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3. Wohnen heißt leben Die Bedürfnisse im Alter

Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen und muss viele verschiedene Erwartungen erfüllen – je nach Lebensphase, Status, Schwerpunkten und Möglichkeiten des Einzelnen. So gibt es unendlich viele individuelle Antworten auf die Frage „Wie will ich wohnen, wenn ich älter bin?“

3.1 Möglichst lange möglichst selbstständig Anpassen an Bedürfnisse und Alltag

Bedürfnisse

Mit „Bedürfnis“ wird allgemein ein empfundener Mangel bezeichnet, verbunden mit dem Wunsch, ihn zu beseitigen bzw. etwas für sich zu erreichen. Man unterscheidet zwei grundlegende Arten:

Defizitbedürfnisse müssen von der Umwelt befriedigt werden, um Unwohlsein, Unzufriedenheit und Krankheit zu vermeiden. Dazu gehören körperliche Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf, Schmerzfreiheit, Ruhe und Bewegung genauso wie Sicherheit und soziale Anerkennung.

Wachstumsbedürfnisse können sich erst entfalten, wenn alle grundlegenden Bedürfnisse gestillt sind. Erst wenn Menschen sich körperlich und sozial abgesichert und eingebunden erleben, beginnen sie sich nach der Entfaltung der in ihnen angelegten Möglichkeiten zu sehnen. Dazu gehören vor allem die Wünsche nach Selbstverwirklichung, Ästhetik, Schönheit, Ordnung und Wissen/Verstehen.

Wohnbedürfnisse

Überträgt man diese Theorie auf das Wohnen, so müssen auch hier

zunächst grundlegende Bedürfnisse gestillt werden, bevor es die Verwirklichung

der eigenen Person fördern kann.

Als wichtigste Bedürfnisse, denen eine Wohnung entsprechen

muss, gelten (4):

Physiologische Erfordernisse

Schutz vor Witterung, Raum zum Schlafen, Platz zum Essen und für die Hygiene.

Sicherheit und Schutz

Versorgung und Hilfe, Barriere gegen Gefahren.

Beständigkeit und Vertrautheit

Erst in länger andauernden Beziehungen und vertrauter Umgebung sind Menschen frei genug, um sich wohlzufühlen.

Kontakt und Kommunikation

Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen, und ohne ausreichenden Kontakt drohen Einsamkeit und Verfall.

Selbstdarstellung und Repräsentation

Daraus bezieht der Mensch die Sicherheit, in der ihn umgebenden Gesellschaft von Wert und Bedeutung zu sein.

Selbstständigkeit und Mitverantwortung

Selbstständiges und eigenverantwortliches Leben auch im hohen Alter möglichst in den bekannten vier Wänden gehört für die heutigen Alten zur subjektiv empfundenen Lebenszufriedenheit.

Eine Wohnung, die alle wichtigen Bedürfnisse des Menschen stillt, muss ausreichend groß und bezahlbar sein sowie Kontakte im näheren Umfeld fördern. Die Infrastruktur der Umgebung muss geeignet sein, die notwendigen Anlaufstellen wie Arzt, Geschäfte oder Freizeiteinrichtungen in jedem Alter selbstständig zu erreichen.

Bei der Suche nach neuen, dem Zeitgeist entsprechenden Wohnformen – auch und vor allem für alte Menschen – ist es notwendig, möglichst viele dieser Bedürfnisse zu stillen, um ein ausreichendes Maß an Lebensqualität zu erreichen.

Spezielle Wohnbedürfnisse im Alter

Die Bedeutung der Wohnung nimmt im Alter eher zu als ab: Durch das Ausscheiden aus dem Berufsleben und den Wegzug der Kinder schwinden die Möglichkeiten, mit der Gesellschaft in Kontakt zu treten. Die sozialen Rollen werden weniger, und die Themen, zu denen man etwas beitragen könnte, schmelzen zusammen. Kommen gesundheitliche Probleme hinzu, werden Wohnung und unmittelbares Wohnumfeld schnell zum Mittelpunkt des Lebens: Studien belegen, dass heute mehr als 80 Prozent der Aktivitäten innerhalb der eigenen vier Wände stattfinden (5) und alte Menschen nur etwa 2,5 Stunden täglich außerhalb der Wohnung verbringen.(6) Die Wohnung und ihr unmittelbares Umfeld bilden den Lebensmittelpunkt des einzelnen alten Menschen und sind damit entscheidend wichtig für sein Wohlbefinden.

