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Читать книгу: «Das Mündel des Apothekers», страница 2

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»Einquartierung!«, rief der Stadthauptmann Stracke.

»Wie bitte?«, erwiderte der Apotheker entgeistert.

»Wir haben 500 schwedische Soldaten zu versorgen. Diese sind unter der Führung von Oberstleutnant Deubitz in die Stadt eingezogen. Ich selbst habe das Kommando über 600 Nördlinger Bürger. Habt Ihr nicht gesehen, dass an allen Ecken und Enden Vorbereitungen auf einen Angriff der kaiserlichen Truppen laufen?«

»Ähm, nein.«

»Wie Ihr wisst, sind die schwedischen Besatzer Protestanten wie wir. In Regensburg konnten sie die kaiserlich-bayerischen Truppen nicht mehr aufhalten. Vor vier Tagen wurde die Stadt Regensburg übergeben und wir sollen das nächste Ziel sein. Um weiterhin evangelisch zu bleiben, mussten wir die Hilfe von unseren schwedischen Freunden, Feldmarschall Horn und Herzog Bernhard, annehmen. Erste Dörfer im Ries wurden von den Katholischen bereits geplündert.«

»Und warum erfahre ich das als Ratsmitglied erst jetzt? Wir sollen uns gegen Tausende Kaiserliche stellen?«, entgegnete Riesinger.

»Ich führe nur die Befehle aus! Unsere Stadt ist nahezu uneinnehmbar. Vergesst das nicht. Und in einigen Tagen erwarten wir 25.000 Mann zur Verstärkung. Das sollte wohl reichen, werter Herr Apotheker. Ihr werdet zwei Offiziere bei Euch aufnehmen!« Nachdem ihn der Apotheker nur anstarrte, fuhr er fort: »Ich kann bei Euch auch vier verlauste einfache Soldaten einquartieren, wenn Euch das lieber ist.«

»Nein, das ist schon in Ordnung. Sie sollen hereinkommen. Meine Haushälterin wird ihnen ihre Unterkunft zeigen.«

Elfriede führte die Soldaten die Treppe hinauf, während Katharina und Simon die Offizin betraten.

»Ah, der junge Mühlbichler hat unsere Tochter ausgeführt«, spottete der Apotheker. Seine Augen formten sich zu schmalen Schlitzen und musterten den Burschen.

»Für dich ist es besser, du gehst jetzt. Und lass die Finger von Katharina!«

»Aber er hat doch niemandem was getan. Im Gegenteil, er hat mich beschützt.«

»Ich denke, wir haben uns verstanden.«

Die junge Frau ballte ihre Fäuste, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

6 Speerartige Stoß- und Hiebwaffe im späten Mittelalter, die aus einem langen Stiel mit axtförmiger Klinge und scharfer Spitze besteht.

Kapitel 2

Mit einem gewaltigen Knall schlugen die ersten Kanonenkugeln der kaiserlichen Truppen in der Stadtmauer ein. Mütter zerrten ihre Kinder nach Hause und verbarrikadierten sich. Jeder wehrfähige Bürger war in Alarmbereitschaft oder bereits auf dem Wehrgang. In einer nächtlichen Aktion gelang es den kaiserlichen Truppen, die Eger umzuleiten. Die Kornmühle stand dadurch still und Brände konnten nur noch schwer gelöscht werden.

Nachdem Katharina mit Hilfe von Simon einige Fässer mit Wasser befüllt hatte, eilten sie ins Gerberviertel, um ihrer Freundin, der Hebamme Holzinger, zu helfen.

»Wir müssen uns beeilen!«, trieb Mühlbichler sie an. »Es ist nur noch ein klägliches Rinnsal im Flussbett.«

»Ja, und die Leute wühlen den ganzen Dreck auf beim Abschöpfen. Hoffentlich ist das Wasser noch genießbar, bis wir bei Mathilda sind.«

»Die Felder außerhalb der Stadt sind auch komplett verwüstet. Überall sieht man Laufgräben und Geschützstellungen.«

»Glaubst du, die Tore halten den Geschützen stand?«

»Die Schweden haben direkt vor die Stadteingänge Hügel aus Erde und Kuhmist aufgeschüttet. Das soll die Geschosse so weit abbremsen, dass sie keinen Schaden mehr anrichten.«

»Auf Ideen kommen die«, staunte Katharina.

Das Gerberviertel hatte wesentlich stärker unter den Angriffen gelitten als die Mitte der Stadt. Mathilda lief schimpfend um ihre kleine Kate7.

