Читать книгу: «Herr und Untertan», страница 5

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Die Mutter war nun sehr getrübt. Aber da war ja noch etwas, was sie ihrer Tochter überreichen wollte. Sie zauberte geschickt ein Couvert hervor und reichte dieses ihrer Viktoria.

„Es ward am gestrigen Tage ein Brief für Dich abgegeben.“, erklärte sie, immer diesen immer noch dem Kind entgegenstreckend. „Du warst auf Deinem Heidegang, als der Postwagen hielt und mir der Brief übergeben wurde. Ich habe diesen gleich für mich behalten, derohalben es Deinem Vater nicht zur Kenntnis gelangt ward. Nimm ihn an und lese ihn. Er ist ganz noch so wie er gekommen ist, was Du am Siegel wirst erkennen.“

Viktoria nahm das Couvert und las den Absender: `Frau Ottilie Nissle.´ Und die Schreiberin hatte vorsorglich noch ergänzt: `geborene Krottenkamp´.

„Es wird wohl Deine Schwägerin Dir einen Gruß zu senden haben.“, konjizierte Katharina. „D´rum zier Dich nicht, mein Kind, und lese ihn gewogen und in Ruh, denn es wird nur gute Absicht zu erkennen werden, ich hab´s ganz im Gefühl.“

Viktoria aber zögerte nicht. Mit stoischer Miene tat sie den Brief sodann in viele kleine Teile zerreißen, ganz schnell und vor den entsetzten Augen der Mutter. Dann ging sie zum Kamin, und dieser hatte noch gute Glut auf dem Rost. Und nach wenigen Sekunden, erst färbten sich die Ränder des Papiers braun und schwarz, räkelten sich helle Flammen empor, und sie fraßen Ottilies Nachricht ganz und gar, bis nur noch Asche übrig war. Der rote Siegellack ward ganz zähflüssig geworden und floss nun tropfend vom glühenden Scheid, ganz so, als würde er dem Blute einer offenen Wunde nacheifern wollen.

Sodann verließ die junge Frau wortlos ihr Zimmer, denn die Pferde sollten heut noch versorgt sein. Katharina Kohlhaase, nun nochmals mehr verbittert, überlegte kurz, dann nahm sie den prallen Seidensack und vergrub diesen in einem kleinen Koffer ihrer Tochter. Es sollte doch der Tradition kein Abbruch erfolgen.

TEIL 2

Kapitel 5

Herr Johann Krottenkamp und Gattin Viktoria erreichten in der späten Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag die Hamburger Villa. Der Vierspänner war schwer beladen, denn es waren Sack und Pack auf diesem verstaut, die Truhen und Koffer der jung vermählten Viktoria Krottenkamp, geborene Kohlhaase. Die Trauung mit kirchlichem Segen ward früh an diesem Tage vollzogen und es gab nur eine spärliche Feierlichkeit hiernach, die allerdings einen solchen Namen mitnichten gerecht werden konnte. Dr. Johann Krottenkamp, der Frischvermählte, mahnte auch kurzerhand zur Eile. Der Weg nach Hamburg wäre beschwerlich, da es recht kalt geworden war und es zudem auch noch Schnee gegeben hatte, der es Pferd und schwerem Wagen beschwerlich machen würd´, in hurtiger Fahrt die Strecke zu bestreiten.

Während der Reise blieb es zwischen den nun just Geehelichten meist still. Johann war sich im Klaren, dass es gewiss ein langer Weg werden sollte, bis sich seine junge Gattin frei von Vorbehalten öffnen würde. Und so fiel es ihm schwer, eine unverfängliche Konversation zu beginnen. Es fehlte ihm nicht nur ein Thema, auch der Kloß in seinem Hals steckte fest und lähmte seine Unterhaltsamkeit. So blieb es über all die Stunden bei wenigen kurzen Sätzen seinerseits, auf die es seitens Viktorias so gut wie nichts zu retournieren gab. Sie fuhr einer fremden und ungewollten Welt entgegen, in eine Zeit, für die sie in ihrer Vorausschau nur tiefste Abneigung empfinden konnte, und es graute ihr vor der Ankunft und vor alledem, was sie hiernach in der ersten Nacht noch über sich ergehen lassen müsste.