Der Psychologe Lawton (7) unterscheidet vor allem vier Wohnbedürfnisse, die im Alter wesentlich sind:

 Sicherheit

 Stimulation und Anregung

 Kompetenz

 Umweltkontrolle

Diese Bedürfnisse sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Der Verlust eines oder mehrerer dieser Faktoren führt laut Lawton zu gravierenden Einbußen an Lebensqualität.

Die Menschen von heute wollen mehr als nur ein Dach über dem Kopf und eine funktionierende Heizung. Ihre Wohnbedürfnisse haben sich, verglichen mit der Generation der Hochbetagten, stark verändert. Sie wollen oft nicht mehr das früher so ersehnte „Altenteil“ mit seiner Sicherheit, sondern streben nach einer kompetenten und selbstbestimmten Lebensweise bis zuletzt (Selbstverwirklichung), mit der möglichst alle grundlegenden Bedürfnisse des Wohnens im Alter befriedigt werden können.

Das geht bei den bisher üblichen Wohnkonzeptionen nicht immer; man muss also umdenken. So haben zum Beispiel Befragungen ergeben, dass das „Häuschen im Grünen“ für die meisten Senioren gar nicht so erstrebenswert ist wie vermutet, weil es ihnen nicht sicher erscheint, solange sie dort nicht mit anderen zusammenleben können. Auch die Erdgeschosswohnung ist nicht ihr Favorit, da sie hier stärker als in anderen Etagen die Sorge vor ungebetenen Gästen haben.(8) Wirklich wichtig ist eine ausreichend große Wohnung von mindestens drei Zimmern, wollen sie doch gesellig sein und Platz für Hobbys und Gäste haben.(9)

Umzug

Im Alter besteht grundsätzlich das Bestreben nach Konstanz, da die Fähigkeit, sich aktiv an eine neue Umwelt anzupassen, nachlässt. Dennoch muss häufig die bisherige Wohnung und damit das vertraute Umfeld aufgegeben werden: Entweder muss man dem Druck der Umgebung nachgeben (Kündigung, ungenügende Ausstattung von Wohnung oder Umgebung, unzumutbare Veränderung des Wohnumfeldes etc.), oder man will noch einmal eine Entwicklungschance ergreifen und sich bisher zu kurz gekommene Wünsche verwirklichen. Jedes Mal bedeutet dies einen massiven Eingriff in den Lebensalltag eines alten Menschen und damit eine große Herausforderung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ältere Menschen sich räumlich und sozial noch einmal verändern und umziehen, ist geringer als bei jüngeren Menschen. Als Gründe dafür werden höhere Lebenserwartung, bessere finanzielle Möglichkeiten und größere persönliche Freiheit der Alten von heute angenommen. Untersuchungen belegen aber, dass ältere Menschen durchaus bereit sind, ihre Wohnsituation noch einmal zu verändern, falls altersgerechte Wohnalternativen bestehen. Immerhin ein Drittel der Senioren wäre zu einem Wohnortwechsel bereit, wenn dadurch selbstständige Lebensführung möglich ist. (10)

Wohnraum nach Maß

Wie die meisten Menschen leben Senioren in „normalen“, meist privaten Wohnungen und möchten dort auch so lange wie möglich bleiben. Hier kennen sie viele Menschen, sind mit allem vertraut und wissen, wen sie fragen können, falls sie einmal Unterstützung brauchen.

Aber viele Wohnungen sind nicht wirklich geeignet für ihre Bewohner. Eine Familie mit mehreren kleinen Kindern braucht mehr Platz als ein älteres Paar – und tolerante Nachbarn, die sich von dem Geräuschpegel nicht aus der Ruhe bringen lassen. Behinderte Menschen benötigen mehr Bewegungsspielraum, um sich mit Gehhilfen jedweder Art in und um die Wohnung zu bewegen.

Auch für alte Menschen sind bestimmte Bedingungen zu erfüllen, damit sie möglichst lange unabhängig und selbstbestimmt leben können. Die Wohnung sollte für ihre speziellen Bedürfnisse geeignet sein, nicht zu klein aber auch nicht unerschwinglich teuer sein, in der Nähe der Familie oder zumindest der Freunde liegen und über ausreichend Hilfe-Möglichkeiten verfügen, falls man alleine nicht mehr weiter kommt.

