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Ernst Rolin brauchte keinen Dolmetscher, als er den Staatspräsidenten durch die Cap Arcona führte. Der Commodore sprach fließend Spanisch. Rolin, geboren 1863 in Gowarzewo in der damals preußischen Provinz Posen – heute polnisch –, war als fünfzehnjähriger Schiffsjunge auf einem Segler nach fünfundsechzigtägiger Fahrt zum ersten Mal von Hamburg nach Südamerika gelangt. Bereits im Besitz des Kapitänspatentes, trat er 1890 bei der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft in Dienst, die 1871 gegründet worden war, im gleichen Jahr wie das Deutsche Reich. Für die Hamburg-Süd fuhr Ernst Rolin jahrelang der südamerikanischen Küste entlang, zuerst nach Patagonien und Feuerland, später in den Norden Brasiliens, führte dann komfortable Passagierdampfer über den Südatlantik und war auch bei Kriegsausbruch Ende Juli 1914 auf dem Weg von Hamburg nach Pernambuco.

Unter den Passagieren befanden sich auf dieser Fahrt, berichtet Rolin in seinen Lebenserinnerungen, «Vertreter der verschiedensten Nationen. Als die Kriegserklärungen bekannt wurden, herrschte an Bord begreiflicherweise erhebliche Aufregung.» Mit einer kurzen Ansprache, die er auf Deutsch, Spanisch und Englisch hielt, gelang es dem Kapitän, die zerstrittenen Passagiere zu beruhigen: «Wir haben im vollen Frieden die europäischen Häfen verlassen und sind von der Kriegserklärung überrumpelt worden. Der Krieg wird an Land ausgetragen. Daher bitte ich jeden Einzelnen unter Ihnen, seine persönliche Einstellung und Stimmung zurückzustellen und, jeder an seinem Teil, die schöne Harmonie mit hochzuhalten, die bis jetzt an Bord geherrscht hat. Mir persönlich liegt es völlig fern, hier an Bord zwischen den einzelnen Nationen irgendwelchen Unterschied zu machen. Ich stehe jedem von Ihnen mit derselben Bereitwilligkeit zur Verfügung.»

Bald wurde der Krieg nicht mehr nur an Land ausgetragen. Brasilien zählte zu Beginn des Kriegs zu den neutralen Staaten. Mit einem Dutzend anderer deutscher Dampfer lag Rolins Cap Vilano – schon damals benannte die Hamburg-Süd ihre beliebten Passagierschiffe nach Kaps, schon damals gab es auch eine erste Cap Arcona – untätig im Hafen von Pernambuco, vorerst auch aus deutscher Sicht gut informiert über das Kriegsgeschehen durch eine später von englischer Seite gekappte Kabelverbindung, die von Deutschland über Spanien durch das Meer nach Brasilien führte. Als deutsche Torpedoboote brasilianische Dampfer torpedierten, die Kriegsmaterial nach Frankreich lieferten, wurden im Sommer 1917 die Cap Vilano und die übrigen deutschen Schiffe beschlagnahmt, Brasilien erklärte Deutschland bald darauf den Krieg.

Ernst Rolin verließ Brasilien und begab sich nach Argentinien, erlangte dort sowohl das Bürgerrecht als auch das argentinische Kapitänspatent und übernahm einen Küstendampfer. Nach dem Krieg mussten die deutschen Reedereien sämtliche größeren Schiffe und einen Teil der kleineren an die Alliierten abgeben, womit die im Krieg erlittenen Verluste der Siegerstaaten zwar nicht ansatzweise ausgeglichen werden konnten, was aber auch die Hamburg-Süd praktisch ihrer gesamten Flotte beraubte. Die ersten Nachkriegsfahrten unternahm die Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft mit drei Schonern, die mit Salzlieferungen nach Südamerika segelten. Doch wie andere deutsche Reedereien erholte sich die kapitalkräftige Gesellschaft rasch, nach Aussage des Schifffahrtshistorikers Hartmut Rübner nicht zuletzt dank staatlicher Anschubfinanzierung, Deviseneinnahmen sowie der Tatsache, dass deutsche Firmen aufgrund der schwachen Währung und der tiefen Löhne auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig blieben. 1921 gelang es der Reederei, mehrere der konfiszierten Dampfer zurückzukaufen, darunter die Cap Polonio, einen fast zweihundert Meter langen Dreischornsteindampfer, der 1914 vom Stapel gelaufen war. Nachdem die Cap Polonio bei Blohm & Voss in Hamburg revidiert und mit Ölfeuerung ausgestattet worden war, übernahm Rolin 1922 das Kommando des Ozeanriesen, dessen Kapitän er bis zur Jungfernfahrt der Cap Arcona im Herbst 1927 blieb.

