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rezeptives Feld

Wir haben bereits den Begriff des rezeptiven Feldes kennengelernt, definiert als der Ausschnitt des Gesichtsfeldes, in dem Reizpräsentation zu einer veränderten (erhöhten oder verminderten) Reaktion führt. Bei dieser Bestimmung des rezeptiven Feldes wird immer nur ein Reiz präsentiert. Was passiert aber nun in der, ziemlich alltäglichen, Situation mehrerer gleichzeitig präsenter Reize? Es ist offensichtlich, dass in dem Fall mehrere Neurone, in deren rezeptive Felder jeweils ein Reiz fällt, auch gleichzeitig reagieren. Wenn diese Neurone nun untereinander über Nervenfasern verknüpft sind und sich gegenseitig fördern oder hemmen können, so ist leicht ersichtlich, dass auch Reize, die sich außerhalb des „klassischen“ rezeptiven Feldes eines Neurons befinden, indirekt dessen Aktivität beeinflussen können.


Die Reaktion eines kantenselektiven V1-Neurons auf eine Linie wird vermindert, wenn sich außerhalb des klassischen rezeptiven Feldes, aber immer noch in der Nähe der Linie, weitere parallele Linien befinden (Abb. 1.1.8a). Dieser hemmende Einfluss vermindert sich, wenn die Ausrichtung der zusätzlichen Linien stark von der Ausrichtung der Linie im rezeptiven Feld abweicht (Abb. 1.1.8b). Wenn sich parallele Linien zu einer (unterbrochenen) Kontur ergänzen (Abb. 1.1.8c), so kann es sogar zu einer stärkeren Aktivität des Neurons kommen. Durch horizontale Verbindungen (d. h. Verbindungen innerhalb des gleichen Areals) können also bereits rudimentäre Sehfunktionen geleistet werden, die über die Analyse eines einzelnen rezeptiven Feldes hinausgehen. Die vollständige Analyse bedarf allerdings noch weiterer Verarbeitungsebenen, wie wir noch an vielen Stellen sehen werden.


Abb. 1.1.8: Neuronale Aktivität wird durch Reize außerhalb des rezeptiven Feldes beeinflusst. a) Parallele Streifen inhibieren die Reaktion des Neurons auf den Streifen innerhalb des rezeptiven Feldes (Kreis). b) Die Inhibition ist geringer, wenn die Streifen eine andere Orientierung haben. c) Streifen gleicher oder ähnlicher Ausrichtung, die sich zu einer Linie ergänzen, können zu stärkerer Aktivierung des Neurons führen.

1.1.4. Selektive Wahrnehmung

Wir haben an einigen Beispielen gesehen, dass unsere visuelle Wahrnehmung offenbar eingeschränkter ist, als es uns im Alltag erscheint. Normalerweise haben wir doch den Eindruck, dass unsere Umwelt wie ein großes Bild mit allen Einzelheiten vor unseren Augen steht und jederzeit vollständig von den Augen erfasst werden kann. Das ist aber nicht der Fall. Schon aufgrund der in der Peripherie eingeschränkten Sehschärfe müssen wir unsere Umgebung oft mit Augenbewegungen abtasten, um aus den so gewonnenen Informationen das Gesamtbild zu gewinnen. Wir haben weiterhin gesehen, dass manche Merkmale leichter als andere erkannt werden, insbesondere, wenn sich ähnliche Reize in der Nachbarschaft befinden. Daneben hängt unsere Wahrnehmung aber auch stark davon ab, welche Aspekte unserer Umgebung wir beachten – und welche nicht:


Wie eingeschränkt die Wahrnehmung in einem „Augenblick“ sein kann, wurde eindrucksvoll durch Experimente gezeigt: Die Darstellung eines Bildes wird nach kurzen Intervallen jeweils kurz dadurch unterbrochen, dass der gesamte Bildschirm weiß wird. Dies erzeugt ein sichtbares Flackern. Nach einer solchen Unterbrechung wird dasselbe Bild wieder gezeigt, allerdings mit einer Änderung. Diese Änderung ist bei dieser Darstellungsweise oft erstaunlich schwer zu entdecken.


