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6.4 Doppelte professionelle Kompetenz

Die Grundausbildung der Lehrpersonen liefert die «Eingangsqualifikation» (Schmidt, 1980) von Novizen und Novizinnen beziehungsweise eine «Starthilfe» (Messner & Reusser, 2000). Sie erwerben grundlegendes Wissen für die Praxis und über die Praxis; das Wissen in der Praxis und über sich selbst wird wesentlich erst durch die Praxis aufgebaut (Day & Sachs, 2004). Die Motive der Lehrpersonen für das Weiterlernen unterscheiden sich aufgrund vielfältiger Erfahrungen von denjenigen von Studierenden. Die vermehrte Erfahrung kann aber auch breitere Widerstandstaktiken gegenüber Veränderungen und Lernen mit sich bringen (Faulstich, 2008). Sie führt auch zu anderen und vor allem durch Erfahrungen gestützte und dadurch legitimierte oder «legitimiertere» Erwartungen an das Lernangebot und die Dozierenden.

Die doppelte professionelle Kompetenz als Lehrperson auf der Zielstufe und als Lehrende in der Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung7. Sie unterscheidet sich bei Dozierenden der Weiterbildung konzeptionell zwar nicht grundsätzlich von Lehrenden in der Grundausbildung, verlangt aber angesichts der Spezifika der Weiterbildung unterschiedliche Akzentuierungen. Insbesondere die Kompetenz als Lehrperson auf der Zielstufe dürfte bedeutsamer sein als in der Grundausbildung, damit es gelingt, «Anschauung» (sprich: Erfahrung) zu theoretisieren und Theorie zu veranschaulichen (Neuweg, 2010). Auf Basis der Erfahrung beziehungsweise am konkreten Beispiel aus dem Unterricht Prozesse des Abstrahierens auf die Theorieebene 2 zu moderieren und allenfalls mit neuen Perspektiven zu ergänzen, verlangt wiederum den konkretisierenden Transfer in den Unterricht, der mit entsprechendem fachdidaktischem Wissen und der Erfahrung der Dozierenden auf der Zielstufe seine Glaubhaftigkeit erhöht. Damit kann es zudem gelingen, auch das Bedürfnis der Lehrpersonen nach dem «what works» zu befriedigen. In der Befragung von Starkey et al. (2009) messen Lehrpersonen den meisten vorgelegten Merkmalen von Weiterbildungsdozierenden eine hohe Bedeutung zu. Die Rangreihe bestätigt die hier vertretene Bedeutung doppelter professioneller Kompetenz gepaart mit Moderationsfähigkeiten: Wissen über die pädagogische Theorie, praktische Expertise im entsprechenden Schulfach und Kommunikations- und Beziehungsfähigkeiten werden am bedeutsamsten eingeschätzt.

Die Erfahrung bildet auch heterogene «subjektive Problemhierarchien» heraus (Pant, Vock, Pöhlmann & Köller, 2008, S. 830). Sie aus eigener Erfahrung zu kennen, Bewältigungsstrategien und -methoden selbst erprobt zu haben sowie diese und die Ergebnisse theoretisch einordnen zu können, dürfte mit dazu beitragen, den Lehrpersonen ein effektives Lernangebot machen zu können. Die Erfahrung festigt auch die Überzeugungen zum Lehren und Lernen. Sie in angemessenem Mass irritieren zu können, bestehende Annahmen herauszufordern und neue Möglichkeiten zu eröffnen, die sozialen Normen herauszufordern, wenn sie Unterrichtsentwicklung behindern, und dabei den Fokus aufs Lernen der Schülerinnen und Schüler beizubehalten, verlangt eine hohe fachdidaktische Expertise (Timperley, 2008).