Albert Köhler beschreibt in seinem Reisebericht, wie der Kapitän, der sieben Sprachen perfekt beherrschte, «in Tennishose und Sonnenbrille» über das Deck der Cap Arcona promenierte, umringt von Kindern, die «Il commodore!» rufen, und erlebte ihn als Promoter für Deutschland: «Wie viel Freunde ein Mann wie Rolin auf jeder Fahrt für sein Vaterland wirbt, das könnte ihm eine Geheimratsurkunde nur schwach vergelten. Wer Rolin schätzt, schätzt Deutschland. Und Rolin schätzt jeder, der nur einmal seinen Erzählungen gelauscht hat.»

Weltgewandt und polyglott waren Ernst Rolin wie Hugo Eckener in den wenigen, hoffnungsvollen Jahren zwischen Nachkriegsmisere und Weltwirtschaftskrise Botschafter für ein Deutschland, das sich aufmachte, eine neue, selbstbewusste Stellung innerhalb der Völkergemeinschaft einzunehmen, jenseits von nationalistischer Arroganz, larmoyanter Geschichtsklitterung und Ausblendung der Eigenverantwortung für die katastrophalen Folgen des Großen Krieges. Mit Luftschiff und Luxusdampfer meldete sich Deutschland zurück – ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg mit VW Käfer und dem Fußballwunder von Bern. Noch 1934, als die Cap Arcona am 9. März zum fünfzigsten Mal in Santos, der Hafenstadt vor São Paulo, eintraf, zeugt ein brasilianischer Zeitungsbericht von der ungebrochenen Ausstrahlung der beiden Verkehrsmittel: «Wenn das stolze Schiff wieder in den Hamburger Hafen einläuft, dann hat es eine Entfernung von insgesamt siebenhunderttausend Seemeilen mit fahrplanmäßiger Pünktlichkeit und ohne den geringsten Zwischenfall zurückgelegt. Die Cap Arcona ist in unseren Augen mehr als ein großer, schöner Passagierdampfer. Sie ist das Schiff, dem unsere Herzen gehören. Graf Zeppelin und die Cap Arcona, die sich oft auf hoher See begegnet sind, und in neuerer Zeit auch die Dornier-Wal-Maschinen, die den ersten regelmäßigen Luftpostdienst zwischen Europa und Brasilien versehen, sie gehören zusammen, denn sie arbeiten für den Weltverkehr.»

Die Flugboote der aus einer Tochtergesellschaft der Friedrichshafener Zeppelinwerke entstandenen Firma Dornier läuteten das Ende der vergleichsweise gemütlichen Ära der Schnelldampfer und der noch schnelleren Luftschiffe ein. Vorerst dienten die Flugzeuge, die auf dem Wasser landen konnten, der Beschleunigung des transatlantischen Postverkehrs. Graf Zeppelin erreichte Südamerika zwar in wenigen Tagen, verfügte jedoch nur über eine beschränkte Transportkapazität. Da es die Reichweite der Postflugzeuge noch nicht erlaubte, die Distanz von Europa oder Afrika nach Südamerika ohne Zwischenstopp zu überwinden, brachten Dornier-Maschinen der Lufthansa die Postsäcke vor Afrika auf dem offenen Meer zu Linienschiffen wie der Cap Arcona, welche die Säcke aufnahmen, um sie in der Nähe der brasilianischen Küste wiederum an Flugboote des südamerikanischen Syndicato Condor zu übergeben, die die Post in Windeseile ans Festland brachten. Der erste Test für diesen beschleunigten Postversand gelang im März 1930, wie Ernst Rolin berichtet: «Auf der Ausreise machte ein Flugzeug des Syndicats Condor ein interessantes Experiment. Um den Seeweg der europäischen Post abzukürzen oder den ausfahrenden Schiffen die Post später nachzubringen, kam man auf den Gedanken, einen wasserdichten Sack in voller Fahrt an eine vom Schiff ausgesteckte Leine zu binden, die dann an Bord eingeholt wird. Dieser Versuch gelang der Cap Arcona im Hafen von Rio vollkommen. Das Wasserflugzeug Santos Dumont arbeitete sich auf dem Wasser an die Leine heran. Wir nahmen und gaben den Postsack unversehrt an und von Bord.» Dieses System des Postverkehrs wurde bis 1934 beibehalten, als die Lufthansa die gesamte Route übernahm, indem sie vor Afrika und Südamerika umgebaute Frachtschiffe einzusetzen begann, die als Zwischenstationen für die Dornier-Flugzeuge dienten, die Flugboote mit einem Kran aus dem Wasser hoben und dann, neu betankt, entlang einer Schiene mittels einer Katapultvorrichtung zur Fortsetzung ihrer Reise wieder in die Luft schleuderten.


