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Читать книгу: «Sommerspiel», страница 6

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Er sah zu ihr auf.

Sie errötete heftig. Mit einem Lächeln reichte sie ihm die Hand.

»Sagen Sie einmal »Wurst«,« bat sie leise.

Er lächelte und ergriff ihre Hand. »Wurst,« sagte er.

»Haut!« flüsterte sie und drückte seine Hand fest.

Er saß eine Weile über ihre Hand gebeugt da. Dann führte er sie an seine Lippen und küßte sie langsam.

Sie schwiegen beide, – und horchten nach einander. Um sie her war es ganz still. Im Walde hinter ihnen flog plötzlich ein Vogel auf, zwitscherte leicht und verstummte. Ein leises Summen von Mücken in der Luft, – und hoch über ihren Häuptern das ferne Sausen in der hohen Krone des Fichtenbaumes.

Frau Thomsen saß da und starrte mit einem sonderbaren furchtsamen Lächeln vor sich hin. Sie hielt noch immer seine Hand in der ihren und gab sie nicht frei.

Habe ich ihn jetzt? dachte sie, – habe ich ihn jetzt wirklich? – — ich habe ja nur die Hand nach ihm ausgestreckt – —

Bin ich denn wirklich noch so schön? flüsterte sie sich selbst mit einem tiefen Gefühl von Freude zu. – — Noch gestern so einsam, so gedemütigt, so – vorbei – — Und heute! Rache, – Ruhe – — Gleichgewicht – — Neues junges Glück! – —

Sie sah mit einem zärtlichen, strahlenden Blick zu ihm herab und preßte ihre Hand heftig gegen seinen Mund.– —

Hartwig saß da und betrachtete ihre feste, weiße Hand, in der sich die Adern in einem feinen, vielfach gekreuzten Netz blau unter der Haut hinzogen. Er dachte an Ingeborgs kleine, nervöse, unzuverlässige Hände, die alles umklammerten und wieder losließen. Nein, diese Hand war ruhig und klar, erfahren wie seine eigene, stark und sicher.

Ja, sie war die, die er suchte. Sie besaß die Überlegenheit, die er am meisten bewunderte, – die sich mit einem Lächeln in die Entscheidung stürzte. Ein leichter Scherz, dann war das Schicksal gewendet. Hier, wo andere feierlich gestammelt oder sich beleidigt abgewandt hätten, – ja, das hätte Ingeborg gethan! – —

Und als sie in diesem Augenblick selbst ihre Hand gegen seine Lippen preßte, küßte er sie mit plötzlicher Heftigkeit, wie herrlich, alles zu vergessen! – Ganz wollte er sie lieben, – er hatte ja noch nie geliebt! – Wie schön sie war, wie gut, wie zärtlich! – —

Mit einem schwindenden Lächeln sah er auf. – — Er wollte sich erheben und sie an sich ziehen – —

Eine Unruhe durchzuckte ihn, – er näherte sich nicht. Saß nur unbeweglich da und starrte sie an.

Ingeborg, flüsterte es in ihm. —

Was war dies nur? – —

Es war wie ein blitzschneller Schmerz, – ein Streif weißen Lichts, – — eine plötzliche Angst, die ihn durchzuckte. – —

Unsinn!

Er erhob sich und setzte sich neben sie auf die Bank. Aber wie er so da saß und ihre schönen, üppigen Züge anstarrte und ihre dunklen Augen, die zu ihm auf sahen, – da wurde es alles in einer Sekunde gleichsam zu einer toten Maske, – und in ihm strahlte ein scharfes, junges, blondes Gesicht mit plötzlicher Stärke auf, – Ingeborg – — —

Wie im Traume beugte er sich zu Frau Thomsen herab. »Wie schön Sie sind!« murmelte er geistesabwesend.

»Für Sie!« sagte sie lächelnd.

Dann erhob sie sich und machte sich mit dem Korb zu schaffen, der in einiger Entfernung von ihnen stand.

Hartwig strich sich über das Gesicht, was ging nur auf einmal mit ihm vor? – — Wie kam es nur, daß in der Sekunde, wo er an seinem Ziel stand, alles in seinem Innern sich herumdrehte? – — war es Feigheit, oder was war es? – — Warum wurde ihm plötzlich so schwer ums Herz? – —

Kindische Thorheit! Den Teufel auch, er war doch ein Mann!

Frau Thomsen kehrte mit Cigarren und Cigaretten zurück, die sie ihm hinhielt.

Er räusperte sich schnell. »Danke!« sagte er laut und munter. »Sie sind heute ja unerschöpflich!«

Sie zündeten die Cigaretten an, und sie setzte sich neben ihn.