Wenn Sie einen Eindruck davon gewinnen wollen, so können Sie Beispiele aus dem Internet herunterladen (www.usd.edu/psyc301/ChangeBlindness.htm; sollte die Website zwischenzeitlich nicht mehr existieren, suchen Sie die Seite von Prof. Ronald Rensinck, University of British Columbia).

change blindness

Wenn Sie diese Beispiele ausprobiert haben, dann ist es Ihnen vermutlich so ergangen, wie den Versuchspersonen in den einschlägigen Experimenten (Rensink 2002). Sie brauchten oft sehr lange, um recht auffällige Unterschiede zu entdecken. Dies ist intuitiv umso verblüffender, weil man beim Betrachten nicht den Eindruck hat, dass man nur einen Teil des Bildes überschauen kann. Das gesamte Bild scheint in jedem Augenblick vollständig verfügbar zu sein. Die recht eindrucksvolle Unfähigkeit, auch größere Veränderungen zu bemerken, zeigt aber, dass dies zumindest in der recht künstlichen Situation, in der die Betrachtung des Bildes in kurzen Abständen durch einen auffälligen Reiz wie das Flackern unterbrochen wird, nicht der Fall ist. Dieser Effekt wurde mit der recht dramatischen Bezeichnung change blindness belegt. Wir werden in Kapitel 3.4, bei der Besprechung visueller Gedächtnisleistungen, noch sehen, dass unter normalen Betrachtungsbedingungen unsere Fähigkeit, Veränderungen in unserer Umwelt zu erkennen, recht gut ausgeprägt ist. Die Information, die wir mit einem Blick aufnehmen können, ist allerdings wirklich recht begrenzt.

Noch etwas ist bei diesen Beispielen bemerkenswert: Auch wenn wir, zumindest im Nachhinein, deutlich gemerkt haben, dass wir wesentliche Anteile des Bildes nicht wahrgenommen haben, so haben wir doch andererseits nie den Eindruck, als ob unsere Wahrnehmung Lücken aufwiese. Trotz all der Beschränkungen, die wir inzwischen kennengelernt haben, erscheint uns unser Wahrnehmungseindruck nicht löchrig. Wir haben stets den Eindruck einer zusammenhängenden, scharfen Wahrnehmung unserer Umgebung. Das zeigt, dass visuelle Wahrnehmung nicht wie eine Kamera funktioniert, die passiv die Lichtreize auf einer Filmebene abbildet. Unser Wahrnehmungseindruck wird aus den vom Auge aufgenommenen Lichtreizen aktiv konstruiert.

Exkurs: Neuroanatomie der Großhirnrinde

Das Großhirn (Neocortex) ist in vier Lappen gegliedert: den Frontal-(Vorderhaupts-), Parietal-(Scheitel-), Temporal-(Schläfen-) und Occipital-(Hinterhaupts-)lappen. Die Lappen oder Lobi sind wiederum in Hirnwindungen (Gyri) untergliedert, die von Furchen (Sulci) begrenzt werden. So enthält der laterale (seitliche) Temporallappen je einen Gyrus temporalis superior, medius und inferior (s. Abb. 1.1.9 oben). Diese lateinischen anatomischen Bezeichnungen geben zunächst die Art der Struktur an (Gyrus), dann die übergeordnete Struktur (temporalis: zum Temporallappen gehörig), dann die weitere Lagebezeichnung (superior: obere; medius: mittlere; inferior: untere). Entsprechend ergeben sich die Bezeichnungen für die Furchen: Der Sulcus temporalis superior trennt die Gyri temporales superior und medius, der Sulcus temporalis inferior die Gyri temporales medius und inferior. Im Englischen werden diese lateinischen Bezeichnungen in umgekehrter Reihenfolge verwendet, so wird aus dem Sulcus temporalis superior etwa der superior temporal sulcus.

Neben diesen Lagebezeichnungen werden auch noch die Lagebezeichnungen „rostral“ – „caudal“ (schnabelwärts – schwanzwärts) und „dorsal“ – „ventral“ (rückenwärts – bauchwärts) verwendet. Letztere Bezeichnungen orientieren sich an vierbeinigen Tieren, daher die Bezeichnung „dorsal“ für die superioren Hirnregionen etc. Weiterhin wird zwischen den lateralen (seitlichen) und medialen (mittigen) Anteilen des Gehirns unterschieden. Für einige Furchen wird auch die Bezeichnung „Fissur“ verwendet, so für die Fissura lateralis, die den Frontal- vom Temporallappen trennt, und die Fissura calcarina, an deren Ufern sich der primäre visuelle Cortex befindet.

