Читать книгу: «Das Kontingent», страница 7

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Ich denke weiter: „Vielleicht hat er aber auch notiert, wo er bereits Falschgeld in den Umlauf gebracht hat.“

Die anderen schauen verdutzt und ich stelle fest, dass meine Vermutung tatsächlich wohl nicht auszuschließen ist. Es ist Zeit für etwas Alkoholisches. Ich stelle Schnapsgläser auf den Tisch und schenke Wodka ein. Wir haben uns jetzt alle einen Schluck verdient. Da sitzen wir nun, vor uns ein Schlüssel und ein paar Geldscheine, die offensichtlich von unserem verstorbenen Freund gefälscht wurden, und zwar so gut, dass es uns schwerfällt, das auch wirklich zu glauben.

Fredo kippt seinen Schnaps in einem Zuge weg. „Die Dinger sind eine Wucht!“ ruft er fast ein wenig begeistert. „Um nicht zu sagen: eine Riesenwucht!“

Ruprecht schüttelt den Kopf: „Wer hätte das gedacht? Wie lange hat Kalli wohl schon die gefälschten Scheine in den Umlauf gebracht?“

Meinen Glauben an das Gute will ich nicht so leicht aufgeben. „Ich denke, nicht lange.“ sage ich schnell. „Ich glaube eher, er hat das ausprobiert und am Ende hat ihn der Mut verlassen.“

„Oder das schlechte Gewissen hat ihn eingeholt.“ Entgegnet mir Fritz.

Ruprecht verlangte einen zweiten Wodka. „Wie auch immer. Ich glaube aber auch nicht, dass er – wenn überhaupt – viel davon unter die Leute gebracht hat.“

Wir denken nach und es ist wieder still unter uns geworden. Wir haben heute etwas Ungeheuerliches entdeckt und dennoch sind wir letztlich nicht so tief bestürzt, wie es anständige Menschen in einer solchen Situation eigentlich sein sollten. Auf die Idee, in diesem Moment zur Polizei zu gehen, ehe es zu spät dafür ist, ist bisher auch niemand gekommen und ich selbst wische diesen Gedankenansatz gerade wieder weg, ohne zu wissen, warum ich das eigentlich tue. Die mangelnde Betroffenheit in Bezug auf unsere scheinbar doch leicht brüchige Moral und Sittlichkeit ist unübersehbar.

Wir sind zwar irgendwie betroffen, doch es scheint, dass der Grund hierfür darin zu suchen ist, dass wir uns eher mit der Frage zu plagen begonnen haben, was wir nun mit all diesen Erkenntnissen anstellen sollen. Was bedeuten diese jetzt für uns alle, für jeden einzelnen? Ich fühle mich ein wenig hin- und hergerissen. Bin ich denn schon so abgestumpft, dass ich nicht aufspringe und eine Moralpredigt vom Stapel lasse? Bin ich etwa latent kriminell und bereit, das, was Kalli getan hat, gutzuheißen und vielleicht sogar für mich zu verwerten?

Was ist mit Ruprecht, unserem Erzengel der Gesetzestreue? Er müsste jetzt doch eine flammende Rede über tugendhaftes Bürgertum und gnadenlose Strafjustiz halten, uns alle auffordern, sofort und mit aller Macht dem Unrecht Einhalt zu gebieten. Er ist aber ebenso still, wie wir alle hier. Keiner mag eine Brandrede halten. Aber so richtig bestürzt ist auch keiner von uns. Wir sitzen eher da, mit aufkeimender Faszination, lassen die Scheine immer wieder kreisen und blicken fast ein wenig diebisch lauernd in die Runde. Wer wird wohl als Erster etwas sagen? Wer wird den Mut haben, das auszusprechen, was wir alle denken?

Wenn Marta jetzt hier säße, dann würde sie uns donnerhaft die Köpfe waschen und uns mit zischenden Stockhieben zur nächsten Polizeistation treiben. Mindestens aber würde sie so lange nicht Ruhe geben, bevor nicht alle Fundstücke, Scheine wie Platten, das noch unbenutzte Papier unwiederbringlich vernichtet wären. Sie würde selbst das Benzin über den Scheiterhaufen schütten und den Streichholz zünden. Ohne eine einzige Millisekunde dabei zu zögern, das vernichtende Feuer höchst persönlich zu entfachen. Sie würde warten, bis alles bis zur Unkenntlichkeit verglüht ist, uns dann zu einem fulminanten Abendessen einladen, um ab diesem Moment nie wieder ein Wort über die ganze Sache zu verlieren.