»Jetzt will ich Ihnen etwas erzählen, Hartwig,« sagte sie und legte ihre Hand über die seine auf der Bank, – »Thomsen ist mir untreu.«

Er saß eine Weile da und starrte sie an. »So?« sagte er gedämpft. »Davon hatte ich keine Ahnung.«

Sie lächelte kurz. »Nein, ich auch nicht, – bis neulich.«

»Aber Sie sagten doch gerade vorhin, er habe keine Erfahrungen,« fuhr Hartwig fort. Mit einer sonderbar erstaunten, zornigen Miene saß er da und betrachtete die Spitze seiner Cigarette.

»Die hat er auch nicht!« entgegnete sie flüchtig, – »Sie ahnen nicht, wie alltäglich das Ganze ist. Eine kleine, ältliche Dame, die er seit vielen Jahren gekannt hat, und die er noch immer jeden Sonnabend regelmäßig besucht. Sie sitzt neben ihm und stickt, er befühlt die Stickerei und findet, daß sie brillant gemacht ist. Dann spielen sie einen Whist, und dann ist die Sache aus. Ich war nicht einmal ordentlich ärgerlich oder traurig, als ich es hörte, so langweilig fand ich das Ganze. Aber das sieht ihm so recht ähnlich!«

Hartwig saß da und sah zu Boden, während er mit seinem Stock die Erde aufwühlte.

»Warum erzählen Sie mir das eigentlich?« fragte er. Sie sah ihn ein wenig verwundert an. »Aber das ist doch ganz natürlich,« sagte sie. »Sie müssen über meine Verhältnisse Bescheid wissen. Das ist doch das wenigste, was ich Ihnen schulde.«

Er antwortete nicht. Wenn sie mir das doch nicht erzählt hätte! dachte er.

»Sehen Sie, Hartwig,« fuhr sie unverzagt fort, »und putzte ein wenig Tabak aus der Cigarette von ihrem Munde,« – »jetzt wissen Sie das also, – auch ich sollte meinen, das müßte Ihnen ganz angenehm sein. Thomsen ist dadurch ja neutralisiert. Mit dem können Sie deswegen sehr gut Freund bleiben, ohne daß es Ihr Zartgefühl verletzt, – vom praktischen Standpunkt aus ist das doch ein Vorteil, nicht wahr?«

»Ja natürlich!« sagte er kurz. Sie sah ihn einen Augenblick an. »Komm, Pollux!« rief sie nervös und schlug sich auf das Knie. Pollux kam schnell zu ihr hingelaufen und legte den Kopf in ihren Schoß. »Ich nehme die Sache ja nicht tragisch, wie Sie sehen,« fuhr sie fort, während sie den Hund hastig streichelte, – sie mußte etwas haben, womit sie ihre Hände beschäftigte, – »ich habe das Leben ja immer recht nüchtern und illusionslos angesehen, ich weiß, wie zufällig und sinnlos es alles ist, ganz so, wie Sie es auch auffassen.«

Fasse ich es auch so auf? dachte Hartwig plötzlich. Nun? – Aber er schwieg.

»Das ganze ist ja gleichgültig,« fuhr sie fort, »hätte sich aber Thomsen statt mit mir mit seiner kleinen Gouvernante verheiratet, so wäre es vielleicht besser gewesen. Und das hätte er genau so gut thun können. Er kannte sie, ehe er mich kennen lernte, sie war aus ganz achtbarer Familie, hatte ein bißchen Geld, – sie paßten gerade zu einander. Aber meine Familie war ein wenig eleganter, mein Onkel war Etatsrat, – ich bekam viel mehr Geld, – da wurde ich es denn. Hätte er sich aber mit ihr verheiratet, so hätte er sich allerlei eheliche Unannehmlichkeiten gespart, – er macht sich ja aus nichts in der Welt etwas, wenn er nur ruhig leben und tüchtig Geld verdienen kann. Aber jetzt ist es ja zu spät. Er hat sein Los gewählt. Jetzt wähle ich das meine.«

Er sah sie an. Sie saß da und strich dem Pudel mit der Hand über den Kopf und starrte mit geistesabwesendem Blick vor sich hin, während sie die Cigarette langsam zwischen ihren Lippen auf und nieder bewegte.

Hartwig runzelte die Stirn. Sie war aber doch wirklich auch zu nüchtern und illusionslos, fand er. Sie saß da und sprach von ihren intimsten Verhältnissen, mit einer so ruhigen Miene, als handele es sich um wildfremde Menschen. Das war doch eigentlich sehr sonderbar. Ob sie wohl schon ein wenig verbraucht war? Alles ging ihr so glatt von der Hand, und doch war es nichts weniger als den Ruin eines Familienlebens, den sie da vorbereitete.– —

Der Ruin eines Familienlebens!