»Schaut nur!«, rief sie zu Simon und Katharina, »die haben mir doch glatt ein Loch ins Dach geschossen. Na, denen werde ich jetzt helfen. Auf alte Weiber mit Kanonen schießen.«

»Was hast du vor, Mathilda?«, fragte Katharina.

»Den katholischen Herren da draußen werde ich jetzt ein leckeres Süppchen kochen!« Achselzuckend sahen sich Simon und Katharina an. Über Mathildas Feuer hing ein Kessel, in dem eine Mischung aus Harz, Öl und Tierfett brodelte.

»Kommt her und helft mir!« Gemeinsam schleppten sie den schweren Kessel die Treppe zum Wehrgang hinauf. Frauen warfen mit Steinen nach den Belagerern, die mit Sturmleitern versuchten, die Stadtmauer zu überwinden.

»Macht mal Platz für ein schweres Geschütz!«, bat Mathilda die Steinewerferinnen. Nachdem sie den Kessel abgestellt hatten, rief die Hebamme zu den Angreifern: »Seht mal her, ihr Hübschen!«, und walkte ihre großen Brüste unter ihrem Kleid. »Schaut es euch genau an! Ihr werdet es nur einmal sehen!«, spottete sie und kippte den Inhalt des Kessels auf die Soldaten hinab. Brüllend vor Schmerz wälzten sich die Getroffenen auf dem aufgeschütteten Dunghaufen. »Und das ist für das Loch in meinem Hausdach«, schimpfte sie weiter und schleuderte einen faustgroßen Stein hinunter. Sie traf einen Soldaten am Brustbein, der atemringend zusammenbrach. »Kommt, wir machen noch mal eine Mischung an«, lachte Mathilda und stapfte mit ihrem Kessel die Treppe hinab.

»Was ist los mit dir, Mathilda?«, fragte Katharina besorgt, als sich die Hebamme, geplagt von Schwindel, am Türstock festhielt.

»Es geht bestimmt gleich wieder«, beschwichtigte sie. »Ich bin schließlich keine zwanzig mehr. Der Kessel war mir wohl zu schwer.« Mathilda tropfte der Schweiß von den Haaren, die unter ihrer Haube herauslugten.

»Du bist blass, als hättest du dich übergeben! Leg dich lieber etwas hin.« Simon reichte ihr einen Becher Wasser, den sie in einem Zug austrank.

Katharina wischte mit einem Tuch den Schweiß von ihrer Stirn. Erschrocken zog sie die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.

»Du hast ja Fieber! Und was ist das für eine Schwellung an deinem Hals?«

»Mir geht es seit heute Morgen schon nicht so gut.«

Ein junges Mädchen stürmte in die Kate, dass alle drei erschrocken hochfuhren.

»Wir brauchen eine Hebamme! Dringend!«, rief sie.

»Bist du nicht die Kleine vom Bäcker aus der Judengasse?«, fragte Katharina.

»Ja. Meine Mutter liegt seit gestern Nacht in den Wehen.«

»Seit gestern Nacht? Und warum braucht ihr dann erst jetzt eine Hebamme?«

»Der alte Geizkragen wollte sich bestimmt wieder meinen Lohn sparen!«, krächzte Mathilda. Das Mädchen blickte beschämt zu Boden und stocherte mit ihren nackten Füßen in den Binsen. »Sag ihnen, ich mach mich gleich auf den Weg.«

»In deinem Zustand kannst du unmöglich dort hin!«, schimpfte Katharina.

»Dann wirst du das erste Mal allein ein Kind auf die Welt begleiten.«

»Ich?«, entrüstete sich das Apothekermündel. »Ich bin doch keine Hebamme. Ich hab dir zwar schon öfter mal geholfen, aber allein kann ich das nicht!«

»Wenn ihr meiner Mutter nicht helfen wollt, wird sie sterben«, schluchzte das Mädchen.

»Und was wird aus dir?«, fragte Katharina die Hebamme.

»Keine Angst, ich hab schon Schlimmeres mitgemacht. Und Simon ist ja auch noch da.«

»Er wird den Bader für dich holen! Versprich mir das!«

»Ja, und jetzt verschwindet, bevor es zu spät ist.«

»Dann musst du mir aber zur Hand gehen!« Die Bäckerstochter nickte eifrig.

»Und wenn es die Kaiserlichen zu bunt treiben, werde ich ihnen ordentlich den Hintern versohlen«, kicherte die Hebamme.