Neben dieser makroskopisch-anatomischen Beschreibung des Gehirns, die den mit dem bloßen Auge sichtbaren Strukturen folgt, gibt es auch noch eine Unterteilung nach der zellulären Architektur. Die Grundlage dieser histologischen (gewebekundlichen) Anatomie ist die Kartierung nach Korbinian Brodmann (1909), die im unteren Teil von Abbildung 1.1.9 dargestellt ist. Die Brodmann-Areale beschreiben Hirnareale, die sich aufgrund ihres zellulären Aufbaus voneinander abgrenzen lassen. Diese Areale, abgekürzt BA-(Nummer), z. B. BA17 für den primären visuellen Cortex, werden in der modernen bildgebenden Forschung häufig verwendet, um die Lage von Aktivierungen anzugeben. Dabei muss man sich aber bewusst machen, dass diese histologischen Areale von Mensch zu Mensch unterschiedlich groß sein können und der exakte Verlauf der Arealgrenzen makroskopisch-anatomisch (also auch in magnetresonanztomographischen Bildern, s. Kap. 1.2) nicht zu erkennen ist. Die Angabe der Brodmann-Areale ist in diesen Fällen nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit möglich. Die Bedeutung der Brodmann-Areale besteht darin, dass eine Veränderung der zellulären Architektur vermutlich auch mit einer anderen Funktion einhergeht.


Abb. 1.1.9: Überblick der Anatomie des Großhirns. Oben befinden sich Ansichten der makroskopischen Anatomie des Großhirns (oben: lateral, unten: medial). Unten finden sich die Brodmann-Areale (nach Brodmann 1909).

ACC / PCC: anteriorer / posteriorer cingulärer Cortex

FC: Fissura calcarina

FL: Fissura lateralis (auch Fissura Sylvii)

FMC: frontomedianer Cortex

GFS / M / I: Gyrus frontalis superior / medius / inferior

GOS / I: Gyrus occipitalis superior / inferior

GPrC / GPC: Gyrus praecentralis / postcentralis

GTS / M / I: Gyrus temporalis superior / medius / inferior

LPC: Lobulus paracentralis

LPS / I: Lobulus parietalis superior / inferior

SC: Sulcus centralis (auch Fissura Rolandii)

SFS / I: Sulcus frontalis superior / inferior

SIP: Sulcus intraparietalis

SPO: Sulcus parietooccipitalis

SPrC / SPC: Sulcus praecentralis / postcentralis

STS / I: Sulcus temporalis superior / inferior

Fragen zu Kapitel 1.1


Überprüfen Sie Ihr Wissen!

1. In welchem Bereich des Gesichtsfeldes können wir feine Details unterscheiden und warum?

2. Warum brauchen ältere Menschen häufig eine Lesebrille?

3. Welche Schwierigkeiten haben Menschen mit einer Makuladegeneration?

4. Wodurch entsteht der blinde Fleck? Warum sehen wir ihn normalerweise nicht?

5. Wodurch zeichnen sich basale visuelle Merkmale aus?

6. Warum fällt es uns oft schwerer, die Abwesenheit als die Anwesenheit eines Reizes zu entdecken? Wie wirkt sich das auf die Suchzeit aus?

7. Was sagen uns die Steigung einer Suchkurve und ihr Schnittpunkt mit der y-Achse über die visuelle Suche?

8. Wie ist der primäre visuelle Cortex funktionell aufgebaut?

9. Was ist ein rezeptives Feld?

10. Können sich Reize außerhalb des rezeptiven Feldes auf die Aktivität eines Neurons auswirken?

1.2Sehen: Objektwahrnehmung

Im letzten Kapitel haben wir gelernt, dass Neurone auf frühen Stufen der visuellen Verarbeitung recht einfache Details, wie gerichtete Linien, kodieren. Subjektiv besteht unsere Wahrnehmung aber eher aus komplexen Objekten.


Kanizsa-Figuren

Wenn wir das Bild eines Hundes betrachten, sehen wir zunächst den Hund, dann erst betrachten wir die Farbe oder das Muster seines Felles. Betrachten Sie Abbildung 1.2.1. Was sehen Sie zunächst – ein Dreieck oder drei Kreise mit Ausschnitten?


