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Spätere Studien wiesen darauf hin, dass die gefundenen Unterschiede in der Erkennung belebter und unbelebter Objekte auch durch unkontrollierte konfundierte Variablen entstanden sein könnten, insbesondere die Geläufigkeit (familiarity) der Konzepte. Das Argument besagt im Kern, dass etwa Tiere (die prototypischen belebten Objekte) häufig vorkommen und allen bekannt sind, wir aber weit mehr konkrete Erfahrung mit unbelebten Dingen wie Tisch, Stuhl etc. haben und dieser Unterschied zu den Benennungsunterschieden beigetragen habe. Eine Reanalyse des Patienten J. B. R., bei der diese Faktoren berücksichtigt wurden, ergab jedoch, dass die Erkennungsleistung zwar für belebte und unbelebte Objekte bei sehr geläufigen Objekten gleich war. Sein Defizit in der Erkennung belebter Objekte hatte aber bei weniger geläufigen Objekten Bestand.

semantische oder perzeptuelle Unterschiede?

Was ist aber nun die Grundlage für die unterschiedliche Erkennungsleistung für belebte und unbelebte Objekte? Ist es die Belebtheit an sich, die, vielleicht aus evolutionären Gründen, zu einer Repräsentation an unterschiedlichen Orten des Gehirns führt, oder sind es Unterschiede in der Art der Repräsentation belebter und unbelebter Objekte, wie bereits von Warrington und Shallice vorgeschlagen?


Eine interessante Studie wurde von Gaffan und Heywood (1993) durchgeführt. Sie ließen Affen die Diskrimination zwischen Linienzeichnungen belebter oder unbelebter Objekte lernen. Dabei beobachteten sie, dass es den Affen schwerer fiel, die Diskrimination zwischen belebten Objekten zu lernen, und dass die Schwierigkeit mit der Anzahl der zu diskriminierenden Objekte für belebte Objekte steiler anstieg als für unbelebte Objekte. Eine linguistische Verarbeitung kann bei den Affen ausgeschlossen werden. Daher schlossen sie, dass belebte Objekte schwerer visuell zu diskriminieren sind, weil die Objekte innerhalb dieser Kategorie sich ähnlicher sehen als unbelebte Objekte.

Untersuchungen an einem weiteren Patienten (S. R. B.) bestätigten die Bedeutung der visuellen Ähnlichkeit für die schlechtere Erkennung belebter Objekte. Wenn die Bilder belebter und unbelebter Objekte so ausgewählt wurden, dass die Benennung in beiden Kategorien (Autos und Hunde) gleichermaßen anhand feiner visueller Details getroffen werden musste, so war S. R. B. in beiden Kategorien in ähnlicher Weise beeinträchtigt.

funktionelle Repräsentation

Die Repräsentation von Objektkategorien ist allerdings mehr als eine Sammlung visueller Merkmale. Das Betrachten von Werkzeugbildern im Gegensatz zu anderen Kategorien (Bildern von Tieren) führte im hirngesunden Betrachter zu einer Aktivierung des prämotorischen Cortex (Martin et al. 1996). Dieser Cortex ist von zentraler Bedeutung für die Programmierung komplexer Bewegungen (s. Kap. 1.7). Die prämotorische Aktivierung, die durch die Werkzeuge hervorgerufen wurde, deckte sich weitgehend mit einer Aktivierung, die durch Nennung handlungsorientierter Verben hervorgerufen wurde. Die Annahme liegt daher nahe, dass dies ein Beispiel dafür ist, dass Kategorien nicht nur über ihre visuellen Charakteristika, sondern auch über funktionelle, handlungsbezogene Aspekte repräsentiert sind und diese Aspekte auch dann aktiviert werden, wenn die Handlung keine aktive Rolle spielt, wie bei der Benennung bewegungsloser Werkzeugbilder.

1.2.4Objekte und Merkmale

Neuropsychologische Patientenstudien wie bildgebende Untersuchungen am intakten Gehirn zeigen, wie wir gesehen haben, dass der ventrale Occipitotemporalcortex eine wichtige Rolle für die Objektwahrnehmung spielt. Wir haben weiterhin gesehen, dass verschiedene Kategorien von Objekten besonders starke Aktivierungen an verschiedenen Orten innerhalb des ventralen Occipitotemporalcortex hervorrufen, aber andererseits Kategorien auch verteilt repräsentiert sind. Daraus ergibt sich die Frage, ob es bestimmte Merkmale – komplexer als die Kanten, die V1-Neurone aktivieren, aber unterhalb der Komplexitätsebene realer Objekte – gibt, die die adäquaten Reize für die Neurone im ventralen Occipitotemporalcortex darstellen.


