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Den Hund trainieren – Ein Ausflug in die Lerntheorie

„Lernen besteht in einem Erinnern von Informationen, die bereits seit Generationen in der Seele des Menschen wohnen.“

Sokrates

In allen Bereichen des Lebens erschließt sich für viele Menschen mehr und mehr die Frage, welchen Anteil man selbst an bestimmten Reaktionen im eigenen Umfeld hat. Auch im Training von Hunden wird zunehmend einiges hinterfragt. Dabei wäre ein wertfreier, nicht von Emotionen überladener Austausch wünschenswert, wie er gerade auf vielen wissenschaftlichen Gebieten weltweit stattfindet. Nur gemeinsam und wertfrei finden wir zu Lösungen, die für alle Systeme einen anderen Blickwinkel eröffnet. Im Folgenden möchte ich über die in der Hundeszene aktuell diskutierten Erziehungsstile von Hunden zum Nachdenken anregen.

In der Lerntheorie der behavioristischen Lernpsychologie wird zwischen den Begriffen Belohnung und Strafe unterschieden. Dabei soll eine Belohnung dazu führen, dass das entsprechende Verhalten in der Zukunft öfter auftritt. Eine Strafe hingegen soll das entsprechende Verhalten hemmen. Die Verwendung der Begriffe „positiv“ und „negativ“, führt jedoch oftmals zu Wertungen. Mit dem Wort „positiv“ ist nicht etwa „gut“ gemeint, sondern schlicht, dass etwas hinzugefügt wird oder beginnt. Mit „negativ“ ist nicht „schlecht“ gemeint, sondern, dass etwas weggenommen wird oder aufhört.

Training mit dem Hund wird im lerntheoretischen Sinn so definiert:

 Positive Strafe: Ein unangenehmer Reiz wird hinzugefügt. (Ein Verhalten soll weniger auftreten)

 Negative Strafe: Ein angenehmer Reiz wird entzogen. (Ein Verhalten soll weniger auftreten)

 Negative Verstärkung: Ein unangenehmer Reiz wird entzogen. (Ein Verhalten soll verstärkt werden).

 Positive Verstärkung: Ein angenehmer Reiz wird hinzugefügt. (Ein Verhalten soll häufiger auftreten)

Natürlich gibt es unzählige komplexe Konditionierungsformen, denen wir in unserem Alltag ausgesetzt sind, oder die wir, zumeist unbewusst, auch selbst anwenden. Zum Beispiel kennt jeder von uns die Effekte, die eine bestimmte Werbung bei uns auslöst. So wirkt Konditionierung beispielsweise auch in Supermärkten, indem günstigere Produkte meist nicht in Augenhöhe plaziert sind, und wir uns bücken müssen um sie zu erhalten. Arbeitet man im Hundetraining nach den Grundsätzen der Lerntheorie vorwiegend mit positver Verstärkung, stellt sich die Frage, was man tun kann, wenn es in einer Situation nichts gibt, was bestärkt werden kann. Hinzu kommt, dass in bestimmten Situationen unerwünschtes Verhalten sogar verstärkt werden kann. Hierzu zwei Beispiele:

Ein Halter und/oder sein Hund sind gerade sehr aufgeregt. Der Mensch, weil er vielleicht gerade Bedenken hat, etwas falsch zu machen, der Hund, weil er sich in einer Situation befindet, die ihn überfordert. Doch der Mensch hat sich vorgenommen, seinem Hund das Kommando „Sitz“ beizubringen. Unbewusst bringt man seinem Hund in diesem Kontext jedoch bei, dass „Sitz“ mit Aufregung zu tun hat. Oft ist das auch bei Hunden zu beobachten, die sich an der Haustür sehr aufregen, wenn es klingelt, wenn die Gassirunde ansteht oder die Kofferraumklappe aufgeht. Viele Halter bringen den Hund ins „Sitz“ oder „Platz“ oder sagen „Warte“, die konditionierte Aufregung wird dabei stets mit abgerufen und spätestens nach dem Aufheben des Kommandos schießt der ein oder andere Hund nach vorne. Hunde, die hier hecheln, fiepen, bellen oder nervös sind, haben sich zwar vielleicht hingesetzt, aber sind dabei innerlich so aufgeregt, dass sie einfach explodieren müssen. Diese Aufregung überträgt sich nicht selten auf den gesamten Spaziergang und die jeweilige Umgebung. Ginge es dem Menschen hier mehr um eine grundsätzliche Entspannung als um die Ausführung eines bestimmten Kommandos, würde sich in den oben genannten Situationen sicherlich ein anderes Ergebnis zeigen können. Oder: Ihr Hund läuft einem Vogel oder Hasen hinterher und Sie belohnen ihn, wenn er zu Ihnen zurückkommt. Ungünstig ist nur, dass dieser Hund in diesem Moment einem laufenden Cocktail aus Hormonen (z. B. Dopamin) gleicht und sie ihn für diesen inneren Status bestätigen. Natürlich spielt auch immer die innere Haltung von uns selbst eine Rolle und beeinflusst das, was Hunde damit in Verbindung bringen. Wenn wir uns also nicht wirklich ehrlich über etwas freuen, oder innerlich aufgeregt oder angespannt sind, ist das für Hunde spürbar, ganz gleich wie und mit was wir unsere Hunde bestätigen. Viele Mehrhundehalter wissen, dass in gut geführten Hundegruppen auch andere Reaktionen von Hunden untereinander stattfinden. Je nach Situation und Charakterstruktur der jeweiligen Hunde wird da kaum ein Zurückkommen bestätigt. Beobachtbar ist auch, dass innerhalb der Struktur einer Gruppe zum Wohl der Gemeinschaft dafür gesorgt wird, dass ein sinnloses und gefährdendes Jagen nicht stattfindet. Die Frage ist, was hier angemessen, sinnvoll und artgerecht ist. Wenn Hunde gelernt haben, bestimmten Bewegungsreizen immer und überall nachgehen zu können, überträgt sich dieses Lernverhalten möglicherweise auch auf den Vogel oder den Hasen. Bei Beschäftigungsmöglichkeiten wie Reizangel, Ballspielen oder ähnlichem kann sich der Umgang mit diesen von Hunden wahrgenommenen Bewegungen auch beispielsweise auf Wild übertragen. Bewegungsreize können somit unkontrollierbar oder auch bedingt steuerbar für Hunde werden. Die entscheidende Frage ist, ob Hunde mit diesen Beschäftigungsmöglichkeiten im Hetz- und Beutetrieb bestätigt, oder diese zum Erlernen von Impulskontrolle eingesetzt werden. Ein wichtiger Faktor ist auch, welchen Stresslevel der Hund mit solchen Beschäftigungen verknüpft.

Zu einer verantwortungsvollen Sichtweise von Hundehaltern gehört auch, ganz bewusst darauf zu achten, dass Hunde auf Feld- und Waldwegen bleiben. Der Stresslevel für Wild, das von Hunden gehetzt wird, ist hier enorm. Jäger und Landwirte sind meiner Meinung nach berechtigt alarmiert bei manchen Antworten von Hundehaltern, die ihre Hunde achtlos laufen lassen. Die Beschädigung und Gefährdung der Natur und des Wildes führt letztlich für alle Hundehalter zu immer mehr Einschränkungen, die sicherlich wegen einiger achtloser Hundehalter in immer mehr Gesetzen verankert werden.

Ein Faktor ist auch, dass es uns nicht möglich ist, uns nicht zu verhalten. Wir verhalten uns alle immer auf irgendeine Art, was unsere Umgebung entsprechend beeinflusst. Selbst, wenn wir etwas nicht beachten oder ignorieren, wird das von anderen bewusst oder unbewusst wahrgenommen. Etwas zu ignorieren, kann auch eine Form der Konditionierung bewirken, die bewusst oder unbewusst von uns eingesetzt wird oder entsteht. Alles löst etwas aus, so ist ein Nichtentscheiden, also keine Entscheidung zu treffen, ja bereits eine Entscheidung, die entsprechende Konsequenzen hat. Und auch dafür sollten wir Verantwortung übernehmen.

Wie emotionale Zusammenhänge und Konditionierungen miteinander in Verbindung stehen, bringt der US-amerikanische Verhaltensforscher James O´Heare sehr deutlich in seinem Buch Das Aggressionsverhalten des Hundes zum Ausdruck: „Andererseits muss man auch wissen, dass im realen Leben, wo man es mit komplexen emotionalen Zusammenhängen zu tun hat, klassische Konditionierung nur schwer umgekehrt werden kann. Wenn ein Hund auf etwas furchtsam reagiert und Kampf oder Flucht ausgelöst wird, dann lässt sich diese emotionale Reaktion nur sehr schwer verändern. Gibt es etwas, vor dem Sie Todesangst haben? Nehmen wir an, ein Bankräuber hält ihnen eine Pistole an den Kopf und löst damit eine Angstreaktion aus. Womit könnten sie diese Situation nun kombinieren, damit ihre emotionale Reaktion darauf angenehm ausfällt? Wie oft müssen beide Dinge gleichzeitig auftreten, bis sich ihre emotionale Reaktion ändert?4