»Na,« sagte sie plötzlich und sah ihn lächelnd an, »die beiden hätten wir glücklich zusammengeklatscht. Eins, zwei, drei, das nächste Paar herbei?«

»Und wer ist das?« fragte er.

»Das sind wir, mein Freund,« sagte sie und preßte seine Hand fest, »konnten Sie das denn nicht erraten?« – —

»Ja, das konnten Sie,« fuhr sie nach einer Weile fort, als er nichts erwiderte, »denn als Sie vorhin von der einen Frau sprachen, die Sie suchten, und die Ihnen folgen könne, ohne daß Sie sie fragten weshalb, da meinten Sie mich. Können Sie das leugnen?« fragte sie mit einem hastigen, nervösen Lächeln.

»Nein, das waren Sie,« sagte er schnell.

»Ja!« sagte sie schnell, indem sie sich erhob.

Sie blieb eine Weile stehen, ging dann hin und setzte sich auf das Plaid, das zu seinen Füßen lag. Sie stützte die Arme auf seine Knie und legte das Gesicht in ihre Hände.

So sah sie zu ihm auf.

»Hartwig!« sagte sie, »Ernst Hartwig!«

Die Stellung kleidet Sie nicht, dachte er, – man muß schlanker sein, um sich so zu krümmen.

Sie aber beugte sich noch mehr vornüber, faltete die Hände über seinen Knien und sah empor.

»Es ist sonderbar,« sagte sie gedämpft und schüttelte langsam den Kopf, – »ich finde, ich bin in den letzten Tagen eine ganz andere geworden. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Glücklicher bin ich eigentlich nicht geworden, denn ich habe nun einmal verlernt, an das Glück zu glauben. Aber ich weiß nicht, – es ist mir als habe sich plötzlich etwas vor mir aufgethan, – etwas, an dessen Vorhandensein ich nicht glaubte. Ich bin also nicht ausschließlich Familienmensch, nicht nur Tante, Cousine, Schwester. Ich hatte immer geglaubt, wenn ich nur darauf los redete, so gäbe jeder das Seine her und sei böse oder vergnügt, oder wie es sich gerade paßte, – und damit sei es aus. Aber da ist also noch mehr. Das ist sonderbar.«

Sie schwieg und starrte in die Höhe.

Hartwig hörte nicht recht hin nach dem, was sie sagte, so erfüllt war er von den unruhigen Gedanken, die plötzlich in ihm rege geworden waren. – Das alles klingt ja ganz nett, dachte er, – aber das Resultat bleibt doch der Ruin einer Familie – —

Ingeborg! dachte er plötzlich – wo bist du? – —

»Ich verstehe es nicht,« fuhr Frau Thomsen leise fort. – — »Meine Augen – sehen sie besser als bisher? – Oder ist es mein Gesicht? – — « Langsam erhob sie die Hand und führte sie in ovalem Bogen in der Luft um das Gesicht herum – in leiser Verwunderung – — »es ist alles stärker – — es ist so viel Eigentümliches in der Luft, was ich bisher nicht gefühlt habe – Oder sind Sie es, Hartwig?« flüsterte sie plötzlich mit einem tiefen Blick und hielt ihm die Hand hin.

Er sah sie nicht. Ein Gedanke hatte ihn so heftig gepackt, daß er ihn nicht abzuschütteln vermochte. Wo ist Ingeborg jetzt? Was thut sie jetzt?

»Hartwig?« fragte Frau Thomsen leise.

Ihre Stimme wurde ihm unleidlich, angreifend. Da saß sie und sprach von ihrer Ehe, von sich selbst, von ihrem Mann. – Aber du großer Gott, waren es nicht ebenso sehr Ingeborg und er, von denen sie sprach? Ihre Ehe? So würde es jetzt also werden! Auf die Weise würde man darüber reden! – So kaltblütig würde man dasitzen und es betasten und erklären und verteilen und arrangieren – —

Unmöglich! Niemals! flüsterte er sich selber zu und stemmte seinen Stock so gewaltsam gegen den Boden, daß er zerbrach.

»Was haben Sie, Hartwig? Woran denken Sie?« fragte Frau Thomsen und sah ihn an.

Er wurde verwirrt. »An Sie!« sagte er schnell und drückte ihre Hand heftig.

Sie betrachtete ihn einen Augenblick prüfend.

»Ach so, Sie sind nervös,« sagte sie leise, – »das ist ja so natürlich!« Sie wandte sich von ihm ab und sah auf das Wasser hinaus.

Auch seine Augen schweiften nach dem schmalen Sund hinüber, der im Sonnenschein flimmernd, vor ihnen lag.

Es entstand eine Pause.

