Читать книгу: «Cap Arcona 1927-1945», страница 3

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Die III. Klasse wird von Köhler gerade einmal im Zusammenhang mit der Blumeninsel vor Rio erwähnt, die eine ähnliche Funktion hatte wie Ellis Island vor New York: «Wir sehen vor uns auch die ‹Insel der Blumen›», schreibt er angesichts der Ilha das Flores, der «Quarantänestation für Einwanderer nach Brasilien. Sie alle müssen hier erst einige Tage den Segen der brasilianischen Kontrolle auf Papiere und Gesundheit genießen. Jeder Drittklass-Passagier hat das Vergnügen, leider auch der deutsche Intellektuelle, der für die Überfahrt» in den besseren Klassen «nicht das nötige Kleingeld hat».

Die Einrichtungen III. Klasse befanden sich im vorderen Teil des Schiffs, das freie Deck ebenso wie der mit langen Tischen und zweihundert unbeweglichen Sitzplätzen eingerichtete Speisesaal, für dessen Bodenbelag Gummi Verwendung fand, während die Möbel aus unverwüstlichem Mahagoniholz bestanden. Zu den Wohndecks III. Klasse schreibt die Reederei-Zeitschrift kurz und knapp: «Im Vorschiff auf dem F- und G-Deck liegen die Räume für die III. Klasse. Alle Betten haben Zugfedermatratzen, Gepäcknetze und Haken für Kleider u. dergl.» Und weiter: «In der III. Klasse ist eine Anzahl Oriental-Abortanlagen vorhanden.» Vermutlich bedeuteten diese Stehklosetts eine Konzession an die südeuropäischen Saisonarbeiter, die besonders aus Spanien und Portugal während des europäischen Winters jeweils in großer Zahl für die Erntearbeiten nach Südamerika fuhren. Diese mehr schlecht als recht entlöhnten «Golondrinas» – Schwalben – im Schiffsbauch bildeten als nach Bedarf einsetzbare «Zugvögel» eine der Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolges der Großgrundbesitzer, die ihre Reise auf der Cap Arcona in den luxuriösen Räumlichkeiten I. Klasse genossen.

Während sich also Maschinen-, Gepäck-, Vorrats- und Laderäume sowie die Bereiche der II. und III. Klasse im Schiffsrumpf befanden, stand der diesen überragende Aufbau im von den Schornsteinen gekrönten Mittelteil des Dampfers den Passagieren I. Klasse zur Verfügung.

Auf dem obersten Deck, dem offenen Sportdeck, lag hinter dem dritten Schornstein, gesäumt von rotmäuligen, alphornartigen Lüftern, der von einem Ballfangnetz umgebene Tennisplatz in Originalmaßen, der in für Squash und andere Sportarten geeignete Felder unterteilbar war. Auch Shuffleboard – ein beliebtes Deckspiel, bei dem mit an langen Stangen befestigten Schiebern runde Scheiben in mit unterschiedlichen Punktzahlen versehene Felder über die Planken gestoßen wurden – konnte auf dem Sportdeck gespielt werden, weiter gab es ein «Fußballzielstoßnetz», wie es in der Reederei-Zeitschrift heißt, und für Kinder wurden auf der offenen Fläche Spiele wie Eierlaufen angeboten, wo die Teilnehmer ein Ei auf einem Löffel möglichst schnell über das Deck zu balancieren hatten. Bei schlechtem Wetter konnten sich die Kinder der I. Klasse in ein gedecktes Kinderzimmer hinter dem vordersten Schornstein zurückziehen. Vor diesem Schornstein befanden sich auf dem obersten Deck die Kabinen der Offiziere sowie ganz vorne Steuerhaus und Brücke.


Sportdeck: Tennis, Shuffleboard, Eierlaufen und tropische Sommernachtsfeste.

