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Aussichten


Minn schirmte mit einer Hand die Augen gegen die Sonne ab. Selbst das Wetter zeigte sich zum Besuch des Purifikanten von seiner besten Seite. Nun, für die Verhältnisse des Nordens, was hieß, dass nur eine Handvoll Wolken am Himmel hingen. Einzig der seltsame rote Stern störte die Idylle.

Das Personal von Gut Eulenstein stand in Reih und Glied auf der Steintreppe vor dem Haupthaus, in seinen besten Kleidern, das Haar hübsch frisiert. Entlang der Allee hatte sich eine Elitegarde von Blaurieds Dampfbogenschützen in ihren hellblauen Brustpanzern aufgepflanzt.

Minn stellte sich auf Zehenspitzen und reckte den Hals. Zwar stand sie auf der obersten Treppenstufe, aber Schussel-Ann, ihre Freundin aus der Küche, hatte ihrem Namen mal wieder alle Ehre gemacht und vergessen, ihr einen guten Platz frei zu halten. Nun stand ausgerechnet der Pferdeknecht Foy mit seinen Storchenbeinen vor Minn. Dabei wollte sie doch nichts verpassen! Sie puffte Foy in die Rippen und schob ihn an seiner Schulter zur Seite. Der Knecht kannte Minn gut genug, um die Prozedur widerstandslos über sich ergehen zu lassen.

So. Schon viel besser. Und gerade rechtzeitig. Was für ein Gefolge da ankam! Das mussten um die zweihundert Krieger sein, dazu rumpelnde Kolbenwaggons mit Vorräten und Gesinde mit Packpferden. Und natürlich die über und über mit Goldplättchen bedeckte Dampfkutsche des Purifikanten, die den Eindruck erweckte, eine kleine Sonne käme über die Straße gerollt. Minns Blick fiel auf zwei Reiter hinter dem Gefährt. Der eine war mittelgroß und saß kerzengerade im Sattel. Er hatte eisgraues Haar, einen Schnauzbart und verströmte selbst über die Entfernung hinweg Kraft und Zuversicht. Trotz der imposanten Erscheinung fesselte vor allem sein Nebenmann Minns Aufmerksamkeit. Ein drahtiger junger Kerl, einen halben Kopf größer als sie, mit störrischem braunem Haar, das ausgeprägte Wangenknochen rahmte. Der sah aus wie … nein, Donnerkeil und Blitzgewitter, das war Toryan! Aber was machte der im Gefolge des Purifikanten? War er befördert worden? War das der Grund, dass er nicht bereits wie angekündigt vor einigen Tagen eingetroffen war, ohne Bescheid zu geben? Seine Züge hatten etwas Rebellisches, ohne dass Minn hätte sagen können, ob dieser Eindruck vom energischen Zug um seinen Mund oder der Art herrührte, wie er verkniffen auf die Kutsche – oder einen der Paladine? – starrte. Wieso wohl?

Na, ich werd es schon rausbekommen, jubilierte Minn innerlich. Sie liebte es, Geheimnisse zu lüften. Das war fast so schön wie die Vorfreude, Toryan bald wieder in die Arme zu schließen. Fast.

Wenn er denn wirklich sein Versprechen gehalten und auf mich gewartet hat, schoss ihr durch den Kopf. Was waren schon die wenigen Wochen, die sie gemeinsam verbracht hatten, als er im Vorjahr mit den anderen neuen Rekruten nach Gut Eulenstein gekommen war, um von Grimnur etwas über Nahkampf und Schleichangriffe zu lernen? Vielleicht hatte er längst eine andere? Na, dann gnade ihm Asgreal.

Der Steuermann auf dem Kutschbock zog einen Hebel, und die Dampfkutsche hielt derart schwungvoll vor dem Hauptgebäude, dass links und rechts Kies wegspritzte. Schussel-Ann, die in der vordersten Reihe stand, bekam ein Steinchen ins Gesicht, schrie auf und taumelte nach vorn. Dabei verlor sie die Balance und krachte Stirn voran in die Seitenwand der Kutsche. Es klang, als würde ein Gong geschlagen. Schadenfreude und Mitleid führten einen heftigen Ringkampf in Minn – mit dem besseren Ende für Schadenfreude. Minn hielt sich den Bauch vor Lachen. Die anderen Umstehenden kicherten oder grinsten, wurden aber schlagartig ernst, als sich die Kutschtür öffnete. Der grau gelockte Mann, der ihr entstieg, trug eine Purpurrobe und eine goldene Stola. In den Augen seines asketisch hageren Gesichtes loderte ein inneres Feuer. Beim Anblick der jammernden Ann verzog er das Gesicht, als sei er im Begriff, in etwas Schleimiges zu greifen.