»Was ist denn das?« sagte Frau Thomsen plötzlich und beugte sich ein wenig vornüber. »Ist das nicht Vedels Boot da unten?«

In weiter Ferne war ein kleines, weißes Segelboot sichtbar geworden. Wiegend glitt es über das blaue Wasser.

Hartwig sprang auf und schleuderte den zerbrochenen Stock von sich.

»Ja,« sagte er.» Das ist Ulf II.«

»Ja, ich sah das Boot ja vorhin draußen vor dem Hafen liegen und kreuzen,« fuhr Frau Thomsen fort. »Der einsame Baron —«

»Einsam?« murmelte Hartwig und starrte hinaus. Das Boot wurde jetzt von den Bäumen zur Rechten fast seinen Blicken entzogen. Er trat an die Seite, um es so lange als möglich zu verfolgen.

»Ja, Sie sehen sicher schärfer als ich,« sagte Frau Thomsen, »ist er denn nicht allein?«

Das Boot verschwand.

»Natürlich!« sagte Hartwig kurz. Er stand noch da und starrte ihm nach. Hatte er nicht etwas Helles hinter dem Segel neben Vedel schimmern sehen, den er deutlich am Steuer erkennen konnte?

»Er segelt ja immer allein,« fuhr er fort und kehrte zu ihr zurück.

Frau Thomsen erhob sich.

»Ja, – war er denn jetzt auch allein?«

fragte sie gedämpft. »Sind Sie dessen ganz sicher, Hartwig?«

»Natürlich!« sagte er gereizt. »Wollen wir nicht nach Hause gehen?«

Frau Thomsen war sehr blaß geworden. Aber sie trat ganz dicht an ihn heran und sah ihm gerade in die Augen.

»Das, was wir dort sahen,« sagte sie, – »war das nicht das dritte Paar?«

»Das dritte Paar?« wiederholte er mechanisch.

»Also Vedel, – und Ihre Frau?«

Er antwortete nicht. Aber sie sah, wie eine jähe Röte sein sonnengebräuntes Gesicht verdunkelte, – und ohne zu wissen was sie that, schlang sie den Arm um seinen Hals und starrte ihn flehend an, während ihre Lippen zu zittern begannen.

»Sind Sie traurig, Hartwig?« fragte sie leise. »Können Sie das nicht leiden?«

»Wollen wir nicht nach Hause gehen?« fragte er hart und schüttelte ihren Arm ab.

Sie stand eine Weile da und sah ihn an. Es ist vorbei, flüsterte sie sich selber zu, und ihr Herz zog sich in Qual zusammen. – — Dann starrte sie mit einem wunderlich hilflosen Blick vor sich hin, ihre Züge wurden tot und schlaff, sie schauderte leise, als friere sie.

Aber sie nahm sich zusammen, – und langsam ging sie nach ihrem Korb. Warum? – Warum? – — fragte es in ihr. Ruhig und schweigend packte sie den Korb. Als aber der Pudel im selben Augenblick wedelnd an ihr in die Höhe sprang, schlug sie ihn mit der geballten Hand auf die Schnauze, so daß er mit lautem Heulen davon sprang.

Sie nahm das Plaid und den Korb.

»Darf ich es nicht tragen?« fragte Hartwig mechanisch.

Sie aber schüttelte nur den Kopf und ging schnell durch den Wald. Er folgte ihr, und in völligem Schweigen kehrten sie zurück, – denselben Weg, den sie gekommen waren, – auf den Strandweg hinaus.

Hartwig ging aufrecht, steif, mit zusammengepreßten Lippen neben ihr. Er war erbittert auf sie, wütend über sich selber, verwirrt, ohne alles Gleichgewicht.

Sein Benehmen war grob, – das wußte er. Natürlich mußte er plaudern und thun, als sei nichts vorgefallen. Er benahm sich auch dumm. Mit ein klein wenig Gewandtheit hätte er sicher diesen Wahnsinn auslöschen und alles in das Geleise des Alltäglichen hinüberleiten können.

Ja, plaudern, – schwatzen, – thun, als sei nichts vorgefallen.

Aber das konnte er nicht. Er konnte es nicht. Tief in seinem Innern wühlten hohe Wellen, – Reue, Sehnsucht, Kummer, Angst, Zorn kämpften in ihm.

Wo bin ich nur einmal gewesen? Was habe ich nur mit mir selber gethan? —

Er spähte auf den Sund hinaus, – aber heute war da draußen ein Segel neben dem andern, – Fischerboote, Kutter, Lustyachten, – er konnte nicht finden, was er suchte. – —

Ingeborg, wo bist du?

Hier gehe ich – neben dieser fremden Dame, – und da unten fliegt sie mir weg, – die einzige, die ich liebe!

Nie hatte er das so empfunden wie jetzt! – —

Kann sie mich denn nicht hören? Ist es zu spät?

