Читать книгу: «Pepe S. Fuchs - Schatzjäger», страница 3

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Wahrscheinlich hatte er damit recht. Aber nun war es zu spät. Pepe lockerte seine Nackenmuskeln und zog den Klauenhammer aus dem Gürtel. Pawels Bajonett war ein Seitengewehr 42, in Suhl für die deutsche Wehrmacht entwickelt. Die Klinge war knapp achtzehn Zentimeter lang und lief in einer tödlichen Spitze aus. War es darüber hinaus richtig geschärft, wovon Pepe nach der Handrasur ausging, konnte es einem sehr hässliche Verletzungen zufügen, wenn der Angreifer im Umgang damit geübt war. Unglücklicherweise würde Pepe gleich herausfinden, ob das auf Pawel zutraf. Er war in seinem Leben schon mehrfach mit Messern angegriffen worden und hatte jedes Mal nur mit Mühe das Schlimmste verhindern können. Ein Motorradrocker hatte ihn fast aufgespießt und eine Chinesin hatte ihm beinahe die Kehle durchgeschnitten. Heute hatte er wenigstens einen Hammer zur Verteidigung dabei.

Die Lampe über ihnen hing an einer Eisenkette und fing bei einem heftigen Windstoß an zu zittern. Pepe ließ sich kurz davon ablenken und Pawel stach wie ein Degenfechter zu. Der Angriff kam zu ungestüm, nicht zielgenau, trotzdem ritzte die Klinge Pepes Unterarm auf. Blut quoll hervor. Das war der Weckruf, den er gebraucht hatte. Jetzt war er voll da. Adrenalin schoss durch Pepes System und schärfte alle seine Sinne. Wieder griff Pawel an, diesmal von der Seite, als wollte er Pepe mittig in zwei Hälften zerteilen. Das Messer zischte durch die Luft. Pepe riss seine Hüfte nach hinten wie der Vortänzer beim Aqua-Zumba. Die Hände samt Hammer flogen hoch in die Luft. Die Klinge zerfetzte sein T-Shirt auf Bauchnabelhöhe. Pawel wurde von seinem eigenen Schwung mitgerissen, machte einen Schritt zur Seite, nahe an den Rand des Steges heran. Sofort schlug Pepe mit dem Hammer zu, mit der Klaue voran, die eigentlich zum Herausziehen von Nägeln gedacht war. Doch Pawel war trotz seiner Größe schnell. Er packte den Laternenmast und schwang sich wie eine exotische Poledancerin um ihn herum, sodass er hinter Pepes Rücken auf dem Steg zu stehen kam. Die Holzkonstruktion schwankte bedenklich, als er schwer auf beiden Füßen landete. Pepe verlor kurz das Gleichgewicht, was ihm das Leben rettete. Seitwärts taumelnd ging Pawels Stoß ins Leere. Sein vorgestreckter Arm verpasste Pepes Niere haarscharf. Wieder holte der mit dem Hammer aus. Er traf Pawels Messerhand voll mit dem Hammerkopf. Ein Erste-Hilfe-Ausbilder hatte einmal mit Fachwissen glänzen wollen und die vielen kleinen Knochen aufgezählt, die sich rund um die Finger versammelten. Pepe war sich sicher, dass er mindestens die Hälfte davon zertrümmert hatte. Pawel grunzte schwer und ließ das Messer fallen. Dadurch ließ sich Pepe ablenken und übersah so den anfliegenden, linken Ellenbogen des Polen. Er hörte seine Nase brechen, wurde von den Füßen gerissen und stürzte rückwärts vom Bootssteg. Auch Pepe verpasste das Wasser, krachte mitten in ein Ruderboot. Das Sitzbrett zerbrach unter ihm. Der harte Aufprall drückte ihm die Luft aus den Lungen. Aus der gebrochenen Nase lief ununterbrochen Blut. Panisch rang Pepe nach Atem, versuchte sich aufzurappeln, als Pawel zu ihm ins Boot sprang. Er hatte sein Bajonett wieder, jetzt in der unverletzten, linken Hand. Pepe schob sich mit den Füßen nach hinten, während er mit beiden Händen nach dem Hammer tastete. War der mit ins Boot gefallen? Der große Pole stand breitbeinig direkt über ihm und warf, angestrahlt von der einsamen Laterne, einen langen Schatten. Trotzdem konnte Pepe sein hässliches Grinsen erkennen, das ihm schon bei ihrer ersten Begegnung unangenehm aufgefallen war. Das Ruderboot schwankte, Pepe versuchte, auf die Beine zu kommen. Doch Pawel stieß ihn mit seinem schweren Kampfstiefel grob zurück. Dann hob er das Messer wie Michael Myers in Halloween und fiel plötzlich vornüber. Sein massiger Körper begrub Pepe unter sich, das Bajonett schnitt tief in Pepes rechtes Ohr und blieb im Bootsholz stecken.