Altersgerecht wohnen

Früher ging man davon aus, dass altersgerecht vor allem behindertengerecht bedeutet und plante Wohnungen, in denen Behinderungen so gut wie möglich berücksichtigt waren: lange und breite Gänge (geeignet für Gehhilfen), Böden ohne Schwellen und Stolperfallen, Fahrstühle und Rampen an den Übergängen. Um gerade den Senioren ein geruhsames, störungsfreies Wohnen unter Gleichen zu ermöglichen, wurden solche Wohnungen oft als ganze Anlagen erbaut.

Aber: Altersgerecht ist nicht gleichzusetzen mit altengerecht, denn nicht in jeder Phase des Lebens ist man „alt“ und nicht jeder „alte“ Mensch ist behindert. Die aktuellen Trends gehen eher dahin, Wohnungen und Siedlungen so zu bauen bzw. zu gestalten, dass sie für Menschen jeden Alters und mit den verschiedensten Einschränkungen, Behinderungen und Bedürfnissen gleichermaßen genutzt werden können. Denn die Anforderungen für seniorengerechtes Wohnen sind auch für andere Gruppen interessant: Wohnungen, die lärmarm, schwellenfrei und bequem sind, die bodengleiche Duschen aufweisen und die mit reduzierten Heiz- und Nebenkosten auskommen, sind sowohl für Senioren wie für Behinderte oder Familien mit kleinen Kindern wichtig.

Barrierefrei nach DIN-Norm

Mittlerweile verwendet man lieber den Begriff barrierefrei. Damit ist gemeint, dass jeder Bürger, unabhängig von seinem Alter oder vorhandenen Handicaps, alles möglichst ohne Hilfe betreten, befahren und benützen kann, was unter diesem Begriff gestaltet und gebaut wurde.(11) Wohnen ist dabei genauso erfasst wie Parken, Zugänge, Müllcontainer, Hauseingangstüren oder Gemeinschaftseinrichtungen. Besonders beim Bau neuer Wohnungen wird zunehmend gefordert, barrierefrei zu planen, damit möglichst viele Bevölkerungsgruppen sie nutzen können.

Um eine allgemein gültige Orientierung zu schaffen, wurden verschiedene Normen geschaffen. Die Normen DIN 18024 und DIN 18025 haben den Zweck, allgemein anerkannte Regeln zu schaffen, auf die bei Planung, Bau und Umbau zurückgegriffen werden kann. Sie regeln die Bedingungen für barrierefreies Wohnen in und um die Wohnung. Derzeit gibt es Pläne, beide DIN-Normen zu einer neuen DIN 18040 zusammenzufassen, die sämtliche Bereiche des barrierefreien Bauens und Wohnens umfassen soll.

3.2 Miteinander leben – Formen Gemeinschaftlichen Wohnens

Im Zusammenhang mit neuen Wohnformen geistern Begriffe durch die Medien, die jeder unterschiedlich versteht und verwendet. Die einen sprechen bereits von Gemeinschaftlichem Wohnen, wenn eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus altersgerecht umgebaut wurde. Die anderen verstehen darunter eine Hausgemeinschaft Gleichaltriger, wieder andere verlangen ein Mehrgenerationenkonzept mit intensivem Gemeinschaftsleben. In diesem Buch wird „Gemeinschaftliches Wohnen“ für all jene Wohnformen verwendet, in denen neben der Möglichkeit zum Zusammenleben von Jung und Alt auch Wert auf gemeinsames Leben gelegt wird.

Auch andere Begriffe werden unterschiedlich verstanden. Daher sei kurz geklärt, wie sie hier verwendet sind:

Alternativ

Bei Alternativem Wohnen denken viele sofort an die Kommunen der 60-er Jahre, in denen allen alles und keinem etwas gehörte, in denen geschlossene Türen verpönt und politische Aktivitäten Pflicht waren. Mit alternativen Wohnformen hingegen sind neue, ungewöhnliche, bisher (noch) nicht etablierte Formen des Wohnens und Zusammenlebens gemeint. Um hier Klarheit zu schaffen, soll im Weiteren Verlauf statt von alternativen eher von neuen Wohnkonzepten und -formen die Rede sein.

