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BESUCH BEIM SULTAN AUF DEN PRINZENINSELN

25. März, ein herrlicher, sonniger Samstag. Mehmet und Sahin Hodscha fuhren mit der Fähre zu den Prinzeninseln, einer Inselgruppe im Marmarameer südöstlich des Bosporus. Der Sultan und seine Brüder besaßen hier prächtige Häuser mit Dienern und einer Leibgarde. Ohne einen Grund oder eine Einladung war Normalsterblichen der Zutritt zu der Insel verwehrt, und als Onkel und Neffe am Hafen anlangten, wurden sie von der Leibwache des Sultans gründlich nach Waffen durchsucht. Anschließend fuhren sie mit einer Kutsche weiter. Sahin Hodscha wirkte sichtlich nervös, da er nicht wusste, wieso sie dorthin bestellt worden waren – so mancher war lebend hingegangen und tot wieder hinausgekommen. Sie hielten an einem riesigen Tor, vor dem bewaffnete Janitscharen, eine osmanische Eliteeinheit, postiert waren. Einer der Wachen öffnete schließlich den Durchlass und sie konnten passieren. Von weitem sahen sie den Sultan mit seiner Gefolgschaft, der auf einem exorbitanten Anwesen Polo spielte. Der Sultan begrüßte Sahin Hodscha und Mehmet herzlich und fragte, wie es ihnen ginge und wie die Fahrt gewesen sei. Sahin Hodscha wirkte immer noch nervös. Mehmet hingegen schien alles gelassener zu nehmen, er betrachtete das, was während der letzten Tage passiert war, als ein Abenteuer. Der Sultan bat die beiden, zum Abendessen zu bleiben.

Nach dem Essen folgten sie dem Sultan in dessen Arbeitszimmer, das in westlichem Stil eingerichtet war. Möbelstücke aus Eichenholz nach viktorianischem Vorbild trafen hier auf orientalisches Flair.

»Setzt euch«, sagte der Sultan. »Mir wurde von meinem Geheimdienst von einem Ritualmord an der Universität, an der Sie lehren, berichtet. Ein Schüler aus Indien soll gesagt haben, der Meister komme. Ich habe danach zwei Geheimdienstleute auf euch angesetzt, die euch verfolgten. Ihr habt eine Menge Holz gekauft. Ich schätze, um spitze Pfähle daraus zu schnitzen, nicht wahr? Diese Dinge sind mir seit meiner Kindheit bekannt. Ich bekam damals mit, wie mein Vater mit seinem Berater über Dracula sprach. Ich habe hier alte Aufzeichnungen, in denen auch Ihr Name steht. Mein Vater schätzte und mochte Sie und Ihre Familie, Sie haben immer für dieses Land gedient, weshalb ich Sie ebenfalls schätze. Wie Sie wissen, habe ich kein Interesse an schwarzer Magie und ich glaube auch nicht daran, sondern möchte, dass Sie der Sache, ohne viel Aufsehen zu erregen, nachgehen und diesen Schwachsinn beenden. Ich will damit nichts zu tun haben! Wenn mir nochmals Derartiges zu Ohren kommt, werden Köpfe rollen. Sie, Sahin Hodscha, werden Ihren Pflichten an der Universität nachgehen und das Land nicht verlassen. Ich werde Ihnen dieses Mal allerdings keine Soldaten oder finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, für so einen Humbug, wie es mein Vater damals tat.« Der Sultan rieb sich die Augen. »Ihr seid heute Nacht meine Gäste«, beendete er das Gespräch.

»Natürlich, Euer Sultan«, willigten die beiden ein. Auf dem Weg zu den Gästezimmern betrachtete Mehmet die Gemälde, die an den Wänden hingen. Es waren Porträts der Vorfahren des Sultans. Er stand schließlich fasziniert in seinem Zimmer. Die Gästezimmer waren venezianisch eingerichtet, wieder mit orientalischem Flair gemischt. Die Zimmer waren sehr geräumig, alle mit Kamin und einem einladenden Bett. Der Boden war ausgelegt mit feinen persischen Teppichen, die Wände waren tapeziert im venezianischen Stil in brauner Farbe mit goldenem Blumenmuster. Das Bett war im viktorianischen Stil aus massivem Eichenholz gebaut, mit dicken daunengefüllten Kissen und Decken. Etwas Vergleichbares hatte er vorher noch nie gesehen, außer auf Zeichnungen und Gemälden aus dem Westen. Mehmet kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Danach starrte er wie immer auf die Kiz Kulesi, die er auch von hier aus gut sehen konnte. Nach einer Weile legte er sich schlafen. Am nächsten Morgen weckte Sahin Hodscha, der erleichtert darüber war, dass der Sultan ihm freie Hand gab, seinen Neffen, der das Bett regelrecht umklammerte.

