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VLAD DRACULAS KINDHEIT UND JUGEND

Vlad III. wurde im Jahr 1431 als zweiter Sohn des Königs Vlad II. und der Prinzessin Angelica aus dem Fürstentum Moldau geboren. Er hatte einen älteren Bruder namens Mircea und einen jüngeren, Radu, der Schöne, der Liebling der Eltern. Der junge Vlad war eher zurückhaltend und in sich gekehrt, entpuppte sich als ein Sadist, der Tiere quälte und gerne dabei zusah, wie das Leben erlosch. Er wirkte bereits als Kind unheimlich, verfügte aber auch über hohe Intelligenz und Mut. Er war Gleichaltrigen um Jahre voraus. Eines Tages ließ König Vlad II. einen Verurteilten hinrichten. Nach der Vollstreckung betrachtete der junge Vlad stundenlang die Leiche und war fasziniert von dem Tod.

Die Lage in Rumänien änderte sich dramatisch. Sowohl das Königreich Ungarn als auch der osmanische Sultan Murad II. übten beträchtlichen Druck auf Vlad II. aus. Seit den 1430er Jahren waren die Grenzregionen Ungarns und der halbautonomen Walachei von türkischer Invasion bedroht. Der junge Vlad unterwarf sich schließlich dem Sultan als Vasall und überließ ihm seine beiden jüngeren Söhne Vlad und Radu als Faustpfand, die unter anderem im Palast und in der Festung Egrigöz festgehalten wurden. Hier begegneten sie der osmanischen Kultur und dem Islam.

Die Jahre als türkische Geisel formte die Persönlichkeit des jungen Vlads. So soll er während der Geiselhaft des Öfteren wegen seines dickköpfigen und störrischen Verhaltens ausgepeitscht worden sein und eine extreme Abneigung gegen seinen Halbbruder Radu und den späteren Sultan Mehmed II. entwickelt haben. Das Verhältnis zu seinem Vater blieb gestört, da dieser ihn als Faustpfand benutzt hatte. Durch sein Handeln hatte der Vater außerdem den Eid auf den Drachenorden gebrochen, der ihn verpflichtete, Widerstand gegen die Türken zu leisten.

Nach sechs Jahren Gefangenschaft kehrten sie 1445 nach Hause zurück. Der junge Vlad war mittlerweile vierzehn und stand voller Hass seiner Familie gegenüber; außer seiner Mutter, die er über alles liebte, förmlich vergötterte. Nur drei Monate nach der Heimkehr verstarben die Mutter und der ältere Bruder Mirecia an der Pest. Der junge Vlad wurde immer zorniger und rachsüchtiger, widmete sich der schwarzen Magie. Er experimentierte im obersten Turm der Burg gemeinsam mit dem Hexenmeister Xaviardu, ein Heiler und Schamane, der sich ebenfalls der Schwarzen Kunst verschrieben hatte. Der König setzte ihn ein, damit er die Türken und ihre Armee verfluchte. Der junge Vlad ließ sich unterdessen von dem Magier anlernen. Den Vater kümmerte es wenig, was sein ältester Sohn machte, er sorgte sich mehr um Radu, der die beste Ausbildung sowohl militärisch als auch schulisch genoss, und der recht bald als Nachfolger des Königs feststand. Der junge Vlad lernte auch inzwischen die Kampfkunst kennen und man sagte ihm nach, dass er ein äußerst talentierter Schwertkämpfer war. Im gleichen Maße, wie Vlad immer mehr zu einem Mann heran reifte, wuchs seine Faszination für die schwarze Magie und den Tod. Der Hass, den er seinem Vater und seinem Bruder entgegenbrachte, blieb unverändert. Im Winter 1451 starb der König plötzlich eines scheinbar natürlichen Todes. Die Ärzte diagnostizierten einen Herztod, aber jedermann wusste, dass der König von seinem ältesten Sohn Vlad vergiftet worden war. Man konnte es allerdings nicht beweisen oder aussprechen. Einen Tag später stürzte Radu von den Klippen und verunglückte tödlich. Man vermutete wieder, dass Vlad dahinter steckte.