Der aktuelle Streit und die Lagerbildung in der Hundeszene ist bezeichnend für den bis heute grundlegenden Streit, der in verschiedenen Ansichten und Lehrmeinungen auch in der Psychologie und Erziehung von Menschen stattfindet. Die einen meinen, dass ein Hund nur durch Strenge und Autorität erzogen werden kann, andere drängen anklagend auf einen ausschließlich nur positiven Umgang mit Hunden und definieren andere Methoden als Gewalt, oder Verherrlichung der Dominanztheorie. Wieder andere wählen den Weg zwischen den beiden Polen und versuchen, differenzierter und mehr und mehr ganzheitlich zu denken.

Wir Menschen machen in unserem Leben nicht nur positive Erfahrungen. Aber sind es nicht oftmals gerade die unschönen und schwierigen Ereignisse und Momente, die uns aufhorchen lassen, die uns letztlich stärken und uns die Chance geben, uns weiterzuentwickeln? Wie sollten wir sonst lernen mit den Anforderungen des Lebens zurechtzukommen? So vieles beeinflusst uns in unseren Emotionen, ob bewusst oder unbewusst, und das wiederum hat Auswirkungen auf die Emotionen und das Verhalten unserer Hunde. Rein „technische“ Lösungen sind daher kaum erfolgversprechend, sind wir – und genauso unsere Hunde – doch soziale Wesen mit hochkomplexen Strukturen und eben keine Roboter oder Maschinen.

Ich finde diese Diskussionen wichtig, denn sie führen zunehmend zu einer Differenzierung einer „ausschließlich positiven“ oder „ausschließlich autoritären“ Herangehensweise sowie der Differenzierung einer mehr oder weniger „emotional-wertenden“ Beurteilung. Auch der über Deutschlands Grenzen hinaus bekannte Hundeexperte Thomas Baumann tritt schon seit vielen Jahren für eine Hundeerziehung ein, die sich sowohl von der zwanglosen als auch von der zwangsbetonten Erziehung deutlich abgrenzt. In seinem Buch … damit wir uns verstehen – Die Erziehung des Familienhundes wird seine Haltung deutlich: „Wer sich einmal grundlegende Gedanken zur Verhaltensteuerung von Hunden gemacht hat und dazu noch über eine gehörige Portion an Erfahrung verfügt, wird sehr wohl die Möglichkeiten und Grenzen der sogenannten zwanglosen Erziehung und Ausbildung bei Hunden realistisch einschätzen. Eine realistische Einschätzung wiederum führt zu dem Ergebnis, dass es in fast allen Erziehungsfällen überhaupt nicht zwanglos zugehen kann, weil der ethologisch vorgeformte Charakter unserer Hunde dafür in keiner Weise geschaffen ist.5

Thomas Baumann gibt in seinem Buch ehrliche und übersichtliche Informationen zu den verschiedenen Konditionierungsformen, die es doch manchmal – und das zeigt sich gerade in der Praxis – zu überdenken gilt. Der Alltag mit unserem Hund sieht oft anders aus, als wir uns das gerne wünschen. Viele Hundehalter sind überfordert, wenn ihr Hund beim Anblick eines anderen Hundes wild in die Leine springt und sich trotz Leckerli-Ablenkungsversuche und gut gemeinten freundlichen Zureden kaum davon abhalten lässt. Verständlicherweise finden dies viele Menschen peinlich oder sind genervt, was ein klares Auftreten der Umwelt und dem Hund gegenüber schwierig macht. Diese Emotionen sind in der Kindererziehung ebenfalls bekannt.