Das muss der Purifikant Damian sein, dachte Minn. Genauso ein Hochnas wie Armengal. Ihre Heiterkeit verflog. Sie eilte zu Ann, knickste kurz vor dem Purifikanten und zog die Magd am Arm mit sich hinter die Gartenhecken, ehe Ann noch mehr Schaden anrichten konnte.

»Aua, mein Kopf«, jammerte Ann und betastete das blaurote Horn, das auf ihrer Stirn zu wachsen begann.

»Sei lieber froh, dass dein Hohlschädel keine Delle in den Goldklumpen auf Rädern gemacht hat«, sagte Minn. »Sonst hättest du mit etwas Pech beim alten Armengal Buße tun müssen.«

»Dem gefällt es etwas zu sehr, uns Bedienstete im Namen des Lichts zu züchtigen.« Ann schauderte.

»Eben.« Minn bleckte die Zähne beim Gedanken an die gierigen Griffel des Kardinals. »Kürzlich hat er den armen Onno so geohrfeigt, dass die Wange stundenlang rot war, nur weil der in seiner Gegenwart gegähnt hat. Dabei ist der Junge erst neun.«

»Mir ist schwindelig. Ich glaube, ich muss mich übergeben.«

»Das lässt du schön bleiben. Setz dich da an den Brunnen. Vorsichtig. Ja, so.«

Nachdem Minn die Beule auf Anns Stirn mit Brunnenwasser gekühlt und sich vergewissert hatte, dass die Magd nicht ernsthaft verletzt war, eilte sie zurück zum Hof. Der Purifikant und seine wichtigsten Würdenträger waren bereits ins Herrenhaus verschwunden. Die Soldaten wurden in das lang gezogene Gästehaus geführt, das einst als Stall gedient hatte. Toryan war zurückgeblieben, um die Kutsche mit einer Plane abzudecken. Ob er sie gesehen hatte und auf sie wartete?

Als hätte Minn laut gedacht, sah er sie an, lächelte ihr mit strahlend weißen Zähnen zu und öffnete die Arme.

He, bildete der Kerl sich etwa ein, sie würde jetzt zu ihm hin­rennen, als hätte sie ihn vermisst? Also so was. Wenn, dann hatte er zu ihr zu kommen. Minn plusterte die Wangen auf und stolzierte betont langsam Richtung Kutsche.

»He, du da.« Ein anderer Soldat kam ihr mit einem Pferd am Zügel aus Richtung der Stallungen entgegen. »Ja, dich mein ich. Das dürre Ding mit den dicken Wangen. Bring was zum Striegeln für mein Ross. Und wenn du schon dabei bist, ’n Ingwerbier für mich. Zack, zack!«

Trotz erwachte in Minn. Angriffe und Provokationen jeder Art hatte sie noch nie einfach hinnehmen können, und seit Kurzem war ihr, als warte ein besonders kratzbürstiger Teil ihres Inneren nur darauf, sich in eine Auseinandersetzung stürzen zu können.

Sie blieb stehen und musterte den Kerl. Er war muskulös und annähernd so breit wie hoch, mit kurz geschorenem Haar und einem Kinn wie eine Sturmlaterne. »Donnerkeil und Blitzgewitter«, sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen, »so was Hässliches hab ich selten am Ende eines Zügels gesehen.«

»Der Hengst ist erschöpft vom langen Ritt, dumme Gans«, schnaubte der Soldat.

»Wer spricht denn von dem Pferd?«

Der Mann brauchte einen Moment. Als er verstand, färbte sich sein Gesicht puterrot. »Na warte. Ich werde …«

»Du wirst jetzt in Ruhe dein Pferd versorgen, Orlid.« Toryan eilte herbei – na bitte, ging doch – und legte seinem Kameraden die Hand auf die Schulter.

»Lass ihn.« Minn tappte mit dem Fuß auf den Boden. »Bin schon gespannt, was Stoppelkopf als Nächstes vorhat.«

»Reiz ihn nicht noch«, warnte Toryan.

