Читать книгу: «Herr und Untertan», страница 3

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Doch zum großen Unglück aller war es dem Vater nicht gegeben, das Aufgehen seines Plans mit eigenem Aug´ zu sehen. Kurz nach der Vermählung, noch vor der Geburt seiner Enkelin, verfiel der alte Sonnenberg urplötzlich dem Wahn. In einem Irrsinnsanfall nahm er den Feuerhaken vom Kamin, zerschlug mit kräft´gen Hieben den Schädel seiner Gattin, und mit blutig Händen bestieg er sodann den Kirchturm, um sich von diesem in die Tiefe und zu Tode zu stürzen.

Entsetzen und Trauer grassierte in vielen Herzen. Der neue Partner im Rumhaus der Sonnenbergs aber heimste sich mit linkisch Advokatenhilfe flugs auch den and´ren Teil des Handels ein, und es war der einz´gen Erbin nur noch gegeben, ein kläglich Almosen zur Abfindung zu erhalten, denn des toten Vaters Kontrakt mit dem neuen Partner war für´s Gute nur verfasst, und schlechte Optionen fehlten in der Vorausschau gänzlich, was sich der vom Partner vorsorglich dazu gerufene Advokat galant zunutze machte, womit dieser gewisslich ein hübsches Honorar dafür kassierte.

Und der sonst doch so erhabene Franz-Joseph, ihr Göttergatte und ehrbarer Kaufmann im Hanseatischen, wurde glatt ängstlich und scheu dem frechen Tun dieser Gauner durch Führung eines vehementen Händels vor dem passenden Gericht entgegen zu treten. Wie sehr doch lamentierte er, und zeigte sich dann kampfbereit, um hiernach umzuschwenken. War mutig bei leerer Karaffe und zaghaft wie ein Kind am nächsten Morgen. Geschickt verstand es der Herr Advokat, dem Kaufmann Kohlhaase die Sendung zu vermitteln, dass es das gute Recht der Erbin sei, sich bei gegenteiliger Auffassung gegen unterzeichnete Dokumente dem Geiste des Kontraktes widersetzen zu wollen, es dafür nun einmal Gerichte und die Richter gab. Doch wär´s dann unvermeidlich, dass die Spektakularität des Verfahrens im Kreise der Kaufmannschaft, sicher auch über diesen hinaus, in die Münder und Köpfe der Interessierten geraten würde, und es somit dem Kaufmann Kohlhaase nicht zur Garantie geriete, dass Ruf und Ansehen ganz unbeschadet blieben. Denn was der Irre in seinem Wahn vollbracht hat, zeugte schließlich nicht von Ehrenwertigkeit und Solidität, auch wenn es eine derbe Krankheit war, die ihn zum Irren machte. Und wer würde jetzt nicht auch darauf wetten wollen, dass die Erbin, als leiblich Tochter, nicht ebenso erkranken kann, und auch das Enkelkindchen nicht bar solch schlimmer Bürde wär. So wär es, wenn ein Kunde vor der Wahl stünde, bei ähnlich Angebot den einen oder anderen Verkäufer zu wählen, dem Zahlenden nicht zu verdenken, der Ehre folgend doch nur verbindlich mit einem Partner dann zu kontraktieren, der frei von Tuschelei und Fingerzeig geblieben war.

Auch wenn die Boshaftigkeit, gewiss auch das Unverfrorene, das ganz ohne sittlichen Schleier in dem Advokatenwort steckte, von großer Impertinenz und mit ebensolcher Chuzpe einer Erpressung nahe kam, so war es Kohlhaase dann aber auch nicht uneinleuchtend, und er wog nun innerlich ganz halbschlächtig das Pro und Kontra ab. Ein Gerichtsstreit konnte lange dauern, und in jeder Sitzung säßen viele Ohren und Münder. Und am Ende dann auch Recht zu bekommen, war nicht gewisslich zu garantieren. Das angebotene Almosen war zwar mickrig, doch es sollte dann auch unter Zins und Zinseszins gerechnet werden. Und es war nicht ohne Sinn, das kluge Menschen vom Vorteil des Spatzen in Händen sprachen. Und forthin in Einheit mit solch Gaunern das Geschäft zu führen, war mitnichten noch Option. So geschah es dann auch, dass Katharina als geborene Sonnenberg für ein Almosen um ihr Erbe gebracht war, den warme Regen aus künft´gem Vermächtnis damit für immer ausbleiben sollt´. Zumindest war die Mitgift sicher eingestrichen, und so sollte er nicht mehr greinen, denn unterm Strich war die Bilanz für ihn nicht übel, auch wenn diese zuvor noch ein besseres Ergebnis versprach.