»Steh auf, wir sind zum Frühstück eingeladen.«

Der Sultan war bereits früh abgereist in den Palast nach Istanbul zum Topkapipalast. Seine rechte Hand Sayid, der Obergeneral der Janitscharen, empfing Sahin Hodscha und Mehmet und entschuldigte die Abwesenheit des Sultans. Sayid war ein Waisenkind, das der Sultan in den Trümmern des Krieges des osmanischen Feldzugs im Orient gefunden hatte. Sayid zog seinerzeit ein Messer und wollte die Soldaten angreifen, was den Sultan amüsierte. Dieser war angetan von dem Mut des damals Zehnjährigen und nahm ihn zu sich. Er wuchs mit dem Prinzen im Palast auf, wurde in der Kriegskunst ausgebildet und sein Anblick war einschüchternd. Sayid war ein Mann von großer kräftiger Statur mit sehr ernsthaften Gesichtszügen und einer tiefen dunklen Stimme. Ein Mann der wenigen Worte. Die Janitscharen gehörten der Armee an und wurden so erzogen, dass sie das Korps als ihre Heimat und Familie und den Sultan als ihren Vater anerkannten. Nur diejenigen, die sich als stark genug herausstellten, verdienten sich im Alter von vierundzwanzig Jahren den Rang eines echten Janitscharen. Sie wurden unter strikter Disziplin und harter Arbeit in speziellen Schulen ausgebildet, wo sie dem Zölibat unterworfen waren und dem Islam beitraten. Im Gegensatz zu den freien Moslems durften sie nur einen Schnurrbart und keinen Vollbart tragen. Die Janitscharen lebten ausschließlich für den Krieg, heirateten nicht, besaßen keinen Besitz und bezogen kaum Sold. Sie dienten dem Sultan loyal bis zum Tod. Sayid jedoch war viel mehr als das, der Sultan vertraute ihm und schätzte ihn mehr als seine leiblichen Brüdern oder Verwandten.

Sayid führte Sahin Hodscha und Mehmet an den Strand, wo einhundert Mann einer Armee, die nur aus Janitscharen bestand, trainierten. Mit den Schwertern und Bogen in der Hand erweckten sie den Eindruck von lebenden Tötungsmaschinen. Mehmet und Sahin Hodscha stockte der Atem.

»Ich bin dabei, wenn ihr mich braucht. Ihr könnt auf mich zählen, denn ich glaube an das Böse und ich werde es bis zum Tod bekämpfen. Auch wenn mein Herr nicht daran glaubt, ich tue es. Ich habe es zu oft gesehen, das Böse. Es hat mir alles genommen, meine Familie, meine Heimat, alles, was ich geliebt habe! Überall herrscht das Schlimme«, sagte Sayid mit tiefer Stimme.

Die beiden waren erstaunt über diese Worte, sie stellten auch keine weiteren Fragen und bedankten sich. Sayid begleitete sie bis zur Kutsche und verabschiedete sich. Für Sahin Hodscha war dieses Wochenende auf der Prinzeninsel überraschend und verwirrend. Er fragte sich, wieso ausgerechnet der Obergeneral der Janitscharen sich anbot. Wusste er vielleicht mehr, als er sagen wollte?

VAN HELSINGS ANKUNFT UND DIE FAHRT NACH ERLANGEN, BAYERN

27. März. Nach Erhalt des Telegrafs von Van Helsing warteten Sahin Hodscha und Mehmet sehnlichst am Hafen auf ihn, der mit dem Schiff aus London ankommen sollte. Sahin Hodscha und Van Helsing, der lediglich einen Koffer bei sich trug, umarmten sich und freuten sich über das Wiedersehen. Auch Mehmet war erfreut. Sie stiegen in die Kutsche und bereits während der Fahrt erzählte Van Helsing, dass Dracula die letzten Jahrhunderte Jahrzenhnte Jahre immer wieder in England, Schottland, Irland und Wales, meist in kleineren Ortschaften unter dem Namen Graf Darwin gelebt habe.

