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Читать книгу: «Das Mündel des Apothekers», страница 3

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»Ich geh zum Totengräber. Ich will die Leiche sehen. Ich sage Euch Bescheid, sobald ich etwas Neues erfahren habe«, erwiderte Simon.

»Pass auf, dass dich die Stadtwachen nicht ins Narrenhäuschen sperren, wenn du dich so spät noch in der Stadt herumtreibst!«, rief ihm die Haushälterin hinterher. Simon hob den Arm als Zeichen, dass er verstand.

Kurz vor Sonnenaufgang hämmerte Simon an den Eingang von Griebels Kate. Das klägliche Anwesen hatte schon bessere Zeiten gesehen. Im Dach klaffte ein großes Loch seit dem Einschlag einer kaiserlichen Kanonenkugel und die Türe hing schief in den Angeln.

»Hans!«, schrie Simon, während er an den Eingang hämmerte.

»Spinnst du, Mühlbichler? Du kannst mir ja gleich die Türe eintreten und ganz Nördlingen aufwecken mit deinem Geschrei!«, schimpfte Griebel, nachdem er ihm geöffnet hatte. Simon starrte auf dessen Bruche10, die er wahrscheinlich noch nie gewaschen hatte. Das einst wohl weiße Leinen war gelb, grau bis braun verdreckt. Und so roch es auch.

Er hatte Simon bis Sonnenaufgang vertröstet mit der Beschau des weiblichen Leichnams, weil die provisorische Leichenhalle am Totenhügel außerhalb der Stadtmauern lag. Griebel kannte Katharina zwar, war sich aber nicht mehr ganz sicher, ob sie es war, die er am vorherigen Tag aufgefunden hatte.

Als die beiden das Berger Tor passierten, konnten sie die behelfsmäßige Holzbaracke, die als Leichenhalle diente, bereits sehen. Nur wenige Minuten Fußmarsch trennte Simon noch von der Gewissheit, ob seine langjährige Freundin noch lebte. Mit gemischten Gefühlen betrat er mit Griebel die Leichenhalle. Auf einem Tisch, mit einem Tuch abgedeckt, lag der leblose Körper. Nachdem der Totengräber das Leinen weggezogen hatte, konnte Simon die Frauenleiche sehen. Die Tote war jung und blond, aber es war nicht Katharina.

»Das ist doch das Weib vom Bäcker aus der Judengasse«, gab Mühlbichler erleichtert von sich. »Und sie hat sich wohl selbst getötet, wie man an den aufgeschnittenen Handgelenken sieht.«

»Das ist mir ja noch gar nicht aufgefallen! Ach du meine Güte! Das muss ich dringend dem Schillinger melden, sonst bekomme ich Schwierigkeiten«, jammerte Griebel und stapfte Richtung Ausgang.

9 Gefängnisturm in Nördlingen

10 Mittelalterliches Kleidungsstück, meist knielang, Unterhose.

Kapitel 4

Am nächsten Morgen runzelte der Bürgermeister ungläubig die Stirn.

»Und es ist sicher, dass es sich um Selbstmord handelt?«

»Ohne Zweifel, werter Herr Bürgermeister«, bestätigte der Bader. »In ihrem Körper ist kein einziger Tropfen Blut mehr. Seht ihr die aufgeschnittenen Handgelenke?« Widerwillig beäugte Schillinger die Tote.

»Das hat uns gerade noch gefehlt. Als ob wir nicht schon genug Gerede in der Stadt hätten.«

»Etwas ist mir noch aufgefallen. Auf dem Hintern der Toten ist ein Zeichen.«

»Was für ein Zeichen?« Fromme und Griebel drehten den Leichnam auf den Bauch.

»So etwas hab ich noch nie gesehen. Es sieht aus wie ein umgedrehtes V und auf dessen Spitze ist ein Kreuz«, erklärte der Bader.