Vlad wurde somit der alleinige Herrscher über Rumänien. Zur Überraschung seiner Zweifler erwies er sich als guter König und als erfolgreicher, wenn auch brutaler, blutrünstiger Anführer der den Namen Vlad Tepes, der Schlächter, bekam. Er kämpfte immer an vorderster Front, aber das Glück, das ihm auf dem Schlachtfeld zuteilwurde, blieb ihm in der Liebe versagt. Seine erste Liebe und erste Frau war Bredica, die Tochter eines Adeligen aus Ungarn. Sie war das Gegenteil von Vlad. Bredica hatte Vlad durch ihre Liebe und ihre Gutherzigkeit von allem Bösen ferngehalten, doch nach nur zwei Jahren Ehe verstarb sie wie zuvor seine Mutter an der Pest. Seine zweite Frau Aurika konnte ihm keine Kinder gebären. Eines Tages hielt sie der Verachtung und der Boshaftigkeit Vlads nicht länger stand und sprang nach sieben Ehejahren von der Burgmauer in die Tiefe, um ihrem kinderlosen Dasein ein Ende zu setzen. Vlad war bereits fünfundvierzig. Er geriet außer sich, war launisch und zerstörte alles, was er in die Finger bekam. Fest davon überzeugt, dass er verflucht sei, schwor er sich, ab jetzt nur noch dem Bösen zu dienen. Das Gute in ihm existierte nicht mehr. Fortan wollte er das Blut der Guten trinken, um ewig zu leben. Dieses Blut erkor er zu seinem Lebenselixier. Darüber, woran und wann er verstarb, gibt es keine Aufzeichnungen. Man sagte ihm nach, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um auf ewig dem Bösen zu dienen. Dann verschwand er spurlos.

15. März. Sahin Hodscha lehrte und Mehmet besuchte die Lesungen an der Universität. Eine seltsame kalte Atmosphäre haftete den Mauern an. Jeder dachte an den kaltblütigen Mord des Schulkameraden. Lehrer, Professoren und Schüler – keiner schien recht bei der Sache zu sein. Sahin Hodscha schaute immer wieder zum Fenster, weil ein Ast wegen des heftigen Windes an die Scheiben schlug. Er erinnerte sich an das Massaker in dem rumänischen Dorf Burvalki. Daran, wie eine Haustür auf- und zuschlug und dazwischen eine verstümmelte Hand steckte.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Professor?«, fragte einer der Schüler besorgt.

»Ja, ja, mir geht es gut! Schlagt die Seite vier auf.« Er fuhr mit seinem Unterricht fort.

Mehmet saß in Gedanken versunken in der Vorlesung, bis die Küchenchefin zum Mittagessen läutete. Selbst hier in der Kantine spürte man die kalte seltsame Atmosphäre. Man hörte nur das leise Tuscheln der Schüler. Sahin Hodscha erschien gar nicht zum Essen, sondern hielt sich in der Bibliothek auf, um weitere Nachforschungen anzustellen. Mehmet traf sich nach der Stärkung mit seinem besten Freund Ali auf dem Pausenhof. Die beiden waren zusammen aufgewachsen. Ali stammte aus gutem Hause, der Vater war ein Abgeordneter des Osmanischen Reiches.

»Die Schüler behaupten, dass dein Onkel vor Jahren in Rumänien verschwunden war, und dass er das Böse nach Istanbul gebracht hat.« Mehmet sprang erbost auf und schrie Ali an: »Wer erzählt so einen Blödsinn? Ihr wisst doch, dass ihr mit dem Tod bestraft werdet, wenn ihr darüber sprecht.« Ali erwiderte: »Ich habe das nicht gesagt. Ich sage dir nur, was die Leute erzählen. Du weißt, ich bin dein bester Freund und stehe immer zu dir, aber irgendetwas ist seit Tagen mit dir los. Was hältst du davon, wenn wir heute Abend mal wieder ausgehen und ein bisschen Tavla spielen und Shisha rauchen in der alten Taverne?« Ein wenig verzögert willigte Mehmet ein: »Wieso nicht?«

Mehmet gab seinem Onkel Bescheid, dass er sich mit Ali treffen wolle und er nicht warten solle, da es spät werden könnte.