Neue gesellschaftliche Bedingungen sowie die sich daraus entwickelnden Bedürfnisse verlangen neue Lösungen und Angebote. Auch zum Thema Wohnen wird viel experimentiert; sehr unterschiedliche Projekte sind bereits entstanden. Sie lassen sich derzeit in drei Zweige teilen: Lösungen in der bekannten Umgebung, Seniorenwohnen im geeigneten Umfeld, sowie Gemeinschaftliches Wohnen mit und ohne Betreuung. Als Alternative zu den bekannten Wohnmöglichkeiten versteht man meistens die letzteren, also Projekte, in denen verschiedene Menschen miteinander wohnen und leben wollen.

Projekt

Unter Projekt versteht man allgemein ein Vorhaben, einen Entwurf von etwas, das noch nicht ausgereift ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass dabei neue Ideen und Lösungen erst gesucht und dann umgesetzt werden, von denen sich manche vielleicht als nicht alltagstauglich erweisen werden. Sie entstehen aus einem Bedürfnis heraus, das bisher nicht befriedigt wurde; entwickeln sich viele davon, weisen sie auf eine neue Strömung in der Gesellschaft hin.

Selbst initiierte Wohnprojekte

Projekt bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass die Menschen, die sich darauf einlassen, noch nicht genau wissen, was sie wollen und wohin der Weg sie führen wird. Da es sich um (noch) nicht generalisierte Lösungen handelt, müssen die Gründer sich so lange besprechen und ihre Ziele aufeinander abstimmen, bis ein tragfähiges Konzept entstanden ist. So sind bereits mehrere, von Zielsetzung und Bedingungen her unterschiedliche Modelle des Wohnens entstanden. Sie werden in der Literatur meist als selbst initiierte oder selbst gegründete und verwaltete Wohnprojekte bezeichnet. Größtmögliche Mitwirkung bei Planung und Umsetzung sind dabei Merkmal und Ziel.

Trägerinitiierte Wohnprojekte

Um die vielen einzelnen, persönlichen Lösungen als Möglichkeit für viele nutzbar zu machen, müssen die Regeln erfolgreich umgesetzter Projekte herausgefunden und generalisiert werden. Das kann eine kleine Gruppe nicht leisten, auch nicht ein Zusammenschluss einzelner Gruppen. Diese Aufgabe geht deshalb an Wohnungswirtschaft, die großen Wohlfahrtsverbände und Politik, die bei Planung, Umsetzung und/oder Finanzierung eine tragende Rolle spielen und daher als Träger beteiligt werden. Aber auch dieser Begriff wird sehr unterschiedlich gebraucht, da das Ausmaß der Beteiligung, ab dem man von Trägerschaft spricht, von jedem anders definiert wird. Daher wird hier eher von Kooperationspartnern gesprochen.

Quartierlösungen

Beziehen sich Lösungen für „Neues Wohnen“ auf ein ganzes Viertel, auch Quartier genannt, werden sie als Quartierlösungen oder Stadtteillösungen bezeichnet. Dabei wird versucht, sowohl dem Bedürfnis nach Beständigkeit und Sicherheit als auch dem nach längst möglicher Eigenständigkeit nachzukommen. Das soll durch umfassende Versorgung, auch für den Fall der schweren Hilfs- und Pflegebedürftigkeit, im bekannten Quartier geschehen, wobei der Schwerpunkt auf den bisher kaum genutzten Ressourcen von Helfern aus der Nachbarschaft liegt.

Mehrgenerationenwohnen

Ein großer Teil derer, die aktiv nach neuen Wohn- und Lebensformen suchen, wünscht sich mehr Kontakt zu anderen Generationen als in den bisherigen Standardwohnformen. Sie gehen bewusst und absichtlich das Risiko ein, sich wegen unterschiedlicher Wünsche und Bedürfnisse auseinandersetzen und einschränken zu müssen. Als Fernziel haben sie eine neue Art von Gemeinsamkeit vor Augen, in der die Schwächen jeder Generationen durch die Stärken einer anderen ausgeglichen werden können. Solche Wohnprojekte werden als generationengemischt oder generationenübergreifend bezeichnet.