Aber wir hier, wir sitzen mit zunehmend aufkommenden Zügen Schwerkrimineller im Gesicht da und warten darauf, dass irgendeiner unter uns den erlösenden Satz bringt. Habe ich gerade erlösend gedacht? Ja, tatsächlich: erlösend. Wir sitzen doch auf einem Schatz, den wir nur noch zu heben brauchen. Ein Virtuose der Druckkunst hat uns diesen hinterlassen. Er hat es uns vorgemacht und wir haben nun die Möglichkeit, es ihm nachzumachen, auszuwerten, auszukosten. Alles, was wir dafür brauchen, ist scheinbar vorhanden. Und wenn man es Recht bedenkt …

„… dann haben wir eine vollständige, funktionstüchtige und kampferprobte Druckerei.“ sagt Fredo plötzlich in die Stille hinein. „Wir können mehr Geld drucken, als wir jemals ausgeben können. Wir brauchen nur loszulegen.“

„Du bist völlig durchgeknallt!“ kontert Ruprecht. Aber so richtig ernst klingt das nicht mehr.

Und dann ist da noch dieses Funkeln, das Blitzen in unseren Augen. Verrät sich so die Versuchung? Haben sich so Adam und Eva angesehen, als sie den Apfel in der Hand hielten? Sehe ich in unseren Blicken die pure Lust zum verbotenen Abenteuer? Das, was Kindern in den Augen steht, wenn sie zur Mutprobe stehlen gehen? Oder sehe ich das Kriminelle in uns, den unbändigen Trieb zu einem Verbrechen? Die perfide Lust an der Illegalität und den kühnen Traum vom perfekten Verbrechen? Sehe ich das, was Bonny und Clyde in den Augen gestanden haben könnte, wenn sie selbst in den Spiegel schauten.

10

Zur gleichen Zeit grübelt einige tausend Kilometer entfernt der alte al-Basir und macht sich Sorgen, was zu tun sei. Die Situation in Kobane, auch wenn sie immer noch in dem Stadtteil zugegen sind, der gewisse Sicherheit verspricht, wird die Situation doch zunehmend unüberschaubarer und lebensbedrohlicher. Er wird seine Familie hier nicht schützen können. Er, als alter Mann, schon gar nicht mehr. Und was soll eine alte Frau machen können, eine junge Mutter oder ein kleines Kind? Wenn der Sturm sie erfasst, dann sind sie verloren. Er selbst hat keine Angst um sich, er würde dem Tod ins Auge schauen, erst Recht, wenn er mit diesem seine Lieben schützen oder gar retten könnte. Die Gewalt aber hat zu große Ausmaße angenommen. Ein Flächenbrand, der das ganze Land erfasst hat, weite Regionen über die Grenzen hinaus und niemand ist nirgends mehr wirklich sicher.

Seine Tochter ist über den sechsten Monat. Seit Monaten sind sie unterwegs und haben keinerlei ärztliche Versorgung erhalten. Die Anstrengungen schaden ihr und er befürchtet, dass sie das Kind verlieren könnte. Und bald wird sie niederkommen. Seine Frau kann helfen, aber wird das reichen? Wie soll es mit einem Neugeborenen auf ihrem beschwerlichen Weg weitergehen? Hat das Kleine überhaupt eine Chance, wenn sie hier bleiben? Und die Gefahr, dass sie bei einem Vorstoß von den Mordtruppen des IS aufgebracht werden, in deren Hände fallen, ist jederzeit gegeben. Zu nah ist die Kampflinie und der Tod wartet jeden Tag aufs neu, holt sich seine Opfer.