Der brasilianische Flugpionier Alberto Santos-Dumont unternahm 1906 in einem selbstgebauten Doppeldecker mit nach vorne gerichtetem Kastendrachen in Paris einen Rekordflug über 220 Meter. Als Passagier der Cap Arcona musste er 1928 miterleben, wie ein nach ihm benanntes Flugzeug, das ihn vor der brasilianischen Küste begrüßen wollte, explodierte und ins Meer stürzte.

Das Flugboot Santos Dumont, das Commodore Rolin erwähnt, war nach dem brasilianischen Flugpionier Alberto Santos-Dumont benannt, der um die Jahrhundertwende in Paris spektakuläre Flugexperimente unternahm. «Der kleine Santos», wie der 167 Zentimeter große Brasilianer mit französischen Wurzeln genannt wurde, liess sich als Erbe eines schwerreichen Kaffeepflanzers im Alter von achtzehn Jahren in Paris nieder, der europäischen Hauptstadt der südamerikanischen Oberschicht. 1898 baute er einen funktionsfähigen, kugelförmigen Ballon aus Japanseide und mit einem Bambuskorb, der mit einem Gewicht von bloß zwanzig Kilogramm ohne Weiteres als Handgepäck transportierbar war. 1901 umrundete er in einem ebenfalls selbstgebauten, mittels Verbrennungsmotor lenkbaren Luftschiff als Erster den Eiffelturm, zwei Jahre später konstruierte der als stets elegant gekleidet, höflich und mutig beschriebene Santos-Dumont ein elf Meter langes, gelbes Luftschiff, das er als innerstädtisches Verkehrsmittel einsetzte, wenn er etwa im Jugendstil-Restaurant Maxim’s Baron Edmond de Rothschild traf, in dessen Park er gelegentlich abstürzte, oder den Juwelier Louis Cartier, der für Santos eine Armbanduhr kreierte, die heute noch im Handel ist.

1906 unternahm der außerhalb Brasiliens weitgehend vergessene Flugpionier mit einem Doppeldecker auf Fahrradrädern, dessen nach vorne gerichteter Schwanz am Bug von einem Kastendrachen stabilisiert wurde, den Versuch, als Erster mit einem Motorflugzeug über hundert Meter weit zu fliegen. Als er sein Gerät zu diesem Zweck im Bois de Boulogne platzierte, hatte sich auch Louis Blériot, der 1909 als Erster den Ärmelkanal überfliegen sollte, mit seiner Maschine bereit gemacht, um den Preis für den ersten Hundertmeterflug zu ergattern. Santos überließ Blériot den Vortritt und setzte erst zum Start an, als Blériots Flugmaschine nach mehreren Startversuchen zum Wrack geworden war, ohne überhaupt abgehoben zu haben. Anschließend flog der kleine Santos mit seinem Gefährt, das schwerer als Luft war, über zweihundertzwanzig Meter.

Desinteressiert an Konkurrenz und der bald einsetzenden Kommerzialisierung des Flugwesens und angewidert von der Entwicklung der Luftwaffe zog sich Alberto Santos-Dumont aus dem Geschäft zurück, lebte zeitweise in Europa und in Brasilien, erkrankte an multipler Sklerose und setzte sich für die Ächtung des Luftkriegs ein. Eine entsprechende Eingabe, die Santos-Dumont an den Völkerbund richtete, blieb unbeantwortet.

1928 fuhr der Flugpionier a. D., der sich auch schriftstellerisch betätigte, auf der Cap Arcona nach Brasilien, wo er Mitglied der nationalen Literaturakademie werden sollte. Am 3. Dezember, einige Wochen nach der nächtlichen Begegnung des Schnelldampfers mit dem Graf Zeppelin über der Nordsee, erschienen zur Begrüßung des berühmten Gastes vor der brasilianischen Küste zwei Wasserflugzeuge mit Fliegern und Vertretern der brasilianischen Intelligenz an Bord, vollführten luftakrobatische Kunststücke und wollten Blumen und einen Willkommensgruß an einem kleinen Fallschirm über den auf dem Deck versammelten Passagieren der Cap Arcona abwerfen. Doch das eine der beiden Flugzeuge, die nach dem Gefeierten benannte Santos Dumont des Condor-Syndikats, übernahm sich, explodierte und stürzte ins Meer.