»Ich habe in der vergangenen Zeit Einiges erfahren. So hat Dracula sich schlau angestellt und alles genauestens überdacht. Er hat weitaus mehr Gefolgsleute als angenommen. Die Mächtigsten der Länder, in denen er verweilte, hat er sich gefügig gemacht, sodass er ohne Aufmerksamkeit zu erregen über die Jahrhunderte viele Menschen töten und unbeschwert leben konnte. Er hypnotisiert die Leute, was allerdings nur bei jenen funktioniert, die nicht an so etwas glauben. Bei uns, Hodscha, würde es nie klappen«, sagte Van Helsing stolz und fuhr fort: »Dieser Mistkerl kam mit einer Leiche drei Tage aus. Mitunter sperrte er junge Mädchen in seinem Verlies ein, trank immer nur ein bisschen Blut und ließ sie am Leben, indem er sie mit reichhaltiger Nahrung versorgte. Das reichte manchmal Jahre. Was diese bedauernswerten Wesen wohl durchgemacht haben in den Fängen dieser Kreatur! Dracula ist weniger verschwenderisch, sondern vorsichtiger geworden, damit niemand Verdacht schöpfen kann.«

Unterdessen kamen sie im Turm an. Van Helsing hatte die lange Fahrt ermüdet und nach dem Abendessen ging er rasch in das von Sahin Hodscha vorbereitete Gästezimmer ins Bett. Sahin Hodscha und Mehmet unterhielten sich noch eine Weile, bevor auch sie sich schlafen legten. Mehmet blickte wie jeden Abend von seinem Fenster aus auf die Burg Kiz Kulesi und träumte später von der Prinzessin. Er befand sich in der Burg und lief der Prinzessin nach. Sie trug ein knallrotes Kleid und sang die ganze Zeit. Mehmet rannte ihr hinterher, vermochte sie jedoch nicht einzuholen. Immer und immer wieder versuchte er es und am Ende schlug die Tür mit einem gewaltigen Knall auf. Es donnerte und krachte und Dracula stand im Raum. Mehmet konnte dessen Gesicht nicht erkennen, aber das Wesen kam näher. Mehmet wachte schreiend und verschwitzt auf, hörte seinen rasenden Herzschlag, so real und beängstigend war dieser Traum.

Am nächsten Morgen frühstückten sie zusammen. Mehmet, der in der Nacht kaum geschlafen hatte, saß träge und müde am Tisch. Sahin Hodscha fragte Van Helsing: »Was machen wir jetzt? Wo beginnen wir mit der Suche?«

»Nirgends – fürs Erste, er ist noch nicht hier. Wir wissen auch noch nicht, welche Anzeichen sein Kommen andeuten. Es dauert bestimmt noch Wochen oder Monate, wenn er von England aus, oder wo immer er auch steckt, in See gestochen ist. Du weißt, er verfügt über dunkle Kräfte und kann Menschen über Kilometer hinweg beeinflussen und hypnotisieren, einfach nur teuflisch. Ich würde zu gerne mit dem indischen Jungen sprechen, der diese Worte gesagt hat, doch dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen umgehend nach Deutschland reisen zu meinem guten Freund Adelmut nach Erlangen, noch bevor Dracula hier in Istanbul ankommt. Er ist der beste Silberschmied Europas und wir brauchen reines Silber, das nur er uns beschaffen und verarbeiten kann. Das Holz, das du zu spitzen Pfählen verarbeitet hast, wird uns nicht viel nutzen, alter Freund, auch wenn du es gut gemeint hast. Wir besteigen heute Abend noch die Fähre nach Venedig. In zwei Tagen sind wir da. Von dort aus ist Erlangen mit der Kutsche viele Tagesritte entfernt. Ich weiß nicht, wie schnell wir vorankommen und wie die Wege jetzt befahrbar sind.«

»Ich kann nicht einfach einige Wochen wegbleiben!«, sagte Sahin Hodscha aufgeregt. »Was soll ich der Universität sagen? Ich muss schließlich unterrichten, da die Prüfungen unmittelbar bevorstehen. Und wie soll ich das dem Sultan erklären? Ich darf das Land nicht verlassen. Wenn er davon erfährt, sind wir alle tot. Er will von Dracula nichts wissen und das aus gutem Grund. Wir besitzen heute wie damals keine handfesten Beweise, dass es Dracula wirklich gibt. Nur wir und die einheimischen Rumänen wissen von seiner Existenz. Wir haben ihn gesehen, auch wenn es nur sein Schatten war, aber sein Gesicht haben wir nicht zu sehen bekommen. Ich weiß nicht mal, ob ich ihn erkennen würde, wenn er vor mir stünde. Der Sultan glaubt, dass wir Nachahmern oder okkulten Sekten aufsitzen. Aber mein mutiger Neffe Mehmet wird mit dir reisen und er wird dir eine große Hilfe sein.«

Mehmet schaute verwundert und schien nicht erfreut zu sein.