Gebückt, als könnten sie sich somit vor den kaiserlichen Kanonen schützen, huschten die beiden durch die Straßen. Gesteinsbrocken der geborstenen Mauern erschwerten ihr Vorankommen. Mehrfach erschraken sie, wenn weitere Einschläge der Geschütze zu hören waren. In den Gassen saßen Bauern und Handwerker aus den umliegenden Dörfern, die vor den Soldaten in die Stadt geflüchtet waren. Schon wenige Tage nach der Belagerung Nördlingens waren ihre Vorräte aufgebraucht. Hunger war jetzt ihr ständiger Begleiter.

Der Bader Nepomuk Fromme sägte vor der Baderstube einem verletzten Soldaten ein Bein ab. Dieser wurde von den Schmerzen bewusstlos und bekam von all dem nichts mehr mit. Frommes Bademägde versorgten die Verwundeten im überfüllten Haus.

»Zunächst brauche ich heißes Wasser und Leinenstreifen«, wies das junge Apothekermündel die umherstehenden Frauen an. Die nassgeschwitzte Bäckerin war geschwächt und stöhnte. Die Tochter hielt ihre Hand und wischte den Schweiß von der Stirn ihrer Mutter. Nachdem Katharina den Bauch der Gebärenden abgetastet hatte, erklärte sie:

»Das Kind liegt falsch herum. Aber ich hab Mathilda schon mal zugeschaut, wie sie das im Leib gedreht hat.«

»Sie hat schon mal zugeschaut«, wiederholte Heidrun, die Base der Bäckerin, abwertend. »Ich hab’s ja gleich gesagt, dass ein so junges Ding keine Ahnung hat.«

Katharina schmierte sich die Hände mit Gänsefett ein und ertastete die Lage des Kindes. Mit Hilfe eines Stockes führte sie eine Schnur ein und befestigte eine Schlinge um ein Beinchen des Ungeborenen. So sollte die Steißlage aufgehoben und das Kind mit den Beinen voran das Licht der Welt erblicken.

»So, und jetzt pressen!«, forderte Katharina die sichtlich geschwächte Frau auf, während sie sanft an der Schur zog. Sie bekam das Beinchen zu fassen.

»Gleich habt Ihr es geschafft.« Mit letzten Kräften bäumte sich die Bäckerin noch einmal auf.

Die Anwesenden starrten auf das Neugeborene. Das Gesicht war blau angelaufen. Der Körper leblos. Katharina tätschelte seine Wange und gab ihm mehrmals einen Klapps auf den Hintern. Vergebens.

»Bäckerin, Euer Kind … es atmet nicht. Die Nabelschnur hatte sich um den Hals gewickelt und es erstickt«, berichtete ihr Katharina voller Mitgefühl.

»Kindsmörderin!«, schrie Heidrun.

»Hätte ich nicht geholfen, wären jetzt beide tot«, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

»Du hast dem Kind beim Drehen im Leib die Nabelschnur um den Hals gewickelt. Hexe!«

»Ich bin mir sicher, sie hat ihr Möglichstes getan«, beschwichtigte die Wöchnerin. »Hab Dank für deine Hilfe.«

»Nein, nein! So einfach kommst du mir nicht davon, Kindsmörderin! Scher dich raus hier! Du wirst noch von mir hören!«, prophezeite ihr Heidrun.

*

Aufgewühlt und den Tränen nahe schlich sie in die Offizin, um einige Heilkräuter und etwas zu essen für Mathilda herzurichten. Als sich Katharina an diesem Tag erneut davonschleichen wollte, versperrte ihr der Stiefvater den Weg.

»Nein, du bleibst hier! Deine Hebamme muss ab jetzt ohne dich zurechtkommen. In den Straßen wimmelt es vor Pestilenz- und Ruhrkranken8. Der Totengräber bekam vom Rat die Anweisung, die eisenbeschlagenen Räder vom Leichenkarren mit Filz zu umwickeln, weil die Bürger fast durchdrehen, wenn sie das ratternde Geräusch ständig hören müssen.«

»So viele sind schon gestorben?«, fragte Katharina entsetzt. Benedikt nickte nur betroffen.