Alle Insassen waren tot. Alberto Santos-Dumont nahm an den Begräbnissen sämtlicher Opfer teil.

Am Morgen des 23. Juli 1932, dreieinhalb Jahre später, beobachte Santos-Dumont in seinem Haus an der brasilianischen Küste zwei Flugzeuge, die im Tiefflug über den Strand flogen und Bomben abwarfen – in Brasilien war eine Revolte ausgebrochen, die von der Regierung schließlich nicht zuletzt dank des Einsatzes der Luftwaffe unterdrückt werden konnte. Santos-Dumont erhängte sich im Badezimmer mit einer Krawatte.

Schon auf seiner ersten Südamerikafahrt fuhr der Graf Zeppelin zu Ehren «des Vorkämpfers des Luftschiffes» Santos-Dumonts über Brasilien eine Schleife. Aus dem hochgeklappten Fenster des Zeppelins wurde laut Hugo Eckener «ein prächtiger Blumenstreif» hinuntergeworfen.

Reich wie ein Argentinier
Bubikopf und Seidenstrümpfe

«Schon beim Anblick eines Überseedampfers wird die Phantasie wach, breitet ihre Schwingen aus und fliegt in Palmenwälder unter heißer Sonne zu rauschendem Leben in weiten, unbestimmten Fernen, zu Eilanden, verloren im Weltmeer, auf denen dunkelhäutige Menschen das Leben im Rhythmus der Natur kindhaft und glücklich leben, zu allem, was die Sehnsucht sucht und nie finden wird», schrieb Hans Röhring in der Kölnischen Zeitung. «Diese Gedanken überkamen mich, als ich, die Einladung der Hamburg-Süd in der Tasche, von Köln nach Hamburg fuhr, um an der Probefahrt der Cap Arcona teilzunehmen.»

Die anderthalbtägige Probefahrt, an der Ende Oktober 1927 zahlreiche Presseleute teilnahmen, führte nicht in die weiten Fernen der sonnigen Tropen, sondern bei stürmischem Wetter bis auf die Höhe der westfriesischen Insel Terschelling vor der niederländischen Küste, wo die Cap Arcona wie geplant wendete, um nach Hamburg heimzukehren. Die Wellenberge, die auf der wilden Nordsee gegen den Dampfer krachten, verunmöglichten zeitweise den Aufenthalt auf dem Promenadendeck und schlugen bis aufs oberste Deck, das Sportdeck. Seekranke Passagiere beobachteten mit blassen und grünen Gesichtern, wie im Speisesaal Gläser von den schrägen Tischen klirrten und Weinflaschen über die Teppiche rollten.

Auf der Jungfernreise der Cap Arcona nach Rio de Janeiro und Buenos Aires dagegen, zu der der Schnelldampfer am 19. November 1927 in Hamburg ablegte, wurde die Phantasie des rauschenden Lebens unter tropischen Palmenwäldern Wirklichkeit. Als geladener Gast «plaudert» der Reporter Albert Köhler in seinen im Frühling 1928 in verschiedenen Zeitungen erschienenen Reisebriefen «in volkstümlicher, mit lustigem Humor gewürzter Form über die Erlebnisse auf seiner Südamerikareise», wie es im Vorwort seines bald darauf unter dem Titel Reporterfahrt ins neue Südamerika in Buchform vorgelegten Berichts heißt.

Dem französischen Boulogne-sur-Mer, dem ersten Hafen, den die Cap Arcona anläuft, geht für den ohnehin Frankreich gegenüber kritisch eingestellten Verfasser der Reporterfahrt noch jegliche Exotik ab. Doch schon im zweiten Hafen in der Bucht des nordwestspanischen «Städtchens» Vigo kommt südliche Lebendigkeit auf, wenn sich unzählige Ruderboote dem Riesendampfer nähern, «mit Körben voll von Südfrüchten. An langen Stangen reichen sie Waren herauf.» Der reisende Reporter fühlt im «Land, wo die Zitronen blühen» den Atem der alten Kultur und der «süßen Romantik» Spaniens. Auf der Weiterfahrt nach Lissabon wird die Cap Arcona von Tümmlern begleitet. Wie für die französische Hafenstadt mag sich Köhler auch für Lissabon nicht recht erwärmen, gilt Portugal doch als deutschfeindlich und als «Vasall Englands».

