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Aus Sicht der Freimaurerei befindet sich die Kirche im Irrtum

Diese duale Vorstellung vom Universum, die auf den ersten Blick so verlockend erscheint, brachte mich und viele andere Freimaurer auf den Gedanken, dass die Freimaurerei die Schlüssel der Wahrheit in Händen halte, während die Kirche im Irrtum sei; dass die Freimaurerei die weiße Fliese des strahlenden Lichts, die Kirche dagegen die schwarze Fliese der Dunkelheit oder sogar Verdunklung sei.

In diesem Zusammenhang hatte ich 2006 in meiner Loge in Narbonne eine Diskussion mit einem Freimaurer der höchsten Grade, der sich in der Loge oder beim Brudermahl gern abfällig über die Kirche äußerte. Dieser Eingeweihte bekleidete ein verantwortungsvolles nationales Amt innerhalb der Großloge »Le Droit Humain«. Unsere Diskussion fand während des Brudermahls nach einer Erhebung zum Meistergrad im Rahmen einer Festarbeit statt.31

Das Fazit dieser Unterhaltung war, dass die echten Meister diejenigen seien, die der Menschheit das Glück brachten – im Gegensatz zu jenen, die sie mit ihrem »Aberglauben«32 in die Irre führten. Denn wie ich im Verlauf meines Initiationsweges lernen musste, ist die Freimaurerei wirklich davon überzeugt, dass sie ihren Eingeweihten okkulte Geheimnisse zugänglich macht. Insbesondere die katholische Kirche ist in ihren Augen eine Perversion der ursprünglichen Überlieferung: »Dann verkehrte sich die esoterische Weisheit in Religion: ›Die Religionen stimmen nicht nur nicht mit der esoterischen Lehre überein, sondern entstellen sie oder lehnen sie ab.‹«33 Die Freimaurer betrachten sich als die Erben der ursprünglichen Weisheit, in der angeblich alle Religionen der Menschen ihre Wurzeln haben: »Die Freimaurerei lehrt die Grundsätze des uranfänglichen Glaubens und hat diese Gefäße, auf die sich jede Religion stützt, in ihrer Reinheit bewahrt.«34 Vor diesem Hintergrund betrachten die Freimaurer – besonders die Hochgrade des Areopags, die der schwarzen Freimaurerei angehören – die Bischöfe, die Kardinäle und speziell den Papst (vor allem Benedikt XVI., den die Freimaurer nicht ausstehen können) als Hochstapler und Betrüger.

Es entspricht somit vollkommen der Logik der Freimaurer, die Mitglieder der Kirche mit den Mördern Hirams gleichzusetzen oder zumindest zu Mittätern zu erklären. Hiram ist der Großmeister aller Freimaurer und Wahrer der letzten Geheimnisse. Er wurde von drei ehrgeizigen und neidischen Gesellen ermordet, die diese Geheimnisse in ihren Besitz bringen wollten, ohne die Voraussetzungen für ihre Initiation erfüllt zu haben. Dem altgedienten Hochgradfreimaurer fiel es übrigens nicht weiter schwer, mir zu beweisen, dass die Kirche bildungs- und fortschrittsfeindlich sei. In die Argumentation meines Bruders aus den Hochgraden, deren Subjektivität ich damals noch nicht durchschaut hatte, reihte sich ein antiklerikaler Gemeinplatz an den anderen: die Inquisition, die Borgia-Päpste und ihre Intrigen, der Prozess gegen Galileo, die Leugnung der Jungfräulichkeit Mariens und sogar der Gottheit und der Auferstehung Christi.

In den Augen der Freimaurerei will die Kirche nur eines: den Meisterfreimaurer Hiram töten, der in allen Eingeweihten wiedergeboren wird.

Die katholische Kirche, die die Freimaurerei seit deren Entstehung im 18. Jahrhundert bekämpfe, stemme sich der Emanzipation der Menschheit entgegen, erklärte mir mein Bruder. Sie lasse sich, genau wie die drei mörderischen Gesellen, von Dogmatismus, Fanatismus und Ehrgeiz leiten. Damals – das muss ich heute mit Bedauern und nicht ohne Scham zugeben – erschien mir diese freimaurerische Theorie hinreichend plausibel. Auch wenn ich weiß, dass der Herr mir diese Verirrung vergeben hat, weil ich sie »unter Einflussnahme« begangen und vor allem weil ich sie nach meiner Bekehrung aufrichtig bereut habe, muss ich bekennen, dass ich in meiner Verzweiflung Tränen vergossen habe, als ich meine Verblendung mehrere Jahre später beichtete. Ich war wie Petrus, der Christus verleugnet hatte: »Und er ging hinaus und weinte bitterlich« (Mt 26,75).