Um das unter dem Sportdeck liegende Deck A – nach den im vorderen Teil des Aufbaus in zwei Reihen übereinandergehängten Rettungsbooten auch Bootsdeck genannt – führte eine Promenade mit einem von Markisen beschatteten Deckskaffee. Im hintersten Teil der Promenade fanden die Fahrgäste ein Gewächshaus mit Blumenladen und eine kleine Turnhalle: «Sie ist mit Gymnastikapparaten sowie mit Barren und Handgeräten ausgestattet. Unter andern sind vorhanden: je zwei elektrisch betriebene Apparate zum Trab- und Galoppreiten sowie zum Kamelreiten, ein Zimmerruderapparat mit Rollsitz, ein doppeltes Fahrrad mit Zeigerscheibe», heißt es in der Reederei-Zeitschrift.

Während I.-Klasse-Kabinen den vorderen Teil des Decks A einnahmen, lud in Schiffsmitte ein von einem Glasgewölbe überdeckter Wintergarten mit Tischchen und verschiedenartigen Rohrstühlen zum Verweilen ein, dessen Wände mit Tropenhölzern und Marmorplatten verkleidet waren. An der Stirnwand plätscherte ein Wandbrunnen, geschmückt von der vergoldeten Bronzefigur einer Schalmeibläserin. «Leuchtende Seidenstoffe für Vorhänge, bequeme Sitzmöbel mit buntfarbigen Bezügen und passend gewählte lose Teppiche beschließen die gewollte Vielfarbigkeit des Wintergartens, zu der auch noch die saftigen Farben der Palmen und Blumen hinzutreten und harmonisch ausgleichend vermitteln.»


Wintergarten mit Glaskuppel, Palmen und Wandbrunnen: «gewollte Vielfarbigkeit».

Das darunter anschließende Salondeck (Deck B) war von einer nirgends durch Boote verstellten Promenade umgeben und enthielt der Reihe nach und ineinander übergehend die wichtigsten Gesellschaftsräume der I. Klasse: zuhinterst den riesigen, zwei Stockwerke einnehmenden Speisesaal, dann die Halle mit dem Haupttreppenhaus, anschliessend den Festsaal und schließlich zuvorderst den Rauchsalon – eine Anordnung, die bei tropischer Hitze eine gute Durchlüftung sämtlicher Räume erlaubte.


Speisesaal I. Klasse, zwei Stockwerke hoch, in Grüntönen gehalten. Anstelle des Gobelins an der Vorderwand ließ sich eine Leinwand für Filmvorführungen einschieben. In Bildmitte Durchgang zur Halle, darüber Empore mit «Privatspeisezimmer».


Halle, von der Haupttreppe aus gesehen. Bei Polstermöbeln, Teppichen, Vorhängen und Wandverkleidungen dominieren rote Farben. Hinten Mitte Porträt von Beatrix Amsinck, Tochter des Hamburg-Süd-Vorstands Theodor Amsinck und Taufpatin der Cap Arcona, seitlich Passagen zum Festsaal.

«Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Nordatlantik-Reedereien und zahlreicher anderer Reedereien auch in der Südatlantik-Fahrt vertritt die Hamburg-Süd den Standpunkt, dass man auf einem guten Tropenschiff dem Passagier Gelegenheit geben muss, die Mahlzeiten in hohen, luftigen, nicht im Unterschiff gelegenen Räumen einzunehmen. Demgemäß ist der Speisesaal für die erste Klasse auf dem Promenadendeck vorgesehen», wird in Werft Reederei Hafen erklärt. Der fünfunddreißig Meter lange und gut halb so breite, säulenlose Speisesaal wurde durch zwanzig fünf Meter hohe Rundbogenfenster erhellt. Die Wandflächen waren mit verschiedenen Edelhölzern verkleidet und von Pfeilern mit allegorischen Schnitzereien geschmückt, an den Querwänden hingen große Gobelins, die Landschaften in altholländischem Stil zeigten. Auf der Musikempore an der hintern Querwand spielte bei festlichen Anlässen das Schiffsorchester auf, an Stelle des Gobelins an der vorderen Querwand ließ sich eine Leinwand für Filmprojektionen einschieben. Gegessen wurde an Tischen verschiedener Größe, die zwei bis acht Personen Platz boten.