Nur mit der größten Anstrengung vermochte er seinen Gang nach Frau Thomsen zu richten, und sein Gesicht wurde immer unruhiger, je mehr er sich der Villa näherte.

Frau Thomsen hatte den ganzen Weg ihren Sonnenschirm dicht vor das Gesicht gehalten. Als sie an Hartwigs Pforte kamen, blieb sie stehen – und wandte sich nach ihm um.

Er zuckte zusammen und starrte sie mit zwinkernden Augen an.

Ihr Gesicht war glühendrot, und ihre Züge waren verzerrt, – gleichsam erstarrt in einer Verzweiflung, die sie nicht beherrschen konnte. Ihre Augen sahen ihn nicht an. Der Blick flüchtete und floh nach allen Seiten mit einem blinden, verwirrten Ausdruck. Die Zähne waren in die Lippen gepreßt.

Hartwig griff an den Hut und nahm ihn ab.

»Zürnen Sie mir, liebe Frau Thomsen?« fragte er leise mit einer gewissen Ehrerbietung in der Stimme.

Sie aber antwortete nicht und sah ihn nicht an. Sie wandte sich langsam um und ging.

In ihrem Gehirn brannte das eine Wort:

Verschmäht! – —

Hartwig stand einen Augenblick da und sah ihr nach. Langsam entfernte sie sich, – mit ihrem Sonnenschirm, ihrem Korb, ihrem Plaid und ihrem Hund.

Nun, sie wird es sich wohl von der Seele reden, dachte er, – und er wandte sich um und ging dem Hause zu. – — Aber ich? Und Ingeborg? Sind wir noch zu retten?

Ein Fieber ergriff ihn, schnell ging er ins Haus und durchschritt die Stuben. Niemand! Niemand! – Überall standen die fremden Möbel und glotzten ihn spöttisch an.

In den Garten hinunter, – eine hastige Runde, – nein! – Dumme Gipsstatuen, – Baumstämme – aber nichts dahinter, leere Bänke! – Keine Menschenseele.

Er begegnete dem Hausmädchen, der schwerfälligen, eigensinnigen Valborg.

»Haben Sie die gnädige Frau nicht gesehen?« fragte er atemlos.

»Die gnädige Frau?« wiederholte sie und setzte ein erstauntes Gesicht auf. – — Die ist ja nicht zum Frühstück zu Hause gewesen.«

»Wo ist sie denn?«

»Ja, wo ist sie?« kicherte das Mädchen.

»Ist sie ausgegangen? meine ich.«

»Ich dachte, sie wäre mit dem Herrn gegangen – «

»Zum Teufel auch, dann würde ich Sie doch nicht fragen! Haben Sie sie ausgehen sehen?«

»Ob ich sie habe ausgehen sehen?« sagte sie schleppend. »Ja, sie ist vorhin mit Hut und Tuch die Straße hinabgegangen.«

»Wie lange ist das her?«

»Ach, – das mag wohl eine Stunde her sein.«

»Welchen Weg ist sie gegangen? Schnell! Schnell!«

»Welchen Weg? Den Weg hinab —«

»Zum Teufel auch! Ging sie nach rechts oder nach links!« rief Hartwig und stampfte mit dem Fuß.

»Nach rechts hinab, nach rechts hinab!« stammelte das Mädchen entsetzt.

Er wandte sich um und entfernte sich schnell.

»Herr du meines Lebens! Die gnädige Frau hat sich doch kein Leid angethan!« rief Valborg und glotzte ihm mit weitaufgerissenen Augen nach.

»Ein Leid angethan« flüsterte Hartwig, – — ja, wer weiß, wer weiß, was sie gethan hat! – —

Aber käme sie nur zu ihm, – er wollte sie in seine Arme nehmen und sie hoch empor heben und nie, nie wieder los lassen!

Käme sie doch nur!

Und mit Sturmesschritten ging er nach dem Hafen hinab.

VII

Hans Vedel war seit der frühesten Morgenstunde auf See gewesen.

Er hatte diese Nacht nur wenig geschlafen, bewegt wie er war von den Ereignissen des Abends, und als der Tag graute, stand er auf und ging hinaus.

Die Uhr war kaum drei. Über dem Himmel lag noch eine schwere, graue Wolkendecke, und es regnete ein wenig. Oben in der nordwestlichen Ecke klärte es sich aber stark auf, – es wird nicht mehr lange währen, bis wir gutes Wetter bekommen, dachte er.

Unten am Hafen regte sich in der Dämmerung ein gedämpftes Leben. Die Fischer waren im Begriff, ihre Boote für den Morgenfang zurecht zu machen. Die Segel wurden mit leisem Klirren an den Masten in die Höhe gezogen und die Boote leer geschöpft.