»Die meisten Bürger hassen uns, weil wir uns das tägliche Brot noch leisten können. Vier Gulden verlangen die mittlerweile für einen Laib! Nur wenige können sich das noch leisten.«

»Ich kann nicht einfach zuschauen, wie Mathilda stirbt. Sie hat doch sonst niemanden.«

»Sei vernünftig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die kaiserlichen Truppen über unsere Stadt herfallen. Dann Gnade uns Gott! Gestern gelang es ihnen, in den beschädigten Deininger Turm einzudringen und auf unsere Männer zu schießen. Die letzte Chance war, den Turm anzuzünden und die Angreifer auszuräuchern.« Dass die halb verhungerten Nördlinger die verkohlten Leichen aßen, verschwieg er ihr vorsichtshalber.

»Was ist da draußen los?«, wunderte sich Katharina und öffnete die Türe der Offizin.

»Habt ihr es schon gehört?«, fragte der Pastor Widmann.

»Was gehört?«

»Einige unserer Männer haben heute Nacht die Eger wieder in die Stadt geleitet. Die Mühle arbeitet also wieder. Und sie erbeuteten sogar haufenweise Lebensmittel von den Kaiserlichen. Deshalb feiern wir jetzt einen Dankgottesdienst. Wir haben gesiegt!«

»Das ist ja wundervoll«, freute sich Katharina und blickte zu ihrem Stiefvater, der ebenfalls erleichtert war.

Die Glocken vom Daniel läuteten, bis sich die St. Georgskirche bis auf den letzten Platz gefüllt hatte. Freude und Erleichterung war in den Gesichtern der Nördlinger zu sehen. Selbst verfeindete Nachbarn schenkten sich ein Lächeln.

Kurz nachdem Pastor Widmann mit der Messe begonnen hatte, stürmte der Bürgermeister in die Kirche. Die Gläubigen drehten neugierig ihre Köpfe Richtung Haupteingang. Widmann stockte in seinem Satz. Die Schuhe des Stadtoberhaupts klopften bei jedem Schritt auf den Steinboden, bis er in der Mitte stehen blieb.

»Ich weiß nicht, wer das Gerücht des Sieges in die Welt gesetzt hat, aber es ist nicht wahr! Die kaiserlichen Truppen haben das lang erwartete Heer vernichtend geschlagen. Man sagte mir, dass wohl mehr als 12.000 schwedische Soldaten nicht mit dem Leben davongekommen und über 4.000 in Gefangenschaft geraten sind. Die davonlaufenden Schweden wurden von der kaiserlichen Reiterei verfolgt und getötet.«

»Das ist eine Lüge!«, schrie einer.

»Die Kaiserlichen haben doch gar keine Munition mehr!«, brüllte ein anderer. Ein lautes Stimmengewirr entstand. Bürgermeister Schillinger bestieg die Kanzel, um sich Gehör zu verschaffen.

»Die kaiserlichen Truppen sind bereits auf dem Rückweg. Wir werden spätestens morgen die bedingungslose Kapitulation unterzeichnen müssen. Geht nach Hause und versucht zu retten, was noch zu retten ist. Versteckt oder vergrabt alles, was von Wert ist!«

7 Hütte, einfaches Haus.

8 Die Ruhr: Schwere Durchfallerkrankung, oft mit blutigem Stuhl.

Kapitel 3

Seit fast drei Tagen versteckte sich Katharina im Dachboden des Apothekerhauses und hoffte, so den Übergriffen der Kaiserlichen zu entkommen. Die Besatzer zogen plündernd durch die Stadt. Was sie gebrauchen konnten, stahlen sie, und in den Wirtshäusern wurde gesoffen, ohne zu bezahlen. Frauen wurden auf offener Straße Opfer lüsterner Landsknechte. Wer sich gegen sie stellte, bezahlte mit seinem Leben.

Neben Soldaten und Verwundeten strömte auch Trossvolk nach Nördlingen. Allen musste Quartier gegeben werden. Bei den Riesingers wurden einige Marketenderinnen und Hübschlerinnen aufgenommen. Der Apotheker war fest davon überzeugt, dass Schillinger das mit Absicht so eingefädelt hatte, gab es doch in der letzten Zeit einige Unstimmigkeiten zwischen ihnen beiden.

Elfriede brachte dem Apothekermündel täglich mehrmals zu essen und versorgte sie.

»Wenn es stimmt, was die Leute sagen, kommt heute noch Erzherzog Ferdinand nach Nördlingen. Ich hoffe sehr, dass er dem Treiben hier ein Ende setzt.«

»Das wird auch langsam Zeit! Hier oben ist es alles andere als gemütlich«, murrte Katharina.