»So machen wir das dann, mein alter Freund Sahin«, sagte Van Helsing.

Mehmet eilte im Anschluss an die Unterredung in den Park, wo Lale bereits auf ihn wartete. Er hatte ihr auf die Schnelle noch einen Blumenstrauß gekauft und kam außer Atem an.

»Was ist los?«, fragte sie besorgt, »wirst du vom Teufel gejagt oder freust du dich so, mich zu sehen?«

»Das auch«, sagte Mehmet, der außer Atem war, und reichte ihr schüchtern die Blumen. »Ich muss heute Abend nach Deutschland reisen wegen einer wissenschaftlichen Arbeit.« Den wahren Grund der Exkursion verschwieg er ihr. Lale war überrascht.

»Ist es in Deutschland nicht gefährlich? Allein die Reise dahin zwischen all diesen Wilden, die einen ausrauben, sogar töten, habe ich gehört! Und was ist mit deinem Onkel?«, fragte sie.

»Mein Onkel muss weiter unterrichten. Ich fahre mit einem befreundeten Wissenschaftler. Mach dir keine Sorgen! In zehn Tagen bin ich zurück.«

»So ein Leben wie du würde ich auch gerne führen, sich einfach in ungewisse Abenteuer hineinstürzen, Neues entdecken, frei sein. Ich bin noch nie aus der Türkei rausgekommen und fühle mich gefangen in einem goldenen Käfig.«

Mehmet hielt Lales Hand, schaute ihr tief in die Augen und sagte zu ihr, dass sie auch zusammen Abenteuer erleben werden. Sie war sehr erfreut, gab ihm einen Kuss auf die Wange und reichte ihm ein neues, nach Nelken und Zimt duftendes Tuch.

»In zehn Tagen werde ich hier auf dich warten. Pass auf dich auf, Mehmet!«

»Ich werde da sein!«

Sie verabschiedeten sich voneinander. Mehmet eilte nach Hause – glücklich verliebt und aufgeregt wegen der bevorstehenden Reise. Er packte seinen Koffer, roch an Lales Tuch und steckte es gefaltet in die Innentasche seiner Jacke. Die Reisenden begaben sich jeder mit einem Koffer zum Schiff. Sahin Hodscha nahm Mehmet zur Seite.

»Ich bin stolz auf dich, weißt du das? Dein Vater wäre es auch, denn du tust der Menschheit einen Gefallen, du kämpfst gegen das Böse, gegen das Schlechte auf dieser Welt. Ich wollte dich eigentlich nie mit hineinziehen, mein Neffe. Pass auf dich auf und hör genau hin, was Van Helsing dir sagt!«

Sahin Hodscha umarmte seinen Neffen mit einer Träne im Auge. Mehmet rührten die Worte seines Onkels, noch nie hatte er ihn so sentimental erlebt.