Katharina Kohlhaase war weder bemächtigt noch befähigt, den Schlamassel zu überblicken und ihrem Gatten vielleicht sogar Paroli zu bieten. Zudem kam die Trauer. Natürlich auch die Scham. Sie trug auch noch ein Kind unter dem Herzen und so war es dann auch nicht unverständlich, dass sie die Angelegenheit dem Gatten zur Entscheidung überließ, zudem dieser ihr ohnehin nicht viel Mitsprache zubilligen wollte. Doch im Nachgang, gesät ward dieser Gedanke bereits früh, gedachte sie so manches Mal das Handeln ihres Gatten dann als das eines Zögerlings und Hasenfußes, dem das Affrontieren lästig war. Und dass ihm der eigne Vorteil doch am nächsten lag, besonders wenn es andernfalls noch Mühsal versprach, er oft die kleineren Kirschen von den unteren Zweigen den prallen in der Baumeskrone vorzog, Beharrlichkeit und Strategie oft missen ließ, der Oberflächlichkeit von Vorteilen zu gern den Zuschlag gab, ließ sie, ganz insgeheim natürlich, zu einer nur noch bedingt vorteilhaften Referenz über ihn geraten.

Und schlussendlich hielt sie es deswegen wohl auch nicht für ausgeschlossen, dass sie mit dieser Wertung nicht alleine war, ihn kluge Geschäftemacher sicher ähnlich durchschaut hatten, es ihnen aber – ganz im Gegenteil zu ihr selbst – dann zum eigenen Vorteil gereichte.

Kapitel 3

Der Jagdsaal war hergerichtet, ja er strotzte förmlich vor Vorfreude die Gäste der Soiree zu empfangen und die Ehre mit guter Achtung zu erweisen. Gewiss waren da andere Prunksäle in prächtigen Villen in Orten rundherum, vor allem doch in Hamburg und den lieblichen Vororten längs der Elbe, die Staunen und Respekt erzeugten, denn es waren die Kontorläger voll bester Waren und die Geschäfte florierten nur allzu gut, und die reichen Herren konnten leichthin in ihren Villen mit Prunk und Protz aufwarten.

Gerad´ huschten noch die Dienstbereiten von links nach rechts, präparierten die letzten Nuancen, zupften sich Schürze und Livree zurecht, steckten ihr Häubchen gerade und waren ganz gespannt auf den anstehenden Verlauf. Der Hausherr schritt das geschaffene Werk von vorn bis hinten ab, musterte jeden Einzelnen von Kopf bis Fuß, schnauzte noch hier und dort die eine oder andere Missbilligung heraus, und als sich die Musiker auf ihren Plätzen einzurichten gedachten, stellte er sich vor ihnen auf und nahm eine herrische Pose ein.

„Wie ich sehe“, begann er zu sprechen, „sind Ihre Notenhefte dick und reichlich. So gehe ich davon aus, dass sich Ihr Repertoire nicht nur auf drei mickrige Stückchen beschränkt, denn es ist mir ein besonderes Anliegen, die Gäste meiner Soiree ganz trefflich zu amüsieren. Und daher darf ich bitten, von Trauerliedchen ebenso abzusehen, wie von musikalischen Beiträgen, denen es besser zu Gesichte stünde, als Gutenachtmusik Verwendung zu finden. Es wäre mir sodenn mehr als lieb, wenn es Pläsanterie und fröhliche Unterhaltung reizte, was die Herren fürbass an diesem Abend vorzutragen gedenken“.

Eines der Dienstmädchen huschte gerade eilig an ihm vorbei.

„Du, junges Ding!“, rief er ihr hinterher. „Tu etwas von Nutzen, und bringe mir flugs ein Glas mit feinem Sherry“. Und als sie beflissen nickte und sich zur Ausführung der Order anschickte, rief er hier nicht hinterher: „Aber hüte Dich vor allzu feiner Zurückhaltung, und lass das Glas zu meiner Zufriedenheit füllen“.

