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Читать книгу: «Eine neue Göttin für Myan», страница 2

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Kapitel 2

Ein Gefühl der Leichtigkeit breitete sich in Ally aus. Ein helles, fast blendendes Licht umgab die junge Frau. Ally konnte die beiden Göttinnen nicht mehr sehen. Wenn sie nicht den leichten Druck auf ihrer Hand fühlen würde, würde sie denken, dass sie ganz alleine war. Dann verlor sie das Gefühl unter ihren Füßen. Sie schwebte in der Luft und fühlte sich völlig schwerelos.

Genauso schnell wie dieses Gefühl gekommen war, verschwand es auch wieder. Unvermittelt hatte Ally wieder festen Boden unter den Füßen, sodass sie umknickte und stolperte. Wenn Sharon und Shila sie nicht gehalten hätte, wäre sie umgefallen. Das Licht um sie herum löste sich auf, und die gesamte Umgebung hatte sich verändert. Die drei Frauen standen auf einer ziemlich belebten Straße inmitten einer großen Stadt. Neben ihnen erhob sich ein großes, schlossähnliches Gebäude mit weitläufigen Seitenflügeln und einem großen weißen Eingangstor. Zum Tor hinauf führte eine breite Stiege aus weißen Steinen, welche mit Engelsstatuen gesäumt war. Das Eingangstor stand offen. Ally konnte aber von hier nicht erkennen, was sich darin befand.

Alles um Ally herum hatte dieselbe weiße Farbe. Auch die anderen Gebäude. Neben Ally, inmitten der weiß gepflasterten Straße, stand ein gelbes rundes Straßenschild. Das Schilde war in schwarzen Buchstaben mit „Das Hauptquartier!“ beschriftet. Wie eine Bushaltestelle. Nur ohne Aushang mit den Abfahrtszeiten.

Viele Menschen oder auch andere Wesen gingen an ihnen vorbei. War da drüben tatsächlich gerade eine Elfe aus dem Geschäft für Kleidung gekommen?

Helles Licht, wie jenes von dem Ally umgeben gewesen war, leuchtete neben ihnen auf. Wenige Sekunden später stand dort ein Mann mit langen Haaren und einem Bart auf dem Kinn und der Oberlippe. Er wandte sich dem großen Haus zu und ging die Treppe nach oben. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber Ally wusste nicht genau woher.

„Wow!“ entfuhr es Ally. Mit staunenden Augen schaute sie sich um. Sie wusste gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Vielleicht zu der Auslage des Kleidergeschäftes, in der es ausschließlich weiße Klamotten gab. Oder zu der Apotheke, in der tatsächlich Zaubertränke angeboten wurden. Sie bemerkte auch, dass es hier keine Autos gab, stattdessen jedoch manchmal Leute über ihren Köpfen hinweg flogen.

„Das ist ein magischer Ort!“, flüsterte sie leise.

„Ja, das ist es!“, stimmte Sharon ihr zu. Zusammen standen sie neben dem gelben Schild, und Ally blickte die Straße hinauf und hinunter. Es waren sehr viele Leute auf der Straße, und viele davon waren auf dem Weg zu dem großen Gebäude. Darunter auch Feen, Elfen und Kobolde. Ein kleines Mädchen, welches mit ihrer Mutter des Weges kam, hatte ein kleines rotes rundes haariges Ding bei sich, welches heftig zappelte und fiepende Laute von sich gab. Es schien eine Art Haustier zu sein.

Nun blickte Ally zu dem großen Gebäude empor. Das musste das Hauptquartier sein. Viele Menschen gingen die Treppe hinauf und hinunter. Es herrschte reger Betrieb.

„Was bedeutet das Hauptquatier?“, wollte sie schließlich wissen. Sharon und Shila gingen zur Treppe.