Von Grund auf eine Doppelmoral

In den Augen der Freimauerei, die lehrt, dass der Mikrokosmos identisch mit dem Makrokosmos ist, ist das Universum dual. Folglich ist auch im Menschen alles dual angelegt.

Als Freimaurer hatte ich kein anderes Bezugssystem als das, welches die institutionelle Freimaurerei vertrat: Nichts ist ganz und gar böse, nichts ist vollkommen gut, jeder entscheidet letztlich selbst über seine moralischen Kriterien, die initiatische Utopie gibt den einzigen Rahmen vor. In vielen Werkstücken wird überdies die These vertreten, dass das schwarz-weiße Fliesenmuster nicht nur die Dualität symbolisiere, sondern – ein Anklang an das Yin und Yang der fernöstlichen Kosmologie – die schwarzen Kacheln Weiß und die weißen Kacheln Schwarz enthalten. Was in der Farbenlehre zutreffen mag, ist in der Theologie wohl eher fragwürdig! Die Freimaurerei vertritt demnach die Auffassung, dass ihre Eingeweihten Gutes tun, auch wenn sie sich ein bisschen böse verhalten, und dass sie Böses tun können, damit etwas Gutes daraus entsteht. Das ist sehr weit von der moralischen Strenge eines heiligen Paulus entfernt, der den Christen an das einzig Gute gemahnt: »Die Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten!« (Röm 12,9).

Konkret führt diese relative Moral zu Ausschweifungen, für die die Wollust ein perfektes Beispiel ist. Im Hinblick auf die Sexualität lehrt der heilige Paulus: »Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt – aber nichts soll Macht haben über mich« (1 Kor 6,12). Dagegen ist die Moral im freimaurerischen Sinne, wie ich bezeugen kann, lediglich das Ergebnis eines »Sozialvertrages« und ihre Grenzen sind letztlich von einem menschlichen Konsens abhängig, der keinem Gott Rechenschaft schuldet: »Der ehemalige Senator Caillavet, ein bekannter Freimaurer […] schreibt: ›Es gibt keine universale Moral mit göttlichem Unterbau; die Moral ist im Wesentlichen zufällig und daher veränderlich; sie ist nicht transzendental. Was heute wahr ist, ist vielleicht morgen schon falsch.‹«35 Wenn aber alles relativ und vorläufig ist, dann sind Wollust und Ehebruch keine Sünden mehr. Alles ist erlaubt und die Moral gibt es nicht mehr.

Ein Freimaurer, der immerhin für seine intellektuelle Aufrichtigkeit Anerkennung verdient, hat in einem Werkstück zugegeben, dass die Freimaurerei nicht nur relativistisch ist, sondern den Relativismus geradezu zum Dogma erhebt: »Auch wenn man sagt, dass der Relativismus nicht als Dogma aufgefasst wird, handelt es sich de facto doch um einen relativistischen symbolischen Entwurf; mithin ist der relativierende Charakter einer solchen moralischen und rituellen Gemeinschaft nichts, was man vernachlässigen könnte, sondern erweist sich im Gegenteil als entscheidend.«36

Nun wird aber gerade im Bereich der Sexualität die Freiheit, wenn sie relativ wird, leicht mit einem ausschweifenden Lebenswandel verwechselt: »Der Ehebruch ist bei ihnen weitverbreitet. Oh, protestieren Sie nicht, meine Brüder, ich könnte sehr viele Fälle nennen; ich könnte Namen von sehr erlauchten Brüdern37 nennen. In den Vorräumen werden oft sehr anzügliche Reden geführt; und wenn man am Abend die Große Loge verlässt, geht man nicht auf direktem Weg nach Hause, oder etwa doch, Bruder X und Bruder Y? Und ausgerechnet Sie schreien am lautesten, wenn es darum geht, abscheuliche Verleumdungen über die Priester und die Beichte in Umlauf zu bringen. Heuchler!«38