Er weiß, was die Mörderbanden mit gefangenen Frauen machen. Erst Recht mit Christen. Ein schneller Tod wäre in einem solchen Moment eine Gnade für alle. Damit wäre jedoch nicht zu rechnen, im Gegenteil. Die Grausamkeiten, die er gesehen, gehört und die so unfassbar sind, dass jede Beschreibung fehlt, zerbrechen ihm schon beim ersten Gedanken daran sein Herz und es dreht sich ihm fast der Magen um. Sie müssen hier weg, raus, zu einem sicheren Ort. Seine Heimat ist verloren, für lange Zeit, er kann nicht mehr warten und hoffen, dass es bald vorbei und wieder besser ist. Sein Land wird weiterhin von Schurken regiert und die einstige Hoffnung auf eine Demokratie, eine Normalisierung der Bedingungen, sind jäh verflogen.

Die einzige Möglichkeit, und darüber denkt er in diesen Tagen immer wieder nach, ist der Aufbruch in eines der Flüchtlingslager außerhalb Syriens. Wie er weiß, gibt es zwar einige im eigenen Land, so zum Beispiel nahe der Stadt Aleppo, die sicheren aber liegen in Jordanien, im Libanon oder in der Türkei. Nach Jordanien oder in den Libanon zu gelangen, wird in ihrer Lage kaum noch möglich sein. Den Weg werden sie nicht mehr schaffen. Sie sind aber bereits an der Grenze zur Türkei und dorthin gehen immer mehr seiner Landsleute auf der Flucht vor dem Terror des IS. Die Grenzen sind für Flüchtlinge nicht unüberwindbar. Er weiß, dass der türkische Staat die Verfolgten aufnimmt und in die Läger lässt, die von den internationalen Hilfsorganisationen unterstützt werden. Tausende seiner Landsleute haben dort schon Schutz erhalten. Für eine kleine Familie, mit einer alten Frau, einer Schwangeren und einem kleinen Mädchen wird es sicher noch Platz geben.

Ein Überwechseln auf die türkische Seite muss aber vorbereitet sein. Sie brauchen die Kraft für den Weg und Geld, um dort nicht mittellos zu sein. Wer weiß denn, was mit ihnen und all den anderen Flüchtlingen geschehen wird, wohin sie am Ende gebracht, auf welche Orte sie irgendwann vielleicht verstreut werden.

Da liegen sie, seine Lieben, und schlafen. Das Enkelkind im Arm seiner jungen, wieder schwangeren jungen Mutter, seine schon alte Frau, zusammengekauert gegenüber, geschützt von einem im Fenster angebrachten Holzbrett, das Kugeln und Splitter abwehren soll. Als ob ein Stück Holz das könnte. Sein Tee ist längst kalt, er hält in seit Stunden in seinen zitternden Händen und er fühlt den Rosenkranz in seiner Tasche. Jetzt zu Gott zu beten, lehnt er weiter ab. Gott hat alles andere, als es verdient, dass er ihn anruft. Das Leid kann nicht Gottes Wille sein. Das Sterben ringsum, die aufgerissenen Bäuche, Hinrichtungen, grausamste Folter und gnadenloses Wüten entgegen alle Menschlichkeit – ist das Gottes Fügung? Wenn ja, so ist dieser Gott schon lange nicht mehr der seine. So einen Gott anzubeten widerspricht seinem Herzen und Verstand.

Alle Lehre von der Güte und Gerechtigkeit seines Gottes sind dahin. Kein Erbarmen mit den Folteropfern, keines mit denen, die mit ihren Eingeweiden in den Händen einen langen, grausamen Tod in den Ruinen erleiden. Keine Güte gegenüber den vielen Frauen, die vergebens auf ihre Söhne und Männer warten. Einen solchen Gott will er nicht mehr anbeten müssen. Und soll das etwa eine Prüfung bedeuten? Will Gott schauen, ob seine Schäfchen auch in der größten Not am Glauben festhalten, ihm huldigen? Einen Gott, der so grausam sein sollte, den will er nicht ehren. Den wird er eher verfluchen und sich wehren, in dessen Antlitz zu schauen, seine Orte aufzusuchen, vor seinen Heiligtümern zu knien, die Beichte abzulegen.