Abb. 1.2.1: Ein Kanizsa-Dreieck

Abbildung 1.2.1 ist ein besonders deutliches Beispiel für unsere Tendenz, zusammenhängende Objekte wahrzunehmen. Das Dreieck, das physikalisch gar nicht existiert, wird nämlich dominanter wahrgenommen als die physikalisch präsenten induzierenden Elemente. Figuren wie das Dreieck in der Abbildung werden Kanizsa-Figuren genannt, nach dem italienischen Gestaltpsychologen Gaetano Kanizsa. Die Kanizsa-Figuren zeigen, dass Wahrnehmung mehr ist als die Summe der Aktivierung kantenspezifischer Neurone. Um eine Scheinkante wahrzunehmen, wo keine reale Kante ist, muss es Interpolationsprozesse zwischen den Neuronen geben, in deren rezeptive Felder die realen physikalischen Kanten der induzierenden Elemente an den Ecken des Dreiecks fallen. Tatsächlich reagieren Neurone in frühen visuellen Arealen auf Scheinkanten in ähnlicher Weise, als ob eine reale Kante in ihr rezeptives Feld gefallen wäre (Abb. 1.2.2).


Abb. 1.2.2: Ein Neuron im visuellen Areal V2 feuert, wenn auch schwächer als bei einer realen Kante, wenn sich eine Scheinkante durch ihr rezeptives Feld erstreckt (schematische Darstellung nach Peterhans / von der Heydt 1989).


Verdeckung

Während die Kanizsa-Figuren recht künstlich sind, so haben wir es im Alltag sehr häufig mit ähnlichen Situationen zu tun, nämlich wenn ein Objekt ein anderes teilweise verdeckt. Wir wissen, dass die Stängel der Lotosblumen in Abbildung 1.2.3 nicht abrupt aufhören, wenn sie von einem Blatt verdeckt werden, und wir können auch mühelos die sich überkreuzenden Stängel am linken Bildrand voneinander trennen. Dies wäre nicht so eindeutig möglich, wenn wir nicht implizit davon ausgingen, dass Blumenstängel gerade oder leicht gekrümmt wachsen und nicht plötzlich im scharfen Winkel abknicken. Die Fortsetzung von Objektkonturen gelingt uns aber nicht nur im Falle einfacher Linien. Wir erkennen, dass Lehne und Bein zu dem gleichen Stuhl gehören, auch wenn der Rest des Stuhles von der Tischkante verdeckt wird. Unsere Wahrnehmung wird also einerseits von geometrischen Aspekten unserer Umwelt, andererseits auch von unserer Erfahrung mit Dingen unserer Umwelt bestimmt.


Abb. 1.2.3: Ein Beispiel für optische Verdeckung

1.2.1Objektwahrnehmungsstörungen

Agnosie

Einen deutlichen Eindruck davon, wie wichtig die Fähigkeit ist, einzelne Merkmale zu einem Ganzen zu integrieren, erhält man aus Fallstudien von Patienten, bei denen diese Integrationsfähigkeit durch eine Hirnschädigung verlorengegangen ist.


Abbildung 1.2.4 zeigt eine Zeichnung der St.-Paul’s-Kathedrale in London, die von dem Patienten H. J. A. angefertigt wurde. Die Zeichnung, die von einer Vorlage angefertigt wurde, ist recht detailliert und für einen nicht ausgebildeten Zeichner sicher recht gut gelungen. Die Hirnschädigung hat Patient H. J. A. also offensichtlich nicht die Fähigkeit genommen, visuelle Details wahrzunehmen. Was man der Zeichnung aber nicht ansehen kann, ist, dass H. J. A. für die Anfertigung sechs Stunden benötigt hat. Diese ungewöhnlich lange Bearbeitungszeit kam dadurch zustande, dass der Patient die Vorlage Detail für Detail durchgemustert und in die Zeichnung übertragen hat. Was ihm fehlt, ist die Wahrnehmung zusammenhängender Objekte. Ein Zeichner würde normalerweise damit beginnen, die Hauptumrisslinien auf das Papier zu bringen, um dann nach und nach immer mehr Details hinzuzufügen. H. J. A. war dies hingegen nicht möglich, da er, trotz intakten Sehvermögens, keine Objekte erkennen konnte. H. J. A. ist ein Patient mit einer visuellen Agnosie, einer visuellen Objekterkennungsstörung. Agnosie-Patienten haben Defizite in der Erkennung von Objekten bei intakten basalen Sehleistungen.