Aber auch Krottenkamp kreiste es im Kopf. Und wohl war ihm mitnichten. Es ward zwar alles so, wie er´s zu richten sich gedacht hatte, doch galt das nur dem äußeren Anschein. Die Vermählung war just vollzogen. Aber so? Die Verzweiflung und die Abscheu standen seiner jungen Frau so unbändig und offensichtlich ins Gesicht geschrieben, dass es keines Tones bedurfte, derlei auszudrücken, was sie gewiss nun dachte. Und an sich halten war nicht ihr Blessier, was Ungemach befürchten ließ und viele Fragen noch dazu. Nichts wollte sie zur Erweichung oder Gütlichkeit zulassen. Selbst als er dem alten Kohlhaase am Morgen der Trauung mitgeteilt hatte, er würde die Pferde Viktorias in eine Stallung in der Nähe der Hamburger Villa überführen lassen, musste er erfahren, dass seine Zukünftige am Tag zuvor mit beiden Gäulen am Halfter zu einem nahegelegenen Hof marschiert war, und dem erfreuten Landmann ihre Lieblinge zum Geschenk übergab. Strafte sie sich so selbst? Oder war´s nur zum Zwecke ihn zu erniedrigen? Kappte sie gar alles an Bande, was ihr wert und lieb war, um es fortan nicht zu missen, um all und jedes als ganz vollendet dann zu seh´n? Oder schuf sie nur ein Kontingent für sein schlechtes Gewissen, um ihn zu jeder ihr genehmen Stunde daran zu erinnern, dass er es sein würd´, der etwas schuldet. Und so begann es ihm leicht zu grausen. Ganz ebenso wie´s seiner Gattin schon erging. Dann aber war es ihm doch wieder recht, so wie sie sich ihm zeigte. Denn es wäre eben aus diesem Grund, der tiefen Abneigung seiner Person und dem wühlenden Unmut, dass sie ihm die vorgenommene Erfüllung bringen sollte.

Das mächtige Gebäude mit seinen ausladenden Flügeln, die sich seitlich vom halbrunden, säulenflankierten Portal links und rechts erstreckten, lag im Dunkeln. Nur einige wenige Gasleuchten spendeten ein spärliches Licht und tauchten den Eingangsbereich und die Fassade in ein Licht, welches sich nicht zwischen hell und düster zu entscheiden vermochte. Das neue Dienstmädchen, welches Johann vor gerade wenigen Tagen zur alleinigen Verfügung seiner Frischgetrauten eingestellt hatte, ward von den Geräuschen des herannahenden Vierspänners und dem lauen Hufgeklapper alarmiert und eilig herausgelaufen, um die erwartete Herrschaft in Empfang zu nehmen.

Es war ein noch junges Ding von nicht mehr als zwanzig Jahren, trug den Namen Antonia und stammte aus dem Hafenarbeiterquartier. Sie war zuvor über sechs Jahre in Diensten einer alten Adeligen gewesen, die dem Hause Bismarck-Schönhausen angehörte, und welche unweit von Hamburg elbaufwärts gelebt hat. Mit dem Ableben ihrer Dienstherrin verschlug es sie zurück nach Hamburg, und sie nahm überglücklich und sofort die Stellung an, die Dr. Johann Krottenkamp ihr kurzerhand anbot. Er befand, dass die junge Frau nicht nur einen guten Eindruck machen würde, sie schien ihm zudem in fast perfekter Weise die ideale Dienstbereite für seine Gattin zu sein. Jung und auch zierlich, mit freundlichen Augen und fleißiger Geschäftigkeit, und es ging von ihr ein wohltuender Sanftmut aus, derohalben es gelingen sollte, es der nun einziehenden Dame des Villenflügels in guter Weise kommod zu machen.

Antonia machte einen höflichen Knicks. „Herzlich willkommen zurück Herr Doktor“, begrüßte sie zunächst den Hausherren. Dann aber wandte sie sich unmittelbar an Viktoria: „Und meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Vermählung, Madame.“ Sie blickte kurz ins müde Gesicht ihrer neuen Herrin, dann lächelte sie Krottenkamp wieder zu: „Natürlich auch dem Herrn Doktor. Möge alles Glück der Welt für sie beide gelten.“ Und nach einem abermaligen Knicks schaute sie kurz zum Kutscher, und als sie sah, dass dieser sich bereits anschickte, das Gepäck zu besorgen, folgte sie ihren Herrschaften ins Haus hinein und ging Ihnen mit einem gebührenden Abstand nach, bis sie die Türe des von nun ab vom Ehepaar Krottenkamp bewohnten Villenflügels hinter den beiden und sich geschlossen hatte.