„Hier arbeiten Götter, wenn sie nicht gerade auf der Erde unterwegs sind“, erklärte ihr Shila. „Hier wird auch dein Unterricht stattfinden.“

Zusammen gingen sie die Treppe hoch. Ally war fasziniert und nervös zugleich. Es kribbelte in ihrem Bauch, aber sie versuchte, sich ihre Ängste nicht anmerken zu lassen. Die Statuen, welche die Treppe säumten, waren Engel mit prächtigen Flügeln und sanften Gesichtern. Auf dem großen Holztor war ein Holzkreuz, in dessen Mitte sich ein Pentagramm befand. Das Tor war umrahmt von geschwungenen Verzierungen, welche auch alle Fenster und das Gesimse zierten. Am Dach war eine Engelsstatue zu erkennen. Bis auf ein paar goldene Ornamente bestand das gesamte Haus aus den gleichen weißen Steinen.

Zusammen betraten sie die große Eingangshalle. Der Raum war ebenfalls ganz in Weiß gehalten. Gegenüber der Eingangstür führte eine Treppe mit einem silbernen, reich verzierten Geländer nach oben. Links von der Treppe stand ein großer, halbmondförmiger Schreibtisch. Es sah wie eine Rezeption aus. Hinter dem Schreibtisch saß eine junge Frau mit braunen Locken. Ally schien es, als würde sie sich auf einer Behörde befinden. Viele Menschen und andere Wesen standen in der Halle herum oder saßen an kleinen runden Tischen auf einfachen Holzstühlen. Sie alle füllten ein Formular aus, welches sie von dem Ständer genommen hatten, der links vor dem Schreibtisch stand. Die Rezeptionistin saß vor einem Computer, der genauso aussah wie einer auf der Erde. Sie beantwortete die Fragen der Anwesenden oder ging ans Telefon.

„Was ist das hier?“, wollte Ally wissen, als sie langsam zu dem Ständer ging. Nach einigem Suchen fand sie ein Formular in ihrer Sprache. In fetten Buchstaben stand „ANTRAG“ auf dem Papier. Darunter musste man dann Namen, Geburtsdatum, Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Art des Wunsches sowie eine genaue Beschreibung und Begründung angeben.

„Wenn man auf der Erde etwas von einem Gott oder einem Engel will, dann betet man“, erklärte ihr Shila. „Wenn man auf Myan etwas von den Göttern oder Engeln will, dann kommt man hierher und füllt einen Antrag aus.“ Nun war Ally etwas verwundert.

„Ich dachte, es leben nur Engel und Götter auf Myan?“

„Nein, die Götter und Engel leben im Tal der Götter. Ansonsten leben hier Menschen, Hexen, Zauberer, Feen, Elfen und viele andere.“

„Kann ich auch so einen Antrag ausfüllen?“

Shila nickte. „Ja, kannst du, aber du bist selbst eine Göttin. Er würde nicht angenommen werden.“

Ally steckte den Antrag wieder in den Ständer zurück. „Jetzt weiß ich auch, warum meine Gebete nie gehört wurden.“ Sharon legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Kein Zauber kann dir deine Ängste nehmen. Ängsten muss man sich stellen, um sie überwinden zu können.“

„Ist schon ok. Ihr kriegt vermutlich tausende Gebete täglich.“

„Eher Millionen – das gibt ein furchtbares Klingeln in den Ohren. Da sind uns die Anträge um einiges lieber!“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Die drei Frauen drehten sich um. Hinter ihnen stand eine hübsche Frau mit langen roten Haaren und grünen Augen. Sie hatte ein freundliches Gesicht, eine kleine Stupsnase und viele Sommersprossen. Im Gegensatz zu den Schicksalsgöttinnen trug sie keine wallenden weißen Gewänder, sondern eine langen luftigen Rock, wobei die untere Hälfte aus einem durchsichtigen Material bestand. Ihr T-Shirt war mit der Aufschrift „Ich war’s nicht“ und dem Bild einer Katze mit großen Augen und unschuldigem Blick bedruckt. Auch ihre Kleidung war weiß. Schuhe hatte sie keine an.