Sowohl steuerbord wie backbord führte eine Galerie vom Speisesaal zur gegen vorne anschließenden, von Palmen, Farnen und Blumen geschmückten Halle, die als Warte-, Aufenthalts- und Leseraum diente und den Blick freigab auf die Haupttreppe, auf deren Mittelpodest die überlebensgroße Bronzefigur einer mit der Insel Rügen verbundenen Göttin namens Hertha zu sehen war, die gemäß einer «altnordischen Sage» bei ihren Besuchen in einem Badesee in der Nähe des Kaps Arkona jeweils von Dienerinnen entkleidet wurde, die anschließend als unliebsame Zeuginnen ertränkt wurden. «Die vordere Querwand der Halle ziert das Porträt des Fräulein Beatrix Amsinck, der Taufpatin des Dampfers Cap Arcona, deren Ansprache bei der Taufe in den Hauptsätzen auf den Rahmen des Bildes geschnitzt wurde.»

Neben dieser Querwand gelangte man wieder auf beiden Seiten des Schiffs in Durchgängen am in den Schornstein mündenden Kesselschacht vorbei nach vorne zum Festsaal, wo sich die Gesellschaft tagsüber zum «Plausch» – zum Plaudern – und abends zum Tanz traf.

Zuvorderst im Salondeck lag schließlich der vornehmlich für Männer reservierte Rauchsalon mit einem von Marmor eingefassten offenen Kamin an der hintern und der Bartheke an der vordern Querwand.

Der Aufbau des Mittelschiffs beherbergte also über seine gesamte Länge eine Flucht von vier großen, der I. Klasse vorbehaltenen Aufenthaltsräumen, unterteilt durch die drei Schächte der Schornsteine bzw. der Schornsteinattrappe. Die vier Räume des Salondecks unterschieden sich nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in der Atmosphäre: Im zwei Decks hohen Speisesaal waren die Wändflächen mit grüner, goldgelb gemusterter Seide bespannt und auch die Sessel mit grünem Leder bezogen, in der Halle dominierten dann warme Rottöne, der anschließende Festsaal war, wie sich die Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure in der Besprechung der Cap Arcona anlässlich ihrer Inbetriebnahme ausdrückt, «seiner Bestimmung gemäß in hellen Farbtönen mit reicher Vergoldung gehalten», während schließlich im Rauchsalon das lebendig gemusterte, dunkle Nussbaumwurzelholz der Täferung für eine beruhigende Wirkung sorgte.

Stilistisch strahlte die Einrichtung der Gesellschaftsräume eine gediegene Eleganz aus, bewegte sich zwischen klassisch und gemäßigt modern, luftig locker zwischen Titanic und Art déco, ohne das eher konservative Zielpublikum durch avantgardistische Gestaltung abzuschrecken. Grosse Transatlantikliner, die wenige Monate oder Jahre nach der Cap Arcona gebaut wurden, wie die Bremen und die Europa des Norddeutschen Lloyds auf der Nordatlantikroute oder gar die 1930 in Dienst genommene L’Atlantique der Compagnie de Navigation Sud-Atlantique wirken wesentlich moderner. Die Art-déco-Dampfer liefen allerdings Gefahr, in ihren monumentalen Räumen eine unpersönliche, ungemütliche Stimmung zu evozieren, die an die Gotham-City-Architektur der Batman-Welt erinnert.