Integriertes Wohnen

Integriert nennt man Wohnprojekte dann, wenn sie neben mehreren Generationen auch ganz bewusst verschiedene Bevölkerungsgruppen unter ein Dach bringen wollen. Sie planen neben nachbarschaftlicher Hilfe (bürgerschaftliches Engagement) auch gemeinsame Aktivitäten, die das Miteinander stärken und die Integration aller fördern. Auch Freizeit soll gemeinsam verbracht und Mitbestimmung praktiziert werden. Vom Kleinkind bis zum Hochbetagten, vom Studenten bis zum Rentner, von der Familie bis zum Single, vom Alteingesessenen bis zum Migranten werden alle als eine große dörfliche Gemeinschaft verstanden, die versucht, sich im Alltag so weit wie möglich gegenseitig zu unterstützen und professionelle Hilfe erst dann abzurufen, wenn es absolut nicht mehr anders geht.

Gemeinschaftliches Wohnen im Alter

ist der Sammelbegriff, unter dem bereits entstandene und vielleicht noch entstehende alternative Wohnformen für Senioren zusammengefasst werden, die auf die Integration unterschiedlicher Gruppen abzielen. Wohnen von heute ist integrierend. Anders als in früheren Zeiten, in denen sich das Miteinander zwangsläufig bereits aus der Struktur der Großfamilie ergab, muss heute eine gesunde Mischung erst durch geschickte Planung neu konstruiert werden. Dazu gehören sowohl Projekte, die ausdrücklich mehrere Bevölkerungsgruppen ansprechen, als auch bauliche Maßnahmen, die durch flexible Gestaltung Wohnraum für möglichst viele nutzbar machen: für Familien wie für Singles, für Alte und Junge, für Berufstätige genauso wie für Menschen, die die meiste Zeit des Tages zu Hause verbringen.

4. Ausbruch aus der Verwahrung Das Ende der traditionellen Pflegemodelle?

Alte Menschen waren schon immer besonders gefährdet, krank und hilfsbedürftig zu werden. Auch wenn hohes Alter eine Entwicklung unserer Zeit ist, gab es doch schon immer Konzepte für diese Anforderung.

4.1 Altenhilfe im Wandel der Zeit

Versorgung und Pflege alter Menschen war schon immer Aufgabe der Familie – je nach Zeit und Wohlstand ergänzt durch Leistungen der Gesellschaft.

Bereits im Mittelalter entstanden neben der familiären Verpflichtung, alte Angehörige zu versorgen, erste Ansätze zur außerfamiliären Altenhilfe: In den Städten wurden kirchliche und bürgerliche Spitäler errichtet, die gleichzeitig als Armenhaus, Altenheim und Krankenhaus dienten. Hilfsbedürftige wurden dort kostenlos verpflegt, Alte mussten dafür zahlen: Entweder durch eine einmalige Zuwendung (Pfründekauf) oder durch wiederkehrende kleinere Almosen.

Gegen Ende des Mittelalters entstanden Armenwohnungen in Form von Stiftungen, in denen alte, manchmal auch kranke oder behinderte Menschen ohne Bezahlung leben konnten.

Überzählige Kinder, für die nicht gesorgt werden konnte, wurden nicht selten ins Kloster oder zur Armee geschickt, um ihnen erst ein Auskommen und später Versorgung im Alter zu sichern.

In der vorindustriellen Zeit kam für Bauern mit etwa 60 Jahren der Moment, an dem der Hof an den (meist ältesten) Sohn übergeben wurde. Die Altbauern zogen in ein eigenes Zimmer oder Gebäude, das sogenannte Altenteil. Solange sie dazu in der Lage waren, blieben sie in die Familien- und Arbeitsgemeinschaft integriert und wurden genauso eingesetzt, beschäftigt und gepflegt wie Kinder. Der Generationenvertrag sah Erbfolge gegen Pflegeverpflichtung vor, was den Alten eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung verlieh: Die wenigen Alten wurden wegen ihres Wissens und ihrer Lebenserfahrung geachtet.

Bei den Arbeitern war es schwieriger, da sie von der Gnade der Gutsfamilie abhingen. Alt und leistungsunfähig waren sie auf Gedeih und Verderb dem Bauern ausgeliefert. Übernahm der ihre Versorgung und Pflege nicht und waren die eigenen Kinder nicht dazu in der Lage (was meistens der Fall war), gehörten sie zum Heer der Armen.