„Hallo Tina!“, wurde sie von den Schicksalsgöttinnen mit Küsschen begrüßt. Anscheinend war diese Art der Begrüßung auch auf Myan üblich. Ally hoffte, sich diesem Ritual nicht anschließen zu müssen. Sie mochte dieses Herumgeküsse nicht, vor allem, weil sie Angst vor Nähe hatte. Warum konnten die Leute nicht einfach beim klassischen Händeschütteln bleiben? Auch hatte Ally das Gefühl, dass sich die Leute von Myan einiges von den Menschen auf der Erde abgeschaut hatten. Fast so wie die Menschen aus Österreich von den Amerikanern.

Sharon stellte Ally Tina vor. Sie schüttelten sich kurz die Hände.

„Ich hab dich schon erwartet, Ally!“, sagte Tina dann. Die Frau wirkte nett – soweit Ally das in der kurzen Zeit beurteilen konnte.

„Tina wird dich unterrichten!“, erklärte ihr Sharon. Ally wusste nicht, was sie sagen sollte, also schwieg sie einfach. Ihr war es aber doch etwas unangenehm. Sie mochte das Gefühl nicht, nichts zu sagen zu haben. Dabei hatte sie immer das Gefühl, dass sie nicht intelligent genug war, um überhaupt zu einer Konversation beizutragen. In ihrem Kopf hörte sich alles irgendwie dumm an und ihr kam es so vor, als würden ihr die anderen diese Gefühle ansehen.

Tina lächelte sie freundlich an. „Wir werden mit dem Unterricht so bald wie möglich beginnen. Also: Was machst du morgen?“

Ally dachte einen Moment nach. Morgen war Samstag, folglich hatte sie auch nichts vor.

„Ich habe morgen Zeit“, sagte sie schließlich.

„Gut, dann treffen wir uns morgen um zehn Uhr hier?“

Ally nickte. Sie konnte es kaum erwarten mit ihrer Ausbildung zu beginnen. Alles in ihr kribbelte. Sie hatte das Gefühl, irgendjemandem davon erzählen zu müssen, weil es sonst unmöglich wahr sein konnte. Aber dann sagte Sharon etwas, das alles furchtbar kompliziert machte. Es schien fast, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.

„Du darfst niemanden davon erzählen.“

„Aber warum?“ Ally hatte zwar vermutet, dass sie dies alles nicht an die große Glocke würde hängen dürfen, aber sie hatte angenommen, wenigstens ihrer besten Freundin davon erzählen zu können.

„Die Menschheit ist noch nicht bereit für dieses Wissen.“

„Ich möchte es ja auch nicht der ganzen Menschheit mitteilen, sondern nur meiner besten Freundin!“ Aber die Göttinnen schienen auch das nicht zu wollen.

„Je mehr Menschen darüber Bescheid wissen, desto größer ist die Gefahr, dass all das hier auffliegt!“ Ally war immer noch nicht ganz glücklich damit, aber sie war noch nie gut darin gewesen, irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen, also fragte sie stattdessen das ihr am nächsten wichtig Erscheinende.

„Wie komme ich morgen hierher?“ Tina holte ein kleines schwarzes Plastikkästchen aus ihrer Tasche. Es hatte Ähnlichkeit mit einem MP3-Player. Es gab einen kleinen Bildschirm, einen Power-Knopf, zwei Pfeiltasten und einen großen grünen Knopf. Der Bildschirm nahm die obere Hälfte und der grüne Knopf die untere Hälfte in Anspruch. Die anderen Tasten befanden sich an den Seiten.

„Das ist ein Tayler!“, erklärte sie. „Damit kannst du dich von einem Ort zu einem anderen bewegen, also taylen.“ Sie schaltete das Gerät ein. „Du brauchst es nur einschalten, den gewünschten Ort auswählen und auf den grünen Knopf drücken!“

Ally nahm den Tayler in die Hand und klickte durch die Orte. Die wenigsten Städte und Gegenden sagten ihr etwas. Sie hatte keine Ahnung, wo Silenda oder Blue Moon war. Doch auch ihre Wohnung war verzeichnet.