IT-Kolumnen

Diese Frage wurde insbesonders von dem japanischen Neurophysiologen Keiji Tanaka in einer langen Reihe von Experimenten untersucht. Er fand heraus, dass Neurone im inferotemporalen Cortex (IT) des Affen (einem Gebiet, das funktionell dem ventralen occipitotemporalen Cortex des Menschen entspricht) eine kolumnäre Struktur ähnlich wie in V1 aufwiesen. Dabei reagierten die Neurone innerhalb einer Kolumne jedoch auf weit komplexere Merkmale als in V1 (Abb. 1.2.8). Auch waren die Grenzen dieser Kolumnen nicht scharf begrenzt, benachbarte Neurone reagierten häufig auf leicht unterschiedliche Ansichten derselben Objekte (Tanaka 1996). Inwieweit die verteilten Aktivierungsmuster, die beim Betrachten von Objekten entstehen, auf die Aktivierung bestimmter komplexer Merkmalskolumnen zurückgehen, ist bis heute eine ungelöste Frage.


Abb. 1.2.8: Kolumnäre Organisation im inferotemporalen Cortex des Affen (nach Tanaka 1996, bearbeitet)

1.2.5Frühe und späte visuelle Areale?

Wir haben inzwischen gesehen, dass Neurone auf ganz unterschiedliche visuelle Reize reagieren können. V1-Neurone reagieren auf Kanten, die in einem eng umgrenzten Bereich des Gesichtsfeldes präsentiert wurden. Dagegen werden Neurone im Gyrus fusiformis oder entlang des Sulcus temporalis superior durch Gesichter aktiviert, die in einem weit größeren rezeptiven Feld präsentiert werden können. Generell gibt es eine Entwicklung von Neuronen in frühen visuellen Arealen (wie V1), die auf einfache Reize in einem eng umgrenzten rezeptiven Feld reagieren, hin zu selektiven Reaktionen auf immer komplexere Reize und in größeren rezeptiven Feldern in den nachgeschalteten Arealen.

Es ist daher naheliegend, an eine Verarbeitungskette von frühen zu späten visuellen Arealen zu denken, an deren Anfang die Analyse einfacher Merkmale steht, aus denen sich dann in den nachfolgenden Arealen immer komplexere Repräsentationen entwickeln. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Es gibt nicht nur eine Verarbeitung von frühen zu späten visuellen Arealen, sondern auch in umgekehrter Richtung, von den „späten“ zu den „frühen“ Arealen. Hier wird offensichtlich, dass die Bezeichnung „frühe“ und „späte“ Areale nur begrenzt sinnvoll ist. Während sie in anatomischer Sicht, in der Reihenfolge der Verschaltung vom Auge zu „höheren“ Gehirnarealen sinnvoll sein mag, so kann es durchaus vorkommen, dass anatomisch „späte“ Areale früher aktiv sind als „frühe“ Areale.

rekurrente Signale

Rekurrente (rückläufige) Prozesse scheinen sogar eine größere Bedeutung zu haben, als man lange Zeit gedacht hatte. Zwar müssen Signale, die, vom Auge kommend, über die Sehbahn das Gehirn erreichen, zunächst V1 passieren, um die nachgeschalteten Areale zu erreichen. Dann jedoch kann es zu rekurrenten Signalen an die „früheren“ Areale kommen. Nach der Theorie der umgekehrten Hierarchie (reverse hierarchy theory; Ahissar / Hochstein 2004) kommen wir oft ohne diese rekurrenten Verarbeitungsschritte aus, wenn es nur darum geht, globale Objekt- oder Musterunterscheidungen zu treffen. Die Präsenz eines Gesichts etwa kann schon nach dem ersten Verarbeitungsdurchlauf von Neuronen der FFA signalisiert werden. Wenn es jedoch darum geht, feine Unterschiede zwischen zwei Gesichtern zu erkennen, dann sind u. U. rekurrente Schritte zurück zu früheren visuellen Arealen nötig. Nur diese haben Neurone mit kleinen rezeptiven Feldern und einer Selektivität für spezifische Merkmale (z. B. Kantendetektoren, die auf veränderte Gesichtszüge reagieren).