»Das war knapp. Das war wirklich knapp.«

Pepe konnte die Worte kaum verstehen. Pawel lag wie ein Alb auf ihm. Nur unter allergrößter Anstrengung gelang es ihm, den schweren Polen zur Seite zu schieben und sich unter ihm hervorzurobben. Endlich bekam er ausreichend Luft und atmete tief durch. Eine Schmerzwelle traf ihn wie ein Tsunami. Es gab praktisch keine Stelle seines Körpers, die nicht wehtat.

»Der hat Sie ja ganz schön zugerichtet. Ganz schön zugerichtet hat der Sie.«

Wer sprach denn da? Pepe blinzelte gegen das Licht der Laterne. Auf dem Steg stand Käpt’n Iglu auf eine Harpune gestützt und sah auf ihn herunter. Jedenfalls sah der Mann der Werbefigur aus dem Fernsehen verblüffend ähnlich.

»Da bin ich gerade rechtzeitig gekommen. Wirklich, da bin ich gerade rechtzeitig gekommen.«

Pepe wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, zuckte jedoch sofort zusammen, als er seine gebrochene Nase berührte.

»Sie sollten mal zügig aussteigen. Sie sollten jetzt wirklich zügig aussteigen. Ich habe ihn zwar gut getroffen, mit dem Ruder habe ich ihn gut getroffen, aber er wird wohl bald wieder zu sich kommen.«

Während der Alte sprach, strich er sich über seinen grauen Vollbart und warf das Ruder, das Pepe für eine Harpune gehalten hatte, zu ihm ins Boot. Es traf Pawel am Rücken, worauf der aufstöhnte, aber liegen blieb.

»Nun kommen Sie schon. Wirklich, kommen Sie schon. Wir werden Sie verarzten.«

Mit diesen Worten reichte er Pepe die Hand. Der griff zu und ließ sich auf den Steg helfen.

»Unser Wohnmobil ist gleich dahinten. Gleich dahinten steht unser Wohnmobil.«

»Einen Moment bitte«, sagte Pepe.

Er blieb kurz stehen, streckte den Rücken durch und hörte in seinen Körper hinein. Bis auf die gebrochene Nase und das verletzte Ohr schien er so weit okay zu sein. Von den blauen Flecken und Prellungen auf seinem Rücken mal abgesehen. Vorsichtig tastete er sein Gesicht ab und fühlte Blut an den Fingern.

»Ich mach mich nur ein bisschen sauber«, merkte Pepe an, stieg über den am Ufer liegenden Kopfspringer und stapfte bis zur Hüfte in den See. Das kalte Wasser tat gut. Er tauchte einmal komplett unter und kehrte dann zu seinem Retter zurück.

4

»Ihr seid ein jämmerlicher Haufen Schwachmaten! Schaut euch doch nur mal an! Selbst der Volkssturm war in besserem Zustand als ihr!«

Professor Kusch stand leicht versetzt hinter dem aufgebrachten Bison, wie Oleg Gorzka heimlich genannt wurde. Allerdings nur, wenn er es nicht hörte. Kusch musste dem millionenschweren Bauunternehmer leider recht geben. Trotz der martialischen Uniformen sah die Truppe wenig heldenhaft oder wenigstens annähernd soldatisch aus. Am schlimmsten hatte es wohl Pawel erwischt. Er trug seine rechte Hand in einer dicken Bandage, in die eine Packung Tiefkühlerbsen eingewickelt war. Trotzdem mussten sie gleich am nächsten Morgen einen Arzt ihres Vertrauens aufsuchen. Er war zwar kein Experte, aber Kusch vermutete, dass mindestens das Kopf- und Kahnbein, wahrscheinlich sogar das große und kleine Vieleckbein gebrochen waren. Der Hammer hatte einen ordentlichen Schaden angerichtet. Nur gut, dass Pawel kein Konzertpianist, sondern Polier in Gorzkas Firma war. Doch selbst in dieser Funktion war es äußerst nützlich, wenn man seine Hand vollumfänglich benutzen konnte. Zusätzlich zierte Pawels Hinterkopf eine riesige Beule. Ein Wunder, dass sein Schädel den Schlag ausgehalten hatte. Die Gehirnerschütterung, die der hünenhafte Pole ohne Zweifel erlitten hatte, steckte er bisher erstaunlich gut weg.