Viktoria schenkte der neuen Umgebung keinerlei Beachtung. Es war ihr tatsächlich schnurzegal, denn es machte keinen Unterschied, ob es nun gediegen oder eben weniger des Guten daherkam, sie würde hier ihr Gefängnis beziehen, und auch goldene Gitter bleiben dennoch Gitter. So griff sie kurzerhand zum Hütchen auf ihrem Kopf, zog die Nadel aus ihrem hochgestecktem Haar, stach diese abfällig in die gerade abgenommene Kopfbedeckung und warf diese mit einer deutlichen Ungnädigkeit auf eine der umstehenden Kommoden.

„Die Mamsell hat noch eine Kleinigkeit für die Herrschaften auf´s Feuer gestellt“, und Antonia lächelte freundlich, denn sie war überzeugt, dass die Beiden nach langer Reise noch einen kleinen Hunger mitgebracht haben würden. „Darf ich Ihnen im Speisesalon anrichten …?“

Viktoria überging diesen Hinweis in Gänze. Sie blickte mit leeren Augen ihrem Gatten ins Gesicht: „Und wohin kann ich mich jetzt zurückziehen?“

Bevor er antworten konnte, war es das Dienstmädchen, das sich unbeeindruckt nun bereit zeigte, es der gnädigen Dame doch recht zu machen: „Kommen Sie, Madame, ich bringe Sie gerne in Ihr Zimmer.“ Sie machte eine einladende Geste und wartete, dass Viktoria ihr folgen würde. Diese machte einen kurzen Schritt. „Lassen Sie mir gleich den kleinen hellbraunen Koffer und meinen Toilettenkoffer bringen. Der Kutscher soll das vorrangig erledigen.“ Dann folgte sie dem Dienstmädchen, ohne ihren Gatten noch eines einzigen Blickes zu würdigen.

Dieser ging müde und ein wenig schleppend in den Salon, setzte sich in einen der großen Sessel vor dem Kamin, der nur noch eine geringe Glut führte, und schloss für einen Moment seine Augen. Auf einem kleinen Tischchen gleich neben ihm stand eine Karaffe mit Portwein. Er nahm diese, bemühte sich nicht einmal ein Glas einzuschenken, in trank einen großen Schluck direkt aus dem kristallenen Gefäß. Hiernach sogleich noch einen zweiten. Es half nichts, er würde sich hier nicht noch allzu lange aufhalten können. Es war jetzt einfach so, dass sie da war. Und dieses bis an Ende aller Tage. Sie waren Mann und Frau, das hatte er erreicht. Aber nun? Wie würde es weitergehen? Abermals führte er die Karaffe an seinen Mund und ließ sodann den schweren Port seine Kehle herunterrinnen. Morgen würde es zur ersten Begegnung mit seinem Vater und der Schwester, nebst ihrem Gatten kommen. Und er hoffe nun innständig, dass sich Viktoria zumindest so verhalten würde, dass es erträglich sein sollte.

Er stand auf und ging langsam in Richtung der vorbereiteten Zimmer. Ottilie hatte sicher gute Dienste getan, denn es war von ihm an seine Schwester noch die Bitte herangereicht, sie möge doch der jungen Ehefrau ein kleines und angenehmes Zimmer einrichten, damit sie eine separate Kemenate ihr Eigen nennen kann, denn es war sicher anzuraten, der jungen und des Ehelebens noch gar nicht geübten Gattin eine Gelegenheit für ihr privates Wohlbefinden zu offerieren.

Auf seinem Wege in die hinteren Zimmer kam ihm Antonia entgegen. Schon machte sie wieder einen Knicks, dann aber lächelte sie und schaute den Herrn mit großer Neugier und Freundlichkeit an: „Madame ist in ihrem Zimmer. Und sie scheint mir äußerst erschöpft von der sicher anstrengenden Reise, Herr Doktor.“ Nun schaute sie ein wenig prüfend in sein Antlitz: „Ich habe mir erlaubt, Ihr eheliches Schlafgemach vorzubereiten, und ich hoffe, es wird zu Ihrer beider Zufriedenheit erfolgt sein. Das ganze Gepäck habe ich in einem der Nebenzimmer deponieren lassen, wenn Sie also etwas benötigen …?“

Johann Krottenkamp war mit seinen Gedanken noch nicht ganz bei dem jungen Dienstmädchen und es war fast ein wenig so, dass ihn ihr beflissenes Geplapper störte: „Nun, ich weiß nicht …“, stammelte er unsicher, „ich denke, ich werde einfach zu Bett gehen und alles Weitere dann morgen anweisen.“

„Sehr zu Diensten, Herr Doktor“, bestätigte Antonia freundlich. „Ich werde Ihnen ein wunderbares Frühstück zu zweit von der Mamsell zaubern lassen, und wenn Sie beide morgen wach geworden sind, wird ein herrlicher Tag auf sie warten.“

„Ja, … sicher … danke“, kam es kurz zurück in ihre Richtung.