Handwerksmeister konnten ihren Beruf meistens bis zum Lebensende ausüben. Da auch sie Betrieb und Haus rechtzeitig an die Kinder abtraten, hatten sie dort bis zuletzt ein gutes Auskommen.

Gesellen, die es nie bis zum Meister brachten, arbeiteten als Tagelöhner an der Armutsgrenze oder wurden von ihrem Meister im Haus behalten.

Vorindustrielle Lohnarbeiter wie etwa Bauarbeiter oder städtische Bedienstete waren, wenn sie im Alter nicht mehr arbeiten konnten, auf die öffentliche Wohlfahrt (Armenpflege) angewiesen oder gingen betteln.

Frauen konnten beim Tod ihres Mannes wieder heiraten und damit die Altersversorgung des neuen Lebenspartners nutzen. Ansonsten blieb ihnen nur die Möglichkeit, bei den Kindern zu wohnen oder sich im Bürgerspital einzukaufen, wo sie dann den Rest ihres Lebens verbrachten.

Mit Beginn der Industrialisierung setzte eine Veränderung vom Versorgungs- zum Leistungsprinzip ein: Wer viel schaffte, konnte sich viel leisten und selbst für sich sorgen.

Mit Einführung der Sozialversicherung verlor das Erbe an Bedeutung, der Generationenvertrag Erbe gegen Pflege war damit hinfällig. Alte Menschen wurden uninteressant, da sie weder arbeiten noch anders zum Unterhalt beitragen konnten, und lästig, da ihre Pflege die Jüngeren am Arbeiten und Geldverdienen hinderte. Ihre Erfahrungen, einst gefragt und geschätzt, galten plötzlich als veraltet und waren nichts mehr wert.

Öffentliche Einrichtungen übernahmen nach und nach die Funktion der Familien- und Hausgemeinschaften. Beruf und Altersversorgung hingen weniger von der Familie ab.

Altenhilfe wurde zu einer öffentlichen Angelegenheit: Statt sich in Ruhe und Frieden in den Schoß der Familie zurückzuziehen und dort die Früchte eines langen, harten Lebens zu genießen, wurden die Alten in die entsprechenden Einrichtungen geschickt, da niemand Zeit und Geld für sie hatte. Greisen-Asyle, Siechenhäuser, Pfründneranstalten, Hospitäler, Spitäler, Bürgerheime und ähnliche Institutionen kümmerten sich nun darum, den Alten zentral Behausung, Verpflegung und Betreuung zu sichern. Das bis dahin übliche private Leben in der Familie oder allein wurde abgelöst durch eine zentralisierte und institutionalisierte Alterssicherung. Die Verantwortung dafür ging von der Familie auf die Gesellschaft über.

Bis heute sind diese Formen der Altenhilfe üblich. Bis zur Einführung der Pflegeversicherung (1995) gab es keine Hilfen vom Staat. Abgesehen von Rente oder Sozialhilfe waren Alte und ihre Angehörigen auf eigene Reserven an Zeit, Energie und Geld angewiesen. Professionelle Pflege musste zugekauft werden. Meist gab es einen Haus- oder Krankenpflegeverein vor Ort, bei dem man Mitglied wurde und der bei Bedarf die Pflege übernahm oder notwendige Pflegehilfsmittel (Pflegebett, Toilettenstuhl etc.) verleihen konnte.

Ließen die Verhältnisse eine weitere Pflege durch die Angehörigen nicht mehr zu, musste ein Platz in einer geeigneten Einrichtung irgendwo zwischen „Zimmer mit Gesellschaft“ und „vollstationärer Pflege“ gefunden werden. Die Konzepte dafür wandelten sich mit der Zeit (12):

 In den 40-er Jahren bis Anfang der 60-er wurden Einrichtungen als Verwahranstalt geplant, in der der pflegebedürftige Insasse verwahrt wurde

 In den 60-er bis 70-er Jahren herrschte das Leitbild „Krankenhaus“ vor, und hier wurde der pflegebedürftige Patient behandelt

 seit den 80-er Jahren hat sich das Leitbild „Wohnheim“ durchgesetzt, wo der pflegebedürftige Bewohner nun aktiviert wird.