In anderen Gesellschaftskreisen zeigt eine Begebenheit, die durch die nationale Presse gegangen ist, wie sehr die Ideologie der Freimaurerei manche ihrer Mitglieder beeinflusst, bis schließlich in einer zügellos hedonistischen Mischung aus Freimaurerei, Sex, Politik und Geschäftemacherei jedwede moralische Barriere fällt: Ich meine die »Carlton«-Affäre, die im Februar 2015 beim Landgericht in Lille ihr gerichtliches Nachspiel hatte. Auch wenn der ehemalige geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, Sohn von Freimaurern und möglicherweise selbst Mitglied einer Loge, 2015 nicht wegen Zuhälterei verurteilt wurde39, hat er eingeräumt, im Rahmen von Veranstaltungen, die von manchen als »kollektive sexuelle Aktivitäten«40 beschrieben wurden, mit mehreren jungen Frauen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Knapp die Hälfte der im Zusammenhang mit dieser Affäre angeklagten Personen waren Freimaurer. Und »vier der sechs beschuldigten Freimaurer waren Mitglieder des Großorients von Frankreich«.41 Das Stichwort »Freimaurerei« ist auf jeder Seite dieser »erotisch-intimen« Akten zu finden: »Nach Ansicht der Untersuchungsrichter waren ›Netzwerke aus Freimaurern, Freigeistern und Politikern‹ beteiligt.«42 Und so kam es, dass das Wochenmagazin »Le Point darin den Schatten der Freimaurerei erkannte, Le Figaro von ›schlüpfrigen Brüdern‹ sprach, La Dépêche einen freizügigen, teils freimaurerischen Freundeskreis benannte und in etlichen weiteren Medienkommentaren der Begriff der Freimaurerei auftauchte«.43

Es geht hier nicht darum, alle Freimaurer als Freigeister oder als sexuell entartet abzustempeln. Ich kann im Gegenteil bezeugen, dass ich Logenmitglieder gekannt habe, die in dieser Hinsicht ohne Fehl und Tadel waren. Doch in der Freimaurerei ist alles relativ und der moralische Relativismus, der aus der freimaurerischen Doxa folgt, führt häufig auf Abwege. Diese Abwege sind die logische Konsequenz einer individualistischen, subjektiven und eigenständigen Betrachtungsweise des Eingeweihten. Wenn jeder Gut und Böse nach seinen eigenen Kriterien definiert, wird der Mensch in moralischer Hinsicht autonom.

Ein Freimaurer des Großorients von Frankreich erläutert in einem seiner Werkstücke – mit dem Titel »Ethik und Moral« –, dass die Freimaurerei amoralisch und dass diese relativistische Auffassung zwangsläufig durch den freimaurerischen Individualismus bedingt ist: »Die Autonomie jedes Einzelnen ist eine zentrale Forderung.«44

Darauf hat Papst Leo XIII. schon vor beinahe eineinhalb Jahrhunderten hingewiesen: »Die sittliche Erziehung, welche die Sekte der Freimaurer allein noch gutheißt und billigt, in der die Jugend herangebildet werden soll, ist die sogenannte rein weltliche, unabhängige und freie, d. h. alles Einflusses der Religion bare. Wie dürftig aber eine solche ist, wie kraftlos, wie schwankend bei jedem Hauch der Leidenschaften, das haben ihre bereits offenbarten und beklagenswerten Früchte hinlänglich dargetan. Denn wo immer jene ungehindert sich geltend machte, und die christliche Erziehung weichen musste, da schwanden alsbald die guten und reinen Sitten.«45

Und die Wollust ist eine Sünde gegen Gott, denn sie ist eine Sünde gegen unseren eigenen, von Gott geschaffenen Leib: »Meidet die Unzucht! […] Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!« (1 Kor 6,18–20). Liebe und Sexualität sind nicht voneinander zu trennen und die Heilige Schrift verpflichtet die Eheleute zur Vereinigung im Fleisch: »Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeit lang, um für das Gebet frei zu sein! Dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt, weil ihr euch nicht enthalten könnt»(1 Kor 7,5).