Endlich stachen sie in See, in die einsame, unendliche Weite des Meeres, bereit für ihr Unternehmen. Das Schiff gehörte einem italienischen Seefahrer namens Luigi Maldini und an Bord hielten sich deutsche, holländische und italienische Kaufleute und Architekten auf, die geschäftlich zwischen Istanbul und Venedig hin- und herpendelten. Mehmet und Van Helsing hausten in einer kleinen Koje, die mit zwei Steppbetten, einem kleinen Tisch und einer Gaslampe ausgestattet war. Gegen Abend war das Meer extrem aufgewühlt, sie gerieten in einen Sturm. Durchnässt stand Mehmet auf dem Deck und beobachtete die Seeleute, die versuchten, Kurs zu halten. Riesenwellen brachen sich am Schiff, es donnerte und regnete heftig. Mehmet beeindruckte die Kraft der Natur, er befand sich zum ersten Mal auf einer langen Reise in einem Schiff auf dem Meer. Der Kapitän schrie ihn an, er solle unter Deck gehen, alles andere sei gefährlich. Aber Mehmet hörte den Kapitän nicht durch das Peitschen des Regens und das Heulen des Windes, Van Helsing wachte aus seinem tiefen Schlaf auf durch das heftige hin und her wanken des Schiffes, wobei er sogar beinahe aus dem Steppbett rausfiel, dabei entging ihm nicht das Mehmet nicht in seinem Bett lag. In Panik und voller Mühe lief Van Helsing hoch über die wankenden Treppen zum Deck wobei er fast heruntergefallen wäre. Er sah wie Mehmet sich in der Mitten des Schiffes am Mast festhielt, er schien noch immer amüsiert zu sein über die ganze Lage. Van Helsing schrie durch die hektische Menge »Mehmet! Mehmet!« und hielt sich dabei an den Schiffsreling fest, denn der Wellengang wurde immer schlimmer, so als würde er das ganze Schiff verschlingen und wieder ausspucken. Van Helsing ging mit aller Kraft zu Mehmet, der sich immer noch grinsend das Naturspiel anschaute. In dem Augenblick traf ein greller großer Blitz auf einen der vorderen Mäste ein. Der Mast fiel auf gradem Wege auf Mehmet zu. Jeder sprang bei Seite. Van Helsing konnte mit letzter Kraft den erstarrten Mehmet auf Seite schubsen, wobei er beinahe selbst um Haaresbreite ein Kopf kleiner gewesen wäre. Zum Glück wurde niemand verletzt. Zwei der Matrosen halfen den beiden hoch und brachten sie unter Deck zu ihren Kojen. Van Helsing bedankte sich bei den Seeleuten und fragte nach Mehmets wohlergehen. Er entschuldigte sich bei Van Helsing das er ihn so einer Gefahr ausgesetzt habe. Van Helsing sagte zu dem noch unter Schock stehenden Mehment, dass alles gut sei, das er besser aufpassen müsse. Sie wechselten ihre durchnässten Kleider und legten sich in ihre Betten, aber an Schlaf war nicht zu denken, dafür schwankte das Schiff zu stark. Oben ging es immer stressiger und panischer zu, einer der Seemänner fiel vom Schiff der von einer Riesenwelle erfasst wurde, man konnte nichts mehr für ihn tun. Der Sturm dauerte noch sechs Stunden an. Der Morgen graute bereits, als auf einmal die Sonne herauskam und das Meer so ruhig lag, als hätte es kein Unwetter gegeben. Van Helsing, gut ausgeschlafen und Mehmet, ziemlich ermüdet, betraten das Deck.

»Welch herrlicher Tag«, sagte Van Helsing schmunzelnd. Mehmet schaute ihn erstaunt an. Mehmet vertrieb sich die Zeit, spielte mit den Kindern der Geschäftsleute, indem er seine kleine Zaubertricks vorführte, die sich auf dem Schiff befanden, und dachte dabei ununterbrochen an Lale. Am nächsten Tag erreichten sie ohne Vorkommnisse den Hafen von Venedig. Sie mussten einen halben Tag dort verweilen, weil die Kutschen nachts nicht fuhren. Die beiden verließen das Schiff, liefen durch die Straßen der Lagunenstadt, und Mehmet kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er gewann mannigfaltige Eindrücke von alten Kathedralbauten und von Gondolieri mit ihren bunten Uniformen und Hüten, die in sogenannten Wasserkutschen die Menschen beförderten, die Lieder sangen und dabei fröhlich aussahen. Van Helsing hatte hier auch einige Bekannte gewonnen auf seinen vielen Reisen, und so betraten sie nach einem kurzen Fußmarsch eine Taverne, wo man in den oberen Zimmern übernachten konnte. Der Gasthof gehörte einem Freund Van Helsings. Der Mann hieß Roberto, ein typischer italienischer korpulenter Gastwirt mit einem auffälligen spitz nach oben zulaufendem Oberlippenbart, der die beiden herzlich begrüßte. Sie aßen zu Abend, die vielen Gäste tanzten und tranken. Mehmet schickte sich an, hinauszugehen, um sich die Stadt genauer anzugucken. Van Helsing mahnte ihn, in der Nähe zu bleiben, es herrsche Trubel wegen des venezianischen Karnevals, die Menschen auf den Straßen seien maskiert. Mehmet fand das skurril und befremdlich, er verstand nicht, wieso sich die Leute kostümierten und tranken. Er befand sich inmitten der bunten maskierten Menschenmenge, die er wieder beängstigt verließ. Er bevorzugte es, von der Ferne aus zu beobachten. Auf der gegenüberstehenden Straße sah er kurz danach eine Gruppe junger Damen, die alle Perücken mit weißen, langen Haaren trugen. Im Gesicht waren sie stark in Weiß geschminkt mit einer schwarzen Augenmaske, geschmückt mit einer Rabenfeder, und eine von ihnen gab ihm ein Zeichen, mitzukommen. Mehmet schaute nach hinten um sich zu vergewissern ob die Zeichen der jungen Dame ihm galten. Auf die nochmalige Aufforderung ihnen zu folgen, wollte Mehemt wissen, wo sie hingingen und drängelte sich durch die Menschenmenge um ihnen zu folgen, doch er vernahm nur noch ihre Stimmen und ihr Gelächter, als sie in einer dunklen, engen Seitengasse verschwanden. Als er sie fast eingeholt hatte, sah er, wie die jungen Frauen schwebten und die Mauern hochliefen, als gingen sie eine Straße entlang. Sie drehten sich kreischend zu Mehmet hin, ihre Augen waren leuchtend rot, aus den Mundwinkeln lief Blut herunter. Er wurde kreideweiß. Gepackt von der Angst lief er so schnell er konnte erneut durch die Menschenmenge zurück in die Taverne. Es wurde ein langer Weg. In den Straßen sah er leblose Körper auf dem Boden liegen und Leute, die vor den Häusern verbluteten mit einer Bisswunde am Hals, die versuchten, nach Luft zu schnappen, aber dies interessierte niemanden. Mehmet packten Panik und Angst immer mehr, sodass ihm die Luft wegblieb. Der kurze Weg wurde zu einem langen, surrealen Ausflug. Als er die Taverne erreichte, sagte er kein Wort. Sie bezogen ihr Zimmer und Van Helsing erklärte Mehmet, was der Karneval bedeutete und wieso sich die Leute maskierten. Mehmet war noch erstarrt vor Angst, wollte es Van Helsing aber nicht erzählen, weil er es selbst nicht glauben konnte, was er vorhin gesehen hatte.