Lissabon ist die letzte Station vor der großen Überfahrt: «Um uns nichts als Wasser und Himmel. Nun rattern die Maschinen ohne eine Unterbrechung neun Tage und neun Nächte lang. Wenn das Schiff das nächste Mal stoppt, sind wir bereits in der Neuen Welt, in Brasilien.» Der Ozeanliner passiert Madeira, die Kanarischen und später die Kapverdischen Inseln, überquert schließlich den Äquator, fährt 350 Kilometer vor dem brasilianischen Festland an der Insel Fernando de Noronha vorbei und begegnet auf dem Weg zur südamerikanischen Küste der Cap Polonio, Kapitän Rolins früherem Schiff, das sich gerade auf der Rückfahrt nach Hamburg befindet.

Dann endlich: «In fieberhafter Spannung nähern wir uns Rio, dem schönsten Hafen der Erde. Hei, wie Auge und Geist vibrieren, bei sensiblen Menschen auch das Herz. Vor uns liegt ein Paradies, eine Natur in ihrer schönsten Schönheit. Denke dir zehnfach den Gardasee, hingeworfen unter sengende Tropensonne. An allen Ecken und Enden Inseln und Inselchen im romantischen Golf (etwa 80 sollen es sein), darauf die Seekadettenschule, Funkstation, Märchenvillen, Zaubergärten.» Die Umgebung der Millionenstadt «bildet ein großer Gebirgskessel von unzähligen Bergkämmen in drolligsten Formen, unter denen der Corcovado der besuchteste ist. Noch besuchter ist der weltbekannte Zuckerhut, eine der vielen Inseln im Golf, die in Zuckerhutform von einigen hundert Metern Höhe steil aus der blauen Flut zum Himmel ragt. Beide romantischen Aussichtspunkte sind für ein paar Groschen mit der Drahtseilbahn zu erreichen.» Der Hafen, der die Cap Arcona empfängt, ist «schwarz von Menschen in heller, meist eleganter Sommerkleidung (daheim jetzt Pelzmäntel). Zwischen dem vorherrschenden portugiesischen Fluidum entdecke ich viele blonde Greten, also deutsche Damen, aber auch sehr viele Neger und Mulatten. Eine brasilianische Militärkapelle, darunter viele Neger mit riesigen Trompeten, ist zu unseren Ehren am Landungsplatz postiert und gibt den ganzen Tag Freikonzerte.»

An Land bestaunt Köhler Prunkvillen «hinter üppiger Flora in buntester Blütenpracht», Hütten aus Wellblech und Sacktuch in der «Negerstadt», fährt durch Industriequartiere und arme Arbeiterviertel zum Botanischen Garten, wo Orchideen «in seltener Farbe und Fülle» zwischen Palmenalleen und Kakteen «in kubistischen Formen» wuchern, winzige Kolibris schwirren und spatzengroße Schmetterlinge die Luft «durchtänzeln». Weiter geht die Fahrt in den «feuchtschwülen» Urwald: «Wildhühner und grüne Papageien schwärmen durcheinander in wirrem Geschrei, Affen turnen in großen Sprüngen in fernere Wipfel hinauf.»


Cap Arcona vor Zuckerhut.

Nach einer Nachtfahrt südwärts erreicht die Cap Arcona Santos, die Hafenstadt vor São Paulo, den größten Umschlagplatz Südamerikas: «Etwa zehn bis zwölf Millionen Sack Kaffee zu je sechzig Kilogramm werden hier jährlich nach allen Ländern der Erde verladen, also weit über die Hälfte der ganzen Weltproduktion, die aus dem Hinterland São Paulo hier angeliefert wird.» Im Hinterland besucht der Reisejournalist nicht nur Kaffeeplantagen, sondern auch die Schlangengärten von Butantan, wo Impfstoffe gegen verschiedene Schlangengifte hergestellt werden.

Nach Santos erreicht die Cap Arcona in zweitägiger Fahrt die Hauptstadt Uruguays, «den frischesten und besuchtesten Badeort» des ganzen Kontinents. «Ein paar ‹gnädige Fräulein› aus Hamburg begrüßen die schöne Stadt, indem sie ein übers andere Mal den Tango singen: Montevideo, Montevideo – ist keine Gegend für meinen Leo – denn man weiß – dort ist’s heiß – und zu schwül – fürs Gefühl.»