Die Freimaurerei dagegen vertritt die Auffassung, dass jeder seinen eigenen Wünschen gemäß leben soll. Die Unzucht ist somit nichts Verwerfliches, sondern lediglich eine frei gewählte »Besonderheit« des Verhaltens. Gut und Böse werden zu relativen Begriffen und nichts hindert den Freimaurer daran, etwas Böses als gut zu betrachten.

In den Augen der Freimaurerei ist das Böse für die Menschheit nötig und nützlich

Für die Initiationsgemeinschaft sind Gut und Böse zwei Kräfte, die zwar gegensätzlich, zugleich aber durch ihre Natur und ihren kosmischen Ursprung miteinander verbunden sind. Das macht sie zur Grundlage der letzten Wirklichkeit. Folgerichtig wird das Böse, wie ich zu meinem Entsetzen erfahren musste, in der Freimaurerei sogar ganz unzweideutig verherrlicht: »Das Böse ist der Schatten des Guten, es ist untrennbar mit ihm verbunden. […] Somit braucht die Menschheit das Böse (sic) […] wie das Meerwasser das Salz. Auch dort kann die Harmonie nur aus dem Gleichgewicht der Gegensätze entstehen.«46 In den Augen der Freimaurerei bildet das Böse also ein notwendiges Gegengewicht zum Guten.

Christus dagegen nennt uns das »Salz der Erde«, wenn wir nicht den Weg der Dualität von Gut und Böse, sondern den Weg der Seligpreisungen einschlagen, die Ausdruck des alleinigen Guten und der einzige Weg des göttlichen Wortes sind: »Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen?»(Mt 5,13).

Derjenige Zweig der Freimaurerei, der sich selbst als deistisch bezeichnet und sich auf den »Großen Baumeister aller Welten« bezieht, hat sich die häretische Vorstellung zu eigen gemacht, wonach Gott Gut und Böse in sich vereint. Das erinnert an das Gedankengut der Manichäer und der Gnostiker, die der heilige Irenäus im 2. Jahrhundert bekämpft hat. Und diejenigen Freimaurer, die sich als Materialisten oder Agnostiker bezeichnen, stützen sich auf den Dualismus der menschlichen Triebe, der kosmischen Kräfte oder Polaritäten, insofern sie die höheren Mächte sind, denen die Menschen ohne ihr Wissen unterworfen sind.

Die Wahrheit ist, dass die Freimaurerei keinerlei theologische Antwort auf die Frage nach dem Bösen liefert, sondern es mit dem Guten verschmilzt!

Für die Kirche hat Christus das Böse durch seinen Tod am Kreuz besiegt. »Das Übernatürliche, dieser schöne Ausblick, in den Christus uns hineinnimmt, ist die erste christliche Antwort auf das Problem des Bösen in all seinen Dimensionen. Aus Gnade hat jeder Mensch, was immer ihm auch widerfahren ist, eine zweite Chance und ein zweites Leben.«47

Die Gnade Gottes hilft uns also, das Böse, wenn schon nicht zu besiegen, so doch zumindest zu ertragen, ohne es jedoch jemals als eine von Gott gewollte Notwendigkeit zu betrachten.

Auch mir hat Gott eine zweite Chance gewährt: Obwohl ich mich auf den verschlungenen Pfaden der Freimaurerei verirrt hatte, hat er, als die Not am größten war, meine Schritte gelenkt und mich zuerst zu Maria in Lourdes und dann einige Wochen später in ein Marienkloster geführt! An diesem in Ruhe, Gebet und wahrhafte Schönheit getauchten Ort fand ich die Antwort auf die Frage, die jeden Menschen bedrängt, die Frage nach dem Bösen …

Gott ist nicht der Ursprung des Bösen: »Gott […] verabscheut das Böse, das er nicht geschaffen hat. Der Verwirrer […] ist jener Engel, der heute bis ins Mark verdorben ist, Satan genannt, schön wie ein Abgott und stolz, wie ein Engel nur sein kann, wenn ihm nichts Einhalt gebietet. […] Er lehnte sich auf […] ging sogar so weit, sich Gott, unserem Vater, gewaltsam zu widersetzen, und das ist der Punkt, an dem man die historische Entstehung des Bösen festmachen muss. Der Engel wurde zum Monster und hat seither nur noch den Wunsch, das Liebeswerk des ewigen Vaters zu zerstören.«48 Ganz wie ein Vater, der seine Kinder liebt, hat Gott uns das Geschenk der Freiheit gemacht, die er zuvor auch seinen Engeln gewährt hatte.