Und so stolzierte er von einem End zum anderen, platzierte stets einen Kommentar oder eine Anweisung nach seinem Sinne, strich sich hiernach den Schnurrbart zurecht, und die fleißigen Dienstmädchen versorgten ihn derweil mit immer wieder nachgereichten Gläschen.

Indes waren Mutter und Tochter in ausreichender Weise damit beschäftigt, sich für den Abend zu richten. Viktoria ließ alle Prozeduren in der bereits nun schon fast gewohnten Weise stoisch über sich ergehen. Die Mutter hingegen wollte es sich nicht nehmen lassen, an allem doch etwas Gutes zu erspähen, denn es wäre, ob nun gewollt oder nicht, die einzige Verlobung ihrer Tochter. Und ihr Mutterherz hatte dann auch ein wenig Freude mit diesem Begebnis und dessen Präparation.

Doch zu allem Unglück war des Schneiders Werk ganz und gar misslungen. Katharina Kohlhaase wurde nun so ingrimmig, dass es selbst ihren Gatten verjagt hätte, sofern er denn zugegen gewesen wäre. Und das unbegabte Schneiderlein hatte es in weiser Voraussicht offensichtlich auch vorgezogen, sich nicht an den Tatort zu verbringen, denn die Tapferkeit ist seiner Zunft nur in der Fabel angedichtet. Die Mutter konnte zupfen, stecken, dehnen, es halfen auch keine schnell besorgten Klämmerchen, das Kleid verlieh der Trägerin in großer Bosheit die Anmut einer Krüppelin und war nur dann zu dulden, wenn diese dann ganz krumm und schief sich stellte, was aber auch den Sinn nicht zu treffen vermochte. Gottlob würd es dem Vater nicht auffallen, denn dieser hatte es nicht mit den Feinheiten und das Handwerk eines Schneiders war ihm so ferne liegend, wie das Jonglieren von Kegeln, Bällen oder Reifen in der Luft.

Und der künft´ge Eidam lugte schließlich fast aus der Perspektive eines Frosches und würde jede wahrgenommene Verzerrung von Kleid und Haltung der Verlobten dann auch hierauf zurückzuschließen haben, den Fehler damit bei sich selbst suchend und somit eigennützig lieber schweigsam bleiben.

Viktoria hingegen war mit dem Ergebnis ihres Boykottierens bereits an diesem Punkt höchst zufrieden, war aber auf der Hut, sich nicht durch leuchtenden Spott in ihren Augen selbst zu verraten, und sich eine Phalanx innert der anstehenden ersten Schlacht durch Leichtfertigkeit im Wesen am Ende selbst zuschreiben zu müssen. Ihr Affrontieren musste ganz verdeckt bleiben, denn die gegenüber in Stellung gebrachten feindlichen Kräfte waren nicht nur überzählig, zudem mit Waffen ausgestattet, die im offenen Schlagabtausch zu Felde schnell zu deren bravourösen Sieg führen und die besiegte Prinzessin zum Verfaulen in den Kerker werfen ließen. Und diese Fährde galt es ihr mit aller Fürsorglichkeit zu unterbinden.

So war es dann doch klüger, mit Listen vorzugehen, das Säg´lein hier und dort zu setzen, um Äste abzutrennen, auf denen die Widersacher dann säßen. Sabotage im Geheimen ist nahrhafter für den sonst Unterlegenen, dieser bestenfalls nur die Wahl zu treffen hat, ob dicke Äste zuvörderst und im Ganzen anzusägen sich empfiehlten, oder eben eher erst die kleinen und dann nur so, dass es der dritte oder vierte Sitz zum Abbruch aus Ermüdung führen würd.

Frau Mama trieb nun zur Eile. Das Kleid war nicht zu retten, ein passend andres nicht im Schrank, nun half auch kein Knastern, es war zu nehmen wie es war. Indes näherten sich die ersten Kutschen, und so sollte es allen gänzlich zur Einsicht geraten, dass der Lauf der Dinge dieses Abends nun nicht mehr aufzuhalten war.