Nach einem kurzen Halt in Montevideo überquert die Cap Arcona den Río de la Plata, den mehrere Kilometer breiten, schmutzig gelben Mündungstrichter der beiden Ströme Paraná und Uruguay. «Was der La Plata an Breite zu viel hat, das hat er an Tiefe zu wenig. Unsere Cap Arcona musste den ganzen Tag zum Verdruss ihrer Maschinen sehr langsam fahren. Der Fluss hat heute statt achtundzwanzig nur zweiundzwanzig Fuß Wassertiefe, und die Schiffsschrauben schleifen den Schlamm oft derart, dass selbst die trägen Pinguine, welche sämtliche Leuchtbojen hier im Fluss dicht bevölkern, erschreckt ‹abhauen›.» Wie vorgesehen legt die Cap Arcona fünfzehn Tage nach ihrer Abreise in Hamburg an der Kaimauer im Hafen von Buenos Aires an. «Hier drängen sich Zehntausende, deren Freudenschrei kein Ende nimmt. Spontane Jubelrufe ‹Viva Rolin!› brausen zu uns herauf.»

In Buenos Aires, der Hauptstadt des Landes, das nicht nur «der erste Getreidelieferant der Welt» ist, sondern als bedeutender Fleischexporteur auch sechzig Prozent der gesamten Fleischeinfuhr Englands bestreitet, besichtigt der deutsche Journalist das Schlachthaus: «Eine lange Zementbahn herauf stürmt das Vieh zum 2. oder 3. Stock, instinktmäßig Unheil ahnend. Einer nach dem andern, drängen sich die dummen Ochsen durch den schmalen Eingang, der innerhalb der Fabrik in zwei halbdunkle, enge Kästen ausläuft. Hier steht hoch auf der Zwischenwand der Massenmörder. Neugierig reckt der Ochs den Kopf und sucht einen Ausweg. Doch zielsicher saust der Hammer des Mörders nach beiden Seiten auf die hübsch präsentierten Schädel herab.»


Aussicht vom Corcovado auf die Bucht von Rio.

Albert Köhler lässt sich also nicht nur von Prunkvillen, Palmen und Papageien faszinieren, sondern beschäftigt sich ebenso mit der Wirtschaft der Länder, die an der La-Plata-Linie liegen. Als Nationalist – bürgerlicher und christlicher Prägung – interessiert er sich insbesondere auch für die deutschen Kolonien in Südamerika, plädiert trotz aller Schwierigkeiten, denen die Einwanderer ausgesetzt sind, für eine Stärkung der deutschen Gemeinschaft in Brasilien, um die «Gefahr der Inzucht auszugleichen und das brasilianische Deutschtum in seiner Echtheit zu erhalten», und trifft sich mit Landsleuten in Argentinien zum Bier, worauf umgehend Studentenlieder angestimmt werden: «Wie mögen die lieben Nachbarn gestaunt haben, als wir unsere schönen deutschen Kommerslieder gegen die blutrote Abendsonne schleuderten, dass Nachtigallen, Eukalyptus und Glühwürmchen lauschten!» Beim Besuch der deutschen Schule in Montevideo wird Köhler von hundert Kindern mit Deutschland, Deutschland über alles begrüßt.

Die Hamburger Reederei jedoch, ausgerichtet auf ein internationales Publikum, verzichtet auf ihrem neuen Flaggschiff auf nationalistisches Gehabe – im Gegensatz zur italienischen Konkurrenz, die sich mit der faschistischen Hymne Giovinezza unbeliebt machte. Einem Deutschchilenen, der auf dem Luxusliner der Hamburg-Süd die deutsche Hymne vermisst, hält der Reisejournalist entgegen: «Aber die Schifffahrt ist eben ein kaufmännisches Unternehmen und kein vaterländischer Frauenverein. Auf der Cap Arcona sind Völker aller Zungen, wenn auch meistens sieben Achtel Argentinier. Andere Schiffe haben durch Nationalhymnen, wie Giovinezza usw., die Passagiere verdrängt und müssen oft mit einer Handvoll Fahrgästen, die kaum das Schmieröl bezahlt machen, in See stechen.»