Tagsüber hielten sich die Passagiere der Cap Arcona oft im Freien auf, trieben Sport, schauten den Sporttreibenden zu oder lagen in Liegestühlen auf dem mit Teakholz belegten Promenadendeck, dessen Geländer nur neunzig Zentimeter hoch war, damit die Gäste vom Liegestuhl aus das Meer und den Horizont betrachten konnten – aus Sicherheitsgründen trug das Geländer eine schmale Teakleiste auf Stützen. Unterhalb des Salondecks befanden sich Friseursalons, Buchhandlung und Souvenirladen. Außerhalb der regulären Essenszeiten – die Speisefolgen der I. Klasse waren natürlich opulent, und auch die II. und die III. Klasse wurde ausgiebig verpflegt – konnten das Promenadenkaffee oder die Bar im Rauchsalon aufgesucht werden, gelegentlich versammelten sich Millionäre und Arbeiter, wie sich der Reiseschriftsteller ausdrückt, auf dem Deck, um johlend und winkend ein in Gegenrichtung kreuzendes, ebenfalls von Millionären und Arbeitern bevölkertes Schiff zu begrüßen, begleitet vom Geheul der Schiffssirenen und nachts von knallendem Feuerwerk.

In günstigen Klimazonen fand auch die abendliche Unterhaltung im Freien statt. Auf dem Sportdeck wurden die Passagiere, die zum ersten Mal den Äquator überquerten, von einem als Neptun kostümierten Bootsmann und zwei «schwarzgefärbt als Neger» verkleideten Matrosen in ein Salzwasserbecken getaucht und auf einen Namen wie Seeadler, Möwe, Meernixe, Haifisch oder Walross getauft. Beim anschließenden Kostümfest glaubte sich Köhler im Speisesaal «in eine wahre Märchenwelt versetzt. Sämtliche 200 Tische sind durch Girlanden verbunden, dazwischen Tausende von Kunstrosen, in denen eine elektrische Birne brennt. So ist der Saal ein einziges feuriges Rosenmeer. Auf jedem Tisch eine prächtige riesige Seidenlampe. Zu jedem Gedeck eine Karnevalsmütze und ein Seidenfächer sowie eine prächtige Speisenkarte auf Bütten.»

Beim Äquator-Maskenball zeigte sich Kapitän Rolin mit schwarz geschminktem Gesicht und Turban, umgeben von Frauen in mexikanischen und Schweizer Trachten oder Matrosenkostümen und von Männern in Frauenkleidern. Bei der Prämierung der Kostüme erhielt ein als Kammerzofe verkleideter Unterstaatssekretär den ersten Preis in Form einer goldenen Uhr im Wert von sechshundert Mark. In der Nacht des Maskenballs, stellte Köhler am folgenden Morgen fest, wollte ein betrunkener kostümierter Bursche aus einer südamerikanischen Millionärsfamilie «zunächst das Klavier, das man zu frohem Tanz auf das luftige Promenadendeck gerollt hatte, über Bord werfen» und zerstörte dann einen der acht Bronzekandelaber im Rauchsalon, indem er am bronzenen Beleuchtungskörper Klimmzüge auszuführen versuchte. Sein Vater lachte, zückte das Scheckbuch und beglich den Preis für den Kandelaber (viertausend Mark).

Märchenhaft und filmreif wirkten für den deutschen Reisejournalisten insbesondere die Abende im «feenhaft erleuchteten Festsaal», wo das sechsköpfige Orchester aus einem Hamburger Nobelhotel, «Jazzisten mit Negerrhythmik», um 22 Uhr zum Tanz aufspielte. «Um den spiegelglatten Parkettboden stehen in tiefen Teppichen Rauchtische, Sektkübel und Ziermöbel im Stil Louis Quinze. Dazwischen Klubsessel und Plüschsofas», berichtet Köhler. «Wenn ein prächtiger Strauß-Walzer wimmert, tanzen nur die Deutschen. Das Tanzalphabet der Südamerikaner enthält nur Tänze, die das Tempo der austrampenden Pferde und schiebenden Dampfwalzen vertragen.» Der Reporter beobachtet die «Herren, ausstaffiert in schwarz-weißer Gesellschaftskluft», vor allem aber die Damen: «Nicht die löbliche männliche Einheitlichkeit in Farbe und Form. Nein, ein Kunterbunt in Farbe, Form und Stoff, Schuhwerk und ich glaube, auch in Wäsche. Das deutet ein diskreter Windstoß durchs offene Fenster mitunter an. Und mehr begehre ich nimmer zu schauen», versichert er. «Die Kleider vertreten sämtlich die schöne internationale Tendenz: In der Kürze liegt die Würze.»