Über solche rekurrenten Prozesse kann u. U. auch die Wahrnehmung von Scheinkanten erklärt werden, wie in dem Beispiel vom Anfang des Kapitels. In einem Experiment, in dem es darum ging, feine Unterschiede in der Krümmung solcher Scheinkanten unterscheiden zu lernen, fanden wir im Laufe des Lernens eine Zunahme der Aktivierung in V1 (Maertens / Pollmann 2005). Gleichzeitig kam es im Laufe des Lernens zu einer Abnahme der Aktivierung im Gyrus fusiformis. Die Annahme liegt nahe, dass zu Beginn des Experiments Neurone im Gyrus fusiformis aktiv waren, um rekurrente Signale an V1 zu senden, um den dortigen Neuronen die Präsenz einer globalen Form zu signalisieren. Die so rekurrent aktivierten V1-Neurone mögen dadurch in die Lage versetzt werden, besser auf feine Unterschiede der wahrgenommenen oder realen Konturen zu reagieren, wozu die Neurone im Gyrus fusiformis nicht oder weniger gut in der Lage sind.

Exkurs: Funktionelle Magnetresonanztomographie

Die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) erlaubt über den Umweg der Hirndurchblutung Einblicke in die lokale Aktivität der Nervenzellen des Gehirns. Neuronale Aktivität führt zum Verbrauch von Sauerstoff. Der Sauerstoff wird über das Hämoglobin durch das Gefäßsystem an die Stellen des Gehirns gebracht, an denen es benötigt wird. Wenn die neuronale Aktivität steigt, so wird zunächst von den Hämoglobinmolekülen in den Kapillaren in der Umgebung der aktiven Neurone Sauerstoff abgegeben. Das Absinken der Konzentration sauerstoffbeladenen (oxygenierten) Hämoglobins führt, auf noch nicht vollständig bekanntem Wege, zu einer nachfolgenden Zufuhr oxygenierten Hämoglobins, die den ursprünglichen Verlust übersteigt. Diese Zunahme des oxygenierten Hämoglobins wird mit der fMRT sichtbar gemacht und heißt BOLD-Reaktion.

BOLD steht für blood oxygenation level dependent. Dabei nutzt man aus, dass oxygeniertes und deoxygeniertes (sauerstofffreies) Hämoglobin unterschiedliche magnetische Eigenschaften haben. Oxyhämoglobin ist gut magnetisierbar, Deoxyhämoglobin dagegen schlecht magnetisierbar. Bei der fMRT befindet sich der Proband in einem starken Magnetfeld, in dem sich die Protonen im Kern der Wasserstoffatome entlang der Feldlinien des Magnetfelds ausrichten. Die Protonen werden dann mit Hilfe eines elektromagnetischen Anregungspulses aus ihrer Ausrichtung ausgelenkt. Während sie in die energieärmere Ausrichtung entlang des Magnetfeldes zurückkehren, geben sie Energie ab. Dies ist die Basis der BOLD-Reaktion.

Das Verhältnis von Oxy- zu Deoxyhämoglobin bestimmt die Stärke der BOLD-Reaktion. Deoxyhämoglobin stört lokal das Magnetfeld und führt zu einer geringeren BOLD-Reaktion, Oxyhämoglobin hingegen zu einer stärkeren BOLD-Reaktion. Auf diese Weise kann indirekt die neuronale Aktivität mit einer hohen räumlichen Auflösung gemessen werden, typischerweise in einer Größenordnung von wenigen Millimetern, bei hohen magnetischen Feldstärken auch unterhalb eines Millimeters. Die zeitliche Auflösung ist hingegen begrenzt. Eine kurzzeitige neuronale Aktivierung führt mit einer Verzögerung von 4–6 s zu einer maximalen BOLD-Reaktion (Abb. 1.2.9a). Diese recht träge Reaktion ist jedoch, zumindest innerhalb einer Experimentalsitzung, recht konstant, so dass ereigniskorrelierte Unterschiede im Zeitverlauf der BOLD-Reaktion zwischen verschiedenen Experimentalbedingungen zumindest in einem Bereich von wenigen 100 ms gemessen werden können (Abb. 1.2.9b).