Abb. 1.2.4: Zeichnung der St.-Paul’s-Kathedrale von Patient H. J. A. (adaptiert nach Humphreys 1999, 45)


Wie am Beispiel von H. J. A. zu erkennen, liegt die Ursache der Objekterkennungsstörung nicht darin, dass die Objekte aufgrund eingeschränkten Sehvermögens nicht erkannt werden können. Die Patienten verfügen auch über semantische Konzepte der Objekte, die sie nicht erkennen können. So können sie etwa einen Apfel als solchen benennen, wenn sie ihn in die Hand nehmen, auch wenn sie ihn zuvor visuell nicht erkannt haben. Patienten mit einer visuellen Agnosie (zumindest einige von ihnen; eine genaue Darstellung der verschiedenen Formen der Agnosie würde hier zu weit führen) haben also ein Defizit in der Integration von Merkmalen in eine Objektrepräsentation (Humphreys 1999).

H. J. A. erlitt einen Infarkt der Arteria cerebri posterior, der zu einer bilateralen Läsion großer Teile des lateralen und ventralen occipitotemporalen Cortex führte (Abb. 1.2.6). Nach dem Infarkt konnte H. J. A. Objekte, Gesichter und Wörter nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten erkennen. Weiterhin war seine Farbwahrnehmung gestört. Dementsprechend war sein Lesen sehr eingeschränkt, und er hatte Probleme, sich in seiner Umgebung zurechtzufinden. Die Identifikation von Objekten gelingt H. J. A. nur durch die schrittweise Analyse der Objektform oder durch das Erkennen besonders charakteristischer Details. So wird folgende Beschreibung der Abbildung eines Schweins berichtet:

„Da ist ein runder Kopf an einem offenbar kräftigen Körper; da sind vier kurze Beine; es sagt mir gar nichts; ah, da ist ein kleiner geringelter Schwanz, ich denke, es ist ein Schwein.“ (Humphreys 1999, 43)

Die Objekterkennungsstörung war modalitätsspezifisch. Die taktile Objekterkennung von H. J. A. war gut, und seine Fähigkeit, Objekte nach ihrer Definition zu benennen oder umgekehrt Definitionen für Objekte zu geben, war unbeeinträchtigt. Während die Langsamkeit und die ungewöhnliche Abfolge der Striche beim Kopieren einer Vorlage Hinweise auf eine Störung der visuellen Wahrnehmung gaben, so war H. J. A. doch in vielen basalen Funktionen unauffällig. So gelang es ihm, geringfügig unterschiedliche Rechtecke voneinander zu differenzieren oder die Ausrichtung von Strichen korrekt zu identifizieren.

H. J. A. gelang aber nicht die Gruppierung ähnlicher Merkmale. In Suchaufgaben wie in Abbildung 1.2.5 zeigte er ein erstaunliches Muster. In der schwierigen Aufgabe (Abb. 1.2.5 rechts) waren seine Leistungen mit denen gesunder Probanden vergleichbar. In Displays, wie dem in Abbildung 1.2.5 links, in denen wir das kopfstehende T vor dem Hintergrund gleichausgerichteter T sofort finden, war H. J. A. stark verlangsamt. Es gelang ihm nicht, homogene Ablenker zu gruppieren und damit vom Zielreiz abzugrenzen. Waren die Ablenker dagegen inhomogen und erlaubten keine Gruppierung, so war die Suche von H. J. A. so effizient wie die der Kontrollprobanden.


Abb. 1.2.5: Gruppierung von Distraktoren in der visuellen Suche. Links können die homogenen Distraktoren leicht gruppiert werden, was die Entdeckung des Zielreizes erleichtert, rechts gelingt dies nicht.

1.2.2Gesichtererkennung


Prosopagnosie

Während H. J. A. Schwierigkeiten hatte, die verschiedensten Objekte, bis hin zu Gesichtern und Wörtern, zu erkennen, so wurden auch spezifischere Ausfallmuster berichtet. Manche Patienten mit einer Hirnschädigung haben besondere Schwierigkeiten, Gesichter zu erkennen. Im Jahre 1947 hat der Neurologe Bodamer einige dieser Fälle beschrieben und dieser Beeinträchtigung den Namen Prosopagnosie gegeben. Dieser Terminus setzt sich aus den griechischen Worten προσοψισ (Anblick, Gesicht) und αγνωσια (Unkenntnis) zusammen. Prosopagnosie-Patienten können Gesichter als solche erkennen oder Gesichtsbestandteile wie Augen, Nase und Mund identifizieren. Auch die Fähigkeit zur Unterscheidung emotionaler Gesichtsausdrücke ist meist erhalten. Sie haben jedoch die Fähigkeit verloren, anhand des Gesichts die Person zu erkennen.