Unter dem Dach des Patrizieranwesens war ab der Mittagszeit eine fast unerträgliche Hitze und die kleinen Fenster an den Giebelseiten des Hauses ließen nur wenig Licht in den Raum. Von den Dachbalken hingen Spinnweben, die wie graue Tücher wirkten. Alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Aus Langeweile begann Katharina, Kisten und Säcke zu durchstöbern, die vor längerem achtlos abgestellt worden waren. Sie enthielten Tuchballen aus vergangenen Tagen, andere Kleidung ihrer längst verstorbenen Stiefmutter.

Nicht mehr lange, dann würden sie mir vielleicht passen, dachte sie sich. Ein Kleid nach dem anderen betrachtete sie und hielt es vor ihren Körper, um abzuschätzen, wie es an ihr wirkte. Auf dem Boden der Kiste blieb ihr Blick auf einem Buch haften.

Der Einband war aus dunkelbraunem Leder gefertigt und an den Ecken mit schweren Metallbeschlägen versehen. Um es aufzuschlagen, musste ein Riegel geöffnet werden. Es war unverschlossen. Katharina setzte sich unter eines der kleinen Fenster und fing an zu blättern.

›Freitag, 3. Februar 1612: Wenn ich ihn sehe, schlägt mein Herz schneller. So also fühlt sich die Liebe an.

Mittwoch 11. Juli 1612: Heute ist es passiert. Josef war so einfühlsam und trotzdem wild und stürmisch. Das würde ich mir von Benedikt auch wünschen …‹

Was zur Hölle waren das für Aufzeichnungen? Und wer war Josef?, fragte sie sich.

›Benedikt hat mir ja schon lange nicht mehr beigewohnt. Er war so außer sich, als er erfuhr, dass ich mich ausgerechnet einem Hofmeister hingegeben habe. Ich kann von Glück reden, dass Benedikt es für sich behalten hatte. Sonst hätte man mich wohl mit der Schandgeige um den Hals aus der Stadt gejagt. Es tut mir leid, Benedikt. Es war ein Fehler von mir …‹

Katharina blieb der Mund offen stehen. Daher also der Familienstreit.

Als sie weiter im Buch blätterte, fiel eine einzelne Seite heraus. Ein Brief an meinen Stiefvater. Vom Augsburger Stadtmedicus?

›Mein lieber Freund Benedikt, sicherlich erinnert Ihr Euch noch an Elena, die im Doktorenhaus die kleine Kammer bewohnte. Sie behauptet, von Euch schwanger zu sein. Ich dachte mir, Ihr solltet das erfahren. Vielleicht ist ja doch etwas Wahres daran. Euer alter Freund Engelhard Metzner, Augsburg 8. März 1620.‹

Das wird ja immer besser. Meine Stiefmutter lässt sich auf einen Hofmeister ein und der Stiefvater schwängert eine Frau in Augsburg. Moment mal. 8. März 1620?

Nachdem sich immer mehr Menschen auf dem Rathausplatz einfanden und ein wirres Stimmendurcheinander entstand, blickte Katharina neugierig aus dem kleinen Giebelfenster.

»Nördlinger Bürger, hört mich an«, begann Erzherzog Ferdinand seine Rede. »Ihr habt mich enttäuscht. Meineidig seid ihr geworden, eines irren Glaubens wegen. Ihr alle seid beschuldigt, ein freiwilliges Bündnis mit den Schweden eingegangen, und dem nicht genug, habt ihr Widerstand während der Belagerung dem Kaiser gegenüber geleistet. Die bedingungslose Kapitulation wurde bereits am 7. September unterzeichnet und sämtliche Waffen der Stadt konfisziert. Ich fordere von Euch eine Brandschatzung in Höhe von 100.000 Reichstalern sowie 8.000 Reichstaler für die der Artillerie entstandenen Kosten. Alle Besitzungen, die Gustav Adolf der Stadt vermacht hat, sind an die katholischen Klöster zurückzugeben. Im Gegenzug wurden meine Offiziere angewiesen, Plünderungen, Diebstähle und Misshandlungen aufs Härteste zu bestrafen. Die Stadt Nördlingen soll weiterhin den Status der Freien Reichsstadt und der evangelischen Konfession behalten dürfen, wenn …« Jubel brach unter den Bürgern aus. Freudig umarmte jeder seinen Nebenmann.

»… wenn ihr mir den Treueeid neu leistet«, beendete der kleine, bucklige Erzherzog unter Jubel seine Ansprache.

Na endlich komme ich aus diesem staubigen Loch, freute sich Katharina und stürmte die Treppen hinab.

Vor dem Apothekerhaus stapelte sich der gesamte Warenbestand der Trossweiber. Riesinger hatte ihn für einen guten Preis aufgekauft.