Der Garderobe widmen die Frauen der I. Klasse offenbar große Aufmerksamkeit: «Selbstverständlich zieht sich die Dame von Welt wenigstens dreimal täglich um, zu jedem Kleid passende Schuhe und Hut.» Im Damenfriseursalon lässt sich noch das eine oder andere zusätzliche Kleidungsstück kaufen – dort «schmunzeln natürlich auch noch BembergStrümpfe und Crêpe-de-Chine-Hemdchen aus den Glasschränkchen.»

Die Wuppertaler Firma Bemberg machte in den späten zwanziger Jahren mit einer Photografie der langbeinigen Marlene Dietrich für ihre neuartigen Kunstseidenstrümpfe Werbung – «Ich trage nur Bemberg-Strümpfe». Andere ganzseitige Anzeigen des Strumpfherstellers in deutschen Illustrierten demonstrierten, wie die moderne Frau der goldenen zwanziger Jahre ihre Beine in allen Lebenslagen vorteilhaft mit Bemberg-Strümpfen in Szene setzt: als Bürokraft an der Schreibmaschine, als Zahnarztgehilfin vor dem Patienten, auf dem Tennisplatz oder mit Freundin liegend und kniend beim Picknick im Freien (begleitet vom portablen Koffergrammophon), als Varieté-Girl auf der Bühne, beim Tanz mit dem Tangopartner und schließlich als junge Mutter hinter dem großrädrigen Kinderwagen.

In einer weiteren ganzseitigen Anzeige mit der Überschrift Der Weg zum Glück durch Bemberg-Strümpfe zeigte eine Bildergeschichte, in der von den dargestellten Menschen nur die Beine zu sehen sind, wie weite männliche Faltenhosen mit Aufschlag über schwarzweißen Lederschuhen kunstseidene Beine in Schuhen mit hohen Absätzen verfolgen, wie sich Männerhosen und Frauenbeine näher kommen, dann vor dem Traualtar knien, die Fahrt in die Geburtsklinik antreten und wie die Bemberg-Beine schließlich alleine, auf dem Weg zum Glück offenbar am Ziel angelangt, einem Kinderwagen folgen.

Was für die urbane deutsche Frau galt, die sich Kunstseidenstrümpfe und modische Spangenschuhe leisten konnte, galt nach Beobachtung des reisenden Reporters auch für die brasilianischen Frauen: «Nirgends mehr als in Südamerika stimmt das Wort: Kleider machen Leute! Die Eleganz der Frau ist der Kredit-Barometer des Mannes; er selbst mag ruhig dreimal seinen Anzug wenden lassen. – Auch die gnädigen Damen der schwarzen und gelben Rasse in Rio, die sehr stark vertreten sind, zeigen die gleiche Tendenz. Auch sie in Bubikopf, Seidenstrümpfchen und Röckchen.»

Besonders die vermögenden Südamerikanerinnen orientierten sich an der Pariser Mode: «Vorbild der feinen Südamerikanerin ist ihre geistige Hauptstadt Paris. Aber solche Vollkommenheit sah ich in Paris nur vereinzelt. Diese Imitation wirkt weit besser als das Original.» Eingehüllt in Schwaden von französischem Parfüm stellt Köhler auf dem Atlantik im Festsaal der Cap Arcona fest: «So tanzen um mich herum nur Pariser Modelle. Natürlich alles Bubikopf», traditionelle Frisuren findet er kaum: «Nur ein Gretchen unter 300 Damen hat ihre Mähne vor der Schere gerettet.»