Was soll er beichten? Dass er seine Familie retten muss, dass er stiehlt, um das tun zu können, dass er auch vor einem Mord nicht zurückschrecken würde, sollte es um das Leben der ihm Schutzbefohlenen gehen? Wenn das die Sünden sind, die ihm ein ewiges Leben verwehren sollten, dann ist er heute schon verdammt. Durch das Fegefeuer geht er bereits, zusammen mit seiner Familie, die sich in all der Zeit stets ehrfürchtig ihrem Gott zugewendet hat. Schlimmer wird nur noch die Hölle, an deren Rand sie bereits stehen, deren Geruch sie schon erreicht, deren Farben den nächtlichen Himmel bluten lassen, deren Verdammte sie immer wieder schreien hören. Ja, die Hölle ist direkt vor ihnen und Luzifer streckt seine Hand nach ihnen aus.

Einer seiner Schüler hat ihn einmal gefragt, ob Gott wirklich allmächtig sein. Als er das bejahte, fragte der Schüler, ob Gott dann einen so großen Stein schaffen könne, der so schwer sei, dass selbst Gott ihn nicht mehr tragen könnte. Er antwortete dem Schüler, dass auch das möglich wäre, da Gott sowohl die Kraft für die Schöpfung, als auch für die Unendlichkeit hätte. Und es sei genau dieser Glaube an Gottes Macht, die einen Christen in ebensolcher Weise stärken und diesen für dessen Ewigkeit vorsehen. Der alte Mann kann jetzt aber weder Schöpfung noch eine unendliche Göttlichkeit sehen. So wirft er mit Abscheu und unter Tränen seinen Rosenkranz in das noch lodernde Feuer im Herd.

In dieser Nacht wird der alte Mann nicht schlafen. Er fasst einen Entschluss. In seinem ausgefransten Kaftan hat er gut und sicher seine letzte Habe eingenäht. Goldmünzen, die er in noch guter Zeit, als wäre es weise Voraussicht, als Faustpfand für schlechte Tage gekauft hat. Sie sind das Letzte, was seine Familie noch besitzt. Ihr Wert ist nicht allzu groß, er wird aber vielleicht ausreichen, um ein sicheres Flüchtlingslager auf der türkischen Seite zu erreichen. Sein Ziel hat einen Namen: das Lager von Adiyaman.

11

In Kairo sitz Dr. Bashir Faruq an seinem edlen Schreibtisch. Die feine Maserung der Olivenbaumwurzel verleiht diesem eine besondere Eleganz und Bedeutung. Auf ihm steht das Namensschild aus Kupfer, eine englische Leselampe mit einem grünen Glasschirm und es liegen verschiedene Aktenmappen, fein säuberlich aufeinandergestapelt, in blauen, grünen, gelben und roten Pappeinschlägen, die mit mehrfarbig geflochtenen Kordeln zusammengebunden sind.

Faruq liest in einem dickeren Dokument und ist besorgt, über die Informationen, die ihm gerade vorgelegt wurden. Hiernach überlegen die europäischen Staaten, die Einreise von Flüchtlingen aus den IS-gepeinigten Regionen zu unterbinden, ja durch Erschwernisse förmlich zu verbieten. Hierbei steht besonders die Türkei im Visier der Europäer. Von den über 1,5 Millionen Menschen, die in der jüngsten Vergangenheit in die Türkei geflohen sind, seien zwar mehrere hundert Tausend wieder nach Syrien zurückgekehrt, aber nur knapp Dreihunderttausend lebten dort in Flüchtlingslägern.

Die meisten der Menschen hätten sich in den Regionen unkontrolliert verteilt, es herrscht kaum noch verlässliche Übersicht und es mischen sich immer mehr Terrorkämpfer, Attentäter und Menschen aus nicht betroffenen Regionen unter die Flüchtlinge, um über diese Weise einen schnellen Einreiseweg, legal und illegal, nach Europa zu erhalten.