»Gute Idee«, meinte Sahin Hodscha, »aber pass auf dich auf, sei immer auf der Hut und erzähle niemandem etwas!«

Gegen Abend trafen sich Mehmet und Ali in ihrer Lieblingstaverne Ali Babas Haus, die hauptsächlich von Veteranen und mittelständischen Kaufleuten besucht wurde. Dort trat auch Beysade Hanim auf, eine bekannte Sängerin jener Zeit. Sie sang von den Kriegszügen der Osmanen und von verliebten Soldaten. Eine willkommene Ablenkung für Mehmet. Er dachte nicht mehr an die Geschehnisse der letzten Tage. Nach einer ausgiebig durchfeierten Nacht verließen sie zufrieden die Taverne und liefen am Ufer des Bosporus entlang. Mehmet schaute auf das Meer hinüber zur Kiz Kulesi. Egal, wo man sich in Istanbul befand, man sah den Mädchenturm. Er hatte eine magische Anziehungskraft.

»Träumst du wieder von der Prinzessin? Wann heiratest du endlich?«, fragte Ali seinen Freund.

Mehmet lachte und erwiderte: »Du hast gut reden, du hast ja schon die richtige Frau gefunden und bist verheiratet. Ich muss der Richtigen erst begegnen.«

»Es kann doch nicht so schwer sein, in dieser großen Stadt ein Mädchen kennenzulernen.«

Mehmet war dieses Thema sichtlich unangenehm. Es war bereits nach Mitternacht, der Himmel zeigte sich sternenklar. Die beiden Freunde redeten noch eine Weile über die alten Zeiten, als sie Kinder waren und unerlaubt Kirschen pflückten aus dem Garten von dem alten Bauern Baran, der sie gejagt, aber nie erwischt hatte und über den alten Physiklehrer Kadir Hodscha, der bei jeder Frage der Schüler die Augen ganz groß aufriss. Ali machte ihn nach, indem auch er die Augen ganz weit aufriss. Mehmet konnte sich nicht mehr einkriegen vor lauter Lachen. Sie verabschiedeten sich langsam. Trotz der späten Stunde pulsierte in den Straßen noch das volle Leben. Mehmet entschied sich, nach Hause zu laufen, und schob sich durch die Menschenmenge. Als er ankam, sah er Sahin Hodscha wie so oft in der Bibliothek in seinem Sessel schlafen, umringt von Büchern. Er ging zu ihm, deckte ihn zu und löschte die Kerzen in den Zimmern.

LIEBESGESCHICHTE AUF DEM MARKT TAKSIM

Sahin Hodscha und Mehmet fuhren mit der Kutsche nach Taksim, um eine der ältesten Bibliotheken der Welt aufzusuchen. Während der Fahrt auf einer sehr belebten Straße entdeckten sie nicht nur mannigfaltige Lebensmittel, die feilgeboten wurden, sondern auch äußerst elegant gekleidete Menschen. Wenn die Frauen außer Haus gingen, so trugen sie – ebenso wie die Männer – anstelle eines Mantels ein Bekleidungsstück, dessen Ärmel so lang waren, dass nur die Fingerspitzen hervorguckten. Auf der Straße wird eine Seite dieses Kleidungsstückes gehalten und – über das Vorderteil greifend – die andere Seite gehalten. Die Haare steckten unter einem weißen Tuch, das den Kopf und die Stirn verdecken sollte. Darüber lag ein weiterer Stoff, der die Nase bedeckte. Als Zeichen von Wohlstand trugen manche Damen einen Schirm als Schmuck. Die vornehmen Damen waren berühmt für ihre prachtvolle Erscheinung und ihren exquisiten Schmuck. An Gürteln, Kopfschmuck, Halsketten, Ohrgehängen, Armbändern und Fußreifen aus Gold und Silber glänzten Juwelen und Perlen. Der Gebrauch von Schminke war allgemein üblich. Ihren Teint hellten die Osmaninnen mit weißer Mandel- und Jasminpaste auf. Mit schwarzem Kohl betonten die Frauen Augen, Brauen und Wimpern, auch die Lippen schminkten sie mit roter Farbe. Außerdem parfümierten sie sich mit Duftessenzen aus Moschus, Aloe, Ambra, Sandelholz, Rose und Zimt. Älteren Frauen stand es frei, die Nase offen zu zeigen. Ganz so streng sah man dies allerdings nicht, solange man es nicht übertrieb und man sich nach den islamischen Regeln richtete. Istanbul galt als eine moderne und tolerante muslimische Stadt.