„Gute Nacht, Herr Doktor“, sagte Antonia sanft, machte ihren gewohnten Knicks und zog im Rückwärtsgehen leise die Türe zum Flügel zu.

Krottenkamp verharrte noch tief in Gedanken an derselben Stelle, an dem ihn Antonia gerade verlassen hatte. Und erst jetzt murmelte er: „Danke, gute Nacht.“

Dann ging er mit schweren Schritten in das große Schlafzimmer, machte die Türe behutsam hinter sich zu, legte sich sodann, ohne sich zu entkleiden, auf das große und weiche Bett, welches Ottilie mit so viel Liebe und bestem Leinen, mit spitzenbesetzten Kissenbezügen und mit dem Aroma besten Rosenwassers für die Hochzeitsnacht drapiert hatte. Auf den Beistelltischen standen jeweils eine Vase, in der Lavendel und Rosen steckten, und es lag ein geheimnisvoller Duft im Raum. Ein Duft, der lieblich und zugleich doch auch von herber Schwere war.

Indes saß Viktoria auf einem Stuhl vor einer zierlichen Spiegelkommode, auf welcher allerlei Schönes drapiert war. Ottilie hatte sich nützliche Gedanken gemacht, ihrer Schwägerin ein ausreichend Sortiment an Bürsten, Kämmen, Puderdöschen und Cremes, Tupfer und Tüchlein bereitzuhalten. Und als Viktoria die kleine Schublade öffnete, lag dort, ganz offensichtlich, ein Fieberthermometer. Mit Schwung schob sie die Schublade jäh wieder zu, und sie tat es so vehement, dass gleich mehrere der Flacons auf der Kommode umfielen. Sie schaute in den Spiegel vor ihr. Und was sieh sah erschreckte sie dann doch ein wenig. Wie blass sie wieder war, abgespannt und elendig, ihre Augen lagen tief in den Höhlen und es waren wieder dunklere Ringe darunter. Ihr Haar war aus der Frisur, und nun merkte sie, dass ihr die Tränen herunter flossen.

Noch vor kurzer Zeit, vor wenigen Monaten, da war sie ein junges fröhliches Wesen, genoss ihre Zeit und war so häufig mit ihren Pferden beschäftigt. War durch die Heide geritten, hatte die schönsten Lichtungen in den angrenzenden Wäldchen erforscht, Butterfliegen und Marienkäferlein auf Blumen sitzen, Bienen zum Nektartrinken in Blütenkelche krabbeln und die großen schönen Raubvögel am Himmel schweben geseh´n. Ach wie wunderbar das doch war! Und wie entsetzlich sich doch alles zum denkbar Schlechtesten gewandelt hatte.

Und sie saß weiter auf dem Stuhl. Mochte sich gar nicht bewegen. Es war die Hochzeitsnacht, und sicher würd er bald klopfen, nach ihr fragen, sie in das Ehegemach fordern und … Und es lief ihr ein grausiger Schauer über den Rücken. Es war nun ihr Schicksal, und diesem würde sie nicht mehr entrinnen können.

So verharrte sie eine ganze Zeit, immer gewahr, dass er nun doch gleich an der Türe erscheinen sollte. Doch mit jeder Minute die verstrich, düngte es sie mehr, dass er dann gar nicht kommen sollte. Und es ward ihr ein wenig leichter ums Herz. Er schien für heute gnädig zu sein. Und nach weiteren unendlich langen Minuten, es war nun schon mehr als eine Stunde der Ruhe eingetreten, da wagte sie ihren Platz aufzugeben und ging zum Bett, zog die Decke auf, legte kurzerhand Kleid und Schuhe ab, um sodann, in allem was sie noch anhatte, ins Bett zu steigen. Bis zum Kinn zog sie die Decke hinauf, löschte auch nicht das Licht, hörte angestrengt auf jedes Geräusch das sie zu vernehmen dachte, nahm sich vor, schnellsten die Augen zu schließen und sich schlafend zu stellen, sollte sich die Türe dann doch noch öffnen.

Und irgendwann war sie dann eingeschlafen.