Die Frage nach dem Warum, also der Ergründung möglicher Ursachen für ein bestimmtes Verhalten bei Mensch und Hund, kann unterschiedliche Lösungswege aufzeigen. Für alle Beteiligten wirklich erfolgversprechend kann es jedoch nicht sein, den Fokus nur darauf zu legen, ein bestimmtes, störendes Verhalten einfach nur „wegmachen“ zu wollen. Hinzu kommt noch, wie aus der menschlichen Psychologie bekannt ist, dass sich über Lerntherapien alleine zwar teilweise alternatives Verhalten trainieren lässt, doch wenn die Ursachen nicht aufgelöst werden, es meist zu einer Verlagerung von Symptomen kommt. So kann ein Hund durch einige Maßnahmen zwar an der Leine ruhiger werden, er „explodiert“ aber womöglich an einer anderen Stelle als Reaktion auf manch ungelöste Ursache. Es ist zum Beispiel ein gravierender Unterschied, ob ein Hund für das Zurückkommen zum Halter an der Leine belohnt wird (Konditionierung), oder das Ziel ist, dass der Hund nicht erst vorläuft (Führung). Soll er sich an uns orientieren, oder beim Zurückkommen, wenn die Leine das Ende erreicht hat, eine Belohnung abholen?

Die Zusammenhänge sind für einen geübten Blick eines Trainers oft gut zu erkennen, als Hundehalter hingegen fehlt einem selbst oft die wertfreie Einschätzung von außen. So kann auffälliges Verhalten an der Leine viele Gründe haben. Eine ganzheitliche Betrachtung sollte auf mögliche Ursachen eingehen.

Ein solcher Hund könnte:

 sehr aufgeregt sein oder allgemein eine niedrige Reizschwelle haben

 sehr stark auf Bewegungsreize ausgerichtet sein

 frustriert sein, nicht Kontakt zu einem anderen Hund aufnehmen zu können, er kann diesen Frust nur schwer aushalten

 unsicher, ängstlich oder traumatisiert sein

 territorial motivierte Gründe haben (zumindest in dem Moment)

 der Meinung sein, er müsste den Menschen beschützen

 der Meinung sein, Verantwortung für den Menschen und sein Familiensystem übernehmen zu müssen

 einen aus verschiedenen inneren Gründen hohen Stresslevel haben

Können wir, und das ist entscheidend, nicht angemessen aktiv handeln und die Situation im wahrsten Sinne des Wortes in die „Hand“ nehmen, wird jemand oder etwas anderes entscheiden. Das heißt, werden wir nicht aktiv, übernimmt ein anderer Hund, ein anderer Hundehalter, der Jäger oder der Straßenverkehr etc. die entsprechenden Konsequenzen.

Lern- und Verhaltensforschung bei Hunden orientiert sich immer wieder an den Erkenntnissen aus der menschlichen Psychologie oder umgekehrt. Es gibt hier sehr aufschlussreiche Studien, die in diesem Zusammenhang interessant sind. So erforschte man beispielsweise die Konsequenzen, die es hat, wenn man Schüler und Studenten ausschließlich über Geld motiviert:

So fand der US-amerikanische Harvard-Ökonom Roland G. Fryer in Experimenten heraus, dass das eigentliche Lernen mit Hilfe solcher Motivationen nur noch als Nebensache und Mittel zum Zweck wahrgenommen wird. Die Studenten, denen eine Prämie für gute Abschlüsse geboten worden ist, bezogen ihre Motivation nur noch aus der Aussicht auf die Prämie.

Andere Studien, wie die von Richard Ryan von der Universität von Rochester in New York, ergaben, dass für Menschen, deren Motivation allein auf finanziellen und materiellen Werten beruht, andere Menschen oft nur Mittel zum Zweck sind.

Die Frage bleibt offen, wie sich diese Schüler und Studenten fühlen, wenn kein guter Abschluss gelingen würde. Wer fragt danach, ob das angestrebte Lernziel zum Beispiel auch der Neigung und Veranlagung dieser Menschen entspricht? Wo führt es uns und unsere Hunde hin, wenn nur noch „richtiges“ Verhalten belohnt wird und wer entscheidet überhaupt aus welchen Gründen über richtig oder falsch? Und wo bleibt die Freude am Lernen als Motivation?

Die Psychologen Mark Lepper und David Greene von der Stanford Universität haben herausgefunden, dass sich bestimmte Arten der Belohnung geradezu zerstörerisch auf die Motivation auswirken können: insbesondere Belohnungen mit positivem Anreiz, die bestimmte Verhaltensweisen bestärken und bei denen negative Sanktionen nicht erfolgen (monetär). Dieser Effekt wird auch als Korruptionseffekt bzw. Korrumpierungseffekt bezeichnet und meint die Verdrängung der Motivation aus Spaß, Interesse und Erkundungsverhalten (intrinsisch). Die Motivation durch positive und negative Verstärkung (extrinsisch), also dem Handeln aufgrund von Belohnungen, die außerhalb der Tätigkeit liegen, reduziert dann das ursprünglich gerne und freiwillig bezeigte Verhalten.