„Wo ist Blue Moon?“, fragte sie Tina.

„Das ist eine Bar in Wien.“

„Und warum steht die da drin?“

„Ich wusste nicht, welche Orte du tatsächlich brauchen wirst. Und da es länger dauern wird, bis du es ohne Hilfe kannst, dachte ich mir, dass ich einfach eine kleine Auswahl einspeichere.“

Ally starrte das kleine Kästchen an. Sie war verwirrt. Alles hier erinnerte sie an einen verrückten Traum. Sie war davon überzeugt, dass sie jeden Moment aufwachen würde. Die Menschen liefen um sie herum. Sie hörte Gesprächsfetzen von irgendwelchen Wünschen. Die Frau hinter dem Empfangstresen erklärte einem Mann gerade, dass sie keine sofortige Antwort auf seinen Antrag geben konnte, da dieser erst geprüft werden musste.

„Kann mich mal jemand kneifen?“, flüsterte Ally leise. Alles kam ihr so unwirklich vor. Shila kam Allys Aufforderung auch tatsächlich nach.

„Au!“ Ally strich mit ihrer rechten Hand über die Stelle, wo Shila sie gezwickt hatte. Sie grinste Ally an. Und Ally schaute verwundert zurück. „Es kommt mir immer noch wie ein Traum vor!“

„Du musst dich erst daran gewöhnen. Es war auch wirklich viel auf einmal“, erwiderte diese und lächelte verständnisvoll. Ally versuchte sich vorzustellen, dass alles wahrhaftig passiert war. Aber das Gefühl, dass alles nur ein Irrtum sein konnte und sie bald aufwachen würde, ließ sich nicht ganz abschütteln. Daher schob sie diese Gedanken erst mal beiseite und schaute sich stattdessen den restlichen Saal an. Eine große zweiflügelige Tür befand sich auf der anderen Seite der Treppe. Auch diese Tür stand offen, und Menschen gingen aus und ein. Ansonsten gab es noch viele Gemälde an den Wänden. Unter jedem Gemälde hing ein Namensschild. Das Gemälde einer schönen jungen Frau mit langen blonden Haaren, das ihr am nächsten hing, war mit „Christinelle – der ‚eine’ Gott“ beschriftet.

„Gott ist ein Frau?“, wunderte sich Ally.

„Tja“, murmelte Sharon, „wir wollten den Irrtum der Menschen ja aufklären, aber dann war es bereits zu spät.“ Das konnte sich Ally gut vorstellen, schließlich war die Erde von Völkern bewohnt worden, wo Männer bevorzugt wurden. In der modernen Zeit hatte sich das zwar geändert, aber es gab nach wie vor Angelegenheiten, wo Frauen noch immer nicht gleich behandelt wurden. Auf Myan schien es dieses Problem nicht zu geben.Im Saal hing noch ein Gemälde des bärtigen Mannes mit den langen Haaren, welchen Ally vor wenigen Minuten vor dem Gebäude gesehen hatte. Er war aus dem Nichts aufgetaucht. Dieses Bild war mit „Jesus Christus “ beschriftet. Jetzt wusste Ally auch, warum er ihr so bekannt vorgekommen war.

„Ich hätte nicht gedacht, dass das alles wirklich passiert ist!“, sagte sie zu den Schicksalsgöttinnen und Tina, während sie langsam durch den Saal ging und die restlichen Bilder betrachtete. Es gab auch ein Gemälde von Sharon und Shila, welches angab, dass sie vollständig Sharonelle und Shilanja hießen.

„Es war nicht ganz so, wie es in der Bibel steht“, erklärte ihr Shila. „Aber ja … es ist passiert!“

Nun wurde Ally neugierig. „Wirklich? Wie war es dann?“ Die Schicksalsgöttinen kicherten leise.

„Es war ein Unfall!“, beantwortete Tina ihre Frage.