Und dieser gefallene Engel, Luzifer – denn man muss ihn beim Namen nennen –, hat bei seinem Fall den Mann und die Frau mitgerissen: »Gott ist nicht der Urheber des Leidens. Er ist der Urheber unserer Freiheit. Der Mensch ist, wenn er falschen Gebrauch von seiner Freiheit macht, selbst für das Böse verantwortlich […]. Der christliche Gott ist ein Gott der Liebe.«49 Nun, da mir diese absolute Wahrheit vor Augen stand, begriff ich, dass ich in all den Jahren meiner intellektuellen Spekulationen und durch alles, was ich über das Musivische Pflaster geschrieben, gehört und meditiert hatte, nicht nur im Hinblick auf die Frage nach Gut und Böse in eine spirituelle Sackgasse geraten war, sondern dass dies mich zu einer monströsen, verkehrten, teuflischen Vorstellung vom Wesen Gottes geführt hatte.

Indem ich mich von den freimaurerischen Lehren entfernte und zum Glauben zurückfand, begriff ich endlich, dass Gott und Satan keineswegs Verbündete sind: Ersterer duldet das Tun des Letzteren nur, weil er den Menschen, sein Geschöpf, unendlich liebt und geduldig und gütig darauf wartet, dass dieser sich aus freiem Willen für den Glauben und das Gute entscheidet.

Und es wurde mir bewusst, dass Gott und Satan nicht gleich stark und nicht gleich mächtig sind, auch wenn Letzterer einen gnadenlosen Kampf gegen das Geschöpf und die Schöpfung des Ersteren führt.

Endlich begriff ich in meinem tiefsten Herzen, dass Gott die Liebe ist und in alle Ewigkeit nie etwas anderes sein wird.

Ich fand die einzige Antwort, die vor dem Geheimnis des Bösen Bestand hat: Sie ist nicht im Okkulten zu finden. Das Okkulte ist nur ein weiterer Ausdruck des Bösen, nur eine weitere Verführung. Gott liebt mich unendlich. Gerade weil ich gefallen bin, gerade weil ich mich als schwach und armselig bekannt habe. Und durch das Blut, das Christus vergossen hat, um uns zu retten, hat diese Liebe auch mich von der Sünde befreit: »Das Leiden Christi offenbart uns einen Gott, der uns über alle Maßen liebt. Gottes ewiger Ratschluss wollte unsere grundlegende Frage nach dem Bösen mit einem weiteren, noch unerhörteren Geheimnis beantworten: dem Mysterium des gekreuzigten Jesus, ›für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit‹ (1 Kor 1,23).«50

Mehr als zwanzig Jahre lang hatte ich mit dem Versuch vergeudet, das Problem von Gut und Böse durch die Analyse der freimaurerischen Symbolik des Musivischen Pflasters und unter dem irrigen Blickwinkel der Gleichpotenzialität zu verstehen. Wie ein Boxer im Ring, der nach zwei Treffern seines Gegners von einer Ecke in die andere taumelt, war ich zwischen den beiden Polen der Dualität umhergeirrt.

In Wirklichkeit zielt die Autonomie, die die freimaurerische Lehre anstrebt, darauf ab, jede geoffenbarte Wahrheit infrage zu stellen, denn in den Augen der Freimaurerei lässt sich die Wahrheit nur durch den Ausdruck einer initiatischen Vielfalt konstruieren.

Der gedankliche Rahmen, auf den sich die Freimaurer beziehen, macht deutlich, worauf sich der Ehrgeiz der Logen richtet: Sie wollen »freie« Menschen »erschaffen«.

Ein Werkzeug, um die Welt aus den Angeln zu heben
Die Macht des Hebels

Ich hatte einen hohen Grad in der Rangordnung der Freimaurer erreicht und es bis zum Großarchitekten gebracht, das heißt zu einem vollkommen autonomen Eingeweihten.