Der extrinsischen Motivation steht dagegen der Wunsch im Vordergrund, bestimmte Leistungen zu erbringen, weil man sich davon einen Vorteil (Belohnung) verspricht oder Nachteile (Bestrafung) vermeiden möchte.

In der kognitiven Evaluationstheorie wird beispielsweise untersucht, unter welchen Bedingungen Belohnungen ein erhöhtes Ausmaß an Verhaltenskontrolle erreichen können, und wann sich Belohnung negativ auf Motivation auswirkt. Eine Sichtweise ist zum Beispiel, dass bei nicht erwarteten Belohnungen der negative Effekt des Motivationsabbaus nicht festgestellt werden konnte. Wenn also jemand für eine Tätigkeit, die er ohnehin schon gerne ausübt, zusätzlich belohnt wird, dann ist er anschließend weniger motiviert, dieser Tätigkeit wieder ohne Belohnung nachzugehen. Soziale Kompetenz in Form von zum Beispiel verbalen Belohnungen wird stärker mit Anerkennung verknüpft und weniger als kontrollierend. Natürlich wird auch diese Sicht von Seiten der Verhaltensforschung kritisiert und das ist auch gut so, weil sich beide Forschungsbereiche ergänzen.

Sollen wir daher nicht im Zusammenleben mit unseren Hunden die Hintergründe, die Notwendigkeit und Art und Weise von Belohnung und Bestätigung mehr hinterfragen? Warum muss man zum Beispiel etwas positiv belegen, es „markern“, wenn es doch gleichzeitig ein Verzicht von etwas bedeutet? Wo bleibt hier die Auseinandersetzung mit dem Konflikt, die unsere Partner, Freunde, Kinder und Hunde als Klarheit brauchen sowie als Orientierung an sozialen Notwendigkeiten? Charlie Chaplin bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen, Konflikten und Problemen mit anderen oder uns selbst zu fürchten, denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander und es entstehen neue Welten. Heute weiß ich, das ist Leben.6

Unser persönliches Lebenskonzept bestimmt, von was wir die Nase voll haben, was wir verdrängen und vermeiden, was uns bremst, aufregt oder was wir auf andere übertragen. Es bestimmt, wofür unser Herz schlägt, was wir wahrnehmen und was wir aussenden. Dieses Lebenskonzept von uns ist beeinflusst durch die Solidarität mit unserem Familiensystem, unseren Glaubenssätzen und unserer Lernerfahrung aus unserer Umwelt. All das beeinflusst direkt oder indirekt unser Verhalten und das unserer Hunde, sowie die Art wie wir alle lernen. Je mehr Herausforderungen ganzheitlich betrachtet werden, je mehr Veränderung wird selbstbewusst und authentisch möglich, weil alle Faktoren miteinbezogen werden. Auch Hunde bekommen von ihrer Umwelt keinesfalls nur positive Antworten und sicher nicht immer das, was sie wollen. Warum also wird in der Beziehung von Mensch und Hund so viel Wert auf ein Bestätigungs- oder Belohnungssystem gesetzt – und das in manchen Situationen ganz klar auf Kosten einer ehrlichen sozialen Kommunikation? Das eine Belohnung in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll und förderlich sein kann, steht außer Frage.

Ein Beispiel: Es ist ein gravierender Unterschied, ob sich ein Hund entspannt auf eine Decke legt, weil ihm vermittelt wird, dass die Couch in diesem einen Moment nicht angesagt ist oder ob ein Hund nur von der Couch geht, weil er etwas dafür bekommt. Ein klares Nein sollte hier vom Hund akzeptiert werden und ist auch alles andere als dominant oder aversiv. Wenn diese recht einfache Situation in ruhiger Umgebung schon zum Problem aufgebauscht wird, was passiert, wenn es einmal wirklich um etwas geht? Wie würden wir alle miteinander umgehen, wenn jeder Mensch gleich ausrasten würde, wenn er einmal nicht seine Wünsche erfüllt bekommt, oder sich vielleicht abgelehnt fühlt, weil etwas anderes gerade Vorrang hat?