Abb. 1.2.9: Die BOLD-Reaktion. a) Typischer Verlauf einer BOLD-Reaktion. Ein Anstieg des Signals mit einem Maximum 6 s nach Reizpräsentation wird gefolgt von einer Signalabnahme, die in einen undershoot nach etwa 12 s mündet, wonach die Signalstärke sich langsam wieder dem Ausgangsniveau nähert (eigene Daten). b) Eine Verzögerung der neuronalen Aktivität in 600-ms-Schritten spiegelt sich in einer entsprechenden Verzögerung der BOLD-Response wider. Die dunkelgrauen Balken geben den Zeitraum der neuronalen Aktivität im Zuge einer visuellen Suchaufgabe an. Die schwarzen Linien zeigen Minima und Maxima der BOLD-Reaktion an (eigene Daten, s. Dymond et al. 1999).

Fragen zu Kapitel 1.2


Überprüfen Sie Ihr Wissen!

11. Was ist eine Kanizsa-Figur? Welche neuronalen Prozesse ermöglichen das Sehen der Figur?

12. Welche Faktoren tragen zur Wahrnehmung teilweise verdeckter Objekte bei?

13. Welche Prozesse sind bei einer integrativen Agnosie gestört? Was trägt das Bild der integrativen Agnosie zu unserem Verständnis der Objektwahrnehmung bei?

14. Was bedeutet Prosopagnosie? Welche Symptome gehen damit einher? Welche Prozesse sind nicht gestört?

15. Was weiß man über die neuronale Basis der Gesichtswahrnehmung? Gibt es ein Hirnareal der Gesichtswahrnehmung? Diskutieren Sie Argumente dafür und dagegen.

16. Wo liegt die PPA? Welche Reize aktivieren sie?

17. Welche Gründe werden für Unterschiede in der Wahrnehmung belebter und unbelebter Objekte diskutiert?

18. Welche funktionelle Organisation hat man im inferotemporalen Cortex des Affen gefunden? Diskutieren Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich mit dem primären visuellen Cortex.

19. Was sind frühe und späte visuelle Areale? Was muss man bei diesen Bezeichnungen beachten?

20. Was ist rekurrente Verarbeitung? Wann ist sie sinnvoll?

1.3Raum- und Bewegungswahrnehmung

Intuitiv ist die Wahrnehmung von Objekten untrennbar mit der Wahrnehmung verbunden, wo sich diese Objekte gerade befinden. So war es zunächst überraschend, als die Neurophysiologin Leslie Ungerleider und ihre Kollegen zeigen konnten, dass Objektwahrnehmung und Ortswahrnehmung unabhängig voneinander durch Hirnläsionen gestört werden konnten. Die daraus entstehende Theorie der „Was“- und „Wo“-Pfade hatte allerdings Vorläufer. So war aus der klinisch-neuropsychologischen Forschung schon lange bekannt (Kap. 1.2), dass Objekterkennungsstörungen auftreten konnten, ohne dass diese Patienten Störungen des räumlichen Sehens aufwiesen. Umgekehrt war auch bekannt (wie in diesem Kapitel noch ausgeführt wird), dass die Beachtung des Raums bei Patienten eingeschränkt sein kann, die nicht an Störungen der Objektwahrnehmung litten.

Räumliches Sehen ist häufig eng mit Bewegung verbunden. Die erfolgreiche Annahme eines Passes durch einen Fußballspieler hängt ganz entscheidend von der exakten Lokalisation des Balles ab, aber auch von der Berechnung seiner Flugbahn. In diesem Kapitel wird daher die räumliche Wahrnehmung, inclusive der Wahrnehmung räumlicher Tiefe, mit der Bewegungswahrnehmung zusammen behandelt. Als Grundlage soll zunächst dargestellt werden, wie der Raum im visuellen Cortex repräsentiert ist.

1.3.1Raumwahrnehmung

Sehbahn

Die Fasern des Sehnervs verlaufen von den retinalen Ganglienzellen zum Corpus geniculatum laterale (CGL) des Thalamus. Die Fasern, die von den Zellen der nasalen Retinahälften ihren Ausgang nehmen, kreuzen in der Sehnervenkreuzung in die contralaterale (gegenseitige) Hemisphäre. Dagegen ziehen die Fasern von den temporalen (schläfenseitigen) Retinahälften zum CGL der ipsilateralen (gleichseitigen) Hemisphäre. Diese Verschaltung hat zur Folge, dass Reize, die sich in der linken Gesichtsfeldhälfte befinden, zum CGL der rechten Hemisphäre weitergeleitet werden und umgekehrt für Reize aus der rechten Gesichtsfeldhälfte. So reizen z. B. Lichtreize aus der linken Gesichtsfeldhälfte Rezeptoren in der nasalen Retinahälfte des linken Auges und der temporalen Retinahälfte des rechten Auges und werden zum rechten CGL weitergeleitet. Das CGL hat einen sechsschichtigen Aufbau. Schicht 1, 4 und 6 erhalten Fasern vom contralateralen Auge, Schicht 2, 3 und 5 vom ipsilateralen Auge. Die Nervenzellen in den Schichten 1 und 2 sind größer als die Zellen in den Schichten 3–6. Schicht 1 und 2 heißen daher magnozellulär, Schicht 3–6 parvozellulär (parvus, lat. für arm).