»Der versteht eh nicht, was ich sage«, scherzte Minn. »Vielleicht, wenn ich’s ihm vorgrunze?«

Das war zu viel für Stoppelkopfs gekränkte Soldatenehre. Er schüttelte Toryans Hand ab, stapfte auf Minn zu, holte aus …

… und landete mit einem so gewaltigen Phumpp auf dem Hofboden, dass Staub aufwallte. Minn setzte sich auf seinen Brustkorb, seinen Schlagarm in einem Hebel, aus dem selbst ein wütender Bär seine Tatze nicht hätte befreien können. Grimnurs Training zahlte sich aus! Das Schöne war, dass ihr noch eine Hand frei blieb. Sie schüttelte ihr Messer aus dem Ärmelsaum und hielt es so nah an Orlids Hals, dass sie ihm die Barthaare hätte rasieren können. »Mann oder Memme?«, schnurrte sie.

Der Kerl versuchte sich mit aller Kraft zu befreien. Minn strahlte und zog den Hebel an.

»Minn«, donnerte Rynas Stimme über den Hof. »Lass auf der Stelle los.«

»Und dabei hat’s grad angefangen, Spaß zu machen«, brummte Minn, wohlweislich so leise, dass nur der ächzende Orlid es hörte. Sie löste den Hebel, sprang auf die Füße und ließ das Messer unter der Kleidung verschwinden.

»Du … wieso hast du …« Ryna stand vor ihr, am ganzen Körper zitternd, einen Ausdruck nahe der Panik im Gesicht. Minn schluckte. Alle diebische Freude verschwand schlagartig. So hatte sie die Matrone noch nie gesehen.

»Mein Herr«, wandte sich Ryna um Fassung bemüht an den Soldaten. »Bitte verzeiht. Sie ist jung und dumm.«

»Ist das eure Gastfreundschaft?« Orlid rappelte sich auf und rieb sich den Arm. »Wartet, wenn das der Purifikant erfährt.«

»Nein«, entfuhr es Ryna. »Lasst ihn da raus, bitte.«

Der Soldat musterte sie gehässig. »Warum sollte ich?«

»Weil er dich zurück nach Gorvul schickt und zum Fliesen­schrubber degradiert, wenn er hört, was hier passiert ist.« Toryan klopfte Orlid auf die Schulter. »Also hör auf, den Frauen Angst zu machen.«

Orlid presste die Lippen aufeinander.

»Hohe Dame, habt Nachsicht.« Der junge Mann schenkte Ryna ein umwerfendes Lächeln. »Mein Kamerad hat Eure Magd zuerst respekt­los behandelt.«

Die Matrone starrte mit offenem Mund erst Minn, dann ihn an. »Ihr seid Herr Toryan, nicht wahr?«, sagte sie schließlich. »General Nobu will Euch sehen. Und du.« Ihr Zeigefinger stach Richtung Minns Brust. »Du flitzt auf der Stelle in die Küche. Ann soll dem anderen Gast Tee zubereiten, und du weißt ja, wie schusselig sie ist.«

»Welchem anderen Gast?«, fragte Minn verdattert.

»Beim dreischwänzigen Affen, wo treibst du dich bloß ständig rum?« Ryna warf die Hände über den Kopf. »Herr Rojin ist kurz nach Seiner Exzellenz eingetroffen.«

»Der Freischärler? Den würde ich gern sehen«, bemerkte Toryan.

»Ihr folgt mir erst mal zum General.« Rynas Stimme bekam jenen Unterton, bei dem sich das Personal von Gut Eulenstein schleunigst sputete, ihren Wünschen nachzukommen. Offenbar waren Toryans Überlebensinstinkte gut ausgeprägt, denn er zog den Kopf ein und nickte.

»Bis später«, flüsterte er Minn im Vorbeigehen zu.

Sie widerstand dem Drang, ihm einen Klaps auf den Hintern zu geben, und sah ihm stattdessen nach, bis er ins Gebäude verschwand.

»Wenn der Tee kalt wird …«, begann Ryna mit gefährlicher Ruhe.

»Bin schon weg«, rief Minn. Und diesmal eilte sie sich tatsächlich.

11

Teestunde


Minn bekam das Grinsen kaum mehr aus dem Gesicht. Wann hatte zuletzt so viel Leben auf Gut Eulenstein gebrodelt? Dienstbare Geister wuselten umher, Vasen mit frischen Blumen bezauberten das Auge – und das Beste, Toryan war da, der Griesgram Armengal außer Haus. Selbst dass sie mit niemandem über ihre Sichtung des Nachtkrabblers reden durfte, konnte ihr die Laune nicht verderben.