»Was hat das zu bedeuten?«

Fromme zuckte nur mit den Achseln. »Sprich mit Pastor Widmann oder vielleicht weiß der Stadtarchivar etwas darüber. Aber sonst zu niemandem ein Wort. Habt ihr mich verstanden? Ihr könnt sie jetzt beerdigen«, sagte er zu Griebel und lief mit Fromme zurück in die Stadt.

»Das Fenster klemmt, ich bring es nicht auf«, schimpfte Griebel.

»Lass mich mal ran«, murrte der Henker.

»Ich kann das nicht verstehen, einen solchen Wirbel um eine Selbstmörderin zu machen. Kann man sie nicht einfach zur Tür hinaustragen?«

»Na, weil nur die ehrbaren Bürger durch die Türe das Haus verlassen dürfen. Das war schon immer so.«

»Aber auf dem Totenhügel in geweihter Erde darf ich sie begraben. Das soll mir mal einer erklären.«

»Kannst du dich nicht mehr an den alten Schambeck erinnern, der sich in seiner Scheune erhängte? Dort wurde ein Loch in die Wand geschlagen, um ihn nach draußen zu bringen, weil es keine Fenster und nur die eine Türe gab.«

Als sie den toten Körper der Bäckerin durch das Fenster des Leichenhauses bugsiert hatten, verluden sie ihn auf den Schinderkarren und transportierten ihn zur Richtstätte. Dort wurde der Leichnam enthauptet und beide Teile wieder zurück auf den Totenhügel gebracht.

»Wir können froh sein, dass sich in Nördlingen nicht jeden Tag einer selbst das Leben nimmt. Ein ganzer Tag Arbeit für nur einen Toten. Was für ein Aufwand!«, schimpfte der Totengräber. Das Grab hatte er bereits vor einigen Tagen geschaufelt. Wenn er sonst nichts zu tun hatte, legte er die Gruben schon mal auf Vorrat an. Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis jemand starb. Sieben Werkschuh tief. So lautete die Vorschrift. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen wurde die Bäckerin, mit dem Bauch nach unten, in der Grube abgelegt. Ihr Kopf fand, mit dem Gesicht nach unten, zwischen ihren Füßen Platz.

»Damit die schädigenden Kräfte ins Innere der Erde abgeleitet werden«, erklärte der Henker.

»So, noch eine Schicht aus Dornengestrüpp, dann können wir das Loch schon wieder verschließen«, murmelte der Totengräber vor sich hin.

»Dazu brauchst du mich ja nicht mehr, Hans. Ich hoffe, der Selbstmord der Bäckerin spricht sich nicht herum. Fast jeder in der Stadt ist abergläubisch. Da können wir uns sonst auf etwas gefasst machen«, prophezeite Egger und fuhr auf dem Schinderkarren zurück in die Stadt.

Die alte Mühlbichlerin und Heidrun, die Bäckersbase, wechselten die Straßenseite, als ihnen der Henker entgegenkam.

»Ja, es war Selbstmord, aber die kleine Apothekerhexe ist ja letztendlich daran schuld«, erzählte Heidrun.

»Was Ihr nicht sagt! Was hat die denn damit zu schaffen?«

»Die? Die steckt mit dem Teufel unter einer Decke! Verhext hat sie die arme Bäckerin. Die Nabelschnur um den Hals des Kindes gewickelt, dass es schließlich erstickt und tot zur Welt kam. Und verscharrt wurde die Arme wie ein räudiger Köter, nachdem der Henker ihr den Kopf abgeschlagen hat. So etwas hat niemand verdient.«

»Ihr sagt es! Selbst verendete Viecher werden anständiger bestattet.«

»Auf den Scheiterhaufen gehört die elende Metze!«, schluchzte Heidrun.