»Ich versteh es trotzdem nicht«, sagte er desinteressiert mit einer leisen verstörten Stimme bezogen auf den Karneval. Nach diesem Tag wollte er nie mehr etwas davon wissen. Van Helsing lachte: »Das musst du auch nicht verstehen – andere Länder, andere Sitten und nun schlaf gut! Wir haben noch eine anstrengende Fahrt vor uns.«

Am nächsten Morgen bestiegen sie die Kutsche, die sie nach Deutschland bringen sollte. Sie fuhren über Verona, Bozen über die Alpen nach Innsbruck und München. Die ungemütliche Fahrt Richtung Erlangen dauerte mehrere Tage. Sie hielten nur an, um das stille Örtchen aufzusuchen oder die Pferde ausruhen zu lassen. Zwei Fahrer wechselten sich ab, Proviant hatten sie genug dabei in mehreren Körben. Es beinhaltete Brot, Käse, Gemüse, Obst und Wasser. Während der Reise erzählte Van Helsing Mehmet alles über Dracula und sein Gefolge, wie man die Dämonen jagt, findet und tötet. Für Mehmet war es lehrreich und beängstigend zugleich. Nach anstrengender Fahrt erreichten sie endlich ihr Ziel Erlangen, ein großes Dorf, in dem die Zeit scheinbar im Mittelalter stehen geblieben war, anders als in den fortschrittlichen Großstädten München, Berlin oder Köln. Der Alltag hier war beschwerlich, aber auch unkompliziert. Man arbeitete mit alten Werkzeugen der Vorfahren, jeder wusste, was zu tun war, jeder war für seine Nahrung und sein Leben selbst verantwortlich. Die Häuser bestanden aus Lehm und Stroh und mitten im Dorf stand eine Kapelle. Für die Bewohner waren Van Helsing und Mehmet Exoten. Sie verschlangen sie förmlich mit ihren Augen, denn es war nicht üblich, dass sich fremde Menschen aus anderen Kulturenkreisen hierher verirrten. Die beiden machten sich mit ihren Koffern durch den Matsch auf den beschwerlichen Weg, um den Schmied Adelmut zu suchen. Van Helsing sprach gebrochenes Deutsch und er befragte einen Dorfbewohner nach der Schmiede, aber dieser antwortete nicht. Das ging bei vier Leuten so, und der Fünfte, den er fragte, war ein kleiner Junge, der ihnen den Weg zur Schmiede wies und dafür eine Silbermünze erhielt.

Adelmut war ein groß gewachsener, stämmiger Mann mit blauen Augen und langen hellblonden Haaren. Sein Anblick auf dem Schlachtfeld würde jeden Gegner vor Angst einschüchtern. Er hämmerte so hart auf das Eisen, dass die Schmiede bebte. Als er Van Helsing erblickte, legte er sofort die Arbeit nieder.