In den letzten beiden Jahrzehnten änderten sich Blickwinkel und Bedürfnisse erneut. Der Idee von Hilfe jederzeit und später Hilfe bei Bedarf folgten andere. Auch das Konzept des Betreuten Wohnens ging auf Dauer nicht auf, da es nicht alle Bedürfnisse der Senioren berücksichtigt. In dem Maß, in dem die ältere Generation ein neues Selbstbewusstsein entwickelt und unabhängig von Familie und Staat leben will, entstehen derzeit Konzepte, in denen Leben, Wohnen und gegenseitige Hilfe statt Abhängigkeit und Verpflichtung in den Vordergrund rücken. Die Idee des Gemeinschaftlichen Wohnens beginnt sich zu verbreiten.

Auch dies wird nicht bis in alle Ewigkeit halten. Irgendwann kommen andere Strömungen und Entwicklungen.

Blutsbande – Pflege durch die Angehörigen

Frau A. lebt allein und ist halbtags berufstätig. Mittags kümmert sie sich um die Kinder ihrer berufstätigen Tochter, abends fährt sie zu den eigenen Eltern. Um die Pflege des Vaters sicherzustellen, hat sie vor einiger Zeit einen ambulanten Pflegedienst zugezogen, doch ihrem Vater fällt es schwer, fremde Menschen in seiner Wohnung zu ertragen. Frau A. überlegt nun, ob sie ganz zu den Eltern ziehen soll.

Die Versorgung eines alten Menschen ist noch immer vorwiegend Aufgabe der Angehörigen, vor allem der Frauen. Da sie aber meist selbst zum Familieneinkommen beitragen und sich zudem um die Kinder kümmern, ergibt sich für sie ein Bündel von Diensten, die im Alltag schwer zu vereinbaren sind. Daraus erwächst die Gefahr, dass die Pflege überfordert und das Hilfeversprechen sich in Hilflosigkeit wandelt. Besonders die Pflege eines dementen oder in seiner Persönlichkeit veränderten Angehörigen kann schwer belasten.

Die Unterstützung älterer Familienmitglieder durch die Angehörigen lässt sich in vier Gruppen unterteilen:

 gelegentliche Hilfe bei der weitgehend selbstständigen Haushaltsführung

 gelegentliche Hilfe im gemeinsamen Haushalt

 umfangreiche Hilfe bei getrennter Haushaltsführung

 umfassende Vollpflege im eigenen Haushalt

Während gelegentliches Putzen, Waschen, Kochen, Einkaufen und ab und zu Unterstützung bei der Körperpflege sich noch in den eigenen Tagesablauf integrieren lassen, sind umfangreichere, manchmal tägliche Pflegeleistungen in getrennten Haushalten kaum noch zu erbringen. Hier entlastet der professionelle Pflegedienst, dessen Fachkräfte schnell und effektiv die tägliche Pflege oder andere Hilfestellungen meistern und zusätzlich Beratung anbieten.

Mit Einführung der Pflegeversicherung ist diese Leistung erschwinglicher geworden. Ob und in welchem Ausmaß Hilfen möglich sind, erläutert die zuständige Pflegekasse. Reicht die Hilfsbedürftigkeit für zumindest Pflegestufe I nicht, muss nötige Unterstützung selbst finanziert werden. Ist das Geld dafür nicht da und sind die Hilfen dennoch notwendig, um Gefahren abzuwenden oder einen Pflegeheim-Aufenthalt zu vermeiden, kann unter bestimmten Bedingungen das Sozialamt einspringen.

Viele Senioren, besonders die im Alter weiter vorangeschrittenen, nehmen die Hilfe ihrer Familie dankbar an. Aber immer mehr wollen im Alter nicht von ihren Kindern versorgt werden, sich weder emotional noch räumlich oder finanziell abhängig machen. Sie wollen ihren eigenen Lebensrhythmus und -stil beibehalten und sich nicht an die Erfordernisse eines Pflegeverhältnisses anpassen. Untersuchungen belegen (13):

 Senioren wollen heute so lange wie möglich selbstständig wohnen.

 Immer mehr von ihnen sind auch im Alter noch umzugsbereit.

 Der Bedarf an selbstbestimmten Wohnformen wächst.

Vor allem die Jungen Alten suchen frühzeitig nach Alternativen, um es gar nicht erst zu einer solchen Situation kommen zu lassen. Sie möchten oft lieber in den eigenen vier Wänden bleiben und sich von professionellen ambulanten Diensten helfen lassen, als die Familie in die Versorgung einzuspannen.

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9783941717046
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