»Da scheint wohl was in der Familie zu liegen.«

»Was meint Ihr damit?«

»Die Mutter des Apothekers landete im Herbst 1590 während der Hexenprozesse auf dem Scheiterhaufen. Da war der Pferinger noch Bürgermeister und der Röttinger leitete damals die Befragungen. Und die Riesingerin hatte sogar die Altbürgermeisterswitwe Gundelfingerin der Hexerei beschuldigt. Oder war es die Lempin, die die Gundelfingerin angeschwärzt hatte? Egal.«

»Was Ihr nicht sagt! Na, jetzt wundert mich nichts mehr. Ich hab mir schon so etwas gedacht.«

»Die treibt sich doch immer bei dieser Hebamme im Gerberviertel herum. Da munkelt man ja auch, dass sie eine Hexe sei. Da passt doch eins zum anderen. Jetzt muss ich aber weiter, sonst bekomme ich kein Brot mehr.«

*

Stadthauptmann Stracke betrat in Begleitung zweier Wachen die Apotheke.

»Katharina Riesinger. Im Namen des Kaisers, Ihr seid verhaftet wegen Hexerei.«

»Was? Wer wirft mir so etwas vor, Erich?«

»Herr Stracke oder Herr Stadthauptmann, wenn ich bitten darf! Das wird Euch der Stadtrichter Seefried schon noch erzählen! Abführen!« Ohne ein Wort zu sagen, stand Benedikt hinter seinem Schreibpult und beobachtete den Vorgang. Erinnerungen stiegen in ihm auf an den unseligen Tag, an dem seine Mutter vor mehr als 30 Jahren wegen Hexerei angeklagt worden war.

Katharina schämte sich fürchterlich, als sie von den Stadtwachen zum Rathaus gebracht wurde. Jeder, der ihr begegnete, glotzte ihr nach.

»Was hat die denn ausgefressen?«, hörte sie jemanden lachen.

Das Loch, wie man das Gefängnis im Rathauskeller nannte, diente als Arrestzelle, bis der Prozess abgeschlossen war. Katharina hatte Mühe, die bucklige Steintreppe hinabzusteigen, ohne zu stolpern. In den fensterlosen Raum drang weder Tageslicht noch frische Luft. Auf dem Steinboden war etwas Stroh ausgelegt, das nach Schweiß und Urin stank. Das Apothekermündel kauerte sich in eine Ecke des Kerkers und umschlang ihre Beine mit den Händen.

Verhaftet wegen Hexerei! Wie kommen die da nur drauf? Hatte das mit der seltsamen Ohnmacht zu tun? Katharina erinnerte sich, dass sie vor einigen Tagen verfolgt und, nachdem sie das feuchte Tuch im Gesicht spürte, ohnmächtig wurde.

Als sie in Mathildas Kräutergarten damals wieder zu sich gekommen war, setzte gerade die Morgendämmerung ein. Sie fühlte sich elend. Ihr Kopf brummte, als hätte sie ein Wespennest in den Haaren. Ihr war speiübel und sie fror, als hätte sie die Nacht in einem Regenfass verbracht. Erst da bemerkte Katharina, dass ihr Kleid zerfetzt war. Sie blickte mehrmals um sich, aber es war niemand zu sehen. Nur langsam kam die Erinnerung zurück, dass sie am Vorabend von einer dunklen Gestalt überfallen worden war.

Was hatte der mit mir gemacht? Wer war das? Wäre es nur nicht schon so dunkel gewesen! Hatte er vielleicht Bocksfüße? War der Verfolger der Teufel? Vielleicht war ich auf einem Hexensabbat gewesen und kann mich nur nicht mehr dran erinnern? Eine weitere Welle der Angst durchfuhr das Apothekermündel. Sie musste schlucken und bekreuzigte sich.

Oder steckte hinter alledem nur Heidrun, die Bäckersbase, die sich an ihr rächen wollte?

Schon während der Niederkunft hatte sie Katharina als Hexe beschimpft. Aber dass diese so weit ging, hätte sie ihr nicht zugetraut. Die Gedanken kreisten in Katharinas Kopf. Wann würde die peinliche Befragung beginnen? Man berichtete von unsagbaren Schmerzen über Stunden hinweg.

Drei Stockwerke über ihr berichtete der Bader dem Bürgermeister von seinen neuen Erkenntnissen.