Somit wird die Türkei, dem Bericht zur Folge, nunmehr nicht mehr allein als Aufnahmeland für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, sondern auch als Gefahrenquelle und als Transitland für Migranten, Wirtschaftsflüchtlinge aus Entwicklungsländern angesehen. Migranten, die nach den vorliegenden Informationen die türkischen Ausnahmeregelungen als sichere Streckenmöglichkeit nutzen, um von den Lägern und vor allen den unkontrollierten Flüchtlings-Camps aus über Griechenland oder Bulgarien nach Europa zu gelangen. Eine weitaus weniger lebensbedrohende Passage, als in einem dieser Todesboote über das Mittelmeer zu fliehen. Sie nutzen die "Politik der offenen Tür" für syrische Flüchtlinge und tragen dazu bei, dass die Türkei attraktiv ist, um von hier aus illegale Grenzübertritte zu versuchen. Zudem wird mit größter Sicherheit davon ausgegangen, dass die Türkei auch ein Transitland für Menschen aus der ganzen Welt ist, die sich dem IS, der al-Nusra oder anderen Terroreinheiten in Syrien oder dem Iran anschließen, um dort zu kämpfen. Die Türkei, mit seiner über 900 Kilometer langen Grenze nach Syrien, wäre somit ein Transferraum mit unüberschaubaren Mechanismen und Konsequenzen.

Faruq versteht diesen Bericht richtig. Er muss befürchten, dieser gibt den Auftakt dafür, die Freizügigkeit der Flüchtlinge nicht nur erheblich einzuschränken, sondern vielmehr zurückzuschrauben und eine Verschärfung der Einreise- und Aufenthaltsbedingungen zu erzielen. Die Europäer sorgen sich, dass über diese Kanäle eine zu große Schar von Flüchtlingen bis in ihre Länder gelangt. Sie glauben ja ohnehin, nicht noch mehr leisten zu können, ihre Kontingente seien erschöpft, in vielen EU-Ländern sogar überschritten und die Abwehrhaltung nimmt täglich zu. Millionen Menschen stehen in ganz Afrika und Osteuropa in den Startlöchern, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Sie streben in die Kernländer Europas – passieren aber dabei zwangläufig die Außengebiete, die Länder, die die Grenzen Europas zu schützen haben. Das wird nicht ohne Konflikte bleiben. Und wenn sich die Welle erst einmal in Bewegung gesetzt hat, wird es kein Halten mehr geben. Das werden die Regierungen der einzelnen Länder wissen – und Europa wird reagieren. Früher oder später.

Die in diesem Bericht aufgeführten Tatsachen werden möglicher Weise Regierungen und Staaten wachrütteln, das Abwehrverhalten einzelner verstärken oder die Gemeinschaft zerrütten, auseinander dividieren. Länder, wie Griechenland, haben zudem selbst so viele innenpolitische und wirtschaftliche Sorgen, dass jeder Flüchtling, der in ihr Land kommt, sei es auch nur für den Transfer, eine Belastung bedeutet. Darin erklärt sich wohl auch gerade das Verhalten Griechischer Behörden im Umgang mit Asylanten und Flüchtlingen, die derzeit in der Regel gleich wieder zurück abgeschoben werden, zur Abschreckung zuvor vielleicht noch eine Zeit im Gefängnis sitzen müssen.

Eine Verschärfung der Lage in der Türkei, ein Land, das Faruq bisher ganz bewusst als eine der sinnreichsten Drehscheiben für die Flüchtlingsströmungen verstanden hat, bedeutet unmittelbar auch eine Reduzierung der zuzulassenden Grenzübergänge, eine Verschärfung der Kontrollen, bis hin zu einer generellen Zurückweisung. Die Konsequenzen für die syrischen Flüchtlinge, die zum Teil unmittelbar aus den Kampfgebieten fliehen, weder über Besitz noch Mittel verfügen, werden unüberschaubar. Faruq weiß, dass das Leben kosten wird.

Die türkische Regierung hat sich ohnehin bisher sehr schwer getan, dem sich direkt vor ihren Augen abspielenden Massakern des IS nachhaltig entgegenzustellen. Gerade in Bezug auf die Region Kobane, in der vor allem die kurdische Minderheit lebt, wäre es jederzeit möglich, die Truppen der Perschmerga zu unterstützen, selbst wenn es nur durch Waffenlieferungen und Logistik erfolgte. Doch die türkische Hilfe blieb in derlei Punkten bisher aus. Und der von den USA geprägte Teil der Weltgemeinschaft hat hieran auch nicht viel zu ändern versucht.