*

Sie erwachte, als Antonia die dicken Fenstervorhänge aufzog und das helle Licht des jungen Tages den Raum mit Licht fluteten.

„Guten Morgen, Madame“, begrüßte Antonia sie freundlich und mit sanfter Stimme. „Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme erste Nacht in Ihrem neuen Zuhause.“ Dann bückte sie sich und hob das Kleid auf, das Viktoria in der Nacht abgesteift und achtlos auf dem Boden liegen gelassen hatte. Sie schüttelte es kurz und verschwand im kleinen Separee des Zimmers, welches ein gut geräumiger Kleiderschrank war, und hängte das schöne Seidenkleid auf einen Bügel, damit es vielleicht doch die Falten aushinge. Hiernach ging sie flink und mit federnden Schritten ans Bett ihrer Herrin, schlug die Decke zurück und streckte Viktoria helfend die Hand hin, denn sie wollte Madame gerne beim Aufrichten und Heraussteigen aus den Federn behilflich sein. Sie bemerkte sehr wohl, dass die Frischvermählte ihre Nacht ganz offensichtlich allein verbracht hatte, noch in ihren Unterkleidern steckte und diese gewiss nicht wieder angezogen haben würde, nachdem sie im Bette des Gatten für eine Zeit zugegen war.

Viktoria stieg langsam aus dem Bett und setzte sich an die Spiegelkommode. Antonia war geschwind dabei, Waschschüssel und Kanne, Handtuch und Seifen herbeizubringen.

„Wünschen Madame, dass ich Ihr bei der Morgentoilette behilflich bin?“

„Danke, Antonia“, antwortete Viktoria freundlich, „aber ich komme schon zurecht.“

„Haben Madame einen besonderen Kleiderwunsch?“

Viktoria musste nun tatsächlich überlegen. Aber sogleich ließ sie davon wieder ab: „Es ist egal … nehmen sie das erstbeste Kleid im Koffer, das Sie finden.“

„Sehr wohl, Madame!“, und schon war Antonia verschwunden um den Auftrag zu erledigen.

Nach der Morgentoilette erhob sich Viktoria und ging an das Fenster. Es war ein schöner Dezembertag, die Sonne war durch die Wolken gebrochen und tauchte den parkartigen Garten vor dem Haus in ein fast frühlingshaftes Aussehen. Nur die kahlen Bäume zeugten gerade davon, dass der Winter noch jung war und es noch einige Monde bedurfte, um Krokus und Maiglöckchen, Tulpen und Osterglocken, Knospen und Weidenkätzchen sprießen zu lassen. Ach wär´ es doch schon Frühling, schoss es ihr durch den Kopf.

Antonia war zurück: „Ich habe das schöne Blaue mit den Spitzen am Kragen und den Ärmeln herausgenommen. Ich hoffe, es ist in Ihrem Sinne, Madame.“

„Danke, ja“, gab Viktoria zu wissen, „allerdings müssen Sie mir bei diesem Stück helfen. Ich kann es allein nicht zuknöpfen.“

Und als Viktoria nun wieder ganz angekleidet dastand, kam erneut die Traurigkeit über sie. So setzte sie sich abermals vor die Spiegelkommode, nahm ihre Haarbürste und begann sich mit dieser durch die Haare zu streichen.

„Lassen Sie mich das bitte machen, Madame.“ Antonia war prompt hinter sie getreten, griff die Bürste und zog mit sanften Strichen durch die von der unruhigen Nacht noch recht wirren Strähnen ihrer Dienstherrin. So vergingen einige stille Minuten, in denen Viktoria sich die Haar bürsten ließ, Antonia es in Ruhe und mit Achtsamkeit tat.

Dann war es aber wieder das Dienstmädchen, welches das Wort eröffnete: „Madame, ich habe bisher leider keine Hauben von Ihnen gefunden …!“

Viktoria stutzte kurz. Dann aber gab sie Antwort: „Es wird gewiss daran liegen, liebe Antonia, dass ich mich nicht im Besitze einer solchen befinde.“

Das war für das Dienstmädchen absonderlich. In guten Häusern ist es beste Sitte, dass die verheirateten Damen sich nicht ohne Hauben zeigten. Und dieses Haus würd gewiss keine Ausnahme machen.

„Vielleicht wäre es ja anzuraten, Madame, dass gnädige Frau sich bei dem ersten Zusammentreffen mit Ihrem Herrn Schwiegervater und den anderen eines Häubchens bedienen …?“, Antonia war sich nicht sicher, ob es angemessen war, derlei zu empfehlen.