„Tatsache?“

„Ja!“

„Inwiefern?“

„Na ja, Chrissy war ungewollt schwanger geworden, und sie war sich nicht sicher, ob sie das Kind bekommen sollte. Also hat sie ihre beste Freundin Heather gebeten, ihr zu helfen.“

Ally sah auf das Gemälde einer Frau mit stechend blauen Augen und kurzen wirren Haaren, welche ihr vom Kopf abstanden, als ob sie in eine Steckdose gegriffen hätte. Sie hatte einen ziemlich verwirrten Gesichtsausdruck und blickte unbeteiligt in die Ferne. Das Gemälde war mit „Heather – die quirlige Wettergöttin“ bezeichnet.

„Und inwiefern war das ein Unfall?“

„Weißt du, Heather ist ziemlich verwirrt und tollpatschig, und sie wollten einen Zauber zur Entscheidungsfindung machen, welcher aber nach hinten losgegangen ist – na ja, und dann war plötzlich Maria schwanger und nicht mehr Christine.“ Die Göttinnen fanden es anscheinend ziemlich komisch, denn sie mussten sich, seit Ally das Thema angesprochen hatte, das Lachen verkneifen. Immer wieder kicherten sie. „Und dann mussten wir uns etwas einfallen lassen, weil wir es nicht schafften, den Zauber wieder rückgängig zu machen, und wir dachten, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, den Menschen einmal eine Botschaft zu überbringen.“

„Auch wenn diese nicht ganz so richtig angekommen ist“, fügte Sharon hinzu.

Nun musste auch Ally lächeln, aber mehr, weil die Schicksalsgöttinnen sich so köstlich über etwas amüsieren konnten, das bereits vor über 2000 Jahren passiert war. Für die junge Frau war es unglaublich, dass sie über ein tatsächliches Vorkommnis und nicht über irgendwelche alten Texte sprachen. Wieder kehrte das Gefühl zurück, dass es sich um einen Traum handeln musste. Sie konnte es nicht glauben, dass alles tatsächlich wahr sein sollte. Da kamen ihr auch gleich wieder ein paar Fragen in den Sinn.

„Ihr könnte also tatsächlich Wasser in Wein verwandeln? Oder Tote wieder zum Leben erwecken?“

„Aber natürlich! Nichts leichter als das! Obwohl: Die Toten wieder erwecken, das können nur Götter – Engel nicht!“, erklärte ihr Sharon, und Shila schwärmte ihr vor: „Du musst unbedingt mal ausprobieren, wie es ist, über das Wasser zu gehen. Es fühlt sich einfach herrlich an.“

Ally konnte es kaum erwarten anzufangen. „Wo führt diese Treppe hin?“ Die junge Frau erfuhr, dass sich in den oberen Etagen Unterrichtsräume, Trainingsräume, Büros und der Übergang zur Wiedergeburt befanden. Im Erdgeschoss waren der Ballsaal und die Küche, und im Keller befand sich die Bibliothek, wo man jedes Buch finden konnte, dass jemals auf der Erde und auf Myan geschrieben wurde.

„Unser Unterricht wird in Raum 1.05 stattfinden“, sagte Tina. Sie erklärte Ally auch, dass die erste Zahl für das Stockwerk und der Rest für die Raumnummer steht. So konnte man sich relativ leicht zurechtfinden.

„Myan ist der Erde in manchen Dingen ziemlich ähnlich“, wunderte sich Ally. Die beiden Göttinnen klärten sie darüber auf, dass es eher andersrum der Fall war: Die Götter und Engel gab es schon um einiges länger als die Menschen von der Erde. Im Laufe der Zeit hatten die Götter und Engel und die auf der Erde lebenden Hexen und Zauberer die Welt der Menschen doch sehr beeinflusst, und auch die Leute von Myan wurden von den Menschen der Erde beeinflusst. Und so sahen die Computer von Myan deswegen jenen von der Erde so unglaublich ähnlich, da die Bewohner von Myan diese Geräte einfach auf die Erde mitnehmen wollten. Bevor es auf der Erde eine solche Technologie gab, hatten diese Geräte ganz anders ausgesehen.