»Jeder sieht in dem Zeichen, was er kennt oder was er sehen will. Das umgedrehte V mit dem Kreuz darüber ist für Pastor Widmann ein Berg mit einem Gipfelkreuz. Wenn man das Ganze aber umdreht, könnte es dann nicht auch eine Schlucht darstellen und ein umgedrehtes Kreuz? Die Schlucht zur Hölle mit dem Teufelszeichen, dem umgedrehten Kreuz?«

»Hör auf, von so etwas zu sprechen!« Schillingers Gesichtsfarbe wechselte in ein fahles Grau.

»Ich war aber auch bei Richter Seefried, der im Stadtarchiv interessante Aufzeichnungen fand. In den alten Akten zu den Hexenprozessen von 1590 wurde er fündig. Die angeklagten Hexen hatten immer wieder berichtet, nicht sie seien schuld am Tod von den Betroffenen, sondern ein Wiedergänger. Wenn man über das Kreuz bei dem Zeichen einen Kreis malt, entsteht eine Strichzeichnung eines Menschen. Aber ein Wiedergänger ist ja bekanntlich ohne Kopf. Daher das umgedrehte V mit dem Kreuz drüber.«

»Mit so übersinnlichen Dingen bin ich so empfindlich! Am liebsten hätte ich damit nichts zu tun!«

»Das bedeutet im Klartext, ein Wiedergänger hat der Bäckerin das Zeichen eingeritzt! Aber die einzige Selbstmörderin und so der einzige Wiedergänger in den letzten Jahren ist die Bäckerin. Sie soll sich das selbst eingeritzt haben? Am Hintern?«

»Oder der Satan höchstpersönlich!« Schillinger bekreuzigte sich und musste unwillkürlich schlucken. Heftiges Anklopfen ließ den Bürgermeister zusammenzucken. Ohne hereingebeten zu werden, stürmte der Totengräber ins Amtszimmer.

»Wir haben ein weiteres Opfer zu beklagen, Herr Bürgermeister! Heute früh, unweit der letzten Fundstelle, hat Mathilda Holzinger einen leblosen Frauenkörper gefunden.«

»Verflucht!«, rutschte Schillinger heraus.

»Und sie hatte auch wieder das Zeichen am Hintern«, fügte Griebel hinzu.

»Der Wiedergänger. Das hat gerade noch gefehlt, so eine Mordserie. Gut, Griebel. Macht Eure Arbeit weiter. Ach, geht vorher noch zum Stadthauptmann. Den muss ich dringend sprechen.«

»Selbstverständlich, Herr Bürgermeister«, erwiderte ihm der Totengräber mit gesenktem Kopf und schloss die Türe hinter sich.

»Meine Güte, wenn wir dem Übeltäter nicht bald das Handwerk legen, können wir uns auf etwas gefasst machen«, murmelte Schillinger vor sich hin. Das Übersinnliche, der Teufel und alles nicht Greifbare, jagte dem Ratsherren eine fürchterliche Angst ein.

»Herr Bürgermeister, Ihr wolltet mich sprechen?«, fragte der Stadthauptmann.

»Stracke, Ihr verdoppelt die nächtlichen Wachen bis auf weiteres. Es gab erneut ein Opfer durch diesen Wiedergänger. Haltet besonders das Gerberviertel im Auge. Dort wurde heute schon wieder ein Mädchen gefunden.«

»Glaubt Ihr wirklich, dass es von Nöten ist, jetzt, wo die Apothekerhexe im Gefängnis sitzt?«

»Welche Apothekerhexe? Wovon redet Ihr?«

»Na, vom Riesingermündel. Heidrun, die Base der Bäckerin, hat sie der Hexerei bezichtigt. Und bis der Vorfall geklärt ist …«