»Schafft einfach alles in die Offizin«, wies Riesinger die Marketenderinnen an.« Die Kühe und Ziegen bringen wir vorerst im Pferdestall unter.« Neben Mehl und Getreide waren es hauptsächlich württembergischer Wein, Bier, Speck und Salz, aber auch Töpfe, Pfannen, Seile und eben alles für den täglichen Bedarf. Die Waren hatten die Trossweiber den Soldaten abgekauft, die in württembergischem Gebiet plünderten. Doch das störte den Apotheker nicht sonderlich. Bei der momentanen Lage würde er nicht lange auf seiner Ware sitzenbleiben. Es gab immer noch einige Familien, die sich etwas leisten konnten, und die Bauern würden ihn für das Vieh einfach kostenlos mit Milch und Fleisch versorgen, bis die Schuld abgetragen war.

Elfriede humpelte schimpfend in gebückter Haltung, unter dem Gelächter der Hübschlerinnen, einem ausgebüxten Huhn hinterher. Doch dieses genoss gackernd und flügelschlagend seine Freiheit.

»Wir wollten uns bei euch bedanken und uns verabschieden, Elfriede. Wir ziehen mit dem Tross weiter. In Nördlingen bleibt ja nur ein kleiner Trupp.« Die Haushälterin stützte ihre Arme in die Hüften und streckte den Rücken durch.

»Wir haben zu danken. Eure Waren und Lebensmittel hat uns der Himmel geschickt. In Zeiten wie diesen ist es nicht einfach als Händler. Und vielleicht kommt ihr wieder mal in die Gegend. Ihr seid immer willkommen«, bedankte sich die Haushälterin und verabschiedete die Frauen.

Auf dem Marktplatz bildete sich erneut eine Menschenansammlung. Einige schimpften und hoben drohend die Fäuste.

»Was ist denn nun schon wieder!«, murrte Elfriede und stapfte neugierig Richtung Rathaus.

»Im Namen des Kaisers werden die hier Anwesenden der gemeinschaftlichen Plünderung und Unzucht angeklagt und zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Die Urteile werden heute Mittag auf dem Galgenberg vollstreckt!«, rief ein kaiserlicher Offizier auf dem Marktplatz aus.

»Hängt die Lumpen doch gleich hier auf, dann sparen wir uns den Fußmarsch!«, brüllte der Schmied.

»Das Urteil ist viel zu milde! Die Bastarde gehören aufs Rad geflochten!«, schimpfte ein anderer. Als Elfriede dem Apotheker davon berichtete, hörte dieser interessiert zu und verschwand darauf wieder in der Offizin.

*

Bereits eine Stunde vor Mittag fanden sich Dutzende Neugierige vor dem Hexenfelsen ein. Riesinger hatte auf seinen Pferdekarren einen provisorischen Verkaufsstand gezimmert und verpflegte die Anwesenden mit Bier und württembergischem Wein.

Es herrschte schon eine ausgelassene Stimmung, als der Nördlinger Scharfrichter kurz vor Mittag die beiden Verurteilten zur Richtstatt brachte. Seine Miene war ausdruckslos. Die quer über sein Gesicht verlaufende Narbe schien zu leuchten. Die gefesselten Todeskandidaten wurden auf den zehn Fuß hohen Hexenfelsen geführt, somit hatte auch bei größeren Zuschauermengen jeder eine gute Sicht. Die Verurteilten hatten ihre kniende Haltung bereits eingenommen, als der kaiserliche Offizier die Anklage noch einmal verlas.

»Fangt endlich an!«, erklangen Rufe aus der Menge.

»Genau, sonst geht vorher der Wein noch aus!«, lachte ein Mann. Der Henker hielt das Richtschwert mit beiden Händen und holte zum Hieb aus. Durch seinen Schwung mit dem Schwert glitten ihm die Füße auf dem moosigen Untergrund weg und er landete samt seinem Mordwerkzeug auf dem Hintern. Die Menge grölte und brüllte vor Lachen.

»Wohl etwas aus der Übung, Egger!«, spotteten die Ersten. Sichtlich nervös, holte der Scharfrichter erneut aus, verfehlte sein Ziel und streifte den Kopf des Verurteilten nur leicht. Das Richtschwert traf klirrend den Felsen, dass es Funken schlug. Wieder grölten und brüllten die Zuschauer. Dem kaiserlichen Offizier gelang es nur mit Mühe, seine stoische Miene zu bewahren. Der Henker hatte einen hochroten Kopf. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Sollte es ihm diesmal nicht gelingen, würde ihn die Menge wahrscheinlich lynchen.