»Oh, mein alter englischer Freund! Professor, wie geht es Ihnen? Sie erweisen mir eine große Ehre mit Ihrem Besuch. Wie kann ich Ihnen helfen?«

Van Helsing erzählte Adelmut, was sie brauchten, und dieser nahm den Auftrag an, ohne irgendwelche Fragen zu stellen, wieso oder wofür. Drei Tage würde er dafür brauchen und bis dahin blieben die beiden seine Gäste. Adelmut und Van Helsing trafen sich vor über dreißig Jahren in München. Van Helsing war zu einer Tagung da und suchte in der Stadt nach einem Silberschmied. So lernte er Adelmut kennen, der in die Lehre ging beim damals bekanntesten und besten Silberschmied Europas, genannt der dicke Karl, weil er so übergewichtig war und gerne viel aß. Van Helsing ließ sich bei Karl einen Dolch mit Silberknauf anfertigen, den er immer noch in seinem Besitz hat und immer bei sich trägt. Der damals achtzehnjährige Lehrling Adelmut übernahm die Arbeit und Van Helsing war begeistert von dessen handwerklichem Geschick. Sie gingen zusammen ein Bier trinken, und der Lehrjunge erzählte Van Helsing, dass noch ein Jahr verbleibe bis zum Ende der Lehre und dass er danach nach Erlangen zurückkehre, um seine eigene Silberschmiede zu eröffnen. Zwei Jahre später hatte Van Helsing ihn nach dem ersten Treffen der beiden in Erlangen besucht, bevor er das zweite Mal nach Rumänien reiste, wo das erste Treffen mit Sahin Hodscha stattfand. Damals gab er Adelmut mehrere Silbermesser, Silberkugeln und ein Silberschwert in Auftrag. Seither standen sie in Kontakt.

Adelmuts Hütte stand direkt neben der Schmiede. Es war ein kleines, dennoch geräumiges Haus mit einem kleinen Stall dahinter mit zwei Kühen, drei Ziegen und sieben Hühnern. Van Helsing und Mehmet bezogen einen Raum in der Scheune, der aus zwei Steppbetten bestand, die mit Stroh gefüllt waren, aber das machte ihnen nichts aus, Hauptsache es war warm und trocken. Adelmut war verheiratet mit Elsa und hatte zwei kleine Töchter. Gretel war vierzehn und Berta neun, die ebenfalls blondes Haar trugen und blaue Augen hatten. Sie aßen gemeinsam zu Abend Kartoffelklößchen mit Ente, dazu floss reichlich Honigmet. Es war ein vergnügter Abend. Adelmut und Van Helsing erzählten Elsa von alten Zeiten, wie sie sich wann und wo das erste Mal trafen. Van Helsing lernte Elsa und die Kinder erst dieses Mal kennen. Als er das letzte Mal in Erlangen war, lebte Adelmut noch alleine der davor schon lange Zeit kinderlos verheiratet war. Die Frau verstarb an der Seitenkrankheit.

»Sie ist ein gutes Weib und eine gute Mutter«, sagte Adelmut stolz und setzte Elsa auf seinen Schoß und gab ihr einen Kuss auf den Mund und lachte laut. Mehmet verstand kein Wort, er hielt sich zurück, war beinahe unsichtbar. Für ihn war alles ein Kulturschock, und das, was geschehen war, kam ihm surreal vor. In der osmanischen Gesellschaft war es unmöglich, seine Frau vor anderen Leuten zu küssen, sowohl aus religiösen als auch aus kulturellen Gründen. Er flüchtete sich in Gedanken zu Lale, fragte sich, wie es ihr ergehe, was sie mache, ob sie auch an ihn denke.

Zur selben Zeit traf Dracula mit dem Schiff in Venedig ein. Er wusste, dass er in Istanbul erwartet wurde, deshalb vermied er den direkten Weg aus England. Sahin Hodscha suchte in der Zwischenzeit jeden Tag nach dem Unterricht den schon genervten Schiffswart auf, um Informationen zu bekommen, ob ein Schiff aus England eingetroffen war oder wann eines ankommt.