»Seid Ihr wahnsinnig, Stracke!«, unterbrach ihn Schillinger. »Ihr steckt ohne mein Wissen die Tochter eines Ratsmitglieds ins Loch! Noch dazu die Tochter vom ehrwürdigen Apotheker. Wollt Ihr dieselbe Massenhinrichtung wie vor 30 Jahren? Auf der Stelle bringt Ihr mir die Riesingertocher hierher. Und wehe, Ihr fasst sie unsittlich an, Stracke, dann Gnade Euch Gott! Und jetzt geht mir aus den Augen!«

Kapitel 5

Nördlingen, 13. Oktober Anno Domini 1636 2 Jahre später

Knisternd loderten die Flammen auf, als Elfriede ein Holzscheit in die Glut nachlegte. Riesinger bedankte sich mit einem Nicken, woraufhin die Haushälterin das Arbeitszimmer wieder verließ. Der Kaufmann Josef Hofmeister schwenkte den Rotwein in seinem Kelch und beobachtete das Feuer im Kamin. Danach wendete er sich wieder seinem Gesprächspartner zu.

»Ja, mein Wilhelm ist ein paar Jahre älter als deine Tochter. Aber daran wird sie sich schon gewöhnen. Wichtig ist doch die gute Verbindung zweier so erfolgreicher Kaufmannsfamilien. Und vor allem sind sie sich nicht fremd. Sie kennen sich schon ihr ganzes Leben.«

»Dann sind wir uns ja einig«, freute sich Riesinger und streckte Hofmeister seine Hand entgegen.

Neugierig schaute Katharina aus dem Fenster, als der alte Hofmeister das Apothekerhaus verließ.

»Was wollte der denn hier?«, fragte sie ihren Stiefvater. »Ich dachte, unsere Familie hat seit Jahren mit den Hofmeisters Streit?«

»Nicht mehr. Wir haben uns versöhnt. Er wird dein Schwiegervater werden. Damit haben wir es besiegelt.«

»Wie bitte? Und wer soll das sein, den ich heiraten soll? Doch nicht etwa der Wilhelm, dieser Spinner!«

»Für unsere Familie ist es das Beste. Durch den Zusammenschluss wirst du einen dir kaum vorstellbaren Reichtum erwirtschaften können.«

»Und was soll ich mit dem ganzen Geld und Reichtum, wenn ich unglücklich bin und einen Spinner als Mann habe?«

»Jetzt reiß dich zusammen! Dutzende Weiber in Nördlingen wären froh, sie hätten einen Mann wie Wilhelm Hofmeister! Glaubst du, ich konnte heiraten, wen ich wollte? Hochzeiten werden nun mal arrangiert. Nicht einmal unser deutscher Kaiser hatte eine Wahl!«

»Das ist mir egal! Den werde ich jedenfalls nicht heiraten! Vorher gehe ich ins Kloster!«, schrie Katharina und rannte die Treppen hinauf in ihre Kammer.

Weinend und schluchzend lag sie auf ihrem Bett. Wie konnte ihr Stiefvater ihr das nur antun. Sie hatte immer damit gerechnet, dass sie nicht den Mann ihrer Wahl heiraten konnte, aber ausgerechnet diesen Irren.

Die Hofmeisters handelten auch seit vielen Generationen mit Stoffen und edlen Tuchwaren, weshalb die Konkurrenten sich nicht mochten. Durch Riesingers Umstieg auf Heilmittel, Kräuter und Salben hatten sie plötzlich keinen Grund mehr für einen Familienstreit. Doch die Affäre seiner Frau mit Josef Hofmeister hinterließ einen faden Beigeschmack.

»Ach Kindchen«, tröstete Elfriede das Apothekermündel. »Nimm dir das doch nicht so sehr zu Herzen. Du willst doch nicht so enden wie ich. Ohne einen einflussreichen Mann wirst du nie ein eigenständiges Leben führen können. Sieh es doch einfach als Einstieg in eine gute Zukunft. Und die Liebe kommt schon noch mit der Zeit.«

»Ich schätze dich sehr. Du warst für mich mehr als eine Mutter. Aber wie es in mir drin aussieht, weiß nur ich. Diese Hochzeit kommt für mich einem Verrat gleich. Ich fühle mich wie eine Sklavin, die an einen Henker verkauft wurde«, erklärte sie und brach wieder in Tränen aus.