Vom CGL aus fächert sich der optische Trakt in die Gratiolet’sche Sehstrahlung auf, um schließlich den primären visuellen Cortex an den Ufern der Fissura calcarina im medialen Occipitalcortex zu erreichen.

Weiterhin ziehen Sehnervfasern zu den Colliculi superiores. Diese Kerngebiete im Mittelhirn sind besonders in die Steuerung von Augenbewegungen involviert.

Retinotopie

Nicht nur das CGL, sondern auch der primäre visuelle Cortex ist durch eine exakte retinotope Organisation gekennzeichnet. In anderen Worten, Lichtreize, die auf benachbarte Stellen der Netzhaut des Auges fallen, aktivieren benachbarte Neurone im visuellen Cortex. Dabei ist der foveale Bereich, also der Bereich des schärfsten Sehens um den Fixationsort herum, am Occipitalpol repräsentiert. Weiter anterior gelegene Anteile der primären Sehrinde repräsentieren entsprechend weiter periphere Anteile des Gesichtsfeldes. Der Fundus der Fissura calcarina repräsentiert die Grenze zwischen oberer und unterer Gesichtsfeldhälfte. Lichtreize aus der oberen Gesichtsfeldhälfte sind im ventralen Anteil der Sehrinde repräsentiert, während die untere Gesichtsfeldhälfte entsprechend im dorsalen Anteil von V1 repräsentiert ist. Die Retinotopie der primären Sehrinde ist also entlang dreier Achsen repräsentiert:

1. Anterior – posterior entspricht peripher – foveal.

2. Dorsal – ventral entspricht unterem – oberem Gesichtsfeld.

3. Contralaterale Organisation: Der primäre Sehcortex der linken (rechten) Hemisphäre repräsentiert die rechte (linke) Gesichtsfeldhälfte.

Die Repräsentation der Fovea und parafovealer Bereiche nimmt etwa ein Drittel der gesamten Fläche von V1 ein, obwohl hier nur ein Bereich von ca. 5 Grad Sehwinkel repräsentiert ist. Dieser überproportionale Platzbedarf spiegelt die höhere foveale Sehschärfe wider. Während in der Peripherie der Netzhaut viele Rezeptoren auf eine Ganglienzelle verschaltet werden (Konvergenz) und somit die räumliche Auflösung gering ist, so entspricht die hohe foveale Sehschärfe einer entsprechend geringeren Konvergenz.


Abb. 1.3.1: Die Sehbahn

retinotope Areale

Der primäre visuelle Cortex stellt die Eingangspforte der Sehrinde in der Großhirnrinde dar. Das Sehen beansprucht jedoch eine Vielzahl weiterer Hirnareale. Einige dieser visuellen Areale teilen mit dem primären visuellen Cortex das Merkmal einer besonders ausgeprägten Retinotopie. Anhand der Retinotopie kann man daher auch die Grenzen dieser visuellen Areale bestimmen. In neuerer Zeit ist es auch möglich geworden, die Grenzen der retinotopen visuellen Areale mit dem nichtinvasiven Verfahren der funktionellen Magnetresonanztomographie am lebenden Menschen zu bestimmen. Dazu verwendet man visuelle Reize, die nur einen bestimmten Ausschnitt des Gesichtsfeldes ausfüllen. Mit Hilfe dieser Reize bestimmt man, welche occipitalen Areale aktiviert werden, wenn der horizontale sowie der vertikale Meridian stimuliert werden, d. h. wenn der Reiz sich entlang der horizontalen bzw. vertikalen Linie durch den Fixationspunkt befindet.

