das ist ein schwieriger Eingriff und man weiß ja nie?!

Ich bin völlig hin- und hergerissen und stecke in einem regelrechten Zwiespalt. Dass beides stimmen könnte, das kommt mir vor lauter Herrje nicht in den Sinn.

Der interventionelle Neuroradiologe verabschiedet sich wieder. Ich bin froh, dass ich mit ihm nicht länger sprechen muss. Der Typ ist für mich wie Glatteis. Jemand, der zwischenmenschlich eher ein Elefant im Porzellanladen ist, kann ich im Moment nicht in meiner Nähe gebrauchen.

Sacha und ich schauen uns nur an. Der Blick den wir austauschen spricht Bände.

Kurz darauf werde ich für die Angiographie abgeholt. Mit einem tiefen Atemzug und einem: „Bis später“, verabschiede ich mich von Sacha, drücke ihm kurz einen Kuss auf den Mund und mache mich auf den Weg in die Höhle des Löwen. Irgendwie ergebe ich mich jetzt einfach der Situation. Es macht ja eh keinen Sinn negative Gedanken zu haben oder sich dagegen zu sträuben. Machen muss ich es sowieso. Dieses Sich-Ergeben ist wohl viel mehr eine unbewusste Taktik um nicht in eine lähmende Angst zu versinken, als eine eigentliche Resignation.

In der Neuroradiologie muss ich als erstes in ein Spitalhemd schlüpfen. Unten ohne! Na super! Wer selber schon mal so ein Hemd tragen musste, weiß wovon ich rede. Das Hemd hat hinten einen Schlitz von oben bis unten. Zusammengehalten wird es nur oben mit einem kleinen Verschluss. Wenn ich mich auch nur ein kleines bisschen nach vorne neige habe ich das Gefühl mein ganzer Hintern schaut zum Schlitz heraus. Ich glaube, ich bin noch nie in meinem Leben so im hohlen Kreuz gegangen wie die paar Meter von der Umkleidekabine zum Untersuchungszimmer.

Ich muss mich auf eine schmale Untersuchungsliege legen. Wenigstens bin ich jetzt das Hinternproblem los. Dafür spüre ich jetzt wie ein Adrenalinstoß durch meinen Körper jagt.

Vor dem Untersuchungstisch stehen ganz viele Monitore. Eine Fachperson für medizinisch-technische Radiologie (MTRA) erklärt mir, wofür diese sind und verbindet mich mit all den Messgeräten für Blutdruck, Sauerstoffsättigung, EKG und legt mir einen intravenösen Zugang (Venflon).

Dann steht er plötzlich neben mir, der interventionelle Neuroradiologe von vorhin. Mir wird mulmig. Er ist mir nicht ganz geheuer.

Jetzt geht’s richtig los. Er betäubt meine rechte Leiste. Ich atme tief ein und aus. Angst vor Spritzen habe ich nicht, aber ich finde sie auch nicht prickelnd.

Jetzt bin ich richtig nervös. Die Miss Schweiz Wahl war nichts dagegen! Das Leben zwingt mich gerade Sachen zu tun, die ich in keiner Art und Weise will.

Ist die Leiste gefühllos, wird als Erstes die Arterie punktiert. Dazu wird eine Hohlnadel, gefolgt von einem feinen Draht, ins Blutgefäß eingeführt. Danach wird die Nadel wieder herausgezogen. Der Draht dient nun dem Arzt als Führungsschiene, damit er eine sogenannte Schleuse platzieren kann (Seldingertechnik). Ich fühle mich wie beim Zahnarzt beim Bohren. Ich stehe unter Hochspannung und weiß nicht, wann ein Nerv getroffen wird und ein Schmerz durch den Körper jagt.

Manchmal muss die Haut nach und nach gedehnt werden, wenn diese zu straff ist oder eine größere Schleuse verwendet werden muss. Und da beginnt das Problem. Der interventionelle Neuroradiologe bringt die rund 2 mm dicke Schleuse einfach nicht durch meine Haut in die Arterie rein.

Er versucht es immer wieder und ich merke, wie er langsam ungeduldig wird. „Ich beginne noch mal von vorne“, sagt er zur MTRA. „Oh nein! Verdammt!“, schreie ich innerlich. Es tut höllisch weh. Abgesehen davon, dass ich da jetzt ein „kleines Loch“ in meiner Leiste habe, an dem er auch noch rumdrückt, ist das eine sehr empfindliche Stelle. Von wegen Betäubung und gefühllos! Innerlich bin ich verzweifelt und aggressiv gleichzeitig. „Mann, jetzt mach endlich vorwärts!“, schnaube ich in mich hinein. Ich versuche mich zusammenzureißen, tapfer zu sein, mir ja keine Blöße zu geben. Ohne Erfolg.