Adelmut fing früh mit der Arbeit an. Durch sein wuchtiges Hämmern und Schlagen auf das Eisen weckte er das komplette Dorf auf. Seine Frau setzte Wasser für Tee auf, reichte Brot und selbst gemachte Marmelade. Mehmet spielte mit den Mädchen, zeigte ihnen kleine Zaubertricks und Van Helsing las in seinen Büchern. Elsa fütterte die Tiere im Stall und melkte die Kühe. Gegen Mittag streiften Van Helsing und Mehmet durch das Dorf und beobachteten das Leben der Bauern in der Gemeinde. Der Tagesablauf war strukturiert, alles hatte seine Ordnung. Die Ansässigen konnten einfach nicht die Blicke von den beiden lassen. Kinder liefen zu ihnen, um sie anzufassen, da deren Kleidung und Schuhe für sie fremd waren, ebenso der Anzug und der Hut Van Helsings. Die beiden störte das nicht, sie genossen sogar die Aufmerksamkeit, die sie bekamen. Mehmet bemerkte auch die ihm schmeichelnden Blicke der jungen Frauen im Dorf, die auf ihn gerichtet waren – besonders von einer rothaarigen, achtzehnjährigen Schönheit namens Freya. Sie hatte feuerrote, gelockte Haare, stechend blaue Augen, und Mehmet war zwar geschmeichelt, aber für ihn gab es nur Lale. Freya näherte sich ihm, sagte ihren Namen und zeigte auf sich. Mehmet antwortete auch mit seinem Namen, indem er mit dem Finger auf sich wies. Freya gab ihm ein aus schwarzem Leder gefertigtes Armband, wie es die Vorfahren vor jedem Krieg getragen hatten. Er bedankte sich mit einer Geste auf die osmanische Art, indem er mit der rechten Hand auf die Linke Brust klopfte, die Innenhand küsste und danach seine Stirn berührte. Das bedeutete Dankbarkeit von Herzen und die Erweisung des tiefsten Respekts. Freya lachte und lief glücklich zu ihren Freundinnen hinüber, die kicherten. Erst kurz vor Sonnenuntergang kehrten sie zurück zur Schmiede. Adelmut war bereits mit der Hälfte der Arbeit fertig. Er wies sie an, nach Hause zu gehen und sich zurechtzumachen, da heute ein Begräbnis eines Oberhauptes stattfinden sollte. Obwohl sie Christen waren, lebten sie immer noch die Tradition heidnischer Begräbnisse. Natürlich gemäß dem Wunsch des Verstorbenen und der Angehörigen, denn man konnte auch nach der normalen christlichen Art begraben werden. In diesem Fall stand ein traditionell heidnisches Begräbnis an. Die Bestattung der Toten geschah ohne Gepränge, lediglich bestimmte Holzarten wurden bei der Einäscherung der Leichen herausragender Männer verwendet. Den Scheiterhaufen zierte man nicht mit Teppichen und wohlriechendem Räucherwerk, nur seine Waffen, manchmal auch sein Ross, wurden dem Toten ins Feuer mitgegeben. Sämtliche Einwohner standen mitten im Dorf versammelt, wo das Begräbnis stattfand. Für Mehmet war es beängstigend und faszinierend zugleich. Van Helsing kannte dieses Ritual zwar, dennoch empfand er es immer wieder als aufregend. Der Sohn des Toten hielt eine Fackel, bestieg den zwei Meter hohen Scheiterhaufen und schrie die Worte: »Grüße unsere Ahnen, sie warten auf dich, sie werden dich mit offenen Armen empfangen, vergiss uns nicht, wenn wir kommen.« Er entzündete das Stroh, das binnen Sekunden brannte. Es war ein gewaltiges Feuerspektakel. Die Dorfbewohner sangen ein altes germanisches Lebewohllied für den Verstorbenen. Danach wurde getrunken, getanzt und gefeiert bis in die Morgenstunden, so ehrten sie ihre Toten. Van Helsing betrank sich, bis er nicht mehr stehen konnte, tanzte mit den Frauen und hatte reichlich Vergnügen. Mehmet dagegen trank keinen Alkohol, weil es ihm seine Religion nicht erlaubte. Er beobachtete alles aus der Ferne. Freya kam auf ihn zu und sie verständigten sich mit Handzeichen. Sie nahm Mehmet bei der Hand und zeigte auf einen hohen Baum, der unmittelbar in Sichtweite stand. Mehmet folgte ihr neugierig. Als sie vor dem Baum anlangten, machte Freya mit der Hand Zeichen, sie wollte hinaufklettern. Sie ging vor und Mehmet hinterher. Für ihn war das kein Problem, denn in seiner Kindheit war er auf viele Bäume geklettert. Freya stieg flink nach oben und als Mehmet den Gipfel langsam und sicher erreichte, stockte ihm der Atem. Die Schönheit der Natur zeigte wieder einmal ihre magische Seite. Man sah nur Bäume und es schien, als wären ihre Schatten gezeichnet, sowie glitzernde Berge, die durch die Strahlen des Mondes und der Sterne leuchteten. Es war so still, dass man sein Herz klopfen hören konnte, als könne man nach allem greifen. Sie verweilten noch eine Weile dort, bevor sie sich wieder unter das feiernde Volk mischten. Van Helsing konnte nicht mehr auf den Beinen stehen. Mehmet stützte ihn und brachte ihn nach Hause. Freya wartete draußen, um sich zu verabschieden. Sie verabredeten sich für den nächsten Morgen, und auch Mehmet legte sich schlafen.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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270 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783960086710
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