retinotope Kartierung

Stimulation des horizontalen Meridians führt zu einer Aktivierung entlang des Fundus der Fissura calcarina. Dies ist die einzige Repräsentation eines Meridians, die nicht eine Grenze zwischen retinotopen visuellen Arealen bezeichnet. Die Grenzen zwischen V1 und den beiden Hälften des benachbarten visuellen Areals V2 werden durch die beiden Repräsentationen des vertikalen Meridians demarkiert. Die Ausdehnung von V1 ist interindividuell unterschiedlich und erstreckt sich dorsal der Fissura calcarina bis in den Cuneus sowie ventral bis in den Gyrus lingualis (Abb. 1.3.2). Das Areal V2 enthält wiederum eine vollständige retinotope Repräsentation des Gesichtsfeldes, allerdings aufgeteilt in den dorsalen Anteil V2d, das die Repräsentation der unteren Gesichtsfeldhälfte enthält, und den ventralen Anteil V2v mit der Repräsentation der oberen Gesichtsfeldhälfte. Weitere Repräsentationen des horizontalen Meridians ergeben dorsal den Verlauf der Grenze zwischen V2d und V3d sowie ventral zwischen V2v und V3v. Die beiden V3-Areale ergeben wiederum eine komplette Repräsentation des Gesichtsfeldes. Allerdings sind die Eigenschaften der Neurone in diesen beiden Arealen etwas unterschiedlich, so dass manche Forscher diese Areale auch als V3 (statt V3d) und VP (statt V3v) bezeichnen. Eine weitere Repräsentation des inferioren vertikalen Meridians bildet dorsolateral von V3d die Grenze zum Areal V3A. Die zweite Repräsentation des superioren vertikalen Meridians bildet ventrolateral zu V3v die Grenze zu V4.


Abb. 1.3.2: Die retinotope Organisation der frühen visuellen Areale

Die visuelle Verarbeitung endet jedoch nicht hier, an den Grenzen der „klassischen“ retinotopen Areale. Im letzten Kapitel haben wir bereits gesehen, dass Neurone im ventralen Occipitotemporalcortex eine wichtige Rolle bei der Objekterkennung spielen. Diese Areale haben nur noch ansatzweise eine retinotope Gliederung.

Sulcus intraparietalis

Für die räumliche Wahrnehmung besonders wichtig sind Areale im posterioren Parietalcortex, die sich an den Ufern des Sulcus intraparietalis befinden (Abb. 1.3.3, SIP). Dieser Sulcus verläuft umgekehrt U-förmig vom Sulcus postcentralis bis in den Occipitallappen. An seinen Ufern befinden sich mehrere Areale, die ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den visuellen Arealen des Occipitallappens, aber auch sensorischen Neuronen anderer Sinnessysteme und den prämotorischen und motorischen Arealen des Frontalcortex (s. Kap. 1.7) sind. Der posteriore Parietalcortex ist damit ein Bindeglied zwischen Perzeption und Aktion. Viele der posterioren parietalen Neurone sind multimodal, d. h. sie reagieren auf Signale aus mehreren Sinnesmodalitäten wie dem Sehen, Hören und dem Tastsinn. Eine besondere Funktion des posterioren Parietalcortex ist, die unterschiedlichen räumlichen Koordinatensysteme der Sinnesmodalitäten in Übereinstimmung zu bringen, etwa die Retinotopie des visuellen Systems mit der auditiven Ortsbestimmung über Schalllaufzeitdifferenzen und Amplitudendifferenzen zwischen linkem und rechtem Ohr.


Abb. 1.3.3: Dorsaler und ventraler Pfad

Augenbewegungen

Schnelle Augenbewegungen, auch Sakkaden genannt, können willkürlich initiiert werden. Sie benötigen kein Zielobjekt, können sogar in völliger Dunkelheit ausgeführt werden.

Langsame Augenbewegungen erreichen nur weit geringere Geschwindigkeiten als Sakkaden und beschleunigen auch später als diese. Sie werden i. d. R. nicht willkürlich ausgeführt, sondern sind Blickfolgebewegungen, mit denen die Fixation auf bewegten Objekten gehalten wird. Diese treten auf, wenn das fixierte bewegte Objekt beachtet wird, oder auch in Abwesenheit von Aufmerksamkeit, wenn es kein stationäres Objekt im Gesichtsfeld gibt, das zur Blickstabilisierung herangezogen werden kann (Steinman 2003).