Im nächsten Moment sehe ich nur noch Köpfe über mir die mich prüfend anschauen. Jemand sagt: „Frau Gutmann, Frau Gutmann … Sie kommt wieder.“ Dabei tätschelt der wahnsinnig sympathische interventionelle Neuroradiologe meine Backe und ich höre wie ein Alarm bimmelt. Ich bin doch tatsächlich in Ohnmacht gefallen! Der Schmerz war einfach zu stark. Na super! Das ist mir gar nicht peinlich. Aber jetzt ist wenigstens diese Schleuse drin! Sie schauen mich alle prüfend an und fragen mich, ob alles o. k. ist. Ich nicke nur. „Das kommt davon, wenn man sich zu fest zusammenreißen will“, bemerkt mein „Freund“ trocken. „Jetzt macht der mich auch noch blöd an“, nerve ich mich. „Was hätte ich denn tun sollen, schreien vielleicht?“, entgegne ich stumm. Sagen tue ich aber nichts, schließlich bin ich ja unter seinen Fittichen. „Wir werden wohl nie beste Freunde“, denke ich und versuche ihn so gut es geht zu ignorieren.

Na ja, auf jeden Fall ist das Ding jetzt drin. Es kann also weitergehen. K. O. zu gehen hat manchmal eben auch sein Gutes.

Es ist ganz wichtig, dass die Schleuse richtig sitzt, denn sie ist der Arbeitszugang für die Untersuchung.

Alle im Raum tragen jetzt Bleischürzen um sich vor den Röntgenstrahlen zu schützen.

Der Spezialist fährt mit einem rund 1,5 mm dicken Katheter durch die Schleuse in meine Arterie hinein und durch diese hoch bis zur Mitte des Halses. „So, jetzt sind wir soweit und spritzen Kontrastmittel in Ihren Kopf. Es kann sein, dass Ihnen für ein paar Sekunden ganz heiß wird. Halten Sie ganz still, sonst wird das Bild nicht scharf und wir müssen es noch mal machen“, klärt er mich auf.

Und tatsächlich, für kurze Zeit scheine ich innerlich zu glühen. Dann sehe ich auf einem Monitor, wie plötzlich meine Kopfadern aufleuchten. Während 2 bis 3 Sekunden lässt das Kontrastmittel die Blutgefäße rund um den Tumor, mit all seinen Verästelungen, bis ins kleinste Detail sichtbar werden. Wow! Das bin ich! Das ist in mir drin. Ich bin echt fasziniert. Es sieht aus wie ein Kunstwerk. Dann ist das Kontrastmittel auch schon abgeflossen und das Leuchten vorerst vorbei. Es ist total schräg, alles was gerade in mir passiert, auch selber auf dem Monitor sehen zu können.

Es werden Aufnahmen in verschiedene Richtungen gemacht. Um die Gefäße rund um den Tumor zu durchleuchten. Dazu wird der Katheter ein paar Mal etwas versetzt und dann erneut Kontrastmittel eingespritzt und wieder eine Aufnahme gemacht.

„Nun bekommen Sie zum letzten Mal Kontrastmittel gespritzt. Dieses Mal wird es eine Stelle am Hinterkopf durchfließen, wo auch der Gleichgewichtsnerv sitzt. Sie werden sich also fühlen wie auf einer Achterbahn. Aber halten Sie ganz still“, meint der Spezialist.

Yeah, einmal gratis Achterbahn fahren! Aber warst du schon mal auf einer Achterbahn ohne dich zu bewegen?

Es fühlt sich echt krass an. Ich habe das Gefühl, ich flutsche mitsamt der Liege hin und her. Mal mehr, mal weniger schnell, mal links, mal rechts. Das ist voll schräg, denn ich weiß ja, dass ich eigentlich ganz still und flach liege. Einmal habe ich sogar das Gefühl, das ganze Teil dreht sich inklusive mir um die eigene Achse. Der Europapark ist nichts dagegen. Ich muss mich extrem zusammenreißen um mich nicht zu bewegen. Und dann ist der Spuk auch schon vorbei. Der Katheter wird herausgezogen und das kleine Loch verarztet. Dann werde ich wieder hinauf in mein Zimmer geschoben. Genau, geschoben, denn in den nächsten sechs Stunden darf ich ja nicht aufstehen. Ja, nicht mal aufsitzen. In der Leiste, wo die Schleuse war, befindet sich nun ein Druckverband, damit eben dieses „kleine Loch“ so schnell wie möglich verheilt.

So im Bett durchs Spital geschoben zu werden ist echt komisch. Ich bin irgendwie verlegen und würde mich am liebsten verstecken. Hoffentlich erkennt mich niemand.

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