Im Gegensatz zur Grundausbildung, bei der die Perspektive auf die Lernenden diejenige eines «Noch-nicht-Könnens» und von der Sache her eher defizitorientiert ist sowie zudem durch die Qualifikationsfunktion eine zumindest strukturelle «High-stakes»-Machtdifferenz besteht, sollte der Blick auf die Lehrpersonen im Beruf nicht einer Defizithypothese folgen. Der hier verfolgten Perspektive auf die Lehrpersonen liegt die Vorstellung eines adaptiven und dynamischen Systems zugrunde, in dem anscheinend widersprüchliche Ansichten nebeneinander bestehen können und miteinander interagieren (Levin & Nevo, 2009) und trotzdem «gelingende Praxis» hervorgebracht werden kann (Tenorth, 2006). Das Erfahrungswissen der Lehrperson, das der gelingenden Praxis zugrunde liegt, hat seine eigene, individuelle Entstehungsgeschichte und -bedingungen und priorisiert den subjektiven und situativen Anwendungsnutzen. Die forschungs- und wissenschaftsorientierte Expertise der Dozierenden orientiert sich an den Entstehungsbedingungen wissenschaftlichen Wissens mit dem Fokus auf Objektivierung und Verallgemeinerung. Das Annehmen beider Wissensbestände als a priori gleichwertig ist der Ausgangspunkt für den Prozess – sofern eine Weiterentwicklung des Wissens über Unterricht angestrebt wird –, die Wissensbestände einander gegenüberzustellen und Aspekte davon einer gemeinsamen Überprüfung zu unterziehen. Es ist die weiterbildungsdidaktische Aufgabe, diesen Prozess zu gestalten. Subjektives Erfahrungswissen muss mit dem wissenschaftlichen Wissen in Verbindung gebracht werden. Das gemeinsam erarbeitete Verständnis wird auf der Basis von Regeln der Überprüfung oder Erkenntnisgewinnung erarbeitet und seine Überprüfung – dazu gehört auch dessen Transformation in den Unterricht – begleitet. Im Grunde genommen geht es um einen moderierten Prozess, der – erkenntnistheoretisch ausgedrückt – der Frage nachgeht, was wir – Lehrpersonen und Dozierende – über guten Unterricht zu wissen glauben und ob das auch tatsächlich zutrifft. A posteriori kann so neues Erfahrungswissen entstehen, das intersubjektiv überprüft ist. Dozierende der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung sind dann bedeutsam und effektiv, wenn sie in diesem Prozess mit Lehrpersonen iterativ und ko-konstruktiv arbeiten und nicht Best Practice dozieren (McDowall, Cameron, Dingle, Gilmore & MacGibbon, 2007; Timperley, 2008).

7 Didaktische Folgerungen für die Unterrichtsentwicklung unterstützende Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung

Der Lehr-Lern-Prozess in einem Weiterbildungsangebot kann als komplexes Geschehen verstanden werden, das sich auf mehreren Ebenen konstituiert, die miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Qualität von Unterricht wie der Weiterbildung ergibt sich durch Interaktionen, die häufig durch die «Denkfigur» des didaktischen Dreiecks (Reusser, 2008) oder – erweitert um die materiale Dimension – des Tetraeders (Rezat, 2009) beschrieben werden. Als Modell hilft es, eine Vorstellung der Mehrdimensionalität unterrichtlicher Interaktionen zu entwickeln: Die Interaktionen im Unterricht spielen sich wechselwirkend zwischen Lerngegenstand, Lernenden, Lehrperson und Lehrmittel ab, den vier Eckpunkten des Tetraeders. Durch die Erweiterung dieser strukturellen Beschreibung unterrichtlicher Interaktionen auf die Ebene der Weiterbildung wird die im vorherigen Kapitel angesprochene doppelte Kompetenz zur Planung und Durchführung von Unterrichtsentwicklung unterstützenden Weiterbildungsangeboten deutlich: Das Tetraeder unterrichtlicher Interaktionen ist der Lerngegenstand in der Weiterbildung (siehe Abbildung 1.4) und die Interaktionen in der Weiterbildung lassen sich ihrerseits als Tetraeder modellhaft beschreiben (Prediger, Leuders & Roesken-Winter, 2017; Luft & Hewson, 2014).


Abbildung 1.4: Das Tetraeder-Modell der Struktur der Interaktionen in der Weiterbildung (vgl. Prediger et al., 2017)

Aus dem bisher Dargelegten und der Weiterbildungsforschung lassen sich folgende Merkmale eines Angebots ableiten, das wirksam werden kann: Häufig wird ein Fokus auf den Unterrichtsinhalt gelegt beziehungsweise Fachwissen als Merkmal wirksamer Weiterbildungen genannt, was allerdings nicht genügt (Kennedy, 2016). Vielmehr ist inhaltlich ein enger fachdidaktischer Fokus auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler wichtig, der ein Anknüpfen an unterrichtsbezogene Vorstellungen, fachdidaktisches Wissen und Alltagsfragen der Lehrpersonen ermöglicht. Modellhaft in Bezug auf das doppelte Tetraeder bedeutet dies, dass insbesondere die Dimension Schülerinnen und Schüler – Lerngegenstand auf der Ebene des Unterrichts fokussiert werden soll, von dem aus Zusammenhänge mit den anderen Dimensionen zu erschliessen sind.