»Was für eine blamable Vorstellung«, fuhr Gorzka fort und schaltete, die Fernbedienung lässig über seine Schulter haltend, den Fernseher hinter ihm ein.

Eine Totale aus großer Höhe erschien auf dem Bildschirm. Langsam sank die Drohne ab und näherte sich der Maschinengewehrstellung in dem kleinen Wald auf der gegenüberliegenden Seite des Sees wie ein angreifender Tiefflieger. Jetzt war Pawel zu sehen, wie er aufsprang und das schwere MG auf die Angreifer richtete. Die boten tatsächlich einen jämmerlichen Anblick.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, das ist eine Spielszene aus The Biggest Loser! Seht euch Fettärsche doch nur einmal an! Da bewegt sich ja eine aufgeschreckte Kuhherde eleganter über das Feld!«

Während Gorzka verdrossen weiterschimpfte, ließ Kusch den Blick über die angetretene Truppe schweifen. Neben Pawel balancierte Ali auf einem Bein. Auch mit dem türkischstämmigen Polen mussten sie so bald als möglich zu einem Doktor. Sein Schienbein war definitiv gebrochen und nur notdürftig mit zwei hölzernen Kochlöffeln geschient worden. Außerdem hatte er eine böse Platzwunde am Kinn, die genäht werden sollte. Irgendjemand hatte ihm einen Verband um den Kopf gewickelt, sodass er wie eine Karikatur eines Mannes mit Zahnschmerzen aus den Zwanzigerjahren aussah. Merkwürdigerweise jammerte er nur darüber, dass ihm die Ohren wehtaten.

Auf Ali folgte eine Fingerverletzung. Dimitri hatte sich seine rechte Hand unter die Achsel geklemmt und atmete mit weit geöffnetem Mund geräuschvoll ein und aus. So war seine Zahnlücke gut zu sehen. Dabei ging die Schwellung seines Daumengelenks bereits wieder zurück.

Kamil sah am fittesten in der Reihe aus, von der Augenklappe und der leicht gekrümmten Körperhaltung abgesehen. Er hatte den Lebertreffer noch nicht vollständig verarbeitet und war bei seinem Sturz vom Steg mit dem linken Auge voran in einen Dornenbusch gefallen.

»Herr Professor, hören Sie mir überhaupt zu?«

Kusch zuckte zusammen. »Wie bitte?«

Den Bison reizte man besser nicht. Wie sein tierischer Namensvetter nahm der sonst Anlauf und rammte einen mit seinem Betonschädel gegen die Wand. Buchstäblich.

»Was sind Ihre nächsten Schritte nach dem Fehlschlag in Berlin, habe ich gefragt«, wiederholte Gorzka und kam dem Professor bedrohlich nahe.

Sie waren fast gleich groß, Kusch jedoch nur halb so schwer und mindestens doppelt so alt. Er war in Gedanken gewesen und hatte den Themenwechsel nicht mitbekommen. Das passierte ihm in letzter Zeit öfter. Leider hatte Gorzka recht. Berlin war tatsächlich ein Desaster gewesen. Nach mehr als zwei Jahren hatten sie endlich einen neuen Hinweis bekommen. Der Tipp kam von einer sehr vertrauenswürdigen Quelle. Leider hatte auch hier der im Wohnzimmer angetretene Volkssturm versagt. Besonders der beinverletzte Ali. Dabei war die Aufgabe leicht, der Plan wohldurchdacht gewesen. Kamil sollte sich als Pfleger getarnt in das Bundeswehrkrankenhaus Berlin einschleusen. Dort wurde eine Patientin behandelt, die laut Aussage ihrer Informanten Kontakt zu dem Objekt gehabt hatte, nach dem Oleg Gorzka und er, Professor Alexander Kusch, schon ihr Leben lang suchten. Und obwohl die Kontaktperson die kranke Soldatin als schwach und bettlägerig beschrieben hatte, war sie robust genug gewesen, um Kamil den Hintern zu versohlen. Vielleicht war die Hodenverletzung, die er aus Berlin mitgebracht hatte, sogar der Grund, warum er noch immer nicht gerade stehen konnte.

»Herr Professor, ich warte!«

Gorzka trat jetzt so nah vor Kusch, dass sich fast ihre Nasenspitzen berührten. Unwillkürlich hielt der Professor die Luft an, da er die Knoblauchwolke, die ihm entgegenschlug, nicht aushalten konnte. Obwohl der Spitzname Gorzkas recht martialisch klang, sah er eher wie der typische Bauernjunge aus einem russischen Märchen aus. Er war nicht dick, eher kräftig, mit Pausbacken, die im Moment rot glühten und strohblonden Haaren, die in einer Prinz-Eisenherz-Gedächtnis-Frisur geschnitten waren.