Viktoria wurde in die kleine Bibliothek geführt, damit sie dort warten würde, bis sie ihr Zeichen zum Eintritt in den Jagdsaal erhalte. Das schon recht betagte Fräulein Käthe, eine ungefreite Großcousine aus dem Zweig der Sonnenbergs, wurde ihr zur Seite gesetzt. Sie war schon zeitiger erschienen und gab sich nun mit scheinbar großer Gelassenheit ihrer Aufgabe hin. Ihr Gehör war von schlechter Qualität, was unvermittelt ihrem Alter zugeschrieben wurde, was mitnichten aber der Richtigkeit entsprach. Sie kam mit diesem Defekt nach Meinung aller schon auf die Welt, und trug ihr Hörrohr von Kindesbeinen an wie der Hornist der Kavallerie sein Instrument an einer bunten Kordel vor die Brust gehängt. Das linke Ohr war gänzlich taub, das rechte dann nur leidlich besser. Und so war ihr die Bewegung längst in Fleisch und Blut übergegangen, wenn Münder, Lippen sich bewegten, dies sodann als Zeichen der Verständigung zu werten war, um spornstreichs mit der Schreibhand nach dem Hörvehikel zu greifen und dieses zum Kopfe zu führen, stets in Richtung des wahrgenommenen Palavers.

Gab sie dann selbst etwas zum Besten dazu, geriet ein jeder Beitrag zur Prüfung aller gesunden Ohren im Umkreis von tausend Zoll. Sie krakeelte aber nicht aus Unmanierlichkeit so laut, es war dem Grund geschuldet, dass sie sich selbst zu hören hatte, denn anders sie nicht sicher war, das grad Gesagte tatsächlich dann auch ausgesprochen zu haben, oder dieses allein in ihrem Kopfe nur geschah. Ein Mancher, der es fehl einschätze, nahm an, dass jenes alte Fräulein nur Beiwerk abgeben konnte und man zudem nur flüstern bräuchte, um einem Lauschen zu entgeh´n. Doch ward es Tuschlern nicht selten ein bös´ Erwachen, wenn ihr so wichtiges Geheimnis, ganz plötzlich und auch wundersam, dann dummerweise mitnichten noch eins war.

Viktoria mochte Käthe recht gerne. Denn von dieser Seite drohte ihr bisher nie eine Attacke oder gar Gehässigkeit. Auch konnte sie sich sicher sein, dass die Cousine in allen Fällen kein Jota weitergeben würde, was sie von diesem Kindchen und dem spät´ren jungen Ding erfuhr. Aus vielerlei Bewertung kam sie zu einem and´ren Schluss: dass denn Fräulein Käthe viel besser hören würde, als äußerlich gezeigt. Das Hörrohr nur die Tarnung war, ein Strategem, mit offen dargestellter Schwäche den übermächtigen Gegner dorthin zu locken, wo dieser seine Achillesferse trägt. Ganz eben ähnlich, wie sie es nun selbst verstand, schon länger eigne Strategeme entwarf, die allesamt dem gleichen Zwecke dienten. So waren Viktoria und Käthe im inn´ren Kern vielleicht sogar ganz gleich gestrickt.

Viktoria setzte sich in den Sessel neben ihrer Großcousine, faltete sittsam ihre Hände in ihrem Schoß und schaute gefasst ins Nichts. Das alte Fräulein legte behutsam eine Hand auf das nackte Ärmchen der jungen Frau: „Es wird sich alles zum Guten richten. Du wirst sehen, mein Kind.“ sagte sie dabei in leisen Worten, die aber dennoch sehr überzeugend klangen.

„Sie meinen es gut, liebe Cousine. Ich weiß,“ antwortete Viktoria flüsternd, „und ich verstehe es als wohllöblich, dass Sie mir Mut zusprechen woll´n, und dafür meinen Dank. Doch ein Tümpel beleibt ein Tümpel, auch wenn sich der schönste Himmel in ihm spiegelt. Und es nutzt dem in ihm Badenden kein schillernd Antlitz, wenn er jüngsthin im schmutzigen Wasser versinkt und im Moder am Grund vergeht.“

„Es war nicht meine Absicht,“ sprach die Alte zurück, „Dich zu beruhigen, um Dich so getäuscht in ein Verderben rennen zu lassen. Vielmehr ist es, was ich meine, dass Du mit Deiner Stärke, mit Deinem Verstand dazu, das alles dann doch so zu wenden wirst können, wie Du es brauchst, auch wenn ein steinig Weg zu diesem Ziel nur führen mag. Und hast Du nicht schon länger mit List und Tarnung viel erreicht, so wird´s Dir auch gelingen, dem fetten Hagestolz, den Du bald ehelichen wirst, den Garaus zu bereiten.“

Die Worte von Käthe klangen Viktoria noch einige Zeit in den Ohren. Still saßen sie nebeneinander, die Cousine klopfte dem jungen Ding immer wieder behutsam das Ärmchen und beide wussten, es nahm nun alles seinen Weg.