Es gibt Evidenzen, dass für eine Veränderung sowohl bei der Praxis als auch bei den Überzeugungen angesetzt werden soll (Hargreaves & Braun, 2012). Um dem Postulat des «engen» Bezuges gerecht zu werden, wird der Zugang über die Unterrichtspraxis bevorzugt. Das Anknüpfen an die Praxis und Berufserfahrungen nutzt den Vorteil der Weiterbildung gegenüber der Grundausbildung, «die ständig Antworten auf noch nicht gestellte Fragen liefert, [und] nichts hat, von dem weg sie in das Allgemeinere induzieren könnte», während die Weiterbildung «mit berufsbiografisch-episodischem Wissen arbeiten [kann] und entlang dessen, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Grenze, Rätsel, Problem, Frage erlebt haben oder ihnen zumindest dazu gemacht werden kann» (Neuweg, 2010, S. 45). Deshalb wird ein didaktisch induktiv und abstrahierend verlaufender Einstieg verfolgt (siehe Abbildung 1.3).

Um den Bezug zum konkreten Unterricht realer werden zu lassen, können Artefakte des Unterrichts (als die materiale Ecke des Tetraeders der Weiterbildung, siehe Abbildung 1.4) genutzt werden. Der Bezug auf konkrete Aufgabenbeispiele oder Artefakte aus dem Unterricht unterstützt zudem das Entstehen eines kritischen, professionellen Dialogs eher, als wenn die Bezüge rhetorisch oder schlagwortartig bleiben (Ball & Cohen, 1999). Werden die Lehrpersonen aufgefordert, Artefakte aus dem eigenen Unterricht mitzubringen, dürfte wegen der direkten Betroffenheit in ihrem alltäglichen Handeln «emotionsgeladenere» Aspekte als Ausgangspunkt der Reflexion zur Sprache kommen, was die Aufmerksamkeit fokussieren hilft und den Lehrpersonen konkrete Anknüpfungspunkte bietet. Mit der anerkennenden Aufnahme der Artefakte, verbunden mit dem Anliegen, «good practice» weiterzuentwickeln, wird dem Erfahrungswissen der Lehrpersonen Rechnung getragen.

Verschiedene Studien zeigen, dass Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung, die mittels solcher Unterrichtsrepräsentationen, insbesondere Videoaufnahmen, Reflexionen unterstützen, die professionelle Wahrnehmung von Unterricht und das Unterrichtshandeln verbessern (z.B. Kuntze, Krammer & Lipowsky, 2017; Krammer, 2014; Sherin & van Es, 2009). Als alternative Repräsentation sind auch Unterrichtsprodukte, insbesondere Lernspuren von Schülerinnen und Schülern wie Aufgabenlösungen, fotografische Dokumentationen von Lernsituationen oder Ähnlichem, als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Interaktionen denkbar und niederschwelliger zu beschaffen als Videoaufnahmen. Sie sollen helfen zu erfahren, was die Lernenden «in ihren Köpfen haben» (Rakoczy & Pauli, 2006, S. 225). Lernspuren können genutzt werden, um zwei Komponenten des fachdidaktischen Wissens zu verbinden. Sie können als Ausgangspunkt für die Beschreibung des Lernprozesses oder des Verständnisses der Schülerin oder des Schülers («Wissen, wie die Schülerinnen und Schüler bestimmte Inhalte lernen») und der Interpretation, was zu diesem Ergebnis beigetragen hat (was manchmal Kontextinformationen notwendig macht), dienen. Sie dienen anschliessend Rückschlüssen auf die Eignung des vorherigen Unterrichts und Überlegungen zu dessen möglichen Anpassungen («Wissen über fach- und themenspezifische Lehrstrategien»).

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Analyse von Artefakten ihren Ausgangspunkt in der Wahrnehmung des Geschehens durch die Lehrperson nimmt, was in der englischsprachigen Forschung als «professional vision» beziehungsweise «noticing», im Deutschen als «professionelle Wahrnehmung» bezeichnet wird (Möller, Steffensky, Meschede & Wolters, 2015; Seidel & Prenzel, 2007; Seidel & Stürmer, 2014; van Es & Sherin, 2002; Steffensky, Gold, Holdynski & Möller, 2015). Es besteht die Annahme, dass die professionelle Kompetenz, insbesondere das fachliche und fachdidaktische Wissen, stark beeinflusst, was im Unterricht und in den Artefakten wahrgenommen wird (siehe Abbildung 1.5).