»Wir werden nicht erneut ins Krankenhaus gehen«, antwortete Kusch endlich.

»Das hätte ich Ihnen auch nicht geraten«, entgegnete Gorzka und warf einen verächtlichen Blick auf Kamil.

Der nestelte sich daraufhin nervös an seinem Schritt herum.

»Ich habe mich mit unserer Kontaktperson geeinigt. Sie wird die Informationen hierherbringen lassen.«

»Doch nicht zu mir!«, donnerte Gorzka aufgebracht. »Sie wissen ganz genau, dass meine Frau keine Geschäfte in unserem Wochenendhäuschen duldet!«

Ja, das wusste der Professor. Der große starke Bison stand dermaßen unter dem Pantoffel, dass die Männer, die in schwarzen SS-Uniformen mit dem zugehörigen Totenkopf am Revers vor ihnen standen, bunte Filzhausschuhe trugen, um den Teppich nicht schmutzig zu machen. Und das, obwohl seine Frau, die schöne Helena, noch nicht mal im Haus war. Kusch hatte es nie verstanden, wie Frauen eine solche Macht über das andere Geschlecht ausüben konnten. Wahrscheinlich aber auch, da er sich von jeher eher zu Männern hingezogen fühlte.

»Nein, wir treffen uns auf dem Campingplatz«, erwiderte der Professor.

»Wann?«

Gorzkas Augen glühten vor Aufregung. Seine Nasenflügel zitterten. Kusch konnte die Anspannung sehr gut nachvollziehen. Ihm ging es nicht anders. Wenn die Kontaktperson recht hatte, dann standen sie kurz davor, die Entdeckung ihres Lebens zu machen.

»Schon morgen.«

Gorzka schloss kurz die Augen.

»Wie viel?«, wollte er als Nächstes wissen.

»Bei einem Kurs von etwa eins zu drei reden wir von einer Milliarde Euro. Aufgerundet«, gab der Professor bereitwillig Auskunft und ein Raunen lief durch den Raum.

»Das weiß ich selbst!«, blockte Gorzka ab und schaute zwischen den angetretenen Männern und dem Professor hin und her.

Augenscheinlich war es ihm nicht recht, dass Kusch die Summe ausgeplaudert hatte.

»Wie viel kostet mich die Information, will ich wissen!«

»Fünfzigtausend.«

»Euro?«

Der Professor kniff kurz die Augen zusammen. Was denn sonst, Zloty?

»Ja, Euro«, antwortete er ruhig.

Oleg Gorzka atmete schwer aus.

»Sie geben mein Geld mit vollen Händen aus, Herr Professor. Erst quartieren sich Ihre Leute im Ritz-Carlton in Berlin ein und hinterlassen eine horrende Rechnung, ohne dass die Unternehmung von Erfolg gekrönt war, und jetzt das!«

»Eigentlich sind das Ihre Leute, nicht meine«, hielt der Professor dagegen.

»Das stimmt leider. Aber der Schuldige wird seiner Strafe nicht entgehen.«

Kamil wurde mit einem Mal kreidebleich und kippte noch weiter zur Seite, als er eh schon stand.

»Wir kehren heute nach Danzig zurück. Pawel und Kamil kommen mit. Der Rest bleibt hier und unterstützt den Professor. Wegtreten!«

Als Kusch sich auch zum Gehen wandte, pfiff Gorzka ihn zurück.

»Ich werde Ihnen die fünfzigtausend geben«, sagte er, als sie allein im Zimmer waren. »Allerdings ist das Ihre letzte Chance. Wenn Sie damit nicht zum Ziel kommen, suche ich mir einen anderen Wissenschaftler und mauere Sie in meinen nächsten Appartementblock ein.«

Das war kein Scherz. Der Professor hatte mehrere Männer aus Gorzkas Umfeld verschwinden sehen. Bei einem war er sich ziemlich sicher, dass der seine letzte Ruhe direkt hinter ihnen im See gefunden hatte. Zerkleinert in winzige Stücke. Der Kerl war erst Gorzkas Frau und dann einem Profihäcksler zu nahegekommen. Da sie ihn mit den Füßen voran in den Einführschacht gesteckt hatten, waren seine Schreie erst sehr spät verklungen.