Jede Betrachtung, sobald sie die Mitte verlässt, ist mehr oder weniger einseitig. Wenn wir anfangen, über den Tellerrand zu denken, um unsere eigene Motivation für unser Verhalten zu hinterfragen, können wir auf hilfreiche Antworten kommen. Vor allem auf Antworten, die uns selbst miteinbeziehen und das ist mehr als fair, insbesondere unseren Hunden gegenüber. Wir alle sind mehr oder weniger damit aufgewachsen, dass uns unser Umfeld oder die Gesellschaft Regeln auferlegt hat, ohne sich selbst dabei zu hinterfragen. Dagegen haben wir vielleicht selbst oft ohne Erfolg blockiert, uns ungerecht behandelt gefühlt und nicht wenige Menschen versuchen nun, ihren Hunden ein Leben ohne Regeln zu ermöglichen. Dass das nicht grundsätzlich funktioniert oder zumindest Folgen hat, sollten wir ehrlich erkennen, damit auch unsere Hunde ehrliche Orientierung bei uns finden können.

Ganzheitlich-systemische Betrachtung von Menschen und Hunden bedeutet, zu schauen, wo eigene Vorstellungen oder Emotionen übertragen werden und an welchen Stellen Grenzen überschritten werden, sei es die von anderen Menschen, Familienmitgliedern oder den Hunden selbst. Aber auch, wie Menschen ihre Ressourcen nutzen können, um – ohne Schuldzuweisung – mit Gefühl und Empathie fair und angemessen handeln zu können. Gewalt ist nie eine Lösung, angemessen und wichtig ist es jedoch, seinem Hund gegenüber klar aufzutreten und Entscheidungen zum Wohle der Gemeinschaft zu treffen, um diese letztlich auch schützen zu können.

Für mich und meine Kunden habe ich im Zusammenhang mit Hunden folgende Leitsätze zusammengefasst, vielleicht finden Sie diese auch für sich hilfreich:

 So liebevoll wie möglich aber auch so klar wie nötig.

 Sie können Ihrem Hund all das erlauben, was Sie ihm ohne Stress verbieten können.

 Ein faires und klares angemessenes Nein aus ehrli chen Beweggründen ist authentisch und verhindert viel Leid und unnötige verunsichernde Diskussionen. Und bekanntlich kann oft erst ein klares Nein ein entspanntes Ja an anderer Stelle ermöglichen.

Als unser ältester Hund noch lebte, konnten wir erleben, wie souverän und ruhig dieser oft unseren heute dreijährigen, noch schnöseligen Rüden geführt hat. Es brauchte nur einen Blick vom „Chef“ und er hat sich, wenn sein Handeln unangemessen war, in seiner Absicht zurückgenommen und konnte sich schnell wieder entspannten. Dieser Blick wurde immer erst dann vom „Chef“ weggenommen, wenn unser Jüngster sich wirklich entspannte und die gesetzte Grenze akzeptierte, und nicht nur, weil er mit etwas aufhörte, was dabei sehr entscheidend ist. Grundsätzlich hatte der Kleine aber immer erstaunlich viele Freiheiten. Wir haben immer belustigt gesagt, dass sich unser „Chef“ bestimmt erinnern kann, selbst einmal jung gewesen zu sein.

Eine weitere kleine Geschichte aus unserem Alltag, die sich zwischen unserem Jüngsten und unserer Hündin abspielte, veranschaulicht sehr gut, dass es für Hunde etwas ganz Normales ist, dem anderen klare und unmissverständliche Ansagen zu erteilen. Ein Nein ist ein Nein und sollte so kommuniziert werden, dass es der andere auch als solches versteht. Ich gab jedem Hund eine Kaustange, womit sich beide ins Wohnzimmer verzogen. Unser Jüngster war wie immer früher fertig und ging, in der Hoffnung etwas abstauben zu können, in die Richtung unserer Hündin. Puh, das wurde ganz schön laut, ohne dass er die geringste Chance gehabt hätte, auch nur in die Nähe der Kaustange zu kommen. Die Hündin weiß sehr genau, wie schnell er sein kann und wie ernst er es meint, wenn ihm etwas wichtig ist. Nach ihrer Ansage klappte unser Schnösel die Ohren ein und verzog sich wieder, er gab ihr Raum und akzeptierte ihr Nein.

Die Beziehung zwischen den beiden Hunden hat sich dadurch vielleicht sogar noch intensiviert. Sie mögen sich nach wie vor sehr, spielen und toben miteinander und man kann spüren, dass beide füreinander da sind. Das ist angemessenes soziales Lernen in der Art wie Hunde kommunizieren.