Vedel sprang in sein Entlein hinab. Es lag wie gewöhnlich leicht wiegend auf dem Wasser, weiß, rein und zierlich. Er spülte es schnell ab und machte es segelklar.

Neben einem Fischerboot glitt er langsam aus dem Hafen hinaus. Der Fischer, – ein junger, langhalsiger Mann mit rötlichem Schnurrbart, eine kleine, kurze Pfeife zwischen den Zähnen, – stand da und mühte sich mit seinen Segeln ab.

»Der Herr Baron ist heute frühe im Gange,« sagte er zu Vedel hinüber und grüßte.

»Ja,« sagte Vedel und beugte sich vor: »Sind Sie es, Sörensen?«

»Jawohl, jawohl!«

»Was für Wind haben wir heute morgen, Sörensen?«

»Steifer Nordwest,« sagte der Fischer. »Wenn wir ein bißchen weiter hinauskommen, werden wir es schon merken.«

»Wo wollen Sie hin, Sörensen?«

»Ja,« sagte der Fischer nachdenklich, – »ich wollte ja eigentlich hin und den Holländer preien, der da draußen liegt. Er kann ja immer Tabak und ein paar Flaschen Bier gebrauchen.«

»Aber Sie sagen ja, daß die Holländer immer so schlecht bezahlen.«

»Ja,« sagte er, »das ist ganz recht. Er giebt kein Handgeld. Ich glaube auch, ich gehe lieber nordwärts, da liegt ein Russe, dann kann der Holländer meine Steinbutt von gestern kriegen. Dafür kriege ich jedenfalls ein paar Tauenden.«

Vom Lande her kam ein heftiger Windstoß.

»Da haben wir ihn,« sagte der Fischer und wendete die Segel.

»Na, guten Morgen, Sörensen, und viel Glück bei dem Handel!« sagte Vedel freundlich. »Danke, Herr Baron!« Sörensen war schon ein ganzes Ende entfernt.

Vedel griff nach dem Steuer und lenkte nach Osten, nach Hveen hinüber. Das Entlein hüpfte und stieß ein paarmal gegen die Strömung und glitt dann schnell und ruhig weiter.

Vedel fühlte sich ein wenig schwer im Kopf und etwas fieberhaft nach der schlaflosen Nacht, aber die kurze Unterhaltung mit dem Fischer hatte ihn zerstreut, – langsam glitt er in einen Zustand ruhigen, dumpfen Wohlseins hinüber, wie ihn das Leben auf See ihm immer brachte. Dies stoßweise Wiegen, das schnelle Fließen des Wassers an den Seiten des Bootes entlang, das leise Glucksen am Steven, – diese ganze freie und einsame Fahrt, mit einem Windstoß hie und da und einem schäumenden Wasserstreifen hin und wieder über die Reeling, – das alles betäubte sein Bewußtsein nach und nach, lähmte seine Gedanken.

Stunde auf Stunde saß er unbeweglich da, mechanisch Steuer und Segel bedienend. Er lebte kaum, – und er war ganz glücklich. Er empfand nichts weiter als ein leises Prickeln der Luft gegen sein Gesicht. Das unaufhörliche Glucksen des Wassers vernahm er allmählich gar nicht mehr, – und der Himmel erstarrte vor seinem Blick zu einer einzigen, grauen Fläche. Es war, als werde er lautlos in einen unendlichen Raum emporgetragen, und er entschwand sich selber.

In diesem seligen Rausch war er im Laufe von ein paar Stunden ganz hart an die hohen grauen Ufer der Insel Hveen gelangt. Er erwachte dadurch, daß sich etwas Lebendiges vor dem Steven seines Bootes bewegte. Es war ein Mann, der oben auf einer Wiese zwei Kühe vor sich her trieb. Er sah empor! Der Himmel war jetzt ganz klar, und über den großen, dunklen Wolkenbänken, die nach Schweden hinübergetrieben waren, stand die Sonne. Sie stand schon hoch am Himmel: es mußte ungefähr fünf Uhr sein.

Er drehte das Boot um und nahm den Kurs nach Süden. Der Wind war ganz nach Westen herumgegangen, wie es schien. Es würde wohl fünf bis sechs Stunden währen, bis er wieder zu Hause war.

Er war hungrig und machte sich über die vier Schnitten Butterbrot her, die er immer auf seinen Morgenfahrten mitnahm. Dann hielt er es vorzüglich bis zum Frühstück aus. Und langsam, in sehr langen Schwingungen, fing er an, nach der Küste von Seeland zurück zu kreuzen.