Die Südamerikanerinnen glichen den letzten Stummfilmstars der goldenen zwanziger Jahre: «großglänzende» Augen, «Lider und Brauen schwarz nachgezogen bis fast zur Schläfe. Lippen in Form eines plattfüßigen Herzchens blutrot gemalt. Alles künstlich, nicht immer künstlerisch. Der Modeschuh ist glanzsilber glatt oder passend zum Kleid.» Die Frau der Luxusklasse der Cap Arcona hantierte gekonnt mit dem «Lippenstift, den sie reichlich oft und graziös in Funktion setzt: vor dem Essen, nach dem Essen, im Gespräch, am Klavier, beim Tennis, beim Schwimmen». Sie präsentierte sich reich dekoriert: «Man behängt sich förmlich mit Kolliers, Ringen, Armreifen und Perlen.» Diamanten und Perlen trugen die Argentinierinnen offenbar nicht nur an Hals und Händen und im Haar – beim Skat beteuerte einer der Spieler gegenüber dem Reporter, «eines der ‹Mädchen aus dem goldenen Westen› trage sogar ihre Uhr am Strumpfband. Stell dir mal illustriert vor, wie sie nach der Zeit sehen mag.»

Köhler kommt in seinem Reisebericht zu einem positiven Urteil über die Frauen der I. Klasse: «Hinter all dem äußern Firlefanz steckt aber ein wertvoller Kern. Die Rasse ist sehr gut konserviert und das Schamgefühl der Südamerikanerin ist geradezu sprichwörtlich.» Die reichen Südamerikanerinnen verfügten über einen ausgeprägten Nationalstolz und zeigten sich im Gespräch «geradezu entsetzt über den moralischen Tiefstand der Frau in Paris und Berlin.» Fazit: «Und somit muss ich der Südamerikanerin aus der führenden Volksschicht das Gesamtprädikat geben: sympathisch!»

Anders fällt das Urteil der 1888 in Ravensburg geborenen Schriftstellerin Elisabeth Rupp aus, die 1922 für ein Jahr nach Argentinien fuhr und enttäuscht feststellen musste, dass die Kreolinnen – die spanischstämmigen Argentinierinnen – bloß dazu da sind, schön zu sein und geheiratet zu werden:

«Täglich lese ich die Zeitungen und Revistas, spanische und zuweilen auch englische. Ich durchblättere die reich bebilderten Hefte und sehe auf jeder Seite fast die Sensation des Landes: die schöne und elegante Frau in vielerlei Aufmachung», schreibt sie in ihrem Jahrzehnte später unter dem Titel Mariquina veröffentlichten argentinischen Tagebuch, «doch von keiner dieser Frauen ist etwas anderes zu berichten, als dass sie demnächst die Ehe mit Herrn X., einem schmächtigen, unschönen Männlein, eingehen werde oder soeben eingegangen habe.»