Die heftige Reaktion in Bezug auf die Kaustange entstand sehr situativ aus dem sozialen Kontext heraus. Hätte sie ihn gelassen, dann hätte er die Entscheidung, die Kaustange einfach wegnehmen zu können, mit der Zeit möglicherweise auf andere Dinge übertragen. Ich weiß, dass ein anderer Hund mit anderer Motivation ganz bestimmt einen Teil der Stange von ihr bekommen hätte. Wenn mir beispielsweise beim Kochen etwas herunterfällt und ich das freigebe, auch dazu ist oft kein Wort von mir nötig, teilen sich die beiden Schnauze an Schnauze die Krümel völlig ohne Anspannung. Es kann daran liegen, das es keinem von beiden so wirklich wichtig ist in dem Moment, vielleicht sogar auch, weil es „meine Krümel“ sind. Es kommt hier ganz auf den sozialen Kontext und die Präsenz an, und liegt weit entfernt von irgendeinem Kommando, was ein Mensch seinem Hund geben könnte, um ihm klarzumachen: So geht es nicht. Dabei geht es auch nicht um eine ausschließlich positive Kommunikation, sondern um Grenzen und Regeln, und vor allem um Respekt.

Wir Menschen neigen oft dazu, unsere vorgefertigte Meinung in solche Situationen einzubringen. Wir bewerten, verurteilen oder interpretieren unsere eigene Gefühlswelt hinein. Für mich persönlich haben solche Situationen aber weder mit Gewalt noch mit Rudelchef-Gehabe zu tun. Vielmehr geht es darum, ganz unabhängig von einer positiven oder negativen Beurteilung, für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Hund zu sorgen. Situativ ist es für uns als Hundehalter und damit als Verantwortliche somit unumgänglich, Grenzen zu setzen.

Ein rein autoritärer Erziehungsstil konzentriert sich auf Regeln, Macht und Dominanz, während ein liberaler (permissiver) Erziehungsstil Liebe, Zwanglosigkeit und Toleranz in den Fokus stellt. Der Mittelweg ist die sogenannte autoritative Erziehung: Sie ist kontrollierend mit klaren Regeln, beinhaltet aber Zuneigung, Empathie und Toleranz für die Bedürfnisse der Gemeinschaft. In dem Artikel Wattebausch oder Grenzen setzen der Zeitschrift Partner Hund, schreibt Thomas Baumann: „Einem Hundehalter, dem viel an der Lebensqualität seines Vierbeiners – und damit auch an seiner eigenen – liegt, wird bei gegebener Notwendigkeit erzieherisch sehr wohl angemessen reglementieren und damit auch der Anwendung vorübergehender Zwänge offen gegenüberstehen.7 Thomas Baumann geht in seinem Artikel insbesondere auf die aussagekräftige Studie von Carolin Donath des Universitätsklinikums Erlangen ein, die an über 44.000 Kindern durchgeführt wurde, um die Lebensqualität der jeweiligen Erziehungsstile zu hinterfragen.

Der Mittelweg in der Erziehung zeigte hier die höchste Lebensqualität und scheint schweren seelischen Krisen vorzubeugen. Mit diesem Mittelweg, sprich dem autoritativen Erziehungsstil, ist gemeint, dass ein Hundehalter vor allem ruhig, klar und souverän agiert und sich auch nicht aus der Ruhe bringen lässt, selbst wenn der Hund aufgrund von nicht erlernten Regeln und Grenzen völlig überdreht. Genau das verunsichert und stresst viele Hunde, weil sie die Gründe und die Art und Weise dafür natürlich nicht einschätzen können. Hunde können sehr gut wahrnehmen, dass ein emotional-aufgeladenes und aufgeregtes Verhalten nicht angemessen und souverän ist. Gerade ängstliche oder traumatisierte Hunde brauchen ein klares und ausgeglichenes Umfeld, um ihre inneren Spannungen heilend auszugleichen.