„Da ich, wie schon gesagt, ein derartiges Textil nicht besitze, wird es mir somit ganz einfach nicht möglich sein …!“ antwortete Viktoria Krottenkamp lakonisch.

Antonia grübelte kurz, dann kam ihr die rettende Idee: „Ich könne in meine Kammer laufen. Dort habe ich ein noch ganz ungetragenes liegen. Es ist zwar recht einfach, aber es wäre immerhin eines …!“

„Sie braucht sich nicht weiter zu bemühen. Und es ist auch nicht an ihr, sich meinethalben zu schämen“, sagte Viktoria lächelnd. „Man wird mir gewiss nicht den Kopf abreißen, wenn ich ohne ein solches Ding auf meinem Haupte zu Tische gehe.“

Antonia zog die Stirn in Falten. Sie war sich da nicht so sicher. Und der alte Herr Professor, sie hatte diesen zwar erst wenige Male zu Gesicht bekommen, machte ihr dann aber gar nicht den Eindruck, dass er so galant über die Etikette hinwegsehen würd.

Anstelle eines beschaulichen Frühstücks im eigenen Salon der Jungvermählten unter sich, ward es von seinem Vater an Johann herangetragen worden, den Sonntag dann sogleich in familiärer Gemeinschaft zu beginnen, was zur Folge haben sollte, dass die Vermählten sich in den Salon des Haupthauses zu begeben hatten, wo der alte Professor Otto Krottenkamp bereits schon einige Zeit saß und dringlichst erwartete, nun endlich seine Schwiegertochter zu Gesicht zu bekommen. Früh war er wach geworden, hatte seinen Bart gekämmt, sich eine ordentliche und angemessene Montur gewählt, damit er den rechten Eindruck erzeugen sollte, wenn die junge Frau, die nun zu seinem Bande zählte, ihn erstmalig erblicken würd.

Und so ward er auch schnell ungeduldig, als es sich die junge Dame offensichtlich langsam anzugehen gedachte, lange schlief und hiernach herumzubummeln verstand. Nach seinem Dafürhalten hatte dieses doch Züge einer Unachtsamkeit, der er auch einen gewissen Mangel an Respekt und Ehrerbietung abzugewinnen tendierte. Mit der Zeit des Wartens wurde der alte Professor unruhig und auch zunehmend ungehalten. Und als das frische Paar den Salon zum Frühstück betrat, lächelte er zwar süßsauer, doch in seinem Innern hatte sich längst stolzverletzter Groll breit gemacht.

Ein wenig mühsam, es war wieder ein Gichtanfall im Anzuge, erhob er sich aus seinem Sessel und ließ seinen Sohn die Vorstellung Viktorias erledigen, wobei der Alte schnell einen ersten Blick über die junge Frau warf, sie von Kopf bis Fuß zu mustern verstand.

„Lieber Vater …“, begann Johann mit leicht unsicherer Stimme, „hier ist sie nun, Viktoria, Deine Schwiegertochter.“

So rechte Freude aber wollte sich im Herzen des alten Mannes nicht entfachen. Was seine Augen sahen, enttäuschte ihn doch merklich. Sein Sohn hatte sich ein Weib gewählt, welches nach ihrem Äußeren die Diagnose einer schlimmen Krankheit zulassen würd, und anstelle üppig weiblicher Kurven, anstelle eines gebährfreudigen Beckens, sah er nun eine milchhäutige Bohnenstange, zwar noch jung und mit einer gewissen Anmut, doch in allem eben ganz und gar nicht ein Frauenzimmer, das seinen Erwartungen entsprach. Und so begrüßte er Viktoria mit einer merklichen Kühle, die in der Allgemeinheit gewiss nicht auffällig gewesen, doch von jedem, der den alten Professor kannte, sofort bemerkt worden wäre.

Otto Krottenkamp nahm schnell wieder Platz, die anfliegende Gicht verlangte dieses von ihm. Viktoria und Johann taten es ihm sodann gleich und beide warteten höflich auf die nun anstehende Konversation während des Frühstücks.