Gorzka starrte Kusch aus seinem pausbäckigen Gesicht an. Der Professor hielt seinem Blick, ohne zu zwinkern, stand. Endlich ließ Gorzka von ihm ab und lief zu einem großen Wandgemälde hinüber. Kusch war sich ziemlich sicher, dass Gorzkas Frau das Bild gemalt hatte. Nach Zahlen. Es war mit Scharnieren an der Wand befestigt. Der Bison liebte es, sich mit einer Geheimagentenaura zu umgeben. Hinter dem Gemälde kam ein Wandtresor zum Vorschein. Gorzkas Daumenabdruck entriegelte die Tür. In dem Safe stapelten sich Geldscheine bis in die letzte Ecke. Sorgsam, wie bei einem Jenga-Spiel für Millionäre, zog Gorzka fünf Bündel hervor und warf sie dem Professor zu.

»Ihre letzte Chance!«, wiederholte er drohend.

Kusch war froh, als er Gorzkas Haus verlassen hatte. Er konnte den Kerl nicht ausstehen, brauchte ihn aber. Ohne die finanziellen Mittel des Baumoguls hätte er seine Suche nicht fortführen können. Dabei ging es dem Professor nicht um das Geld. Für ihn zählte der künstlerische Wert, das Vermächtnis und wenn er ehrlich zu sich selbst war, auch der Ruhm. Was sollte er schon mit einer Milliarde Euro anfangen? Für die knappe Zeit, die ihm noch auf Erden blieb, hatte er längst ausgesorgt. Und wenn man bedachte, dass er sich seinen Lebensstandard selbst erarbeitet und erkämpft hatte, ohne fremde Hilfe, konnte er mit Recht stolz darauf sein.

Er war als Waisenjunge aufgewachsen, hatte sich von klein an gegen Größere und Stärkere zur Wehr setzen müssen. Nur klüger als er war kaum jemand gewesen. Mit seinem messerscharfen Verstand hatte Kusch es geschafft, trotz aller Widrigkeiten eine akademische Laufbahn einzuschlagen und seine dunkle Seite vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Oleg Gorzka und er hatten sich zufällig getroffen. Wie das Leben manchmal so spielte. Gorzkas Firma hatte den Zuschlag für den Forschungsneubau der Erfurter Universität erhalten, an der Kusch an der Theologischen Fakultät lehrte. Die Feierlichkeiten anlässlich des Spatenstichs hatte er als notwendiges Übel empfunden und kurz davorgestanden, das Weite zu suchen, als er dem cholerisch in sein Telefon brüllenden Gorzka über den Weg gelaufen war. Polnisch hatte der Professor damals seit Langem nicht mehr gehört oder gesprochen. Die vertrauten Laute hatten ihn innehalten lassen. Und er hatte ganz gegen jede Etikette dem Gespräch gelauscht. Die Diskussion hatte sich um Ostpreußen gedreht. Natürlich. Zu der Zeit wie auch heute kannte Gorzka nur zwei Themen. Entweder ging es darum, seinen Profit, den er aus seinem Bauimperium zog, zu maximieren, oder darum, Erich Kochs verschwundenes Vermögen aufzuspüren.

»Was willst du?«, hatte Gorzka ihn damals angeblafft und dabei sein Telefon zugehalten.

»Ich kann Ihnen helfen«, hatte Kusch auf Polnisch geantwortet, wobei es ihm anfangs schwergefallen war, sich an die richtigen Worte und deren korrekte Aussprache zu erinnern.

»Kein Interesse«, hatte Gorzka abgewinkt und sich nach Pawel umgesehen, der ihm schon als Leibwächter diente.

Doch dann hatte der Professor ein Detail erwähnt, das Gorzka hatte aufhorchen lassen. Seitdem waren sie ein Team. Eine Zweckgemeinschaft, vereint mit einem Ziel.

»Wohin geht es, Professor?«

»Wie bitte?«

»Wohin wir fahren?«, wiederholte Herr Daras seine Frage.

Er saß hinter dem Lenkrad des Kübelwagens und schaute Kusch erwartungsvoll an.

»Ach ja«, murmelte der Professor und sah sich um, als sei er sich nicht sicher, wo er sich im Moment befand.

Auch das passierte ihm in letzter Zeit öfter. Sein Gehirn verbiss sich in ein Thema und schaltete dabei seinen Körper in eine Art Stand-by-Modus. Wenn er wieder aufwachte, konnte er sich oft nicht erinnern, wie er an den jeweiligen Ort gekommen war.

»Das Buch bitte«, bat er Daras, der in Romanen des 18. Jahrhunderts wohl als Diener bezeichnet worden wäre. Pfleger traf es mittlerweile besser.