Ventraler und dorsaler Pfad


Anfang der 1980er Jahre führten Leslie Ungerleider und Kollegen Experimente durch, die weitreichende Folgen für unser Verständnis der neuronalen Repräsentation des Raumes hatten. Sie untersuchten Affen in einem Delayed-Matching-Experiment, in dem diese zuschauten, wie die Versuchsleiterin Futter unter einem Behälter versteckte. Nach einer kurzen Wartezeit konnten die Affen dann einen der insgesamt zwei Behälter auswählen und bekamen, wenn die Wahl richtig war, das Futter als Belohnung. In unterschiedlichen Varianten des Experiments unterschied sich der Behälter, der das Futter enthielt, entweder durch seine Form oder durch seine räumliche Position relativ zu einem Orientierungspunkt von dem Behälter, der kein Futter enthielt. Zwei Gruppen von Affen nahmen an dem Experiment teil. Die Affen waren Operationen unterzogen worden, die in der einen Gruppe die Faserverbindungen vom Occipital- zum Parietallappen (dorsaler Pfad) unterbrachen. Bei der anderen Gruppe wurden hingegen die Faserverbindungen vom Occipital- zum Temporallappen (ventraler Pfad) unterbrochen.

doppelte Dissoziation

Die Tiere mit den Läsionen des dorsalen Pfads hatten Defizite in der räumlichen Aufgabe, während sie die figurale Aufgabe problemlos beherrschten. Umgekehrt zeigten die Tiere mit Läsionen des ventralen Pfads Defizite in der Mustererkennungsaufgabe, während sie die räumliche Aufgabe beherrschten. Dieses gekreuzte Muster aus Defiziten und erhaltenen Funktionen nennt man eine doppelte Dissoziation. Eine doppelte Dissoziation zeigt an, dass zwei Funktionen unabhängig voneinander sind. Dies war zunächst überraschend: Wenn wir einen Gegenstand betrachten, dann sind die Informationen über dessen Aussehen (das „Was“) und seinen Ort im Raum (das „Wo“) intuitiv untrennbar miteinander verknüpft. Die Experimente von Ungerleider und Kollegen zeigten aber, dass Läsionen des ventralen und des dorsalen Pfades zu selektiven Defiziten der „Was“- und „Wo“-Informationsverarbeitung führten.

„Was“ und „Wie“

Wozu sollte das Gehirn diese Information in zwei getrennten großen Verarbeitungspfaden repräsentieren? Diese Frage führte später zu einer Modifikation des Modells der corticalen „Was“- und „Wo“-Pfade durch Goodale und Milner (1992). Die beiden Forscher überlegten sich, dass wir detaillierte Ortskoordinaten nur in bestimmten Situationen benötigen: wenn wir uns im Raum orientieren und bewegen, aber auch, wenn wir nach Objekten greifen. Dauerhaft im Gedächtnis abzulegen scheinen wir exakte Ortskoordinaten i. d. R. nicht.

Dies können Sie sich leicht vor Augen führen, wenn Sie sich einmal die Position bestimmter Gegenstände in Ihrer Wohnung ins Gedächtnis rufen. Natürlich wissen Sie in etwa, wo sich Ihr Sofa befindet, aber wenn Sie es exakt auf einem Grundriss Ihrer Wohnung einzeichnen sollten, käme es wohl doch zu Ungenauigkeiten.

Goodale und Milner stellten nun die Hypothese auf, dass der dorsale Pfad exakte Ortskoordinaten zur Verfügung stellt, wenn diese benötigt werden, also wenn wir den Raum mit Blicken explorieren (absuchen), wenn wir uns im Raum bewegen und wenn wir nach Objekten greifen. Diese Koordinaten werden aber nicht gespeichert, sondern sind nur so lange präsent, wie sie für eine Handlung benötigt werden. Im Gegensatz dazu diene der ventrale Pfad nicht nur der Objekterkennung, wie wir bereits im letzten Kapitel gesehen haben, sondern auch der dauerhaften Speicherung von Erinnerungen an Objekte, aber auf einer eher abstrahierten, konzeptuellen Ebene (s. aber Kap. 3.4 für Evidenz für ein recht gutes Langzeitgedächtnis für visuelle Details). Mit diesem Modell ging eine Neubewertung der Funktionen der beiden corticalen Pfade einher.


Wenn ich einen Gegenstand ergreifen will, etwa eine Kaffeetasse, dann muss ich nicht nur wissen, wo sich die Tasse befindet. Ich muss auch genaue Informationen über die Form der Tasse und ihren Schwerpunkt haben, sonst wird der Greifvorgang scheitern.