*

Schon wenige Wochen später war der große Tag.

»Du siehst aus wie eine Adlige«, freute sich Elfriede, als sie Katharinas Hochzeitskleid musterte. Es war aus sündhaft teurem, schwarz gefärbtem Barchent. Darüber ein dunkelblauer Umhang aus Samt mit Kapuze, umsäumt von goldfarbenen Bordüren.

»Jetzt mach doch kein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter«, versuchte die Haushälterin sie aufzumuntern. »Es hat sogar aufgehört zu schneien.«

Als ihr Stiefvater Katharina zur St. Georgskirche geleitete, fühlte sie sich wie ein Schwein, das zur Schlachtbank geführt wird. Tausende Gedanken kreisten in ihrem Kopf. In der Kirche war kein Sitzplatz mehr frei. Menschen standen hinter den letzten Bankreihen, um noch einen kurzen Blick auf Braut und Bräutigam zu erhaschen. Wilhelm Hofmeister wartete ungeduldig vor dem Hochaltar. In seinem Gesicht war ein leichtes Schmunzeln zu erkennen.

Hier stand sie nun neben ihrem zukünftigen Ehemann. Von all dem, was der Pastor Eberhard Widmann sprach, bekam Katharina nichts mit. Sie hörte seine Worte wie weit entfernt und verschwommen.

»Willst du, Wilhelm Hofmeister, die hier anwesende Katharina Riesinger zu deinem Eheweib nehmen? Sie lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheidet?«

»Ja, ich will«, erklang die Stimme von Wilhelm selbstsicher.

»So frage ich dich, Katharina Riesinger, willst du den hier anwesenden Wilhelm Hofmeister zu deinem Ehemann nehmen? Ihn lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheidet?« Es herrschte Totenstille. Keiner wagte zu husten oder gar etwas zu sagen.

»Ich frage dich noch einmal. Willst du den hier anwesenden Wilhelm Hofmeister zu deinem Ehemann nehmen? Ihn lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheidet?«, wiederholte Widmann jetzt in einem lauten Ton. Wieder sagte Katharina nichts. Ein Raunen ging durch die Kirche. Einige der Anwesenden begannen zu tuscheln. Benedikt stieß seiner Stieftochter den Ellbogen in die Rippen.

»He … ähm … ja«, stotterte sie.

»Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau. Ihr dürft die Braut jetzt küssen.« Als die Lippen der beiden sich berührten, ekelte sich die frisch Vermählte. Wilhelms roter Vollbart roch nach Dünnbier und Zwiebel und kitzelte sie im Gesicht. Hunderte von Augenpaaren musterten die Eheleute auf dem Weg ins Freie. Einige jubelten, andere starrten sie nur an.

Die Kutsche hielt vor dem Anwesen der Hofmeisters. Das Gesinde erwartete ihren Herren bereits am Eingang. Von der jungen Frau an seiner Seite nahm allerdings kaum jemand Notiz.

Das Innere des Hauses wirkte lieblos und kalt, obwohl der Kachelofen eingeheizt worden war. Aus der Küche wurde Fleisch und Gesottenes getragen und aufgetischt. Weinkrüge standen auf der Tafel bereit.

»Auf uns«, sagte Wilhelm zu seiner Ehefrau und reichte ihr einen Becher Wein, den Katharina in einem Zug leerte. Sie hoffte auf eine baldige Wirkung des Alkohols, um die fürchterliche Situation für sie erträglicher zu machen.

Im Laufe des Abends wurde die Braut mit dem Schwiegervater bekannt gemacht, was aber auch eine eher kühle Begegnung war. In einem Gespräch erfuhr sie, was für Pflichten in den kommenden Tagen auf sie warteten.