„War das auch bei den Sprachen so?“, wollte Ally wissen.

„Natürlich. Diese Stadt hier heißt Tiantiang, was im Chinesischen soviel wie ‚Himmel’ bedeutet, und der Name der Hauptstadt von Myan, Silenda, kommt im Lateinischen vor und beutet ‚Geheimnisse’.“

Von all den Dingen, welche Ally erfahren hatte, schwirrte ihr der Kopf. „Wie soll ich das nur alles lernen?“, murmelte sie. Immerhin hatte sie, da sie ja keinen Job hatte, genug Zeit dafür. Tina munterte sie etwas auf, indem sie sagte: „Sobald du auf die Sammlung zugreifen kannst, ist das alles ganz einfach.“ Ally konnte aber nur müde lächeln.

„Ist das Leben nicht etwas langweilig, wenn man immer alles weiß?“

„Ach, dazu müsste die Sammlung etwas detaillierter geschrieben sein. Aber es sind eher mehr Bilder, Gefühle und wenige Worte.“ Auch die Schicksalsgöttinnen konnten dem nur zustimmen.

„Ist manchmal ziemlich schwer zu entziffern!“, meinte Sharon. „Wir haben deine Wohnung drei Tage beobachtet, da wir zwar wussten, dass etwas passieren würde, jedoch nicht wann oder was genau.“

„Wir haben uns schon Sorgen gemacht, dass wir etwas verpassen“, fügte Shila hinzu.

Die Ängste, die Ally in den letzten Stunden erfolgreich verdrängt hatte, kehrten zurück. Es schien mit viel Verantwortung zusammenzuhängen, wenn man eine Göttin war. Was, wenn sie etwas falsch machte? Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich klarmachte, dass es noch länger dauern würde, bis sie soweit war, eine Entscheidung zu treffen.

„Ich würde jetzt gern nach Hause gehen“, sagte sie dann. „Ich muss über einiges nachdenken.“

„Ist ok! Bis morgen!“, meinte Tina.

„Um zehn Uhr?“ Der Engel nickte. „Aber denk daran, dass der Zeitunterschied zwischen Myan und der Erde in deinem Fall dreieinhalb Stunden beträgt.“

„Das wäre dann ...“ Ally rechnete schnell im Kopf nach. „Halb zwei?“ Wieder nickte Tina. Ally verabschiedete sich mit den Worten: „Wir sehen uns dann morgen!“ Sharon umarmte Ally kurz.

„Du wirst das schon schaffen!“, versuchte sie ihr Mut zu machen. Ally lächelte kurz. Shila sagte schlicht: „Bye!“

Dann sah Ally auf den Tayler, den sie immer noch in der Hand hielt, wählte ihre Wohnung aus und drückte auf den grünen Knopf.

Kapitel 3

Ally lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie war vor ungefähr einer Stunde von Myan zurückgekommen. Gerade war sie noch ein ganz normales Mädchen gewesen, und jetzt sollte sie eine Göttin sein. Trotz der Geschehnisse konnte Ally das Gefühl, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte, nicht abschütteln. Wie sollte sie nur glauben, dass dies alles tatsächlich passierte?

Draußen wurde es langsam dunkel. Lange Schatten zogen sich über die Zimmerdecke. In der Glastür ihres fünftürigen Kleiderschranks spiegelte und funkelte das Licht der Straßenlaterne. Das Wohnzimmer hatte genau so ausgesehen, wie sie es verlassen hatte. Die Tabletten und der die Flasche Wodka hatten noch an genau derselben Stelle am Couchtisch gestanden. Daraufhin hatte Ally die Sachen wieder zusammengesammelt und zurück in den Schrank gepackt.