Aus diesem Grund bevorzugten Goodale und Milner die Bezeichnung „Was“- und „Wie“-Pfade (Wie führe ich eine Handlung aus), weil der dorsale Pfad eben nicht nur Informationen über den Ort eines Objekts verarbeiten muss, sondern auch über die Objektform und weitere Informationen wie den Schwerpunkt. Eine solche „Was“-und-„Wie“-Arbeitsteilung geht mit einem drastisch verringerten Speicherplatzbedarf einher, weil eben nicht die exakten Ortskoordinaten für jeden Punkt (oder ausreichend viele Punkte) der Objektoberflächen unserer Umgebung dauerhaft gespeichert werden müssen, sondern nur ein auf das Wesentliche reduziertes Schema.

Neglect und Extinktion

Visuell-räumlicher Neglect ist der Oberbegriff für ein Syndrom, bei dem die Vernachlässigung des Raumes im Mittelpunkt steht. Neglect tritt in vielen Formen auf – so kann eine verminderte „Wahrnehmung“ des contraläsionalen Raumes im Mittelpunkt stehen oder eine verminderte motorische Zuwendung zu Objekten auf der contraläsionalen Seite. Vernachlässigt werden die Umgebung oder auch die eigene contraläsionale Körperhälfte. Die Vernachlässigung wurde beschrieben als Nichtbeachtung des contraläsionalen Halbfelds; oder auch als gradueller Aufmerksamkeitsunterschied, der kontinuierlich vom contraläsionalen zum ipsiläsionalen Ende des Raumes verläuft.

Neuere Studien kommen zu unterschiedlichen Aussagen über die primäre Läsionslokalisation des Neglects. Traditionell wurde diese im inferioren Parietallappen in der Nähe der temporoparietalen Grenzregion gesehen. Dies wurde auch durch eine Studie mit modernen bildgebenden Verfahren bestätigt (Mort et al. 2003). Andere Studien, ebenfalls mit State-of-the-art-Verfahren durchgeführt, lokalisieren den Kernbereich der Neglectsymptomatik jedoch in den Gyrus temporalis superior (Karnath et al. 2001), während der Kernläsionsbereich von Extinktionspatienten (s. u.) im Gebiet des temporoparietalen Grenzbereichs liegt (Karnath et al. 2003). Die Ursache für diese Diskrepanzen ist derzeit nicht klar, eine große Rolle scheint jedoch zu spielen, anhand welcher Funktionsprüfungen die Neglectdiagnostik erfolgt.

Extinktion bei doppelt simultaner Stimulation bedeutet die „Auslöschung“ eines Reizes bei gleichzeitiger Präsentation eines weiteren Reizes (nicht zu verwechseln mit der Extinktion, Löschung, eines Gedächtnisinhalts, s. Kap. 3.5). In der typischen klinischen Situation steht der Untersucher vor dem Patienten, bittet ihn, auf seine Nasenspitze zu schauen und zu berichten, wann und auf welcher Seite der Untersucher seine nach links und rechts ausgestreckten Finger bewegt. Extinktion liegt dann vor, wenn es dem Patienten gelingt, isoliert durchgeführte Bewegungen sowohl rechts wie links zu benennen, er bei gleichzeitiger Bewegung auf beiden Seiten jedoch nur eine Bewegung auf einer Seite bemerkt. Neben der visuellen gibt es auch auditive und taktile Extinktion. Typischerweise wird die contraläsionale Seite extingiert. In letzter Zeit treten vermehrt computergestützte Extinktionstests an die Stelle der klinischen Konfrontationstests. Sie haben den Vorteil, dass durch die präziser gesteuerte Stimuluspräsentation das Vorliegen einer Extinktion genauer gemessen werden kann.

1.3.2Bewegungswahrnehmung


cerebrale Akinetopsie

Im Jahre 1983 wurde der Fall einer Patientin mit einem selektiven Verlust des Bewegungssehens berichtet (Zihl et al. 1983). Die Patientin berichtete, dass sie große Schwierigkeiten habe, etwa eine Straße zu überqueren, da sie die Autos nicht herannahen sehe. Obwohl sie die Autos klar erkennen konnte, wusste sie nicht, ob sie sich bewegten oder nicht. Die Autos schienen ruckhaft ihre Position zu verändern, und sie konnte nur an plötzlichen Größenveränderungen der Autos abschätzen, ob diese sich auf sie zubewegten oder nicht. Sie vermied es auch, in belebte Fußgängerzonen zu gehen, aus Angst, mit anderen Passanten zusammenzustoßen. Mehr noch, sie vermied generell Umgebungen, in denen sie bewegten Szenen ausgesetzt war, da Bewegungen von ihr als Unruhe wahrgenommen wurden, die sie stark irritierten und schnell ermüdeten.

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9783846387733
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