Es ist schwierig, die Selektivität dieser Störung einzuschätzen. Das liegt daran, dass die Unterscheidung von Gesichtern besonders hohe Anforderungen an die Mustererkennung stellt. Normalerweise fällt dies nicht auf, wir unterscheiden die Gesichter der uns bekannten Personen „automatisch“. Wenn jedoch etwa ein Europäer nach Asien reist, so scheint ihm oft die Unterscheidung asiatischer Gesichter viel schwieriger. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Gesichterunterscheidung inhärent recht schwierig ist und erlernt werden muss.

Wenn ein Patient nun eine Prosopagnosie bei gleichzeitig erhaltener Erkennung anderer Objekte zeigt, so wurde immer wieder argumentiert, dass dies nicht durch eine spezifische Störung der Gesichtererkennung bedingt ist. Es liege eine allgemeine Erkennungsstörung vor, die sich bei Gesichtern aufgrund ihrer Komplexität und der zur Diskrimination nötigen feinen Differenzierung besonders auswirke. In der Mehrzahl von Patienten mit Prosopagnosie liegt eine bilaterale Schädigung des Occipitalcortex vor. Die häufigste Krankheitsursache ist ein Infarkt im Versorgungsgebiet der Arteria cerebri posterior. Diese Arterie versorgt die medialen Anteile des Occipital- und Temporallappens.


fusiform face area (FFA)

Untersuchungen an gesunden Probanden, die mit Hilfe bildgebender Verfahren durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass ein Areal im inferioren Occipitallappen, an der Grenze zum Temporallappen, besonders konsistent auf die Präsentation von Gesichtern reagiert. Dieses „Gesichtsareal“, nach seiner Lage im Gyrus fusiformis im Englischen fusiform face area (FFA) genannt (Abb. 1.2.6), zeigt besonders starke Aktivierungszunahmen, wenn den Probanden Bilder von Gesichtern gezeigt werden (Kanwisher et al. 1997). Die Aktivierung ist weitgehend unabhängig von der konkreten Aufgabe, die die Probanden mit den Gesichtsreizen auszuführen haben. Dieses Reaktionsmuster hat dazu geführt, dass man der FFA eine besondere Rolle bei der Gesichtswahrnehmung zugeschrieben hat.


FFA: Expertise

Eine konkurrierende Sichtweise ist die, dass die FFA gebraucht wird, um feine Unterscheidungen bei komplexen Objekten vorzunehmen, unabhängig davon, ob es sich um Gesichter oder andere Objekte handelt. Im konkreten Fall wurden zwei Gruppen von Experten für bestimmte Objekte, nämlich Vogelkundler und Autoexperten, untersucht (Gauthier et al. 1999). Es wurde gefunden, dass die Unterscheidung von Vogelbildern bei den Vogelkundlern sowie von Automodellen bei den Autoexperten zu einer erhöhten Aktivierung der FFA führte. Dies spricht dafür, dass die FFA eine Rolle bei der Unterscheidung feiner Unterschiede bei verschiedensten Objekten spielen kann. Allerdings waren die Aktivierungszunahmen bei der Unterscheidung von Vögeln und Autos recht klein, verglichen mit der Aktivierungszunahme für Gesichter, so dass die Spezifität der FFA für Gesichter nicht widerlegt ist.

Kategoriespezifität

Verschiedene Kategorien von Objekten führen in bildgebenden Untersuchungen zu ähnlichen Aktivierungen im ventralen und lateralen Occipital- und Temporalcortex. Diese Untersuchungen haben gemeinsam, dass es sich um breitflächige Aktivierung etwa der gleichen Region handelt. Sie unterscheiden sich jedoch in der Topographie der Areale, die für die jeweilige Objektkategorie die höchsten Aktivierungsänderungen zeigen.

parahippocampal place area (PPA)

Ein Areal, das in einer Vielzahl von Experimenten kategoriespezifische Aktivierung gezeigt hat, ist die parahippocampal place area (PPA). Wie der Name schon verrät, liegt sie, bilateral, im Gyrus parahippocampalis, medial und anterior von der FFA (Abb. 1.2.6). Dieses Areal wird insbesondere von Landschaftsaufnahmen, aber auch von Bildern von Häusern aktiviert. Von einer klar umrissenen Kategorie kann hier also sehr viel weniger die Rede sein als bei der FFA.

extrastriate body area (EBA)

Ein weiteres kategoriespezifisches Areal ist die extrastriate body area (EBA) im lateralen Occipitotemporalcortex, die bei der Betrachtung von Körperteilen aktiviert wird (Downing et al. 2001).