Gegen Mitternacht ergriff Josef Hofmeister das Wort:

»Verehrte Gäste, liebes Brautpaar. Ich möchte mich noch einmal bei allen für das zahlreiche Erscheinen bedanken. In ganz besonderem Maße natürlich bei unseren neuen Familienmitgliedern und Geschäftspartnern, den Riesingers. Pastor Widmann hat soeben das Brautbett gesegnet und ihr werdet entschuldigen, dass die frisch Vermählten sich jetzt zurückziehen werden. Möge Katharina ihrem Wilhelm viele Nachkommen schenken! Ein dreifaches Hoch auf das Brautpaar!«

»Hoch, hoch, hoch!«, rief die gesamte Hochzeitsgesellschaft.

Als die Türe zu Wilhelms Kammer ins Schloss fiel, pochte Katharinas Herz wie die Paukenschläge eines Orchesters. Ein Talglicht brannte auf dem kleinen Nachtschränkchen, das neben dem Bett stand. Am Ende des Raumes stand eine Kommode, auf der sich eine Waschschüssel und ein Wasserkrug befanden.

»Zieh dich aus und leg dich hin!«, wies Wilhelm seine Frau an. Mit hochrotem Kopf begann sie, ihr Kleid zu öffnen. Vor Scham hielt sie die Arme vor ihre Blöße. Am liebsten hätte sie jetzt noch einen Becher Wein getrunken, um sich zu beruhigen. Leicht gebeugt, als könne sie damit noch mehr verdecken, huschte Katharina unter die Decke. Ihren Gatten störte es hingegen nicht im Geringsten, sich vor ihr zu entkleiden. Als sie seinen massiven Körper und sein mächtiges Geschlecht sah, wurde ihr angst und bange.

Das Bett gab unter Wilhelms Gewicht ein Stück nach, als er sich zu ihr legte. Unter einem leichten Ächzen begab er sich über sie. Verkrampft und eingeschüchtert starrte sie an die Decke der Kammer. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Unterleib, als er in sie eindrang. Fest presste sie ihren Mund zusammen und schloss die Augen. Tränen rannen über ihre Schläfen in ihre blonden Locken. Sie hatte einmal gehört, dass es auch schön sein konnte. Doch sie war weit davon entfernt, Gefallen daran zu finden. Der Schmerz blieb. Nach einem kurzen Aufbäumen stöhnte Wilhelm kurz auf und ergoss sich in sie.

Er legte sich neben Katharina, rollte sich in seine Decke ein und es dauerte nicht lange, bis er schnarchend einschlief. Sie fühlte sich benutzt wie ein schmutziger Leinenfetzen. Mehr als Ekel konnte sie ihrem Gatten nicht entgegenbringen.

Die kommenden Tage verliefen wie erwartet. Ihr Schwiegervater kommandierte das Gesinde und auch Katharina durch das Haus und fand immer wieder Arbeiten, die sofort zu erledigen waren. Wilhelm war nach dem zweiten Tag der Hochzeit wieder zu den kaiserlichen Truppen gestoßen. Die Aussicht auf schnelles Geld durch Plünderungen vertrieben seine Angst, verwundet oder gar im Kampf getötet zu werden. Der Handel mit Tuchwaren war durch den Krieg ohnehin fast zum Erliegen gekommen und warf nur noch Almosen ab.

Katharina fühlte sich einsam. Unter den Bediensteten war niemand, dem sie vertrauen und ihr Herz ausschütten konnte. Ab und zu schlich sie fort, um sich heimlich mit Simon im Baumhaus zu treffen. So hatte sie zwar jemanden zum Reden, aber helfen konnte er ihr auch nicht.

So zogen Wochen und Monate durchs Land. Hin und wieder kehrte Wilhelm für ein oder zwei Tage von den Kriegsgeschehen zurück, forderte seine ehelichen Rechte, um anschließend wieder für Wochen zu verschwinden. Katharina war mittlerweile ein Schatten ihrer selbst geworden und funktionierte einfach nur noch.

1 107,75 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
312 стр. 5 иллюстраций
ISBN:
9783839268926
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Правообладатель:
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