Der Duft nach Brot und Zimt, Gebratenem und Gebäck hätte ihr selbst dann den Weg zur Küche gewiesen, wenn sie ihn nicht im Schlaf gekannt hätte. Die Küche lag ebenerdig und war anders als der Rest des Anwesens hell und freundlich. Der Boden hatte ein Schachbrettmuster, durch die Fenster konnte man Beete sehen. An den Wänden hing eine ganze Armada blitzblank geschrubbter Pfannen, Schüsseln und Töpfe, der ausladende Kochkamin verbreitete Wärme und Heimeligkeit. Stimmengewirr und hektische Betriebsamkeit verliehen dem Raum etwas von einem Bienenstock. Wundervoll!

Minn kam oft hier herunter, um einen Plausch zu halten oder die eine oder andere Leckerei abzugreifen. Allerdings immer kurz. Denn so gern sie naschte, Küchendienste mied sie wie ein Welpe den Waschzuber.

Ihre Nase zog sie zu einem Blech frischen Stollen, den der pausbäckige Wilbert eben aus einem der Öfen zog. Minn erschnupperte Marzipan, Rosinen und Nelke. Sie leckte sich über die Lippen und strahlte den Bäcker mit einem Lächeln an, neben dem selbst das auf Hochglanz polierte Silberbesteck verblasste.

»Aber nur ein Eck, Minn.« Wilbert säbelte ihr ein handbreites Stück Stollen ab. Sie biss hinein und stöhnte vor Wonne. Der Bäcker grinste bis über beide Ohren. »Wenn du ein wenig wartest, ist die Marmelade fertig. Damit schmeckt’s noch besser.«

»Kannich«, murmelte Minn mit vollem Mund. »Muss Ann mit’m Tee helfen.« Sie schluckte. »Wo steckt sie überhaupt?«

»Da kommt sie.« Wilbert deutete auf die Treppe, die aus der Küche zum Gästetrakt führte.

Die Stiegen waren schmal und steil. Minn hielt unwillkürlich die Luft an, als sie ihre Freundin ein Tablett voll mit Teeporzellan balancieren sah. »Ich helf ihr mal besser.« Sie stopfte sich den Rest Stollen in den Mund, schleckte die Krümel von der Fingerspitze und wandte sich Richtung Treppe.

»Hab’s schon«, rief Ann, den Fuß auf der vorletzten Stufe.

Der Teekessel auf dem Herd zischte unvermittelt wie ein Igel, dem jemand im Dunkeln auf die Nase tritt. Ann kreischte, das Tablett flog durch die Luft und das Teeporzellan … nun, Minn konnte nur hoffen, dass Scherben tatsächlich Glück brachten. Ann lag mit schmerzverzerrtem Gesicht am unteren Ende der Treppe und hielt sich den Knöchel. Sofort eilten die Umstehenden herbei, darunter Philem, der riesenhafte, strenge Küchenmeister.

»Alle zurück an die Töpfe«, befahl er. Fachkundig betastete er Anns Fuß. Als er unterhalb des Knöchels drückte, wimmerte sie leise.

»Verstaucht«, stellte er fest. »Du wirst vorerst kein Essen mehr servieren. Algensud und Wachtelei, ausgerechnet heute, wo ich keinen Koch und keinen Gehilfen entbehren kann.«

Sein Blick fiel auf Minn, deren Versuch, sich hinter Wilbert wegzuducken, kläglich scheiterte. Philems Augen blitzten.

»Du wirst den Gast bedienen.«

»Heute muss mein Glückstag sein«, grummelte Minn. Dann fiel ihr auf, dass es zur Abwechslung gar nicht schlecht war, einen Botengang aufgebrummt zu bekommen. Vielleicht konnte sie so mehr darüber rausfinden, was es mit dieser Zusammenkunft auf sich hatte. Sie strich sich ihr Kleid glatt, setzte ihre freundlichste Miene auf und knickste. »Es wird mir eine Freude sein, Euch auszuhelfen, damit Ihr in Ruhe weitere Köstlichkeiten zubereiten könnt.«

Philem kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Dass du mir keinen Blödsinn machst.«

»Wer, ich?« Ihre Miene war reinste Unschuld. »Niemals.«

»Besser wär’s, Mädchen.« Er klopfte sich vielsagend mit dem Kochlöffel in die Hand. »Besser wär’s.«


Der Tee duftete himmlisch nach frischem Gras, Pfirsich und Jasmin. Minn hätte allzu gern gekostet, aber wenn sie dabei erwischt würde, wäre Schluss mit lustig. Eine Handvoll dieser Teeblätter kostete mehr als ihr Wochenlohn.