Der Cap Arcona gelang es auf Anhieb, sich auf dem Südatlantik im attraktiven Segment der Luxusschifffahrt zu etablieren. Der Schnelldampfer mit den drei rotrandigen Schornsteinen wurde, mehr noch als die ältere Cap Polonio, zum Lieblingsschiff der Superreichen aus Argentinien, Brasilien und Chile, meist Angehörigen von Familien, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu riesigen Ländereien kamen und sich durch die Produktion von Fleisch, Leder, Getreide oder Kaffee schier unermessliche Vermögen aneigneten. Von Carlos Bielefeld, seinem deutschchilenischen Gesprächspartner, der mit seinem Vater acht Monate lang die USA und Europa bereiste, versucht Albert Köhler die Größenordnung des Budgets zu erfahren, das Vater und Sohn für die Reise zur Verfügung stand: «Geben Sie mir doch einen Maßstab, das interessiert den deutschen Leser – ich denke so 50 000 Mark!» Bielefeld winkt ab: «Oh nein, das reicht bei weitem nicht!» Zuhanden seiner Leserschaft in Deutschland, wo Angestellte oder Arbeiter mit einem Monatslohn von rund hundert bis zweihundert Mark auskommen müssen, schätzt der Reporter das Reisebudget der beiden Chilenen schließlich auf eine halbe Million Mark.

«Hier an Bord», fährt Köhler fort, «sind Familien, die jährlich im April/Mai, wenn dort der Winter und bei uns der Sommer beginnt, mit Kind und Kegel nach Europa fahren und den ganzen Sommer über durch die besten Hotels, Kabarets und Spielsäle gondeln: die aber auch der Alten Welt alles Gute ablauschen und vermöge ihres Geldes zu Hause noch vollkommener anwenden und somit Ursache des gewaltigen Aufstieges Südamerikas werden.» In Paris, dem bevorzugten Aufenthaltsort der argentinischen Oberschicht, entstand damals die Redewendung «riche comme un Argentin». Die argentinischen Familien stiegen in den teuersten europäischen Hotels ab, falls sie nicht ohnehin Sommersitze in Frankreich besaßen. Im Stadtzentrum von Buenos Aires bauten sie sich Paläste im französischen Stil und 1908 das Teatro Colón, das als eines der besten Opernhäuser gilt und bis heute Weltstars nach Argentinien lockt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gründete das Londoner Kaufhaus Harrods in der argentinischen Hauptstadt seine einzige Filiale im Ausland. Die Millionärsfamilien steckten ihre Kinder in europäische Schulen, heirateten in den französischen Adel, aßen in Paris bei Maxim’s, besorgten sich Uhren bei Cartier und Kleider bei Coco Chanel. Einige der Argentinierinnen brachten in riesigen Schrankkoffern vom Pariser Herbstausverkauf «fünfzig Kleider mit passenden Hüten, dreißig Paar Schuhe und hundert Paar Strümpfchen» übers Meer, um die Ware «dann als ‹dernier cri de Paris› an Tanten und Nichten und Freundinnen und Basen bis ins siebenundzwanzigste Glied zu versilbern und die ganzen Reisekosten auf diese Art herauszuschlagen».

Zu den reichsten Familien der argentinischen Belle Epoque – die in Südamerika bis in die späten zwanziger Jahre anhielt und nicht wie in Europa mit dem Ersten Weltkrieg endete – zählten die Álzaga, die stolz auf Martín de Álzaga zurückblickten, der als Verteidiger von Buenos Aires in den Jahren nach 1800 eine entscheidende Rolle bei der Loslösung vom spanischen Mutterland spielte. Als die argentinische Regierung im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Hinterland (ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung) in mehreren Schüben große Flächen zum Kauf anbot, langten die Álzaga kräftig zu. In den goldenen 1920er Jahren jedoch kümmerten sich viele Vertreter der argentinischen High Society weniger um die Erhaltung oder gar Vermehrung des Familienvermögens, sondern verschwendeten das reiche Erbe durch ihren aufwendigen und extravaganten Lebensstil, so auch Martín Máximo Pablo de Álzaga Unzué, der sich bei der Jungfernfahrt an Bord der Cap Arcona befand. Die Mutter des 1901 geborenen Martín, der von klein auf allgemein Macoco genannt wurde, stammte aus der ebenfalls steinreichen Familie der Unzué. Macoco interessierte sich für schnelle Autos und schöne Frauen. Er fuhr mit Wagen der Marken Bugatti und Sunbeam Rennen in Europa, Süd- und Nordamerika, gewann als Zwanzigjähriger einen ersten internationalen Wettbewerb in Uruguay und 1924 mit einem Start-Ziel-Sieg den Grand Prix von Marseilles. Er kannte alles, was Rang und Namen hatte, dinierte in Paris mit Sarah Bernhardt, war mit dem argentinischen Staatspräsidenten Alvear befreundet, der der Cap Arcona bei ihrer ersten Ankunft in Buenos Aires einen Besuch abstattete, und lernte in den USA, wo er sich ebenfalls gerne aufhielt, über einen argentinischen Schwergewichtsboxer Al Capone kennen. 1925 eröffnete der Argentinier mit einem italoamerikanischen Partner in New York den Bath Club, eines der zahlreichen Lokale, die trotz Prohibition Alkohol ausschenkten. Als sich die Besitzer weigerten, einen Lieferanten alkoholischer Getränke von zweifelhafter Qualität zu berücksichtigen, wurde der Bath Club von einer Bande von Gangstern kurz und klein geschlagen. De Álzaga soll F. Scott Fitzgerald als Vorbild für den Great Gatsby im 1925 veröffentlichten Roman gedient haben, ein Gerücht, das der 1982 in Buenos Aires verstorbene Macoco später in Interviews mit einem Lächeln zu quittieren pflegte.