„Wenn ich es recht bewerte“, eröffnete der Vater, „dann wäre es der Uhr nach zu überlegen, ob wir das Frühstück mit dem Mittagsmahl tauschen sollten.“

Johann verstand sofort, dass dem Vater ihr spätes Erscheinen bitter auf dem Magen zu liegen schien. „Sicher, lieber Papa“, versuchte er sogleich zu beschwichtigen. „Sie waren schon lang im Schlafe, als wir tief in der letzten Nacht Hamburg erreichten, nach langer und beschwerlicher Reise. Und die Müdigkeit war groß, verlangte nach ausreichender Erholung.“

„Gewiss, gewiss!“, kam es vom Alten zurück. „Schlaf ist wichtig. Und derohalben kann´s dann mit der Etikette auch ein wenig unbedachter gehalten werden. Es mag dennoch überlegt werden, ob der Müdigkeit dann Vorzug vor der Höflichkeit zu geben ist.“

Eine Antwort hierauf wollte er nun aber erst gar nicht mehr abwarten. Er wendete sich sofort an Viktoria und schaute sie mit abermals offen musternden Blick an: „Die Strapazen des gestrigen Tages und der langen Reise stehen der jungen Dame aber auch unübersehbar ins Gesicht geschrieben …“, er machte eine sehr kurze Pause, „das beantwortet die Frage dann von selbst. Sie sind scheinbar immer noch sehr ermattet. Andernfalls würd´ ich mir nun Sorgen zu machen haben, dieses aus ärztlicher Sicht und aus Fürsorge für die junge Schwiegertochter.“

Viktoria erfasste diese Attacke ganz vollumfänglich: „Ich danke Herrn Professor für seine Nachsicht, ganz ebenso für seine Besorgnis, die ich ihm jedoch entkräften möcht. Es geht mir ausgezeichnet. Nun aber weiß ich mich ja in besten Händen, und sollte sich etwas an meinem Befinden zum Schlechten wenden, so werde ich den Herrn Schwiegervater sicher darum ersuchen dürfen, mir einen geeigneten Experten zur Diagnose und Heilung zu empfehlen.“

Potzblitz! Schoss es dem Alten flugs durch den Kopf. Da schien doch ein recht impertinentes Frauenzimmer in sein Haus gezogen zu sein. Und er schaute kurz auf seinen stumm beisitzenden Sohn, denn es war ihm ein Anliegen, dass dieser seiner Gattin nun gleich in die Schranken zu weisen hätte. Doch Johann vermied es seinem Vater anzuschauen und tat fast ein wenig teilnahmslos.

Obwohl es ihm jetzt doch rechte Lust gewesen wäre, dem jungen Ding eine Lehrstunde zu verpassen, besann er sich und wechselte das Thema: „Mit Freude vernehme ich natürlich Ihr Wohlbefinden bei vitaler Verfassung, liebe Viktoria“, fuhr er lächelnd fort. „Und sie sehen es einem alten Manne und Vater gewisslich nach, dass er zu fragen sich erlaubte, was ganz allein der Fürsorge entsprach. Denn es wird Ihnen meine Sohn wohl nicht vorenthalten haben, dass ich mich nicht nur über seine – gerade weil´s so spät erfolgte – Verehelichung freute, den Zugang einer jungen Dame sehr zu schätzen weiß, dann doch auch die Hoffnung damit verbinde, dass es ganz bald ein Kindergeschrei zu vernehmen gilt.“

Johann Krottenkamp bekam einen roten Kopf: „Genau wie Du sind es auch Viktoria und ich, die Gott dem Herrn vertrau´n. Es liegt in seiner Hand…!“

„… und im Schoße Deines Eheweibes!“, schoss es aus dem alten Krottenkamp heraus.

Es trat daraufhin bedrückende Stille ein. Ab und zu äugte der Alte hinüber zu der jungen Frau, die mit gewohnt versteinerte Miene sich entschlossen hatte, der Konversation keinen weiteren Beitrag ihrerseits zu schenken. Und was auch hätte sie noch beitragen können? Es schien ihr fast so, als wäre sie die junge Stute, die zur Zucht erworben ward. Sollte das womöglich ein Sinn des Ganzen sein? Wollte der fette Frosch nur seinen Laich bestaunen? Ward sie verschachert, nur um zu fohlen? Lag deshalb auch ein Thermometer in ihrer Spiegelkommode, um schnellstens Fruchtbarkeit zu messen?

Otto Krottenkamp schien für´s Erste zufrieden. Das freche Ding besann sich nun klein beizugeben, es kuschte demnach, was ihm gefiel. Doch dem Frieden wollte er nicht gleich trauen, denn das dürre Eheweib des Sohnes neigte doch zur Widerspenstigkeit. Das schien ihm eindeutig. Und der Sohn würd trefflich Aufwand haben, der Gattin ihre Dreistigkeit gehörig auszutreiben.