»Hier, Henker, trink mal einen kräftigen Schluck Zielwasser, dann wird es schon klappen«, spottete ein junger Bursche unter Gelächter der anderen und reichte ihm einen Becher Wein. Sichtlich erbost, schlug Egger dem Lümmel das Gefäß mit dem Fuß aus der Hand und rief:

»Ich mach das nicht! Die beiden sind unschuldig! Die waren ja gestern noch nicht einmal in der Stadt! Und Befragung gab es auch keine! Das sind willkürlich Verurteilte!«

Der Offizier glaubte nicht richtig zu hören. So etwas hatte es ja noch nie gegeben. Ein Henker, der die Vollstreckung verweigerte. Sichtlich durcheinander, begann der Kaiserliche:

»Die Hinrichtung wird bis zur Klärung der genauen Sachlage verschoben. Geht nach Hause!« Murrend und schimpfend, ihres Vergnügens beraubt kehrten die Zuschauer zurück in die Stadt.

»Henker, das hat ein Nachspiel. Wie willst du da wieder rauskommen?«, drohte ihm der kaiserliche Offizier.

*

Zielstrebig steuerte Katharina auf die kleine Kate der Hebamme Holzinger im Gerberviertel zu. Sie bestand aus nur zwei Räumen. Im Erdgeschoss eine Küche, im oberen Stockwerk ein kleiner Schlafraum. Vor dem Eingang war ein gepflegter Kräutergarten. Über der Türe pendelte ein Holzschild quietschend im Wind, auf dem das Zeichen der Hebammen abgebildet war. Ein rotes Kreuz und der Stadtadler Nördlingens.

Vorsichtig öffnete Katharina die Eingangstüre. Der Geruch von Fäulnis, Exkrementen und Verwesung schlug ihr entgegen. Durchgeschwitzt und mit fahlem Gesicht lag die Hebamme in ihrer Schlafstatt. Vor dem Bett stand ihre übervolle Nachtpfanne. Katharina presste sich den Handrücken unter ihre Nase und verzerrte das Gesicht.

»Mathilda, wie geht es dir? Kannst du mich hören?«

»Komm mir lieber nicht zu nahe, Kind. Die Pestilenz hat dieses Mal keinen Bogen um mein Haus gemacht. Es hat mich mit voller Wucht erwischt.«

»Das habe ich fast befürchtet!« Katharina presste ihre Lippen aufeinander. »Ich hab dir was zum Essen mitgebracht. Und ich kaue Engelwurz, das soll gegen eine Ansteckung helfen.«

»Ach, die Gerberin hat auch Engelwurz gekaut und trotzdem ist sie an der Beulenpest gestorben. Es ist wohl doch eher in Gottes Hand, wann und wie wir von dieser Welt gehen.«

»Ich bete jeden Tag für dich. Du wirst doch wieder gesund, nicht wahr?«

»Bader Fromme hat mir die Beulen aufgestochen und den Saft abfließen lassen. Er sagt, dass man dadurch eher überlebt. Wir werden ja sehen, ob Gott sich meiner armen Seele erbarmt.«

»Du warst immer gut zu den Menschen. Warum soll er sich deiner nicht erbarmen?«

Mathilda verzog nur das Gesicht zu einem gequälten Lächeln.

»Was du jetzt brauchst, ist frische Luft, und die stinkende Nachtpfanne muss dringend raus hier!« Nachdem sie gelüftet und den Nachttopf geleert hatte, wusch sie der Kranken das Gesicht und flößte ihr zu trinken ein.

»Herrje, es wird ja schon bald dunkel. Ich sollte längst zu Hause sein. Ich schau morgen wieder nach dir! Versuch zu schlafen!«, riet Katharina der Pestkranken und verabschiedete sich.

In der Abenddämmerung trat sie ihren Heimweg an. Die Gassen waren menschenleer und in den Häusern wurden die ersten Lichter entzündet. Schon kurze Zeit später bemerkte sie, dass ihr jemand folgte. Nach einem Blick über die Schulter sah Katharina eine dunkle Gestalt. Eine große Hutkrempe verdeckte das Gesicht des Unbekannten. Sie beschleunigte ihre Schritte und hoffte, so ihrem Verfolger zu entkommen, doch die Geräusche kamen näher.

Ihr Herz klopfte schneller.