Zuweilen dachte er jetzt an Ingeborg. Und wenn sie vor ihm auftauchte, so fühlte er sich plötzlich bewegt. Er rückte unruhig auf seinem Platz hin und her und preßte die Hand um die Steuerpinne. Es unterlag ja keinem Zweifel, daß sie betrübt war —

Dann aber glitt sie wieder fort, und stundenlang saß er wieder da und starrte in die Luft hinein, ohne einen Gedanken, von seinem schlafähnlichen Zustand bezwungen.

Wie liebenswürdig war sie gestern abend, dachte er dann plötzlich, ich glaube, wir haben noch nie so vertraulich miteinander geplaudert wie gestern. Wir durchlebten ja unsere ganze Kindheit noch einmal.

Unsere Kindheit – —

Aber bewegt und aufgeregt war sie allerdings die ganze Zeit gewesen, dachte er eine Stunde später, so sonderbar forciert. Und wie wütend ich doch auf Hartwig war. Es war eigentlich ein ungemütlicher Abend, wenn Ingeborg das nicht bei Tische gesagt hätte, – das, – das, – — dann hätte ich ihn gefordert und vielleicht getötet.

Ihn getötet – — —

Eine lange Weile nachher kam ihm der Gedanke:

Ob sie dann wohl froh und glücklich geworden wäre? – Ich weiß es nicht. Liebt sie ihn, oder macht sie sich nichts aus ihm? – Ich weiß es nicht.

Nach einer Weile fand er Trost in dem Satz, den er gestern abend, als er nach Hause kam, mit einer so großen Selbstüberwindung in sein Tagebuch gezirkelt hatte:

Ich glaube, ich hätte sie glücklicher machen können. – — »Ich glaube, ich hätte sie glücklicher machen können,« murmelte er, – »ich glaube, ich hätte sie glücklicher machen können.«

Es vergingen ein paar Stunden. Es kreuzte sich immer langsam vorwärts, und die Küste näherte sich. Die Sonne fing an, sein Gesicht warm zu bescheinen, und vom Wasser her sprühten vor ihm und hinter ihm Lichtfunken auf.

Wie ich sie doch liebe, dachte er plötzlich. Ob es mir nie vergönnt sein wird, ihr einen Dienst zu leisten? – Dazu werde ich wohl niemals kommen. Denn sie hat ja alles, – ausgenommen vielleicht das Eigentliche. Vielleicht! – Aber das kann ich ihr auf alle Fälle nicht geben. Denn mich will sie nicht haben.

Nein, mich will sie nicht.

Er sagte das ganz ruhig vor sich hin. Er hatte so oft hierüber nachgedacht, es stand für ihn so unerschütterlich fest.

Laß den Gedanken nur wieder fliegen!

Jetzt erkannte er den Hafen dort zur Rechten deutlich, und plötzlich fühlte er, daß er hungrig war. Er sah nach seiner Uhr. Es war ungefähr halb zwölf, – er war über acht Stunden draußen gewesen. Ach, wie das Frühstück munden sollte. Wenn Mamsell Paulsen heute nur etwas ordentlich Solides hat, dachte er, – ihre ewigen Omelettes habe ich wirklich bald satt! —

Er legte das Boot um, – er wollte jetzt eine tüchtige Wendung nach Norden machen, dann konnte er in zehn Minuten im Hafen sein. Einen Augenblick später befand er sich wieder vor der äußersten Hafenmole.

Plötzlich starrte er nach dem Ufer. Da stand ja jemand und winkte mit dem Tuch, – eine Dame! – —

Ob sie mir winkt? dachte er erstaunt und sah sich um. Ja, es war sonst niemand in der Nähe, also galt es ihm! Wer konnte das doch nur sein? – Wie sie winkte! – — —

Er beugte sich vor und starrte nach dem Ufer. —

Ingeborg! – —

Ingeborg, – das ist ja unmöglich! Ingeborg. – — Ja! Er kannte ihre Gestalt unter Tausenden heraus! Sie war es! Und er griff nach seinem Taschentuch und wehte aus Leibeskräften.

Aber was war denn das? – Eine Stimme! – Angespannt lauschte er.

»Komm, Hans!« hörte er aus der Ferne.

Mit aller Macht riß er das Steuer nach rechts herum. Das Boot drehte sich, – und mit klatschenden Segeln steuerte es langsam auf sie zu.

Komm Hans! – — Aber du lieber Gott, – rief sie ihn denn? – Was wollte sie? – Was war nur geschehen? —

Du großer Gott, nun liege ich hier in direktem Gegenwind, – fast Windstille. – — Wie soll ich nur ans Ufer kommen? – —

Die Ruder her!

Er griff nach den Rudern, und pfeilschnell schoß das kleine Boot dem Hafen zu.