Franz-Joseph Kohlhaase war es, der sein Töchterlein selbst höchstpersönlich aus der Bibliothek in den Jagdsaal führte. Kurz bevor die junge Frau am Arm des Vaters hinausschritt, blickte sie noch einmal zurück zu Käthe, fast so, als erhoffte sie sich von dem klapprigen alten Fräulein ein Wunder in letzter Sekunde. Doch ihre Großcousine sah ihr nicht hinterher, sie hielt wieder ein kleines Büchlein in Händen, in dem sie weiterzulesen beschlossen hatte.

Im Saal herrschte eine unangenehme Fülle. Die leise Musik des kleinen Orchesters wirkte nahezu gespenstisch, denn es mischte sich ganz unpassend unter das Gemurmel der geführten Gespräche in den vielen Gruppen, die teils zusammenstanden, teils in kleinen Gesellschaften zu Tische saßen. Die wenigsten von den Gästen waren Viktoria bekannt. Nur vereinzelt, hier und dort, entdeckte sie Gesichter, denen sie schon begegnet war, auch hatten sich einige Verwandte eingefunden, was für sich schon eine gewisse Außergewöhnlichkeit in sich trug.

Immer noch bei ihrem Vater untergehakt schritten beide vom Herrn des Hauses dirigiert den heimischen Saal ab, als würde eine fürstliche Hoheit an ihrem Volke vorgeleitet. Man honorierte dies in den abgeschrittenen Reihen mit freundlichen Blicken, kleinen, oft auch nur angedeuteten Verbeugungen der Herren, während die herausgeputzten Damen sich ihrer Neugier gar nicht schämen wollten und Viktoria unverhohlen von oben bis unten musterten, um hiernach, sobald sie aus dem Blickwinkel der Vorbeischreitenden verschwunden war, die Köpfe zusammenzustecken und sich tuschelnd hinter eifrig gewedelten Fächern über das gerade Gesehene auszutauschen.

Als der Vater empfand, dass nun wohl alle ausreichend Gelegenheit gehabt haben sollten, das Töchterlein in ihrem prächtigen Kleid zu bestaunen, wohl auch niemand ausgelassen und nichts mehr geeignet ward die Spannung zu erhöhen, besann er sich zur Zurücknahme seiner eitlen Darbietung und schritt geradewegs mit seinem Kind auf seine Gattin zu. Neben dieser standen der Silberwarenhändler Berking, der extra aus Bremen gekommen war, ein Mann schlanker Figur und einem langen weißen Bart, dessen untere Spitze bis über die gebundene Fliege reichte, und Dr. Krottenkamp, der noch geheime Bräutigam, der sich im Erscheinungsbild vom feinen Berking ähnlich abhob, wie ein Masttruthahn von einem Fasan.

Während der Kaufmann in Silber mit freundlicher Galanterie das junge Fräulein begrüßte, stand der Doktor schwitzend und nervös daneben und war bemüht, sich gut durchzustrecken, um auf diese Weise den Unterschied im Wuchs, ganz zwecklos überdies, auszugleichen. Als er nun endlich an der Reihe war Viktoria zu begrüßen, gelang ihm eine durchaus passable Verbeugung und als diese beendet war, richtete er das Wort an sie: „Wertes Fräulein Viktoria“, begann er salbungsvoll, „darf ich Ihnen zunächst meinen allerherzlichsten Glückwunsch zu Ihrem erst vor kurzem zu feiernden Geburtstag aussprechen, verbunden mit nur guten Wünschen um Glück und Gesundheit fürderhin. Und ich habe mir ganz bescheiden erlaubt, Ihnen zur Bestätigung meiner Ihnen gegenüber äußerst gern aufzubringenden Aufmerksamkeit ein Bouquet stecken zu lassen, welches ich bei meinem Eintritt in Ihr Elternhaus am heutigen Tage den Dienstbereiten zur ordentlichen Präsentation in Ihrem privaten Zimmer anhand gegeben habe.“ Nun grinste er und glänzte in seinem Schweiß, der sich nun nochmals deutlicher auf seiner Glatze abzeichnete.