Die Schicksalsgöttinnen hatten ihr gesagt, dass die Sammlung sehr schwer zu deuten war. Vielleicht handelte es sich ja um einen Irrtum. Nachdem sie die Sachen zurück in den Kasten gegeben hatte, hatte sie sich in ihrem kleinen Schlafzimmer auf das Bett gelegt. Es hörte sich alles einfach so unglaublich an. Sie sollte Magie anwenden können? Ally setzte sich in ihrem Bett auf. Sie fixierte eine Tür ihres Kleiderschranks, welcher direkt gegenüber von ihrem Bett stand. ‚Geh auf!’ Ally versuchte sich darauf zu konzentrieren, die Tür zu öffnen, aber es fühlte sich genauso an wie all die anderen Versuche, welche jeder irgendwann unternahm, wenn man keine Lust hatte aufzustehen und die Fernbedienung zu holen. Es passierte genauso viel: nämlich gar nichts. Ally konnte sich nicht vorstellen, jemals Magie anzuwenden. ‚Geh auf!!’ Da Ally genug Fantasyromane gelesen hatte, versuchte sie, wie in einigen davon beschrieben, ihren Geist zu leeren und tief in sich hineinzuhören. Aber dennoch rührte sich die Tür nicht. Nicht einmal ein kleines Wackeln.

In diesem Moment klangen die Töne von I'm a survivor durch den Raum. Ihr Wecker! Eigentlich eher eine Erinnerung daran, dass die Probe des Kirchenchors in einer halben Stunde stattfinden würde. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie die Probe heute vielleicht ausfallen lassen sollte, aber dann dachte sie, dass es ihr wahrscheinlich helfen würde, wieder Zugang zur Realität zu erhalten und vielleicht dieses Traumgefühl abzuschütteln. Also stand sie auf und ging ins Bad, wo sie sich das Gesicht wusch und die Haare kämmte. Dann zog sie sich ihre schwarzen Nike-Schuhe an, nahm ihre Jeansjacke und die Handtasche und verließ die Wohnung.

Die Kirche war nur wenige Minuten von ihrer Wohnung entfernt. Ally wusste, dass sie etwas zu früh kommen würde.

Sie konnte die große neugotische Kirche bereits von Weitem sehen. Vorne neben dem Haupteingangstor befanden sich zwei große Türme aus schwarz-rot-braunen Steinen mit hohen abgerundeten Fenstern. In der Mitte gab es eine Kuppel mit einem weiteren Turm und einem grünlichen Dach. Die Kirche umgab ein grau gepflasterter Platz mit dazwischen liegenden Beeten, auf denen Frühlingsblumen wuchsen – passend zu diesem warmen Mai. Auf den zahlreichen Parkbänken saßen mehrere Menschen: ältere Herren, junge Mütter mit Kindern und auch Teenager. Wirkliche Kinderspielgeräte gab es zwar nicht, aber dennoch hatten die Kinder Spaß mit den in den Boden geschraubten sich drehenden Metallkugeln. Ally konnte sich nicht vorstellen, wozu diese Kugeln eigentlich gut waren.

Weiters gab es noch sechs Laubbäume in unterschiedlicher Größe. Welche Art Baum konnte Ally nicht sagen, sie hatte für so etwas einfach kein Auge. Um den größten Baum waren Bänke im Kreis aufgestellt. Der Baum befand sich in der Mitte eines runden sandigen Bereichs ohne Pflastersteine. Die restlichen Bänke standen neben den umzäunten Blumenbeeten auf der anderen Seite der Kirche. Im hinteren Teil der Kirche gab es viele Gebäudeteile mit steilen rötlichen Dächern. Um die Kuppel herum befanden sind noch viele kleinere Türmchen.

Ally umrundete die Kirche und betrat das Gebäude durch den Haupteingang. Es blätterte bereits Holz vom Rahmen ab. An der Tür hingen Plakate, welche auf die Zeiten für die Messen hinwiesen. Im Inneren war ein kleiner Bereich mit einer Glaswand von der restlichen Kirche abgetrennt. Rechts und links führten Türen in die Kirche. Ally betrat die Kirche durch die linke Schleuse, wo ein Tisch mit diversen Prospekten stand, welche die Kirche und humanitäre Aktionen betrafen.