Sahin Hodscha und Mehmet suchten bereits zwei Stunden in der Bibliothek nach irgendwelchen alten Dokumenten der Familie Vlad II über die Gefangenschaft Draculas Vlad Tepes als Faustpfand beim Sultan. Sowie nach Aufzeichnungen aus dem Sultanat. Mehmet langweilte sich, deshalb schickte Sahin Hodscha ihn hinaus, um eine Kleinigkeit zu essen zu holen. Mehmet lief erleichtert auf die von Menschenmassen überfüllte Straße. An jeder Ecke gab es etwas zu entdecken: Schlangenbeschwörer und Gurus aus Indien, Artisten aus China, Bären und Jongleure aus Bulgarien, Hellseherinnen aus Rumänien, Menschen mit blonden Haaren und blauen Augen aus dem Westen, Amerikaner mit Cowboyhüten. Mehmet staunte, wie rasant sich Istanbul veränderte. Er freute sich darüber, alles war so aufregend und neu. Inmitten der vielen Gestalten sah Mehmet plötzlich in die schönsten rehbraunen Augen, die er je gesehen hatte. Sie gehörten einer adligen Tochter eines Kalifen, die mit einigem Gefolge und Wachen durch die Stadt flanierte. Auch sie erblickte Mehmet, ging in seine Richtung und ließ ihr Tuch vor seine Füße fallen. Die Geste bedeutete, dass sie ihn treffen wollte, um ihr Gesicht zu zeigen – für Mehmet ein bedeutsamer Fingerzeig. Sie schritt in den Gülbahcesi, den Rosenpark, und Mehmet lief aufgeregt hinterher. Begegnungen solcher Art waren zwar gestattet, durften aber nicht zu offensichtlich ausfallen. Man unterhielt sich leise und benahm sich unauffällig. Die junge Dame wartete hinter einem ausladenden Baum auf einer Sitzbank. Sie schickte ihr Gefolge weg mit den Worten, dass sie gleich wiederkommen sollten.

»Mmmein Nammme ist Mmmmehmet«, stotterte er.

»Ich heiße Lale«, erwiderte das Mädchen lächelnd und nahm ihren Schleier ab, was eigentlich auf die Schnelle so nicht üblich war. Mehmet erstarrte vor ihrer Schönheit, für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. Er war sprachlos, dementsprechend zurückhaltend.

Sie fand seine Schüchternheit liebenswert und fing ein Gespräch mit ihm an. Sie erzählte, dass sie die jüngste Tochter des Kalifen Murad aus Konya und die Nichte der Gemahlin des Sultans sei. Ihre älteste Schwester stehe vor der Heirat mit dem Prinzen und sie selbst werde fortan in Istanbul leben im Palast des Sultans. Mehmet beobachtete sie und hörte nur zu, so sehr war er angetan von ihrem Liebreiz. Sie bemerkte dies und lächelte ihn herzlich an. Als Mehmet etwas sagen wollte, riefen ihre Gefolgsleute Lale zu sich. Sie verabschiedete sich.

»Wann sehe ich dich wieder?«, fragte der frisch Verliebte.

»Nach der Hochzeit in fünf Tagen. Genau hier um die gleiche Zeit.«

»Ich werde da sein.« Mehmet war überglücklich vor Freude, und als er ihr das in Rosenöl getauchte Tuch zurückgeben wollte, sagte Lale: »Nein, behalte es, es ist ein Geschenk an dich, damit du mich nicht vergisst und immer an mich denkst.«

Mehmet stand noch verträumt eine Weile vor dem ausladenden Baum und nahm ein Zug des Duftes, der dem Tuch anhaftete. Er dachte in dem Moment, dass er mit Lale im Paradies sei.