Ihre Schritte hallten von den Bodenfliesen in der Eingangshalle des Herrenhauses wider. Eine antike Rüstung bewachte die Tür zum Audienzzimmer. Minn streckte dem Blechmann die Zunge heraus. Weil sie beide Hände voll hatte, stieß sie die Tür mit der Fußspitze auf. Protestierend schwang diese auf und gab den Blick auf eine Sessel­gruppe frei, die um Tischchen aus dunklem Holz drapiert war. Die Sitzmöbel bildeten einen scharfen Kontrast zum kühl glänzenden Chrom des Wandregals, in dem Armengal die Bücher und Folianten zur Schau stellte, die früher im Besitz von Graf Dalglen gewesen waren. Minn bezweifelte, dass der alte Knacker von Kardinal die Werke je gelesen hatte.

Ein hochgewachsener Mann mit von Silber durchzogenem dunkelblondem Haar stand vor dem Regal und strich mit den Fingerspitzen über einen Buchrücken. Schlank, aber breitschultrig, mochte er sowohl Gelehrter als auch Kämpfer sein. Der hellen Haut nach zu urteilen, bekam er nicht viel Sonne ab, was durch das Grau seines Wamses noch betont wurde. Die Hosen waren von tiefem Blau, am Gürtel prangte ein Schwert mit schwarzer Scheide und silber­umwickeltem Griff.

Er wandte sich stirnrunzelnd um, als Minn die Tür aufdrückte. Die Fältchen an seinen Schläfen zeigten, dass er oft und gern lächelte, doch in den smaragdgrünen Augen lag Schwermut – die augenblicklich verschwand, als er den Tee schnupperte. »Mmh, dich schickt der Himmel.« Mit der Hand wedelte er den Dampf zu sich herüber. »Oder vielmehr die freundliche Matrone dieses Hauses, schätze ich.«

»Eigentlich war’s der Koch.« Minn musste lachen. »Wo darf ich den Tee hinstellen?«

»Einfach auf den seltsamen Tisch da, der aussieht wie das Hinterbein einer Riesenechse.«

Sie tat, wie ihr geheißen und sog dabei noch mal den verführerischen Duft ein. Draußen vor dem Fenster schoben sich Wolken vor die Sonne. Ein Sturm zog auf.

»Wie heißt du?«

»Hm? Ach so, mein Name ist Minn. Und Ihr seid Herr Rojin, richtig? Der Händler, Berater und Freischärler.«

»Sagt man das alles von mir?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Na, dann wird wohl was dran sein. Setz dich. Nimm dir auch eine Tasse, wenn du magst.«

»Oh. Das wäre Herrn Armengal sicher nicht recht.«

Der schelmische Zug um die Mundwinkel des Freischärlers verbreiterte sich zu einem spitzbübischen Schmunzeln. »Erstens ist er nicht hier. Und zweitens wäre es sehr unhöflich, einen Gast allein trinken zu lassen.« Er imitierte die Stimme Armengals so perfekt, dass Minn unwillkürlich lachen musste. Dieser Besucher war so gar nicht wie die üblichen Gäste des Kardinals. Wobei, auch Toryan war ja ganz anders gewesen als seine Kameraden. Sie dachte daran, wie er in jeder Freistunde immer zufällig dort aufgetaucht war, wo sie gerade zu tun hatte. Wie er ihr geholfen hatte, das entlaufene Maultier wieder einzufangen, und wie sie ihn zum Dank zum Picknick an ihren Lieblingsplatz am Weiher an der Gutsgrenze entführt hatte. Wie sie sich das erste Mal geküsst hatten … Sie verdrängte sein Gesicht aus ihren Gedanken, ließ sich in einen der Ohrensessel sinken und nahm eine Tasse. Der Tee schmeckte noch besser, als er roch. Welch ein Göttergebräu. »Darf ich Euch was fragen?«, wollte sie zwischen zwei Schlucken wissen.

»Sag ruhig Du zu mir.« Der Freischärler griff mit beiden Händen eine Teetasse und schnupperte genießerisch den Dampf ein, ehe er trank. »Und klar, frag.«

»Ihr … ich meine, du kommst doch aus Dimmgrund?«

»Ja. Und?«

»Da ist es schummrig, und jede Menge seltsame Wesen streifen dort herum. Also – wieso?«

Seine Augen funkelten amüsiert. »Eigentlich hat meine Heimat viele schöne Seiten. Zum Beispiel den Silberschattenhain. Nichts von Übel kann dort bestehen. Kein Lärm kommt dorthin, keine Hast und kein Leid.«

»Warum lebst du dann nicht immer dort?«

»Es ist ein Ort, der Frieden schenkt, aber keiner, an dem man ohne Unterlass verweilt. Verstehst du, was ich meine?«

»Hm. Ist er so was wie ein Tempel?«

Rojin rieb sich das Kinn. »Im gewissen Sinne. Nur zum Glück ohne Vorschriften.«

»Was ist an denen schlecht?«, fragte Minn belustigt.