Ganz vorne befanden sich zwei Reihen mit einfachen miteinander verbundenen Holzbänken. Der Hauptaltar war ein einfacher Tisch mit weißem Tuch und mehreren Kerzen in hohen Kerzenständern.

Neben dem Hauptaltar hatten sich bereits die anderen Mitglieder des Kirchenchors versammelt. Der Chor bestand aus zehn Personen und wurde von Teresa Konrad geleitet. Die ältere Frau war mit Herz und Seele bei der Sache. Nach Allys Meinung nahm sie den Chor manchmal auch etwas zu ernst.

Teresa kam auf sie zu. Ihre kurzen dunklen Haare waren von silbernen Strähnen durchzogen.

„Alyssa!“, sagte sie fröhlich, als Ally sich langsam näherte. „Ich möchte dir jemanden vorstellen!“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass jemand neues unter den Mitgliedern zu sein schien. Zuerst dachte Ally, dass es sich um einen Neuzugang zum Chor handeln würde, aber dann bemerkte sie den charakteristischen weißen Krageneinsatz am schwarzen Hemd, das der Mann trug. Es musste also der neue Priester sein. Vor Wochen wurde bereits angekündigt, dass ein neuer Priester in diese Gemeinde kommen würde. Der Mann war viel jünger als sein Vorgänger. Er wäre frisch vom Priesterseminar, so hieß es.

„Das ist Christopher Baily!“, sagte Teresa. Herr Baily hat kurze dunkelbraune Haare und ebensolche Augen. Er war attraktiv. ‚Eine Verschwendung an die Kirche’, würde ihre Schwester Sira sagen. Er lächelte, als er sich zu Ally drehte. Instinktiv lächelte sie zurück.

„Hallo, ich heiße Alyssa Sullivan“, stellte sie sich vor. Sie streckte ihre Hand hin. Als er diese ergriff, um sie zu schütteln, trafen sich ihre Augen. Es kribbelte in ihrer Hand. Ally wurde warm, während sie in seine sanften Augen blickte.

„Freut mich, Sie kennenzulernen!“, erwiderte Herr Baily. Dann hatte er ihre Hand auch schon wieder losgelassen. Als nächstes drängte sich bei Ally das Gefühl auf, unbedingt nach Hause gehen zu wollen. Das Gefühl bekam sie immer, wenn sie jemand neues kennenlernte. Vor allem Männer. Ally spürte, etwas sagen zu müssen, wusste aber beim besten Willen nicht, was.

„Singen Sie schon lange beim Chor?“, fragte Herr Baily. Ally hätte diese Frage beinahe nicht mitbekommen.

„Seit ich vor vier Jahren nach Wien gezogen bin!“ Sie hatte das Gefühl, als würde ihre Stimme zittern. „Ich komme ursprünglich aus Kärnten!“ Sie versuchte, diese Gefühle abzuschütteln, aber es schien nicht zu funktionieren.

„Ich war auch schon mal in Kärnten. Woher kommen Sie genau?“

„Völkermarkt, das ist in der Nähe von Klagenfurt!“

Bevor noch jemand etwas sagen konnte, trat Teresa wieder zu ihnen. „Wir sollten mit der Probe anfangen, Alyssa.“ Ally wandte sich zu ihr um. „Ja“, sagte sie schlicht und ging zu den anderen hinüber, um auch sie zu begrüßen. Herr Baily verabschiedete sich von ihnen und entfernte sich, um sich weiter in der Kirche umzusehen. Wahrscheinlich war er erst vor kurzem angekommen.

Teresa kam zu ihnen. „Wir fangen mit ‚Großer Gott, wir loben dich’ an!“

Ally konnte die Gefühle nicht so recht einordnen, aber sie fühlte sich eindeutig zu diesem neuen Priester hingezogen. Diese Gefühle zu haben, war so etwas von falsch, und sie hatte keine Ahnung, wo das hinführen würde.

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