Daras beugte sich zum Rücksitz und angelte einen Rucksack hervor. Er musste nicht lange suchen, das Buch lag ganz oben. In den letzten Wochen hatten sie es oft benutzt.

»Und?«

»Dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig«, entgegnete Daras.

Mit der Zunge im Mundwinkel malte Kusch daraufhin die entsprechende Zeigerstellung in ein vorgetragenes Ziffernblatt ein und zeigte Daras das Ergebnis.

»Stimmt«, bestätigte der und nahm dem Professor das Buch ab.

»Sehr gut.« Kusch war erleichtert. »Der Uhrentest gehört zur Gruppe der psychometrischen Prüfungen und kann die Früherkennung einer Demenz unterstützen.«

»Sehr wohl, Herr Professor.«

»Und, Daras, zahlen Sie das Geld auf mein Konto ein«, ordnete der Professor an und reichte den Packen Geldscheine zu ihm hinüber.

5

»Sie hätten ja auch duschen gehen können. Das hätten Sie wirklich, duschen gehen können.«

Der Mann schüttelte den Kopf als verstünde er die Welt nicht mehr. Merkwürdigerweise kam er Pepe bekannt vor. Ob es an der Ähnlichkeit zur Fischstäbchen-Werbefigur Käpt‘n Iglu lag? Der weiße Vollbart verdeckt das gesamte Gesicht. Und da sie nun außer Reichweite der Licht spendenden Steglaterne waren, konnte Pepe weitere Einzelheiten nicht richtig erkennen.

»Die Nase sieht schlimm aus. Wirklich schlimm sieht die Nase aus. Das muss sich Isa anschauen.«

Wieso wiederholte er denn alles, was er sagte?

»Das ist nicht nötig«, winkte Pepe ab. »Ich gehe lieber zu meinem eigenen Wohnwagen.«

»Bestimmt nicht. Ganz bestimmt nicht.«

Vom Bootssteg waren es nur knapp einhundert Meter bis zum Zeltplatz. Als sie aus dem Wald auf den freien Platz traten, wurden sie bereits erwartet.

»Mann, war das ein Kampf! Wie der mit dem Messer auf dich los ist! Wie im Fernsehen. Ich dachte echt, es wäre aus mit dir, als du in das Boot geknallt bist. Exitus, Ende und vorbei. Gut, dass Onkel H da war und dem Kerl eins mit dem Paddel übergezogen hat. Mama wartet auf euch. Sie hat den Sanikasten ausgepackt.«

Mark hüpfte aufgeregt vor ihnen auf und ab und hörte gar nicht mehr auf zu plappern.

»Ist schon gut«, unterbrach ihn Pepe. »Ich komme zurecht.«

»Ach was«, widersprach der Kleine und griff sich Pepes Hand. »Das sind wir dir schuldig, meint sie. Du hast uns gerettet. Manchmal ist Mama nämlich nicht sie selbst, weißt du? Ab und an übernimmt ihre böse Tante das Kommando, sagt sie immer. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet. Aber sie ist dann oft sehr gemein, auch zu mir. Und zu Onkel H. Irgendwann geht das vorbei und hinterher kann sie sich nicht mehr daran erinnern.«

Obwohl sich Pepe wehren wollte, ließ er sich von Mark zu einem einsam stehenden Wohnwagengespann hinüberziehen. Als Zugfahrzeug diente ein olivgrüner Bulli T2, der in vielen Bundeswehreinheiten noch immer treu seinen Dienst verrichtete. Hintendran hing ein Campingwagen, der rein äußerlich in keinem besseren Zustand als Pepes aktuelle Behausung war. Allerdings war der Außenbereich sehr heimelig eingerichtet. Vor dem Gespann stand ein kleines Zelt, daneben ein Campingtisch, wie Pepe ihn von den Zelturlauben mit seinen Eltern kannte. Um ihn herum drei gemütliche Stühle. Das Ganze war mit einem großen Sonnensegel überspannt, unter der eine gasbetriebene Laterne brannte. Neben dem Eingang zum Wohnwagen war eine kleine, praktisch eingerichtete Küchenzeile aufgebaut. Es gab sogar einen Blumenkasten mit verschiedenen Kräutern darin. Das Ensemble komplettierte ein winziges Igluzelt.

»Cool, was? Hier wohnen wir. Onkel H in dem Bus, Mama und ich im Anhänger. Aber ich darf oft im Zelt schlafen. Da ist sie ja. Und guck, sie hat den Verbandskasten in der Hand.