»Prinzipiell nichts.« Er lächelte wieder sein entwaffnendes Lächeln. »Aber man sollte sich stets fragen, wer sie macht und warum.«

»Ja, ich würd gern mal wohin, wo keiner mir predigt, was falsch und richtig ist«, rutschte es Minn heraus. Sie schlug sich die Hände vor den Mund. Was war mit ihr los, dass sie ihr Herz so auf der Zunge trug? Sie kannte diesen Mann kaum. Bestimmt die Schuld von diesem Toryan, der ihr ständig im Kopf rumspukte.

»Das kann ich mir vorstellen. Du kannst mich ja mal in Dimmgrund besuchen und dir den Hain anschauen.« Er trank seinen Tee aus. »So gern ich mit dir plaudere, ich fürchte, jetzt musst du mich entschuldigen. Das Konklave rückt näher, und ich muss mich noch vorbereiten.«

»Selbstverständlich.« Sie stand auf und knickste. »Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«

»Ebenso, Minn.«

12

Treffen in der Nacht


Noch mal von vorn.« Nobu strich sich über den Schnurrbart und fixierte Toryan streng. »Wie verhältst du dich beim Konklave?«

»Ich antworte nur auf Fragen, die man mir stellt«, rezitierte Toryan, was der General ihm eine Stunde lang eingehämmert hatte. »Trinke nur etwas, wenn man es mir anbietet. Setze mich nur, wenn ich dazu aufgefordert werde. Und gehe erst, wenn man mich aus der Versammlung entlässt.«

»Richtig. Und?«

»Und vor allem halte ich mein freches Mundwerk im Zaum.« Toryan unterdrückte ein Augenrollen. Trotz der guten Ratschläge wäre er lieber einem Rudel ausgehungerter Widerborste gegenübergetreten als der Gesellschaft bei der Versammlung. Dummerweise ließ ihm niemand die Wahl.

Nobu fasste mit beiden Händen seine Oberarme und drückte sie. »Du bist bereit, Junge. Vorausgesetzt, du kannst das bis Morgen im Kopf behalten. Kommst mir etwas abwesend vor.«

Toryan rang sich ein Lächeln ab. Das fehlte noch, dass er dem General gegenüber erwähnte, dass er die ganze Zeit ein Mädchen im Kopf hatte.

»Jetzt geh und wasch dir den Staub von der Reise ab, putz deine Stiefel und sieh zu, dass du eine Mütze voll Schlaf bekommst«, sagte Nobu. »Wir sehen uns morgen.«


Toryan kratzte sich am Kopf. Verlaufen. In einem Herrenhaus. Manno­mann, war das peinlich.

Hätte er bloß besser aufgepasst, als die Matrone ihm den Weg von General Nobus Zimmer zu seinem Quartier erklärt hatte. Stattdessen musste er ständig an Minn denken. Jetzt, wo er sie wiedergesehen hatte, merkte er überdeutlich, wie sehr er sie vermisst hatte. Sie war mutig, humorvoll, hübsch …

… und sie ist schuld daran, dass du nun auf einem Korridor stehst und keine Ahnung hast, wo du hinsollst, Toryan Trottelkopf, schalt er sich.

Da rumstehen ihn garantiert nicht ans Ziel bringen würde, stapfte er weiter. Samtläufer dämpften seine Schritte. Durch die Seitenfenster fiel trübes Licht auf die Porträts blasierter Männer und sauer­töpfisch dreinblickender Frauen. Das war aber auch ein Riesenkasten! Zu düster für Toryans Geschmack, erfüllt von einer verblätternden Pracht, die ihn an einen Kater erinnerte, der einst ein stolzes Revier beherrscht hat und nun nur noch sein ergrautes Fell vor dem Kamin wärmt.

»Suchst du etwas, schöner Fremder?«

Er fuhr herum. Hinter ihm stand Minn, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt. Obwohl sein Herz einen Hüpfer machte und er sie am liebsten sofort in die Arme geschlossen hätte, spielte er mit.