Viktoria verharre in ihrer steinernen Miene: „Ich danke dem Herrn Doktor sowohl für seine gutgemeinten Wünsche, als auch für die Aufmerksamkeit in Form seines Bouquets. Und ich gehe doch davon aus, dass er es gutheißen wird, wenn ich die sicher fein gewählte Blumenpracht einem Platz im Hause zuführe, an dem diese einer gerechten und freudebringenden Betrachtung unterliegt, und alle Herrschaften, wie auch Dienstbereite, sich an dem Anblick erfreuen können, bevor die Schönheit der Natur in meinem Zimmer kaum beachtet verkümmerte.“

„Welch´ eine vorzügliche Idee!“, antwortete Krottenkamp süßsäuerlich. „Und zeigt das Fräulein doch schon im jungen Alter einen außergewöhnlichen Sinn für das häusliche Wohl.“

Er merkte schnell, dass es ihm nicht leicht gemacht werden würde, mit seiner Zukünftigen, die das Vermählungsvorhaben gewiss schon zur Kenntnis erhalten hatte, mit dieser eine unbeschwerte und unverfängliche Konversation führen zu können. So versuchte er einen anderen Weg zu gehen: „Es wäre mir eine große Freude und Genugtuung, wenn das Fräulein Viktoria mir später einen Tanz zu dieser vorzüglichen Musik einräumen würde.“

„Wie könnte ich noch in den Spiegel schauen, sollt´ ich ganz voller Eitelkeit und Eigensinn den hoffenden Damen hier im Saale das lang ersehnte Tanzvergnügen rauben. Und als Tochter eines Kaufmanns ist mir das Wesen von Verträgen wohlbekannt. So bitt ich den Herrn Doktor zur Nachschau des mich betreffenden, um die Passage zu finden, in der das Tanzen zum Bestandteil wurd´.“

Viktoria hielt es für angebracht, die gerade aufgeflammte Konversation nicht weiter zu befeuern, senkte den Kopf und drehte sich mit ihrem Stand so, dass Krottenkamp unmissverständlich zu wissen bekam, dass es im Saal sicher Interessanteres als ihn geben sollte. Sie sah dann auch nicht, dass ihr bisheriges Gegenüber einen puterroten Kopf bekam und kurz darauf ein Taschentuch hervorzauberte, um sich mit diesem die feuchte Stirn zu tupfen. Und so verlief der erste Teil der Soiree nicht nur ohne einen weiteren Wortwechsel zwischen den beiden, sondern auch ohne das gewünschte Tänzchen. Sehr zum Missfallen des Vaters, sehr zur Sorge der Mutter, sehr zur Freude von Viktoria.

Doch der scheinbar währende Frieden fand sein jähes Ende, in dem der Vater nach ausreichend Zeit der Präsentation und Verlauf der Soiree seine Tochter in die Bibliothek bat, da dort Herr Dr. Krottenkamp auf das Fräulein Viktoria warten würde. Cousine Käthe, so der Vater, wäre auch zugegen, um der Etikette gerecht zu werden. Ihr Zugegensein aber wäre unschädlich, da es mit ihrer Hörkraft bekanntlich ja nicht weit her sei. Er geleitete seine Tochter nun aus dem Saal bis zur Bibliothek, öffnete die Türe und ließ sie dann von außen ziehend leise ins Schloss gleiten, nachdem Viktoria den Raum betreten hatte.

Käthe saß unverändert in ihrem Sessel und las im kleinen Büchlein, und es hätte niemand auf einen anderen Gedanken kommen können, dass sie sich in Gesellschaft befand, wenn nicht ganz unübersehbar tatsächlich zwei andre Menschen im Raume zugegen waren. Krottenkamp saß auf einem Stuhl an einem kleinen Tisch in der Zimmerecke gegenüber von Käthe. Als Viktoria hineinkam, stand er höflich auf und wies mit einer Handbewegung auf den zweiten Stuhl am kleinen Tisch. Viktoria setzte sich wortlos nieder und blickte dem ältlichen Doktor fast versteinert ins Antlitz. Ihr war klar, was nun gleich geschehen sollte. Und so ließ ihr Beisitzer auch keine Zeit mehr verstreichen.