Als Mehmet endlich mit dem Essen in der Bibliothek ankam, war Sahin Hodscha aufgebracht und sprach mit lauter Stimme: »Wo warst du so lange und warum grinst du so dämlich? Ich verhungere und wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, du Dummkopf! Was soll ich bloß mit dir machen?«

Mehmet erreichten die Worte seines Onkels nicht, er dachte nur an Lale. Es dämmerte bereits und er blickte in die Nacht zu den ersten Sternen, die sich zeigten. Nur war es diesmal anders, er empfand die Schönheit der Natur intensiver, die Sterne funkelten viel klarer, der Mond schien viel größer zu sein und die Meeresluft roch frischer als sonst. Vor allem aber spürte er ein seltsames, wohliges Kribbeln im Bauch. Sahin Hodscha grübelte währenddessen ununterbrochen. Nervosität und Angst standen ihm ins Gesicht geschrieben. Die beiden Männer verarbeiteten noch weiter bis zum Morgengrauen die Hölzer zu spitzen Pfählen.

Am nächsten Morgen klopfte es an der Tür und Sahin Hodscha öffnete. Vor ihm stand Kamil Pascha, sein jüngerer Bruder. Dieser bekleidete das Amt des Obergenerals der osmanischen Marine. Er war Anfang Fünfzig, hatte ernste Gesichtszüge und trug einen dicken Schnurrbart. Er hatte für die damalige Zeit eine durchschnittliche Größe, war sehr stämmig und kräftig gebaut. Er war ein frommer, nationalistisch geprägter und mutiger Mann. Für ihn zählte zuerst der Glaube, dann kam die Armee und erst an dritter Stelle folgte die Familie, weswegen er nie eine eigene Familie gründen konnte. Es gab nur kurzweilige Beziehungen, aber nie etwas Ernstes. Er hatte in vielen Kriegen gekämpft, war in Izmir stationiert und galt als Respektsperson durch und durch. Weilte er in Istanbul, besuchte er so oft er konnte seinen Bruder und seinen Neffen. Als Familienmensch trat er komplett anders auf, dann gab er sich als Lebemann, der gerne lachte. Er hatte ein markantes sehr auffälliges, tiefes lautes Lachen. Mehmet liebte und bewunderte ihn und fühlte sich wohl in seiner Nähe. Kamil Pascha ging hoch in das Zimmer, öffnete langsam die Tür, rief seinen Neffen mit einem Weckschrei aus der Marine wach: »Steh auf und mach dich bereit, auf Deck zu gehen, Soldat!« Mehmet schreckte hoch mit aufgerissenen Augen und wusste nicht, wie ihm geschah. Langsam begriff er, dass sein Onkel vor ihm stand. Es kam ihm gelegen, einen dermaßen tapferen Mann an seiner Seite zu wissen, nach all dem, was in den letzten Tagen geschehen war. Mehmet umarmte seinen Onkel fest, wollte diesen wie ein kleiner verängstigter Junge nicht mehr loslassen. Kamil Pascha lachte und war überrascht, auf diese Art empfangen zu werden.

»Was ist los? Wie kommt es, dass du mich so umarmst, kleiner Neffe?«, fragte er Mehmet.

»Nichts Onkel, ich bin nur froh, dass du da bist.«

Gemeinsam gingen sie nach unten, wo Sahin Hodscha sie am gedeckten Frühstückstisch erwartete. Es gab gekochte Eier, frisch geschnittene Tomaten, Gurken aus der Region mit Schafskäse und türkischem Tee – ein landestypisches Frühstück. Mehmet holte noch etwas Holz vom Hof und Wasser aus dem Brunnen. Kamil Pascha setzte sich zu seinem Bruder und erklärte, dass er nur einen Tag bleiben könne. Er müsse am nächsten Morgen nach Ankara reisen, um an einer Sitzung der Kommandeure und Paschas teilzunehmen. Während des Frühstücks erzählte er von seinen Abenteuern zu Land und auf dem Wasser, auf welche Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben er traf aus verschiedenen Kulturen und Religionen. Er reiste um die ganze Welt, kannte ferne Länder und hatte den Indischen Ozean, den Pazifik und den Atlantik befahren. Sie verbrachten den Tag mit Erzählungen aus der Vergangenheit und stellten fest, wie schön und einfach es früher doch alles war. Mehmet klebte an den Lippen seiner Onkel und vergaß für eine Weile die Aufregungen der letzten Zeit, bis Kamil seinen Bruder abends fragte, ob er immer noch an diesen Dracula und an fliegende Menschen glaube und er Mehmet auch angesteckt habe. Sahin Hodscha blickte seinen Neffen beschwörend an, damit dieser unter keinen Umständen etwas preisgab. Der Junge ließ sich nichts anmerken, wünschte den beiden eine Gute Nacht und begab sich in sein Zimmer. Er legte sich hin, fand aber lange keinen Schlaf und grübelte, bis er schließlich einschlummerte. Die beiden Brüder unterhielten sich noch eine Weile, bevor sie auch zu Bett gingen.