Sie spürte das Blut durch ihre Adern rauschen. Kurz vor dem Hafenmarkt blickte sie sich erneut um. Nur noch wenige Schritte trennten den Schwarzgekleideten von ihr.

Katharina raffte ihre Röcke und rannte, so schnell sie konnte.

Vergebens. Die Gestalt ließ sich nicht abschütteln. Als er sie erreichte, spürte Katharina ein feuchtes Tuch im Gesicht. Sie wollte schreien, aber es gelang ihr nicht. Beißender Geruch drang in ihre Nase.

Dann wurde es dunkel um sie.

*

Georg Schillinger lief aufgeregt im Sitzungssaal des Rathauses auf und ab.

»Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«, schrie er den Scharfrichter an. »Kannst du dir vorstellen, wie ich vor den kaiserlichen Offizieren jetzt dastehe? Die haben mir zwar nichts zu sagen, da ich direkt dem Kaiser unterstehe, doch sollte sich herumsprechen, dass mir ein ehrloser Henker auf der Nase herumtanzt, verliere ich meine Glaubwürdigkeit und Autorität!«

»Mit Verlaub, werter Herr Bürgermeister, die beiden können das unmöglich gewesen sein. Die waren ja vorgestern noch nicht mal in der Stadt. Auch die Offiziere wissen das. Und ich hab die Sattlerfamilie befragt. Es wurde nicht geplündert. Ihre Tochter wurde geschändet, kann sich aber an nichts mehr erinnern, weil sie wohl ohnmächtig wurde. Das passt doch alles nicht zusammen.«

Schillinger überlegte und strich mit Zeigefinger und Daumen über sein Kinn.

»Das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Soll ich den Offizieren ins Gesicht sagen, dass sie mich anlügen?«

»Vielleicht waren es sogar die Offiziere selbst und jetzt brauchen sie einen Sündenbock.«

»Deine Theorien werden ja immer abenteuerlicher! Mach deine Arbeit ordentlich und hör auf, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen. Sonst hat Nördlingen bald einen neuen Scharfrichter.«

Hans Griebel, der Totengräber, platzte in die Schreibstube des Bürgermeisters.

»Verzeihen Sie, Herr Bürgermeister, die Störung …«, begann dieser hastig.

»Griebel! Hat man dir keinen Anstand beigebracht? Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?«, schrie Schillinger erbost. »Was gibt es so Wichtiges?«

»Verzeihung, Herr Vorsitzender«, entschuldigte sich Hans. »Eine blonde junge Frau wurde tot aufgefunden. Im Gerberviertel nahe der Stadtmauer.«

»Die beiden verurteilten Soldaten können es ja schlecht gewesen sein. Die sitzen ja bereits im Feilturm9«, sagte Egger mit Genugtuung.

»Das weiß ich auch, dass die es nicht waren!«, blaffte Schillinger den Henker an. »Der Bader soll sie sich anschauen, woran sie gestorben ist! Und ihr haltet den Mund. Kein Wort zu irgendeinem. Habt ihr verstanden? Wir haben schon genug Gerede in der Stadt. Und jetzt schert euch raus!«

*

Elfriede drückte währenddessen ihre Nase an die Scheibe und starrte aus dem Fenster.

»Wo, um Himmels willen, treibt sich Katharina wieder herum?«

»Ist sie denn noch nicht zu Hause?«, fragte Riesinger.

»Nein. Und ich mach mir langsam Sorgen. Es ist mittlerweile stockfinster draußen.«

Heftig pochte es gegen die Eingangstüre. Die Haushälterin sah zu Benedikt, der achselzuckend am Schreibpult der Offizin saß. »Ich erwarte niemanden mehr.« Gemächlich schlurfte Elfriede zum Eingang.

»Der junge Mühlbichler. Was wollt Ihr um diese Zeit noch hier?«

»Ich wollte nur wissen, ob Katharina da ist.«

»Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten«, murrte der Apotheker aus dem Hintergrund.

»Das tue ich, Herr Riesinger. Ich möchte ja auch nur wissen, ob sie zu Hause ist und ob es ihr gutgeht. Der alte Griebel hat heute die Leiche einer jungen Frau aufgefunden.« Die entsetzten Blicke von Elfriede und Benedikt trafen sich.

»Herr im Himmel!«, entfuhr es der Haushälterin.

»Katharina ist heute Nachmittag zur Hebamme Holzinger ins Gerberviertel. Sie ist aber immer noch nicht zurück«, stotterte Elfriede.

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22 декабря 2023
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9783839268926
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