Die Freimaurerei will in einer »freien« Loge »freie« Menschen »erschaffen«. Doch diese Freiheit, nämlich die Redefreiheit, ist sehr relativ und der Rahmen des »freimaurerisch Korrekten« sehr eng.51 Die Freimaurerei erzieht ihre Eingeweihten zur Autonomie im Sinne der griechischen Etymologie des Wortes52, das heißt zur Haltung dessen, der »sich seine eigenen Gesetze gibt«. Eines Tages begriff ich, dass die freimaurerische Freiheit mehr oder weniger explizit in einem metaphysischen Ziel besteht: »Nicht von ungefähr wird der Eingeweihte aufgerufen, sein eigener König und sein eigener Priester zu werden.«53 Auf diese Weise »emanzipiert« sich der Eingeweihte, bis er sich schließlich selbst zum Gott erklärt: »Was die Freimaurer auszeichnet, ist, dass sie in voller Kenntnis der Sachlage am Großen Werk mitarbeiten […] und zu dieser Meisterschaft gelangen, die einer Vergöttlichung oder einer Apotheose entspricht.«54 Ich bezeuge, dass die Freimaurerei ähnlich wie der Pelagianismus55 auf eine Art menschliche Selbstproklamation abzielt.

Deshalb sind die Meister der Freimaurerei grundsätzlich und immer der Meinung, sich »befreien« zu müssen: »Man muss täglich seine Ketten abschütteln, um frei zu werden und zu bleiben. Die Hörigkeit belauert uns unausgesetzt und in unzähligen heimtückischen Verkleidungen. Sie zwingt sich unserem Geist auf, wenn die intellektuelle Trägheit uns daran hindert, selbst nach der Wahrheit zu suchen.«56 Eine solche psychologische und spirituelle Agitation ist nicht weiter verwunderlich. In meinen Jahren als Freimaurer musste ich jedoch erfahren, dass das Individuum, wenn es durch die Illusion der Meisterschaft endlich sich selbst überlassen ist, sich im Kreis dreht, weil es stets von sich ausgeht und stets zu sich zurückkehrt. In der Freimaurerei gab es kein göttliches Wort, das mir festen Halt gegeben hätte. Ich dachte, das Absolute zu suchen, und fand doch immer nur mich selbst. »Der Mensch ist der einzigartige Begriff, von dem man ausgehen und auf den man alles zurückführen muss.«57

Ich meinerseits gab, seit ich sie entdeckt hatte, der Auffassung des hl. Franz von Assisi den Vorzug: »Alles kommt von Gott und muss zu Gott zurückkehren, sein Wort eingeschlossen.«58 Eine Aussage, der die Freimaurerei insofern nicht zustimmen kann, als sie das Wort für verloren hält. Für den Christen dagegen ist es geoffenbart – wenn auch zuweilen so geheimnisvoll wie in der Offenbarung des Johannes.

Seit dem Gesellengrad hatte sich eine ungesunde Autonomie in mir eingenistet, die sich schon bei meiner Einweihung angedeutet hatte. Bei der Erhebung in diesen Grad wurde mir eines der neuen, für den Gesellen typischen Werkzeuge überreicht: das Brecheisen. Seine symbolische Bedeutung wird im Erhebungsritual erklärt, wenn der Zweite Aufseher die folgenden Worte spricht:

»Die Macht des Brecheisens kann erheblich sein.«

Diese Maxime wird durch die Worte des Ersten Aufsehers ergänzt, der etwas verkündet, was man mit Fug und Recht als freimaurerisches Dogma bezeichnen kann:

»Sinnvoll eingesetzt, ermöglicht das Brecheisen, behauene Steine im Innern des Gebäudes zu platzieren.«

Als ich zu diesem Grad zugelassen wurde, fühlte ich mich in meiner Ahnung bestätigt, dass die Steine die Freimaurer symbolisierten, während das Brecheisen für den freimaurerischen Willen stand, der so rationalistisch und zugleich esoterisch geprägt war, dass ihm nichts widerstehen konnte. Welch menschliche Anmaßung angesichts der Allmacht Gottes! Wenn sie über gute Lehrlinge, gute Gesellen und gute Meister verfügte, würde sich die Freimaurerei in der Menschheit unweigerlich durchsetzen: »Der Wille gibt uns das unwiderstehliche Brecheisen an die Hand, mit dem wir die Welt aus den Angeln heben können.«59 Es würde nichts nützen, wenn die verschlafenen Profanen gegen die erweckten, durch ein geheimes Licht erleuchteten Eingeweihten kämpfen würden, da die geschickt eingesetzten Brecheisen – wie ich eines war – nutzbringend und heimlich in den Behörden, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden, in der Finanzwelt und in den Kreisen der Politik platziert wurden. Dass diese Darstellung der Wahrheit entspricht, bestätigen die Worte eines Großmeisters: »Der Einfluss der Freimaurerei ist heute vielleicht noch beträchtlicher […] als zu Zeiten der Dritten oder Vierten Republik60. Sie sind auf einer anderen Ebene platziert. […] Es gibt heute keinen Verband, keine Vereinigung, keine Gewerkschaft, in denen die Freimaurer nicht vertreten wären – und das in den verantwortungsvollsten Positionen.«61