Am nächsten Morgen stand eine Kutsche für Kamil Pascha bereit. Dieser verabschiedete sich von seinem Bruder und seinem Neffen mit den Worten, dass er in ein paar Wochen zurückkomme und für eine Weile bei ihnen wohnen werde. Der General, der nie geheiratet, sondern sein komplettes Leben dem Land, der Armee und dem Meer gewidmet hatte, stand kurz vor der Pensionierung und verfügte über genügend Zeit für einen weiteren Besuch. Der Abschied fiel sehr herzlich aus. Nachdem Sahin Hodscha und Mehmet in das Haus zurückgekehrt waren, klopfte es an der Tür. Der Postbote des Sultans brachte eine Einladung zur Vermählung des Prinzen Mustafa mit Aysenur, der ältesten Tochter des Kalifen aus Konya. Die Hochzeit sollte in zwei Tagen stattfinden. Solche Anlässe wurden im Land erst kurz zuvor bekannt gegeben, denn wenn man feierte und abgelenkt war, bot man Feinden ein Ziel, dann war man verwundbar. Im Inneren des Landes hatte der Sultan die meisten und gefährlichsten Feinde, die ihm gegenüber feindlich gesinnt waren. Aus aller Herren Länder waren bedeutsame Persönlichkeiten in den Palast des Sultans eingeladen worden. Natürlich wurden sie vor Wochen benachrichtigt mit Telegrammen oder auf die altbewährte Art – mit der Taubenpost: Scheichs aus dem arabischen Raum, Saudi-Arabien, Iran, Irak, Ägypten, Kaiser und Könige aus Deutschland, Ungarn, Österreich, Russland, Frankreich, Stammesführer aus Afrika, sogar der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und die First Lady reisten an.

DIE VERMÄHLUNG DES PRINZEN MUSTAFA MIT AYSENUR, DER TOCHTER DES GROßKALIFEN

24. März 1853. Inzwischen wusste jeder Bescheid, und alles, was Rang und Namen hatte, war selbstverständlich zur Hochzeit, die im großen Saal des Palastes gefeiert werden sollte, eingeladen worden. Der anderthalb Kilometer lange Weg zum Schlosstor war mit einem roten Teppich, auf dem sich Rosenblätter befanden, ausgelegt. Alle zwei Meter erhellten Feuerfackeln den Pfad und an den Seiten erfreuten Feuerspucker, Elefanten, Affen und Löwen die auflaufende Prominenz. Soldaten, die das Geschehen überwachten, waren ebenfalls postiert worden, da man Angst vor Anschlägen hatte. Die Gäste aus dem Ausland wurden mit Kutschen vom Hafen abgeholt und zum Palast gebracht. Der Sultan gab auch den ärmeren Bürgern etwas zu essen und zu trinken. Es herrschte Feierstimmung und überall winkten glückliche Menschen. Mehmet und Sahin Hodscha fuhren ebenfalls mit der Kutsche vor und zeigten ihre Einladung, denn ohne diese kam niemand hinein. Gleich, ob Kaiser oder König, jeder benötigte ein Einladungsschreiben. Als sie durch das Tor traten, kam Mehmet aus dem Staunen nicht mehr heraus. So etwas hatte er noch nie gesehen.