„Verehrtes Fräulein Viktoria … Viktoria …!“, begann er nervös seine Ansprache, „Unübersehbar bin ich bereits im fortgeschrittenen Alter, was ich nur deshalb erwähnen möchte, weil jede Jahreszählung auch von gewachsener Erfahrung spricht, und ich diese zudem durch vielerlei Anschauung eines Arztes zur Ergänzung gebracht habe. So habe ich sicher ein gutes Verständnis um Ihre Befindlichkeit in puncto meines, Ihrem verehrten Herrn Vater gegenüber vorgetragenen Wunsches Sie zu ehelichen. Und dass Ihr Herr Papa und meine Wenigkeit so schnell und förderlich zu einer Übereinstimmung gelangen konnten, darf Ihnen als Beleg für allseits besten Willen, honorable und ehrenfeste Absichten dienen. So ist meine Freude schier unermesslich, dass Ihr Vater willens war, mir seine geliebte Tochter zu versprechen und sich mit der anstehenden Vermählung sogleich einverstanden zu erklären. Nun will ich Ihnen schlankerhand garantieren, Ihnen ein guter und liebender Gatte zu sein, jemand, der sehr wohl um das Innere der künft´gen Ehefrau zu wissen glaubt. Allgemach wird es für Sie zur Überzeugung, womöglich auch im Herzen gelangen, in mir einen treusorgenden Mann zu sehen und die Richtigkeit der Liaison damit bestätigt zu wissen. Sie ehelichen zu wollen entsprang keiner Schnurrpfeiferei, mögen Sie es auch noch so sehr denken. Auch fehlt es nicht an honetten Motiven, denn die Holdseligkeit des Fräulein Viktoria ist schließlich nicht übersehbar. Es war mir bislang nicht gegeben, in den heiligen Stand, in den Anfurt der Ehe zu gelangen, was jedoch keine Aussage über meine charakterlichen Eigenschaften zulässt. Nun aber, nachdem ich doch diesen Umstand und das Fehlen einer liebreizenden Ehefrau an meiner Seite schmerzlich und so lange vermisst habe, will ich es nachbessern und das junge Fräulein Kohlhaase hat mir – ich darf es Ihnen gegenüber nunmehr auch offen bekunden – durchaus im Herzen Freude entfacht.“

Krottenkamp erhob sich, griff in seine Westentasche und holte ein dunkelblaues samtbeschlagenes Kästchen hervor, öffnete den Deckel und dann griffen seine dicken Finger den darin bisher verwahrten Ring hervor, den der Vater für seinen künft´gen Eidam in Auftrag gegeben hatte.

„So erlaube ich mir, verehrte Viktoria, Ihnen diesen Ring zu geben, als Zeichen unserer Verlobung, so dass es ein jeder, heut hier im Saale und fürderhin dann allerorts, zu wissen erhalte, dass wir nun offiziell Verlobte sind und die Vermählung nunmehr ansteht.“

Viktoria hatte mit versteinerte Miene der Rede Krottenkamps zugehört. Sitzend verharrte sie in ihrer Position, und sie gab kein Anzeichen, den ihr vorgehaltenen Ring anzunehmen, ja noch nicht einmal zu berühren. Sie schaute prüfend auf den ihr gegenüber Stehenden, denn sie wollte gewisslich abwarten, ob dieser nun seine Ansprache als erledigt betrachtete. Als dieser immer noch stumm und wartend ihr das Schmuckstück entgegenhielt, ähnlich so, als würde es eine Mohrrübe sein, die ein Eselchen zum Laufen bringen sollte, befand sie es dem schwitzend Erpel nun zu antworten.