Schau, Mama, das ist der Paco. Total nass ist der. Mann, war das eine Klopperei. Wie im Fernsehen!«

Um seine Worte zu unterstreichen, sprang und schlug Mark durch die Luft wie ein zweiter Bruce Lee. Isabella sah nun wieder wie am Nachmittag aus. Der Zopf und die Grübchen waren zurück, der Furcht einflößende Gesichtsausdruck verschwunden.

»Ist ja gut, Mark. Jetzt bring den Paco mal her«, empfing sie die Dreiergruppe. Auch ihre Ausdrucksweise hatte sich verändert. Sie fluchte nicht mehr wie ein angetrunkener Bierkutscher.

»Das ist absolut nicht nötig«, blockte Pepe ab und wollte sich gleich umdrehen.

»Doch ist es. Doch ist es wirklich«, fiel ihm jetzt Onkel H in den Rücken und schob ihn auf Isa zu. »Sie wird sich gut um Sie kümmern, das wird sie wirklich. Ich geh ins Bett. Gute Nacht, wirklich, Gute Nacht!«

Damit kletterte Käpt‘n Iglu in seinen Bus und zog die Tür hinter sich zu.

»Du bist ja ganz nass! Du musst sofort aus den Klamotten raus. Oh, und die Nase und das Ohr! Warte, ich helfe dir!«

Isa stellte aufgeregt den Erste-Hilfe-Kasten auf den Tisch und zog Pepe näher an die Laterne.

»Die Nase ist gebrochen!«, stellte sie ernst fest und betastete die Verletzung vorsichtig.

Pepe zuckte zusammen und verbiss sich einen Schmerzensschrei. Warum mussten Frauen immer mit ihren Fingern gucken?

»Wir sollten einen Krankenwagen rufen.«

»Nein!«, entgegnete Pepe schroff.

»Oder wenigstens die Polizei.«

»Erst recht nicht«, wehrte Pepe ab, hielt dann aber inne.

Eigentlich hatte Isa recht. Sie war schließlich angegriffen worden. Und wenn sie die Behörden einschalten wollte, durfte er sie nicht davon abhalten.

»Möchtest du Anzeige erstatten?«, fragte er deswegen sanfter.

»Nein!«, erwiderte Isa genauso hastig wie Pepe eben.

»Wir wollen keine Bullen«, belehrte ihn Mark, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

»Gut«, antwortete Pepe.

»Gut«, bestätigte Isa. »Setz dich!«

Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch. Also gehorchte Pepe.

»Mark, gib mir mal die Watte und das Jod.«

Anscheinend hatten die beiden des Öfteren auf dem Medizinsektor zusammengearbeitet. Routiniert öffnete der Kleine den Verbandskasten und suchte das Gewünschte heraus.

»Ich denke, die Nase können wir mit zwei Hälften eines Zungenspatels und einem groben Heftpflaster stabilisieren. Das Ohr sieht im Grunde schlimmer aus, als es ist. Muss wohl nicht genäht werden.«

»Bist du Ärztin?«

»Nein. Ich habe allerdings viel Zeit in Krankenhäusern verbracht. Aber nun genug gequatscht. Raus aus den Klamotten!«

»Das geht schon«, entgegnete Pepe schnell, obwohl er tatsächlich fror. Ein Bad in voller Montur zu nehmen, stellte sich jetzt als blöde Idee heraus.

Doch Isa machte sich längst an seinem Gürtel zu schaffen.

»Mark, hol dem Paco mal ein großes Handtuch. Das mit der Sonnenblume drauf«, wies sie ihren Sohn an, packte Hosen- und Boxer-Shortbund gemeinsam und legte Pepe mit einem kräftigen Ruck untenrum frei.

»Ja, Mama!« Mark flitzte davon.

»Schaffst du die Schuhe allein?«

»Was?«

Pepe konnte sich im Moment nicht wirklich konzentrieren, da ihm Isa wie bei einem kleinen Jungen das zerschnittene T-Shirt über den Kopf zog. Sie hielt es gegen das Licht der Laterne und betrachtete den langen Schlitz.

»War wohl sehr scharf das Messer, was?«, fragte sie.

»War es«, bestätigte Pepe.

»Die Haut ist nur leicht geritzt worden«, stellte Isa fest und fuhr mit ihrem Zeigefinger zart die rote Schramme ab, die sich quer über Pepes Oberkörper zog.

Der schluckte und trat sich seine Schuhe von den Füßen.

»Na also, geht doch«, freute sich Isa und befreite Pepe von Hose und Unterhose, die bereits um seine Knöchel hingen.

»Hier, Mama!«

Mark reichte Isa das Handtuch und sie fing gleich an, Pepe trocken zu reiben. Erst den Oberkörper, anschließend den Rücken.