»Mach deinen Mund zu!«, flüsterte Sahin Hodscha ihm beschämt zu, aber Mehmet achtete nicht darauf, schließlich weilte er, ein junger Mann aus bescheidenen Verhältnissen, zwischen all diesen Blaublütigen. Als sie den Palast erreichten, erwartete sie ein Meer von Kronleuchtern in einem riesigen Tanzsaal. Überall standen Diener in grünen, einheitlichen Uniformen mit Tabletts, die die Gäste mit Getränken und Früchten bedienten. Mehmet hielt Ausschau nach Lale. Er wusste ja, dass sie auch auf der Hochzeit verweilte. Viele alte Freunde und Weggefährten von früher begrüßten Sahin Hodscha herzlich. Mehmet entfernte sich, um Lale zu suchen, da packte sein Onkel ihn am Arm.

»Bau bloß keinen Mist und erzähl niemandem etwas!«

»Klar, werde schon nichts machen«, sagte Mehmet genervt.

In diesem Moment läutete der Wesir die Glocke und kündigte die Ankunft des Sultans an. Alle Augen waren auf den machtvollsten Mann des Landes gerichtet. Der Sultan trug den Staatspelz, genannt Kapaniça, ein weiter Mantel aus Gold- und Silberbrokat (Seraser). Er war mit einem schwarzen Fuchspelz ausgeschlagen, welcher entlang des Saumes und am Kragen eine breite Bordüre bildete. Edelsteinbesatz zierte die Verschlüsse des Staatsgewandes. Prinz Mustafa war in Weiß gekleidet und trug einen mit Edelsteinen geschmückten Gürtel. Seine Braut war in Rot gekleidet, das Kleid verziert mit Gold und Juwelen. Der Sultan setzte sich auf seinen Thron, direkt neben ihm das Paar. Die Familienangehörigen nahmen an einem riesengroßen Tisch Platz, darunter auch Lale, die jüngste Schwester der Braut. Die übrigen Gäste saßen unterteilt nach Rang und Höhe: Könige links vom Sultan, die Politiker rechts von ihm, es folgten vermögende Geschäftsleute, und auch Sahin Hodscha saß in unmittelbarer Nähe.

»Lasst die Feier beginnen!«, rief der Sultan erfreut und alle klatschten.

Nach dem Festmahl erblickte Lale Mehmet und war erstaunt, ihn hier anzutreffen. Mehmet nickte mit dem Kopf und gab ihr ein Zeichen Richtung Park, woraufhin sie bei ihren Eltern und dem Sultan um Entschuldigung bat, denn sie wolle ein wenig frische Luft schnappen. Der Palast verfügte über einen Garten, wie es ihn kein zweites Mal auf der Welt gab. Er beherbergte etwa zweitausendfünfhundert verschiedene natürlich vorkommende Pflanzenarten und stellte zusammen mit der Provinz und der Stadt Istanbul, deren Gesamtfläche nur rund fünftausend Quadratkilometer betrug, ganze europäische Länder, wie das Vereinigte Königreich, in den Schatten. Istanbul alleine beherbergte etwa ein Viertel von mehr als zehntausend dokumentierten Pflanzenarten, die in der Türkei vorkamen. Einige dieser Pflanzen waren endemisch, kamen also nur an diesem Ort vor. Die Hälfte dieser Blumenarten wuchsen in der Anlage dieses Palastes, den man das kleine Paradies, oder auch den Garten Eden nannte.

»Was machst du denn hier? Verfolgst du mich etwa?«, fragte Lale überrascht.

»Nein«, erwiderte Mehmet, »wir sind eingeladen. Wir arbeiten für den Sultan, eher gesagt mein Onkel.«

»Wieso hast du mir das nicht schon bei unserem ersten Treffen erzählt?«, fragte Lala. »Du steckst ja voller Überraschungen!«

»Wir hatten ja nicht viel Zeit zum Reden. Deine Aufpasserin saß mir im Nacken, und ich dachte, sie dreht mir gleich den Hals um. Sie ist zum Fürchten.« Mehmet witzelte und Lale lachte herzlich.