Alle diese in die Objektwahrnehmung involvierten Areale befinden sich entweder im ventralen lateralen Occipitotemporalcortex oder weiter medial entlang der Gyri fusiformes und linguales (Abb. 1.2.6). Für diesen Komplex wird auch die Bezeichnung „lateraler occipitaler Komplex“ (LOC) gebraucht, wobei die Bezeichnung etwas irreführend ist, da auch die medialen Anteile gemeint sind.


Abb. 1.2.6: Objektverarbeitende Areale im ventralen und lateralen Occipitotemporalcortex

EBA: extrastriate body area

FFA: fusiform face area

PPA: parahippocampal place area

Es ist offensichtlich, dass eine Aneinanderreihung kategoriespezifischer Hirnareale kein durchgängiges Ordnungsprinzip sein kann, da der zur Verfügung stehende Platz für die Vielzahl denkbarer Kategorien einfach zu klein ist. Weiterhin wurde auch in allen Studien durchgängig gefunden, dass ein bestimmtes Hirnareal, wie etwa die FFA, maximal durch eine bestimmte Kategorie visueller Objekte (etwa Gesichter) aktiviert werden kann. Aber auch Bilder anderer Objekte führten zu, wenn auch geringeren, Aktivierungen.


verteilte Repräsentation

Eine Studie konnte denn auch zeigen, dass die Objektverarbeitung im Gehirn eher verteilt über verschiedene Areale des ventralen Occipitalcortex verläuft, als dass sie für eine bestimmte Kategorie nur an einem bestimmten Ort unterstützt wird (Haxby et al. 2001). Wie in den vorausgegangenen Studien fanden Haxby und Kollegen für die einzelnen Kategorien Aktivierungsmaxima an verschiedenen Orten innerhalb des ventralen Occipitotemporalcortex. In einem zweiten Schritt wurde jedoch untersucht, inwieweit die geringen Aktivierungsänderungen an Orten, die nicht die für die gegebene Kategorie maximale Aktivierung zeigten, zur Charakterisierung der wahrgenommenen Kategorie beitrugen. Dabei zeigte sich, dass die Kategorie der präsentierten Objekte auch aus den Aktivierungsänderungen der „unspezifischen“, submaximal aktivierten Areale mit hoher Sicherheit bestimmt werden konnte.

Die Schlussfolgerung aus dieser Studie war also, dass die Wahrnehmung eines Objekts einer bestimmten Kategorie, z. B. eines Gesichts, nicht nur von einem bestimmten Hirnort, der für die Verarbeitung dieser Kategorie spezialisiert ist, vorgenommen wird. Auch Areale, die primär auf andere Objektkategorien spezialisiert sind, leisten einen Beitrag zur Objektwahrnehmung. Dies passt zu den Patientendaten, die wir im Zusammenhang mit der Prosopagnosie besprochen haben. Eine mögliche Erklärung für die Variabilität der Prosopagnosie, die manchmal nach rein rechtshemisphärischen, oft aber nur nach bilateralen occipitotemporalen Läsionen auftritt, wäre, dass die verteilte Repräsentation von Gesichtern auch nach einer Läsion der FFA eine zufriedenstellende Gesichtererkennung ermöglicht, wenn die Läsion nicht bereits einen zu großen Anteil des Repräsentationsgebietes erfasst hat. Es soll jedoch auch nicht verschwiegen werden, dass die Debatte über die Spezifität der FFA für die Gesichtererkennung und die verteilte Natur der Gesichtsrepräsentation derzeit noch heftig geführt wird.