»Ähm, ja. Mein Zimmer.« Seine Ohren glühten. Blöde Ohren.

»Ich weiß, wo es ist.«

»Wunderbar«, entfuhr es ihm.

»Es liegt unterm Haus.« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Nase. »Wenn ich’s recht bedenke, ist es mehr ein Verlies. Mit Moos an den Wänden und allem.«

»Ein … wie bitte?«

»Heimelig, oder, für ein Soldatenschaf wie dich?« Ihre Katzenaugen funkelten.

»Ich bin kein Schaf«, protestierte er empört, »sondern Grenzwächter in Dimmgrund. Ich hab einen Engel sterben sehen.«

Ihre Augen weiteten sich. Toryan biss sich auf die Zunge. Zu spät. Er konnte sich seine Worte ja schlecht zurück in den Mund stopfen.

Minn hob einen Finger. »Vorschlag. Ich zeig dir den Weg, dafür erzählst du mir mehr davon.«

»Ganz schön neugierig, junge Dame.«

»Ich bin keine Dame. Frag deinen Freund Orlid.«

»Den hast du ordentlich versohlt.« Er musste lachen.

»Ich nenne das Frühsport.« Sie grinste. »He, ich hab mich noch gar nicht bedankt, dass du mir vorhin geholfen hast.« Sie ging zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen, schloss die Augen und küsste ihn. Endlich. Er hätte es keinen Moment länger aushalten wollen.

»Nicht der Rede wert«, sagte Toryan kurze Zeit später.

»Nicht, dass ich deine Hilfe gebraucht hätte.«

»Auf keinen Fall.«

»Gut, dass wir uns da einig sind.« Sie umfasste seine Hände und lächelte. »Du trägst noch das Armband, das ich dir letztes Jahr am Weiher geknüpft habe.«

Er nickte. »Es ist ein wenig ausgefranst, aber es hat mir immer Glück gebracht.«

»Das ist schön.«

»Wunderschön.« Er streichelte ihre Handrücken.

»Dann folge mir in dein Zimmer, Schafskopf«, neckte sie.

»Jawohl, Määäähsterin der Wege.«

Sie knuffte ihn in die Seite. Aber sie zwinkerte dabei.


Minn hatte nicht bleiben können, aber versprochen, bei Toryan vorbei­zukommen, sobald ihre Pflichten erledigt seien. Nun fiel bereits Sternenschein durch das Fenster, der Docht der Tischlampe war beinahe heruntergebrannt. Aber keine Minn weit und breit.

Der Kardinal war am frühen Abend zurückgekehrt, zusammen mit der Delegation aus Freiholt. Hatte sie deshalb womöglich weitere Aufgaben aufgebrummt bekommen? Oder hatte sie schlicht keine Lust, Toryan zu sehen? Aber dann hätte sie es ihm doch gesagt. Ja, gewiss. Oder?

Toryan zwang sich, nicht länger auf und ab zu tigern oder in den Wandspiegel zu blicken, ob sein Wuschelhaar halbwegs glatt gekämmt lag. Stattdessen setzte er sich auf den quadratischen Holzklotz, von dem er nicht wusste, ob es ein Tisch oder ein Hocker sein sollte, öffnete eine Flasche Ingwerbier und schlug sein vom vielen Lesen zerfleddertes Exemplar von Die fünf Wege des Sieges auf. General Nobu hatte das Buch nach dem Krieg gegen Freiholt verfasst. Es galt als Meisterwerk in Kriegstaktik sowie für das Schmieden von Allianzen. Für gewöhnlich versank Toryan ganz und gar in der Lektüre, doch heute musste er jeden Satz dreimal lesen.

Er gab auf und klappte das Buch zu. Starrte auf den Einband. Trommelte mit den Fingern auf seinem Oberschenkel. Stand auf, öffnete die Tür einen Spaltbreit, linste hinaus. Keine Minn. Aber was war das? Da standen Nobu und die Matrone Ryna vor dem Zimmer am Ende des Flurs. Was führte sie hierher? Toryan überlegte noch, ob er sich bemerkbar machen sollte, da öffnete sich die Tür. Der Freischärler Rojin spähte auf den Gang, dann winkte er die beiden hinein.

Toryan kratzte sich am Kopf. Dass sich der General und der Freischärler am Vorabend des Konklave auf ein Gespräch trafen, nun gut. Bloß warum setzten sie sich nicht bequem ins Kaminzimmer? Und was machte die Matrone bei ihnen?

Rätsel über Rätsel. Und noch immer nichts von Minn zu sehen.