»Sie guckt jeden so streng an, der mir zu nahe kommt, sie will mich doch nur beschützen. Sie ist zugleich meine Ziehmutter, und ich liebe sie auch deswegen wie eine leibliche Mutter. Meine eigenen Eltern hatten kaum Zeit für mich. Mein Vater ist ein wichtiger Mann und ständig auf Reisen. Uns hat er nie mitgenommen, weil wir Mädchen waren, es gehörte sich nicht. Ich weiß, dass er sich immer einen Sohn gewünscht hat. Du weißt doch, wie das ist, der Familienname muss erhalten werden.«

Sie liefen eine Weile durch den nach Rosen und Lavendel duftenden Garten und sprachen noch über alles Mögliche. Plötzlich blieb Mehmet stehen, beugte sich vor und pflückte vorsichtig eine Blüte.

»Das ist eine Lale. Diese Blume trägt deinen Namen und sie ist wunderschön, genau wie du.«

Lale errötete nahm die Blume und bedankte sich schüchtern.

»Mir gefällt es hier. Es ist nicht so langweilig wie in Konya und erst die vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern! Es ist alles so aufregend! Du musst mir unbedingt ganz Istanbul zeigen«, sagte sie.

»Klar, das mache ich liebend gern. Ich werde dir die Schönheit und Pracht dieser Stadt zeigen.«

»Ich muss jetzt wieder hineingehen. Treffen wir uns übermorgen wie verabredet?«

»Natürlich!«, antwortete Mehmet voller Glückseligkeit.

Die Feier war auf dem Höhepunkt, die Leute tanzten, tranken und aßen. Der Sultan rief Mehmet und Sahin Hodscha zu sich an den Tisch und bestellte die beiden für den kommenden Tag gegen Mittag in die Sommerresidenz auf der Prinzeninsel. Mehmet und Lale konnten unterdessen die Augen nicht voneinander lassen. Sahin Hodscha und dem Sultan blieben deren verliebte Blicke nicht unverborgen. Der Sultan schmunzelte und Sahin Hodscha zwickte seinen Neffen am Arm.

»Bist du wahnsinnig? Willst du, dass unsere Köpfe rollen?«, flüsterte er und zog ihn beiseite, um ihm eine Standpauke zu halten. »Du darfst mit so einer Frau nichts anfangen, geschweige denn daran Denken. Wir sind nur kleine Leute und so eine Beziehung kommt nicht infrage!«

Mehmet war sichtlich verletzt und Sahin Hodscha bemerkte, dass er zu streng gewesen war. Doch auch wenn es ihm leidtat, musste er auf seinem Standpunkt beharren. Niemand ahnte, dass Sahin Hodscha selbst in jungen Jahren in eine Adelstochter namens Zeynep verliebt gewesen war, die Tochter des Sultans Mahmut II. Natürlich kam es nicht infrage, dass eine Adelige einen Normalsterblichen heiratete, obwohl sie sich ebenfalls in den Wissenschaftler verliebt hatte und sich heimlich mit ihm traf. Der Sultan hatte zwar Wind davon bekommen, mochte und schätzte Sahin Hodscha allerdings und verschonte ihn, obgleich jener ein Tabu gebrochen hatte. Man erzählte sich, er habe Sahin Hodscha wegen dieser Angelegenheit bewusst nach Rumänien geschickt. Der Sultan hatte wissentlich in Kauf genommen, dass Sahin womöglich nicht von der gefährlichen Reise zurückkehrte. In der Zwischenzeit war Zeynep mit dem Sohn eines Kalifen aus Gaziantep in Süd-Anatolien verheiratet worden und sie musste gegen ihren Willen dorthin ziehen. Sahin Hodscha litt damals sehr und schwor sich, keine andere Frau zu heiraten. Und nun wollte er Mehmet vor dem gleichen Schicksalsschlag bewahren. Die Prinzessin Zeynep hielt sich auch auf der Hochzeit auf. Sie liebte Sahin Hodscha immer noch und für den Professor blieb sie die erste und einzige Liebe und die schönste Frau der Welt. Dennoch blickte er nur einmal zu ihr hin, für ihn war das Kapitel beendet.

399
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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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270 стр. 1 иллюстрация
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9783960086710
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