Aspekte der Gesichtswahrnehmung

Gesichter vermitteln uns eine Fülle von Informationen. Zunächst können wir Gesichter anhand individueller Merkmale identifizieren. Davon unabhängig vermittelt uns der Gesichtsausdruck Informationen über die Stimmung des Gegenübers und kann komplementäre emotionale Veränderungen im Betrachter hervorrufen und damit die soziale Interaktion unterstützen (Kap. 4.1). Eine wichtige soziale Funktion hat auch die Blickrichtung des Gegenübers. Sie vermittelt uns Informationen darüber, was sich zurzeit im Aufmerksamkeitsfokus des Gegenübers befindet. Es konnte gezeigt werden, dass dies zu einer gleichgerichteten Verlagerung der Aufmerksamkeit des Betrachters führt (s. Kap. 2.1). Die Blickrichtung des anderen hat eine ähnliche Funktion wie ein räumlicher Hinweisreiz. Schaut uns das Gegenüber direkt an, so wissen wir, dass wir selbst im Zentrum seiner / ihrer Aufmerksamkeit stehen.

Während bei der Prosopagnosie die Fähigkeit beeinträchtigt ist, Gesichter bekannter Personen zu identifizieren, so bleibt die Erkennung von Gesichtsausdrücken oft intakt. Dies war ein erster Hinweis darauf, dass die verschiedenen Aspekte der Gesichtererkennung nicht in einem neuronalen Kerngebiet verarbeitet werden, sondern auf ein Netzwerk von Hirnarealen verteilt sind.


Netzwerk für Gesichtererkennung

Funktionelle Bildgebungsstudien haben mehrere Hirnareale identifiziert, die mit der Wahrnehmung von Gesichtern assoziiert sind (Abb. 1.2.7). Die FFA im lateralen Gyrus fusiformis haben wir bereits kennengelernt. Ein weiteres Areal, das die Gesichtswahrnehmung unterstützt, befindet sich in den Cortexarealen entlang des posterioren Sulcus temporalis superior. Dort wurden in elektrophysiologischen Untersuchungen am Affen Neurone gefunden, die selektiv auf bestimmte Blickrichtungen und Profilansichten von Gesichtern reagieren (Perrett et al. 1985). Im menschlichen Gehirn wurde eine doppelte Dissoziation gefunden, in dem Sinne, dass ein Areal entlang des posterioren Sulcus temporalis superior stärker auf Wechsel der Blickrichtung als auf Wechsel der Identität von Gesichtern reagierte. Dagegen war dies im lateralen Gyrus fusiformis umgekehrt (Hoffman / Haxby 2000).


Abb. 1.2.7: Funktionelle Neuroanatomie emotionaler Gesichtswahrnehmung (nach Haxby et al. 2002)

1.2.3Erkennen belebter und unbelebter Objekte


Aus dem Jahre 1946 stammt die Beschreibung eines Patienten, der keine unbelebten Gegenstände wie seine Möbel oder Autos auf der Straße erkennen konnte (Nielsen 1946). Sein Essen erkannte er nur am Geschmack. Dennoch hatte er keine Schwierigkeiten, Personen zu erkennen. Auch Blumen konnte er ohne Schwierigkeit benennen. Im gleichen Bericht wird eine weitere Patientin beschrieben, die das umgekehrte Bild zeigte. Sie konnte unbelebte Gegenstände (Stift, Uhr etc.) problemlos erkennen, jedoch keine Gesichter.

Etwa 40 Jahre später berichteten Warrington und Shallice (1984) den Fall eines Patienten mit bilateralen temporalen Läsionen nach einer Herpes-simplex-Encephalitis. Der Patient J. B. R. zeigte eine deutlich bessere Erkennungsleistung für Bilder von unbelebten, verglichen mit belebten Objekten. Die Häufigkeit der Namen war in beiden Kategorien gleich. Nicht nur war seine Benennung unbelebter Objekte besser, auch wenn er aufgefordert wurde, die Bedeutung der gesehenen Objekte zu erklären oder ihre Funktion pantomimisch darzustellen, zeigte sich ein Vorteil für unbelebte Objekte. Somit wurde deutlich, dass es sich nicht um eine Benennungs-, sondern um eine Erkennungsstörung handelte.

Warrington und Shallice argumentierten, dass belebte und unbelebte Objekte in anderer Weise repräsentiert seien. Die Unterscheidung zwischen belebten Objekten, wie etwa einer Erdbeere und einer Himbeere, erfordere in erster Linie eine feine perzeptuelle Unterscheidung, während die Unterscheidung zwischen unbelebten Dingen eher funktioneller Natur sei. So liege der Unterschied zwischen einem Bleistift und einem Stück Kreide eher darin, dass man damit auf Papier oder auf einer Tafel schreibe.

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