Elisabeth Rupp hatte als eine der ersten Frauen in Deutschland Jus studiert und – nachdem sich ein befreundeter Dozent das Leben genommen hatte – ihre Dissertation mit dem Thema Das Recht auf den Tod zur juristischen Beurteilung des Selbstmordes verfasst. Noch lieber schrieb sie aber Gedichte und Prosatexte. 1920 lebte sie drei Monate lang in Montagnola, wo sie eine Liebesbeziehung mit Hermann Hesse einging. Im Frühjahr 1922 überquerte sie den Ozean als Passagierin II. Klasse auf einem in ihren Tagebuchaufzeichnungen nicht namentlich genannten Riesendampfer, bei dem es sich, wie aus verschiedenen Hinweisen hervorgeht, um die Cap Polonio auf ihrer ersten Südamerikafahrt gehandelt haben muss. In Argentinien arbeitete sie ein knappes Jahr als Hauslehrerin auf einer Estancia, einem Gehöft, das zu den Ländereien wohlhabender Argentinier gehörte und von einer deutschstämmigen Familie geführt wurde. Dabei kam sie auch in Kontakt mit der Famile der Großgrundbesitzer: «Einen Monat im Jahr, den heißesten, der in Buenos Aires unerträglich ist, wohnt die Familie des Besitzers, des Estanciero, hier. Es sind vornehme Argentinier, die noch mehr solche Estancien haben, aber in der Hauptstadt leben, wo sie sich nicht zu langweilen brauchen. Sie bringen dreißig Dienstboten mit, wenn sie in die vielen Zimmer unsers Schlösschens einziehen. Den Park, so erzählt man mir, betreten sie kaum. Die jungen Herren fahren im Auto durch den Camp, schießen Wildenten und Hasen; die Weiblichkeit verbringt den Vormittag im Bett, den Nachmittag und Abend damit, dass sie steif auf unbequemen Stühlen sitzend, augenverderbende Handarbeiten anfertigt – übrigens mit viel Geschick –, die niemand braucht.»

Argentinische Jugend der gehobenen Klasse während der goldenen zwanziger Jahre – die Männer fahren mit dem Auto zur Hasenjagd (wenn sie nicht gar wie Macoco de Álzaga Unzué Rennen fahren), und die Frauen befinden sich im Bett oder beschäftigen sich geschickt mit sinnlosen Hausarbeiten: «So wird auch die Frau hier noch ausschließlich dazu erzogen, früh und vorteilhaft zu heiraten. Unter die Haube kommen ist der ganze Ehrgeiz der Weiblichkeit – Geldverdienen das Streben der Männer. Völlig fehlt noch der Sinn für Bewegung im Freien, Körperschulung und geistiges Wachstum der Frau. Bezeichnend ist, dass eine richtige Argentinierin kein einziges Paar Schuhe besitzt, mit dem man einen Ausflug ins Freie machen kann. Solche Schuhe – ohne das Turmwerk der fingerdünnen Absätze, die den Gang zu einem qualvollen Stakeln verunstalten – sind bis jetzt nur in englischen Geschäften erhältlich. Wie auch der ungeheuerliche Artikel eines Regenmantels, den die Kreolin verachtet. Sie hält es für stilvoll, den furchtbaren Regengüssen, die in Buenos Aires oft in wenigen Stunden alle Straßen unter Wasser setzen, – mit Lackschuh, Tüllhut und Chiffonrobe zu trotzen. Uns aber, die wir bei Unwetter in dunklem Straßenanzug ausgehen, unauffällig und wasserdicht – uns findet sie komisch.

Fremd, fremd ist diese Welt. Aber nicht berauschend, neu in ihrer Fremdheit: es ist etwas längst Überwundenes, das hier noch die Gemüter erhitzt. Peinlich kopierte Pariser Eleganz ist der Ehrgeiz von Mann und Frau in den wohlhabenden Kreisen, denn Paris, und im weiteren Sinne Frankreich, französische Kultur, ist gegenwärtig der einzige Kompass für die höhere Schicht. Man reist zum Vergnügen nach Paris, – man macht dorthin Geschäftsreisen, man studiert auch allenfalls dort, denn man spricht Französisch, aber sonst nichts von Fremdsprachen.»


Cap Polonio, Sonnendeck. Auf dem 1914 gebauten Dreischornsteindampfer – vor Inbetriebnahme der Cap Arcona Flaggschiff der Hamburg-Süd – fuhr Elisabeth Rupp im Frühjahr 1922 nach Argentinien. Auf der Heimreise im Jahr darauf lernte sie ihren Mann, den zukünftigen Cap-Arcona-Kapitän Johannes Gerdts, kennen.