Der internationale Druck auf die Türkei konzentrierte sich in erster Line darauf, dem Flüchtlingsleid im angrenzenden Syrien oder dem Iran nicht länger nur zuzusehen, sondern wenigstens die Grenzen zu öffnen und Auffangläger bereit zu stellen. Auch die Unterstellung, die Türken sähen dem Holocaust an den Kurden mit Genugtuung zu, da es schließlich die Kurden waren, die für innenpolitische Unruhen gegenüber der türkischen Regierung sorgten, haben dazu geführt, dass die Türkei sich Zug um Zug aufnahmewilliger gezeigt hat. Gründe, die jetzt geliefert werden und eine Umkehr dieser Zugeständnisse rechtfertigen ließen, wären der Türkei somit durchaus Recht. Ebenso Recht, wie jedes Argument, dass kriegerische Vernichtungsschläge gegen die Kurden rechtfertigen ließen.

Faruq befürchtet deshalb, dass es bald für viele Menschen zu spät sein könnte, den Weg in die türkischen Flüchtlingslager einzuschlagen. Seine Möglichkeiten sind aber weiterstgehend erschöpft. Die diplomatische Lage ist zwar offen, aber die ansteigende Verweigerung ist deutlich wahrnehmbar. Die reichen Länder haben eigene Schwierigkeiten. Die innenpolitischen Lagen sind gespannt und die Regierungen haben es mit einer zunehmenden Ablehnung in ihren Bevölkerungen zu tun, weitere Menschen aus den orientalischen Krisenherden in ihr Land zu lassen.

In Deutschland formiert sich eine immer größer werdende Liga gegen muslimische Einwanderer, unabhängig, ob es sich um Flüchtlinge oder Migranten handelt. Die rechten Flügel der Gesellschaft erstarken zunehmend und untermischen sich mit bürgerlichen Meinungsträgern aller sozialen Schichten. Die bisher eher liberale Haltung gegenüber den muslimischen Bevölkerungsschichten wandelt sich zunehmend in offene Ablehnung. Es brennen wieder die ersten Asylantenheime und es formieren sich extremistische Gruppierungen die das Volk aufwiegeln. Hier wird sich schnell die Frage anschließen, welchen Ausgang das alles mittelfristig nehmen wird, ob sich die Politik dauerhaft einem Volk widersetzen kann, dass sich vor Überfremdung fürchtet und rebelliert.

Die Menschen hören von Terroristen, die sich aus den eigenen Reihen oder den unzureichend integrierten Bürgern mit Migrationshintergrund bilden und dem IS zuströmen. Sie sehen Hassprediger auf den Märkten stehen und den Koran, die so heilige Schrift, für ihre Zwecke benutzen und Ängste schüren. Die Menschen befürchten eine anstehende Überflutung ihres Landes mit Andersgläubigen und lassen Unterscheidungen immer weniger zu, ebenso wie eine Anführung humanitärer Prinzipien.

Faruq ist sich sicher, dass es zu Eskalationen in dieser Frage kommen wird. Das wird schnell dazu führen, dass sich der innenpolitische Druck in den Staaten wie ein Propf festsetzen wird. Ein Propf, der den Weg zur Rettung, die Reise in die Freiheit und Sicherheit verschließt.

Was aber kann er noch tun? Er, der einer von denjenigen ist, der diplomatische Beziehungen in die höchsten Kreise unterhält, der inmitten des politischen Geschehens wirkt und dennoch keine Hebel in Händen hält, eine Umkehr, eine Besserung, eine Erlösung zu erzielen. Dr. Bashir Faruq: ein Mann mit so viel Einfluss und doch ein zahnloser Tiger. Wie kann er noch in sein eigenen Antlitz schauen, wissend, dass noch viel, viel mehr gemacht werden müsste, um nur einen Teil des Leides zu lindern.

Und er sitzt derweil an seinem eleganten Schreibtisch in Kairo, fliegt in Länder des Wohlstandes, wird vorgelassen, gehört und wieder nach Hause geschickt. Die Hände sind ihm gebunden, mehr kann er nicht tun, das weiß er nur zu gut.

Und Faruq fühlt sich klein und hilflos.

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