Frustriert kehrte Toryan zu seinem halb vollen Bier zurück. Er würde ins Bett gehen, sobald er es ausgetrunken hatte. Jawoll.

Nie zuvor hatte er derart langsam an einem Getränk genippt.

Als er den letzten Zug nahm und sich damit abzufinden versuchte, dass Minn ihn versetzt hatte, klopfte es. Mit angehaltenem Atem öffnete er die Tür. Da stand sie, in Hosen und Leinenbluse und mit diesem schalkhaften Lächeln, das Sterne durch seinen Kopf tanzen ließ. Am liebsten hätte er den Anblick für alle Ewigkeit eingefangen.

Sie streckte ihm einen grobborstigen Schrubber hin. »Da. Alles, was man für die Schaffellpflege braucht.«

»Phänomäääähnal«, gab er zurück.

Beide lachten.

»Alle meine Aufgaben sind erledigt«, sagte Minn. »Bis morgen früh habe ich frei.«

»Das freut mich.« Dämliche Antwort. Dämlich, dämlich.

Sie sahen sich an. Toryans Mund wurde sandsteintrocken. Und wieso bitte klopfte sein Herz so schnell, als sei er meilenweit gerannt?

»Weißt ja, ich bin neugierig.« Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Ihr Haar glänzte und roch nach Hafermilch und Himmel.

»Was willst du denn wissen?« Bei Bimbadims Bart, jetzt war zu allem Überfluss seine Stimme rau.

»Wer du bist.« Sie berührte seine Schulter. »Ein Soldatenschaf, das nur hier ist, weil sein General es befiehlt? Oder der Mann, mit dem ich Geheimnisse und Träume geteilt und in den ich mich verliebt habe?«

»Ich bin verzaubert«, sprudelte es aus ihm heraus. »Und ich bin der Mann, der dich liebt. Ich wäre schon viel früher gekommen, wenn ich gekonnt hätte. Und ich wünschte, ich könnte bleiben. Aber wenn die Truppen weiterziehen, muss ich mit.«

Sie trommelte mit den Fingerspitzen auf seine Brust. »Was meinst du? Schaffen wir es, heute Nacht nicht an Morgen zu denken?«

Er nickte. Ihre Lippen berührten einander, sachter als Tau die Blüten. Sie fuhr mit dem Finger die Form seines Kinns nach. »Du hast ja wirklich eine große Klappe.«

»Und du bist und bleibst ein Frechdachs.« Er zog sie an sich und gab ihr einen Klaps auf den Hintern.

Zur Antwort krallte sie ihre Fingernägel in seinen Rücken und saugte seine Lippen zwischen ihre, als wollte sie seine Seele inhalieren. Er löste sich, küsste ihren Hals, wanderte mit der Zunge aufwärts, knabberte an ihrem Ohrläppchen.

Minn vergrub den Kopf an seiner Schulter. »Ich mag das«, murmelte sie, während sie sein Hemd aufknöpfte. »Nur beiß mich nicht.«

»Entschuldige«, sagte er. »Ich wollte nicht …«

»Klappe, Schafskopf.« Sie stieß ihn aufs Bett, setzte sich rittlings auf ihn, vergrub ihre Hände in seinem Haar. Er spürte die Hitze ihres Körpers durch die Kleidung, ließ seine Hände unter ihr Wams gleiten, über ihren Rücken, ihre Taille. »Mach jetzt bloß nicht Mäh«, murmelte sie.

Er verschloss ihren frechen Mund mit Küssen.

Sie richtete sich auf, ließ ihr Becken kreisen, strich ihm übers Schlüsselbein, krallte beide Hände in seine Brust. Toryan hörte keuchende Atemstöße und stellte überrascht fest, dass es seine eigenen waren. Er fasste sie um die Hüfte und drehte den Kopf, sodass sein Hals frei lag. Er liebte es, dort geküsst zu werden.

Minn stieß ein halb lustvolles, halb gequältes Wimmern aus, leckte sich die Lippen, näherte sich mit offenem Mund seiner Kehle. Im nächsten Augenblick schüttelte sie den Kopf, als hätte irgendwer ihr etwas zugerufen. Statt seinen Hals zu liebkosen, umfasste sie sein Gesicht und drehte es zu sich. »Bleib so«, bat sie. »Sieh mich an.«

Er tat, was sie verlangte. Sie stieß ihn nicht mehr von sich, bis sie nackt und nassgeschwitzt in wohliger Erschöpfung nebeneinanderlagen.

399
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9783959916295
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