Abgesehen davon, dass Vergnügungsreisen nach Paris den meisten Landsleuten verwehrt blieben, waren auch in Argentinien nicht alle Frauen mit der vorherrschenden Verteilung der Geschlechterrollen einverstanden. Besonders in Buenos Aires, wo 1910 ein erster Congreso Femenino Internacional stattgefunden hatte, engagierten sich Lehrerinnen, Ärztinnen und andere gebildete Frauen für ihre Rechte. 1926 erreichten sie immerhin eine Revision der Zivilgesetzgebung, die die Unterstellung der verheirateten Frau unter ihren Ehemann aufhob, auf das Wahlrecht mussten die argentinischen Frauen bis 1947 warten. Für die Schriftstellerin Alfonsina Storni, eine der profiliertesten Frauenrechtlerinnen, verunmöglichte das Ungleichgewicht der Geschlechter letztlich selbst die Liebe zwischen Frau und Mann: «Überlegen bin ich dem Durchschnitt der Männer, die [mich] umgeben; physisch aber, als Frau, bin ich ihre Sklavin, ihr Modell, bin Ton in ihrer Hand. Frei kann ich den Mann nicht lieben: zu groß ist mein Stolz, mich ihm zu unterwerfen.» Storni, deren Lyrik noch heute in Südamerika hoch geschätzt wird, erhielt 1922 den Argentinischen Staatspreis für Literatur. 1927 erregte sie Aufsehen mit ihrem Theaterstück El amo del mundo (Der Meister der Welt), das in Buenos Aires in Anwesenheit des Staatspräsidenten Marcelo T. de Alvear und dessen Gattin uraufgeführt und schon drei Tage später vom Spielplan genommen wurde, da die feministische Radikalität der Komödie Kritik und Publikum überforderte. In Spanien stießen ihre Texte auf großes Interesse, wie Storni auf einer Europareise wenige Jahre später feststellte, bevor sie im Frühjahr 1930 auf der Cap Arcona von Boulogne nach Buenos Aires zurückfuhr.

Auf welchem Schiff Elisabeth Rupp nach ihrem wenig glückhaften Aufenthalt als Hauslehrerin nach Hamburg zurückfuhr, ist nicht bekannt. Ihrem Tagebuch ist zu entnehmen, dass sie sich aus Kostengründen für die III. Klasse entschied. Von ihrem Deck aus schaute sie zum Promenadendeck I. Klasse hoch und entdeckte dort einen Mann, den sie in ihren Aufzeichnungen «den Inka» nennt, da sie seine Gesichtszüge an peruanische Keramik erinnerten. Glücklicherweise holte der Schiffsarzt, der Patienten aller Klassen betreute, Rupp mit Einverständnis des Kapitäns in die I. Klasse, wo sie benötigt wurde, um einen Funkoffizier, der in argentinische Dienste treten wollte, Spanisch zu unterrichten. «Wie das Bettelkind im Märchen komme ich mir vor», dachte sie, als sie die Klasse wechselte. Bald lernte sie «den Inka» näher kennen, tanzte und plauderte mit ihm, ließ sich von ihm in der Hängematte auf dem Deck hin und her schaukeln und begleitete den Seemann, der sich auf der Rückreise nach Hamburg befand, bei Ausflügen aufs Festland, während das Schiff im Hafen lag. Sie führte mit ihm «ernste Gespräche, und oft beschämt es mich», schreibt die Juristin und Schriftstellerin, «wahrzunehmen, wie viel ein Mann weiß, der nicht wie ich sein Leben auf Schulen und Universitäten versaß – den das Leben, die weite reiche Welt lehrte, was ich trotz allem nicht errang».

In Madeira beschlossen die beiden zu heiraten, nach ihrer Ankunft in Hamburg fand die Hochzeit statt.

Johannes Gerdts, Elsabeth Rupps «Inka», sollte zwei Jahrzehnte später und in einer radikal veränderten Welt als Kapitän die Cap Arcona übernehmen.

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