Abbildung 1.5: Professionelle Wahrnehmung als Grundlage der Reflexion von Unterricht (eigene Darstellung)

Dem Sprechen über Unterricht voraus geht also die Wahrnehmung des Relevanten und dessen individuelle, wissensbasierte Verarbeitung. Die Verarbeitung besteht – explizierend – einerseits aus der Beschreibung einer wahrgenommenen Situation, das heisst ihrer präzisen Abgrenzung von anderen, und dem Konkretisieren in Bezug auf Unterrichtsmerkmale (z.B. kognitive Aktivierung), andererseits aus der Interpretation mit Erklären, Bewerten, insbesondere in Bezug auf Qualitätsmerkmale des Unterrichts, sowie dem Abschätzen von Wirkungen. Damit können die kognitiven Strukturen, die für Rolff (2014) «für die Schul- und Unterrichtsentwicklung unmittelbar handlungsrelevant» sind (ebd., S. 178), quasi veröffentlicht werden.

Solche Reflexionen der eigenen Praxis, insbesondere am Gegenstand der repräsentierten Unterrichtspraxis, sind ein weiteres Merkmal wirksamer Weiterbildungsangebote (Lipowsky, 2014). In der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung wird der Reflexion grosse Bedeutung zugeschrieben als Brücke zwischen Praxiserfahrungen und theoretischem Lernen, als mentaler Prozess der Strukturierung oder Restrukturierung von Erfahrung oder Wissen (Bolhuis, 2006; Clarke & Hollingsworth, 2002). Auch in der Lehrerinnen- und Lehrergrundausbildung kommt Praktika und ihrer Reflexion zur Entwicklung einer reflexiven Unterrichtspraxis («reflection-on-action», vgl. Schoen, 1983) ein zentraler Stellenwert zu (Hascher, 2012). Die Reflexion der Unterrichtserfahrungen wird als zentrales Mittel des Lernens von Lehrpersonen und ihrer Unterrichtsentwicklung gesehen. Das «Nachdenken über eigenen und fremden Unterricht» (Halbheer & Reusser, 2009) erlaubt Lehrpersonen, eine Erfahrung zu analysieren, ihr Sinn zu verleihen und das Wissen für folgende unterrichtliche Entscheidungen zu nutzen (van Es & Sherin, 2008; Borko, Jacobs, Eiteljorg & Pittman, 2008).

Die Frage, wie produktive reflektierende Diskussionen beziehungsweise eine Kommunikationskultur entstehen, in denen Lehrpersonen Themen verbunden mit dem eigenen Unterricht und dem Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler kritisch diskutieren (Borko et al., 2008; Alles, Seidel & Gröschner, 2019), ist zentral für diese Form der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung. Erkenntnisse, wie produktive Klassengespräche entstehen, werden auch für die Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung als anwendbar betrachtet (Borko, Jacobs, Seago & Mangram, 2014; Elliott et al., 2009). Dabei sind jedoch Spezifika des Lernens Erwachsener zu berücksichtigen, weil zum Beispiel die bisherigen Erfahrungen, die aufgebauten Konzepte und Überzeugungen gefestigter sind und sie zwingend wissen müssen, warum sie etwas lernen sollen, das sie zudem an der Effektivität in der Praxis messen (Rohlwing & Spelman, 2014). Hier ist insbesondere die Kompetenz der Dozierenden gefordert, entsprechende Diskussionen zu moderieren, wie es in Kapitel 6 skizziert ist. Die Lehrpersonen selbst schreiben solchen Sequenzen des «Austausches» von Unterrichtserfahrungen eine positive Funktion für ihre Unterrichtsentwicklung zu (Balmer, 2017, 2018b; vgl. auch Krammer et al., 2008; Trotter, 2006). Solche professionelle Lerngemeinschaften sind jedoch nicht per se der «Königsweg» (Rolff, 2015). Die Forschung zeigt, dass ihre Effektivität stark streut, aber insbesondere eine zielorientierte Leitung hilfreich ist (Kennedy, 2016). Eine entsprechend strukturierte Führung der Reflexion durch Dozierende hat sich dabei als wichtig erwiesen (Lotter & Miller, 2017), wobei der Schritt vom gemeinsamen Teilen von Erfahrungen zum gemeinsamen Erkunden als zentral für eine wirksame, kooperative Unterrichtsentwicklung angesehen wird (Nelson et al., 2010).