»Die Rückseite sieht auch nicht besonders gut aus«, stellte sie fest, was sie allerdings nicht davon abhielt, kräftig darüber zu reiben. Als sie tiefer ging, griff Pepe nach ihren Händen.

»Danke, den Rest schaff ich allein.«

»Gut, dann beeil dich und setz dich hin, damit ich nach der Nase und dem Ohr sehen kann.«

Pepe tat wie ihm befohlen, wischte sich halbherzig trocken, wickelte sich das Handtuch um die Hüfte und nahm wieder Platz. Tatsächlich fühlte er sich schon etwas besser.

»So, nun den Kopf zurück«, ordnete Isa als Nächstes an und begann, Pepes Verletzungen zu säubern.

Mark schaute mit großen Augen zu, lief von einer auf die andere Seite, stellte sich auf Zehenspitzen, um ja nichts zu verpassen.

»Leider habe ich keine Schmerztabletten mehr«, sagte Isa, als Pepe zusammenzuckte, da das Jod im offenen Schnitt an seinem Ohr brannte.

»Macht nichts«, antwortete er durch zusammengebissene Zähne. »Die schlagen bei mir eh nicht so gut an.«

»Ich habe deine vielen Narben gesehen. Was bist du, Stuntman, oder was?«

»So etwas Ähnliches«, wich Pepe aus.

»Ich habe im Anmeldebuch nachgesehen«, korrigierte Mark. »Er ist Soldat.«

»Was?«, stutzte Pepe.

Er hielt Isas Hand fest und richtete sich in seinem Stuhl auf, um den Kleinen besser sehen zu können. Nach dem Beruf war in dem Formular überhaupt nicht gefragt worden.

»Kannst du denn schon lesen?«

»Klar, ich bin fast acht.«

»Und warum bist du dann nicht in der Schule?«

»Weil es Nacht ist, da haben die zu.«

»Nein, ich meine generell. Nicht jetzt. Warum gehst du nicht zur Schule?«

»Geh ich doch. In Malchow. In die Goetheschule.«

»Und ihr wohnt hier auf dem Zeltplatz? Die ganze Zeit? Macht keinen Urlaub?«

»Klar.«

Isa drückte Pepe wieder zurück und zerbrach einen Zungenspatel, um eine provisorische Schiene an die gebrochene Nase zu legen.

»Warum denkst du, dass ich Soldat bin?«, fragte Pepe und es klang ein wenig nach Kermit, dem Frosch, da Isa ihm die Nasenflügel zudrückte.

»Weil du die Stauffenbergstraße 18 in Berlin als deine Adresse angegeben hast.«

»Und?«

»Dort ist das Verteidigungsministerium und kein Wohnhaus weit und breit.«

Verdammter kleiner Schlaumeier. Der könnte glatt mit der neunmalklugen Angelika Holm, Beates Nichte, verwandt sein. Schnell verdrängte Pepe den Gedanken an die Eisenacher Kommissarin. Dem Problem würde er sich später widmen – widmen müssen. Ihr letztes Aufeinandertreffen hatte ein beachtliches Gefühlschaos in ihm hinterlassen. Jetzt war es wohl besser, selbst in die Offensive zu gehen.

»Was ist denn mit Onkel H?«, fragte er, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben.

»Was soll denn mit Onkel H sein?«, stellte Mark die Gegenfrage.

»Ist er, ich meine, gehört er, besser gesagt, deine Mutter und er ...«

»Ob er ihr Stecher ist? Nein. Wir sind gute Freunde. Sie haben sich in einer Einrichtung kennengelernt und sind zusammen von dort abgereist.«

»Einer Einrichtung?«

»Mark, ab ins Bett!«, fuhr Isabella dazwischen.

Grob drückte sie ein Pflaster auf Pepes Ohr, sodass der einen Schmerzensschrei nur knapp unterdrücken konnte.

»Mann, Mama!«, schmollte Mark und lehnte sich mit seinem Oberkörper auf den wackligen Campingtisch.

»Nichts Mann, Mama. Ab ins Bett. Aber vorher bringst du uns noch bitte Harrys Medizin und zwei Gläser.«

Erst sah es so aus, als wollte Mark weiter protestieren, am Ende gehorchte er doch. Er lief zum Wohnwagen hinüber und kam mit einer großen Glasflasche ohne Etikett und zwei Zahnputzbechern zurück. Dann trottete er mit hängenden Schultern zu dem Igluzelt und krabbelte hinein.

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
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354 стр. 7 иллюстраций
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9783899692440
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