„Betrachten Sie den Ring als mir nun anverwandelt.“, sagte sie schroff, dennoch mit Fassung. „Ich gedenke diesen nicht und nie zu tragen, sodass Sie das gute Stück zurückverfrachten können, dorthin, woher es gerad´ hervorgeholt ward. Der Eheschließung wird´s kein Abbruch tun, denn diese ist ja längst verhandelt, beschlossen und sogar besiegelt, es fehlt allein der offizielle Segen. Und fürwahr, es geschah ganz ohne mein Zutun, auch bar meines Willens, allein aus mangelnder Option, mich des Vaters Order zu entzieh´n, es sei denn, ich würde mich vom Kirchturm stürzen. So erfüllen Sie den gefassten Plan, ich werde es für mich dann ebenso tun. Und da ich meinem Schicksal nicht entrinnen kann, werde ich der Eheschließung ebenso zu folgen haben, wie den Anforderungen und Bedürfnissen des künft´gen Gatten. Nur soll er heut schon wissen, vielleicht auch zur Bedenkung, dass es sein baldig Eheweib nur eingeht, da es gezwungen dazu ward. Auch heg´ ich keine Hoffnung, dass es zur Umkehr kommen könnt´, die Basis doch in Gänze ein schnödes Kaufmannswerk nur ist. Und wenn´s Geschäft dann erste Ordnung, wird nur der Vorteil lobgepreist. Wen kümmert´s noch, was eine junge Maid gern hätte. Sie ist nur das Objekt der Begierde, für den einen das holde Weib, für den anderen die gute Ware, die zum Höchstpreis sich veräußern ließ. So schreiten Sie zur Tat, Herr Dr. Krottenkamp und verkünden das Ergebnis Ihrer vorgetäuschten Werbung. Wir sind nun verlobt, soll´s jeder wissen. Und den Ring in Ihrer Tasche verwahren Sie für schlechte Zeiten, dann mag dieser fürderhin als Notgroschen dienen, nicht mehr und auch nicht weniger. Und haben Sie nun die Güte, mich zu entschuldigen, denn es ist mir nicht gut, sodass ich mich nun besser zurückziehe.“

Viktoria erhob sich, nickte dem verdutzen Hagestolz kurz zu, dann ging sie mit festen Schritten zur Tür der Bibliothek. Doch bevor sie den Raum verließ, hielt sie noch einmal inne und verharrte kurz ein wenig in sich gekehrt. Etwas wollte sie noch fragen, aber sie drehte sich hierzu noch nicht einmal mehr um: „Warum ich“, begann sie leise und mit zerbrochener Stimme, „sagen Sie mir, warum ich?“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Und warum diese Eile?“

Sie wartete nicht wirklich auf eine Antwort, auch wenn sie sich eine solche noch so sehr erhofft hatte. Und so ließ sie nur einige stumme Sekunden verstreichen, dann öffnete sie die Türe und war sogleich in Richtung ihres Zimmers verschwunden.

Krottenkamp überlegte kurz, was nun zu tun sei. Er drehte sich kurz zu der still im Zimmer sitzenden Käthe um. Diese hatte ihr Büchlein auf den Schoß gesenkt und schaute dem Manne mit einem Lächeln ins Gesicht, das durchaus auch zur Wertung geeignet war, dass das alte Fräulein rein gar nichts von alledem mitbekommen hatte. So verließ nun auch Krottenkamp die Bibliothek und schickte sich an, dem Vater der Braut das Ergebnis der Unterredung zu eröffnen, denn es war natürlich fester Plan, der Soireegesellschaft die freudige Nachricht zu verkünden, dass es soeben zur Verlobung des Dr. Johann Krottenkamp mit der Kaufmannstochter Viktoria Kohlhaase gekommen sei, das junge Fräulein den Antrag des honorigen Arztes aus Hamburg mit Freude und überglücklich angenommen hatte.

Indes saß Käthe weiter auf ihrem Sessel. Sie lächelte immer noch, doch ganz im Gegenteil zur Annahme, sie würde dieses aus Unverständnis, gar in fortgeschrittener Senilität so tun, war es vielmehr doch die Freude, auch ein wenig Stolz, über das tapf´re Kämpferherzchen ihre doch noch so jungen und unbeugsamen Cousine, an der sich der Zausel womöglich die Zähne ausbeißen wird.

Doch es mischte sich auch Dunkles in ihre Gedanken. War es doch ein recht ungleicher Kampf der Geschlechter, in dem sich alle Rechte nur auf der einen Seite befanden. Und wo kein Wille war, da war der Zwang. So war´s und so wird´s ewig bleiben.

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