Ich will dir schon helfen, Ingeborg, dachte er, aufgefrischt durch die frische Fahrt, – ich will dir schon helfen. Jetzt komme ich, warte nur ein wenig, dann bin ich da! Er griff tüchtig zu, und bald glitt das Boot in den Hafen, – auf die Treppe zu.

Ingeborg stand schon auf der untersten Stufe.

»Was hast du nur, Ingeborg?« fragte er und streckte die Hand nach ihr aus.

Sie ergriff sie und sprang in das Boot.

»Laß uns hinaussegeln!« sagte sie nur.

Schweigend und schnell stängelte er sich aus dem Hafen heraus, griff zu den Rudern und ruderte, bis sie im Winde waren. Dann wandte er das Boot und im nächsten Augenblick flogen sie nach Süden.

Ingeborg war in das Boot gesprungen und hatte sich hingesetzt, wo sie stand. Jetzt saß sie unbeweglich da, ein weißes Tuch krampfhaft um die schmalen Schultern gestrammt. Das Haar umgab das Gesicht mit lockiger, lichter Fülle, sie zwinkerte unaufhaltsam mit den Augen, ihr Mund zitterte. Sie starrte ihn an, hatte ihn keinen Augenblick aus den Augen gelassen, während er ruhig mit dem Boot manövrierte.

Jetzt setzte er sich an das Steuer, dicht neben sie.

»Ach, Hans,« rief sie aus, – und hielt inne, überwältigt von ihrer Bewegung.

»Was hast du nur, Ingeborg?« fragte er leise.

»Hans!« brachte sie mühsam heraus. – »Mit Ernst und mir ist es vorbei!«

Er zuckte zusammen, aber er sagte nichts, – sah sogar weg in der plötzlichen Empfindung, daß sein Blick sie noch mehr beunruhigen könne. Das Große, das Allergrößte ist geschehen! – —

Sie saß eine Weile schweigend da. Sie kämpfet mit sich, um ruhig zu scheinen und gedämpft und verständig zu sprechen. »Siehst du, Hans,« sagte sie mit leiser, bebender Stimme, »was kann das alles nützen – — ich kann es ja an mir selber merken, daß ich ihn nicht mehr liebe. Ich bin so gut, so geduldig gegen ihn gewesen, wie ich nur konnte, – — jetzt ist es vorbei! Jetzt ist es vorbei!« rief sie unbeherrscht aus und riß das Taschentuch aus der Tasche.

»Ist er schlecht gegen dich gewesen?« fragte Vedel nach einer Weile.

»Ja, Hans!« rief sie aus.

»Hat er dich beleidigt?«

»Ja, Hans!«

Vedel schwieg ein wenig. Seine Augen wurden ganz finster.

»Wie denn, Ingeborg?« fragte er leise.

»Ach, ich hasse ihn!« rief sie aus und zerriß ihr Taschentuch, »was habe ich ihm denn gethan! Nein, ich will nicht mehr! Ich will nicht mehr!«

»Du mußt dich ein wenig beruhigen, Ingeborg,« sagte Vedel so beherrscht, wie es ihm nur möglich war. »Du mußt mir sagen, was er dir gethan hat.«

Sie brach in Thränen aus. »Ach, ich habe es ja selber gesehen, daß er vorhin mit ihr ausgegangen ist,« rief sie schluchzend aus.

»Mit wem, Ingeborg?« fragte er leise. »Mit Frau Thomsen?«

»Ja, ja, mit wem sonst!« weinte sie und fuhr in fliegender Eile fort: »Sie gingen wie ein Paar Brautleute zusammen, er trug ihren Korb! Aber das kann er gern thun, das ist es ja gar nicht! Ich bin fest überzeugt, daß sie über Liebe sprachen, – meinetwegen, meinetwegen! Aber ich mache mir keinen Deut mehr aus ihm, keinen Deut! Das ist ganz vorbei! Kannst du das verstehen, Hans? Ich will nicht länger mit ihm verheiratet sein! Ich habe ihn satt, ich habe das Ganze satt, ich hasse ihn, ich hasse ihn!« Sie weinte, zerrte an ihrem Taschentuch, putzte sich die Nase, trocknete die Thränen, kämpfte mit ihrem Haar, weinte, schluchzte, nickte fortwährend hin und her.

Vedel starrte sie verwirrt an. Nie hatte er sie so gesehen. Wie traurig sie doch war. – — Was sollte er nur einmal machen? Wie konnte er ihr helfen? Wenn sie ihn doch nur um etwas bitten wollte! —

Nur um einen Rat! – —

Er strich leise mit seiner Hand über die ihre.

»Kann ich dir nicht, irgendwie behilflich sein, Ingeborg?« flüsterte er und sah sie mit seinem dunklen Blick an, der vor Zärtlichkeit bebte.

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04 декабря 2019
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