Ihre Wirksamkeit entwickeln Reflexionen vor allem in Kombination mit handlungspraktischen Erprobungsphasen (Lipowsky, 2014). Erst die Konsolidierung der Erkenntnisse der Reflexion, die auch an Erkenntnisse der Unterrichtsforschung anschliessen, ihre Umsetzung in einem Aktionsplan, der dann realisiert und begleitet wird sowie ein Feedback beinhaltet, macht den Prozess vollständig und wirksam (Antoniou & Kyriakides, 2011). Es geht also um Unterrichtsentwicklung als systematische Ermöglichung der Prozesse von Reflexion und Erprobung. Das ALACT-Modell (Korthagen, 2001) ist eine mögliche Form der Strukturierung von entsprechenden Prozessen (siehe Abbildung 1.6). Sie sind zyklisch zu verstehen und können mit fünf Sequenzen beschrieben werden:

1 Handlung («action»),

2 Rückblick auf die Handlung («looking back»),

3 Erkenntnis zentraler Aspekte («awareness of essential aspects»),

4 Gestalten einer alternativen Handlung («creating alternative methods of actions») und

5 eine Erprobung («trial»), die wiederum Gegenstand des erneuten Rückblicks ist (vgl. die ähnlichen Schritte des Konzepts der Lesson Studies [Fernandez, 2002] oder den «Teacher inquiry and knowledgebuilding cycle» bei Parr, Timperley, Reddish, Jesson & Adams, 2007).


Abbildung 1.6: Strukturierter Prozess der Unterrichtsentwicklung gemäss dem ALACT-Modell (vgl. Korthagen & Vasalos, 2005)

Sprechen über Unterricht ist ein zentrales Element und Teil dieses Zyklus, als Analyse und Reflexion im Rückblick auf den Unterricht auf der Basis von Artefakten aus dem Unterricht oder Repräsentationen umfangreicherer Unterrichtsbeispiele, aber auch im Erarbeiten und Festhalten zentraler Erkenntnisse.

Den Dozierenden fallen dabei zwei zentrale Aufgabenbereiche zu:8

Moderieren: Dabei geht es primär darum, Kommunikationsnormen festzulegen, den Fokus der Diskussion zu betonen, zu strukturieren (Ablauf, inhaltlich) und Bezüge herzustellen (zwischen Beiträgen von Lehrpersonen, zu Konzepten und Theorie oder, umgekehrt, zum Unterricht beziehungsweise Evidenzen auf Basis der Unterrichtsartefakte), um damit das Abstrahieren und Konkretisieren zu unterstützen.

Wissen erweitern: Wissensbasiert (z.B. fachlich, fachdididaktisch) alternative Erklärungen, Bewertungen anbieten; mögliche andere Wirkungen in den Raum stellen oder allenfalls durch Impulse erfahren lassen sowie alternative Handlungsmöglichkeiten zeigen («modeling»).

Angesichts grösserer Gruppen und begrenzter Zeit muss diese Moderation (manchmal) in die Gruppe selbst ausgelagert werden, um eine hohe aktive Beteiligung an möglichst auch eigenen Beispielen zu ermöglichen. Damit die Zeit zielführend genutzt wird, können Unterstützungen angeboten werden, zum Beispiel in der Form eines abzuarbeitenden «Protokolls» (analog eines Ablaufschemas einer Intervision). Das Protokoll gibt Leitfragen zur Untersuchung der Unterrichtsartefakte oder Unterrichtsbeispiele vor und unterscheidet zum Beispiel Phasen der Beschreibung (Explizierung des Wahrgenommenen) und der Interpretation. Zudem strukturiert es sowohl die Rollen der Beteiligten als auch die Zeit. Allerdings sind damit auch Nachteile verbunden, wie Little und Curry (2009) anmerken. Die Qualität der Beiträge in der Diskussion bleibt offen, beziehungsweise es fehlt in der Gruppe die Expertise aus der Perspektive der Dozierenden, um sie allenfalls infrage zu stellen, sie zu elaborieren und weitere bedeutsame Gesichtspunkte einzubringen. Um eine entsprechend informierte Reflexion (Ertsas & Irgens, 2017) zu unterstützen, braucht es weitere didaktische Massnahmen. Ein Protokoll kann zudem schwerlich die Auswahl der Lernspur und damit die Qualität ihrer Evidenz für das Denken und Verstehen der Schülerinnen und Schüler und somit ihren potenziellen fachdidaktischen Gehalt steuern.