Den Sommer verbrachte der weitherum als Playboy und Latin Lover bekannte Macoco, dem Affären mit ziemlich allen damals weltberühmten Filmschauspielerinnen nachgesagt wurden, gerne in Biarritz am Golf von Biskaya. Im Golf Club lernte er dort die Amerikanerin Gwendolyn Robinson kennen. 1925 heirateten die beiden, im Sommer des folgenden Jahres gebar Gwendolyn in Paris die Tochter Sara Ángela de Álzaga Unzué Robinson, genannt Sally. Gwendolyn und die gut einjährige Sally finden sich wie Macoco bei der ersten Überquerung des Atlantiks im Spätjahr 1927 auf der Passagierliste der Cap Arcona (Martín de Álzaga Unzué allerdings mit einer falschen Altersangabe).

Längst nicht alle der südamerikanischen Gäste waren so exzentrisch wie Macoco, der auch mal im Auto direkt via Schaufenster in ein Geschäft fuhr, statt durch die Tür einzutreten. Der deutsche Reporter nennt unter den Passagieren der ersten Fahrt unter anderen «Frau De Voto, die reichste Großgrundbesitzerin Südamerikas», den argentinischen Außenminister und einen Ex-Präsidenten von Uruguay, weiter Norberto Láinez, den Besitzer der Zeitung El Diario, und Eduardo Alemann, dessen Familie das deutsche, liberal-demokratische Argentinische Tageblatt gründete (und bis heute als Wochenzeitung weiterführt), das als Gegengewicht zur größeren Deutschen La Plata Zeitung auch in den folgenden Jahren nie von seinem antifaschistischen Standpunkt abrücken sollte.

Der noblen Kundschaft des Passagierdampfers musste etwas geboten werden. «Das Leben an Bord», erinnert sich Kapitän Ernst Rolin, «setzte sich aus einer Reihe strahlender Festlichkeiten zusammen, die sich eigentlich nur mit den Märchen aus Tausendundeiner Nacht vergleichen ließen.» Gemeinschaftsräume, Zimmer und Wohnungen der für 575 Passagiere eingerichteten I. Klasse stellten den Palast für dieses Märchen dar.

Dank zahlreicher Beschreibungen und Photografien kann man sich noch Jahrzehnte nach dem Untergang der Cap Arcona ein gutes Bild von den Räumen der I. Klasse machen, die auch auf Ansichtskarten verewigt wurden. Von den Räumen der II. Klasse, die 275 Personen aufnehmen konnte, und besonders von denjenigen der maximal 465 Passagiere III. Klasse liegt nur wenig Bildmaterial vor, auch schriftliche Quellen fehlen weitgehend, das Gleiche gilt für Räumlichkeiten und Kabinen der insgesamt 630 Personen umfassenden Besatzung.

Die Räume der II. Klasse lagen im Hinterschiff, am Heck befand sich auch das Deck, wo sich die Passagiere der II. Klasse ins Freie begeben konnten. In den Kammern schliefen die Passagiere der II. Klasse in zwei übereinandergestellten Betten. «Alle Waschtische haben fließendes Waser», heißt es in der Beschreibung der II.-Klasse-Kabinen im anlässlich der Jungfernfahrt erschienenen Bericht der Zeitschrift Werft Reederei Hafen. Im geräumigen, aber nicht sehr hohen Speisesaal der II. Klasse aßen die Passagiere an runden, mit weißen Tüchern gedeckten Tischen, weiter verfügten die Fahrgäste über einen Rauchsalon und einen Gesellschaftssalon mit Altarschrein, da «die bescheidene Geistlichkeit meistens im ‹zweiten Dampf› fährt», wie Albert Köhler festhält: «Die 2. Klasse besitzt einen massiven Altar aus kostbaren Edelhölzern, den Bischof Johannes von Münster unter sechzig Geladenen feierlich eingeweiht hat.»

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9783038550204
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