Viktoria hatte diplomatisch eine kleine Zeit vergehen lassen. Dann erhob sie sich und schaute beide Herren an. „Ich bitte mich zu entschuldigen“, eröffnete sie mit fester Stimme. „Es gerät mir leichte Plage in den Kopf, und ich hoffe, es ist wird keine Migräne. So möchte ich mich zurückziehen, damit ich meinem Kopf ein wenig Ruhe bereiten kann.“ So sprach sie, und hiernach wendete sie sich zum Gehen.

Sie war schon kurz vor der Salontüre angelangt, als sie die Stimme des Alten vernahm: „Mein liebes Kind, nur Eines noch“, rief er ihr nach, „ich rechne es dem Umstand zu, dass Ihre Bagage noch gut verpackt sein wird. Doch ist es in uns´rem wie in anderen guten Häusern Sitte, dass Eheweiber Hauben tragen. Und was recht ist, soll nicht anders werden. So wäre es mir ein dringlich Anliegen, wenn auch die Frau Viktoria sich hiernach richtete.“

Doch diese hielt es gerade nicht für nötig, das Gehörte zu bestätigen, sie verließ nun den Raum, ganz wortlos wie schon gewohnt.

Otto Krottenkamp schaute kampfeslustig seinen Sohn an: „Da hast Du uns aber ein nettes Früchtchen ins Haus gebracht.“, platzte es aus ihm heraus. „Währet den Anfängen, mein Sohn. Ich rate Dir gut, Deinem Weibe die Widerborstigkeit schnell auszutreiben.“, ward jetzt aber auch ein wenig nachdenklich gestimmt: „Du wirst wohl Deine Gründe haben, doch ist´s mir gerade jetzt noch ein Rätsel, worin bloß der Grund bestand, nun gerade dieses magere Kindchen zu wählen…“

Johann erhob sich nun ebenfalls: „Lieber Vater, ich bitte Sie um Ihre Nachsicht und Geduld. Viktoria ist nun einmal meine Wahl, und es wird sich alles richten, auch zur Zufriedenheit von Ihnen.“

„Die Wahl der Holden war die Deine. Das Dach des Hauses bleibt das meine“, grätzte der alte Krottenkamp. „Bock, Dreistigkeit und Aufbegehr scheint sie zweifelsohne gut zu können, das Fügen aber liegt ihr womöglich fern, ganz ebenso wie gute Sitte. So möchte´ ich hoffen, dass sie´s Gebären ebenso beherrscht, wie das Gezanke. In meinem Hause gilt Respekt, und wenn Dein Weib dann glauben möchte´, sie sei verkannt´ Prinzessin, so zeig ihr flugs mit trefflich Druck, wer ihr Gebieter, wer ihr König ist. Zur Not dann auch mit Prügel, mit Zucht und trefflicher Strafe. Sonst wird´s im Elend für Dich enden.“

Johann nickte nachdenklich. Dann verließ auch er den väterlichen Salon und ging in den ehelichen Villenflügel, um dort vor dem Kamin sitzend nach Besinnung zu suchen und zu sinnieren.

*

Viktoria hatte befunden, dass es für diesen ersten Tag genug der neuen Familie war und es nützlich sei, den verkündeten leichten Anflug von Migräne noch nicht als beendet zu betrachten, und so verblieb sie in ihrer Kemenate, ruhte ein wenig, öffnete den einen oder anderen Koffer, schaute in die Truhen, denn sie hatte auch Antonia fortgeschickt, die sich zuvor gerade ans Auspacken machen wollte. Nun stand Viktoria am Fenster. Schon einige Zeit. Sie schaute über den kleinen Hauspark hinaus in die Ferne. Dort, in jener Richtung, musste wohl der schöne Fluss, die Elbe liegen. Und sie verspürte auf einmal eine große Sehnsucht, sich an das Ufer zu setzen, dem Fluss mit den Blicken stromabwärts zu folgen, die sanfte Strömung betrachtend, dann sich vorzustellen, wie dessen Wasser sich an der Mündung ins Meer ergießen, sich mit diesem vereinen und eins mit dem großen Ganzen werden. Und irgendwo, fast am anderen Ende der Welt, würde das einstige Elbwasser sich aufbäumen, als mächtige Woge gegen eine Küste rollen, schaumbedeckt und wild brechen, um hiernach sanft an einem weißgoldenen Strand, Muscheln und Seesterne umspielend, die Reise über den Ozean zu beenden.

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