Bei der Zeremonie hatte der Meister vom Stuhl seine Belehrung über das Brecheisen des Gesellen wie folgt beendet:

»Das Brecheisen entfaltet nur dann die Wirkung, die man von ihm erwarten darf, wenn es in Freiheit eingesetzt wird. Ebenso wird das Denken unfruchtbar und machtlos, wenn es in Unwissenheit, in Vorurteilen und in Dogmen (sic) befangen bleibt. Das Brecheisen symbolisiert die Macht des freien Denkens. Ohne Freiheit ist und vermag die Vernunft nichts. Möge das Brecheisen Ihnen diese Pflicht des Freimaurers immer ins Gedächtnis rufen: frei zu denken.«

An dieser Stelle drängt sich eine »Interpretation« auf, eine »Interpretation«, der über zwanzig Jahre des freimaurerischen Tuns und Denkens zugrunde liegen, somit eine »Interpretation«, die sich auf eine Vielzahl gelesener Texte, gehörter Werkstücke und mit Meistern und Hochgraden der Freimaurerei geführter Diskussionen stützen kann.

Das Brecheisen in Freiheit zu handhaben heißt, dass der Freimaurer selbst über seine Verwendung bestimmt, dass diese Selbstbestimmung jedoch ausschließlich im Rahmen der freimaurerischen Doxa erfolgt, die seine Vorstellung von »humanistischer Freiheit« unbewusst geprägt hat. »Wenig lesen und viel selbst denken, das muss die Regel des Meisters sein. Als Architekt seines intellektuellen Gebäudes trägt er die Materialien zusammen, die er nach seinem eigenen Plan verwendet und nach Gutdünken bearbeitet.«62

Nachdem ich die freimaurerischen Dogmen und besonders jene, die das Brecheisen betrafen, beobachtet hatte, erkannte ich – im Rahmen einer Zeremonie der Aufnahme in den Gesellengrad63 – ihre spirituellen Grenzen. Bei meiner Bekehrung hatte eine »immens kleine« Heilige ihre Hand im Spiel, die mir mit diskreter, zarter und geisterfüllter Liebe zu Hilfe kam.

Als ich einen ihrer Texte las, wurde mir bewusst, welchen »Halt« die Handhabung des freimaurerischen Brecheisens aufs Schmerzlichste vermissen ließ: »Ein Gelehrter hat gesagt: ›Gebt mir einen Halt, und ich hebe die Welt aus den Angeln.‹ Was Archimedes nicht zu erreichen vermochte, da sich seine Bitte nicht an Gott richtete, sondern nur das Materielle betraf, das haben die Heiligen erreicht. Der Allmächtige hat ihnen Halt gegeben, indem er sich selbst gab! Sich allein! Als Hebel hat er ihnen das Gebet gegeben, das ein Liebesfeuer entzündet. Und so haben sie die Welt aus den Angeln gehoben. So tun die gegenwärtig auf dieser Welt noch streitenden Heiligen dasselbe und sie werden es bis an das Ende der Zeiten tun.«64 Mit einem Mal wurde mir klar, worin der Unterschied zwischen den Heiligen und den Eingeweihten bestand: Die Heiligen hüten kein esoterisches Geheimnis. Sie bauen schlicht und einfach auf Gott …

Die Freimaurerei ist weit von dieser Demut entfernt, wie sie jene beseelt, die ihr Dasein der größeren Ehre Gottes geweiht haben. Stattdessen stiftet sie ihre Eingeweihten in den Hochgraden dazu an, stolz auf ihr Vorankommen auf dem Initiationsweg zu sein.

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