Auch im Umgang mit Kindern findet langsam ein Umdenken statt: So ist Michael Winterhoff, Jugendpsychiater und Bestsellerautor des Buches Warum unsere Kinder zu Tyrannen werden der Meinung, dass heute Eltern und Großeltern oft Angst vor Konflikten haben, ohne dass dabei von ihm eine Schuldzuweisung erfolgt. Er ist der Meinung, dass sie denken, nicht mehr geliebt werden, wenn sie mal nein zu einem Kind sagen. Mehr und mehr lustorientierte Kinder können immer weniger die natürlichen Grenzen der Gesellschaft (zum Beispiel am späteren Arbeitsplatz) aushalten – und das hat weitreichende Folgen für die Gesellschaft. Er beobachtet in seiner Praxis, dass Kinder kaum noch soziale Kompetenzen lernen, weil sie sich immer weniger anpassen müssen. Er beschreibt sehr eingehend die Folgen von Stresserkrankungen in der Gesellschaft und die entsprechenden Negativwirkungen auf Kinder. In seinem Buch Lasst Kinder wieder Kinder sein! Oder Die Rückkehr zur Intuition betrachtet Winterhoff eher systemisch, wie Eltern wieder mehr zu ihrer Intuition finden können: „Meine Arbeit als Kinderpsychiater hat demgegenüber einen ganz anderen Schwerpunkt. Ich mache mir nicht so sehr Gedanken über die Stile und Methoden, spreche auch nicht über die beliebten Themen Disziplin, Ordnung und Grenzen setzen oder andere Standardthemen der Diskussion. Ich beschäftige mich mit der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern, stelle die Frage, ob Kinder im Erwachsenen heute noch in ausreichendem Maße ein Gegenüber vorfinden, an dem sie sich orientieren und entwickeln können.8

Auch Dorit Feddersen-Petersen, eine der führenden Ethologinnen weltweit und Fachtierärztin für Verhaltenskunde, schreibt: „Hunde waren und sind erfolgreich. Sie können unsere analoge Kommunikation „lesen“ und entsprechend reagieren. Leider spielt für die meisten Hundehalter das nonverbale Ausdrucksverhalten im Umgang mit dem Hund nicht mehr die verdiente Rolle. Sie reden und reden und nehmen sich körperlich (sogar bewusst!) zurück. Und die Intelligenz des Unbewussten, die Intuition oder das Bauchgefühl kommt zu kurz. Intuitiver Umgang mit Hunden ist nicht modern. Modern sind psychologische Techniken und Instrumentalisierungen von Hunden, am besten mittels dieser und jener Gerätschaften. Das wirkt so kompetent, da ausgerüstet.“9

Wenn wir Veränderungen wünschen, ist es hilfreich zu erkennen, dass Hunde nicht wie wir Menschen nach wertenden Emotionen kommunizieren: Sie teilen ihrem Gegenüber einfach in wohlwollenden Zusammenhängen mit, was der andere zu lassen hat und sorgen damit im Familienverband für Klarheit und Ausgeglichenheit. Um dies auf tiefer emotionaler Ebene zu verstehen, sollten wir uns Fragen stellen, die sich auf uns selbst beziehen: Warum nehmen wir selbst viele Dinge mit so viel Emotion wahr? Warum werten wir vieles und vermeiden damit ehrliche Kommunikation? Warum bleiben wir oft in der Betrachtung der Probleme und Auffälligkeiten emotional hängen und geben damit einer Entwicklung nicht den angemessenen Raum? Sind wir bereit, auf andere Dinge in unserem Leben zu schauen, wenn die Beschäftigung mit den Problemen der Hunde nicht mehr nötig wäre?

Hunde beobachten uns den ganzen Tag. Sie wissen oftmals mehr über uns, als wir glauben. Ganz einfach deshalb, weil es für sie von Vorteil ist, wenn sie uns besser verstehen. Wir sollten uns allein schon aus Respekt gegenüber unseren Hunden bemühen, uns gut über ihre Bedürfnisse und ihre Kommunikation entsprechendes Wissen anzueignen. Dies kann für unser ganzes Familiensystem nur von Vorteil sein. Natürlich sind wir Menschen keine Hunde: Diese Tatsache aber auf alle Lebensbereiche zu projizieren macht das Zusammenleben schwer, Hunde sind wie Menschen hochsoziale Wesen. Wie oft interpretieren wir aus unseren persönlichen Gründen heraus das Verhalten unseres Hundes als unsozial, nehmen Unsicherheit als Ängstlichkeit wahr oder verstehen ein klares Agieren bereits als Dominanz. Wenn wir Probleme in der Kommunikation mit unseren Hunden haben, ist ein Blick auf uns selbst eine Möglichkeit, den eigenen Blickwinkel zu verändern oder zu erweitern. Dadurch erhalten wir wiederum Möglichkeiten, Probleme und Konflikte im Sinne der Gemeinschaft zu lösen.

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9783956930362
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