Das Anbahnen neuen Wissens, um begründet eine Handlungsalternative im Unterricht zu planen und erproben zu können, ist ein nächster Schritt. Er kann auf vielfältige Art und Weise erfolgen, wie zum Beispiel durch den Einsatz von zum Weiterdenken herausfordernden, aber nicht überfordernden Fragen, Fokussierungen und Impulsen sowie durch das Erfahren neuer Methoden, beispielsweise offenerer Aufgabenformate, wie sie einem kompetenzorientierten Unterricht zugeschrieben werden (siehe die Beiträge 4–7 aus den Fachbereichen). Auch ein kurzer Input, der vorher Angesprochenes modellhaft zusammenfasst oder ergänzt, Evidenzen aus der Unterrichtsforschung, die als Beweise beziehungsweise Begründungen für das neue Konzept dienen und die Lehrpersonen darin unterstützen, ihre Vorstellungen zu überprüfen, tragen dazu bei, sowohl die Reflexion des bisherigen Unterrichts zu informieren als auch Ansatzpunkte für dessen Weiterentwicklung zu finden. Die Bewegungen des induktiven Abstrahierens und des deduktiven Konkretisierens verlaufen dabei iterativ, und es gilt, wie im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern (Ewerhardy, 2010), dass eine angemessene Verwendung einer Fachsprache für den Konzeptaufbau förderlich ist.

Daran schliesst die Planung und Erprobung einer Handlungsalternative im Unterricht an. Es geht darum, das deduktive Konkretisieren in den Unterricht fortzusetzen, um dabei idealerweise die Bedeutsamkeit, Anwendbarkeit und den Mehrwert des neu Erarbeiteten zu erfahren. Damit schliesst ein Zyklus des «Wechselspiels zwischen berufspraktischem Handeln, sezierend-reflexiver Analyse und handelnder Rückübersetzung» (Neuweg, 2002, S. 27) ab.

Dieser Entwurf eines Prozesses versucht, analog der Theorie des Conceptual Change für das Lernen der Schülerinnen und Schüler (Caravita & Halldén, 1994) den Verlauf eines Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildungsangebots zu gestalten (Duit, Treagust & Widodo, 2013): Bestehende Vorstellungen und unterrichtliche Massnahmen der Lehrpersonen aufzunehmen, auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, allenfalls infrage zu stellen, sie auf den Lehrplan 21 und einen kompetenzorientiert(er)en Unterricht auszurichten, neues Wissen bereitzustellen und entsprechende neue Massnahmen zu erproben. Damit sind im Design der fachdidaktischen Begleitangebote ansatzweise alle vier Merkmale erkennbar, die Kennedy (2016) in ihrer Review zur Charakterisierung von Weiterbildungsprogrammen verwendet. Ihre Analyse unterscheidet Merkmale, nach denen Lehrpersonen in der Umsetzung der inhaltlichen Idee der Weiterbildung unterstützt werden: 1) vorschreiben, was zu tun ist, 2) verschiedene Strategien anbieten, aus denen ausgewählt werden kann, inklusive Begründungen, warum sie zu nutzen sind, 3) provokative Fragen stellen, damit die Lehrpersonen neue Einsichten zu ihrem Unterricht gewinnen, und 4) ihnen einen Wissensbestand präsentieren, ohne spezifisches Handeln im Unterricht zu stimulieren. Allerdings werden sie aufgrund der induktiv angelegten Entwicklungsorientierung und der Ausrichtung zur Unterstützung einer Lehrplaneinführung ganz spezifisch und kombiniert realisiert. Das Vorschreiben, was zu tun ist, steckt im neuen Lehrplan, dessen Verständnis durch die Verknüpfung mit dem eigenen Unterricht entwickelt wird (1). Kompetenzorientierte Aufgabenstellungen werden als «Strategien» angeboten, kompetenzorientierten Unterricht zu realisieren (2). «Provokative Fragen» oder zumindest das Insistieren auf Begründungen können ein Mittel sein, lernnotwendige Irritationen und Klärungsprozesse auszulösen (3). Nebst Erkenntnissen aus der gemeinsamen Reflexion dienen induktiv gesetzte Inputs zur Erweiterung der Wissensbestände (4), sodass die Vorgaben des Lehrplans in die Wissensstrukturen eingebunden werden können.

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9783035515190
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